Der Mini im Rock A Transatlantic Track Record Wer immer

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Der Mini im Rock A Transatlantic Track Record Wer immer
Der Mini im Rock
A Transatlantic Track Record
Wer immer heute etwas über die britische Kultur der 60er Jahre
schreiben möchte, kommt nicht ohne die Begriffe „Beatles“ und
„Minirock“ aus. Wer etwas von der Historie der Popmusik versteht, muss
außerdem den Beat erwähnen. Auf den Mini, nämlich das Auto, kommen
eher die Fans und die Besserinformierten, also die Kenner der britischen
Kultur. In der Rückschau auf eine Epoche neigt man zu einer
gewissermaßen „homogenisierten“ Konstruktion der „Zielkultur“. Der
Gipfelpunkt solcher Vorstellungen könnte in der Erwartung liegen, die
Musik hätte sowohl das Auto als auch die Mini-tragenden Mädchen
fortwährend (oder doch in relevantem Maße) thematisiert; dann könnte
man von einem Synkretismus der multimodalen Metaphern für eine den
Primat der Jugend betonenden Kultur sprechen.
Was bleibt von solchen Annahmen, wenn wir einen näheren Blick auf die
Texte werfen?
Rock’n’Road
Wenn man vom „Mini im Rock“ spricht, so ist das im Grunde genommen
ein kleiner Anachronismus, denn sowohl das Auto als auch das
Kleidungsstück kamen im England der Beat-Ära in Mode. Die 60er Jahre
sprachen fast ausschließlich von Beatmusik, während der Begriff Rock
erst nach der Beat-Ära aufkam und bald zum generischen Begriff wurde,
der den Beat einschloss. Der englische Beat gehört ebenso zur
britischen „Pop-Hegemonie“ wie die beiden Minis.
Die Antwort auf die Frage: „Welche Minis kann man im Rock finden?“
werde ich also zunächst bei den Beatbands zwischen 1963 und 1967
suchen.
Es stünde zu erwarten, dass beide ihre Rolle spielen, denn zumindest
die frühen Songs handeln sowohl von Mädchen als auch von Mobilität.
Und es gibt auch eine Verbindung zwischen beiden, die ein Song der
Merton Parkas, allerdings aus dem Jahre 1979, auf den Punkt bringt:
You need wheels.
Fast alle Beatbands haben einige amerikanische Standards in ihrem
Repertoire, insbesondere den Chuck Berry-Song über das Wettrennen
zwischen Jaguar und Thunderbird (Wayne Fontana & The Mindbenders,
The Who, The Troggs). Auch der Cadillac kommt vor, den die Kinks aber
– wenn sie ihn denn hätten - gegen die Rückkehr der Geliebten gern
eintauschen würden:
I don’t want no Cadillac – I just want my baby back
Doch all dies ist eine „kulturelle Anleihe“ bei der viel stärker und expliziter
von der motorisierten Mobilität geprägten amerikanischen Rockmusik;
bei Cadillac handelt es sich um das Cover eines Songs von Bo Diddley,
den die Kinks für ihr erstes Album (The Kinks, 1964) aufnahmen.
Das Auto ist aus dem kulturellen Raum Amerikas nicht wegzudenken.
Den geographischen Raum erschloss zwar zunächst die Eisenbahn, mit
deren Hilfe die Grenze (frontier) immer weiter vorgeschoben wurde. Für
den Individualisten boten aber erst das Auto und die Highways die
Freiheit, ohne die Bindung an Fahrpläne und ohne Mitreisende eine
persönliche Mobilität zu genießen.
Mit dem Übergang vom schwarzen Rhythm and Blues zum sehr bald von
Weißen dominierten Rock‟n‟Roll in den 50ern tritt deshalb das Auto an
die Stelle der Eisenbahn, in den Songtexten ebenso wie im
Nachkriegsamerika, in dem die Zahl der Autobesitzer rasant anstieg.
