Rebecca Clarke, Komponistin im Wandel der Zeit_fomat_v1_docx

Transcription

Rebecca Clarke, Komponistin im Wandel der Zeit_fomat_v1_docx
Rebecca Clarke:
Komponistin im Wandel der Zeit
Masterarbeit
Klaudia Tandl BA BA
Matrnr.: 0810077
Universität für Musik und darstellende Kunst Graz
Institut 7 – Gesang
Masterstudium Gesang V 066 735
Betreuerin: Dr.phil. M.A. Christa Brüstle
Graz, am 29.02.2016
INHALTSVERZEICHNIS
1
EINLEITUNG ........................................................................................ 1
2
LEBEN UND WERK DER BRATSCHISTIN UND KOMPONISTIN REBECCA
CLARKE .................................................................................................... 4
2.1 BIOGRAPHIE................................................................................................................................ 5
2.2 WERK ....................................................................................................................................... 16
2.2.1 Lieder ............................................................................................................................... 16
2.2.2 Instrumentalwerk ............................................................................................................. 20
2.2.3 Chormusik........................................................................................................................ 22
2.3 ZUSAMMENFASSUNG ................................................................................................................ 23
3
FRAUEN IM ÖFFENTLICHEN KONTEXT UM DIE JAHRHUNDERTWENDE
...... 25
3.1 REBECCA CLARKE .................................................................................................................... 29
3.2 ETHEL SMYTH .......................................................................................................................... 38
3.3 ZUSAMMENFASSUNG ................................................................................................................ 44
4
REBECCA CLARKE UND DIE ENGLISH MUSICAL RENAISSANCE ................. 48
4.1 WAS IST DIE ENGLISH MUSICAL RENAISSANCE? ..................................................................... 48
4.2 REBECCA CLARKE UND DIE ENGLISH MUSICAL RENAISSANCE ............................................... 56
5
STILISTIK UND KOMPOSITORISCHE ENTWICKLUNG REBECCA CLARKES ... 64
5.1 THE CLOTHS OF HEAVEN ......................................................................................................... 67
5.2 THE SEAL MAN......................................................................................................................... 74
5.3 TIGER, TIGER ............................................................................................................................ 90
6 WAS HÄTTE REBECCA CLARKE KOMPONIERT, HÄTTE SIE EIN GRÖßERES WERK
VERTONT?
......................................................................................... 100
7
ZUSAMMENFASSUNG ........................................................................ 105
8
LITERATURVERZEICHNIS.................................................................. 108
Kurzfassung:
Rebecca Clarke: Komponistin im Wandel der Zeit
Die vorliegende Masterarbeit setzt sich mit dem Leben und dem Werk der britischen
Komponistin und Bratschistin Rebecca Clarke (1886-1979) auseinander. Es wird der Frage
nachgegangen, warum Clarke als namhafte Komponistin nie ein orchestrales Werk vertonte,
obwohl viele Indikatoren für die Gegebenheit ihrer kompositorischen Fähigkeiten und
Fertigkeiten sprachen. Hinweise hinsichtlich ihrer Kompetenzen lassen sich nicht nur in ihren
Memoiren, sondern auch in ihren vielen qualitativ hochwertigen Stücken finden. Die
Ursachen für ein fehlendes orchestrales Werk in Clarkes Schaffen sind Thema dieser Arbeit
und u.a. darauf zurückzuführen, dass ihr als Frau kreatives Schaffen gesellschaftlich
aberkannt war, ihr ausreichend finanzielle Unterstützung fehlte und zwei Weltkriege samt
deren wirtschaftlichen Folgen ihre Schaffensperiode überschatteten. In dieser Arbeit wird
darüber hinaus der Begriff der English Musical Renaissance erläutert und Rebecca Clarkes
Verbindung zu dieser Strömung sowie ihr Nutzen daraus besprochen. Eine Gegenüberstellung
der Zeitgenossinnen Ethel Smyth und Rebecca Clarke soll einen weiteren Einblick in die
Lebensrealitäten von Komponistinnen während der English Musical Renaissance geben. Trotz
ihrer Vorreiterinnenrolle geriet Clarke nach ihrem Tod in Vergessenheit. Eine stetige
wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Clarkes Werk seit den späten 1970er Jahren hat zu
zahlreichen Veröffentlichungen von wissenschaftlichen Schriften geführt, die in dieser Arbeit
herangezogen werden.
Abstract:
Rebecca Clarke: Female Composer in Transition
This master thesis deals with the life and work of the British composer and violist Rebecca
Clarke (1886-1979). It investigates the question of why Clarke as a renowned composer never
set an orchestral work to music, although many indicators spoke of the condition of her
compositional skills. Notes with regard to her skills can be found not only in her memoirs, but
also in its many high quality pieces. The causes of a missing orchestral work in Clarke's work
are subject of this work and, inter alia, due to the fact that her creative work was socially
withdrawn as a woman, she lacked sufficient financial support and two world wars, including
their economic consequences overshadowed her creative period. In this work the concept of
English Musical Renaissance also gets explained and Rebecca Clarke's connection to it, as
well as her benefits out of it. A comparison of the contemporaries Ethel Smyth and Rebecca
Clarke intended to provide an insight into the realities of composers during the English
Musical Renaissance. Despite its pioneering role Clarke ran after her death into oblivion. A
steady academic debate Clarkes work since the late 1970s has led to numerous publications of
scientific papers, which are used in this work.
Danksagung:
Ich möchte mich bei meiner Betreuerin Christa Brüstle für die motivierenden Worte und die
hilfreichen Anregungen bedanken, die es mir ermöglichten in einer sehr chaotischen Zeit
diese Arbeit fertig zu stellen. Sie waren immer da für mich wenn ich Fragen hatte. Danke.
Ich möchte mich bei meiner lieben Freundin Anna bedanken, die mir nicht nur mit Rat und
Tat zu Seite stand, sondern auch durch viele fachliche Diskussionen neue Perspektiven
aufzeigte.
Weiters möchte ich mich auch bei meinem Lebenspartner Manuel bedanken, der mir nicht nur
den Raum und viele hilfreiche computerbezogene Tipps gab, sondern viel Verständnis
aufbrachte durch mein letztes Mastersemester hindurch. Danke, dass du mir gezeigt hast, wie
man in einer sehr chaotischen Lebensphase die eigenen Energien einteilt um Ruhe zu
bewaren. Der frische Kaffeeduft jeden Morgen war mein Antrieb in einen neuen Tag.
1 Einleitung
Ausgehend von der Kriegserklärung Deutschlands an Frankreich 1870 veränderte sich das
politische und wirtschaftliche Gefüge in ganz Europa. Eine Nationalisierung der einzelnen
Staaten, allen voran Deutschland, machte sich in Europa breit. Die politische Verbindung
Englands mit Deutschland durch die Heirat zwischen der englischen Königin Viktoria und
dem deutschen Prinzen Albert von Sachsen-Coburg und Gotha endete spätestens mit
Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Bis dahin galt Deutschland (vor allem Leipzig und
München) als musikalisches und kulturelles Zentrum. Viele MusikerInnen, vor allem aus dem
englischen Sprachraum, brachten daher deutsche Traditionen ins Heimatland. Auch
MusikerInnen aus Deutschland fanden aufgrund ihrer angesehenen Ausbildung sehr einfach
Anstellungen in englischen Orchestern. Eine „Verdeutschung“ Englands führte soweit, dass
Deutschland behauptete, England wäre ein „Land ohne (eigene) Musik“. Um diesem
Vorurteil ein Ende zu bereiten, fanden in England große Anstrengungen statt, um das eigene
Land Deutschland, Frankreich und ganz Europa gegenüber wettbewerbsfähig zu machen und
die Hauptstadt London als weiteres musikalisches und kulturelles Zentrum mit eigener,
nationaler Musik zu etablieren. Henry Cole und George Grove waren treibende Kräfte und
gründeten in enger Zusammenarbeit mit dem Königshaus im Zuge der Aufarbeitung der
englischen Musikgeschichte die RAM (Royal Academy of Music) und das RCM (Royal
College of Music) in London. Hier wurden erstmals englische MusikerInnen und
KomponistInnen ausgebildet.
Durch die industrielle Revolution und den Aufschwung der Mittelschicht war ab Mitte des 19.
Jahrhunderts mehreren Menschen der Zugang zu Bildung möglich. Die Ausbildung fand unter
der Herrschaft Königin Viktorias unter einer sozial ungleichen Gewichtung der Geschlechter
statt. Buben und Mädchen wurden getrennt voneinander unterrichtet und auch inhaltliche
Unterschiede im geschlechtsspezifischen Lehrplan bestanden. Auch innerhalb der Familie
wurden Buben und Mädchen unterschiedlich erzogen. Da Frauen als Ehefrauen für einen
reibungslosen Ablauf des Familienalltags zu sorgen hatten und ein beruflicher Werdegang
gesellschaftlich nicht akzeptiert wurde, wurde die Ausbildung von Mädchen intellektuell und
fachlich weniger anspruchsvoll gestaltet und in der Folge schlechter bewertet als die von
1
Buben. Für die Frau galt die Ehe und Mutterschaft als Ziel ihres Daseins.1 Trotz all der
gesellschaftlichen Hindernisse gab es Frauen (im Falle der vorliegenden Arbeit liegt die
Konzentration auf Musikerinnen und Komponistinnen), die sich gegen das herrschende
Gesellschaftssystem kämpferisch in der Öffentlichkeit zeigten (wie z.B. die in dieser Arbeit
vorgestellte Ethel Smyth), aber auch solche, die ein zurückgezogenes Leben bevorzugten und
sich subtiler den Herrschaftsstrukturen durch ihr musikalisches Schaffen widersetzten. Solch
eine Frau war Rebecca Clarke, die im Zentrum dieser Arbeit steht.
