Ape Culture / Kultur der Affen

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Ape Culture / Kultur der Affen
Ape Culture / Kultur der Affen
Ausstellung
30.4.-6.7.2015
Eröffnung: 29.4., 18h
Haus der Kulturen der Welt
Stand: 29.4.2015
Änderungen vorbehalten
Inhalt
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Pressemitteilung
Werkliste
Künstler
Kuratoren
Kooperative für Darstellungspolitik zur Ausstellungsarchitektur
Studio Matthias Görlich zur Ausstellungsgestaltung
Informationen zum Katalog „Ape Culture / Kultur der Affen“
Kids&Teens-Workshops
Service-Info und Media Material
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Handout zur Ausstellung
Mit Intro der Kuratoren,
Kurzbeschreibungen der künstlerischen Arbeiten,
Kurztexte zu den ausgestellten Materialien aus Forschung und Populärkultur (16 Wände),
Programmüberblick
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Vorabdruck – Katalog
Astrid Deuber-Mankowsky: Wo zum Teufel ist der Ausgang aus diesem Feld? Zur Aktualität
von Donna Haraways Wissensgeschichte der Primatologie
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Vorabdruck – Katalog
Cord Riechelmann: Ein Affe allein ist kein Affe
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Vorabdruck – Katalog
Christophe Boesch im Gespräch mit Cord Riechelmann: „Man könnte uns als SchimpansenEthnografen bezeichnen“
Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin,
Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de
Pressemitteilung
Ape Culture / Kultur der Affen
Ausstellung
30.4.-6.7.2015
Eröffnung: 29.4.2015, 18h
Preview für die Presse: 29.4.2015, 17h
Berlin, 29.4.2015
Die Ausstellung Ape Culture / Kultur der Affen zeigt künstlerische Arbeiten und Dokumente, die
das Verhältnis des Menschen zu den anderen Primaten betrachten. Als Grenzfigur zwischen Mensch
und Tier spielt der Affe schon seit der Antike eine zentrale Rolle im Narrativ des zivilisatorischen
Fortschritts. Aus einem Instrument zur menschlichen Selbstdefinition wurde ein Testfall für die
Möglichkeit der Neugestaltung menschlicher „Natur“ – ein unsicheres Terrain, in dem sich
un(ter)bewusste soziale Ordnungsvorstellungen erschließen.
Ape Culture / Kultur der Affen untersucht das hegemoniale wie subversive Potenzial der
Repräsentationen von Affen und reflektiert den Begriff der „Kultur“. In der Ausstellung setzen sich
Künstler wie Ines Doujak, Pierre Huyghe und Klaus Weber kritisch mit den Bildern von
Menschenaffen und ihrer Rolle in der „Primatenordnung“ (Donna Haraway) auseinander.
Materialien aus den Naturwissenschaften und der Populärkultur zeugen darüber hinaus vom
radikalen Wandel der Vorstellung, die wir uns von unseren nächsten Verwandten machen. So
beobachtet Frederick Wisemans Film „Primate“ von 1974 die täglichen Abläufe im Yerkes Primate
Research Center in Atlanta. Vordergründig dokumentiert der Film die durchgeführten Studien zu
Lernfähigkeit, Erinnerungsvermögen und Sexualverhalten. Tatsächlich aber hinterfragt er, wie
Wissenschaft gemacht wird: „One set of primates who have power, using it against another who
haven’t“, wie es der britische Filmkritiker Derek Malcolm ausdrückte.
Coco Fusco greift in ihrer Performance Observations of Predation in Humans: A Lecture by Dr. Zira,
Animal Psychologist – als Film während der gesamten Laufzeit und live am 2. Juli um 19.30h zu
sehen – auf die legendäre Schimpansin Dr. Zira aus der Filmserie „Planet der Affen“ zurück: Nach
zwanzig Jahren abgeschiedener Forschungsarbeit kehrt Dr. Zira in die Öffentlichkeit zurück, um ihre
Einschätzung der besonderen Charakteristika menschlicher Aggression im 21. Jahrhundert zu
präsentieren.
Am 30. April rahmen drei Veranstaltungen die Ausstellung Ape Culture / Kultur der Affen ein. Eine
Präsentation von Marcus Coates und eine Performance von Ines Doujak (mit John Barker und
Matthew Hyland) thematisieren um 18.30h Aspekte von Empathie und Objektivierung sowie
koloniale Mythen und Repräsentationspolitik.
Um 20h spricht der Primatologe Christophe Boesch zum Thema "Is Culture a Golden Barrier
Between Human and Chimpanzee?"
Am 3. Mai, 17h spricht Klaus Weber mit Jörg Heiser, Frieze“ Co-Editor, über seine Installationen
Shape of the Ape und Kouros (walking man), die in der Ausstellung gezeigt werden.
Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin,
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Pressemitteilung
Bei Kouros handelt es sich um zwei Halbschalen: die Negativform eines hochgewachsenen, schlanken
Mannes in der Pose der archaischen griechischen Skulptur, mit erigiertem Geschlechtsteil. Der
ursprüngliche Gipsabguss entstand in einer Neumondnacht bei einem Experiment als Teil einer
erotischen Party in einem Berliner Club. Ein Video des Experiments mit dem Sound von Webers
Large Dark Wind Chime begleitet die Arbeit und wird beim Artist Talk erstmals öffentlich präsentiert.
Am 17. Mai, 17h hält Tetsuro Matsuzawa einen Vortrag. Der japanischer Primatologe und
Verhaltensforscher ist gegenwärtig Professor am Primate Research Institute an der Universität
Kyōto.
Der Katalog zur Ausstellung erscheint bei Spector Books und enthält eine Einführung von Anselm
Franke und Hila Peleg, Beiträge von Christophe Boesch, Astrid Deuber-Mankowsky, Ines Doujak, John
Barker undMatthew Hyland, Rachel O'Reilly, Cord Riechelmann u.a. sowie eine Dokumentation der
Ausstellung.
Mit Werken von Lene Berg, Marcus Coates, Anja Dornieden & Juan David González Monroy, Ines
Doujak, Coco Fusco, Jos de Gruyter & Harald Thys, Pierre Huyghe, Louise Lawler, Damián Ortega,
Nagisa Ōshima, Erik Steinbrecher, Rosemarie Trockel, Klaus Weber, Frederick Wiseman
Kuratoren: Anselm Franke und Hila Peleg
Beiträge und Mitarbeit: Cord Riechelmann und Christophe Boesch
Ausstellungsarchitektur: Kooperative für Darstellungspolitik
Ausstellungsgestaltung: Studio Matthias Görlich
Das Haus der Kulturen der Welt wird durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie durch das
Auswärtige Amt gefördert. Die Performance von Coco Fusco findet im Rahmen von Ape Culture / Kultur der Affen und
SYNAPSE - Das Internationale Kuratorennetzwerk statt.
Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin,
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Werkliste
Lene Berg
Kopfkino (mindfuck), 2012
Film HDV, Farbe, Stereo
75 Min.
Courtesy die Künstlerin, Berlin / New York
Im Auftrag von Henie Onstad Kunstsenter (HOK), Norwegen
C. R. Carpenter
Macaca fuscata (Cercopithecidae) – Tree-top Signaling, 1971
Digitale Übertragung vom 16 mm-Film, Farbe, ohne Ton
4 Min. 30 Sek.
Courtesy Technische Informationsbibliothek (TIB), Hannover
Marcus Coates
in Zusammenarbeit mit Volker Sommer
Degreecoordinates
Shared traits of the Hominini (Humans, Bonobos and Chimpanzees), 2015
Folienschrift auf Wand
Dimensionen variabel
Courtesy Kate MacGarry London; Workplace Gallery, UK
Anja Dornieden & Juan David González Monroy
The Masked Monkeys, 2015
Digitale Übertragung vom 16 mm-Film, s/w, Ton
32 Min.
Courtesy die Künstler, Berlin
Ines Doujak
in Zusammenarbeit mit John Barker und Matthew Hyland
06 Kriminalaffe, 2015
Mixed media
Dimensionen variabel
Courtesy die Künstlerin, Wien / London
Produziert mit Unterstützung vom Haus der Kulturen der Welt, Berlin
Coco Fusco
TED Ethology: Primate Visions of the Human Mind, 2015
Video, Farbe, Ton
49 Min.
Courtesy die Künstlerin, New York
Produziert im BRIC’s Community Media Center in Brooklyn
Zusätzliche Unterstützung der Produktion durch das Haus der Kulturen der Welt, Berlin
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Werkliste
Jos de Gruyter & Harald Thys
Die Aap van Bloemfontein, 2014 (The Ape of Bloemfontein)
Video, Farbe, Ton
23 Min.
Courtesy Galerie Micheline Szwajcer, Brüssel; Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin
Pierre Huyghe
Untitled (Human Mask), 2014
Film, Farbe, Ton
19 Min.
Courtesy Marian Goodman Gallery, New York; Hauser & Wirth, London; Esther Schipper, Berlin; Anna Lena
Films, Paris.
Louise Lawler
Michael, 2001
Cibachrome kaschiert auf Museumsbox
151.76 x 116.84 cm
Courtesy die Künstlerin, New York; Sprüth Magers, Berlin; Metro Pictures, New York
Damián Ortega
Transición del mono al hombre, 2015 (Transition from Ape to Man)
Modellhand aus Holz und Stahlmesser
37 x 12 x 6 cm
Courtesy der Künstler; kurimanzutto, Mexico City
Damián Ortega
Short History of Gesture, 2. Syntax: arms / hands, 2013
Mixed media
Dimensionen variabel
© der Künstler, Mexico City
Courtesy White Cube, London
Damián Ortega
The root of the root, 2011–2013
Holz / Wood
Dimensionen variabel
© der Künstler, Mexico City
Courtesy White Cube, London
Erik Steinbrecher
AFFE, 2015
Puppe, Kleider, Gehstöcke und hängende Maske
Dimensionen variabel
Courtesy der Künstler, Berlin
Produziert mit Unterstützung vom Haus der Kulturen der Welt, Berlin
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Werkliste
Erik Steinbrecher
SHE APE / APE MAN, 2015
Offsetdruck auf Papier
29.7 x 42 cm
Courtesy der Künstler, Berlin
Produziert mit Unterstützung vom Haus der Kulturen der Welt, Berlin
Rosemarie Trockel
Ohne Titel, 1987 (Teil der Installation Pennsylvania Station)
Bleistift auf Papier
49.8 x 66.8 cm / 69.1 x 86.2 x 2.4 cm
Courtesy Sammlung Goetz, München
Rosemarie Trockel
Ohne Titel, 1987 (Teil der Installation Pennsylvania Station)
Collage auf Papier
76.4 x 56 cm / 84.5 x 64 x 2.4 cm
Courtesy Sammlung Goetz, München
Rosemarie Trockel
Ohne Titel, 1984
Gouache und Tusche auf Papier
23.8 x 19.8 cm / 50.2 x 40.2 cm
Courtesy Ken & Helen Rowe, London
Rosemarie Trockel
Ohne Titel, 1984
Gouache und Tusche auf Papier
25.9 x 20.9 cm / 48 x 42 cm
Courtesy Privatsammlung
Nagisa Ōshima
Max, mon amour, 1986
Digitale Übertragung von DigiBeta, Farbe, Ton
92 Min.
© 2015 STUDIOCANAL GmbH, Berlin. Alle Rechte vorbehalten.
Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin,
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Werkliste
Klaus Weber
Shape of the Ape, 2007
Mixed media
Dimensionen variabel
Courtesy der Künstler, Berlin; Andrew Kreps Gallery, New York; Herald Street, London
Bestehend aus:
Puzzled Ape, 2007
Eisenguss, gerostet und gewachst
Torso auf einem Bücherstapel: 130 x 91 x 71 cm
Affenkopf: 28 x 53 x 30 cm
Menschlicher Schädel: 28.5 x 46 x 30 cm
Beine: 27 x 63 x 41 cm
Untitled (collection of 30 vintage figurines), 2007
Mixed media auf Glaspodesten
Dimensionen variabel
Klaus Weber
Kouros (Walking Man), 2015
Gipsmaterial
Halbschale Vorderkörper: 185 x 56 x 40 cm
Halbschale Rückkörper: 163 x 61 x 79 cm
Courtesy der Künstler, Berlin
Produziert mit Unterstützung vom Haus der Kulturen der Welt, Berlin; Andrew Kreps Gallery, New York;
Herald Street, London
Frederick Wiseman
Primate, 1974
Digitale Übertragung vom 16 mm-Film, s/w, Ton
105 Min.
Courtesy Zipporah Films, Cambridge, Massachusetts
Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin,
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Künstler
Lene Berg (Berlin / New York)
Lene Berg (*1965), Filmemacherin und Künstlerin, bezieht ihre Anregungen häufig aus
dokumentarischem Material. Ihre künstlerische Praxis beinhaltet Installationen, Performances, Film,
Fotografie und textbasiertes Arbeiten, zudem entwickelte sie mehrere Projekte im öffentlichen Raum.
Lene Bergs Werke greifen häufig ikonische, kunsthistorische Aspekte auf und verstehen sich als
Schnittpunkte von visueller und politischer Geschichte. Weitere Themen sind das Verhältnis zwischen
Kunst und Propaganda sowie die Repräsentation von Wahrheit und Einbildung. Lene Berg studierte
Filmregie am Dramatiska Institutet in Stockholm, sie lehrt an verschiedenen Hochschulen.
Einzelausstellungen (Auswahl): 55. Venedig Biennale, Norwegischer Pavillon (2013); Henie Onstad
Kunstsenter, Oslo (2012); Konsthall C, Stockholm (2012); Fotogalleriet, Oslo (2008); Cooper Union,
New York (2008), Whitechapel Gallery, London (2007). Gruppenausstellungen (Auswahl): The Shadow
of War, Kunstnernes Hus, Oslo (2014); Manifesta 8 (2010); Transmediale, Berlin (2008); Sydney
Biennale (2008); Pensee Sauvage, Frankfurter Kunstverein (2007).
Clarence Ray Carpenter
Clarence Ray Carpenter (1905–1975) war ein US-amerikanischer Primatologe, der als einer der ersten
Forscher Film- und Videoaufnahmen von Primaten erstellte, um sie in ihrem natürlichen Umfeld zu
beobachten. Unterstützt durch Robert M. Yerkes, Professor für Psychobiologie an der Yale University,
führte Carpenter in Panama Feldforschungen über das natürliche Verhalten von Primaten durch. Ein
Großteil aller Erkenntnisse über das Verhalten von Menschenaffen in freier Wildbahn entstammte in
den folgenden 30 Jahren Carpenters Forschungen. Von 1940 bis 1970 war Carpenter Professor für
Anthropologie und Psychologie an der Pennsylvania State University, später an der University of
Georgia. Er veröffentlichte eine Vielzahl von Artikeln und Filmen, in denen er die wissenschaftliche
Verbindung der Verhaltensforschung mit der Evolutionstheorie vorantrieb.
Marcus Coates (London)
Marcus Coates (*1968) untersucht die Beziehung des Menschen zu Tier und Natur. Er arbeitet mit
den Formaten Installation, Fotografie, Skulptur und Performance, um Prozesse zu generieren, die
empathische Perspektiven und fiktive Realitäten auf ihre pragmatischen Kapazitäten und
Erkenntnispotenziale hin ausloten. Er studierte Kunst am Kent Institute of Art and Design und an der
Londoner Royal Academy of Art.
Marcus Coates ist Gewinner renommierter Kunstpreise. Ausstellungen (Auswahl): British Council
Touring Exhibition in Japan (2014–2015); Centro de Arte Moderna, Lissabon (2013); Serpentine
Gallery, London (2011); Museum of Contemporary Art, Tokyo (2010); Sydney Biennale (2010);
Kunsthalle Zürich (2009); Tate Trienniale, London (2009); Manifesta 7 (2008), Athens Biennial
(2008); White Chapel Gallery, London (2007).
Anja Dornieden und Juan David González Monroy (Berlin)
Anja Dornieden (*1984), Filmemacherin, studierte Angewandte Medienwissenschaften an der
Technischen Universität Ilmenau und der New School University in New York. Ihre Filme wurden auf
zahlreichen internationalen Filmfestivals präsentiert, u. a. beim Ann Arbor Film Festival in Michigan,
beim Edinburgh International Film Festival, bei den Visions du Réel in Nyon und bei der Duisburger
Filmwoche.
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Künstler
Juan David González Monroy (*1983), Filmemacher, studierte Anthropologie an der Universidad de Los
Andes in Bogota und Medienwissenschaften an der New School University in New York. Seine Arbeiten
wurden u. a am Ullens Center for Contemporary Art in Beijing, am Image Forum in Tokyo, beim
International Film Festival Rotterdam sowie beim Ann Arbor Film Festival in Michigan gezeigt.
Seit 2010 arbeiten Anja Dornieden und Juan David González Monroy unter dem Namen OJOBOCA
zusammen. Ihr Werk umfasst Filme, Installationen und Performances. Beide Filmemacher haben sich
dem experimentellen Film verschrieben und verwenden seit mehreren Jahren 16mm und Super-8
Film. Beide sind Mitglied im Filmlabor und Künstlerkollektiv LaborBerlin.
Ines Doujak (London / Wien)
Ines Doujak ist eine feministische Künstlerin, die mit unterschiedlichen Medien arbeitet und sich vor
allem mit der politischen Dimension kultureller Austauschprozesse befasst. Sie hat in letzter Zeit
Stipendien des Österreichischen Wissenschaftsfonds für zwei ihrer Projekte erhalten: Loomshuttles /
Warpaths (2010–2014) untersucht Textilien ausführlich nach ihrer globalen, von Konflikten der Kultur,
der Klasse und des Geschlechts geprägten Geschichte; Utopian Pulse: Flares in the Darkroom
(gemeinsam mit Oliver Ressler, 2013–2015) umfasste eine Ausstellung an der Wiener Secession
(2014) und eine Publikation (Pluto Press, London).
Ausstellungsbeteiligungen (Auswahl): Follow the Leader, Johann Jacobs Museum, Zürich (2015); Das
Potosí-Prinzip, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid, Haus der Kulturen der Welt, Berlin
und Museo Nacional de Arte La Paz, Bolivien (2010); Ladies Almanack*, Tranzit CZ, Prag (2009);
Peripheral vision and collective body, MUSEION, Bozen (2008); documenta 12, Kassel (2007).
Gemeinsam mit John Barker: The Beast and the Sovereign, MACBA, Barcelona (2015); Not Dressed for
Conquering, Royal College of Art, London (2013); Garden of Learning, Busan Biennale, Korea (2012).
Coco Fusco (New York)
Coco Fusco (*1960), interdisziplinär arbeitende Künstlerin und Schriftstellerin, erkundet die
Beziehung von Frauen, Gesellschaft, Krieg, Politik, Identität und Rasse. Sie hat einen B.A. in Semiotik
an der Brown University erworben, einen M.A. in Modern Thought and Literature an der Stanford
University und hat an der Middlesex University in Art and Visual Culture promoviert; seit 1988
präsentiert sie weltweit Performances und hält Vorträge, kuratiert und stellt aus. Coco Fusco war
2014–2015 MLK Visiting Professor am Massachusetts Institute of Technology, 2013 erhielt sie ein
Guggenheim-Stipendium, den Absolut Art Writing Award sowie ein Fulbright-Stipendium, 2012 ein US
Artists Stipendium.
Coco Fusco hat an verschiedenen internationalen Biennalen teilgenommen, u. a. an der Whitney
Biennial (2008 und 1993), der Performa 05, New York (2005), der Shanghai Biennale (2004) und der
Venedig Biennale (2015). Ihre Arbeiten wurden u. a. am Walker Art Center, Minneapolis (2014), am
Centre Pompidou, Paris (2014), am New Museum of Contemporary Art, New York (2013), am
Contemporary Arts Museum Houston (2012), am Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid
(2012) und an der Tate Liverpool (2010) ausgestellt.
Jos de Gruyter & Harald Thys (Brüssel)
Die Zusammenarbeit von Jos de Gruyter und Harald Thys gründet in einer volksnahen,
tragikomischen, zu einer experimentellen Dramaturgie feingeschliffenen Sicht auf die Welt. Für ihre
Video- und Fotoarbeiten engagieren sie eine wiederkehrende Gruppe von Laiendarstellern und
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Künstler
benutzen zudem eine Reihe adoptierter personae in Form von Hand- und Schaufensterpuppen,
Plüschtieren, zusammengebastelten Robotern und weggeworfenem Spielzeug. Diese Figuren spielen
wieder und wieder die Dynamik von Machtverhältnissen und emotionaler Verwicklung durch. Sie
schaffen Welten, die unserer durchaus ähnlich sind, zugleich aber konzentrierter, bizarrer und
grimmiger. (Monika Szewczyk)
Jos de Gruyter (*1965) und Harald Thys (*1966) arbeiten seit den späten 1980ern zusammen. Sie
haben ihre Arbeit in Einzelausstellungen an etlichen europäischen Institutionen gezeigt, darunter an
der Kunsthalle Wien, am M HKA Antwerpen, an der Kunsthalle Basel und bei Culturgest, Lissabon.
Außerdem waren sie auf der Biennale von Venedig (2013) und der Berlin Biennale (2008) vertreten. In
diesem Frühjahr widmen das CCA Watts Institute for Contemporary Arts in San Francisco, The Power
Station in Dallas und das MoMA PS1, New York, ihrem Werk Einzelausstellungen.
Pierre Huyghe (Paris)
Die Arbeiten von Pierre Huyghe (*1962) treten in unterschiedlichen Formen auf – als lebende
Systeme, Objekte, Filme, Fotografien, Zeichnungen und Musik. Seine Filme und Videoinstallationen
beschäftigen sich immer wieder mit den verschiedenen Realitätsebenen, die zum Beispiel durch die
Synchronisation oder durch die Veränderung des sozialen Kontextes sichtbar werden. Pierre Huyghe
studierte an der Ecole Nationale Supérieure des Arts Décoratifs in Paris.
2001 repräsentierte er Frankreich auf der Biennale in Venedig, wo sein Pavillon einen Sonderpreis der
Jury gewann. 2006 zeigte er bei der Whitney Biennale in New York, der Wiedereröffnung des
ARC/MAM Paris sowie der Tate Modern seinen Film A Journey That Wasn't. Das Kunstmuseum in Basel
/ Museum für Gegenwartskunst widmete Pierre Huyghe im Januar 2011 eine Ausstellung, in der
Völklinger Hütte ist er mit dem Neonobjekt Skin of Light Bestandteil der Dauerausstellung GameArt.
Huyghe nahm an der documenta 13 (2012) teil, sowie an Ausstellungen am am Museum Ludwig, Köln
(2014); am Centre Pompidou, Paris (2012); und am Los Angeles County Museum of Art (2012). 2013
wurde er mit dem Roswitha Haftmann-Preis ausgezeichnet, 2015 mit dem Kurt-Schwitters-Preis.