Wiederum hat Chuck Berry für die populärste musikalische Schilderung
der Freiheit auf den Highways gesorgt, nämlich in der Rockversion des
zuvor bereits von Nat King Cole gesungenen Route 66:
Well it winds from Chicago to L.A.
More than 2000 miles all the way
Get your kicks on Route 66
Diese Faszination der Highways fehlt im kleinen Großbritannien; die
Entfernungen zu den Clubs sind viel kleiner, das Auto als
Erfahrungsraum in der Bewegung wird nicht so sehr benötigt wie in den
USA. Deswegen ist wohl auch die Menge der driving songs britischer
Herkunft sehr überschaubar. Wer im England der 50er und frühen 60er
Jahre in seiner Stadt unterwegs ist, hat die U-Bahn, Bus (wenn nötig,
muss man den Last Bus Home (Herman‟s Hermits) erwischen) und noch
die tram. Der Lebensraum ist städtischer als das weit ausgedehnte
suburbia der amerikanischen Städte, in dem die weißen Rock‟n‟Roller
leben.
In den USA offeriert das eigene Auto komplementär zum Erlebnis der
nur durch den Tank begrenzten Mobilität zudem einen privaten Raum,
der schon dem 16jährigen Führerscheininhaber die ersehnte
Abgeschiedenheit von einer prüden Öffentlichkeit bietet. Wiederum weiß
Chuck Berry davon ein Lied zu singen, nämlich in seinem späten Hit No
Particular Place To Go (1964); hier spielt das Cruising mit der Freundin
eine herausragende Rolle, vor allem allerdings ein nicht zu öffnender
Sicherheitsgurt. „Can you imagine the way I felt? I couldn‟t unfasten her
safety belt! … Riding along in my calabooze – still tryin‟ to get her belt aloose …” Vergeblich – so endet der Song in einer gewissen Frustration.
So suggestiv sind allerdings wenige Texte im amerikanischen Rock; und
Chuck Berry hatte zu dieser Zeit ohnehin bereits einen völlig ruinierten
Ruf. Und während die englischen Beatbands nahezu jeden seiner Songs
coverten, ließen sie diesen aus.
Wenn die private und individuelle Mobilität sich in den britischen Texten
nicht wieder finden, bliebe als Motivation ja noch das Auto als
Statussymbol. Hier tummeln sich Thunderbird, Jaguar und Cadillac.
Warum nicht der Mini? Nun, die britischen Rockstars, etwa die Beatles,
ließen sich gern mit dem Kultauto fotografieren; doch dürfte dies eher
Teil einer Imagekampagne gewesen sein als das aufrichtige Bedürfnis
nach dem besten Auto der Welt. Man könnte auch formulieren: zwei
Symbole der neuen britischen Kultur kamen zusammen; aber statt der
Musiker konnte der Mini auf der visuellen Ebene wesentlich attraktivere
Partnerinnen finden, nämlich solche britischen Mode-Ikonen wie Mary
Quant, Jean Shrimpton oder Twiggy.
Der Mini taugte wohl doch nicht zum Statussymbol– zu wenig Luxus, zu
wenig Glamour. Aber einen Aston Martin sucht man ebenfalls
vergebens: Statussymbole hat man offenbar, aber man singt nicht
darüber. Noch einmal zu den Kinks, diesmal jedoch in ihrer 1966
einsetzenden, vom Sänger, Komponisten und Texter Ray Davies
getragenen Metamorphose zu einer sozialkritischen Band, in deren
Songs das Leben der verschiedensten englischen
Gesellschaftsausschnitte kommentiert wird. In Sunny Afternoon (1966
eine erfolgreiche Single, zu finden auf dem Album Face To Face) geht
es um einen ehemals wohlhabenden Mann, dem nun aber die Mittel
ausgegangen sind:
The taxman’s taken all my dough and left me in my stately home … and I
can’t sail my yacht – he’s taken everything I’ve got
Auch das Statussymbol Auto ist ihm abhanden gekommen:
My girlfriend’s run off with my car and gone back to her Ma and Pa
telling tales of drunkenness and cruelty
Aber was für ein Auto hat die abtrünnige Freundin unserem gepfändeten
Rockstar entführt? Wir erfahren es nicht, aber der von einem gewissen
Frank Smyth verfasste Text auf der Rückseite des LP-Covers deutet an,
dass es sich nicht um einen am Ende doch biederen Mini handeln
dürfte:
You have become a well respected personage ere you know it … Next? Country house, yacht,
powered by sail and/or steam, with the motor car in lurid colour and with white walls to its wheels
smiling in the golden gravel drive. Ladies of course. Ladies with long legs and little bosom, hair the
colour of corn,
Fazit: Der Mini passt weder zum amerikanischen Rock oder Rock‟n‟Roll
noch zum britischen Beat oder den Soul-orientierten Mods – erst
Madness, anfangs eine Ska-Band, besingen Ende der 70er ein Gefährt,
das ein Mini sein könnte und schon recht alt und klapprig ist – „it‟s not
quite a Jaguar“. Mit dem Kultstatus ist es offenbar zumindest in den
lyrics auch dort noch nicht weit her.