Clarke war die erste Studentin der berühmten Kompositionsklasse Sir Charles Stanfords am
RCM, in die sie 1907 aufgenommen wurde. Clarke eignete sich dort den Brahms-Stil als
kompositorische Grundlage an und die stete Pflege und Beachtung des englischen Erbes der
Folklore, dem sie ihr ganzes kompositorisches Schaffen treu blieb. Clarke feierte bereits in
ihren Studienjahren am RCM erste kompositorische Erfolge mit einer einsätzigen Sonate für
Violine und Klavier und dem Stück Danse Bizarre für zwei Violinen. Nach ihrer Studienzeit
nahm Rebecca Clarke 1919 (Cellosonate) und 1921 (Klaviertrio) am Berkshire
Kompositionswettbewerb in den USA teil und erlangte zweimal den zweiten Platz. Die
Reaktion auf die Tatsache, dass der zweite Platz von einer Frau erreicht wurde, teilte
Elisabeth
Sprague
Coolidge
–
Gönnerin
Clarkes
und
Gründerin
der
Kompositionswettbewerbe – Clarke mit den Worten mit: „Sie hätten ihre Gesichter sehen
sollen als sie sahen, dass es von einer Frau stammte!“2 Mit diesen beiden Stücken betrat
Rebecca Clarke das Terrain größerer, komplexerer musikalischer Formen (dreisätzige
Sonatenform). Ein Vorurteil Frauen gegenüber war jedoch, dass sie geistig nicht in der Lage
wären, komplexe Musiken zu vertonen. Clarke und viele andere widerlegten dieses Vorurteil.
Um die Jahrhundertwende und im Zuge des Ersten Weltkrieges begannen sich Frauen immer
mehr zu emanzipieren und sich für ihre Rechte einzusetzen. Auch diesen Strömungen
(Women‘s Social and Political Union – „Suffragetten“) wird in dieser Arbeit Raum gegeben,
da sie im unmittelbaren Zusammenhang mit Clarkes Möglichkeiten und Grenzen standen.
Clarkes Geschichte zeigt auf, wie schwer es Frauen gefallen sein musste, sich in einer
patriarchal dominierten Gesellschaft durchzusetzen, noch dazu in einer Berufssparte ohne
fixes Einkommen. Diese gesellschaftlichen, ungleichen Bedingungen in der damaligen Zeit
für Frauen und Männer, aber auch der Wandel, in dem sich Frauen in der englischen
1
Vgl. Kohnen, Daniela, Rebecca Clarke, Komponistin und Bratschistin, in: Deutsche
Hochschulschriften, Nr. 1157, Verlag Dr. Markus Hänsel-Hohenhausen, Egelsbach1999, S. 13.
2
Johnson, Christopher: Introduction to the Trio for piano, violin and cello by Rebecca Clarke. Da capo
Press New York 1980.
2
Gesellschaft bewegten, werden im 2. und 3. Kapitel der vorliegenden Arbeit anhand Rebecca
Clarkes Leben, Werk und Arbeitsbereiche sowie der damaligen gesellschaftlichen
Möglichkeiten von Frauen vorgestellt. Um einen Einblick in die Situationen ihrer
Zeitgenossinnen zu gewähren, werden die Biographie und das Werk von Ethel Smyth im 3.
Kapitel in Augenschein genommen. Ein Überblick über einige musikalische Beispiele Clarkes
wird im 4. Kapitel gegeben, analysiert und besprochen. Es werden des Weiteren Clarkes
Vorbilder und Einflüsse gestreift.
Rebecca Clarke, die neben ihrem Komponistinnendasein hauptsächlich Bratschistin war, war
eine der ersten sechs Frauen, die eine feste Anstellung im Londoner Queen‘s Hall Orchestra
1912 erhielt. Ihre Karriere als Bratschistin wird in der vorliegenden Arbeit nur zweitrangig
erörtert, da ihr Schaffen als Komponistin im Vordergrund steht.
Die vielen Lieder Clarkes, die neben ihren bekannteren Instrumentalwerken den Hauptteil
ihres Schaffens ausmachen und in dieser Arbeit hauptsächlich betrachtet werden, sind
teilweise in Vergessenheit geraten. Die Ursache liegt nicht nur bei Rebecca Clarke selbst,
auch die rechtliche Situation der Verwaltung ihres Nachlasses spielt hier eine große Rolle.
Den Kern dieser Arbeit stellt das sechste Kapitel dar. Da Rebecca Clarke, die als Komponistin
und Bratschistin eine gesellschaftliche Außenseiterinnenrolle einnahm, keine größeren Werke
komponierte, stellt sich die Frage, welches Werk sie komponiert hätte, wäre ihr Leben anders
verlaufen. Der Frage, ob Rebecca Clarke ein Produkt der English Musical Renaissance ist,
wird ebenso nachgegangen wie der Frage, ob ihr dies den Weg für eine internationale Karriere
als Bratschistin und Komponistin verstellt oder geebnet hat.
Um diesen Fragestellungen nachzugehen, wird auf Publikationen von vielen, vor allem in der
Genderforschung tätigen Musikwissenschafterinnen, allen voran von Dr. Liane Curtis (A
Rebecca Clarke reader, A Case of Identity: Rescuing Rebecca Clarke, Clarinet and Viola
Featured in Rebecca Clarke's 1941 Duett), aber auch Daniela Kohnen, Bryony Jones oder
Deborah Stein Bezug genommen, sowie auf die Dissertation von Marin Ruth Tollefson
Jacobson Stylistic development in the choral music of Rebecca Clarke, oder das Lexikon
Musik und Gender, herausgegeben von Annette Kreutziger-Herr und Melanie Unseld. Weiters
wurden
Informationen
von
der
Website
http://mugi.hfmt-hamburg.de/
sowie
http://www.rebeccaclarke.org/ herangezogen.
3
2 Leben und Werk der Bratschistin und
Komponistin Rebecca Clarke
Rebecca Clarkes Leben erscheint wie eine von einem Schleier überzogene Geschichte, die nur
durch Zufall am Ende ihres Lebens enthüllt wurde. Der New Yorker Journalist und
Radiosprecher Robert Sherman wurde im Jahre 1976 auf Rebecca Clarke durch die
Buchautorin Marian C. McKenna aufmerksam. McKenna schrieb damals an einem Buch (A
Portrait, Myra Hess) über die grandiose und sehr bekannte britische Pianistin Myra Hess und
war bei Sherman im Radio zu Gast, um über ihr Buch zu sprechen. Bei Recherchearbeiten in
England, erzählte McKenna,wurde sie von jemandem auf Rebecca Clarkes Bekanntschaft mit
der schon verstorbenen Pianistin aufmerksam gemacht. Im persönlichen Gespräch mit
Rebecca Clarke wurde McKenna klar, dass sie nicht nur eine professionelle Musikerkollegin,
sondern auch eine Freundin aus den ersten Studienjahren von der sehr bekannten britischen
Pianistin war. Sherman wollte nun Hess in einer Radiosendung ehren und Rebecca Clarke als
Zeitzeugin zu diesem Thema interviewen. Im Laufe dieses Gesprächs wurde Sherman
bewusst, dass Rebecca Clarke nicht nur eine sehr geachtete Bratschistin und Kollegin Hess‘
war, sondern auch eine international bekannte und geehrte Komponistin der damaligen Zeit.
Nachdem Sherman ein Konzertprogramm, in dem Hess und Clarke gemeinsam musizierten,
sah und ausschließlich Stücke von Rebecca Clarke präsentiert wurden, wurde ihm klar, dass
er es hier mit einer Frau von Weltrang zu tun hatte. Daraufhin wollte er Clarke ein zweites
Mal, aber nun zu ihrem 90. Geburtstag interviewen und ihr eine weitere Radiosendung
widmen. Abermals wurde das Interview in der Wohnung von Rebecca Clarke in New York
aufgenommen, da es der 90-jährigen Rebecca Clarke zu anstrengend gewesen wäre, ins
Radiostudio zu kommen. Das Interview zu Ehren Rebecca Clarkes 90. Geburtstag wurde am
30. August 1976 auf Radio WQRX im Programm „The Listening Room“ ausgestrahlt.3 Die
Sendung beinhaltete ebenfalls eine Präsentation verschiedener KünstlerInnen von Werken
von Clarke: Die Sonate für Bratsche, das Klaviertrio und die drei Lieder Shy one,The Seal
Man und June Twilight. Seit dem ersten Interview im Februar 1976 standen Clarke und
Sherman im regen Briefkontakt. Clarke teilte Sherman zum einen den Istzustand bezüglich
3
Vgl. Cutis, Liane: A Rebecca Clarke Reader, The Rebecca Clarke Society, Inc., Brandeis University
2004, S. 170.
4
der Beschaffung von Kopien ihrer eigenen, vergriffenen Werke mit, und zum anderen
bedankte sie sich bei Sherman für seinen Einsatz, ihr ein zwar kleines, aber schönes Revival
im Radio ermöglicht zu haben. In einem im Mai 1976 verfassten Brief an Sherman schreibt
Clarke: „Your notes speak of thanking me for’ all my splendid help’, that is all wrong; it is I
who should be thanking you for all you are doing! I appreciate it very much.“4 Durch
Shermans Sendung im Radio und der künstlerischen Darbietung Clarkes Werken wurden
viele junge Menschen, vor allem Studierende und MusikerInnen, auf Clarkes Musik
aufmerksam. Ein Anstieg der Nachfrage nach Rebecca Clarkes Kompositionen wurde
bemerkbar. MusikerInnen brachten große Begeisterung für Clarkes Musik auf. Der miserable
Zustand der Zugänglichkeit ihrer Werke und die Qualität und Aussagekraft ihrer
veröffentlichten Kompositionen machte MusikerInnen und MusikwissenschafterInnen
neugierig darauf, mehr über ihr Leben und Werk zu erfahren und dem Grund nachzugehen,
warum so wenig Information zu verschiedensten Musikerinnen und Komponistinnen
vorhanden ist.
2.1 Biographie
Rebecca Clarkes Vater Joseph Thacher Clarke (1856-1920) war US-Amerikaner aus Boston
und kam als Vertreter der Firma Eastman Kodak Company nach Europa. Auf diesem Wege
lernten sich Rebeccas Eltern in Deutschland kennen. Agnes Helferich (1861-1935), Rebeccas
Mutter, war die Tochter des Professors Hans Helferich, der in München die Professur für
Wirtschaftspolitik innehatte. Die Hochzeit von Joseph und Agnes fand 1885 in München statt.