Louise Lawler (New York)
Louise Lawler (*1947), Künstlerin, arbeitet mit Fotografien, Materialbildern und Installationen. Sie
absolvierte ihr Studium an der Cornell University in Ithaca, New York und dokumentiert seit 30 Jahren
das private Leben der Kunst, indem sie bekannte Kunstwerke in Wohnzimmern von Kunstsammlern, in
Museen, Archiven und Auktionshäusern fotografiert. Sie zeichnet auf, wie Werke zu
Projektionsflächen von Wünschen gemacht werden. Die künstlerischen Arbeiten, die Lawler
fotografiert, sind nur in Ausschnitten zu sehen oder verdeckt, dezentriert und im Detail dargestellt, so
dass sie oft manchmal zu erkennen sind – wodurch sie noch stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit
rücken.
Ausstellungen (Auswahl): No Drones, Metro Pictures, New York; Sprü th Magers, London; Yvon
Lambert, Paris (2014); Louise Lawler: Adjusted, Museum Ludwig, Köln (2013/2014); Long Term View,
Dia Art Foundation, New York (2013); (Selected). Louise Lawler, Galerie Neue Meister, Albertinum,
Dresden (2012); documenta 12 (2007); Big Bang, Centre Pompidou, Paris (2006); Twice Untitled and
Other Pictures (looking back), The Wexner Center, Columbus, Ohio (2006); Louise Lawler and Other
Artists, Museum für Gegenwartskunst Basel (2004).
Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin,
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Künstler
Damián Ortega (Mexiko Stadt)
Damián Ortega (*1967) begann seine Karriere als politischer Karikaturist, parallel schuf er seine
ersten Arbeiten mithilfe von Alltagsgegenständen wie Werkzeugen, Bällen, Mülleimern oder
Ziegelsteinen. In seinem künstlerischen Werk beschäftigt er sich mit spezifischen wirtschaftlichen,
ästhetischen und kulturellen Konstellationen und damit, wie regionale Kultur und Rohstoffverbrauch
zusammenhängen.
Mit Cosmic Thing, einem in seine Einzelteile zerlegten und an der Decke befestigten VW Käfer, wurde
er 2002 international bekannt, seitdem wurden seine Werke in Einzel- und Gruppenausstellungen
ausgestellt, u. a. am Institute of Contemporary Art, Philadelphia (2002), an der Kunsthalle Basel
(2004), an der Tate Modern, London und dem Museu da Arte Pampulha, Belo Horizonte (2005), am
Museum of Contemporary Art, Los Angeles (2007), am Centre Pompidou, Paris (2008), am Institute of
Contemporary Art, Boston (2009), an der Barbican Curve Gallery, London (2010), am Freud Museum,
London (2013) und am Museu de Arte Moderna do Rio de Janeiro (2015).
Nagisa Ōshima
Nagisa Ōshima (1932–2013) war ein japanischer Filmregisseur, Drehbuchautor und Produzent. 1959
begann er als Regisseur für das Filmstudio Shochiku zu arbeiten und galt schon bald als einer der
führenden Vertreter der Nuberu bagu, der Neuen Welle. 1976 gelang ihm mit dem Skandalfilm Im Reich
der Sinne (Ai no korīda) ein internationaler Erfolg. 1978 feierte Im Reich der Leidenschaft (Ai no bōrei)
Premiere, der bei den Filmfestspielen in Cannes den Preis für die beste Regie gewann. „Max, mon
amour“ (1985) zählt zu Nagisa Ōshimas Spätwerk.
Erik Steinbrecher (Berlin)
Der Künstler Erik Steinbrecher (*1963) arbeitet mit den unterschiedlichsten Materialien. Indem er sie
in neue Erscheinungsformen überführt, produziert er eigene Szenarien und schafft verblüffende
Zusammenhänge. Seine Arbeiten umfassen Werke im öffentlichen Raum, Skulpturen,
Fotoinstallationen, Video, Grafik und Künstlerbücher. Erik Steinbrecher studierte Kunst und Geschichte
in Basel und Architektur in Zürich bei Fabio Reinhardt. 2006 war er Gastprofessor an der Hochschule
für bildende Künste in Hamburg, seit 2008 lehrt er an der Zürcher Hochschule der Künste.
Einzel- und Gruppenausstellungen (Auswahl): documenta x (1997); Kunst-Werke Berlin; MoMA PS1,
New York (2000–2001); Kunsthalle Wien (2004); Museum Haus Konstruktiv in Zürich (2004);
Kunstbibliothek – Staatliche Museen zu Berlin (2012); Haus der Kulturen der Welt, Berlin (2012);
Graphische Sammlung der ETH Zürich (2014).
Rosemarie Trockel (Köln)
Rosemarie Trockel (* 1952) ist bildende Künstlerin, Professorin an der Kunstakademie Düsseldorf und
Mitglied in verschiedenen Akademien für Kunst und Wissenschaft. Ihr vielseitiges Werk umfasst
Skulpturen, Keramiken, Wollbilder oder Zeichnungen ebenso wie Videoarbeiten und große
Installationen. Ihre Arbeiten sind weder auf eine Ikonografie noch auf eine bestimmte Kunsttheorie
festzulegen und stellen gesellschaftliche Rollenmodelle und verfestigte Normen in Frage. Die Künstlerin
befasst sich häufig mit feministischen Themen, Motiven aus der Tierwelt oder auch mit Theorien der
Sexualität, Kultur und künstlerischen Produktion.
1988 stellte sie am Museum of Modern Art in New York aus, 1999 bespielte sie als erste Künstlerin den
deutschen Pavillon auf der Biennale Venedig und war 2013 erneut beteiligt, 1997 und 2012 nahm sie
Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin,
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Künstler
an der documenta in Kassel teil. Ihre Einzelausstellungen waren u. a. zu sehen am Kunsthaus Bregenz
(2015), am Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía in Madrid, am New Museum in New York, an
der Serpentine Gallery in London (2012/2013), am WIELS Centre D’Art Contemporain in Brüssel, am
Culturgest in Lissabon sowie dem Museion Bozen (2012/2013) und an der Kunsthalle in Zürich
(2010). Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen war sie 2011 Trägerin des Kaiserrings der Stadt
Goslar und erhielt 2014 den Roswitha Haftmann-Preis in Zürich.
Klaus Weber (Berlin)
Klaus Weber (*1967) hat bildende Künste an der HdK (jetzt UdK)Berlin in der „Freien Klasse“ studiert.
Die medien- und raumübergreifend konzipierten Arbeiten Klaus Webers basieren häufig auf
komplexen technologischen Zusammenhängen und aufwendig organisierten Herstellungsprozessen.
Durch die pointierte Manipulation alltäglicher Strukturen, das Aufspüren von Abweichungen und das
Ausloten von Unmöglichkeiten unterlaufen sie die metaphorische wie tatsächliche Macht einer
funktionalistischen Rationalität. Klaus Weber ist Träger des HAP-Grieshaber-Preis 2012 für sein
Gesamtwerk.
Einzelausstellungen (Auswahl): AGEMO, Fondazione Morra Greco, Neapel (2013); Alle Körper fallen
gleich schnell, Deutscher Künstlerbund, Berlin (2012); If you leave me I’m not coming, & Already There!,
Nottingham Contemporary (2011); Klaus Weber, Secession, Wien (2008); Shape of the Ape, Andrew
Kreps Gallery, New York (2007).
Gruppenausstellungen (Auswahl): Lyon Biennale (2015); Painting Forever! Keilrahmen, KW Institute
for Contemporary Art, Berlin (2013); Painting without Paint, David Risley Gallery, Kopenhagen
(2012); The Kaleidoscopic Eye, Mori Art Museum, Tokyo (2009); The Art of Narration, Sprüth Magers,
Berlin (2011).
Frederick Wiseman (Cambridge, Massachussetts)
Frederick Wiseman (*1930) ist Film- und Theater-Regisseur. Er drehte über 40 Dokumentarfilme,
realisierte Spielfilme und gilt als ein wichtiger Pionier des US-amerikanischen Direct Cinema. Seine
Filme, angefangen bei Titicut Follies (1967), sind eindrucksvolle Studien von Institutionen,
beispielsweise einem Gefängnis, einer Schule, einem Zoo, einem Primatenforschungszentrums und
einem Museum, wie sein jüngster Film National Gallery (2014). Frederick Wiseman hat zahlreiche
Stipendien und Auszeichnungen gewonnen, so das MacArthur-Stipendium 1982, den George Polk
Career Award 2006 und den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk auf dem Filmfest in Venedig 2014,
2012 nahm er an der Whitney Biennale in New York teil.
Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin,
Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de
Kuratoren
Anselm Franke (Kurator, Autor, Haus der Kulturen der Welt, Berlin) ist Kurator und Kritiker und seit
Januar 2013 Leiter des Bereichs Bildende Kunst und Film am Haus der Kulturen der Welt (HKW). Dort
kuratierte er zusammen mit Diedrich Diederichsen The Whole Earth. Kalifornien und das Verschwinden des
Außen und mit Annett Busch After Year Zero (beide 2013) und jüngst Forensis zusammen mit Eyal Weizman
(2014). Sein Projekt Animismus wurde zwischen 2010-2014 in verschiedenen Versionen in Antwerpen,
Bern, Wien, Berlin, New York, Shenzhen, Seoul und Beirut präsentiert. Franke hat zahlreiche Publikationen
herausgegeben und veröffentlicht regelmäßig Beiträge in Zeitschriften wie Metropolis M, e-flux journal und
Cabinet. Zudem war er Kurator der Taipei Biennale 2012 und der Shanghai Biennale 2014. Eine
weiterentwickelte Version der Ausstellung After Year Zero wird im Museum für zeitgenössische Kunst
(Museum of Modern Art), Warschau vom 12. Juni bis 30. August 2015 gezeigt.
Hila Peleg lebt und arbeitet als Kuratorin und Filmemacherin in Berlin. Sie hat Einzelausstellungen,
umfangreiche Gruppenausstellungen und verschiedene interdisziplinäre Kulturveranstaltungen an
öffentlichen Einrichtungen in europäischen Ländern kuratiert, beispielsweise am KW Institute for
Contemporary Arts, Berlin, an der Extra City Kunsthal (Antwerpen), am Iniva - Institute for International
Visual Arts (London) und am Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Peleg war Ko-Kuratorin der Manifesta 7 Europäische Biennale für zeitgenössische Kunst in Trient, Südtirol, und Kuratorin des Filmprogramms der 10.
Shanghai-Biennale 2014. Peleg ist Gründerin und künstlerische Leiterin des Berlin Documentary Forum.
Dieses Festival findet seit 2010 alle zwei Jahre am HKW statt und ist der Produktion und Vorstellung
zeitgenössischer und historischer Dokumentationspraktiken in einem interdisziplinären Kontext
gewidmet. Hila Peleg kuratiert das Projekt Wohnungsfrage (Oktober – Dezember 2015, HKW). Sie ist
Kuratorin der documenta 14, die im Frühjahr und Sommer 2017 in Kassel und Athen stattfinden wird.
Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin,
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Ausstellungsarchitektur
Kooperative für Darstellungspolitik
Statement
„Die Ausstellung Ape Culture arbeitet mit zwei Formaten von Exponaten. Dies sind zum einen künstlerische
Arbeiten, zum anderen wissenschaftliche oder publizistische Dokumente sowie kuratorische Texte. Die
Ausstellungsgestaltung organisiert eine räumliche Trennung dieser beiden Objektgruppen, für die jeweils
spezifische Raumsituationen und Displays entwickelt wurden. Die künstlerischen Arbeiten stehen in einem
dreiseitig von weißen Wänden umschlossenen, nach oben offenen Patio, der klassische, freigestellte
Präsentationsformen ermöglicht. Die dokumentarischen Materialien sind als Reproduktionen auf
kreuzförmig angeordnete Stellwände tapeziert und bilden eine Art Wandzeitung. Ein langer, geschlossener
Baukörper, der quer durch die Ausstellungshalle verläuft, trennt und verbindet die beiden Bereiche und
dient der Präsentation von Filmen. Alle Einbauten sind aus einfachen Holzständerwänden mit Beplankung
aus Spanplatten gebaut, die sich jedoch in Details, Plattenformaten und Oberflächenbehandlung
unterscheiden. Sie folgen einer Konstruktionslogik aus sichtbarem Tragwerk und jeweils funktional auf die
Anforderungen der Exponate angepasster Oberfläche: Die Patiowand ist weiß gestrichen und durch
vertikale Fugen rhythmisiert, die Stellwände sind unbehandelt und dienen als Grundlage für Tapeten, die
Wände der Videokabinen sind innen mit lichtschluckendem, schalldämmendem Material ausgekleidet.“
Kooperative für Darstellungspolitik
Die Kooperative für Darstellungspolitik forscht zur Repräsentation politischer und kultureller Anliegen in
der Öffentlichkeit. Ihr Gestaltungsansatz geht davon aus, dass sich kuratorische Inhalte und Erzählungen
kaum von ihrer Darstellungsform trennen lassen. Sie werden räumlich formuliert und besitzen eine
gestaltete Form der Veräußerung. In der Zusammenarbeit mit Kuratoren, Künstlern, Grafikdesignern, wird
die Entwicklung und Kommunikation von Inhalten als räumlich-gestalterischer Prozess verstanden.
Die Kooperative für Darstellungspolitik besteht aus Jesko Fezer, Anita Kaspar und Andreas Müller. An der
Ausstellung Ape Culture haben Peter Behrbohm und Philip Arhelger mitgearbeitet. Am Haus der Kulturen
der Welt wurden bislang die Projekte In der Wüste der Moderne (2007), Berlin Documentary Forum 1-3
(2010-14), The Whole Earth (2013) und Anthropozän – Ein Bericht (2014) gestaltet. Aktuelle Projekte sind
z.B. Ungebautes Salzburg im Museum der Moderne Salzburg, Fast Fashion im Hamburger Museum für Kunst
und Gewerbe, sowie die Wanderausstellung Geniale Dilletanten für das Goethe-Institut.
Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin,
Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de
Gestaltung Ausstellung und Publikationen
Studio Matthias Görlich
Statement
„Das Ausstellungs- und Publikationsprojekt Ape Culture bewegt sich im Grenzbereich von Gesellschaft,
Wissenschaft, Kunst und Politik. Diesem Spannungsfeld mit grafischen Mitteln gerecht zu werden war ein
Hauptanliegen für die Konzeption der Ausstellungsgrafik sowie für die Grafik des geplanten
Ausstellungskatalogs. Unterschiedliche typografische Sprachen für die einzelnen Themenbereiche
(Recherche, künstlerische Arbeiten, wissenschaftliche Positionen) grenzen auf der einen Seite diese
Bereiche voneinander grafisch ab; wohingegen ein stark aufeinander bezogener Umgang mit Typografie,
Farbigkeit und Bildmaterial auf visuelle Art alternative Querbezüge sichtbar macht. Insbesondere im
dichten Raum der Publikation entstehen hierdurch grafische Überschneidungen aller beteiligten
Themenfelder.“
Studio Matthias Görlich
Matthias Görlich arbeitet seit 2000 mit seinem Studio im Bereich Gestaltung und Konzeptentwicklung u.a.
für diverse Kunst- und Kulturinstitutionen im In- und Ausland, verschiedene Verlage wie Spector Books,
Adocs und Sternberg-Press. Er ist Mitherausgeber von "Institution Building" zu räumlichen Strategien
von Kunstinstitutionen (gemeinsam mit N. Hirsch, P. Misselwitz und M. Miessen), der "Civic City Cahiers"
zur Rolle des Design in der Entwicklung einer sozialen Stadt (gemeinsam mit J. Fezer) sowie der
"Studienhefte Problemorientiertes Design" (mit J. Fezer und O. Gemballa). Matthias Görlich lehrt an
diversen Hochschulen, u.a. im Bereich Ausstellungsdesign und Szenografie an der Hochschule für
Gestaltung Karlsruhe und der Städelschule in Frankfurt.
Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin,
Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de
3
Erscheint im Laufe der Ausstellung bei Spector Books
Will be published by Spector Books during the exhibition
Anselm Franke, Hila Peleg (eds.)
Ape Culture / Kultur der Affen
Herausgeber / Editors
Co-Publisher
Texte / Texts
Anselm Franke, Hila Peleg
Haus der Kulturen der Welt
Cord Riechelmann, Christophe Boesch u. a. / a. o.
ca. 200 Seiten, Deutsch, zahlreiche s /w- und Farbabbildungen, fadengeheftete
Broschur / ca. 200 pp., English, numerous black-white and colour illustrations,
thread-sewn softcover
ISBN DE 978-3-95905-000-5
ISBN EN 978-3-95905-006-7
EUR ca. 29.00 | CHF ca. 39.20 | GBP ca. 25.00
Ape Culture / Kultur der Affen widmet sich der langjährigen kulturellen wie wissenschaftlichen Auseinandersetzung des
Menschen mit seinen nächsten Verwandten. In der westlichen Geschichte der Moderne stehen Darstellungen von Affen
traditionell für die Abwesenheit von Kultur. Als Grenzfigur zwischen Mensch und Tier spielt der Affe schon seit der Antike
eine zentrale Rolle im Narrativ des zivilisatorischen Fortschritts. Die parallel zur Ausstellung erscheinende Publikation
jedoch will mehr als Affendarstellungen nur als Zeichen von Differenz in den Blick zu nehmen. Künstlerische Arbeiten,
Dokumente aus Populärkultur und Geschichte der Primatologie geben Einblick in das, was die Wissenschaftshistorike­
rin Donna Haraway „Primatenordnung“ nennt: ein Spiegelkabinett der wissenschaftlichen und kulturellen Projektionen,
in dem der Affe von einem Instrument der menschlichen Selbstdefinition zum Testfall für die Möglichkeit der Neuge­
staltung menschlicher „Natur“ wurde. Ape Culture / Kultur der Affen ist eine Produktion vom Haus der Kulturen der Welt
und in Berlin zu sehen vom 30. April bis 6. Juli 2015.
Ape Culture traces the long cultural and scientific obses­ with documents taken from popular culture and the history
sion with humanity’s closest relatives. In the Western his­ of primatology gives the reader an insight into what the
torical representations of modernity, depictions of apes science historian Donna Haraway has termed the “primate
were traditionally used to show the absence of culture. order” — a hall of mirrors reflecting the scientific and cul­
Standing as a liminal figure separating humans and animals, tural projections that turned the ape from an instrument
the ape has, since ancient times, played a central role in the of humanity’s self-definition into an integral element in
narrative of civilisational progress. This book, which ap­ testing out the possibility of reconstructing human “nature”.
pears in conjunction with the exhibition of the same name­ Ape Culture, a production by Haus der Kulturen der Welt,
seeks, however, to go beyond the mere examination of apes on view in Berlin from 30 April to 6 July 2015.
as signifiers of difference. The juxtaposition of artworks
ISBN 978-3-95905-006-7
9 783959 050067
ISBN 978-3-95905-000-5
9 783959 050005
DE
EN
Klaus Weber, Beulen, Foto-Collage, 2008
Publikumsprogramm - Kids&Teens-Workshops
Flota Nfumu
Mit Filip Van Dingenen
Sonntag, 10.5., 15 Uhr
Der Künstler Filip Van Dingenen lädt in „Flota Nfumu“ zur zeichnerischen Auseinandersetzung mit
Affen.
Philosophie im Garten
Mit Alexander Scheidt
Sonntag, 31.5., 15 Uhr
Für Kinder ab 8 Jahren
Was haben Affen und Menschen eigentlich gemeinsam? Was unterscheidet sie? Wenn Affen Gefühle
haben und denken können, ist es dann richtig, sie in einen Zookäfig zu sperren? Und wenn ja, warum?
Wenn nein, warum tun die Menschen es dann trotzdem? Was wäre, wenn Affen wie Menschen leben
würden und Menschen wie Affen?
Das Verhältnis zwischen Mensch und Affe wirft viele philosophische Fragen auf. Der Workshop
„Philosophie im Garten“ lädt ein zum Weiterdenken und -forschen. Gemeinsam mit dem Philosoph
Alexander Scheidt entwickeln die Kinder eigene Antworten auf die Fragen, die die Ausstellung
„Ape Culture / Kultur der Affen“ aufwirft.
Ein Familienporträt
Mit Stefanie Schlüter
Sonntag 21.6., 15 Uhr
Für Kinder ab 5 Jahren
Stell dir vor, deine kleine Schwester wäre kein Mensch, sondern ein Affe. Deine Eltern würden das
Affenbaby im Arm halten, es wickeln und ihm die Flasche geben. Wie würde euer Familienleben
aussehen? Könntest du mit dem Affenbaby reden? Was würdet ihr zusammen spielen? Wäre das
Äffchen wirklich deine Schwester oder doch „nur“ ein Haustier? Dieses Gedankenexperiment ist nicht
aus der Luft gegriffen, denn es gab schon viele Versuche, Affen wie Menschen aufzuziehen – und sind
die Affen etwa nicht die nächsten Verwandten des Menschen?
Im Workshop mit Stefanie Schlüter spinnen die Kinder die Idee weiter: Ein Filmprogramm führt in die
Ikonografie von Affen- und Familienbildern ein, auch einzelne Stationen der Ausstellung „Ape Culture /
Kultur der Affen“ werden einbezogen. Schließlich gestalten die kleinen Teilnehmer*innen selbst
lebensgroße Familienporträts, die ihre Familien mit einem Affenkind zeigen.
Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin,
Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de
Publikumsprogramm - Kids&Teens-Workshops
INFEKTIONSGEFAHR
Schulprojekt mit dem Theaterregisseur Carlos Manuel
Datum wird noch bekannt gegeben
1970 beschrieb der US-amerikanische Schriftsteller William S. Burroughs die Sprache als einen Virus,
der sich an der Kehle von männlichen Primaten festgekrallt hätte. Dieser habe eine neue Spezies
hervorgebracht, speziell an seine Bedürfnisse angepasst: den Menschen.
1998 vermuteten britische Wissenschaftler genetische Voraussetzungen als Ursache der schweren
Sprachstörungen bei vielen Mitgliedern einer Londoner Familie. Sie entdeckten das Forkhead-BoxProtein P2 (FOXP2) und das zugehörige FOXP2-Gen. Es soll beim Spracherwerb, besonders beim
Entwickeln von grammatikalischen Fähigkeiten, eine entscheidende Rolle spielen.
2015 werden sich die Mutanten am Ufer der Spree ihrer Ursprünge bewusst und versuchen, sich der
Erfüllung ihres genetischen Plans zu widersetzen.
Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin,
Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de
Service-Info und Media Material
Ape Culture / Kultur der Affen
Ausstellung
30.4.-6.7.2015
Eröffnung: 29.4.2015, 18h
Diese Ausstellung enthält explizite Bilder von Tierversuchen und Sexualität.
Sie ist für Kinder nicht geeignet.
Öffnungszeiten: Mi – Mo und feiertags, 11h-19h
Eintritt: 6€ / 4€, Mo Eintritt frei
Eintritt frei zu den Veranstaltungen am 29.4., 30.4., 3.5.
