ta_kojima_20051010

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ta_kojima_20051010
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49 10.10.2005
21.10.05 14:18:52
Tages-Anzeiger · Montag, 10. Oktober 2005
DIGITAL
49
«Man muss das Töten nicht zeigen»
im Trailer zu MGS4 keinen einzigen
Schuss abfeuert, dennoch ist die beklemmende Atmosphäre des Schlachtfelds
spürbar. Man muss das Töten nicht zeigen.
Gewaltorgien interessieren den
japanischen Spielentwickler
Hideo Kojima nicht. In seine
Actionspiele verpackt er lieber
subtile Botschaften.
Wo stehen Sie, wenn es um die Darstellung
von Gewalt geht?
Gewalt muss schon gezeigt werden,
man darf sie nicht ganz verstecken. Es gibt
physische und mentale Gewalt. In ihnen
steckt eine Wahrheit. Vor allem das Leiden, das sie auslösen, sollte man nicht verbergen. Kennen Sie den Dokumentarfilm
«Night and Fog» von Alain Resnais? Dieser Film zeigt die Schrecken von Auschwitz, zeigt, was geschehen ist. Ein Spiel
wie «Dynasty Warriors», das voller blitzender Lichteffekte ist, vermittelt nicht
das Gefühl von Gewalt. Ich mag keine
Spiele, in denen man Tausende Gegner töten muss. Ich will den Leuten beibringen,
was es bedeutet, wenn man jemanden verletzt.
Mit Hideo Kojima sprach
Marc Bodmer, Tokio
First Person Shooter (FPS) sind in den USA
sehr populär, in Japan jedoch kaum. Wie
erklären Sie sich die unterschiedlichen
Spielkulturen?
Die USA und Europa ähneln sich sehr.
Beide unterscheiden strikt zwischen
Spielfilmen und Videospielen. Europäer
schätzen ausgesprochen die Interaktivität
und Bewegungsfreiheit, eine Story interessiert sie weniger. Japan hingegen ist
völlig anders. Hier braucht es weniger Interaktion, sondern mehr Drama. Darin
wollen die Japaner eine Rolle spielen und
mitmachen.
Der Trailer zum vierten Teil von «Metal
Gear Solid 4», das übernächstes Jahr erscheinen soll, zeigt ein staubiges Kampfgebiet, die Musik mutet leicht arabisch an.
Wo spielt das nächste Abenteuer?
Das geografische Wo ist nicht entscheidend. Es ist ein Schlachtfeld, wie man es
überall findet. Wichtig ist das Gefühl, das
es vermittelt.
Bitte entschuldigen Sie meine Ignoranz,
aber wie beliebt ist Ihr Spiel «Metal Gear
Solid» (MGS) in Japan?
MGS bietet Bewegungsfreiheit, eine
Abenteuerspielstruktur und eine Handlung. Ich versuche immer, diese Elemente
ausgewogen zu kombinieren. Hauptsächlich der narrativen Komponente wegen ist
MGS auch in Japan populär.
Warum haben Sie ein undefiniertes
Schlachtfeld gewählt?
Die beliebtesten First-Person-ShooterSzenarien spielen nun mal auf einem
Schlachtfeld.
Wie sieht das im internationalen Vergleich
aus?
Die grössten Fans von MGS sind in
Europa, aber was die Verkaufszahlen anbelangt, sind die USA auf Platz 1, gefolgt
von Europa und Japan.
Das klingt mir zu konventionell für Hideo
Kojima.
(lächelt) Es wird ja auch kein reiner FPS
sein . . .
Warum haben Sie das Gefühl, dass MGS in
Europa die stärkste Fanbasis hat?
MGS spielt zwar hauptsächlich in den
USA, vermittelt aber eine antiamerikanische Botschaft, die von den Europäern
besser verstanden wird. Meine Spiele kritisieren die USA, in diesem Sinn ist MGS
mit der «Grand Theft Auto»-Serie (GTA)
verwandt. Darin kritisiert das britische
Studio Rockstar ja auf seine Weise die Zustände in den Staaten. Spiele wie «Halo 2»
dagegen unterstützen die gegenwärtige
amerikanische Politik. Mit ihrem Haudrauf und den ewigen Schiessereien
schreien sie förmlich ein Hurra für die USArmee – vielleicht hätte ich das besser
nicht gesagt.
Wie viel Politik vertragen Videospiele?