Als Joseph Clarke in London eine Tochterfirma von Eastman Kodak Company in Betrieb
nehmen sollte, übersiedelte das jungvermählte Paar dorthin. Rebecca wurde als erste von vier
Kindern am 27. August 1886 in der Kleinstadt Harrow/Middlesex geboren. Ihre Geschwister
hießen Hans (1887-1972), Eric (1890-1968) und Dora (1895-1989). Die Familie Clarke führte
ein typisches Leben einer gehobenen Mittelstandsfamilie in einem Londoner Vorort.
Rebeccas Eltern führten eine sehr konservative und dem viktorianischen Zeitalter5
entsprechende Ehe, wobei Joseph das alleinherrschende Familienoberhaupt darstellte. In
einem Interview mit der Musikologin Ellen D. Lerner erzählte Clarke, wie strikt ihr Vater zu
4
Curtis, Liane (Hg.):A Rebecca Clarke Reader, The Rebecca Clarke Society, Inc., Indiana University
Press 2004, S.170.
5
Das Viktorianische Zeitalter beschreibt die regierenden Jahre der Königin Viktorias (1837-1901) des
Vereinigten Königreichs Großbritannien und Irland.
5
den Kindern gewesen sei, und auch in Daniela Kohnens Biographie Rebecca Clarke,
Bratschistin und Komponistin ist ersichtlich, welch harte und brutale Erziehungsmethoden ihr
Vater an den vier Kindern anwendete. Ganz nach dem Zeitbild viktorianischer
Kindererziehung war körperliche Züchtigung nach Nichterfüllung von Aufgaben oder
Fehlverhalten eine vorzufindende Praxis. Der damalige Zeitgeist besagte, dass Kinder ihre
Väter dazu „zwangen“ solch harte Bestrafungen anzuwenden und Väter lediglich Ausübende
von Behandlungsformen seien. So wurden alle vier Kinder der Familie Clarke regelmäßig
brutal geschlagen. Die Mutter Agnes musste vor der Türe des Elternschlafzimmers stehen
bleiben und konnte das Geschehen nur weinend abwarten. Spricht Rebecca Clarke in ihren
Interviews aus den späten 1970er Jahren stehts sehr wohlwollend über ihre Mutter, kommt die
Härte und Kälte ihres Vaters immer wieder zum Vorschein. Aus der Biographie Daniela
Kohnens ist zu entnehmen, dass Rebecca Clarke ihr ganzes Leben mit dem Liebesentzug
seitens ihres Vaters zu kämpfen hatte. Joseph Clarke hat nicht nur seine Kinder erniedrigt und
gedemütigt, sondern auch seine eigene Frau. Schon kurz nach der Hochzeit hatte Joseph
Affären mit anderen Frauen. Er gab diese auch in der Öffentlihckeit preis brachteeines Tages
eine dieser Frauen in einem Flügel des Familienhauses unter. Agnes hatte sich ihrem Mann
voll und ganz untergeordnet und all diese Erniedrigungen über sich ergehen lassen. Ihr jedoch
ist es zu verdanken, dass ihre vier Kinder immer einen guten Kontakt zueinander hatten, auch
über Kontinente hinweg. Agnes sorgte dafür, dass ein intaktes Familienleben gelebt wurde
und ein Zusammenhalt bestand. Neben all den grauenhaften Dingen, die Joseph seiner
Familie angetan hatte, war er die Person, die Rebecca Clarke Zugang zur Musik ermöglichte,
zunächst jedoch nur als Zuhörerin. In einem weiteren Interview, mit Nancy Usher (A Rebecca
Clarke Reader), erzählt Clarke, dass ihr jüngerer Bruder Hans die Erlaubnis bekam,
Geigenunterricht zu nehmen. Rebecca durfte jedoch nur zuhören im Unterricht ihres Bruders.
Nach einiger Zeit, da Rebecca sehr aufnahmefähig war, war sie jedoch viel besser auf der
Geige als er selbst, und somit wurde auch ihr der Unterricht auf der Geige gestattet. Rebecca
Clarke
wurde,
trotz
des
Status
der
Ältesten
unter
vier
Geschwistern,
immer
Verantwortungsbewusstsein abgesprochen, da der damalige Zeitgeist Jungen erwachsener
erscheinen ließ als Mädchen, unabhängig ihres Alters. Diese Herabwürdigung wurde mit
einem Spitznamen „Beccle“ verstärkt, während ihr jüngerer Bruder Hans im Gegensatz nie
einen verniedlichenden Spitznamen bekam.
Joseph Clarke war ein begeisteter, wenn auch nur mittelmäßiger Amateurcellist und
Liebhaber von Kammermusik. Die ganze Familie musste, da es der viktorianischen
6
Lebensweise entsprach, mit ihm musizieren. Agnes musste bei Quartetten oft der Bratsche
spielen, obwohl sie Klavierspielen gelernt hatte und vor allem das Primavista-Spiel gut
beherrschte. Auch hier gehorchte sie ihrem Mann ohne Widerrede. Rebecca empfand die
gemeinsame Hausmusik unter der Leitung ihres Vaters wie folgt: „Wir wurden konfrontiert
mit einigen der sogenannten ‘leichten‘ Haydnquartette (was ist eigentlich noch schwerer, als
ein simples Haydnquartett gut zu spielen?). Es muß schrecklich geklungen haben. Ich war die
erste Geige, Hans die zweite, und Mama tappte auf der Bratsche herum, ich bezweifle, daß sie
schon jemals eine zuvor in der Hand gehalten hatte, aber wahrscheinlich hatte Papa ihr
einfach eine in die Hand gedrückt und befohlen zu spielen. Er selbst zeigte sich ganz in seiner
Herrlichkeit, schnaufte und grunzte über die hohen Noten in seinem Cellopart und sage uns,
was wir zu tun hatten.“6
Rebeccas musikalisches Talent und ihr Interesse für Musik hatte bei Hauskonzerten für
Freunde der Familie einen, für ihren Vater, großen Vorzeigeeffekt und machte ihm große
Freude. Aus diesem Grund (wahrscheinlich) nahm Joseph seine Tochter Rebecca in
klassische Konzerte mit. London hatte sich in dieser Zeit zu einer der blühendsten
Musikmetropolen Europas etabliert, und Rebecca Clarke kam sehr früh mit Musik von
hochrangigen MusikerInnen in Berührung. Dies prägte Rebeccas musikalische Persönlichkeit
von Kindesbeinen an. Literatur von Joseph Hadyn, vor allem ein Trio aus einem seiner
Quartette, oder Lieder für Singstimme, Viola und Klavier von Johannes Brahms
beeindruckten sie sehr. Vor allem aber der Klang der Viola blieb nachhaltig in ihrer
Erinnerung und beeinflusste Clarke in ihren späteren Studienjahren stark. Ein krönendes
Erlebnis für die vierzehnjährige Rebecca war der Besuch der Weltausstellung in Paris im Jahr
1900 gemeinsam mit ihrem Vater. Dieser reiste, mit Rebecca in Begleitung, als Vertreter der
Eastman Kodak Company dorthin, um am künstlerischen und technischen Puls der Zeit zu
bleiben. Zur Jahrhundertwende machte sich ein Trend bemerkbar, der sich vor allem mit fern
-östlicher Musik und Kultur auseinandersetzte. Eines der prägendsten klanglichen Erlebnisse
für Rebecca war das im Zuge der Weltausstellung stattfindende Konzert eines Javanesischen
Gamelan-Orchesters. Sie konnte sich für diese Musiksprache sehr begeistern, und in einigen
ihrer Werke nutzte sie diese Tonsprache (Chinese Puzzle, oder 2. Satz der Violonsonate).
Nach der Parisreise fasste Rebecca Clarke den Entschluss, sich auf ein Studium der Violine
an der Royal Academy of Music ernsthaft vorzubereiten. 1902 wurde sie dann an der RAM
6
Johnson, Christopher, Introduction to the Trio for piano, violin and cello by Rebecca Clarke. Da capo
Press New York 1980.
7
mit sechzehn Jahren aufgenommen und kam in die Klasse des österreichischen
Geigenpädagogen Hans Wessely. In seiner Klasse hatte auch Lionel Tertis, Clarkes späterer
privater Bratschenlehrer studiert. Dieser schreibt über Wessely: „Professor Wessely war ein
guter Geiger, ein klassischer Spieler, eher kalt, aber mit gutem technischen Können
ausgestattet. Er war diktatorisch, mit der Neigung zum Eingebildetsein, und als Lehrer eher
streng. Er unterrichtete gut bis auf den Punkt, jedoch nur bis auf den Punkt, denn die
wichtigsten Kniffe der Materie behielt er eifersüchtig für sich selbst.“7 Trotz seines Drills und
seiner strikten Unterrichtsmethode kam Clarke gut mit ihm zurecht. Clarke spielte im
Akademieorchester zweite Geige unter der Leitung von Alexander Mackenzie, der zu dieser
Zeit auch Direktor der RAM war. In dieser Zeit an der RAM lernte Clarke die Pianistin Myra
Hess kennen, die zuvor erwähnt wurde. Ein weiterer Kommilitone Clarkes war der
Komponist Arnold Bax (1883-1953), dem Clarke noch einige Male in ihrem Leben begegnen
würde. Es zeigte sich sehr früh, dass Clarke sich inmitten der aufstrebenden MusikerInnen
und KomponistInnen bewegte und dies sie in ihren ersten Studienjahren stark beeinflusste.