Expertengespräch mit Tetsuro Matsuzawa (17.5.): 3€ zzgl. Ausstellungsticket
Performance Coco Fusco (2.7.): 6 €, Ermäßigungsberechtigte frei,
Kombiticket inkl. Ausstellung 8€ / 4€
Führungen, Workshops und Gespräche unter www.hkw.de
Presseinformationen sowie Download der Pressemitteilung
unter www.hkw.de/presse
Pressefotos stehen auf www.hkw.de/pressefotos zum Download
zur Verfügung
Fotos der Eröffnung sind ab 30.4.2015 auf
www.hkw.de/pressefotos verfügbar
Weitere Bilder auf Nachfrage
Videomaterial auf Anfrage: [email protected]
Weitere Informationen finden Sie tagesaktuell auf www.hkw.de
Auch im Social Web können Sie den Aktivitäten des HKW folgen: www.facebook.com/hkw.de und
twitter.com/hkw_berlin
Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin,
Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de
AUSSTELLUNG
Donnerstag 30.4. bis Montag 6.7.
Mittwoch bis Montag und feiertags, 11 – 19h
PROGRAMM
Donnerstag, 30. April
18.30 h
RELATING TO APES – A SYSTEM OF DEGREES
Präsentation von Marcus Coates
06 KRIMINALAFFE
Performance von Ines Doujak mit John Barker
und Matthew Hyland
In englischer Sprache
Donnerstag, 30. April
20h
IS CULTURE A GOLDEN BARRIER BETWEEN
HUMAN AND CHIMPANZEE?
Vortrag von Christophe Boesch
Mit Simultanübersetzung Englisch-Deutsch
Sonntag, 3. Mai
17 h
ARTIST TALK
Klaus Weber im Gespräch mit Jörg Heiser
In englischer Sprache
Sonntag, 17. Mai
17 h
THE EVOLUTIONARY ORIGINS OF HUMAN MIND
AND CULTURE: INSIGHTS FROM RESEARCH
ON JAPANESE MONKEYS AND CHIMPANZEES
Vortrag von Tetsuro Matsuzawa
Mit Simultanübersetzung Englisch-Deutsch
Donnerstag, 2. Juli
19.30 h
OBSERVATIONS OF PREDATION IN HUMANS:
A LECTURE BY DR. ZIRA, ANIMAL PSYCHOLOGIST
Performance von Coco Fusco
In englischer Sprache
Ausstellungsführungen und Workshops
begleiten sonntags die Ausstellung.
Details: www.hkw.de
IMPRESSUM
Kuratoren:
Anselm Franke, Hila Peleg
Ausstellungsarchitektur:
Kooperative für Darstellungspolitik
(Jesko Fezer, Anita Kaspar,
Andreas Müller & Team)
Grafikdesign:
Studio Matthias Görlich
Projekt- und Recherchekoordination:
Nadja Talmi
Produktionskoordination:
Elsa de Seynes
Projektassistenz:
Elisabeth Krämer
Praktikanten:
Elza Czarnowski, Martin Siegler
Beiträge und Mitarbeit:
Christophe Boesch, Cord Riechelmann
Recherche:
Heidi Ballet, Katja Kynast, Elisabeth Krämer,
Martin Siegler
Technische Koordination:
Gernot Ernst, mit Christian Dertinger und
Gabriel Kujawa
Aufbau-Team:
Oliver Dehn, Simon Franzkowiak, Achim
Haigis, Matthias Henkel, Oliver Könitzer, Petra
Könitzer, Matthias Kujawa, Sladjan Nedeljkovic, Nghia Nuyen, Elisabeth Sinn, Marie Luise
Stein, Norio Takasugi, Christophe Zangerle,
Margrit Zeitler
Videobearbeitung:
Matthias Hartenberger, Benjamin Beck
Aufbauassistenz:
Ulrike Hasis
Stagemanagement:
Claudia Peters
Texte Handout:
Anselm Franke, Martin Hager, Rachel O'Reilly
Textredaktion:
Martin Hager
Übersetzungen ins Deutsche:
Herwig Engelmann
Lektorat:
Kirsten Thietz
Nicola Morris
Cornelius Reiber
Erik Empson
Haus der Kulturen der Welt
Intendant:
Bernd Scherer
Bereich Bildende Kunst und Film
Leitung:
Anselm Franke
Programmkoordination:
Sonja Oehler, Daniela Wolf
Programmassistenz:
Janina Prossek
Sachbearbeitung:
Cornelia Pilgram
Praktikant:
Max Westbrock
Technik
Technischer Leiter:
Mathias Helfer
Haustechnik:
Frank Jahn, Benjamin Brandt & Team
Bereich Kommunikation und kulturelle
Bildung
Leitung:
Silvia Fehrmann
Redaktion:
Sabine Willig, Laida Hadel
Pressebüro:
Anne Maier, Nabila El-Khatib
Internet:
Eva Stein, Jan Koehler, Stefan Ritscher
Public Relations:
Christiane Sonntag, Sabine Westemeier,
Kulturelle Bildung:
Maria Fountoukis, Leila Haghighat, Eva Stein,
Josephine Schlegel
BESONDERER DANK AN:
Adolf-Würth-Zentrum für Geschichte der
Psychologie; Andrew Kreps Gallery; Wildlife
Research Center, Kyoto University; Atelier
Weber; British Museum Images; Cadmos;
Ernst Haeckel-Haus; Esther Schipper;
Exploratorium, San Francisco; Galerie
Micheline Szwajcer; Hauser & Wirth; Herald
St; Jüdisches Museum Berlin; Ken & Helen
Rowe; Kent State University; Kohts Familienarchiv; Technische Informationsbibliothek
(TIB); Koninklijke Bibliotheek; kurimanzutto;
Louise Lawler Studio; Luiza Texeira Freitas;
Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie, Leipzig; Missouri Botanical Garden/
Library; Musée-Site Buffon / Musée des
Beaux-Arts; National Geographic Society; Naturalis Biodiversity Center; Netherlands Instituut voor Beeld en Geluid; NHK Enterprises,
Inc; Nottingham Contemporary; Penn State
Media Sales; Penn State University Libraries,
Special Collections Library; Pierre Huyghe
Studio; International Primatological Society;
Japan Monkey Centre; Public Services Yale
University Library; Punch Limited; Robin Fox;
Sammlung Goetz; Schweizerisches Bundesarchiv BAR; Schwelle 7; Sprüth Magers; The
Kinji Imanishi Digital Archive, Department of
Anthropology, University of Alberta; UNESCO
Division de l’information du public; White Cube;
Yerkes Public Affairs; Zipporah Films, Inc.
Auf die Identifikation der Inhaber von Copyrights wurde größtmögliche Sorgfalt verwendet. Sollten dennoch Fehler aufgetreten
sein, wenden Sie sich bitte an das Haus der
Kulturen der Welt.
Ape Culture / Kultur der Affen wurde
produziert vom Haus der Kulturen der Welt.
Die Performance von Coco Fusco findet im
Rahmen von Ape Culture / Kultur der Affen
und SYNAPSE – Das Internationale Kuratorennetzwerk statt.
Das Haus der Kulturen der Welt wird durch
die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie durch das Auswärtige
Amt gefördert.
Ape Culture /
Kultur der Affen
„In der Tierähnlichkeit der Clowns zündet
die Menschenähnlichkeit der Affen;
die Konstellation Tier / Narr / Clown ist
eine von den Grundschichten der Kunst.“
Theodor W. Adorno
Atavismen. Sie rütteln damit an Über­­zeu­
gungen, die jegliche Ordnung des Wissens
stützen. Zum Ausdruck kommt das in der
großen Vielfalt kultureller Erzählungen, in
denen Affen als Gaukler, Zivilisationsfeinde
und zwielichtige Figuren auftreten.
Seit der Antike bedient man sich in literaMittlerweile ist die Diskussion über Affen
rischen und künstlerischen Dar­­­­stel­lungen
nicht mehr nur von der Vorstellung des ver­der Affen, um mensch­­liches Verhalten zu
meintlichen Kampfes um Macht und
reflektieren. In der christlichen Theologie
waren Affen dem Menschen untergeordnet, Überleben geprägt. Statt­dessen sind ihre
so wie der Mensch unterhalb Gottes stand. „gesellige Natur“, die Prozesse ihres „sozialen Lernens“, ihrer „Kooperation“ und „EmDas frühe Mittelalter setzte Affen mit dem
pathie“ zu vorherrschenden Themen der
Bösen gleich. Später gebrauchte man sie
als Ikonen des Sittenver­falls. Manchmal
Pri­matenforschung wie auch der Kultur insdienten sie dazu, Menschen als Gefangene gesamt geworden. Während des gesamten
ihrer eigenen irdischen und sinnlichen
20. Jahr­hunderts haben Affen, wie Robert
Yerkes sagte, als „psychobiologische
Begierden darzustellen. In der Kunst ver­­­Fund­gruben“ gedient. Ihre Erforschung
sinn­bild­lichten Affen zudem häufig eine
„minderwertige Mimesis“, also ein rein
versprach, das Tor zur Rekon­struktion,
äußerliches „Nachäffen“, das die geistigNutzung und Besserung der men­sch­lichen
seelische Dimension menschlicher Kultur
„Natur“ weit auf­zu­stoßen. Heute er­­scheint
weder verstehen noch erschließen kann.
es so, als entspränge das Interesse an den
grundlegenden Tat­­­sachen des Sozial­ver­
Häufig symbolisieren sie auch eine urzeitliche, vom Menschen überwundene oder
haltens von Pri­maten einer Zeit, in der sich
nieder­ge­haltene tierische Natur.
die menschliche Geselligkeit als solche in
eine ökonomische Ressource verwandelt
Die Affengestalt erscheint in der Kunst
und in der jede Vorstellung von Gesellschaft
trotz ihres Variantenreichtums stets an
eine Neubestim­mung vor dem Hintergrund
den Rändern des anerkannt mensch­lichen
technologischer Neuerungen erfährt.
Verhaltens. Sie wurde und wird auf zwei
verschiedene, ja gegensätzliche Weisen
Die Ausstellung Ape Culture / Kultur der
benutzt: um das gesellschaftliche Wesen
Affen nimmt ein erweitertes Feld des
des Menschen durch hierarchische Ab­
„Sozialen“ in den Blick und erkundet die
wertung des verstoßenen „tierischen
Politik imitativer Repräsentation in Bezug
Anderen“ zu bekräftigen oder um die
auf Kunst und Ideologie. Die gezeigten
Ver­­logenheit und Heuchelei dieser gesellArbeiten führen auf ein Gebiet unter­schwel­
schaftlichen Ordnung zu kritisieren sowie
liger Projektionen, Begierden, Schemata
deren unterdrückte und unbewusste
und Rollenspiele, die den Bestimmungen
Aspekte und mythologische Erzählungen
des Selbst und des Anderen, den Strömen
zum Vorschein zu bringen.
­gesellschaftlicher Macht und Begehrlichkeit zugrunde liegen. Gemeinsame Inten­
An der Schwelle zwischen „Menschheit“
tion der Werke ist es, diese zu entwaffnen
und „Tiernatur“, zwischen „Natur“ und „Kul- oder zumindest zu verdeutlichen.
tur“ verortet, dienen Affen­gestalten nicht
nur als Meta­phern der­­­­artiger AbgrenzunHila Peleg und Anselm Franke,
gen, sondern unter­­wandern sie gleich­zeitig
Kuratoren
immer wieder durch Ambivalenzen und
KÜNSTLERISCHE ARBEITEN
KOPFKINO (MINDFUCK), 2012
Film, 75 Min.
Lene Berg (Berlin / New York)
Das Drehbuch für diesen Film ent­­­­­­­­ ick­elte die Künstlerin auf der Basis
w
von Gesprächen mit acht Frauen,
die als Dominas und Skla­­vinnen im
BDSM-Gewerbe tätig sind. Verdichtet zu einer Serie eigenwilliger
Szenen, eröffnet Lene Bergs Arbeit
einen Zugang zu den stets unter­­
schwellig politischen An­eig­nungen
weiblichen Begehrens in der wech­­sel­vollen Geschichte der sado­
maso­­chistischen Gefühlsarbeit.
MACACA FUSCATA (CERCOPITHE­
CIDAE) – TREE-TOP SIGNALING, 1971
Film, 4:30 Min.
C. R. Carpenter (USA, 1905–1975)
Diese Aufnahmen von zwei Kolonien
von Japanmakaken drehte der
Verhaltenspsychologe Clarence Ray
Carpenter 1966 und 1971. Sie zeigen
dominante Männchen, die in 25
Meter hohe Baumkronen klettern,
um sich einen Überblick über die
Gegend zu verschaffen und anderen
Gruppen den eigenen Standort
mitzuteilen. Der Film stammt aus
dem Archiv der Encyclo­paedia
Cinematographica, das mehrere
Tausend Filme aus aller Welt um­fasst
und vom Institut für den Wissenschaftlichen Film (IWF) in Göttingen
gegründet wurde.
DEGREECOORDINATES
Shared traits of the Hominini
(Humans, Bonobos
and Chimpanzees), 2015
Installation
Marcus Coates (London)
in Zusammen­arbeit
mit Volker Sommer (London)
Die von Marcus Coates und Volker
Sommer ausgewählten Verhaltens­
merk­male treffen erwiesenermaßen auf alle Primaten zu, also auch
auf Menschen, Bonobos und
Schim­pansen. Dennoch entsteht
im Verlauf menschlicher Akzeptanzund Ab­gren­zungs­prozesse – und
ins­­besondere über die Neigung zu
binären Gegen­überstellungen –
eine in sich ge­schlos­sene, rein
„men­schliche“ Identität. Sie muss
sich deutlich von jedem „unerwünschten“ Verhalten abheben,
das an ge­sellschaftlich und
recht­­­lich codier­ten moralischen
Grenzen rüttelt.
THE MASKED MONKEYS, 2015
Film, 32 Min.
Anja Dornieden (Berlin)
Juan David Gonzáles Monroy (Berlin)
Dieser mit Elementen des Surrealismus und Spiritualismus durchsetzte
Film bedient sich bei ethnografischen Stilfiguren und beim „cinema
of work“, um das Macht- und Ar­beits­verhältnis zwischen java­­nischen
Affen und ihren Besitzern in Bilder
zu fassen. Als hei­­liges Symbol von
Grenze, Tod und Wiedergeburt ist
der Affe in der java­nischen Kultur mit
dem Affengott Hanuman verbunden. Seine Aufgabe in der Öko­nomie
des Straßentheaters besteht darin,
sich wie ein Herr und Meister zu
gebärden, um den Zu­­­schau­ern
gesellschaftliche Normen in phy­­sischer Anschaulichkeit vor Augen
zu führen.
06 KRIMINALAFFE, 2015
Mixed-Media-Installation
Ines Doujak (Wien / London),
mit John Barker (Wien / London)
und Matthew Hyland
In der Arbeit geht es um den Affen
im Kontext der Forderung nach
Produk­ti­vität, die sich aus dem
Sündenfall ergibt – und darum, wie
die Verwendung des Affen in der
Ikonografie des wissenschaftlichen
Rassismus diese Forderung prägte.
06 Kriminalaffe be­steht aus einem
Essay in der Publi­kation Ape Culture,
einer umfangreichen Assemblage
hunderter Bilder, einer Tapete,
deren Muster aus einer gewis­­sen
Ambi­valenz in der Darstellung von
Affen gebildet ist, und einer Plastik
des missing link (die auch in einer
Per­for­mance zur Anwendung
kommt). Wie der Affe in Ge­fangen­
schaft stellt das Werk die alles
entscheidende Frage: Warum sind
die Dinge so, wie sie sind?
TED ETHOLOGY: PRIMATE VISIONS
OF THE HUMAN MIND, 2015
Video, 49 Min.
Coco Fusco (New York)
1968, in den Ausläufern der Nach­
kriegs­zeit, auf dem Höhepunkt der
ame­ri­­­ka­nischen Bürgerrechtsbewegung und des Kalten Krieges und
nur zwei Jahrzehnte nach dem
wissenschaft­lichen Konsens über
die Evolution, eroberten die Filme
aus der Reihe Planet der Affen
einen festen Platz im Bildraum
Amerikas. Die Performance Obser­vations of Predation in Humans:
A Lecture by Dr. Zira, Animal Psycho­
­logist ist im Stil eines TED-Talks
gehalten. Sie reanimiert die Film­figur
der feministischen Schim­pansin
und Wissenschaftlerin Dr. Zira, um
für deren kompromisslos empa­
thische und artenübergreifende
Forschung (für die Zira im ursprünglichen Dreh­buch ermordet wird)
eine Fort­setzung im 21. Jahrhundert
zu finden.
DIE AAP VAN BLOEMFONTEIN, 2014
[THE APE OF BLOEMFONTEIN]
Video, 23 Min.
Jos de Gruyter und Harald Thys
(Brüssel)
Jos de Gruyter und Harald Thys
kreieren Videoarbeiten in minimalistischen Räumen, die an Ateliers
oder Hinterhoftheater erinnern.
Durch die Reduktion der Details und
ihre eigene szenische Logik ver­gegenständlichen die Arbeiten auf
geradezu unheimliche Weise alle nur
erdenklichen Arten von paranoidem
Verhalten, wie es in vermeintlich
alltäglichen und ver­trau­ten ObjektSubjekt-Beziehungen zum Tragen
kommt.
UNTITLED (HUMAN MASK), 2014
Film, 19 Min.
Pierre Huyghe (Paris / New York)
Pierre Huyghe hat schon früher in
seinen Arbeiten, in denen sich
Zeitbezüge, Taxonomien des Lebens,
Medienformate und ästhetische
Traditionen überschneiden, mensch­liche Darsteller mit Tiermasken
eingesetzt. Sein neuester Film
Untitled (Human Mask) ist von einer
tatsächlichen Begebenheit in Japan
inspiriert. Dabei trug ein entsprechend abgerichteter Affe die Maske
einer jungen Frau und bediente
als Kellnerin in einem Restaurant.
Huyghe filmte Untitled (Human
Mask) mit einer Drohnenkamera im
Gefolge des Tsunamis von 2011,
der die Kernschmelze der Atomre­
ak­toren von Fukushima und Massen­
evakuierungen verursachte.
MICHAEL, 2001
Fotografie
Louise Lawler (New York)
Louise Lawler ist bekannt für
Foto­­grafien von Werken anderer
Künst­ler in deren jeweiligem Aus­­­stel­lungs­kontext. Indem die Bilder
das zumeist äußerliche Geschehen
der Präsen­tation ver­zeichnen,
offenbaren sie De­tails, die über die
künstlerische In­ten­tion, das Be­trachten und das Objekt als solches
hinausgehen. Michael zeigt Arbeiter
beim Auspacken einer von drei
identischen lebens­großen Skulp­
turen von Jeff Koons, die Michael
Jackson mit seinem Schimpansen
Bubbles dar­­stellen. Ihre Pose hat
Koons Michelangelos Pièta aus dem
15. Jahr­hundert nachempfunden.
Bubbles wurde einer Tierversuchsanstalt abge­kauft und lebte im
Haus der Jacksons, bis Be­fürch­
tungen auf­kamen, er kön­nte
Michaels erstes „men­schliches“
Kind angreifen.
TRANSICIÓN DEL MONO AL
HOMBRE, 2015 / SHORT HISTORY
OF GESTURE – 2. SYNTAX: ARMS /
HANDS, 2013
THE ROOT OF THE ROOT, 2011–2013
Mixed-Media-Installation
Damián Ortega (Mexiko-Stadt)
Damián Ortega wurde vom Gashaka
Primate Project des University
College London in die institutseigene For­schungsstation in der Wildnis
Nigerias eingeladen, wo besonders
seltene Unterarten der Schimpansen bis heute überlebt haben. Diese
Eindrücke waren Ausgangspunkt
für Ortegas Ausstellung Apestraction im Londoner Freud Museum, aus
der einige Objekte hier gezeigt
werden. Der Titel bezieht sich auf
eine Ausstellung mit Paintings by
Chimpanzees von 1957 am Londoner
Institute for Contemporary Arts.
MAX, MON AMOUR, 1986
Film, 92 Min.
Nagisa Ōshima (Japan, 1932–2013)
Die Schöne und das Biest – mit
dieser Paarkonstellation haben sich
schon die unterschiedlichsten
Akteure befasst, aber Nagisa
Ōshimas Ehekomö­die nutzt sie, um
einen Wandel in der gesellschaftlichen Stellung der Frau festzuhalten.
Max, mon amour ist die Geschichte
eines britischen, in Frankreich
stationierten Diplomaten, dessen
Frau Margaret sich den Schim­
pansen Max als Liebhaber nimmt.
Das Leben der Pariser Oberschicht
ist berühmt für seine „Kultiviertheit“
im Umgang mit außerehelichen
Trieben. Doch dieses Tier ist eine
echte Herausforderung für Peters
Contenance.
AFFE und SHE APE / APE MAN, 2015
Mixed-Media-Installation
Erik Steinbrecher (Berlin)
Erik Steinbrecher hat ein vielfältiges Œuvre an Büchern, Pla­katen
und In­stallationen geschaffen,
das fast ausnahmslos Bedeutung
aus mehr­schichtigen Bildern und
Wort­­spielen generiert. Seine
Arbeiten changieren zwischen
immateriellen Konzepten, manueller
Ausarbeitung und dem Auge des
Betrachters. Die aus ver­schie­denen
natürlichen und anor­ga­nischen
Materialien gefertigte Arbeit AFFE
zieht in dieser Hinsicht alle Register,
ebenso wie SHE APE / APE MAN,
ein Handout, das Bewegung in die
Kli­schees der Geschlechterdifferenz bringt.
UNTITLED, 1984 und 1987
Zeichnung und Collage
Rosemarie Trockel (Köln)
Für Rosemarie Trockel ist „jedes
Tier eine Künstlerin“. Dieser Satz
bringt die subtile Verschiebung von
her­köm­m­lichen Bezügen in ihrer
Kunst – von Sehen und Geschlecht,
von Kreativität und Gattungsphysiologien – auf den Punkt. Die hier
gezeigten Arbeiten stammen aus
zwei Serien von 1984 und 1987.
Trockel fordert die Betrachter
ausdrücklich auf, ihren Porträts in
die Augen zu sehen, und zeichnet
einen Blick, der deren Gesichtsausdruck gewissermaßen spiegelt.
Frau und Tier besetzen einen
ähnlichen Ort außer­halb der männ­lichen symbolischen Ord­nung –
ein Grund dafür, dass Trockel ihre
Affenporträts in die Nähe von
Selbst­porträts gerückt hat, auch
wenn vielleicht eher Irritationen des
Selbst und des Künstlertums
gemeint sind.
SHAPE OF THE APE, 2007
Mixed-Media-Installation
Klaus Weber (Berlin)
Die Installation geht auf die in vielen
Kopien verbreitete Kleinplastik Affe
mit Schädel des kaum bekannten
deutschen Künstlers Hugo Reinhold
zurück. Von Lenin heißt es, er habe
sie auf seinem Schreibtisch zur
Schau gestellt – das Geschenk eines
ameri­­kanischen Unternehmers,
der auf diese Weise mit dem kom­mu­nistischen Staat ins Geschäft
kommen wollte. Ein Exemplar
der Skulptur wurde zwischen den
Trüm­mern eines abge­­stürzten,
angeblich mit Nazi-Gold und Ge­­heim­
­­­dokumenten beladenen Flugzeugs
der deutschen Wehrmacht auf
dem Grund eines österreichischen
Sees gefunden.