So bleibt nur die Hoffnung auf eine vielfache, kulturell bedeutsame
Erwähnung des Kleidungsstücks.
Rock’n’Roll?
Warum sollte man in den Texten des englischen Beat erwarten, Bezüge
auf den Minirock zu finden? Diese Frage führt zu einer anderen: war der
Mini nicht ein eindeutiges Symbol für eine neue sexuelle Freiheit – oder
eher für neue Promiskuitätserwartungen? Lassen wir zunächst Mary
Quant zu Wort kommen1:
The way girls model clothes, the way they sit, sprawl or stand is all doing the same thing. It‟s not
`come hither‟, but it‟s provocative. She‟s standing there defiantly with her legs apart saying, „I‟m very
sexy. I enjoy sex. I feel provocative, but you‟re going to have a job to get me. You‟ve got to excite me
and you‟ve got to be jolly marvellous to attract me. I can‟t be bought, but if I want you, I‟ll have you.‟
(Observer, 7 March, 1965).
Diese Betonung einer neuen, auch sexuellen Selbstbestimmung und
Unabhängigkeit, einer neuen Rolle für die dolly birds traf allerdings auf
ein ganz anderes Verständnis bei den männlichen Beobachtern:
„Young English girls take to sex as if it‟s candy and it‟s delicious“
(Weekend Telegraph, 16 April 1965).
1
Dieses Zitat und die folgenden Zitate aus Zeitungen und Zeitschriften werden zitiert aus Sandbrook
(2006).
Die Kontroverse um den Auftritt des bereits berühmten Models Jean
Shrimpton unter den konservativen Gästen beim australischen Derby im
Oktober 1965 fügte eine weitere Facette zur Rezeption des Minirocks
hinzu: die Indignation der respectable society. Gleichwohl gilt dieses
publicityträchtige Ereignis weithin als der „Durchbruch“ des Minirocks
(oder genauer, des Minikleids); doch es war wohl eher so, dass der
schon laufende Trend noch verstärkt wurde. Und während Mary Quant
weiterhin (und noch dreißig Jahre später) das Positive betonte („It was
young, liberated and exuberant […] `Look at me. Isn‟t life wonderful.‟
(Quant, in Mitchinson 2000: 139), gab es doch ganz offensichtlich auch
eine Kehrseite der Medaille: „Some women, however, felt that it only
encouraged men to think of dolly birds as little more than sex objects. `It
made you look like a little girl,‟ one woman later insisted, `just there to
please men.‟ (Sandbrook 2006: 233). Das wären, in aller Kürze, die
proklamierten oder rezipierten Bedeutungen des revolutionären
Kleidungsstücks. Was sagen die Männer des britischen Beat dazu?