Als Nebenfach zur Violine belegte Clarke Harmonielehre und Kontrapunkt bei Percy Hilder
Miles. Er war ein Freund ihres Vaters, und als Miles der sehr attraktiven 16-jährigen Rebecca
einen Heiratsantrag machte, nahm er seine Tochter wieder von der RAM und beendete ihr
Violonstudium unmittelbar. Das traf Rebecca Clarke hart. Ein Leben von künstlerischer Fülle,
Austausch und musikalischer Zukunft fand sich nun in einem tristen, vom Vater
tyrannisierten Elternhaus wieder. Die Zeit an der RAM hatte sie sehr inspiriert und diese
musikalischen Einflüsse setzte sie in den drei Jahren im Elternhaus in Form von Liedern in
Musik um. Es ist bekannt, dass Rebecca schon 1903 ihr erstes Lied, während ihrer Zeit an der
RAM, schrieb. Diese Zeit war sehr intensiv für Rebecca Clarke, und viele Jahre später
verglich sie die Momente des Schaffens mit dem Gefühl, das sie beim Liebesakt hatte.8 In ihr
reifte der Gedanke heran, anstatt Musik zu interpretieren, Musik kreieren zu wollen und dies
als Beruf auszuüben. Joseph Clarke war natürlich gegen das Berufsziel seiner Tochter und um
ihr alle Hoffnungen zu nehmen, schickte er dem Kompositionslehrer dieser Zeit, Sir Charles
Stanford, einem Bekannten Clarkes, einige der Werke, die Rebecca zwischen 1903 und 1907
komponierte. Standford war eine der einflussreichsten Gestalten im nationalen Musikleben
7
Tertis, Lionel: My Viola and I, Kahn & Averill, London 1991, S.15.
Vgl.Kohnen, Daniela: Rebecca Clarke, Komponistin und Bratschistin, in: Deutsche
Hochschulschriften Nr. 1157, Dr. Markus Hänsel-Hohenhausen (Hg.), Egelsbach, 1999, S. 26.
8
8
und hatte die Professur für Komposition am Royal College of Music inne. Clarke erwartete
sich ein hartes, vernichtendes Urteil, um seiner Tochter alle Hoffnungen zu zerschlagen.
Joseph Clarke und viele andere Männer dieser Zeit meinten, eine intellektuelle Bildung, in
diesem Fall ein Kompositionsstudium, wäre für eine junge Frau schädlich. Weiters war der
allgemeine gesellschaftliche Konsens vorherrschend, dass, wenn junge Frauen mit Männern
auf wissenschaftlicher Ebene konkurrierten, geistige Zusammenbrüche der Frauen die Folge
wären. Der Psychologe Henry Maudsely schrieb zu diesem Thema 1879: „Girls are more
liable to suffer at this period, I think, than youths; and it is not difficult to understand why. In
the first place, the affective life is more developed in proportion to the intellect in the female
than in the male sex, and the influence of the reproductive organs upon the mind more
powerful; secondly, the range of activity of women is so limited, and their available paths of
work in life so few, compared with those which men have in the present social arrangements,
that they have not, like men, vicarious outlets for feelings in a variety of healthy aims and
pursuits; [...]“9
Zu Joseph Clarkes Verwunderung zeigte sich Stanford jedoch auf die Zusendung der Werke,
ausschließlich Lieder, sehr interessiert. Stanford bot Clarke nun an, seine Tochter in die
berühmte Kompositionsklasse am RCM aufzunehmen, um zu sehen, ob sie sich durch seinen
Unterricht verbessern und weiterentwickeln würde. Nun hatte Joseph Clarke keine Mittel
mehr, Rebecca dieses Vorhaben auszureden. Rebecca Clarke war zwar nicht die erste Frau,
die in England an einer Universität Komposition studierte, doch war sie die erste Studentin
von Charles Stanford, wodurch sie sich sehr geehrt fühlte.
Im
Herbst
1907
begann
Rebecca
Clarke
mit
dem
Kompositionsstudium bei Charles Stanford und Fuge und
Kontrapunkt bei Sir Frederick Bridge. Clarke verzeichnet die
folgenden Jahre als sehr glückliche und bereichernde. Sie war sehr
strebsam und empfand den einmal pro Woche stattfindenden
Unterricht bei Stanford als Höhepunkt. Stanford, der als „father of
modern British music“ bezeichnet wurde, beeinflusste nicht nur
Rebecca Clarke maßgeblich, sondern eine ganze aufstrebende
KomponistInnengeneration, darunter Vaughan Williams, Gustav
9
Maudsley, H.: The Pathology of Mind. London: Macmillien 1879, in: Showalter, E.: The female
malady, Pantheon Books, New York 1985, S.130.
9
Holst, John Ireland, Frank Bridge, Arthur Bliss, Charles Wood. Auch Clarkes späterer
Ehemann James Friskin hatte in der Kompositionsklasse Stanfords studiert.
Rebecca Clarke kam in ihren ersten Studienjahren mit der Tonsprache Debussys und Ravels
in Berührung, was ihre eigene Tonsprache erweiterte. Benutzte sie zuvor eine spätromantische
Klangsprache, bereicherte sie diese mit impressionistischen Elementen mit nichtfunktionsgebundenen Harmonien (Sept-, Nonakkorde und Akkorde mit hinzugefügter Sext
ohne Auflösungstendenz) sowie Quint- und Dreiklangsparallelen. Für Clarke stand ein
klangfarblicher Ausdruck des poetisch musikalischen Gedankens näher als tonalen
Funktionen und deren Normen zu folgen. Atmosphäre, Ausdruckskraft und sehr diffizile
Stimmungen durchzogen ihr Schaffen schon nach kurzer Zeit im Studium. Dafür nutzte sie
Dissonanzen und Akkorde in der Gestalt von Akkordparallelen oder baute Tritoni und
übermäßige Akkorde ein, um Sekundreibungen und Verwischung von Tonartengeschlechtern
zu erreichen. Neben dem Bezugssystem der Diatonik beherrschte Clarkes Schaffen auch:
Pentatonik, Chromatik, Ganztonleitern und Kirchentonarten. Wie in der Einleitung erwähnt
lehrte Stanford Clarke sowie allen anderen Studierenden den Brahms-Stil und wirkte als
starkes Vorbild der Pflege und Beachtung des englischen musikalischen Erbes von Folklore.
Dieses nationale Bewusstsein und die Verbindung englischer Wurzeln mit modernem
Zeitgeist ist der Generation Stanfords zu verdanken. Rebecca Clarke feierte rasch
kompositorische Erfolge am RCM und konnte sich durch Geldpreise Teile ihrer Ausbildung,
die immense Höhen betrugen, selbst bezahlen. Dies waren eine einsätzige Sonate für
Violineund Klavier und das Stück Danse bizarre für zwei Violinen. Joseph Clarke, der nach
wie vor gegen den Berufswunsch seiner Tochter war, verweigerte ihr im Jahre 1910 weitere
finanzielle Unterstützung, woraufhin Rebecca sich für immer von ihrem Vater abwandte.
Rebecca war nun finanziell auf sich selbst gestellt. Durch die Hilfe des Direktors des RCM,
Sir Hubert
Parry (1848-1918),
war es
Rebecca Clarke
möglich,
ihr Studium
weiterzuverfolgen. Ob sie ihr Studium 1910 abschloss oder abbrach, konnte bis heute nicht
belegt werden.
Rebecca Clarke war eine sehr kontaktfreudige und humorvolle Person, und sie war mit
anderen KommilitonInnen gut vernetzt. Während des Studiums war sie Mitglied eines
Amteurgesangsvereins, der sich „Palestrina Society Choir“ nannte. Dieser Verein wurde von
verschiedenen KomponistInnen genutzt (darunter wahrscheinlich auch Rebecca Clarke), um
neue Chor- und Gesangskompositionen auszuprobieren. Darüberhinaus stand Clarke in
Kontakt mit der „Society of Women Musicians“ und machte sich als mittlerweile sattelfeste
10
Bratschistin einen Namen.10 Mit diesen Kontakten konnte sie sich als Bratschistin über
Wasser halten und sogar ein Zimmer in London bezahlen. Zunächst spielte sie jeden Sonntag
in einer Theosophischen Kirche, später hatte sie zeitlich begrenzte Anstellungen in
verschiedenen kleineren Ensembles und Orchestern im Umkreis von London und sogar
Soloauftritte. Das erste namhafte Ensemble, dem Clarke, mit Empfehlung von Sir Charles
Stanford, nach Beendigung ihres Studiums beitrat, war das nur aus Frauen bestehende
„Clench Streichquartett“. Ihre Kolleginnen waren Norah Clench und Lucy Stone (Violinen)
sowie May Mukle (Cello), alles Musikerinnen mit internationalem Rang. Das Ensemble war
bekannt für Interpretationen zeitgenössischer Werke, wie zum Beispiel Max Regers
Streichquartett in d- Moll in der englischen Erstaufführung, oder Cyril Scotts Streichquartett
op. 28.11
1912 bekam Clarke, als eine der ersten Frauen eine feste Anstellung in dem von Sir Henry
Wood geleiteten „Queen´s Hall Orchester“ in London, die sie zwei Jahre innehatte. Auch hier
war Rebecca Clarke u.a. mit neuesten Komposititonen aus dem In- und Ausland konfrontiert.
Als sich das „Clench Quartett“ auflöste, gründete und leitete Rebecca Clarke „The English
Ensemble“ mit den Musikerinnen May Mukle, Marjorie Hayward (Violine) und der Pianistin
Kathleen Long (Piano), und sie feierten bald internationale Erfolge. Ab 1914 spielte Clarke
auch im „Pro Musica String Quartet“ mit Jelly d´Aranyi und Adila Fachiri an den Geigen und
der portugisischen Cellistin Guilhermina Suggia. Clarke gehörte bald zu den gefragtesten
Musikerinnen in England.
Viele ihrer weltweit verstreuten Kontakte verdankt Rebecca Clarke dem musikliebenden
Ehepaar Paul und Muriel Draper, die 1911 von Italien nach England emigrierten und durch
Glücksspiel recht bald zu großen Reichtum kamen. Mit dem Geld errichteten sie sich ein
Studio
im
Eigenheim,
wo
regelmäßig
international
hochrangige
MusikerInnen
zusammentrafen, um sich auszutauschen und gemeinsam zu musizieren, darunter auch
Rebecca Clarke. Clarkes Bekanntheitskreis wurde immer größer, und viele KomponistInnen
baten sie, ihre Neukompositionen zu spielen und uraufzuführen. Darunter waren Vaughan
Williams, Maurice Ravel, Gustav Holst, Ethel Smyth, Frank Bridge, Arnold Bax, William
Walton und Percy Grainger. In diesen Jahren komponiert Rebecca Clarke sichtlich weniger,
10
Standford riet Clarke auf die Viola zu wechseln und im Hochschulorchester zu spielen, da man
seiner Meinung nach von dieser Position gut das jeweilige Werk samt seinen Verläufen gut
beobachten kann. Lionel Tertis, der damalige Pionier in der Etablierung der Bratsche war Clarkes
Privatlehrer ab 1910. Tertis nahm später Werke Clarks in sein Konzertprogramm auf.