KOUROS (WALKING MAN), 2015
Installation
Klaus Weber (Berlin)
Die Plastik erinnert in ihrer Form
ent­fernt an einen Kouros. Es han­­delt
sich um zwei Halbschalen: die Nega­
tiv­form eines hochgewachsenen,
schlanken Mannes in der Pose der
archaischen grie­chischen Skulptur,
mit erigiertem Ge­schlechtsteil.
Der ur­sprüngliche Gips­abguss
ent­­­­­­stand in einer Neumondnacht bei
einem Experiment als Teil einer ero­­tisch­en Party in einem Berliner Club.
PRIMATE, 1974
Film, 105 Min.
Frederick Wiseman
(Cambridge, Massachusetts)
Der Film dokumentiert Experimente,
die am Yerkes National Primate Re­search Center der Emory Uni­versity,
USA, durchgeführt wurden. Primate
beginnt mit Por­träts der Forscher,
geht dann zu Außenansichten des
Forschungszentrums über und
landet schließlich bei einem Dialog
zweier Wissenschaftler zur Frage,
wie man den bestmöglichen Zu­gang
zu Kopula­tions­szenen bei Gorillas
erhält. Im weiteren Verlauf quantifizieren die Wissenschaftler emo­
tionale und se­­x­uelle Beziehungen,
während die Tiere unwürdiger
Beengt­­heit und chirur­gischen Ope­ra­tionen ausgesetzt sind –ohne
dass die Zwecke dieser For­­schung
klar werden.
Parallel zu dem Film wird die Fern­seh­­debatte What Price Knowledge
ge­zeigt, die im Kontext der
Filmpremiere ausgestrahlt wurde.
materialien aus forschung
und populärkultur zum bild von
nicht-menschlichen primaten
Auf 16 Wänden skizziert Ape Culture / Kultur
der Affen Elemente einer Gesellschaftsgeschichte im Spiegel des Affen und setzt sich
kritisch mit unterschiedlichen Forschungs­
ansätzen und Erklärungsmustern auseinander.
An­hand ausgewählter Beispiele aus einer
übergroßen Fülle an Materialien aus Wissenschaft und Populärkultur werden Verbindungslinien gezogen zwischen Wissenschaft,
Politik, Repräsentation und Ästhetik. Die
Sektion „Kultur der Affen“ auf Wand 5 und 6
hat der auf Schimpansenkulturen spezia­
lisierte Primatologe Christophe Boesch auf
Grundlage seiner Forschungsmaterialien
und -ergebnisse gestaltet.
die themen
1 und 2 — ursprünge
Mit der Aufklärung wird dem Affen die Rolle
als Bindeglied zwischen Natur und Kultur
zuerkannt – in einer Zeit massiver Umbauten
im Gebäude der zivilisatorischen Erzählungen.
Im 20. Jahrhundert gerät er zum Rohmaterial
der Erforschung pathologischen Verhaltens.
„Primatenordnung“, etwa auch die Widerspiegelung der patriarchalen Gesellschaftsordnungen in der Affenforschung.
9 — affen zivilisieren
Im Zuge des Zivilisationsprojekts wird der Affe
zum Objekt degradiert, an ihm wird die Unter­werfung der rohen und undisziplinierten Natur
exemplifiziert. Der Affe selbst dient dabei
als Zerrspiegel des Menschlichen, die kritische
Verwendung dieses Zerrspiegels als Gesell­
schafts­kritik.
10 — der affe und der andere
Im 19. Jahrhundert betritt der biologisch
begründete Rassismus die europäische Bühne
und markiert eine neue Stufe der „Animalisierung“ kolonialer Subjekte. Erst gegen Mitte
des 20. Jahrhunderts erreicht die Wissenschaft
unter dem Eindruck der Katastrophe des
II. Weltkrieges einen Konsens mit der Evolutionstheorie, der dem europäischen Rassismus
die wissenschaftliche Grundlage entzieht.
11 — anfänge des sozialen
Im Umfeld der Evolutionstheorie eignet sich
der Affe hervorragend zur Konstruktion von
Ursprungserzählungen – im Sinne eines
unverfälschten Naturzustands einerseits und
der Rolle des Sozialverhaltens im Überlebenskampf andererseits.
3 — die andere forschung
In Japan geht die Primatenforschung eigene
12 — modelle von gesellschaft
Wege, im Vordergrund stehen familiäre Bindun­ In der Nachkriegszeit dienen Affen(gesellgen und sozial erlerntes Verhalten.
schaften) als Versuchsobjekte biosoziologischer
Forschung zum Thema der sozialen Kontrolle.
4 — trimates
Seit den 1970er Jahren löst das Modell der
Die drei Primatenforscherinnen Jane Goodall, „Kooperation“ zunehmend die Fokussierung auf
Dian Fossey und Birutė Galdikas verlassen
„Konkurrenz“ ab.
in den 1960er Jahren den Pfad einer objektivierenden Wissenschaft, die ihre Daten überwie13 — im kreis der empathie
gend an Primaten in Gefangenschaft sammelte. Ist Mitgefühl ein Privileg des Menschen oder
Mit ihren Langzeitbeobachtungen wild leben­gerade nicht? Mit Sicherheit lässt sich sagen,
der Affen­populationen werden sie zu populären dass eine „bereinigte“ Forschungssituation
Hoffnungsträgerinnen einer neuen Kommu­
im Labor pathologische Gefühlsarmut erst
nikationskultur mit der Natur.
hervorruft.
5 und 6 — kultur der affen
14 — lieben lernen
Sind Schimpansen kulturelle Wesen? Diese
Feldstudien offenbaren eine Komplexität des
Frage wurde in den letzten Jahrzehn­ten u. a. Soziallebens unter den Affen, die jegliche
von Christophe Boesch und seinem Team
Annahmen eines allgemeingültigen „Primavom Leipziger Max-Planck-Institut für Evolu- tenmusters“ widerlegen. In den 1980er Jahren
tionäre Anthropologie beantwortet. Die hier rücken soziale Bindungen ins Zentrum der
präsentierten Materialien umfassen auch
Forschung.
neue, zum Teil noch unveröffentlichte Beobachtungen „kulturellen“ Verhaltens.
15 — das miteinander im gehege
Ein Film von Bert Haanstra über Familien7 — wilde zeichen
leben und „Politik“ in einer PrimatengesellExperimentelle Nachweise der Sprachkompe­schaft im Zoo.
tenz von Affen waren lange umstritten, obwohl
deren Fähigkeiten im Umgang etwa mit Sym16 — affen als subjekte
bolen mittlerweile als erwiesen gelten. Offen- Sollen Affen als juristische Personen anerkannt
sichtlich geht es um mehr: Wo sind die Grenzen werden? Die internationale Rechtssprechung
von Sprache sowie von Zeichenbildung in der lehnt das bis heute ab.
Natur, und gibt es diese überhaupt?
8 — visionen von primaten
(Eine Bibliografie zur Recherche ist am Counter
Donna Haraway seziert in ihrer bahnbrechen- erhältlich.)
den Studie Primate Visions: Gender, Race,
and Nature in the World of Modern Science
die großen und kleinen Erzählungen der
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Der Text erscheint im Katalog der Ausstellung:
Ape Culture / Kultur der Affen, Herausgegeben von Anselm Franke und Hila Peleg,
Co-Publisher Haus der Kulturen der Welt
Spector Books ISBN 978-3-95905-000-5 (dt.)
lieferbar ab Juni 2015
Wo zum Teufel ist der Ausgang aus diesem Feld?
Zur Aktualität von Donna Haraways Wissensgeschichte der Primatologie
Astrid Deuber-Mankowsky
Primatenvisionen
„Ich möchte, dass dieses Buch viele Leserkreise erreicht und für uns alle vergnüglich und
beunruhigend ist. Im Besonderen wünsche ich mir, dass es für Primatologen,
Wissenschaftshistorikerinnen, Kulturwissenschaftler und Kulturwissenschaftlerinnen
ebenso einsteht wie für die Bewegung der antiautoritären Linken, für die
antirassistische, antikolonialistische und die Frauenbewegung, für Tiere und für jene,
die ernste Geschichten lieben“ 1
Mit diesen ungewöhnlichen Wünschen übergab die Biologin und
Wissenschaftshistorikerin Donna Haraway ihre fünfhundert Seiten umfassende Studie
über die Geschichte der Primatologie 1989 nach zehn Jahren intensiver Forschung der
Öffentlichkeit. In der Tat hat kein anderes Buch die Primatologie mehr in den Fokus der
Kultur- und Medienwissenschaften gerückt als Haraways Primate Visions. Gender, Race,
and Nature in the World of Modern Science. Für die kultur- und
medienwissenschaftlichen Disziplinen stellte das bis heute leider nicht ins Deutsche
übersetzte Buch eine anhaltende Inspiration dar. Es eröffnete ihnen den Zugang zur
reichen, vielfältigen und umkämpften Welt der Primatologie und ihrer
Forschungsobjekte: den Schimpansen, Gorillas, Orang-Utans, Pavianen, Gibbons und
Donna Haraway: Primate Visions. Gender, Race, and Nature in the World of Modern
Science, Routledge: New York/London 1989, S. 3: „I want this book to be interesting for
many audiences, and pleasurable and disturbing for all of us. In particular, I want this
book to be responsible to primatologists, to historians of science, to cultural theorists, to
the broad left, anti-racist, anti-colonialist and women’s movement, to animals, and to
lovers of serious stories.“
1
Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin,
Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de
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Languren, ihren Habitaten in Afrika, Asien und Südamerika und zum geschichtsträchtigen Forschungsalltag in den Laboratorien der Forschungseinrichtungen und
Universitäten in den USA.
Zwar waren die Filme und Reportagen von National Geographic über Jane Goodall und
ihre Schimpansen in Tansania, über Dian Fossey und den Kampf für die Berggorillas in
Ruanda und die Forschungen von Biruté Galdikas über die Orang-Utans in Borneo auch
schon vor der Veröffentlichung von Primate Visions Teil des öffentlichen Bewusstseins
und der medialen Öffentlichkeit. Die Bilder und die Geschichten dieser Primatologinnen
gehörten seit den 1960er Jahren zur US-amerikanischen Popkultur. Die Oscarnominierte Verfilmung von Dian Fosseys Leben Gorillas im Nebel (Michael Apted, USA
1988) mit Sigourney Weaver in der Hauptrolle war ein Jahr vor der Veröffentlichung
von Primate Visions erschienen. Miss Goodall and the Wild Chimpanzees wurde bereits
1965 als ein bahnbrechender Dokumentarfilm in der Reihe der TV-Specials der National
Geographic Society veröffentlicht. Und der Cinema Verité-Dokumentarfilm Primate von
Frederick Wiseman über das Yerkes Primate Research Center in Atlanta zeigte, um ein
letztes Beispiel zu nennen, das Forschungslabor auch schon 1975 als einen
kybernetischen Organismus zur Erzeugung eines kontrollierten, rationalen,
reproduktiven Systems des Wissens, in dem Menschenaffen und Halbaffen als
Datenquellen fungierten.
Neu aber war die Geschichte der Verflechtungen der primatologischen Forschungen mit
der einflussreichen National Geographic Society auf der einen und der Kriegsindustrie
und der Weltraumforschung auf der anderen Seite. Neu war die Darstellung der
Geschichte der Imaginationen, der Hoffnungen auf eine bessere Welt und der Ängste vor
nuklearen Katastrophen, die mit der angewandten und der Grundlagenforschung an
Primaten in den USA der Nachkriegszeit verbunden waren. Neu war auch der Aufweis,
wie sehr die Geschichte der Primatologie verknüpft war mit der Produktion und
Reproduktion von Differenzen entlang der Machtachsen von Rasse, Klasse und
Geschlecht. Und neu war schließlich auch der Nachweis, wie sehr das Geschlecht der
zumeist weißen Wissenschaftlerinnen die Forschung an den Primaten prägte. Bis hin zu
der Aussage, dass sich die Primatologie Mitte der 1980er Jahre als ein Genre der
feministischen Theorie bezeichnen lasse.
Haraway zeigte eindringlich und differenziert zugleich, dass die wichtigen Themen und
Fragen des modernen Nordamerikas sich in den Körpern und im Leben der Tiere
spiegelten. Die Affen dienen den Menschen jedoch nicht nur als Spiegel. Sie haben, wie
Haraway unterstreicht, nicht nur eine symbolische Bedeutung. Sie dienen den Menschen
Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin,
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zugleich als Werkzeuge. Als Labortiere waren und sind sie essenziell für die
Grundlagenforschung der Physiologie, die Verhaltensforschung und die Erforschung von
sozialen Organisationen. Ihre Nerven- und Reproduktionssysteme sind das Rohmaterial
für die biomedizinische Grundlagenforschung. Primaten sind, wie Haraway in
Anspielung auf den Titel des berühmten Buches aus dem Jahr 1925, in dem Robert
Yerkes, der Begründer der experimentellen Biopsychologie und der Laboratorien für
Primatologie an der Yale University- seine Verhaltensbeobachtungen an zwei
Schimpansen beschrieb, Almost Human 2: Sie sind beinahe menschlich. In diesem
„Beinahe“ verbirgt sich die Amivalenz, welche die Affen, insbesondere natürlich die
Menschenaffen, wie ein Vexierbild zugleich als Spiegelbilder der Menschen zeigt und
zugleich als Tiere und damit als das nichtmenschliche Andere. Dieser Status des
„Beinahe-Menschlichen“ prädestinierte die Wissenschaften von den Affen für eine
Forschung, die zum besseren Verständnis des Ursprungs, des Wesens und damit
zugleich zu einer besseren Zukunft der Menschen beizutragen versprach.
Nach dem Zweiten Weltkrieg rückte mit dem Aufstieg der Kybernetik und dem Einzug
der Informationswissenschaften in die naturwissenschaftliche Forschung auch in der
Primatologie die Kommunikation zwischen Organismen und Maschinen ins Zentrum.
Kommunikation wurde als Steuerungsmedium verstanden und Organismen und
Lebewesen wurden ebenso wie Maschinen als sich selbst erhaltende Systeme adressiert.
Damit aber brachen die Grenzen zwischen Mensch, Maschine und Tier in dramatischer
Weise ein. Wo früher vermeintlich naturgegebene Differenzen existierten, begannen nun,
wie Haraway zeigt, die Kämpfe, in denen sich Differenzen neu und auf andere Weise
konstituierten. Kinder, nichtmenschliche Primaten und künstliche Intelligenzen: Sie alle
verkörperten für jenen Zweig der Primatologie, der sich auf die Kognition und das
Lernen zu konzentrieren begann, „almost minds“. Kinder, Primaten und intelligente
Maschinen verfügten demnach über einen „beinahe menschlichen Verstand“. Obwohl die
Primatologie implizit und untergründig persistent von der Frage handelte, was ein
vollständig menschlicher Status sei, wurde die Frage, wer oder was einen „vollständig
menschlichen Status“ einnimmt, in der Primatologie nicht gestellt, wie Haraway betont.
Während die Studie von Haraway durch die Sichtbarmachung dieses komplexen
Beziehungsgeflechts den Kulturwissenschaften den Zugang zur Welt und zur Geschichte
der Primatologie eröffnete, wurde sie vom Großteil der Primatologinnen und
Primatologen selber abgelehnt. Sie fühlten die Autorität ihrer Wissenschaft durch
Haraways dekonstruktives Verfahren und die provokative Zusammenführung von
2
Robert Yerkes: Almost Human, Centura: New York 1925.
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Storytelling und Populärkultur, von Wissenschaft, Ökonomie und Politik, von der Suche
nach Wahrheit und Projektion von Wünschen und von Wissen und Science Fiction in
Frage gestellt. Sie fühlten sich nicht ernst genommen, fanden das Buch „infuriating“,
ärgerlich. Haraway versuchte in ihren Augen, die physiologische Anthropologie, wie es
in einer kurz nach der Veröffentlichung von Primate Visions im American Journal of
Primatology erschienenen Rezension hieß, aus dem Bereich der Naturwissenschaft in
den Geltungsbereich der Literaturwissenschaft zu verlegen. 3
Die Rezension trägt den Titel Partisan Primatology. Die Autorin, Susan Cachel,
Professorin für physische Anthropologie und humane Evolution an der Rutgers
Universität, war vertraut mit der quantitativ verfahrenden und auf Datenerhebung
basierenden Forschungspraxis der Primatologie und räumte vor dem Hintergrund ihrer
Erfahrung als Wissenschaftlerin ein, dass es nicht einfach sei, gute Forschungsstrategien
zu entwickeln und angemessene Erklärungen für Daten zu finden. Dennoch und gerade
deshalb, so machte sie gegen Haraway geltend, solle man nicht auf
mythenproduzierende Geschichten setzen, wenn man nicht den Anspruch auf
Wissenschaftlichkeit aufgeben wolle. Genau das wollte die Professorin am berühmten
History of Consciousness und Feminist Studies Department der Universität von
Kalifornien in Santa Cruz freilich nicht. Haraways Ziel war nicht, die Wissenschaft
aufzugeben. Ihre Hoffnung, dass sie im Sinne der Primatologie argumentiere, war ernst
gemeint. Sie wollte zu einer „besseren“ Wissenschaft beitragen. Doch was meint eine
„bessere“ Wissenschaft?
Komplexe Literatur des Überlebens
Primate Visions war nicht nur die erste sorgfältig und umfassend recherchierte
Wissensgeschichte der Primatologie in den USA des 20. Jahrhunderts, sondern auch die
erste, welche der umkämpften, mit Hoffnungen und Erwartungen gleichermaßen
aufgeladenen Situation Rechnung trug, in welcher die junge Disziplin sich in der
Nachkriegszeit der USA befand. Angesiedelt im Grenzbereich zwischen Psychiatrie und
Zoologie, Psychologie und physischer Anthropologie, Verhaltens- und
Naturwissenschaften stand die Primatologie unter dem Einfluss des Kalten Krieges und
im Dienst der Weltraumforschung sowie im Fokus der Wünsche nach einer besseren
Susan Cachel: „Partisan Primatology“, in: American Journal of Primatology 22, 1990. S.
139–142. „Haraway attempts to move physical anthropology (specifically primatology)
into the realm of literary criticism.“
3
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Welt und der Harmonie mit der Natur. In einem durch Ambivalenz und Wünsche
geprägten Grenzbereich bewegten sich auch die fast menschlichen Objekte der
Primatologie. Sie waren, wie Haraway mit großer Sensibilität zeigt, Teil jenes großen
Forschungslabors, in dem unter dem Einfluss der Kybernetik und unter Anwendung der
neuen Informationstechnologien in den geschlossenen Räumen der
Forschungseinrichtungen und in den offenen Laboratorien der natürlichen Habitate,
also im Feld, das Verhalten und die Kommunikation von lebenden Organismen und
sozialen Organisationen untersucht wurden. Affen und Menschenaffen bewohnten im 20.
Jahrhundert, wie Haraway überzeugend deutlich machte, die Grenzzone zwischen den
„potenten, mythischen Polen Natur und Kultur“. 4
Offen räumt Haraway ein, dass ihr Interesse an den Primaten in dem besonderen
Stellenwert gründet, den sie in der westlichen Gesellschaft einnehmen. „Primaten sind
beliebt, wichtig, bewundernswert vielfältig und umstritten.“ 5 Sie sind darüber hinaus
allesamt, also auch die Menschen, bedroht. Die Primatologie des späten 20. Jahrhunderts
könne, wie die Wissenschaftshistorikerin kühn behauptete, als Teil einer komplexen
Literatur des Überlebens in einer globalen Nuklearkultur ausgelegt werden. Während
die Primatologen den Vergleich ihrer Wissenschaft mit der Science-Fiction-Literatur am
Ende des 20. Jahrhunderts als ärgerlich empfanden, so war er für Haraway Ausdruck der
hohen Erwartung, die sie mit der Primatologie als einer Weise des Denkens der anderen
und des Umgangs mit anderen verband. Zu diesen anderen gehören nicht nur die
Primaten, sondern alle als nicht oder nur fast menschlich geltenden Akteurinnen und
Akteure, auch die Erde selbst, die bekanntlich nicht weniger bedroht ist als die Primaten.
Die Primatologie verspricht, mit Hilfe der Forschungen an den Primaten Aufschluss über
den Ursprung der Menschheit zu geben. Geschichten des Ursprungs aber enthalten –
dies hat die kritische Philosophie seit Kant in ihren modernen und postmodernen
Varianten gezeigt – zugleich Aussagen über die Zukunft der aus ihnen entsprungenen
Phänomene. Wenn Haraway die Primatologie als einen Ort analysiert, an dem die BioPolitik von Differenz und Identität für die Mitglieder der industriellen und
postindustriellen Kulturen elaboriert und gleichermaßen in Frage gestellt wurde, so
erscheint es aus diesem Blickwinkel nur konsequent, dass sie die Texte der Primatologie
ihrerseits als Science Fiction liest. Sie macht damit deutlich, dass sie die Analyse der
impliziten Aussagen über die menschliche Zukunft in den Texten der Primatologie als
Teil ihrer Aufgabe als Wissenschaftshistorikerin auslegt. Wenn sie sich an den Anliegen
4
5
Haraway: Primate Visions, S. 1.
Ebd., S. 3.
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der antirassistischen und antikolonialistischen Bewegung und der Frauenbewegung
orientiert, so folgt sie dabei dem methodischen Anspruch, den kolonialistischen,
rassistischen und sexistischen Annahmen, die als unreflektierte Grundannahmen in die
Gründungsgeschichte der Primatologie eingelassen sind, eine andere, eine heterogene
Geschichte entgegenzusetzen, welche auch die nichtmenschlichen Primaten in ihrer
Differenz respektiert.
Primatologie – eine feministische Wissenschaft?
Die Primatologie orientierte sich bis Mitte der 1960er Jahre in ihrer Rekonstruktion des
menschlichen Ursprungs am Modell der Überlegenheit, der Aggressivität und dem
Konkurrenzverhalten der männlichen Primaten. Die weiblichen Primaten wurden nicht
gesondert untersucht. Sie erschienen in diesem Forschungsparadigma als Teil des
Nukleus Kleinfamilie und der Einheit zwischen Mutter und Kind. 6 Es ist unschwer zu
erkennen, wie sehr dieses Modell von der patriarchalen Geschlechterordnung der
westlichen Gesellschaften geprägt war. In dieser frühen Phase reproduzierte die
Primatologie unreflektiert die Vorstellung, nach der das weibliche Geschlecht in der
Reproduktion der Gattung aufgehe und deshalb über keine eigene Geschichte verfüge.