War die neue Mode eine der Ausdrucksformen des swingenden England
der 60er Jahre, so war die britische Rock- bzw. Beatmusik eine andere,
die in Gestalt der British Invasion für einige Jahre auch den
amerikanischen Markt dominierte. Diese Adaptation und indigene
Weiterentwicklung des Rock‟n‟Roll lieferte den Soundtrack für den vom
allgegenwärtigen Postulat der nicht endenden Jugendlichkeit geprägten
Lebensgefühls der Jahre um 1965. Ganz traditionell waren aber die
Themen der Beatbands: es ging um die Liebe und das Suchen nach ihr,
mitunter hymnisch gestaltet, nicht selten jedoch auch mit dem
Hintergrund des ewigen Themas der teenage angst. Aber: did sex ever
rear its ugly head?
Die Beatles sind in ihrer Frühzeit absolut familienverträglich, was ihre
Texte angeht. Von den Girls weiß man nur eins mit Sicherheit: dass sie
zumindest eine Hand besitzen. Ansonsten sind sie natürlich
wunderschön („The way she looked was was beyond compare“, in I saw
her standing there). Die Beatles haben über das Äußere der in ihren
Songs Besungenen kaum etwas zu sagen; eher wird man bei der
Beschreibung von männlichen Charakteren fündig (and the banker never
wears a mac in the pouring rain – very strange heißt es in Penny Lane;
da schrieb man jedoch bereits das Jahr 1967, und die Beatles hatten die
romantischen Liebeslieder längst hinter sich gelassen). Was die Dame in
She came in through the bathroom window (auf Abbey Road, 1969)
trägt, erfahren wir nicht. Nicht zu vergessen allerdings: Lady Madonna
(Thursday night your stockings needed mending, 1968). Keine Minis bei
den Beatles – was immer sie über ihre Song-Frauen sagen, liegt auf
anderen Ebenen.
Erwartungsvoll hören wir die Texte großen Rivalen: der Rolling Stones.
Deren Management verpasste der Band ein rebellisches Image mit
genüsslich ausgekosteten lasziven Elementen. Die Presse nahm dieses
(anfängliche) Konstrukt nur zu gern auf. Der Melody Maker fragte: Would
you let your sister go with a Rolling Stone? Aber dies geschah noch with
tongue firmly in cheek. Im Evening Standard vom 14. April 1964
widmete sich die Journalistin Maureen Cleave dem Ärgernis mit vollem
Ernst:
BUT WOULD YOU LET YOUR DAUGHTER MARRY ONE?
Parents do not like The Rolling Stones. They do not want their sons to grow up like them; they do not
want their daughters to marry them.
Um es auf den Punkt zu bringen: die Stones waren ziemlich genau das
Gegenteil der frühen Beatles, die es bald zu Members of the British
Empire bringen sollten. Dürfen wir also freizügige sexuelle Kommentare
in den Texten der späteren Glimmer Twins Mick Jagger und Keith
Richard (wie er sich damals noch nannte) erwarten, vielleicht sogar
lüsterne Blicke auf Miniträgerinnen? Weit gefehlt. Dass die Mädchen in
den Songs der Stones Kleider tragen, kann man belegen, aber welcher
Art sie sind, bleibt ungewiss. In den oft als mysogyn kritisierten Songs
Under My Thumb und Stupid Girl heißt es:
„The difference in the clothes she wears is down to me – a change has
come: She‟s under my thumb“, und:
“I‟m not talking about the kind of clothes she wears (look at that stupid
girl)”.
Für die von Mary Quant (1966 ebenfalls als M.B.E. ausgezeichnet)
propagierte positive Symbolkraft des Mini haben die Stones nicht das
geringste Interesse; man muss bei ihnen ohnehin lange suchen, um
irgendeine positive Aussage über Frauen und ihr Erscheinungsbild zu
finden.
Durchaus an der Mode interessiert ist Ray Davies mit seinen Kinks. Ein
vielversprechender Titel dieser Band ist Dedicated Follower of Fashion –
aber nur bis zur ersten Textzeile:
„They seek him here, they seek him there / in Regent Street and
Leicester Square“.