11
http://mugi.hfmt-hamburg.de/artikel/May_Mukle (26.01.2016)
11
doch hat sie großen Erfolg in Konzerten und mit der Herausgabe zweier 1912 komponierten
Lieder Shy One und Clothes of Heaven.
1916 startete Clarke mit ihrer Kollegin May Mukle eine Amerika-Konzertreise, die eine
Saison dauern sollte, doch für Clarke im Endeffekt vier Jahre dauerte. Auf ihrer Reise lernte
Clarke im Sommer 1917 Elisabeth Sprague Coolidge (1864-1953), eine bedeutende
Musikmäzenin, kennen. Durch diese Begegnung fand Rebecca Clarke, die Jahre davor sehr
wenig komponierte, wieder Raum und Energie, sich dem Komponieren zu widmen. Diesmal
wendet sie sich das erste Mal einer größeren Form, der dreisätzigen Sonate, zu. Wie in der
Einleitung erwähnt, gewann Clarke mit diesem Stück den zweiten Platz beim internationalen
Berkshire Kompositionswettbewerb, wozu sie von der Gründerin Coolidge, die Clarkes
kompositorisches Können sehr schätze, angeregt wurde. Die Tatsache, dass das
zweitplatzierte Stück aus der Feder einer Frau stammte, sorgte für Furore und machte Clarke
auf einen Schlag berühmt.
Als Clarkes Vater 1920 in England stirbt, kehrt sie nach zehn Jahren erstmalig wieder nach
Hause zurück und wohnt einige Zeit mit ihrer Mutter und der jüngsten Schwester Dora
zusammen. Clarke war zu dieser Zeit sehr produktiv, und es war ihr sogar möglich, einige
ihrer Werke bei Londoner Verlagen („Winthrop Rogers“, „Cester Music“) zu veröffentlichen.
Das Trio für Violine, Cello und Klavier vom Jahr 1920 etablierte sich neben der Viola Sonate
von 1919 als zweites Hauptwerk in Clarkes Schaffen, und es gewann 1921 abermals den
zweiten Platz bei Coolidges Wettbewerb in Pittsfield, Massachusetts.
1922 entstand The Seal Man, ein Lied für Singstimme und Klavier nach dem Prosatext von
John Masefield, dessen Legende Clarke sehr lieb war, sowie Clarkes erster, von insgesamt
fünf publizierten Artikeln in der Zeitschrift „Music and Letters“ zum Thema The History of
the Viola in Quartet Writing.12
Coolidge, die im ständigen Briefkontakt mit Clarke stand, vergab für das Jahr 1923 zwei
Auftragswerke für ihr Festival in Berkshire, Pittsfield. Eugéne Goossens sollte ein
Streichsextett vertonen und Rebecca Clarke bekam den Auftrag, für Cello und Klavier zu
komponieren. Die Uraufführung, als erstes Auftragswerk der Komponistin, das die Form
einer Rhapsodie bekam, spielten keine anderen als May Mukle und Myra Hess am 29.
September 1923 beim Berkshire Festival. Clarke widmete die Rhapsodie Elisabeth Sprague
Coolidge.
12
Vgl. Kohnen, Daniela: Rebecca Clarke, Komponistin und Bratschistin, in: Deutsche
Hochschulschriften Nr. 1157, hg. von Dr. Hänsel-Hohenhausen, Markus, Egelsbach 1999, S. 74.
12
Ende des Jahres kam Clarke nach England zurück, und zu ihrer Freude beschloss das Komitee
der British Music Society, darunter Frank Bridge, Arnold Bax, Eugéne Goossens, Clarkes
Klaviertrio den Verantwortlichen der Salzburger Festspiele zu unterbreiten. Leider hat das
Festspielgremium Clarkes Werk abgelehnt, doch sie selbst fühlte sich sehr geehrt, als
nationale Vertreterin ausgewählt worden zu sein.13 Darüberhinaus fand ein Portraitkonzert
Rebecca Clarkes 1925 in der Wigmore Hall in London statt, das ihre Anerkennung als
Komponistin festigte. Clarkes, schon in Studienzeiten geknüpfte Kontakte, wie zur „Society
of Women Musicians“, und die Gründung zweier hochrangiger Ensembles, „The English
Ensemble“ und „Pro Musica string quartet“, trugen in den 1930er Jahren Früchte. Clarke
konzertierte nicht nur europaweit mit ihren Ensembles, sie trat auch solistisch auf, für
Aufnahmen der BBC (British Broadcasting Corporation). Clarkes Schaffen weist Mitte der
1920er Jahre eine voranginge Auseinandersetzung mit englisch, irischer Literatur auf. Vor
allem die Arragements zu Three Old English Songs und Three Irish Country Songs zeugen
von Clarkes Heimatbezogenheit und der „English Renaissance“.
Aus Clarkes Biographie geht hervor, dass sie über eine längere Zeitspanne eine Affäre mit
dem verheirateten Bariton John Goss hatte. Diese sehr schwierige Situation, der Tod ihrer
Mutter Agnes Clarke 1935 und der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges lässt darauf schließen,
dass ihr Schaffen von 1930 bis zum Beginn der 1940er Jahre stark darunter litt und ihre
Schaffensenergie bis zu Gänze forderte.
Es sollten zehn Jahre vergehen, bevor Clarke eine weitere Reise nach Amerika antrat. Nach
zwei kurzen Reisen 1934 und 1937 wollte sie auch 1939 für kurze Zeit nach Amerika, doch
der Ausbruch des Krieges zwang sie, in den USA zu bleiben. Im Herbst 1940 fand Clarke
Beschäftigung bei einem New Yorker Radio Sender und 1942 nahm sie aus finanziellen
Nöten und zu wenig bezahlten Engagements als Solistin eine Anstellung als Haushälterin und
Kindermädchen in Conneticut an. Das letzte Stück, mit dem Clarke vor ihrer Eheschließung
mit James Friskin 1944 Erfolg feiern konnte, war eine Suite für Viola und B-Klarinette,
Prelude, Allegro, and Pastorale. Clarke wurde in die Liste der Englischen Gruppe beim
„International Society of Contemporary Music“ in Berkeley (Kalifornien), wie sie sagt, als
13
Diese Ablehnung Clarkes Werk mag auch auf die finanziell schlechte Lage, die Zerstrittenheit
innerhalb der Festspielleitung und dem Nutzungsverbot der Kollegienkirche zurückzuführen sein. Im
Jahre 1924 gab es keinen einzigen musikalischen Betrag im Rahmen der Festspiele. Dies war im
darauffolgenden Festspieljahr jedoch wiedergegeben und kann auf folgender Website nachgesehen
werden: http://www.salzburgerfestspiele.at/geschichte/1924.
13
einzige Frau aufgenommen. Clarke hatte das Werk ursprünglich für ihren Bruder, einen sehr
guten Amateurklarinettisten, geschrieben.
Friskin war ein ehemaliger Kommilitone aus Stanfords Kompositionsklasse am RCM, der an
der Juilliard School in New York unterrichtete. Beide waren zu diesem Zeitpunkt 58 Jahre alt
und konzertierten einige Jahre als Kammermusikduo. Clarke, wie sie selbst in Interviews
erzählte, interessierte sich damals immer stärker für die Arbeit ihres Mannes. Ab 1945 lehrten
beide am „Chautauqua Institute“, der Rebecca Clarke ab 1949 als Präsidentin bevorstand.
Rebecca Clarke erkrankte an Arthritis Ende der 1940er Jahre und musste ihre Konzerttätigkeit
zur Gänze beenden. Zwischen 1946 und 1956 hielt Clarke regelmäßig Konzerteinführungen
und Vorträge über Kammermusik, u.a. am „Chautauqua Institute“ und im „WQXR radio“ in
New York City. Zu diesem Zeitpunkt komponiert Clarke nur mehr wenig, ausschließlich im
privaten Rahmen. 1954 beendet sie ihr letztes Werk, ein Lied mit dem Titel God Made a
Tree.
14
1967 starb James Friskin in New York, mit dem Clarke fast 23 Jahre verheiratet gewesen war.
Als 83jährige Frau begann Clarke ihre Memoiren zu schreiben. Es sollte
vier Jahre dauern, bis das Buch mit dem Titel I had a father too-; or The
Mustard Spoon fertig gestellt wurde. Vor ihrem Tod erlebte Clarke ein
kleines Revival als Komponistin, wie am Beginn dieses Kapitels
besprochen. Sie starb kinderlos im Alter von 93 Jahren am 13. Oktober
1979 in New York.14
14
Vgl. Kohnen, Daniela: Rebecca Clarke, Komponistin und Bratschistin, in: Deutsche
Hochschulschriften Nr. 1157, Dr. Hänsel-Hohenhausen, Markus, (Hg.)Egelsbach 1999. S. 96-97.
15
2.2 Werk
Rebecca Clarkes Werk ist in folgenden Unterkapiteln chronologisch aufgelistet. Es sind
insgesamt 58 Lieder oder Duette mit Klavier- oder Streicherbegleitung, 12 Chorwerke und 28
Instrumentalwerke, davon zwei für Klavier Solo. 15
2.2.1 Lieder
Wird keine Besetzung angegeben kann davon ausgegangen werden, dass es für Singstimme
und Klavier geschrieben wurde.
1. Wandrers Nachtlied, T.: Johann Wolfgang Goethe, evtl. 1903, UA: unbekannt,
unveröffentlicht.