Es lassen sich ziemlich viele Botschaften in Games verpacken, doch man muss
auf der Hut sein – schliesslich geht es primär um Unterhaltung. Die Message
nimmt daher einen vergleichsweise kleinen Platz ein. Es kann ja sein, dass nicht
alle die Aussage mögen, und deshalb verstecke ich sie gerne. Wer das Game zum
ersten Mal durchspielt, sieht sie meist
noch nicht. Spielt man den Titel ein weiteres Mal, entdeckt man vielleicht die Botschaft.
Wie wichtig ist Ihnen die Botschaft?
Als Spielentwickler ist sie für mich zentral und von grosser Bedeutung. Sie ist
Teil meiner Arbeit. Gewisse Spieldesigner
entwerfen Titel, die einfach nur Spass machen. Bei einem Hideo-Kojima-Produkt ist
aber noch eine Botschaft integriert.
In den USA gab es heftige Diskussionen um
versteckte Sexszenen in «GTA: San Andreas», die sich mit Hilfe eines Hackerprogramms freischalten lassen. Gibt es solche
Debatten auch in Japan?
Die Game-Vereinigung Japans setzt sich
für weniger Gewalt in den Spielen ein. Ihnen ist vielleicht aufgefallen, dass Snake
Im vierten Teil ist die Hauptfigur der Serie
deutlich gealtert. Snake ist ein alter Mann
mit grauem Schnauz, der unter Hustenanfällen leidet. Ist er reif für die Pension?
Snake wurde zum Töten geschaffen. Er
ist eine Kampfmaschine, die Krieg führt.
Er kämpft, um die Welt zu verändern –
aber die Welt hat sich nicht verändert.
Deshalb muss er weiterkämpfen, obschon
er alt ist.
BILD RUDI VAN STARREX/BLOOMBERG NEWS
Amerikakritisch: Kojimas Actionspiele glorifizieren den Krieg nicht.
Der zuletzt erschienene dritte Teil der Serie
verkaufte sich in den USA nicht so gut wie
erwartet. Warum?
Ich denke, dass es vor allem ein saisonales Problem war. Das Spiel erschien
nach «Halo 2» und «GTA: San Andreas».
Die Gamer können sich nicht drei Spiele in
so kurzer Zeit leisten. Viele Leute bekundeten zudem Mühe mit der Kameraführung in «Metal Gear Solid 3». Es war nicht,
was die Leute von einer First-PersonShooter-Kamera erwarteten. Doch keine
Angst, das nächste Mal ist es eine typische
Kamera.
Hideo Kojima – der «Peter Jackson der Videospiele»
«Wenn Hideo Kojima ein Schriftsteller
wäre, so wäre er Jonathan Franzen. Wäre
er ein Filmemacher, wäre er Peter Jackson», schreibt das US-Nachrichtenmagazin «Newsweek» über den japanischen Videospieldesigner, den es darüber hinaus 2002 zu den zehn einflussreichsten Persönlichkeiten, welche die
Zukunft gestalten, wählte.
Hideo Kojima wurde am 24. August
1963 in Setagaya, Tokio, geboren. Die
Legende will es, dass er in der Mittelschule fünf 600 Seiten starke Sciencefiction-Romane schrieb und später das
Filmen mit Super-8-Kamera für sich
entdeckte.
Eine filmische Sprache prägt bis dato
das Werk des innovativen Japaners, dessen erstes Meisterwerk «Metal Gear Solid» (1998) sich weltweit 6 Millionen Mal
verkaufte und das Genre der Schleichspiele begründete, deren primäre Taktik
es ist, gefährliche Situationen ungesehen
und möglichst gewaltlos zu meistern.
Kojima beschränkt sich nicht darauf,
blosse Unterhaltung zu produzieren,
sondern spickt seine Szenarien mit Antikriegsbotschaften wie im SciencefictionAbenteuer «Zone of the Enders» (2002),
greift Themen wie Genmanipulation auf
oder zwingt als erklärter Naturfreund
mit dem über eine Solarzelle gespiese-
nen Gameboy-Spiel «Boktai 2: Solar Boy
Django» (2004) die Kids, raus an die
Sonne zu gehen. Nebst wiederkehrenden Fragen vom Schlag «Was macht den
Menschen zum Menschen?» lässt Kojima – zum Glück – ebenso seinen Sinn
für Humor einfliessen, und er versetzt
selbst die grimmigsten Szenarien mit
einem Quäntchen Ironie.