Auch die Carnaby Street findet hier Erwähnung, aber der Modefanatiker
trägt keinen Minirock. Mit dieser Single (März 1966) verabschieden sich
die Kinks allerdings endgültig von ihrer brachialen Frühphase mit
Krachern wie You Really Got Me und All Day And All Of The Night.
Davies beobachtet in seinen Texten von nun an humorvoll, ironisch oder
sarkastisch die Szenerien und Charaktere im post-Empire England. Oft
geht es um das Bemühen der kleinen Leute, einen bescheidenen
sozialen Aufstieg zu bewerkstelligen, heraus aus der Enge der terraced
houses mit ihren Hinterhoftoiletten. Sexuelle Leidenschaft wird in den
Kinks-Songs von nun an recht rar; die modischen Vorlieben seiner
Protagonisten kommentiert Ray Davies meist ironisch:
„One week he‟s in polka-dots, the next week he‟s in stripes – he‟s just a
Dedicated Follower of Fashion“.
Wiederum aber ist es der schon oben zitierte Frank Smyth, der sich an
gleicher Stelle konkreter über die erotischen Lebensumstände des
plötzlich vom Ruin Bedrohten in Sunny Afternoon auslässt:
Ladies of course. Ladies with long legs and little bosom, hair the colour of corn, very mini, very skinny
dresses. […] The trouble being that the perfect woman becomes a bore, like having venus de Milo [sic]
constantly upon one‟s hands. So angry words are spoken, and she of golden hair and mini skirt, half
woman, half thighs leaves. With car. Back to ma and pa. With tales of drunkeness [sic] and cruelty.
Die vierten im Bunde der großen englischen Bands waren (aus heutiger
Sicht) die Who, die sich keineswegs nur Sorgen über ihre Generation
machten, sondern auch die Freuden (und die Ärgernisse) der Liebe
besangen. Miniröcke? Leider Fehlanzeige. In La La Lies (1965) gibt es
ein „girl with eyes like gems“; die Pictures Of Lily (1967) mögen zwar
reizvoll genug sein, doch stammen sie aus den 20er Jahren –
möglicherweise ist darauf ein kurzes Kleid zu sehen, aber wir erfahren
es nicht.
Auch bei den „kleineren“ Bands im heimatlichen britischen Beat ist von
Röcken kaum die Rede. Bei Manfred Mann lockt der Pretty Flamingo
(1966) im “crimson dress that clings so tight”. Die Troggs sind expliziter
in I Can’t Control Myself, ebenfalls 1966: “your slacks are low and your
hips are showing”. Von diesem Stück schreibt Richie Unterberger: "‟I
Can't Control Myself" had such an open-hearted lust that it encountered
resistance from conservative radio programmers all over the globe”
(http://www.allmusic.com/, 09. Juli 2009). Diese “open-hearted lust” sollte
auch später die Texte der Band kennzeichnen, was die BBC nicht
goutieren mochte. Vielleicht hätte die Band ihr Abrutschen in den
underground vermeiden können, wenn sie lediglich ein paarmal ganz
unschuldig den Minirock erwähnt hätte? Sie tat es zumindest nicht
explizit, und ihre (britische) Charts-Karriere endete schon Anfang 1968.
The mini-skirt abroad
Nach diesen „Enttäuschungen“ wird man überraschenderweise auf der
anderen Seite des Atlantiks fündig, allerdings auch nicht im Rock,
sondern bei der Country-Sängerin Jeannie C. Riley, die 1968 in ihrem
Welterfolg Harper Valley P.T.A. das Sittengemälde einer amerikanischen
Kleinstadt zeichnet. Inhaltsangabe: die halbwüchsige Tochter einer
alleinerziehenden Mutter kommt mit einem Brief der Parent-Teacher
Association nach Hause, in der das Verhalten der Mutter streng gerügt
wird: „you‟re wearing your dresses way too high“ – so kann man sie nicht
als die geeignete Erzieherin ihres little girl akzeptieren, sie ist ja
geradezu eine wandelnde Einladung zur Unmoral. Es folgt der MinirockAuftritt der Mutter im gerade stattfindenden Meeting der PTA, bei dem
sie den anwesenden Mitgliedern die Leviten liest und deren eigene
moralische Fragwürdigkeit offen legt. Hier wird also deutlich, dass der
Mini in der konservativen Atmosphäre des ländlichen Amerika
keineswegs gern gesehen war; Frauen, die ihn trugen (und dazu noch
alleinerziehende Mütter waren), waren missliebig und konnten sozial
stigmatisiert werden – der Mini gilt als Symbol der Promiskuität.