2. Chanson, T.: Maurice Maeterlinck, evtl. 1904, UA: unbekannt, unveröffentlicht.
3. Ah, for the red spring rose, T.: unbekannt, 1904, UA: unbekannt, unveröffentlicht.
4. Shiv, Who Poured the Harvest, T.: Rudyard Kipling (aus dem DschungelbuchShiv and
the Grasshopper), 1904, UA: unbekannt, unveröffentlicht.
5. Aufblick, T.: Richard Dehmel aus Weib und Welt 1896, 1904, UA: unbekannt,
unveröffentlicht.
6. Klage, T.: Richard Dehmel aus Weib und Welt 1896, evtl. 1904, UA: unbekannt,
unveröffentlicht.
7. Stimme im Dunkeln, T.: Richard Dehmel aus Weib und Welt 1896, evtl. 1904, UA:
unbekannt, unveröffentlicht.
8. Welt, T.: unbekannt, evtl. 1904, UA: unbekannt, unveröffentlicht.
9. Oh, Dreaming World, T.: unbekannt (evtl. Arthur O´Shaughnessy 1844-1881), evtl.
1905, UA: unbekannt, unveröffentlicht.
10. Du, T.: Richard Schaukal, 1905, UA: unbekannt, unveröffentlicht.
11. The moving finger writes, T.: Khayyám, aus dem „Rubaiyát“, übers. von Edward
Fitzgerald 1859, evtl. 1905, UA: unbekannt, unveröffentlicht.
15
Vgl. Jones, Bryony: The Music of Rebecca Clarke (1886-1979), Dissertation, Liverpool
2004, S. 248-284, http://www.rebeccaclarke.org (26.01.2016) und http://mugi.hfmthamburg.de/artikel/Rebecca_Clarke (10.10.2015).
16
12. Vor der Türe, für Stimme, Violine und Klavier, T.: unbekannt, evtl. 1905, UA:
unbekannt, unveröffentlicht.
13. Wiegenlied, für Stimme, Violine und Klavier, T.: Detlev von Liliencron, evtl. 1905,
UA: unbekannt, unveröffentlicht.
14. Nach einem Regen, T.: Richard Dehmel aus Weib und Welt 1896, evtl. 1906, UA:
unbekannt, unveröffentlicht.
15. Durch die Nacht, T.: Richard Dehmel aus Weib und Welt 1896, 1906, UA: unbekannt,
unveröffentlicht.
16. Vergissmeinnicht, T.: Richard Dehmel aus Aber die Liebe 1893, April 1907, UA:
unbekannt, unveröffentlicht.
17. Manche Nacht, T.: Richard Dehmel aus Weib und Welt 1896, Juni 1907, UA:
unbekannt, unveröffentlicht.
18. Nacht für Nacht, für 2 Stimmen (Sopran, Contraalt) und Klavier, T.: Richard Dehmel
aus Weib und Welt 1896), August 1907, UA: unbekannt, unveröffentlicht.
19. Magna est veritas, T.: Coventry Patmore aus der Nummer XII im Buch I To the
UnknownEros 1877-78, September 1907, UA: unbekannt, unveröffentlicht.
20. Ah for the red Spring Rose, T.: Pedro Calderón, übers. Edward Fitzgerald, 1907.
21. Das Ideal, T.: Richard Dehmel aus Aber die Liebe 1896, evtl. 1907, UA: unbekannt,
unveröffentlicht.
22. Spirits, für 2 hohe Stimmen und Klavier, T.: Robert Seymour Bridges veröffentlicht in
Shorter Poems, Buch IV, Nr. 18 (Oktober 1890), evtl. 1909, UA: unbekannt,
unveröffentlicht.
23. The Color of Life, T.: Clarke schreibt “Old Chinese Words” auf die Noten, der Text ist
von Ssu-K´ung T´u (AD 834-903), evtl. 1910, UA: unbekannt, unveröffentlicht.
24. Return of spring, T.: Clarke schreibt “Old Chinese Words”, Ssu-K´ung T´u (AD 834903), evtl. 1910, UA: unbekannt, unveröffentlicht.
25. Tears, T.: Clarke schreibt “Chinese words”, Wang Seng-ju, übers. von L. CranmerByng in A Lute of Jade (1911), evtl. 1910, UA: unbekannt, unveröffentlicht.
26. One that is ever kind, T.: William Butler Yeats The folly of being comforted aus In the
Seven Woods (veröffentlicht 1903), evtl. 1911, UA: unbekannt, unveröffentlicht.
17
27. Shy one, T.: William Butler Yeats To an Isle in the Water von Crossways 1889, Für
Gervase Elwes, evtl. 1912, UA: unbekannt, London: Winthrop Rogers, 1920, Boosey
& Hawkes, 1994.
28. The Cloths of Heaven, T.: William Butler Yeats He wishes for the Cloths of Heaven
aus The Wind among the Reeds 1899, Für Gervase Elwes, evtl. 1912, UA: unbekannt,
London: Winthrop Rogers, Boosey& Hawkes, 1920/1995.
29. Weep you no more sad fountains, T.: John Dowland, Für Dora, evtl. 1912, UA:
unbekannt, New York: Oxford University Press, 2002.
30. Away delights, für 2 Stimmen (hoch und mittel) und Klavier, T.: John Fletcher aus The
Captain Akt III, Szene IV, Für Dora, evtl. 1912-13, UA: unbekannt, unveröffentlicht.
31. Hymn to Pan, für Tenor, Bariton und Klavier, T.: John Fletcher The Faithfull
Shepherdess Akt I, Szene I (ca.1608-09), Für Dora, evtl. 1912-13, UA: unbekannt,
unveröffentlicht.
32. Infant joy, T.: William Blake III von Songs of Innocence (1784-85), evtl. 1913, UA:
unbekannt, London: Winthrop Rogers, 1924, London: Boosey & Hawkes, 1994.
33. Down by the salley gardens, T.: William Butler Yeats Crossways 1889, 1. Februar
1919, UA: unbekannt, London, Arragement 1955 für Stimme und Violine, UA:
Version Stimme und Violine, Privat in New York City von Hellen Boatwright
(Sopran)
und
Howard
Boatwright
(Violine)
1955,
Winthrop Rogers, 1924, London: Boosey & Hawkes, 1994, Arr. für Stimme und
Violine, Oxford und New York: Oxford University Press, 2001.
34. Psalm 63, A Psalm of David when he was in the Wilderness of Judah, T.: Bibel,
August 1919 – 29. Dezember 1920, UA: unbekannt, New York: Oxford University
Press, 2002.
35. The Seal Man, T.: John Masefield von A Mainsail Haul (Elkin Mathews, London,
1905), 24. Januar 1922, UA: 11. Juni 1925 von John Goss (Bariton) und Reginald Paul
(Klavier) in Wigmore Hall, London, Winthrop Rogers, 1926, London: Boosey &
Hawkes, 1994.
18
36. Three Old English Songs Arr. für Stimme und Violine: 1. It was a lover and his lass
(Morely), T.: William Shakespeare, 2. Phyllis on the new mown hay, 3. The tailor
andhis mouse, Januar 1924, UA: 26. Mai 1924, Aeolian Hall London von Norman
Notley (Bariton) und Rebecca Clarke (Violine): Winthrop Rogers, 1925, London:
Boosey & Hawkes, 1994.
37. June twilight, T.: John Masefield, Für John Goss, 1. Januar – 7. Februar 1925, UA:
unbekannt, London: Winthrop Rogers, 1926, London: Boosey & Hawkes, 1994.
38. Come, O come, my life's delight, T.: Thomas Campion, Januar 1926, UA: unbekannt,
New York: Oxford University Press, 2002.
39. A dream, T.: William Butler Yeats, 1926, UA: unbekannt, London: Winthrop Rogers,
1928, London: Boosey & Hawkes, 1994.
40. Sleep [Version I u II], für Tenor, Bariton und Klavier, T.: John Fletcher, Für David
Brynley and Norman Notley, evtl. 1926, UA: im Haus von Julian Huxley,
unveröffentlicht.
41. Take, O Take Those Lips Away, T.: John Fletcher, Für David Brynley and Norman
Notley, evtl. 1926, UA: im Haus von Julian Huxley, unveröffentlicht.
42. Three Irish Country Songs, arr. für Stimme und Violine: 1. I know my love, 2. I know
where I'm goin, 3. As I was goin to Ballynure, T.: Aus der Edition von Herbert
Hughes, April 1926, UA: unbekannt, New York: Oxford University Press, 1928,
Neuauflage 2002.
43. The Cherry-Blossom Wand, T.: Anna Wickham, Für Anne Thursfield, 10. Jänner - 26.
Juni 1927, UA: unbekannt, New York: Oxford University Press, 1929, Neuauflage
2002.
44. Eight o'clock, T.: A. E. Housman, Für Lawrence Strauss, 26. Mai – Juli 1927, UA:
London 23. November 1927, London, Winthrop Rogers, 1928, London: Boosey &
Hawkes, 1994.
45. Greeting, T.: Ella Young, evtl. 1928, UA: unbekannt, Winthrop Rogers, 1928,
London: Boosey & Hawkes, 1994.
46. Cradle song, T.: William Blake aus Songs of Innocence, 6. März 1929, UA:
unbekannt, New York: Oxford University Press, 1929, Neuauflage 2002.
19
47. The Aspidistra, T.: Claude Flight, Für Adolphe Hallis, 1929, UA: 11. Juni 1929 von
Anne Thrusfield (Sopran), Pianist unbekannt, London: J&W Chester Ltd, 1930, New
York: Oxford University Press, 2002.
48. Tiger, Tiger, T.: William Blake aus Songs of Experience, 1929-33, überarb. 1972, UA:
unbekannt, New York: Oxford University Press, 2002.
49. Lethe, T.: Edna St. Vincent Millay aus The Buck in the Snow 1928, 1941, überarb.
1976. UA: unbekannt, New York: Oxford University Press, 2002.
50. Daybreak, für hohe Stimme und Streichquartett, T.: John Donne, evtl. frühe 1940er
Jahre, UA: unbekannt, unveröffentlicht.
51. The Donkey, T.: Gilbert Keith Chesterton, Für Povla Frijsch, November 1942, UA:
New York Town Hall mit Polvla Frijsch (Sopran) und Celiws Dougherty (Klavier),
1984, Faksimile in: British Music Society Journal, Vol. VI, New York: Oxford
University Press, 2002.