Die feministische Primatologin, Soziobiologin und führende Verhaltensforscherin Sara
Blaffer Hrdy nahm diese Ansicht zwar nicht als erste, aber doch mit großem und
disziplinübergreifendem Erfolg im Titel ihrer 1981 erschienenen Studie The Women
That Never Evolved aufs Korn. Der Titel lautet auf Deutsch: „Die Frau, die sich nie
entwickelte“ und spielte darauf an, dass die Mainstream-Primatologie den Anteil der
weiblichen Primaten an der Evolution schlicht ignoriert hatte. Blaffer Hrdy wies nun im
Gegenzug nach, dass weibliche Affen keineswegs passiv sind, sondern dass sie ebenso
wie die männlichen Primaten kompetitiv ihren Vorteil suchen, sexuell aktiv sind, ihre
Partner wählen, dass sie mit anderen weiblichen Primaten um Rang und Ressourcen
konkurrieren und ihren Nachwuchs bis zum Tod verteidigen. Zugleich zeugten weibliche
Primaten, falls ihre erfolgreiche Reproduktion davon abhänge, mit dem männlichen
Mörder ihrer Kinder neue Kinder, kooperierten mit den anderen weiblichen Tieren, um
sich zu verteidigen, und akzeptierten Promiskuität nicht nur, sondern genossen sie auch
Vgl. Linda Marie Fedigan/Shirley C. Strum: „A Brief History of Primate Studies: National
Traditions, Disciplinary Origins, and Stages in North American Field Studies“, in: Phyllis
Dolhinow/Augustin Fuentes (Hg.): The Nonhuman Primates, Mayfield Publishing
Company: Mountain View 1999, S. 258–269.
6
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für sich selbst, falls die Umstände es so fügten. Ihre Forschungen führten Blaffer Hrdy zu
dem Schluss, dass weibliche Primaten nirgendwo so unterdrückt seien wie in der
Species des Homo sapiens! Ihr Rat an die menschlichen Frauen: Sie sollen das Verhalten
ihrer weiblichen Verwandten studieren und sich mit ihrem biologischen Erbe vertraut
machen, um zu lernen, was sie vermögen, und ihr Schicksal in die eigene Hand zu
nehmen. Blaffer Hrdys feministische Intervention knüpfte an die soziobiologische
Wende der nordamerikanischen Verhaltensbiologie an, in deren Zentrum nicht mehr
das Verhalten der Gruppe stand, sondern jenes der Individuen. Dabei ging die
Soziobiologie davon aus, dass dieses Verhalten geprägt war von dem Ziel der möglichst
erfolgreichen Reproduktion der eigenen Gene. Es ist offensichtlich, dass die KostenNutzen-Rechnungen der Soziobiologie aufs Beste harmonierten mit dem neoliberalen
Credo, das sich zur gleichen Zeit in den westlichen kapitalistischen Gesellschaften
auszubreiten begann. Haraway unterstrich die feministischen und wissenschaftlichen
Verdienste von Blaffer Hrdy, nicht ohne auf die Korrelationen zwischen dem
Optimierungskalkül der Soziobiologie und jenem des neoliberalen Spätkapitalismus
hinzuweisen. Kritisch merkt sie zudem an, dass Blaffer Hrdy die sexuelle Differenz als
einen biologischen Fakt voraussetze, ohne das Sex/Gender-System seinerseits als
wissenschaftliche Konstruktionen, als Objekt und als Bedingung des Wissens in die
Analyse mit einzubeziehen.
Blaffer Hrdy war nur eine von vielen Primatologinnen, die seit Ende der 1970er Jahre
begannen, in ihren Forschungen die Perspektive auf die weiblichen Primaten zu richten.
Wenige von ihnen bezeichneten sich als feministisch, viele aber affirmierten die
Kriterien, die von den Vertreterinnen der feministischen Naturwissenschaftskritik für
eine feministische Wissenschaft ausgearbeitet worden waren: Reflexivität, die
Berücksichtigung des weiblichen Standpunktes, die Rekonzeptualisierung des
Verständnisses von Natur, die Verabschiedung von Dualismus und Reduktionismus, das
Verständnis der wissenschaftlichen Erkenntnis als ein Mittel der Emanzipation.
Reflexivität meint, dass der Kontext reflektiert wird, in dem die wissenschaftliche
Forschung stattfindet. Die Rekonzeptualisierung der Natur zielt auf ein Verständnis der
Natur als aktiv, komplex und holistisch. Und die dualistische und reduktionistische Sicht
soll schließlich abgelöst werden von einer Sicht, in der die Elemente der Natur in einem
Kontinuum stehen statt in binärer Opposition. Die Veränderung, welche eine
signifikante Zahl von Wissenschaftlerinnen mit ihren Forschungen in der Primatologie
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der frühen 1980er Jahre in den USA einleiteten, führte Haraway dazu, von der
Primatologie als einem „Genre der feministischen Theorie“ 7 zu sprechen.
Primaten im Spiegel
Die Formulierung „gute Wissenschaft“ fällt zweimal auf den 500 Seiten von Primate
Visions. Beide Stellen finden sich im dritten Teil mit dem Titel: Die Politik des
Weiblichseins: Primatologie ist ein Genre der feministischen Theorie in dem Kapitel, das
den Arbeiten der Primatologin Linda Marie Fedigan gewidmet ist. Fedigan ist heute
Professorin und Canada Research Chair in Primatologie und Bioanthropologie an der
Universität von Calgary und Herausgeberin des American Journal of Primatology. Was
zeichnete ihre Arbeiten aus jenen 1970er und frühen 1980er Jahren für Haraway als
„gute Wissenschaft“ aus? Fedigan, die zunächst Kulturanthropologie studiert hatte,
promovierte bei einem Schüler des einflussreichen Anthropologen und
Paläanthropologen Sherwood Washburn mit einer Arbeit über die sozialen Rollen in
einer Gruppe von japanischen Arashiyama-Affen, die 1972 von Japan zu
Forschungszwecken in die USA gebracht worden waren. Die japanischen
Wissenschaftler übergaben ihren Kolleginnen und Kollegen in den USA mit den Affen
auch die genealogischen Aufzeichnungen und andere Daten, die sie über einen Zeitraum
von 18 Jahren gesammelt hatten. Fedigan konnte sich also für ihre Forschungen auf eine
gute Datenbasis stützen. 1982 erschien ihre Doktorarbeit als Buch unter dem Titel
Primate Paradigms: Sex Roles and Social Bonds. Der ursprünglich geplante Titel lautete
jedoch, wie Fedigan Haraway berichtete 8, Primate Mirrors: Reflections on Sex Differences
in Behaviour – ins Deutsche übersetzt: „Primaten im Spiegel. Reflexionen über sexuelle
Differenzen“. Obwohl Fedigan den Titel nicht durchsetzen konnte, war es Haraway
wichtig, ihn zu erwähnen. Denn er weist auf die Kriterien, die für sie eine gute
Wissenschaft auszeichnen. So vermeidet der Titel die verbreitete Vorstellung, dass
Biologie die Basis der Kultur bilde. Die Verwendung des Begriffs des Spiegels hebt, wie
Haraway unterstreicht, im Gegenzug den Prozess hervor, in dem historisch situierte
menschliche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehr aktiv die reflektierende
Oberfläche polieren, auf der die Imaginationen ihrer eigenen Gesellschaften und ihrer
eigenen Körper in den Bildern zurückkehren, die sie von den Tieren geben. Das Spiel mit
den Metaphern von Spiegel, Reflexion und Reflektieren belegt Fedigans Sensibilität für
die imaginative Kraft der Sprache.
7
8
Haraway: Primate Visions, S. 279.
Vgl. ebd., S. 318.
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Bild Fedigan
„Gut“ ist die Wissenschaft über das Leben der Primaten von Fedigan nach Haraway nicht
nur, weil sie mit einer reichen Basis von sorgfältig erhobenen Daten arbeitet, sondern
weil sie sensibel ist für die Wirkmacht von Metaphern und gut erzählten Geschichten
und weil sie auf einer fundierten theoretischen und epistemologischen Basis
argumentiert. Vor diesem Hintergrund distanzierte sich Fedigan von der Vorstellung,
dass die untersuchten Tiere die ontologische oder epistemologische passive Ressource,
also der Rohstoff für die Produktion von wissenschaftlicher Erkenntnis seien. Ebenso
nahm sie Abstand von der Ansicht, das sexuelle Geschlecht (= Sex) stelle den Rohstoff
für das kulturelle Geschlecht (=Gender) dar und die Natur die Basis für die Kultur.
Infolge dieser Kritik unterschied Fedigan sorgfältig zwischen dem Bezug auf die sexuelle
Differenz und den Aussagen über die menschliche Natur, die in den
bioanthropologischen Geschichten des Ursprungs der Menschheit eine so zentrale Rolle
spielen.
Als positiv vermerkt Haraway, dass Fedigan zwischen unterschiedlichen
Öffentlichkeiten unterscheide und dies nicht nur in Bezug auf die Differenz zwischen der
engeren Öffentlichkeit der wissenschaftlichen Community und der weiteren medialen
nichtwissenschaftlichen Öffentlichkeit, sondern auch die unterschiedlichen Standpunkte
und Richtungen innerhalb der Disziplinen berücksichtige. So formuliere Fedigan in der
Einleitung ihres Buches die Hoffnung, dass es sowohl die Primatologinnen und
Primatologen als auch die Vertreterinnen der Women und Gender Studies anspreche. Sie
habe sich an beide Gruppen als Expertinnen gewandt – ein Zeichen ihrer Erfahrung mit
Interdisziplinarität. „Gute Wissenschaft“ heißt für Haraway auch, dass Fedigan das
Sex/Gender-System als Kategorie für die Analyse von Machtverhältnissen einsetze und
nicht zur Untermauerung von bioanthropologischen Geschichten vom Ursprung der
menschlichen Kultur. Gute Wissenschaft wäre demnach, um es zusammenzufassen, eine
wissenschaftliche Praxis, die nicht nur die Regeln und Methoden der eigenen
wissenschaftlichen Disziplin sorgfältig anwendet, sondern die kulturellen, medialen,
geschlechtlichen und sozialen Bedingungen des eigenen Standpunktes berücksichtigt,
die Natur nicht als passive Ressource versteht, sich von Reduktionismus und Dualismus
löst und sich stattdessen für Komplexität und Vielfalt einsetzt und sensibel ist für die
Wirkmacht von dramatischen Geschichten und gut gewählten Metaphern.
Unschwer sind in diesem Katalog die Kriterien wiederzuerkennen, welche von
feministischen Naturwissenschaftskritikerinnen wie Sandra Harding, Evelyn Fox Keller,
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Ruth Hubbard, Ruth Bleier, Anne Fausto-Sterling, Londa Schiebinger, Jane Flax, Nancy
Hartsock, Helen Longino und natürlich Haraway selbst für eine feministische
wissenschaftliche Praxis aufgestellt worden waren. Wäre gute Wissenschaft eine
feministische Wissenschaft und vice versa?
Acht Jahre nach dem Erscheinen von Primate Visions veröffentlichte Linda Marie Fedigan
einen Artikel mit dem Titel Is Primatology a Feminist Science? 9 Fedigan knüpft an
Haraways Kapitel über die Primatologie als ein Genre der feministischen Theorie an und
fragt, warum die meisten ihrer Kolleg_innen aus der Primatologie, die von Primate
Visions über die Rezensionen in den entsprechenden Journalen gehört haben, das Buch
verwerfen. Sie weist darauf hin, dass ihre Kolleg_innen wohl kaum wissen, dass die
Studie in vielen anderen Journalen, in feministischen, wissenschaftsgeschichtlichen und
kulturwissenschaftlichen Fachzeitschriften mit höchstem Lob bedacht und gefeiert
wurde. Tatsächlich schrieben nicht nur Evelyn Fox Keller, Ruth Hubbard oder Elvira
Scheich begeisterte Rezensionen. Anne Fausto-Sterling begann ihre Kritik im Journal of
History of Biology gar mit dem Satz, dass Primate Visions ihr Leben verändert habe und
zu den wichtigsten Büchern der letzten 20 Jahre gehöre. 10
Fedigan bestätigt, dass die Primatologie seit den frühen 1980er Jahren nicht nur
besonders gender-sensitiv und gender-inclusiv geworden sei, sondern dass sie auch den
anderen Kriterien gefolgt sei, die aus feministischer Sicht eine gute Wissenschaft
auszeichnen. Als Gründe gibt sie an, dass in der Primatologie außergewöhnlich viele
Wissenschaftlerinnen die Richtung der Forschung hin zu einem verhaltensökologischen
Paradigma bestimmt hätten. Selbst wenn sich von diesen Forscherinnen nur wenige als
feministisch bezeichneten, so habe dies doch zu einem Umdenken und einer Kritik
androzentrischer Vorurteile geführt. Damit stellt sich die Frage, weshalb Haraways Buch
in der Primatologie so einhellig verworfen wurde, jedoch nur umso dringlicher. Fedigan
spricht von 40 Rezensionen, die sie gelesen habe und die sich in ihrer scharfen Kritik
einig gewesen seien. Während sie die Frage in diesem Aufsatz mit der Vermutung
beantwortet, dass für die meisten Vertreterinnen und Vertreter Haraways These,
Primatologie sei Politik, unannehmbar sei, führt sie an anderer Stelle ein weiteres
Argument an, dem ich hier weiter folgen möchte. An dieser Stelle schreibt Fedigan, dass
sich die Primatolog_innen erst daran gewöhnen müssten, dass ihre Wissenschaft und
Linda Marie Fedigan: „Is Primatology a Feminist Science?“, in: Lori D. Hager (Hg.):
Women in Human Evolution, Routledge: New York/London 1997, S. 56–75.
10 Vgl. Anne Fausto-Sterling: „Essay Review: Primate Visions. A Model für Historians of
Science?“, in: Journal of the History of Biology, Jg. 23, Nr. 2, 1990, S. 329–333.
9
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auch sie selbst ein Forschungsobjekt geworden seien und dass sie nun also ebenfalls
vom Leuten mit Stiften und Notizbüchern beobachtet würden. 11 Tatsächlich waren die
Wissenschaftsgeschichte und Science and Technology Studies vor 25 Jahren ebenfalls
eine junge Disziplin, mit der es wenige Erfahrungen gab. Wenn Haraway die
Primatologie als Politik bezeichnete, so tat sie dies nicht aus der innerwissenschaftlichen
Perspektive der Primatologie, sondern aus der Perspektive einer Epistemologin und
Wissenschaftshistorikerin. Deren Gegenstand ist nicht der gleiche wie derjenige der
Primatologinnen und Primatologen. Der Gegenstand der Wissenschaft hat, so
formulierte der französische Philosoph und Begründer der Epistemologie der
Lebenswissenschaften Georges Canguilhem, mit dem Gegenstand Epistemologie nichts
gemein. Der Gegenstand der Wissensgeschichte ist die Geschichtlichkeit des
wissenschaftlichen Diskurses. 12 Nach Haraways Ansicht würde eine „gute“ Wissenschaft
diesen epistemologischen Blick auf die eigene Praxis allerdings wertschätzen und teilen.
Die Naturwissenschaften sind, wie sie betont, nicht weniger als die
Humanwissenschaften das Ergebnis eines historischen und kulturellen Prozesses, was
bedeutet, dass die wissenschaftliche Produktion von Fakten von Anfang an vermengt ist
mit historisch und kulturell situierten Werten. Diese impliziten Werte lesbar zu machen,
ist eine der Aufgaben, die sich Haraway mit ihrer Geschichte der Primatologie stellte. Sie
macht die politische Seite ihrer Studie aus und ist umso brisanter, da es sich bei der
Primatologie um eine Wissenschaft handelt, die im Zentrum des öffentlichen Interesses
steht und mit der Kolonialgeschichte gleichermaßen verknüpft ist wie mit der
Technikgeschichte des Westens und der Geschichte der Wissenschaften vom Menschen.
Diffraktionelle Theorie als Technik des Sehens
Aus heutiger Perspektive beeindruckt Primate Visions nicht nur durch das
experimentelle Moment im Schreiben, sondern auch durch den Glauben an die
Kreativität des Denkens. Wenn Haraway sich auf die Bewegung der antiautoritären
Linken, die Bewegung des Antirassismus und die Frauenbewegung beruft und deren
Vgl. Linda Marie Fedigan: „The Paradox of Feminist Primatology. The Godess’s
Discipline?“, in: Angela N. H. Creager/Elizabeth Lunbeck/Londa L. Schiebinger (Hg.):
Feminism in Twentieth Century Science, Technology, and Medicine, University of Chicago
Press: Chicago 2001, S. 46–72.
12 Vgl. Georges Canguilhem: „Der Gegenstand der Wissensgeschichte“, in: Ders.:
Wissenschaftsgeschichte und Epistemologie. Gesammelte Aufsätze, hg. v. Wolf Lepenies,
Suhrkamp: Frankfurt a. M. 1975, S. 22-37, hier S. 30
11
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Anliegen mit der Forderung nach einer besseren Wissenschaft verbindet, dann kommt
darin ein Optimismus in Bezug auf das Vermögen des Denkens zum Ausdruck, den man
zuletzt in den Schriften von Foucault und Deleuze/Guattari gefunden hat. Man denke nur
an die letzten Vorlesungen von Michel Foucault in den frühen 1980er Jahren und dessen
Beschreibung des „lebenden Körpers der Philosophie als eines ‚Versuchs‘ – zu verstehen
als eine verändernde Erprobung seiner selber und nicht als vereinfachende Aneignung
des anderen zu Zwecken der Kommunikation“. 13 Oder an Deleuzes und Guattaris
grenzüberschreitendes, unter dem Eindruck der starken außerparlamentarischen linken
Bewegungen geschriebenes Gemeinschaftswerk Tausend Plateaus (1980), das bis heute
eines der Kultbücher jener Studierenden ist, die nicht aufgehört haben, Denken und
Politik zu verbinden. Alle drei waren übrigens geprägt von der Epistemologie und dem
Denken von Georges Canguilhem.
Anders als Deleuze und Guattari, die in Tausend Plateaus sehr verschiedene Bereiche
wie Literatur, Musik, Geschichte, Philosophie, unterschiedliche Disziplinen wie
Ethnologie, Linguistik, Geografie und ihre jeweilige Geschichte sowie Technik- und
Mathematikgeschichte, Fotografien und Skizzen zu einem Gefüge schichten, bezieht
Haraway auch die Populärkultur, die Geschichte der Werbung, der Pulp Fiction und des
Fernsehens in ihre Geschichtsschreibung mit ein. Sie argumentiert mit Metaphern und
denkt in Bildern. „Ich habe“, so schreibt sie in der Einleitung, „versucht, Primate Visions
mit starken verbalen und visuellen Bildern anzufüllen.“ 14
In der Arbeit über die Primatologie rückten die Techniken des Sehens, des Präsentierens
und Visualisierens in allen ihren unterschiedlichen Formen, angefangen von der
Fotografie über das Diorama, den Dokumentarfilm bis hin zum Hollywoodfilm, von
Werbeclips bis hin zur Erhebung und Präsentation von Daten immer mehr in den
Vordergrund und mit ihr die Metapher des Sehens. Die zentrale Bedeutung, welche dem
Sehen und den Techniken der Visualisierung in den Lebenswissenschaften zukommt,
führte Haraway zu der Forderung, dass eine gute Wissenschaft und eine gute
Wissenschaftsgeschichtsschreibung sich der Verantwortlichkeit für die Generativität
aller visuellen Praktiken zu stellen habe. Ganz in diesem Sinne schlug sie vor, die
wissenschaftliche Praxis des Sehens und der Produktion von Visionen, die mit der
Metaphorik der Reflexion und des Zurückspiegelns verbunden ist, durch eine Praxis des
Sehens und der Rekonstruktion von Geschichten zu ersetzen, welche der Methodik folgt,
die in dem technischen Verfahren der Diffraktion, auf Deutsch „Beugung“, verborgen ist.
13
14
Michel Foucault: Der Gebrauch der Lüste, Suhrkamp: Frankfurt a. M. 1986, S. 16
Haraway: Primate Visions, S. 2.
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Sowohl Reflexion als auch Diffraktion verweisen auf den Bereich der Optik, die zum
Sehen gehörende Lehre des Lichts. Während Reflexion sich auf die geometrische Optik
bezieht und das Zurückwerfen von Lichtwellen an einer Grenzfläche bedeutet, meint
Diffraktion das Ablenken von Wellen an einem Hindernis. Sowohl Reflexion als auch
Diffraktion haben mit Visualisierung zu tun und beide beziehen sich auf technische
Verfahren, die leitend sind für die Geschichte der Physik und für die Geschichte der
Wissenschaften vom Leben im 20. Jahrhundert. Als Techniken der Visualisierung
knüpfen sie zugleich an die etymologische Herkunft des Begriffs „Theorie“ an, der
zurückgeht auf das griechische theōría, das „Zuschauen, Betrachtung,
Untersuchung“ heißt und sich aus dem Verb theōreĩn herleitet. Théā ist die „Schau“ und
horãn bedeutet „sehen“.
Die Diffraktion erlangte in der Molekulargenetik und damit für die Gen- und
Reproduktionstechnologien durch die Röntgenbeugungsbilder der kristallinen DNS, die
von der Physikerin Rosalind Franklin Anfang der 1950er Jahre in London am King’s
College aufgenommen worden waren, zentrale Bedeutung. Sie bildete die Grundlage, auf
der James D. Watson und Francis Crick ihre Modelle der DNS aus dem
Atombaumodellkasten errichteten und so lange veränderten, bis sie mit dem Muster auf
Franklins Röntgenbildern kompatibel waren. Das Modell, das passte, war die
Doppelhelixstruktur. Für Haraways metaphorische Bezugnahme auf das Verfahren der
Diffraktion ist ausschlaggebend, dass das Beugungsverfahren, anders als die Spiegelung,
keine Abbilder liefert, sondern Muster, und dass es nicht dem Modell der Repräsentation
folgt. Diffraktion beruht nicht auf der Differenz von Original und Kopie, sondern handelt
von Nachträglichkeit und der Verbindlichkeit von Ereignissen, die immer schon vorbei
sind und anderswo stattgefunden haben.
Durch die spielerische Gegenüberstellung der Reflexion und der Diffraktion als
unterschiedliche technische Verfahren der Sichtbarmachung verrückte Haraway die
Perspektive auf das Verhältnis von Wissenschaft und Epistemologie und öffnete den
Blick für die gegenseitige Bezogenheit von Wissenschaft, medialen Dispositiven,
technischen Apparaten, Geschichte der Philosophie, dem Willen zum Wissen und der
Wirkkraft von Bildern und Metaphern. Die Diffraktionsmuster lassen sich mit Haraway
als Spuren lesen, welche die Geschichte von Interaktionen, Überlagerungen und
Differenzen aufzeichnen. Diffraktion handelt, wie Haraway zusammenfasst, von einer
„heterogenen Geschichte“ 15.
Donna Haraway:
Modest_witness@second_millenium.FemaleMan_Meets_OncoMouse.
15
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Affen im Paradies und Affen im Weltraum
Primate Visions lässt sich als eine ganze Sammlung von heterogenen Geschichten lesen,
welche die Überlagerungen der Primatologie mit der Geschichte der
Kommunikationswissenschaft, der Informatik, mit der Geschichte des Kalten Kriegs, des
Postkolonialismus, des Rassismus, der Veränderungen der Geschlechterverhältnisse und
des Wechsels der wissenschaftlichen Paradigmen vom Positivismus und
Funktionalismus zur Soziobiologie und zur Verhaltensökologie sichtbar zu machen
versuchen. Diese Überlagerungen beziehen die Imaginationen, die Hoffnungen und
Phantasien mit ein, welche in die Forschung mit Affen und in die Dispositive der
Erforschung des Verhaltens von Affen eingeflossen sind. Sie sind, wie Haraway
aufzuzeigen versucht, Erlösungsgeschichten nachgebildet, die in Politik, Wissenschaft,
Wissenschaftskommunikation, Science Fiction, Ökonomie und Massenmedien in
säkularisierter Form weiterleben.