Drastischer als bei Jeannie C. Riley wird es im Soul, bei Wilson Pickett.
Dieser hatte 1969 einen kleineren Hit mit Mini-skirt Minnie, und hier wird
das erotische Potential ganz explizit thematisiert:
Mini-skirt Minnie, you know you really come on strong, yeah
You got a hold on me chasin' after you, baby […]
You know you wear your dresses so high
You stop the traffic when you walk by
& the way you twist & carry on, you know what?
You're gonna break up a lot of happy homes
You got me slippin' around, chippin' 'round, sneakin' 'round, peeepin'
'round
Oh baby, ow! The taste of your love
Mini-skirt Minnie, yeah, you know I'm gonna pull your mini-skirt down,
yeah
Bezeichnenderweise erreichte der Song Platz 50 in den Billboard Hot
100, aber Platz 19 in den R&B Charts. Picketts Plattenfirma war
allerdings Atlantic, für heutige Maßstäbe zu den Independents bzw.
damals zum Underground zu zählen. Hier gab es textlich andere
Möglichkeiten.
Die deutschen 60er Jahren sahen den Mini anfangs eher so wie die
weiße amerikanische Provinz. Kurze Röcke waren durchaus ein Wagnis,
zugleich unmoralisch-provokativ und ein Augenschmaus für männliche
Blicke; der zu erwartende Zwiespalt. Das war doch wohl nur eine weitere
Modetorheit, die alsbald wieder verschwinden würde.
Nicht der deutsche Beat, sondern der deutsche Schlager nahm sich des
Themas gern an, und zwar zunächst eher parodistisch: die Goosies
besangen 1967 den Minirock halb spöttisch, halb begeistert, und das
Cover ihrer Single Mini-Mini-Rock mit den nach den nackten Beinen der
Rockträgerin schnappenden Gänsen spricht für sich (Bild). Musikalisch
lehnte sich der Song an den gezähmten amerikanischen MainstreamRock der frühen 60er an, mit einer sehr deutschen Einleitung. Ein
Novelty-Song, wie er im Buche steht, und im von Psychedelia und
Summer of Love geprägten Jahr 1967 ein musikalischer Anachronismus;
und der Mini war schon gut zwei Jahre alt.
Die musikalisch anspruchsvollste Bearbeitung des Themas stammt
allerdings wohl von Jacques Dutronc, der 1968 in Mini mini mini durchaus minimalistisch – keineswegs ein Loblied auf den Mini
anstimmt. Er mokiert sich in seinem Text darüber, dass im Leben alles
nur noch in Mini-Versionen zu haben ist: minimum, minibus, terminus,
sogar le ministère und le docteur Schweitzer. Er bevorzugt Maxi,
allerdings nicht nur bei den Röcken: maxistère, maxibus, termaxus. Sieht
man sich allerdings den zugehörigen Video-Clip an, in dem ein MiniDutronc zu einem überdimensionalem blonden Mini-Mädchen aufschaut
wie Gulliver zu einer Riesin, so kommen Zweifel an der Ernsthaftigkeit
der behaupteten Maxi-Präferenz. Oder symbolisiert das
Größenverhältnis das im Song thematisierte Gefühl der Bedrohung? Bei
der Dame handelt es sich übrigens um Dutroncs Gattin, Françoise
Hardy.