52. Binnorie, T.: traditionelle schottische Ballade, auch bekannt als The twa sisters und
The cruel sister, evtl. 1945, UA: Boston Public Library 27. Oktober 2001 mit Eileen
Strempel (Sopran) und Sylvie Beaudette (Klavier), New York: Oxford University
Press, 2002.
53. God made a tree, T.: Katherine Kendall, 1954, UA: unbekannt, New York: Oxford
University Press, 2002.
54. Up-Hill, T.: Christina Rossetti, Entstehungszeit unbekannt, UA: unbekannt,
unveröffentlicht.
2.2.2 Instrumentalwerk
1. Prelude, für 2 Violinen und Klavier, 1907/08, UA: London 24. März 2003,
unveröffentlicht.
2. Danse Bizarre, für 2 Violinen und Klavier, 1907/08, UA London 24. März 2003,
unveröffentlicht.
3. Nocturne, für 2 Violinen und Klavier, 1907/08, UA: London 24. März 2003,
unveröffentlicht.
4. Finale, für 2 Violinen und Klavier, 1907/08, unvollständig, evtl. Teil eines
mehrsätzigen Werkes mit den Sätzen Prelude, Danse Bizarre, Nocturne und Finale.
20
5. Thema and Variations, für Klavier Solo, 1907/08, UA: London: 24. März 2003,
unveröffentlicht.
6. Sonata (einsätzig), für Violine und Klavier, I. Molto moderato in G-Dur, 1907/09,
UA: 21. September 2000 Bosten, unveröffentlicht.
7. Sonata (dreisätzig), für Violine und Klavier, 1908/09, UA: 21. September2000,
unveröffentlicht.
8. Lullaby, für Viola und Klavier, 1909, UA: unbekannt, New York: Oxford
University Press, 2002.
9. Lullaby and Grotesque, für Viola (oderVioline) und Violoncello, evtl. 1916, UA:
unbekannt, New York: Oxford University Press, 1930, Neuauflage 2002.
10. Untitled movement, für Viola und Klavier, 1917/18, UA: unbekannt, New York:
Oxford University Press, 2002.
11. Morpheus, für Viola und Klavier, 1917, UA: New York, Aeolian Hall, 13. Februar
1918, uraufgeführt unter dem Pseudonym Anthony Trent, New York: Oxford
University Press, 2001.
12. Sonata, für Viola (oder Violoncello) und Klavier, 3. Juli 1919, UA: Berkshire
Festival of Chamber Music September 1919, London: Chester, 1921, reprinted New
York: DaCapo, 1986, Mount Airy, PA: Hildegard Publishing Company, 1999.
13. Chinese Puzzle, für Violine und Klavier, 1921, UA: 1921, New York: Oxford
University Press, 1925, Arrangement für Viola, New York: Oxford University
Press, 2002, Neuauflage 2005.
14. Epilogue, für Violoncello und Klavier, Für Guilhermina Suggia, evtl. 1921, UA:
unbekannt, New York: Oxford University Press, 2003.
15. Trio für Violine, Violoncello und Klavier, 1921, UA: New York City, Februar 1922,
London: Winthrop Rogers, 1928, Neuauflage New York: DaCapo 1981, London:
Boosey and Hawkes, 1994.
16. Rhapsody, für Violoncello und Klavier, Für Elisabeth Sprague Coolidge, 29. August
1923, UA: Berkshire Music Festival September 1923, unveröffentlicht.
17. Comodo et amabile, für Streichquartett, 1924, UA: Brandeis University 25.
September 1999, New York: Oxford University Press, 2004. Gemeinsam mit Poem
als Two movements for string quartet veröffentlicht.
21
18. Midsummer Moon, für Violine und Klavier, Für Adila Fachiri, April 1924, UA:
London 12. Mai 1924, New York: Oxford University Press, 1926, reprinted 2005.
19. Chinese Puzzle, für Flöte, Violine, Viola und Violoncello, 1925, UA: unbekannt,
unveröffentlicht.
20. Poem, für Streichquartett, 1926, UA: Music Library Association Berkeley ca. 1994,
New York: Oxford University Press, 2004. Gemeinsam mit „Comodo et amabile“
als „Two movements for string quartet“ veröffentlicht.
21. Cortège, für Klavier, Für William Busch, evtl. 1930, rev. in den 1970er Jahren, UA:
unbekannt, unveröffentlicht.
22. Untitled, 2 pieces for two instruments, evtl. 1940, UA: unbekannt, unveröffentlicht.
23. Dumka, für Violine, Viola und Klavier, evtl. 1941, UA: unbekannt, New York:
Oxford University Press, 2004.
24. Prelude, Allegro, and Pastorale, für Viola und B-Klarinette, Für Hans and
Fietzchen, 1941, UA: International Society of Contemporary Music Festival
Berkeley, ca. August 1942, New York: Oxford University Press, 2000.
25. Passacaglia (on an Old English Tune, attributed to Tallis), für Viola (oder
Violoncello) und Klavier, Für BB, evtl. 1941, UA: Datum unbekannt, New York
City, New York und London: G. Schirmer und Chappell 1943, Mount Airy, PA:
Hildegard Publishing Company, 2001.
26. Combined Carols, für Streichquartett oder Streichorchester, 1941, UA: in WQXR
Radio in den 1940er Jahren, unveröffentlicht.
27. I'll bid my heart be still (Old Scottish border melody), für Viola und Klavier, 1944,
UA: unbekannt, New York: Oxford University Press, 2002.
2.2.3 Chormusik
1. Now fie on love, T T Bar B, T.: anonym, evtl. 1906, UA: unbekannt, New York:
Oxford University Press, 2003.
2. Music, when soft voices die, SATB, T.: Percy Βysshe Shelley, 1907, UA: unbekannt,
New York: Oxford University Press, 2003.
3. A Lover's Dirge (Come Away Death), SATB, T.: William Shakespeare Twelfth Night,
evtl. 1908, UA: unbekannt, New York: Oxford University Press, 2003.
22
4. When Cats run home and light is come (The Owl), SATB, T.: Alfred Lord Tennyson,
evtl. 1909, UA: unbekannt, New York: Oxford University Press, 2003.
5. My Spirit like a charmed bark doth float, SATB, T.: basierend auf Percy Bysshe
Shelley, evtl. 1911-1912, UA: unbekannt, New York: Oxford University Press, 2003.
6. Come, oh come, my life's delight, SATB, T.: Thomas Campion, evtl. 1911-1912, arr.
Für Stimme und Klavier 1924, UA: unbekannt, New York: Oxford University Press,
2003.
7. Weep you no more sad fountains, SATB, T.: John Dowland, evtl. 1911-1912, UA:
unbekannt, New York: Oxford University Press, 2003.
8. Philomela, SATB, T.: Sir Philipp Sidney, evtl. 1914, UA: 2003, New York: Oxford
University Press, 2003.
9. He that dwelleth in the secret place (Psalm 91), SATB Chor, SATB Solisten, Chor
häufig geteilt, T.: Bibel, 1921, UA: unbekannt, New York: Oxford University Press,
2003.
10. There is no rose of such virtue, Solo Bariton, ATBarB, T.: basierend auf einem
englischenWeihnachtslied des 15. Jh., 1928, UA: unbekannt, New York: Oxford
University Press, 2003.
11. Ave Maria, SSA, T.: traditionell, basierend auf Lukas 1,28, 1937, UA: unbekannt,
New York: Oxford University Press, 1998.
12. Chorus from Hellas, SSSAA, T.: Percy Bysshe Shelley, evtl. 1943, UA: unbekannt,
New York: Oxford University Press, 1999.
2.3 Zusammenfassung
Es ist erstaunlich, welchen Umfang Rebecca Clarkes Werk mittlerweile aufweist. 1999 waren
ihre 12 Chorstücke noch nicht entdeckt, und auch verschollen geglaubte Stücke wie Danse
Bizarre aus 1909 und Variationen für Solo Klavier aus 1908 u.a. wurden beim Durchsuchen
ihres Nachlasses wiedergefunden. Der Grund, warum erst 20 bzw. 30 Jahre nach Rebecca
Clarkes Tod diese verschollen geglaubten Stücke zugänglich wurden, liegt daran, dass
Clarkes Nachlass zu einem beträchtlichen Teil von Christopher Johnson (Neffe von Clarke)
23
unter Verschluss gehalten wurde.16 Diese Erkenntnis, dass Clarke ein umfangreiches
kompositiorisches Interesses und Können in verschiedene Genres dargebracht hat,
unterstreicht die Fragestellung dieser Masterarbeit nach einem symphonischen Werk.
Dieser Frage ist die Komponistin Ruth Lomon aus den USA auf ihrer Weise auch
nachgegangen. Sie hat die Viola Sonate von Clarke (2007) orchestriert und am 18. und 19.
Februar 2012 mit dem „North State Symphony Orchester“ in Chico und Redding in
Californien unter der Leitung von Kyle Wiley Picket erfolgreich aufgeführt. Live Mitschnitte
dieser Aufführungen findet man auf der Website der Rebecca Clarke Society:
http://www.rebeccaclarke.org/matson-stunning/.
Verfolgt man weiters die Arbeit und den Einsatz von Liane Curtis (uvm.), Präsidentin der
Rebecca Clarke Society, Rebecca Clarkes Werk zur Aufführung zu bringen, lässt sich eine
beträchtliche Anzahl an Konzerten in den USA, London und Finnland in den letzten Jahren
erkennen.
16
Diesbezüglich kann hier
http://media.wix.com/ugd/b8bb1e_69766cd033f84b7cbb6048d937afecad.pdf nachlesen werden. Liane
Curtis gewährt einen Einblick in ihre Arbeit an der Erforschung Rebecca Clarkes Musik, und den
Widerstand Christopher Johnsons, dies zu ermöglichen.