„Affen im Paradies – Affen im Weltraum“ ist der Titel des Kapitels, in dem Haraway die
Neuerfindung der Primatologie zu Beginn der 1960er Jahre darstellt, in deren Zentrum
der Begriff der Kommunikation stand. Es ist die Zeit, in der die junge Jane Goodall im
afrikanischen Dschungel von Tansania mit wild lebenden Schimpansen Kontakt
aufnimmt und Allen und Beatrice Gardner einem in Gefangenschaft lebenden
Schimpansenweibchen AMESLAN, die amerikanische Gebärdensprache, beibringen,
während in New Mexiko Affen als Cyborgs trainiert und in den Weltraum geschossen
werden. Es ist die Zeit, in der Weltraumfahrer wie Juri Gagarin und Astrochimps wie der
Schimpanse Ham den Weltraum erkunden, um der traumatisierten und von der
Atombombe bedrohten Nachkriegswelt eine neue, unbeschriebene Zukunft zu weisen.
Es ist dieselbe Zeit, in der Primatologinnen wie Jane Goodall das Verhalten von Affen in
ihrer natürlichen Umwelt im afrikanischen Urwald erforschen, um auf diese Weise dem
Ursprung der Menschheit auf den Grund zu gehen. Gewissermaßen an die unbekannten
Ränder der Welt war die Wissenschaft zu Erkundungen aufgebrochen. Es ist die Zeit, in
der Wissenschaft, Politik und Ökonomie das Ökosystem für sich entdeckten und mit der
Kolonialisierung des Weltraums begonnen wurde. Was Haraways diffraktionelles
Vorgehen auszeichnet, ist, dass sie den Überlagerungen zwischen diesen Ereignissen
nachspürt und am Ende die Muster beschreibt, welche diese Ereignisse zusammenhalten.
So modellierten die wilden Schimpansen, wie sie über viele Umwege aufzeigt, an dem
einen Ende von Raum und Zeit die Kommunikation für eine ökologisch gefährdete und
zugleich das Ökosystem gefährdende zivilisierte Menschheit, während am anderen Ende
Routledge: New York/London 1997, S. 274.
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der außerirdische Schimpanse mithalf, soziale und technische kybernetische
Kommunikationssysteme zu konstruieren, welche der gleichen Menschheit erlauben
sollten, in eine bessere Zukunft zu fliehen, die allererst möglich wurde durch die
sozialtechnischen Systeme des „Informationszeitalters“.
Befassen wir uns also mit Juri Gagarin, dem russischen Bauernjungen, der zum ersten
Kosmonauten und Helden der Sowjetunion wurde. Juri Gagarin war der erste Mensch,
der – am 12. April 1961 mit 27 Jahren – in den Weltraum flog, die Menschheit zum
Frieden aufrief und ihr die Zukunft wies. Juri Gagarin starb 1968 bei einem
Flugzeugabsturz unter bis heute nicht ganz geklärten Umständen.
Bild von Juri Gagarin
„Als ich die Erde umrundete, bewunderte ich die Schönheit unseres Planeten. Menschen
der Welt, lasst uns diese Schönheit bewahren und nicht zerstören.“
Mit diesem Satz brachte Juri Gagarin, der auf seinem Flug um die Erde zum Major
befördert wurde und danach nur noch zu Propagandazwecken für den Sozialismus
reisen durfte, den Glauben an den Fortschritt und im gleichen Atemzug die
Zerbrechlichkeit dieses Glaubens zum Ausdruck. Es ist, wie Haraway überzeugend
darstellt, diese Ambivalenz, welche die Natur, verstanden als Ökosystem, und die um das
Ökosystem kreisenden Fantasien mit dem Weltraum und den entsprechenden
Zukunftsvorstellungen zusammenhält. Juri Gagarin war durch seinen Flug zur star
persona geworden. Er repräsentierte nicht nur den Neuen Menschen und Helden des
Sozialismus, sondern er war als „Kolumbus des Kosmos“ auch der Repräsentant einer
Menschheit, die sich 350 Jahre nach der Eroberung Amerikas aufmachte, den Weltraum
zu erforschen und sich durch diese Eroberung einer neuen Welt anschickte, sich eine
neue Zukunft zu geben. Man kann die Rolle, welche Gagarin als Held der Sowjetunion
und als sozialistischer Weltraumpionier spielte, gar nicht überschätzen. Er gab nicht nur
in vielen, vor allem sozialistischen Ländern der Welt Interviews für Zeitungen, sondern
trat auch im Fernsehen auf, und überall im Ostblock wurden Straßen und Schulen nach
ihm benannt.
Was in den Propagandatouren jedoch nicht erwähnt wurde: Unter allen Anwärtern
wurde Juri Gagarin nicht nur wegen seines ruhigen Charakters ausgewählt, sondern weil
er klein war und deshalb gut in die Weltraumkapsel passte. Was ebenfalls nicht erwähnt
wurde, war, dass der Kosmonaut Gagarin in der Tat ein Cyborg war. Cyborgs aber
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vertragen sich nicht gut mit der Heldenrolle. Denn Cyborgs sind komplexe
Selbststeuerungssysteme, in denen nicht Heldentaten, sondern Funktionen und
Feedbacks, in denen Regelungen und Automatismen zählen und nicht selbstgesetzte
Zwecke und Autonomie. Als Cyborg war Gagarin ein Teil eines Maschinenorganismus.
Kybernetik und Informatik stellten, wie Haraway treffsicher bemerkte, nach der
kopernikanischen Wende, dem Darwinismus und der Psychoanalyse die vierte
narzisstische Kränkung der Menschheit dar.
Der erste Cyborg war zwar ein Mischwesen aus einer Laborratte, einer osmotischen
Pumpe und chemischen Bestandteilen, die dem Organismus der Ratte in regelmäßigen
Abständen über die Pumpe zugeführt wurden; das Modell, für das Manfred E. Clynes und
Nathan S. Kline den Begriff des Cyborg erfunden hatten, richtete sich jedoch an die
Weltraumfahrer. Das Mischwesen beziehungsweise das Feedback-System aus Pumpe,
Pharmazie und Organismus galt der biotechnischen Optimierung von Astronauten. Das
Experiment sollte erproben, wie Organismen von ihrer Umwelt unabhängiger gemacht
werden können. Was in der star persona von Gagarin verborgen bleibt, ist die
Verwandtschaft der Weltraumfahrer mit diesen Feedbacksystemen, die man Cyborgs
nannte. Sie fällt jedoch schnell ins Auge, wenn wir die Geschichte von Gagarin vor dem
Hintergrund der Geschichte von Ham betrachten. Ham war der Schimpanse, der am 31.
Januar 1961 und damit nur knapp drei Monate vor Gagarin im Rahmen des USamerikanischen Man-in-space-Programms auf einen suborbitalen Flug geschickt wurde.
Ham war das Akronym von Holloman Aero-Medical, die wissenschaftlich-militärische
Institution, die ihn lancierte. Diesen Namen erhielt er jedoch erst nach seiner
erfolgreichen Landung. Vorher wurde er nur Nr. 64 genannt – man wollte verhindern,
dass mit dem Versuchstier eine Identität verbunden wurde. Seine Pfleger nannten ihn
Chop Chop Chang, was, wie Haraway zu Recht festhält, den offenen Rassismus jener Zeit
verdeutlicht.
Bild von Ham
Die ersten Astronauten kämpften mit der Erniedrigung, die für sie die Einsicht nach sich
zog, dass Affen ihre, Aufgabe als Astronauten so gut erfüllten. Die Astronauten und
Astrochimps spielten auf der gleichen Bühne, auf der die Heldenrolle des JetflugzeugTestpiloten nicht mehr gebraucht wurde. Nachdem der Schimpanse Enos einen
vollautomatischen Weltraumflug ausgeführt hatte, sagte John Glenn, der erste USamerikanische Weltraumfahrer, er freue sich auf die Zukunft und glaube an die
Superiorität von Astronauten gegenüber Chimponauten. Nach Glenns erstem Raumflug
im Jahr 1962 titelte Newsweek: „John Glenn: One Machine that Worked without Flaw“.
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Eine Maschine, die ohne Fehler funktionierte. Ham und Enos, aber auch Gagarin und
Glenn sind Cyborgs. Ein Cyborg ist jedoch, um es mit Haraway zu formulieren, „wie jede
wichtige Technologie zugleich ein Mythos und ein Werkzeug, eine Repräsentation und
ein Instrument, ein stillgestellter Moment und ein Motor der sozialen und imaginativen
Realität“. 16
Während man sich den außerirdischen Raum als universal, leer und unbeschrieben
vorstellte und dieser einfach nur space hieß, wurde sein Gegenpart, das Ökosystem, als
eine dichte, feuchte, körperliche Wildnis imaginiert, voll von sinnlichen Lebewesen, die
sich intim und intensiv berühren. Haraway liest diese Ikonografie aus den Bildern, den
Reportagen und den Filmen, welche die National Geographic Society von der Arbeit Jane
Goodalls für ihre Zeitschrift und das Fernsehen produzierte. Die National Geographic
Society war im späten 19. Jahrhundert gegründet worden. Schon damals beruhte der
Erfolg dieser US-amerikanischen Institution darauf, dass sie nicht etwa die
Popularisierung der Wissenschaft propagierte, sondern die Partizipation ihrer
Leserinnen und Leser am doing science in den Vordergrund stellte. Wie sah diese
Partizipation aus? Sie zielte auf ein bestimmtes Selbstverständnis der Leserinnen und
Leser und vor allem auf das Sponsoring, also die finanzielle Unterstützung von
wissenschaftlicher Forschung, und die Berichterstattung darüber. Die Arbeit der
Primatologinnen wie Jane Goodall, Dian Fossey und Biruté Galdikas wurde über die
Vermittlung ihres Förderers Louis Leakey von der National Geographic Society
finanziert und in der Folge von professionellen Fotografen und Filmemachern –
ausschließlich Männern – im Auftrag von National Geographic dokumentiert. Und zwar
als Abenteuer und visuelles Vergnügen. Aus dieser Gemengelage entstand der
Dokumentarfilm Miss Goodall and the Wild Chimpanzees, der, mit der Stimme von Orson
Welles unterlegt, 1964 ausgestrahlt wurde und die wilden Schimpansen, vermittelt
durch die sehr junge, sehr weiße und sehr unkonventionelle Primatologin, in die USamerikanischen Wohnzimmer brachte. Goodall wurde als Repräsentantin einer ganz
neuen Form der Wissenschaft in Szene gesetzt. Es war nicht mehr jene Wissenschaft,
welche sich die Natur untertan macht. Goodall führte ihre Zuschauer_innen vielmehr in
eine Art ars erotica der Wissenschaft ein. 17 Die neue Form der wissenschaftlichen
Beobachtung, für die Goodall steht, ist eine Beobachtung, die Geduld erfordert, nur stille
Triumphe bietet, die mehr ein Empfangen ist als ein Produzieren von Daten, und als eine
mit der Natur geteilte, irdische Berührung vorgestellt wird. Jane Goodall bewohnt, so
16
17
Haraway: Primate Visions, S. 139.
Vgl. ebd., S. 131.
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fasst Haraway zusammen, die eine Hälfte des Wunschsystems der
Technowissenschaften, das davon träumt, den zerbrochenen Kosmos wieder zu
schließen, und das in seiner natürlich-technischen Form als Ökosystem bekannt ist.
Bild von Jane Goodall beim Handgeben mit einem Affen
Die Bilder und Aufnahmen von Jane Goodall und den wilden Schimpansen unterscheiden
sich durch die ästhetische Form und durch die Phantasien, die sie transportieren.
Während der Urwald in Tansania den Hintergrund abgibt, vor dem die weiße Frau als
Repräsentantin einer empfangenden Wissenschaft dem Ursprung nachgeht, handelt der
universale und abstrakte Weltraum von der Zukunft. Ökosystem und Weltraum sind
wissenschaftliche Räume und zugleich Tropen: allotopische Räume, die anderswo sind,
die man aufsucht, um Abenteuer und Heiliges zu finden, Räume, in denen
Erlösungsgeschichten spielen.
Wird bei den star personae der Weltraumfahrer die Verwandtschaft mit dem Cyborg
verschwiegen, so bleibt in der Geschichte von Jane Goodall ungesagt, dass das
Ökosystem nicht unschuldig und techniklos ist, sondern als ein komplexes kybernetisch
modelliertes Selbststeuerungssystem funktioniert. Ebenso verschwiegen wird die
historische Tatsache, dass die afrikanischen Landschaften nicht unberührte Natur sind,
sondern Teil einer Menschengeschichte, deren letzte drei Jahrhunderte geprägt waren
durch die gewaltsame Kolonialisierung.
Die in Jane Goodall and the Wild Chimpanzees einer medialen Öffentlichkeit vorgestellte
Wissenschaftlerin erfüllte eine mediatisierende Funktion. Als Frau stand sie der Natur
näher als der Mann und versprach, durch diese Nähe die Vertreibung aus dem Paradies
zu heilen, die sich durch den Schock der Atombombe und die Erkenntnis, dass die
Menschheit imstande ist, die Welt zu zerstören, ein zweites Mal ereignet hatte.
Geschichten des Überlebens
„Understanding is everything“ – „Verstehen ist alles“. So lautet die Bildunterschrift auf
einer Werbeanzeige, die der Ölkonzern Gulf im Jahr 1984 zur Aufbesserung seines
Images lancierte. Die obere Hälfte der Anzeige zeigt das Foto von zwei vertrauensvoll
ineinander gelegten Händen. Es erstreckt sich über die ganze Bildbreite. Die eine Hand
ist eine lederne, schwarze, behaarte Schimpansenhand. Sie liegt lässig auf der anderen,
der zarten, jungen und sehr weißen Hand von Jane Goodall. Der Ölkonzern war einer der
Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin,
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Sponsoren der Television Specials der National Geographic Society. Die Anzeige ist in
Haraways Buch abgebildet, das Foto ziert das Buchcover.
Mit dem Bild, das der internationale Ölkonzern so geschickt zur Imagepflege einsetzte,
bediente die Primatologie eine vertraute Erlösungsphantasie, die auf weiblicher
Empathie aufgebaut ist und auf das Paradies verweist, in dem sich Tiere und Menschen
als Gleiche verstehen.
Diesen Erlösungsphantasien stellt Haraway mit ihrem Buch einen diffraktionellen
Zukunftsentwurf entgegen, in dem es nicht um Erlösung geht, sondern um Überleben.
Haraway schlägt vor, das technowissenschaftlich eingeleitete Brüchigwerden der
Grenzen zwischen Mensch, Maschine und Tier als eine Chance zu nutzen, um die
ausgrenzende Identitätspolitik des almost human zu unterbrechen. Und sie findet dafür
Vorbilder in der blühenden Szene der nordamerikanischen feministischen ScienceFiction-Literatur der 1980er Jahre. Eine von diesen feministischen Science-FictionAutorinnen ist die 1947 in Kalifornien geborene, afroamerikanische, mehrfach
ausgezeichnete Schriftstellerin Octavia E. Butler. Sie beschrieb in ihrer XenogenesisTrilogie aus den Jahren 1987–1989 eine zukünftige Welt, in der eine schwarze
Menschenfrau mit Namen Lilith einen nuklearen Weltkrieg überlebt und mit einer
außerirdischen Rasse, den dreigeschlechtlichen Oankali hybride Menschen-Oankali
Wesen zeugt, um die Welt neu zu bewohnen. Dabei problematisieren die Romane die
Frage, was vollwertiges Menschsein heißt, aus der Perspektive der Erfahrungen einer
afroamerikanischen Frau in den USA des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Octavia E.
Butler nutzt das Genre der Science Fiction, um sich mit unfreiwilliger Reproduktion, mit
ungleichen Machtverhältnissen, mit dem Selbst im Besitz anderer, mit der Frage der
Geschwisterlichkeit von Menschen und Aliens und mit dem Scheitern der
Geschwisterlichkeit innerhalb der eigenen Spezies zu beschäftigen. Vergleichbar den
Primatologinnen exploriert auch Octavia E. Butler die Verzahnungen, Überschneidungen
und die Reichweiten der Grenzen zwischen Menschen, Maschinen, Tieren und Aliens
entlang der Intimität des körperlichen Austauschs und der mentalen und kognitiven
Vermögen der Verständigung. Während die in die Primatologie eingelassenen
Erlösungsphantasien jedoch die Perspektive der weißen, westlichen und christlichsäkularen Geschichte der Kolonialisierung reproduzieren, sind die Zukunftsszenarien in
Butlers Science-Fiction-Geschichten geprägt von den Erfahrungen des Rassismus, des
Sexismus und des Kolonisiertwerdens. So evozieren die Szenen, in denen Lilith sich auf
dem Raumschiff der Oankali wiederfindet, Erinnerungen an den Sklavenhandel und die
Sklavenschiffe, in denen die Menschen aus Afrika nach Südamerika und in die USA
verschleppt wurden.
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Die Science-Fiction-Geschichten von Octavia Butler handeln nicht von Erlösung, sondern
vom Überleben. Sie untersuchen in einem literarischen Gedankenexperiment, wie Arten,
Gattungen und Gender in einer post-nuklearen und Post-Sklavenhaltergesellschaft
beschaffen sein könnten. Diese Überlebensliteratur handelt von der Angst und der
Hoffnung, dass die Kinder anders sein könnten als die Eltern, dass sie die Eltern nicht
reproduzieren. Insofern handelt sie von jenen „Monstern“, die erscheinen, wenn die
Grenzen zwischen Menschen, Tieren und Maschinen brüchig werden. Damit macht sie
genau das zum Thema, was in den Phantasien, Wünschen und Erlösungsszenarien
verschwiegen wird, welche von der Primatologie – bis heute – bedient werden. Obwohl
genau dies die dringlichen Fragen unserer Gegenwart sind.
Haraway macht dies deutlich, wenn sie schreibt, dass das Feld der Primatologie definiert
ist durch die Frage der Politik der Reproduktion. Auf dem Spiel stehen die miteinander
konkurrierenden Formen der Identität und der Differenz. Das heißt aber, dass das Feld
der Primatologie die Welt ist, die wir bewohnen. Haraway zitiert dazu einen Satz aus
Butlers Roman: „Sie lachte bitter. ‚Ich hatte angenommen, dies sei eine Art ‚fieldwork‘ –
aber wo ist, zum Teufel, der Ausgang aus dem Feld?‘“. 18 Dies gilt für unsere Zeit heute,
vielleicht noch mehr als für 1989. Ein guter Grund, sich mit Primate Visions zu
beschäftigen.
18
Zitiert in Haraway: Primate Visions, S. 382.
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Der Text erscheint im Katalog der Ausstellung:
Ape Culture / Kultur der Affen, Herausgegeben von Anselm Franke und Hila Peleg,
Co-Publisher Haus der Kulturen der Welt
Spector Books ISBN 978-3-95905-000-5 (dt.)
lieferbar ab Juni 2015
Ein Affe allein ist kein Affe
Cord Riechelmann
Angesichts der akuten Bedrohung aller Populationen der Menschenaffen kommt man
um eine zentrale Frage nicht herum: Hat es den Affen geholfen, dass man begonnen hat,
von ihnen zu sprechen? Oder hat es ihnen geschadet? Hat man von ihnen gesprochen
beziehungsweise spricht man von ihnen vor allem zu ihrem Schaden?
Letzteres ist eine Idee, die zuerst der Psychoanalytiker Jacques Lacan buchstäblich in
den Raum geworfen hat. Zum Ende seines Seminars I über „Freuds technische Schriften“
(1) hatte er Bilder von Elefanten verteilt, als illustrierendes Beispiel für Lebewesen, von
denen man zu ihrem Schaden spricht. Nun wird niemand auf die Idee kommen,
Elefanten in einen „Monkey Chair“ zu setzen und ihnen den Kopf aufzubohren, um darin
nach den neuronalen Grundlagen zum Beispiel der menschlichen Seekrankheit zu
forschen, wie es die Neurowissenschaften mit Affen getan haben. Dafür sind Elefanten
einfach zu groß. Schlecht behandeln kann man sie natürlich trotzdem und so geschieht
es denn auch. Aber schlecht behandelt zu werden, ist kein Privileg von Tieren.
Und damit sind wir bei der zweiten Frage gelandet, die sich in letzter Konsequenz stellt,
wenn wir vom Menschenaffen sprechen. Könnten Menschen diejenigen sein, die durch
ihr Schaffen, ihre technischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Werke, die
wesentlichen Möglichkeiten der Natur verwirklichen? Die Primatologin Sarah Blaffer
Hrdy hat die in der Frage enthaltene Spannung folgendermaßen zusammengefasst. „Ich
habe keinen Zweifel daran, dass unsere Nachkommen in Tausenden von Jahren (ob auf
diesem Planeten oder einem anderen) zweibeinige Menschenaffen sein werden, die
Symbole gebrauchen und erzeugen. (...) Sie werden genauso konkurrenzorientiert und
machiavellistisch sein, wie es die Schimpansen heute sind, und sie werden vermutlich
noch intelligenter sein als die heutigen Menschen.“ Doch sei es ungewiss, ob sie noch
immer jene Attribute besitzen würden, die wir heute als typisch für unsere Spezies
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erachten – „nämlich Empathie und das Bestreben, die Emotionen anderer zu verstehen –
Eigenschaften, die von unserem uralten evolutionären Erbe gemeinschaftlicher Fürsorge
geprägt wurden.“ (2)
Was in Hrdys so futuristisch gehaltenen Schlusssätzen ihrer großen Studie zur
evolutionären Entwicklung der Empathie aus den kooperativen Aufzuchtsstrategien
nicht-menschlicher und menschlicher Primaten leicht überlesen werden kann, ist ihre
akute Diagnose. Die Empathie ist demnach schon im Verschwinden begriffen, die
aktuellen westlichen Gesellschaften sind auf dem Weg, die Bedingungen ihrer
Entwicklung zu verlieren. Und das hängt unter anderem mit der „Natur“ der Empathie
zusammen. Es gibt für sie kein genetisches Apriori. Man kann die Fähigkeit zur Empathie
nicht aus irgendeinem Genom wieder zum Leben erwecken, weil sie letztlich aus nichts
anderem besteht als der empathischen Tat selbst. Auch deshalb kann man sie sehr leicht
abschaffen beziehungsweise die Fähigkeit des Nachvollzugs der Emotionen anderer sehr
schnell verlieren. Ist dies einmal geschehen – so lässt sich Hrdys Warnung auch
verstehen –, kann man von ihren Bedingungen nur noch aus einer (natur-)historischen
Perspektive erzählen. Aus den Archiven und Akten möglichst genauer Protokolle der
„Primate Societies“ (3), der Affengesellschaften, in denen die Bedingungen geschaffen
wurden, die nicht nur uns zu sozialen Wesen gemacht haben.