To cut it short
Die Suche nach dem Minirock im Rock hat uns also aus dem erwarteten
Umfeld des britischen Beat der swinging sixties in die amerikanische
Provinz, in die Wüsteneien des deutschen Schlagers und die
kulturkritische Welt des französischen Chansons geführt. Hier finden sich
offenbar die Motivationen für eine Thematisierung des Kleidungsstücks,
während der Rock bzw. Beat nicht an einer Thematisierung interessiert
scheint. Die britischen Beatbands propagieren ihren modischen Stil nicht
in ihren Songs; Stil hat man, und solange er noch ein Symbol der
Minderheit gegenüber der Mehrheit ist, scheint Werbung über die
Musikindustrie und innerhalb der Songs offenbar nicht angebracht.
Ohnehin sind andere Themen wichtiger für die Identifikation mit dem
Publikum, auch wenn dabei nicht selten althergebrachte Muster
perpetuiert werden. Die neue Jugendkultur der mid-sixties war zudem so
multimodal wie wenige vor ihr, und Johan Fornäs sieht diese
Multimodalität als zentrales Merkmal seiner Definition des Begriffes
youth:
„something which is culturally determined in a discursive interplay with musical, visual and verbal
signs that denote what is young in relation to that which is interpreted as respectively childish or adult.”
(Fornäs 1995: 3)
Der entgegen verbreiteter Klischees durchaus sozialkritische CountrySong rebelliert gegen die Enge der kleinstädtisch-puritanischen
Moralvorstellungen und macht den Mini zum Symbol. Jacques Dutronc
dagegen bevorzugt die ironische Halbdistanz, die man von einem
französischen Intellektuellen auch erwartet.
Wenn der Mini im Schlager besungen wird: kann man dies als Argument
dafür werten, dass dieser Musikform zu Unrecht Regressivität
vorgeworfen wird? Mir erschiene dies zu simpel. Seit seinen Ursprüngen
kommentiert der Schlager die Mode; auch die Goosies greifen
volkstümliche Reaktionen auf. Das erinnert doch sehr direkt an die
Elisabeth der 20er Jahre, die ihr „altes kurzes Kleid“ nun im Schrank
lässt. Hier zeigt sich auch eine deutliche Kontinuität der Schlagertexte,
die gern modische Trends aufgreifen und propagieren wie den Bubikopf,
den Petticoat und die Blue Jeans. Auch bei den Protagonisten des
deutschen Schlagers, eigentlich bei ihren Textern, sollte der Mini bald
vergessen sein. Später (1970) besang noch Howard Carpendale „Das
schöne Mädchen von Seite eins“ des Versandhauskatalogs, allerdings
ein „Girl im Pulli und roten Hosen“. Wencke Myhre trägt schon 1968 das
„Flower-Power-Kleid“; ich meine mich gar zu erinnern, dass C&A damit
warb. Damit hat eine neue Ära begonnen, in der die Hippiemode, der
Maxi und der Midi den Mini für einige Zeit verdrängten.
Literatur :
Fornäs, Johan (1995) : „Youth, Culture and Modernity“, in Fornäs, Johan
& Göran Bolin eds. (1995) Youth Culture in Late Modernity. London:
Sage, 1-11.
Mitchinson, John ed. (2000) : British Greats. London: Cassell Illustrated.
Sandbrook, Dominic (2006) : White Heat. A History of Britain in the
Swinging Sixties. London: Little, Brown Group.
Unterberger, Richie : „The Troggs Biography“, http://www.allmusic.com/,
09. Juli 2009.
Video-Links:
Jeannie C. Riley, Harper Valley P.T.A., Filmclip
http://www.youtube.com/watch?v=4ivUOnnstpg
The Goosies, Mini-Mini-Rock
http://www.youtube.com/watch?v=0uiRHZPzfbw&feature=PlayList&p=C6
4924AFD55F9FE4&playnext=1&playnext_from=PL&index=13
Nana Kinomi, Mini-Mini-Rock
http://www.youtube.com/watch?v=DjJ7ly640XY
Jacques Dutronc (et Francoise Hardy), Mini Mini Mini
http://www.youtube.com/watch?v=PTLrFi2fe8M