Der frühere Vizepräsident des Videospielherstellers Konami hat in diesem
Jahr seine eigene Firma gegründet, Kojima Productions. Er geniesst volle
künstlerische Freiheit, kann aber auf die
finanziellen Ressourcen Konamis zurückgreifen. (mbo)
Doch noch gerettet
Das Spielstudio Cyan, das Anfang
September Pleite ging (siehe auch TA
vom letzten Montag), macht nun
doch weiter. Gründer Rand Miller hat
«einen Hasen aus dem Hut gezaubert», also im letzten Moment nochmals Geld aufgetrieben. Die «Myst»Serie werde aber definitiv nicht fortgesetzt.
Dreifache Downloads
Der mit legalen Downloads erzielte
Umsatz der Musikbranche hat sich
gegenüber dem Vorjahr verdreifacht
und macht nun bereits 6 Prozent der
Einnahmen oder 790 Millionen Dollar aus. Kostenpflichtige Downloads
sind somit erstmals gewichtiger als
Singles-Verkäufe. Der Verkauf von
CDs hingegen sank um 6 Prozent, der
gesamte Umsatz der Branche
schrumpfte um weitere 2 Prozent auf
13,2 Milliarden Dollar.
Gierige Plattenfirmen
Nachdem Steve Jobs die Musikindustrie davor gewarnt hat, die Preise für
Musikdownloads zu erhöhen und
diese dabei als «gierig» bezeichnet
hat, brach vergangene Woche Microsoft Verhandlungen mit den grossen
Musikverlagen über einen MusikAbodienst ab. Als Grund gab Microsoft an, die Plattenfirmen hätten
überrissene Vorstellungen über Lizenzgebühren.
Chinesische HD-DVD
China plant einen eigenen Standard
für einen Nachfolger der heutigen
DVD. Er basiert auf der HD-DVD,
wie sie Toshiba, Microsoft und Intel
unterstützen, wird aber nicht damit
kompatibel sein. Es geht wohl darum,
Kosten zu sparen. China produziert
weltweit fast 80 Prozent aller DVDPlayer, für jedes Gerät sind Lizenzgebühren fällig, die bei einem eigenen
Standard einiges tiefer ausfallen dürften.
Japan lässt hacken
Im Land der aufgehenden Sonne soll
im kommenden Jahr der Cyberernstfall geprobt werden. Hacker werden
versuchen, in eigens dafür aufgesetzte Dummy-Computersysteme
von Finanzinstituten, staatlichen Organisationen und Telekommunikationsunternehmen einzudringen und
diese lahm zu legen. Die Übungsangriffsziele werden genau gleich wie
die echten Computersysteme beschaffen sein.
Jackson dreht «Halo»
Der neuseeländische Regisseur der
«Herr der Ringe»-Trilogie, Peter
Jackson, wird den für nächsten Sommer erwarteten Film zum Videospiel
«Halo» produzieren, gemeinsam mit
Fran Walsh, der Drehbuchautorin der
«Herr der Ringe»-Filme. Die illustren
Namen lassen auf eine qualitativ gute
Verfilmung hoffen.
Vorhang auf – wofür?
Übermorgen Mittwoch lüftet Apple
den Schleier, unter dem sich, glaubt
man der Gerüchteküche, ein videofähiger iPod plus ein entsprechender
Videoservice im iTunes Music Store
verbergen dürften. (TA)
«Digital-Sushi»
Im Gadget-Weblog
des «Tages-Anzeigers» schildern Redaktoren aus verschiedenen
Ressorts ihre Erfahrungen mit diversen
Gadgets. Leserkommentare und Anregungen sind willkommen.
www.tagesanzeiger.ch/
digitalsushi
REKLAME
Beeindruckende Vorschau auf «Metal Gear Solid 4»: Ein gealterter
Solid Snake (links), des Krieges müde, sieht sich auf einem namenlosen
Schlachtfeld mit einer übermächtigen Kampfmaschinerie konfrontiert.
Ein kleiner Roboter (Mitte) steht ihm bei. Diese Bilder stammen aus dem
voraussichtlich 2007 auf der Playstation 3 erscheinenden Spiel, und vermitteln einen Eindruck des optischen Realismus der Plattform. (mbo)
OF963-T