Der Enthusiasmus, mit dem Primatologen wie Christophe Boesch versuchen, die letzten
wildlebenden Schimpansenpopulationen so umfassend wie möglich zu protokollieren
und zu analysieren, speist sich auch aus dem Wissen, dass sie an einer im Verschwinden
begriffenen Spezies arbeiten. Denn die letzten ihrer Art wird man in ihrem Verhalten nie
wieder so beobachten wie in ihren letzten wilden Refugien. Naturparks, künstlich
geschaffene Rückzugsräume oder auch Zoos werden schon aus einem Grund nie die
„wilde“ Situation nachbilden können: Es fehlen die Menschen als die „natürlichen“
Jagdfeinde, die sie in allen Gebieten sind, in denen heute Schimpansen noch in Afrika
leben.
Doch bevor die Primatologie zu einer Beschreibung der Affengesellschaften vordringen
konnte, musste sie Grundlegendes lernen: Affe ist nicht gleich Affe, und vor allem ein
Affe allein ist noch kein Affe – auf das Miteinander kommt es an. In seinen Studien an
Rhesusaffenkindern, deren Veröffentlichung den amerikanischen Psychologen Harry F.
Harlow in den 1950er Jahren weltberühmt machte, hatte er ein Bedürfnis nachgewiesen,
das genauso elementar ist wie das Bedürfnis nach Luft, Wasser und Nahrung: das
Bedürfnis nach einer Beziehung, einer Bindung an eine, einen oder mehrere Andere.
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Elementar wie das Bedürfnis nach Luft, Wasser und Nahrung ist das nach Bindungen an
Andere, weil ohne sie das Leben nicht weitergehen kann. (4) Und inwiefern dieses
„Etwas, ohne das“ das Leben nicht weitergehen kann, sich vom bloßen „Etwas, ohne das“
das Leben nicht möglich ist (Luft, Wasser, Nahrung) unterschied, hatten Harlows
Affenkinder drastisch gezeigt.
Harlow hatte mutterlose Affenkinder vor die Wahl gestellt, zwischen einer künstlichen
Mutter aus Drahtgestell, mit einer Milchflasche versehen, und einer „Mutter“ ohne
Sauger, aber mit weichem, warmem Stoff bedeckt, zu entscheiden. Die Kinder
verbrachten darauf die längste Zeit des Tages auf der „Fellmutter“ und sprangen immer
nur kurz zum Trinken auf das Drahtgestell. Berühmt wurde Harlow mit dem Ergebnis
seiner Studie, weil er zwei zu seiner Zeit vorherrschende wissenschaftliche Meinungen
mit einem Schlag erledigte. Zum einen hatte er den amerikanischen Behaviorismus
widerlegt, der die bei allen Säugetieren starke Mutter-Kind-Bindung ganz simpel mit der
Belohnung durch die Muttermilch erklärte. Zum anderen war auch Sigmund Freuds
Auffassung obsolet geworden, nach der der primäre Bindungsmechanismus zwischen
Mutter und Kind die oral-erotische Befriedigung des kindlichen Saugtriebes ist.
Offenkundig gab es hier noch etwas anderes als das bloße Bedürfnis nach Milch: ein
Bedürfnis nach Kontakt, Bindung oder wie immer man es nennen mag, das sich, wie
Harlow in der Folge zeigte, auch nicht auf ein wärmendes Tuch beschränken ließ. Denn
auch die mit der Stoffpuppenmutter aufgewachsenen Kinder waren nichts anderes als
verlorene Psychokrüppel. Sie hockten in ihren Käfigecken, schaukelten hin und her,
verstümmelten sich selbst und waren unfähig, mit Artgenossen zu kommunizieren.
Selbst fortpflanzen konnten sich nur die wenigsten von ihnen, weil auch ihr
Sexualverhalten fundamental gestört war. Und wenn sie dann doch Kinder zur Welt
brachten, waren brutale Misshandlungen die Regel. (5)
Harlow hatte mit dem Bedürfnis nach Kontakten und Bindungen etwas entdeckt, das
den Körpern nicht eingeschrieben war und das, ebenso wie Empathie, schlicht und
einfach nur dadurch in die Welt kam, dass es stattfand. Bindungen waren somit als
etwas beschrieben worden, das für jedes Individuum einerseits zur minimalen
Existenzbedingung und andererseits zum Extensiven, zum ins Soziale Drängenden,
gehört. (6)
Interessant, um nicht zu sagen konstitutiv für die Geschichte der Primatologie ist dabei
Harlows Hintergrund. Harlow war im II. Weltkrieg in leitender Position psychologischer
Berater der US-Armee. Auch deshalb interessierte er sich für die Auswirkungen des
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Verlusts sozialer Kontakte auf die Persönlichkeit. Zugespitzt kann man sagen, dass die
Rhesusaffen für ihn ein Modellorganismus für die Erforschung von Kriegspsychosen
waren. Und das verband ihn mit seinem Vorgänger, dem Psychologen Robert Yerkes. Als
Yerkes 1923 von einem Seemann in Boston zwei juvenile Schimpansen kaufte, hatte er
die Erfahrung als Psychologe der US-Armee im I. Weltkrieg bereits hinter sich. Ohne den
spezifischen Umgang mit Kriegspsychosen in der US-amerikanischen Gesellschaft im
Vergleich zu allen anderen Gesellschaften nach den Weltkriegen zu berücksichtigen,
bekommt man weder die Geschichte der Primatologie in den Blick noch ihre immense
Wirkung in der amerikanischen Populär-Kultur. Kriegspsychosen gab es natürlich
überall, in der Sowjetunion wie in der Weimarer Republik, gesellschaftlich früh
thematisiert wurden sie aber nur in den USA. Und das hing mit der amerikanischen
Demokratie zusammen, die im I. Weltkrieg sehr viel mehr Schwierigkeiten hatte,
Wirtschaft und Gesellschaft auf die Kriegsproduktion ein- und umzustellen als alle
anderen beteiligten Nationen. Auch deshalb wurden die psychischen Folgen des Krieges
in den USA aufmerksamer und kritischer beobachtet als in anderen Ländern. (7)
Auch Yerkes suchte nach einem Modellorganismus, der nicht Mensch, aber dem
Menschen sehr nahe war, um die verheerenden Auswirkungen des Krieges auf die
Psyche vieler Menschen besser zu verstehen. (8) Dass Yerkes’ Forschungen sich dann
aber sehr schnell entgegen seinen ursprünglichen Intentionen vor allem auf seine
beiden Schimpansen konzentrierten, hatte auch damit zu tun, was sie ihn lehrten. Die
beiden waren schon an sich so verschieden, dass jeder Vergleich zwischen ihnen schnell
an seine Grenzen stieß. Von heute aus gesehen ist das relativ einfach zu erklären, weil
Yerkes zwei Schimpansen erworben hatte, die zwei verschiedenen Arten angehörten,
was er aber noch nicht wissen konnte. Der eine von ihnen, den er Prinz Chim nannte,
war ein Zwergschimpanse oder Bonobo (Pan paniscus) – eine eigenständige Art, die erst
1929 beschrieben wurde. Der andere, der „gewöhnliche“ Schimpanse (Pan troglydytes) –
Panzee mit Namen – litt an Tuberkulose, was sein Verhalten vermutlich beeinflusste.
Yerkes’ 1925 erschienenes, sehr populäres Buch Almost Human, in dem er seine
Erfahrungen mit Chim und Panzee detailliert schilderte, hatte jedenfalls eine immense,
Wirkung. Menschenaffen, zu denen neben Schimpansen und Zwergschimpansen auch
Orang Utans, Gorillas und Gibbons zählen, waren von da an ein Teil der amerikanischen
Kultur. Außerdem konnten gerade Yerkes’ detailreiche Beschreibungen nicht darüber
hinwegtäuschen, wie wenig man eigentlich über die Affen wusste. Als Yerkes 1927 unter
dem Titel The Great Apes alles damals verfügbare Material über die Menschaffen
zusammentrug, wurde klar, dass es keine systematischen Beschreibungen vom
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Verhalten der Affen im Freiland gab. Die Beobachtungen stammten von
Entdeckungsreisenden, Missionaren und Forschern, die alles Mögliche gesammelt und
erschossen hatten. Die genauesten Beschreibungen hatte Alfred Russel Wallace geliefert
und betrafen auf Borneo lebende Orang Utans. Wallace, der neben Darwin ein
Begründer der modernen Evolutionstheorie war und vom Verkauf seiner auf Reisen
gesammelten Pflanzen und Tiere an private Sammler und Naturkundemuseen lebte,
überzeugte dabei vor allem durch seinen klinisch exakt beschriebenen Todeskampf der
Orangs. Damit kannte er sich aus, denn er hatte Dutzende von ihnen erschossen.
Dieser mörderische Akt setzte sich in den ersten systematischen
Freilanduntersuchungen in den 1930er Jahren fort, die Clarence Ray Carpenter an
Weißhandgibbons in Thailand durchführte: Auch Carpenter erschoss alle Gibbons, die er
beobachtet hatte, nach Abschluss der Verhaltensdatensammlung. Teils weil er die Felle
und Skelette haben wollte, teils, weil er das Geschlecht und den Mageninhalt der Tiere
untersuchen wollte. Dabei machte Carpenter aber eine Entdeckung, die über eine
„Fußnote“ zu Hrdys Titel Mütter und Andere weit hinausgeht: Eines seiner Gibbonpaare
– Gibbons leben territorial in Familienverbänden mit in der Regel einem erwachsenen
Männchen, einem Weibchen und deren Kindern – bestand aus zwei Männchen, die mit
einem heranwachsenden Kind zusammenlebten, ohne das Carpenter dort irgendeine
Verhaltensanomalie hätte feststellen können.
Natürlich blieben die Freilandbeobachtungen mit abruptem, gewaltsamem Ende der
Tiere bruchstückhaft, und daran sollte sich bis zum Auftritt der großen Drei der
Freiland-Primatologie – Jane Goodall, Dian Fossey und Birutė Galdikas – in den 1960er
Jahren nichts ändern. In den USA hatten Yerkes’ Pionierarbeiten an den Schimpansen in
der Anthropologie zwei Schulen inspiriert, die in der Folge auch gegen die Intentionen
ihrer Gründer die emanzipatorischen Tendenzen der Primatologie freilegten. Die eine
Schule hatte sich um den Anthropologen Sherwood Washburn gebildet, der nach dem II.
Weltkrieg an der University of Chicago Vorlesungen zur frühen Hominidenevolution
hielt, die andere um den in Kenia nach frühen Hominiden grabenden ArchäoAnthropologen Louis Leakey.
Donna Haraway hat der Washburn-Schule, die im Wesentlichen aus Schülerinnen
bestand und der im weiteren Kreis auch Sarah Blaffer Hrdy entstammt, unter der
treffenden Formel vom „Auftritt der Töchter im Feld des Jägers“ einen großartigen
wissenschaftsgeschichtlichen Essay gewidmet. Darin zeigt Haraway neben der
Entwicklung der Methoden einer Wissenschaft und ihrer institutionellen Verankerung
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auch die unter anderem feministische Wirkung dieser Primatologinnen bis in die
Gestaltung der Lehrpläne von öffentlichen Schulen in den USA. (9) Die Schülerinnen
Leakeys wiederum, die großen Drei, Goodall, Fossey und Galdikas, strahlten auch in die
Populärkultur aus. (10)
Zusammen hatten die Schülerinnen der beiden Anthropologen es geschafft, von den
1970er bis in die 1980er Jahre hinein die Primatologie zu einer der wenigen
Wissenschaften zu machen, die nicht nur in der Mehrzahl von Frauen betrieben wurde,
sondern auch institutionell an den entscheidenden Stellen von Frauen besetzt war. Und
dabei hatten sie, eine nach der anderen, die Definitionen, die den Menschen von den
Tieren trennen sollten, in Frage gestellt. Sollten sich zum Beispiel Frühmenschen und
Menschenaffen dadurch unterscheiden, dass die Menschen jagen und die Affen nicht, so
konnte Goodall beobachten, dass auch Schimpansen jagen – und dies nicht allein,
sondern in gut koordinierten Gruppen – und dass sie sich später auch das Fleisch teilen.
(11)
Als ähnlich revisionsbedürftig erwiesen sich Auffassungen über Werkzeuggebrauch und
Krieg als Alleinstellungsmerkmal des Menschen: Schimpansen fischten mit
zurechtgemachten Stöcken nach Termiten und sie führten regelrechte Kriege gegen
benachbarte Schimpansengruppen. (12) Mit Jane Goodalls Beobachtungen zu Kriegen
unter Schimpansen und Dian Fosseys detaillierten Beschreibungen von Kindstötungen
durch männliche Tiere unter den Berggorillas in Ruanda (13) waren aber neben den
großen Grenzen zwischen Menschen und Tieren auch noch einige andere Lehrsätze
fraglich geworden. Wenn sich Tiere derselben Art im Freiland bekämpften, unter
Bedingungen, die nicht durch menschliche Einflüsse korrumpiert beziehungsweise ins
Pathologische gedrängt worden waren wie in Harlows Versuchen, musste an den
harmonisierenden Konzepten der Art oder der Rasse prinzipiell etwas nicht stimmen.
Wenn man ein Verhalten, das offenkundig Tiere der eigenen Art schädigte, nicht
pathologisieren oder moralisieren wollte, konnte es sich nur um Verhaltensformen
handeln, die man mit dem Artbegriff nicht repräsentieren konnte. Nicht zuletzt deshalb
fielen Goodalls Kriegsbeobachtungen und Fosseys Berichte von den Kindstötungen mit
der Geburt und der Blütezeit der Soziobiologie zusammen. Die populistische Formel
dafür hatte Richard Dawkins 1976 mit dem Buchtitel The selfish Gene, das egoistische
Gen, gefunden.
Bevor man allerdings die Soziobiologie, die in der Wissenschaft ihre besten Tage schon
hinter sich hat, als neoliberal-reaktionäre Doktrin abtut, sollte man sich ihre Gegner
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genauer ansehen. (14) Bei der Soziobiologie handelt es sich um eine Verhaltenstheorie,
die davon ausgeht, dass schon die kleinste Diffferenz, die sich im Genom zeigt und die
uns neben anderen Einflüssen zu einzigartigen Individuen macht, auch Differenzen der
Interessen nach sich zieht. Der entscheidende Motor für die Veränderungen in der
Evolution ist demnach das Individuum und nicht eine harmonisierende Gruppe, die im
Begriff der Art abstrakt zusammengeführt wird. Das war, als die Soziobiologie Anfang
der 1970er Jahre auftauchte, keine neue Idee, schon Darwins zentrale Frage drehte sich
um das Individuum. Wir wissen nicht ,was das Individuum vermag, lautete diese
grundlegende Frage, auf die er eine Antwort finden wollte. Die Soziobiologie stellte sie
nur neu, und das auch angesichts der verheerenden Erfahrungen des Art- und
Rassekonzepts im 20. Jahrhundert. Dass sich Soziobiologen und sogenannte
evolutionäre Psychologen in ihrer Betonung des Genegoismus – getragen von den
Wahlsiegen Margaret Thatchers und Ronald Reagans und deren neoliberalen
Gesellschaftszerstörungskonzepten Anfang der 1980er Jahre – auch verrannten und
aggressiven Stuss in die Welt setzten, wie jene These von der Vergewaltigung als
evolutionärer männlicher Fortpflanzungsstrategie, ist richtig, ändert aber nichts am
grundsätzlichen heuristischen Wert dieser Wissenschaft. Dass die kleinste Differenz in
den körperlichen Voraussetzungen auch differente Bewegungen und Interessen zur
Folge hat, ist ja gerade die Voraussetzung, die erkennen lässt, dass Phänomene wie
Bindungen und Empathien ohne Apriori, also nur im Moment ihrer Entstehung, ihre
Ursache haben.
Man kann diese Bewegung von der Soziobiologie zur Erfahrung der Empathie als weder
prädestiniert noch prästabilisiert auch an der Forschungskarriere Sarah Blaffer Hrdys
nachzeichnen. Hrdy begann als radikale Soziobiologin. Ihr erstes Buch, The Langurs of
Abu. Female and Male Strategies of Reproduction (1977), war eine reine Differenzanalyse
männlicher und weiblicher Fortpflanzungsinteressen unter einer evolutionären
Perspektive. Mütter und Andere, im amerikanischen Orginal 2009 veröffentlicht, ist eine
radikale Kritik nicht nur der amerikanischen menschlichen Kleinfamilie unter einer
auch evolutionären Perspektive. Der Verlust der Fähigkeit zur Empathie ist unter
anderem deshalb so leicht – so kann man ihre Kernaussage zusammenfassen –, weil man
sich auch ohne sie fortpflanzen kann. Die menschliche Fortpflanzungstechnologie ist so
weit fortgeschritten, dass man nicht einmal mehr den Akt der Paarung beherrschen
muss, um sich zu reproduzieren. Von den Momenten der gemeinschaftlichen Fürsorge
nicht nur für Neugeborene und Kinder, ohne die es Affen oder Menschenaffen gar nicht
gegeben hätte, kann man in der Folge völlig absehen. Was verloren geht, sind dann keine
Gene oder andere materielle Stoffe des Körpers, sondern schlicht Elemente des Sozialen,
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von denen nur die Gesellschaften erzählen können, die in der Lage sind, sich selbst und
andere zu beschreiben, denen also die sogenannte Neuroplastizität eine scheinbar neue
Freiheit gegenüber dem Gendeterminismus verschafft hat. Mit Blaffer Hrdy kann man
allerdings sagen, dass auch die Neurowissenschaften nichts anderes als sich selbstkorrigierende Spiegel hervorbringen. Die Anderen bleiben nur als Außen auf Dauer real.
Man kann sie sich nicht immer wieder neu in der Erfahrung einverleiben, sondern muss
sich ihnen in Empathie und Bindungen annähern. Und von den Bedingungen dieser
Möglichkeit erzählen zur Zeit noch die letzten Affengesellschaften genauer als die
entwickelten Menschengesellschaften. Insofern kann der Blick auf die Affen uns zwar
nicht retten, aber eventuell einen besseren Zugang zu den Möglichkeiten der „Natur“
zeigen, deren Verwirklichung noch ausstehen könnte.
Anmerkungen:
1 Jacques Lacan: Das Seminar. Buch I. Freuds technische Schriften, Quadriga:
Weinheim/Berlin, 2. Aufl. 1990. Auf der Innenseite des Titelumschlags befindet sich das
Bild eines Elefanten und darunter der Satz, mit dem das Buch schließt: „Jacques Lacan
läßt kleine Figuren verteilen, die Elefanten darstellen.“
2 Sarah Blaffer Hrdy: Mütter und Andere. Wie die Evolution uns zu sozialen Wesen
gemacht hat, Berlin Verlag: Berlin 2010, S. 405
3 Vgl. Barbara B. Smuts et al. (Hrsg.): Primate Societies, Chicago/London 1987
4 Zu einer philosophisch-politischen Diskussion dieses „Etwas, ohne das das Leben nicht
weitergehen kann“ siehe Frédéric Worms: Über Leben, Merve: Berlin 2013
5 Vgl. dazu Andreas Paul: Von Affen und Menschen. Verhaltensbiologie der Primaten,
Darmstadt 1998, S. 168 und Frans de Waal: Wilde Diplomaten. Versöhnung und
Entspannungspolitik bei Affen und Menschen, Hanser: München/Wien 1991, S. 20
6 Vgl. Worms, S. 33 (wie Anm. 4)
7 Um den Vergleich nicht als unhistorisch erscheinen zu lassen, sei darauf hingewiesen,
dass Kriegspsychosen hierzulande erst seit dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr
ein öffentliches Thema sind.
8 Die Verbindung von Primatologie und Psychiatrie lässt sich auch in Westdeutschland
zeigen, wenn man die Arbeiten von Detlef Ploog am Max-Planck-Institut für Psychiatrie,
dem Ort, an dem Jacques Lacan 1958 seinen einzigen Vortrag in der BRD hielt, als
Pionierarbeiten der westdeutschen Primatologie ansieht.
9 Donna Haraway: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen, Campus:
Frankfurt a. M. 1995
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10 So schreibt Biruté M. F. Galdikas in ihrem Lebens- und Forschungsbericht Meine
Orang Utans. Zwanzig Jahre unter den scheuen „Waldmenschen“ im Dschungel Borneos, 2.
Aufl., Scherz: Bern/München/Wien 1995, über Jane Goodall: „Über ihre Aufsätze in der
angesehenen Zeitschrift ‚National Geographic‘, Bücher und gemeinsam mit ihrem ersten
Mann, dem Fotographen Hugo van Lawick, produzierte Fernsehsendungen sowie
Vortragsreisen wurde aus dem täglichen Treiben eines Trupps wilder Schimpansen eine
Familiensaga für das breite Publikum. ‚Flo‘ und ‚Fifi‘ wurden zu Mitgliedern der
amerikanischen Durchschnittsfamilie. Lange bevor ‚Denver Clan‘ und ‚Dallas‘ über die
Bildschirme flimmerten, wuchs eine Generation junger Amerikaner mit ‚Mike‘, ‚Melissa‘
und ‚David Greybeard‘ auf. ‚Flo‘ dürfte das einzige in Freiheit lebende Tier sein, dem die
Londoner Times je einen Nachruf gewidmet hat.“ S. 41 (Alle „Namen“ bezeichnen
Schimpansen aus Goodalls Beobachtungspopulation.)
11 Zum Jagdverhalten von Schimpansen vgl. Craig B. Stanford: Chimpanzee and Red
Colobus. The Ecology of Predator and Prey, Harvard University Press: Cambridge,
MA/London 1998
12 Vgl. u. a. hierzu Jane Goodalls Standardwerk: The Chimpanzees of Gombe, Harvard
University Press: Cambridge, MA/London 1986
13 Vgl. Dian Fossey: Gorillas in the Mist, Houghton Mifflin: Boston 1983
14 Der deutsche Primatologe Volker Sommer hat in einem grundlegenden Essay 1992
darauf hingewiesen, dass viele Soziobiologinnen und –biologen eher dem
emanzipatorischen Flügel zuzurechnen sind, während die Vertreter der
Gruppenselektion, des Arterhaltungsprinzips, höflich gesagt, eher konservativ sind. Vgl.
Eckart Voland: Fortpflanzung. Natur und Kultur im Wechselspiel, Suhrkamp: Frankfurt a.
M. 1992, S. 51–73
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„Man könnte uns als Schimpansen-Ethnografen bezeichnen“
Christophe Boesch im Gespräch mit Cord Riechelmann
Cord Riechelmann: Herr Professor Boesch, als Sie mit Ihren ersten Arbeiten zum
Nüsseknacken der Schimpansen im Taï-Nationalpark in der Elfenbeinküste über die
Primatologie hinaus bekannt wurden, waren Sie in ein sehr spezielles Feld eingetreten:
den Werkzeuggebrauch in nicht-menschlichen Gesellschaften. Es hatte dazu bereits
Berichte von Jane Goodall und anderen gegeben, aber Ihre Beobachtungen bezeugten
eine deutliche Steigerung des bisher Bekannten: Die Schimpansen benutzten bestimmte
Unterlagen und Hämmer, außerdem gab es so etwas wie Werkstätten, zu denen die
Tiere immer wieder zurückkehrten, um die Nüsse zu knacken. Können Sie ihren Weg in
dieses Feld der Primatologie, den elaborierten Werkzeuggebrauch beschreiben?
Christophe Boesch: Die Primatologie begann für mich 1973 bei Dian Fossey mit den
Berggorillas in Ruanda. Ich war an einem Langzeitprojekt beteiligt, in dem es darum
ging, die Gorillas in den Virunga Mountains zu zählen. Wie vielleicht viele junge Leute
empfand ich eine Faszination für Gorillas, und weil ich Franzose bin, hat Dian Fossey
mich in ihr Team aufgenommen. Im Kontakt mit den Behörden in Ruanda, deren
Amtssprache unter anderem Französisch ist, war das hilfreich, und ich konnte
Erfahrungen sammeln, die später für mein eigenes Projekt gut zu gebrauchen waren.
Von meinem Professor in Paris hatte ich gehört, dass die Schimpansen in Westafrika, in
der Elfenbeinküste, Nüsse knacken könnten. Es war aber nie beobachtet worden. Es gab
nur zwei Berichte, in denen es hieß, man hätte Spuren von Nussknackplätzen gefunden,
mit geknackten Nüssen und Hämmern – und die Afrikaner, die dabei waren,
versicherten, das seien Schimpansen gewesen. Als junger Wissenschaftler habe ich mir
gedacht: Erstens, Schimpansen sind interessant, sie sind unsere nächsten Verwandten,
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und zweitens, der Werkzeuggebrauch – das könnte zu Fragen führen, die auch für uns
Menschen bedeutsam sind.
Ich beschloss, das Risiko auf mich zu nehmen und dorthin zu gehen. Und in den sieben
Monaten, die ich in der Elfenbeinküste verbrachte, konnte ich tatsächlich eine
Schimpansin dabei beobachten, wie sie Nüsse knackte. Zuerst hatte ich nur den Lärm
gehört, aber als ich nahe genug war, habe ich sie gesehen: Sie hatte den Hammer in der
Hand. Das war die erste Bestätigung überhaupt, dass Schimpansen mit einem Hammer
Nüsse knacken. Auf Grundlage dieser Beobachtung konnte ich dann auch mein Projekt
mit mehr Geld ausstatten. Mit meiner Frau, Hedwige Boesch, bin ich 1979 in die
Elfenbeinküste gegangen – und heute sind wir immer noch dort und arbeiten weiter.
Es ist schwierig, in Afrika mit Schimpansen zu arbeiten, weil sie überall, wo sie
vorkommen, von Menschen gejagt werden: weil ihr Fleisch sehr gut schmecken soll und
weil es ein Gefühl für die nahe Verwandtschaft gibt, die den Schimpansen
übermenschliche Kräfte zuschreibt. Auf Kinder und Kranke soll es positive Wirkungen
haben, wenn sie deren Fleisch zu sich nehmen. Deshalb haben auch
Schimpansenknochen in der traditionellen Medizin eine besondere Bedeutung. Und weil
sie gejagt werden, sind Schimpansen besonders scheu und rennen weg, bevor wir sie
überhaupt zu Gesicht bekommen. Es hat zwei Jahre gedauert, bis wir erste Fortschritte
im Umgang mit ihnen feststellen konnten. Um sie gut beobachten zu können – das heißt,
um sie beobachten zu können, obwohl sie wussten, dass wir sie beobachten –, brauchten
wir fünf Jahre. Diese Zeit ist notwendig, um sich in den Habituationsprozessen so
aneinander zu gewöhnen, dass man die Tiere beobachten kann, ohne dass sie ihr
Verhalten ändern.
CR: Wenn ich mich recht erinnere, hat Jane Goodall auch fünf Jahre gebraucht.
CB: Genau. Sie hat versucht, den Prozess zu beschleunigen, indem sie ihre Schimpansen
mit Bananen gefüttert hat, geholfen hat es aber eigentlich nicht.
Unser großes Glück war, dass die Schimpansen dort Nüsse geknackt haben. Die NussSaison dauert ungefähr vier Monate pro Jahr. Und Nüsse zu knacken, macht Lärm.
Obwohl die Schimpansen wussten, dass da Menschen sind – die sie ja nicht haben wollen
–, haben sie ihre Anwesenheit durch das laute Nüsseknacken verraten. Wir entwickelten
ein Ohr für dieses bestimmte Geräusch und konnten die Schimpansen immer häufiger
finden. In den ersten Analysen ging es darum, wie viele Nüsse die Tiere pro Minute
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öffneten, wie viele Schläge sie brauchten und wer die Nüsse öffnete. Dabei stellten wir
fest, dass die Weibchen effizienter waren als die Männchen, was der allgemeinen
Tendenz der Wissenschaft widerspricht, die Männer in den Vordergrund zu stellen.
CR: So ist es mir damals auch aufgefallen. Ihre ersten Arbeiten waren eine effektive,
fundierte Widerlegung von allem, was aus der „Man-the-Hunter-Hypothese“, der
Jagdhypothese über die aktiven Männchen und die passiven Weibchen, folgte.
CB: Genau. Und die Feministinnen, die noch sehr aktiv waren in dieser Zeit, haben meine
Arbeit sofort als Argumentationshilfe genommen. Als einen Beweis, dass in unserer
Evolutionsgeschichte wahrscheinlich die Frauen eine sehr viel größere Rolle gespielt
haben, als ihnen bis dahin zugestanden wurde.
Wir fragten uns aber, wie weit dieses Verhalten in Afrika verbreitet ist. Das erstaunliche
Ergebnis war, dass es in der Elfenbeinküste eine Grenze gab, die entlang des SassandraFlusses verlief: Alle Schimpansen westlich des Flusses knackten Nüsse und alle
Schimpansen östlich davon taten es nicht. Und das, obwohl es östlich des Flusses
genauso viele Nussbäume gab, genauso viele Wurzeln, die man als Amboss benutzen
konnte, und auch genug Material für Hämmer. Es gab also keine umweltbedingten
Faktoren. Daher haben wir angeregt, Nussknacken als kulturelles Verhalten zu
verstehen, weil die Erklärung nur eine rein soziale sein konnte. Die Schimpansen auf
einer Flussseite machen es, die auf der anderen machen es nicht. Es ist jetzt 24 Jahre her,
dass wir das publiziert haben …
CR: Sie haben Ihre Forschungen auf eine faszinierende Weise ins Detail getrieben, bis zu
einer Enzyklopädie der Hämmer nach Größe und Form. Verlangte diese Forschung nicht
eine umfassende Kenntnis der Individuen, die Sie beobachtet haben? Oder gehe ich da zu
weit?
CB: Ganz und gar nicht. Unsere Beobachtungen von Schimpansen – oder generell von
Primaten – erfordern, dass wir die Tiere individuell identifizieren. Wir geben ihnen
sogar Namen. Und es dauert oft eine frustrierend lange Zeit, bis man zu Ergebnissen
kommt. Schimpansen sind ja erst mit 13, 15 Jahren erwachsen. Das heißt, wenn man
eine Studie darüber machen möchte, wie ein Verhalten erlernt wird, weiß man, man
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fängt mit einem Projekt an, das mindestens fünf oder zehn Jahre in Anspruch nimmt. Das
macht die Sache schwierig.
CR: Das macht sie a) schwierig, und b) widerspricht es nicht jeglicher Tendenz – von den
Wissenschaften selbst ausgegeben –, möglichst schnell zu Ergebnissen zu kommen? Sind
Sie damit nicht einer der letzten Vertreter von Langzeitstudien?
CB: Das würde ich nicht sagen. Ich gehöre vielleicht zu dieser Generation, die ihre
Studien auf eine lange Dauer angelegt hat, und ich habe am Anfang auch nicht geahnt,
dass ich 35 Jahre mit den Schimpansen arbeiten würde. Grundsätzlich ist der Vorteil von
längeren Studien gegenüber kurzen aber nach wie vor in der Wissenschaft akzeptiert.
Und das gilt auch für die Geldgeber wie den Schweizerischen Nationalfonds, der mich
immer unterstützt hat. Gleichzeitig gibt es natürlich eine Verpflichtung der Forscher,
immer wieder mit neuen Ideen zu kommen. Das ist klar. Und deswegen habe ich mich
nach sechs Jahren, in denen ich zum Nussknacken geforscht habe, einem anderen Thema
zugewandt, dem Jagdverhalten der Schimpansen.
CR: Es gibt – ich habe es selbst noch in Vorlesungen gehört – immer noch den Begriff
vom „Jagdhassen“ 1. Jane Goodall wiederum hat die Beobachtung gemacht, dass das Jagen
und Fangen von Colobusaffen eine rein männliche Angelegenheit unter den
Schimpansen war. Bei Ihnen werden aber weder Hass und Aggression noch der
männliche Aspekt besonders betont.
CB: Absolut. Ich glaube nicht, dass diese Vorstellung vom Hass den Schimpansen
entspricht. Für viele Räuber ist die Jagd einfach eine Form der Nahrungssuche, die nicht
mit Hass oder ähnlichen Emotionen verbunden ist. Das würde die Sache für die Jäger
auch unnötig verkomplizieren, weil eine Jagd ein Mindestmaß an Planung beinhaltet.
Man sucht nach Beute, oder vielleicht sucht man zuerst Jagd-Teilnehmer und im
Anschluss die Beute – womit man nicht jedes Mal erfolgreich sein kann. Das heißt, man
muss auch beurteilen, in welchen Fällen es sich lohnt zu jagen und in welchen nicht.
Schimpansen, die in Gruppen jagen, müssen sich darüber hinaus auch noch organisieren
während der Jagd: Wer nimmt welche Rolle ein, wie kann ich den anderen helfen, denen
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gerade ein Colobus zu entkommen droht? Wenn das Jagen rein emotional bedingt wäre,
würden sich alle nur auf die nächste Beute stürzen und wahrscheinlich nie etwas fangen.
Schimpansen jagen Affen, die kleiner sind, die ganz hoch in den Bäumen leben und
Fluchtwege wählen, auf denen ihnen die Schimpansen nicht folgen können. Das heißt,
sie müssen sich organisieren, sonst funktioniert das einfach nicht in solchen Wäldern.
Damit lässt sich auch erklären, warum die Taï-Schimpansen viel häufiger in Gruppen
jagen als Schimpansen in anderen Wäldern, wo es einfacher ist, die Beute in eine Ecke zu
drängen.
CR: Gerade am Jagdverhalten der Schimpansen unter den komplizierten Bedingungen
des Taï-Regenwaldes hat mir das, was Sie als öko-kulturell bezeichnen, besonders
eingeleuchtet, also zum Beispiel die Anforderungen, die bestimmte ökologische
Verhältnisse an die Lernprozesse stellen.
CB: Man kann uns auch als Schimpansen-Ethnografen bezeichnen. Ich habe immer
großen Wert darauf gelegt zu zeigen, dass Schimpansen ein sehr variables, flexibles
Verhalten an den Tag legen und dass jede Population ganz unterschiedliche
Verhaltensmuster ausbilden kann. Das sollte man berücksichtigen. Und: Das Verhalten
ist teilweise klar durch Umwelteinflüsse bestimmt, im Taï-Wald ist das der dichte
tropische Regenwald. In Gombe, in Tansania, wo Jane Goodall gearbeitet hat, haben wir
es im Vergleich dazu mit offenem Buschland zu tun: Savannen gemischt mit Wald, wo
die Sichtbarkeit, die Topografie, also die Bäume und die Waldstruktur ganz anders
geartet sind. Dementsprechend kann man auch erwarten, dass sich Schimpansen – wie
viele andere Tierarten – an die ökologischen Umstände anpassen. Und damit kommen
wir zurück zum Begriff der Kultur, weil wir eben erwarten, dass sich auch Schimpansen
im Lauf der Evolution an die Umstände ihrer Lebensräume anpassen.
Dass eine Tierart in unterschiedlichen Lebensräumen unterschiedliche
Verhaltensmuster zeigen kann, hat aber noch nichts mit Kultur zu tun, das ist lediglich
eine Anpassung an die Umwelt. Es war für uns, die wir eine Tür für die Kultur der Tiere
öffnen wollten, also Pflicht zu beweisen, dass die kulturellen Unterschiede zwischen
einzelnen Populationen nicht von den Umweltbedingungen abhängig sind – obwohl wir
wissen, dass Kultur beim Menschen auch umweltabhängig ist. Die Definition von Kultur,
die wir zu Anfang benutzt haben, um Kultur bei Tieren zu zeigen, war also strenger
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umgrenzt als die Kriterien, die man beim Menschen angelegt hat. Das ist natürlich nicht
ganz fair ...
CR: Ich finde, das ist ein ganz wichtiger Aspekt Ihrer Arbeiten. Michel Foucault hat
einmal gesagt, wenn er mit Außenseitern arbeitet, wie beispielsweise mit psychisch
Kranken, dann muss er genauer sein als bei normalen, gesunden Menschen. Damit will
ich jetzt nicht Schimpansen und psychisch kranke Menschen vergleichen. Ich finde es
aber den Schimpansen gegenüber die fairste Lösung, bei ihnen strengere Kriterien
anzulegen.
CB: Es ist eben sehr schwierig, weil es in den wissenschaftlichen Diskussionen immer
zwei Lager gibt. Wenn man mit Schimpansen arbeitet, ist die Lage vielleicht noch
gravierender, weil wir die berühmte große Barriere berühren. „Die goldene Barriere“
hat sie Stephen Jay Gould genannt, die den Menschen von allen anderen Lebewesen
trennt oder trennen sollte. Das ist natürlich auch der Reiz, warum ich mit Schimpansen
arbeite. Wie alle Schimpansen-Forscher möchte ich sehen, wie hoch diese Barriere
tatsächlich ist. Sie wurde gewissermaßen theoretisch gesetzt, zu Beginn von der
Religion, später auch von Wissenschaftlern und Philosophen. Sokrates, Rousseau und all
die anderen hatten ja keine Ahnung, was diese Tiere machen und können. Es gab nur
Reiseberichte oder Darstellungen von Einzeltieren, die man zufällig beobachtet hatte –
oft genug waren die Tiere sogar schon tot. Man hatte keine Vorstellung von
Menschenaffen in ihrer natürlichen Umgebung, und diese Blindheit der Wissenschaft hat
bis Anfang der 1960er Jahre vorgehalten. Erst zu diesem Zeitpunkt sind Jane Goodall
und andere Biologen oder Verhaltensökologen in die Natur gegangen und haben die
Tiere in ihrem normalen Lebensumfeld beobachtet.
Das heißt, wir verfügen heute über den unglaublichen Luxus, Wissenschaft zur Frage der
goldenen Barriere betreiben zu können. Ich bin jedes Mal ein bisschen entsetzt, wenn
ich sehe, dass die Freude daran, diese Barriere auszutesten, von vielen Wissenschaftlern
gar nicht empfunden wird. Um damit sind wir wieder bei der Kultur angelangt …
Kultur ist ein Begriff, den Menschen für Menschen gemacht haben, um die größte
Errungenschaft eben der Menschheit darzustellen. Wenn wir also über Kultur bei Tieren
sprechen, ist es klar, dass die Skeptiker, die die andere Seite der Barriere für sich in
Anspruch nehmen, alles sehr kritisch beobachten. Und das Problem mit dem Beweis von
Kultur beim Nussknacken ist, dass wir auf der einen Seite Populationen haben, die Nüsse
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knacken, und auf der anderen Seite Populationen, die NICHT knacken. Es ist sehr schwer
zu ergründen, warum eine Population oder ein Tier etwas nicht tut.
Ein Vorteil unseres Projekts mit den Taï-Schimpansen ist aber, dass wir früh angefangen
haben, benachbarte Gruppen an menschliche Beobachter zu gewöhnen. So konnten wir
über Jahre hinweg drei benachbarte Gruppen verfolgen und auf kulturelle Unterschiede
hin untersuchen. Während der Nussknacksaison konnten wir feststellen, dass die
Gruppen jeweils spezifische Kriterien dafür haben, wie man einen guten Hammer
auswählt: Die drei Gruppen, die regelmäßig aggressive Kontakte haben und
wahrscheinlich auch Weibchen austauschen, haben jeweils klare unterschiedliche
Vorlieben bezüglich der Hämmer, die sie benutzen.
Wir haben also drei benachbarte Gruppen in demselben Wald, in dem sie auch Kontakte
haben. Trotzdem bleiben klare kulturelle Unterschiede hinsichtlich der Kriterien, nach
denen sie ihre Hämmer wählen. Das ist sehr merkwürdig, weil es sogar regelmäßig
Weibchen gibt, die von einer Gruppe zur anderen wandern. 2 Das zeigt, dass die
Weibchen sich den Gewohnheiten ihrer neuen Gruppe anschließen. Und die Weibchen
wandern aus, wenn sie zwischen zehn und zwölf Jahre alt sind – ein Alter, in dem sie
schon sehr gute Nussknackerinnen sind. Sie beherrschen also die Technik ihrer
Geburtsgruppe, wenden aber, wenn sie in eine neue kommen, deren Techniken an.
CR: Und das ist dann unter ökologisch gleichen Bedingungen nicht mehr öko-kulturell,
sondern sozusagen rein kulturell?
CB: Ein echter Beweis für kulturelles Verhalten.
CR: Ich möchte gern noch auf zwei Sachen zu sprechen kommen, die auch etwas mit
Kultur zu tun haben, aber nicht von den Schimpansen ausgehen. Erstens: Sind Sie immer
mit den jeweiligen Regierungen in Fragen Ihrer Forschungserlaubnisse zu einer
Einigung gekommen?
CB: Ja immer. Zum Glück.
CR: Und zweitens: Hat sich der Wald mit den Jahren verändert?
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CB: In den letzten 35 Jahren ist die Entwaldung in der Elfenbeinküste so rasant
vonstatten gegangen, dass es jetzt nur noch im Nationalpark Urwald gibt. Das ist sehr
traurig, aber auch verständlich, in dem Sinne, dass die Menschen die Natur nie
berücksichtigt haben. Wir haben alles kaputt gemacht und eine Konsequenz daraus ist,
dass die Menge der Regenfälle in Afrika seit über 60 Jahren so drastisch wie
kontinuierlich sinkt. Dadurch vergrößert sich die Wüste und wandert Richtung Süden –
und was sollen die Menschen machen? Sie können keine Landwirtschaft mehr betreiben
und wandern ebenfalls nach Süden. Die Bevölkerung an der Küste hat sich verdreifacht,
über die Hälfte sind Zuwanderer aus dem Norden. Es ist klar, dass das auf Kosten der
Wälder geht. Durch die Vernichtung der Wälder geht wiederum die Austrocknung
Afrikas weiter. In der Elfenbeinküste zum Beispiel regnet es weniger und es gibt jetzt
entlang der Küste Trockenzeiten – das gab es vorher nie. Was wir hier miterleben – in
Afrika oder auf anderen Kontinenten –, ist eine Folge des Klimawandels. Das heißt auch,
dass die Tiere, die in diesen Wäldern gelebt haben, nicht mehr da sind. Mit den Wäldern
sind die Elefanten, Schimpansen und Waldantilopen allesamt verschwunden.
CR: Ich würde Sie gern fragen, wie Sie es schaffen, angesichts der im Grunde
ausweglosen Lage Ihrer Schimpansen so enthusiastisch weiterzuarbeiten, nicht nur in
der Elfenbeinküste, sondern auch mit Ihrem „Pan African Programme: The Cultured
Chimpanzee“, das alle noch existierenden Populationen zu erfassen und zu erforschen
versucht?
CB: Ich glaube, man arbeitet im Schimpansenschutz nur, wenn man ein – sagen wir mal –
unverbesserlicher Optimist ist. Es gibt leider immer wieder Grund genug zur
Frustration, und öffentlich darüber zu reden ist nicht gut, weil man die
Umweltschutzbemühungen schlechter verkaufen kann. Aber es ist die Wahrheit. Ich
denke, man muss sie in Kauf nehmen und nicht immer Illusionen verbreiten.
CR: Meine Frage haben Sie beantwortet. Ich möchte trotzdem noch einmal fragen, wie
Sie zu dieser für mich wunderbaren Haltung kommen, dass es in dieser Situation für
einen Wissenschaftler gar keine andere Möglichkeit gibt, als weiter zu forschen?
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CB: Ich kann gut verstehen, wenn jemand, der Forschungen mit wilden Populationen
betreibt, so deprimiert wird, dass er sagt: Ich kann nicht mehr, weil meine Tiere
verschwinden. Eine andere Strategie ist, aktiver im Umweltschutz zu werden. In der
Primatologie ist das bei vielen Forschern deutlich zu sehen.
CR: Für mich war Ihr Engagement auch deshalb immer so einleuchtend, weil Sie radikal
auf der Unterscheidung von wilden Populationen und anderen, etwa in Zoos, bestanden
haben. Wenn ich Sie richtig verstehe, sagen Sie sogar, eine Vergleichbarkeit sei nicht
gegeben.
CB: Wie bereits erwähnt, lege ich großen Wert auf die Flexibilität des Verhaltens bei
hochentwickelten Tieren. Und das nicht nur bei Schimpansen. Ich habe selbst
monatelang Schimpansen an verschiedenen Orten beobachtet und unmittelbar erlebt,
wie stark die Populationsunterschiede sind, wie groß der Umwelteinfluss ist. Ich
betrachte die Tiere also von der natürlichen Seite her. Wenn ich dagegen ein Tier im Zoo
oder in Käfigen sehe, weiß ich, dass das vollständig künstliche Lebensbedingungen sind.
Die Tiere sind flexibel genug, sich auch daran anzupassen – nicht unbedingt zu ihrem
Besten, aber sie passen sich an. Ich bin der Überzeugung, dass Tiere, die in solchen
künstlichen Umwelten aufwachsen und leben, benachteiligt sind. Gefangenschaft
bedeutet eine vollständig passive Umwelt, dort passiert nichts. In diesem Sinne sind sie
also – verglichen mit freilebenden Tieren – sehr viel ärmer. Ich habe das jahrelang
immer wieder betont, zum Glück wird es gerade in letzter Zeit mehr und mehr
wahrgenommen. Es gibt mittlerweile Studien, die konkret beobachten, welchen Einfluss
auf das Verhalten und noch stärker auf die Entwicklung des Hirns die künstlichen
Lebensbedingungen haben. Daraus kann man nur schließen, dass die Gefangenschaft
schlecht für die Entwicklung der Tiere ist. Ich würde jetzt trotzdem nicht sagen, man soll
aufhören, mit gefangenen Tieren zu arbeiten, weil es sicher einige Dinge gibt, die man
dort untersuchen kann. Man kann aber nicht in der Gefangenschaft gewonnene
Erkenntnisse generalisieren und auf wilde Tiere übertragen. Es ist ein Problem der
Interpretation und Generalisierung.
1
Der Begriff wurde von Irenäus Eibl-Eibesfeldt, einem Schüler von Konrad Lorenz,
geprägt.
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2
Schimpansen leben in Gruppen, in denen die Männchen immer in ihren
Geburtsgruppen bleiben, und die Weibchen, wenn sie geschlechtsreif werden,
auswandern und sich anderen Gruppen anschließen.
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