24
3 Frauen im öffentlichen Kontext um die
Jahrhundertwende
Wie in der Einleitung angesprochen, wurden Mädchen von Kindheit an erzogen, dem Ziel des
häuslichen Lebens zu folgen. Buben wurden sehr oft bevorzugt, von den Mädchen getrennt,
mit unterschiedlichem Lehrplan unterrichtet und vor allem umfangreicher als diese. Auch die
Anzahl der Unterrichtsstunden waren bei Schülern höher als bei Schülerinnen, da ihnen nicht
nur physische und psychische Schwäche nachgesagt wurde, sondern es auch gegen die Natur
war, sich mit Männern zu konkurrieren, da dies nur im psychischen Zusammenbruch für
junger Frauen enden könnte. Diese Frauen benachteiligenden Unterrichtsmethoden und
-ansätze wurden bis zum (Aus)Bildungsniveau von Konservatorien und Universitäten
fortgesetzt, wo Frauen das Studieren um 1900 zwar gestattet wurde, ihnen jedoch viel
weniger Unterricht gegeben wurde als Männern. Erhielten Studenten einen dreijährigen
musiktheoretischen Kurs, wurden Studentinnen nur für zwei Jahre zu einem speziell für sie
zugeschnittenen Kurs zugelassen. In Paris wurde Studentinnen bis in die 1870er Jahre der
Unterricht in geschriebener Harmonielehre, im Gegensatz zu Solfège und Harmonielehre am
Klavier, sogar vollends verwehrt. Frauen sollten Sängerinnen, Pianistinnen oder
Harfenistinnen
werden
und
nicht
Dirigentinnen,
Komponistinnen
oder
Universitätsprofessorinnen. Die deutsche Komponistin, Feministin und Pianistin Luise
Adolpha Le Beau äußerte sich schon 1878 mit den Worten: „Just do not limit, then, the
training of girls. Rather, teach them the same things that are taught to boys. Grow
accustomed to a system that has this same fundamental condition for every education, and
then see what [girls] can do after acquiring technical skills and intellectual independence,
rather than entrench yourselves against female capabilities by limiting the education of
women!“17
Frauen, denen es möglich war ein Kompositionsstudium zu beginnen, stammten
ausschließlich aus bürgerlichem Haus. Diese Tatsache lässt sich anhand vieler
Komponistinnen nachvollziehen wie z.B. Ethel Smyth, Rebecca Clarke oder in weiterer Folge
Elisabeth Lutyensuvm. Gerade in dieser bürgerlichen Schicht war jedoch ein starres,
ordnungsgemäßes Frauenbild wirkend. Der Einfluss von Familien auf junge Studentinnen,
17
Le Beau, Luise, Adolpha: Über die musikalische Erziehung der weiblichen Jugend, Allgemeine
Deutsche Musik-Zeitung, 1. November1878, S. 365–6.
25
meist der Väter, gewährte ihnen zwar ein gewisses Ansehen, half ihnen jedoch nicht
annähernd den gleichen Status wie den ihrer männlichen Kollegen zu erlangen.
Vor allem das viktorianische Zeitalter und die politischen Ziele Englands im 19. Jahrhundert
zielten darauf ab nicht nur für genügend Nachkommen (Imperialismus) zu sorgen, sondern
auch das gesellschaftliche Gefüge „Familie“ als oberste Prämisse zu vertreten. Die Aufgaben
der Frauen waren dadurch von vornherein klar abgesteckt: Gebären und Erziehen der Kinder,
häusliche Tätigkeiten wie Putzen und Kochen, eventuell das Spielen eines Instrumentes
(Harfe, Gesang oder Klavier) für kammermusikalische Zwecke sowie die emotionale
Stärkung des Ehemannes. Diesbezüglich ist Alma Schindler (Alma Mahler-Werfel) zu
erwähnen, die zugunsten ihres zukünftigen Ehemannes Gustav Mahler ihre künstlerische
Karriere abbrechen sollte und von dem Zeitpunktan nur mehr leben sollte um ihn, den
Komponisten Mahler, glücklich zu machen. Sprich: sie sollte nach gesellschaftlichen
Vorgaben funktionieren, Kinder gebären und seine Muse sein.
Laut Unseld wurde im Zuge des 19. Jahrhunderts ausgehend von der Französischen
Revolution, musikgeschichtlich betrachtet, der kämpferische Mann, der Held, als Idealbild
nicht nur in der Öffentlichkeit verehrt, sondern auch in die Kunst eingearbeitet.
Kennzeichnend für die Musik der Französischen Revolution ist die Zerschlagung der
höfischen Musikkultur.18 Märsche, Triumph-Oden und die Vorliebe für Bläserklänge waren
dementsprechend männlich konnotiert und demzufolge als ausschließlich positiv zu bewerten.
Beethovens 3. Symphonie (Eroica) wurde als das Stück des Umbruchs bewundert und
faszinierte durch seinen Männlichkeits-Typus. Beethoven wurde zum musikalischen Helden,
zum Genie, stilisiert.
Diese Stilisierung hat ihren Ursprung in der klaren Trennung von Geschlechtern, wobei das
Weibliche
als
emotionsgeleitet,
passiv,
abhängig,
irrational,
sexuell
passiv
galt,
währenddessen die männlichen Attribute kämpferisch, klar im Geiste, rational, sexuell aktiv,
auch aktiv in der Öffentlichkeit lauteten. Diese im damaligen Bürgertum Englands tief
verankerten Zuschreibungen gaben Frauen keine Möglichkeit sich in der Öffentlichkeit zu
behaupten. Die Folge dieser geschlechterpolaren Zuweisungen war, dass es dem Manne von
Natur aus gegeben war kompositorisch kreativ zu sein wie der Frau das Gebären von
18
Unseld, Melanie: Lexikon Musik und Gender, Bärenreiter-Metzler, Kassel 2010, Kreutziger-Herr,
Annette und Unseld, Melanie, (Hg.) S.89.
26
Kindern.19 War es der Frau nicht möglich sich als Komponistin zu etablieren, gab es nur noch
die Möglichkeit der interpretierenden Sängerin oder Instrumentalistin. Aber auch diese
Karriere war nur bis zu einer Eheschließung gestattet, da es sich nicht ziemte als verheiratete
Frau in der Öffentlichkeit auf einer Bühne zu stehen. Das eigentliche Ziel war immer noch
eine Familie zu gründen und sich ausschließlich häuslichen Aufgaben zu widmen. Frauen
waren dadurch gezwungenermaßen Außenseiterinnen, sobald sie sich für den Weg der
Musikerin entschieden. Wichtig ist dabei zu vermerken, dass die Entscheidungsfreiheit von
Frauen im musikschaffenden Kontext nur unter Berücksichtigung von gesellschaftspolitischen
Entwicklungen betrachtet werden kann, bedenkt man, dass Frauen erstmals 1906 in Finnland
sowie 1918 in Deutschland und England berechtigt waren an politischen Wahlen
teilzunehmen und in der Folge als mündige Mitglieder der Gesellschaft wahrgenommen
wurden. Dass Frauen ab 1918 nach Ende des 1. Weltkrieges mit dem Alter von 30 Jahren und
nur unter der Voraussetzung eines Grundeigentums wählen durften, stellte einen Meilenstein
in der Frauengeschichte dar. Dies ist unter anderem den vielen Forderungen der
„Suffragetten“ zu verdanken, die sich für bessere Bedingungen am Arbeitsplatz,
Lohngleichheit und das Wahlrecht einsetzten. Zumindest Letzteres konnte als große
Errungenschaft bis heute durchgesetzt werden.
Dass es Anfang des 20. Jahrhunderts für manche Frauen überhaupt möglich war (und bis
heute ist!), wählen zu gehen,verdanken sie also der Frauenbewegung der „Suffragetten“, unter
der Führung von Emmeline Pankhurst, die 1903 die „Women’s Social and Political Union“
gründete.20Sie und ihre Anhängerinnen trugen öffentliche Proteste aus, organisierten
politische Demonstrationen und machten mit Hungerstreiks auf sich aufmerksam. Diese
friedlichen Proteste endeten 1910 nach einer gescheiterten Gesetzesinitiative zum
Frauenwahlrecht und führten soweit, dass 80 „Suffragetten“ wegen Vandalismus ins
Gefängnis kamen. 1912 zerstörten 150 „Suffragetten“ mit Steinen und Hämmern 270
Schaufenster in einer Londoner Einkaufsstraße, was zu 220 Festnahmen führte. Eine der
Aktivistinnen davon war Ethel Smyth, auf deren Verbindung zu den „Suffragetten“ wir später
noch zu sprechen kommen.
19
Unseld, Melanie:Lexikon Musik und Gender, Bärenreiter-Metzler, Kassel, 2010, Kreutziger-Herr,
Annette und Unseld, Melanie,(Hg.) S. 90.
20
Zwar gibt es vereinzelte weibliche Personen, die sich für die Gleichstellung schon ab dem 18.
Jahrhundert einsetzten, doch traten sie nicht wie die „Suffragetten“ als große Gruppe auf und wurden
eingesperrt oder sogar hingerichtet, wie u.a. Olympe de Gougeswegen ihrer 1791 verfassten Erklärung
der Menschen- und Bürgerrechte.
27
Leider waren Zustände wie die zivilrechtliche Mündelschaft (aus dem Englischen: Coverture)
ein noch bestehender, unwürdiger Zustand für Frauen, da ihnen jedes Recht über ihr Leben
selbst zu entscheiden abgesprochen wurde. Commentaries on the Laws of England von
William Blackstone aus dem18. Jahrhundert gibt die Gesetzeslage zwischen Mann und Frau
nach der Eheschließung wieder:
„By marriage, the husband and wife are one person in law: that is, the very being or legal
existence of the woman is suspended during the marriage, or at least is incorporated and
consolidated into that of the husband: under whose wing, protection, and cover, she performs
everything; and is therefore called in our law-French a feme-covert; is said to be covertbaron, or under the protection and influence of her husband, her baron, or lord; and her
condition during her marriage is called her coverture. Upon this principle, of a union of
person in husband and wife, depend almost all the legal rights, duties, and disabilities, that
either of them acquire by the marriage. I speak not at present of the rights of property, but of
such as are merely personal. For this reason, a man cannot grant anything to his wife, or
enter into covenant with her: for the grant would be to suppose her separate existence; and to
covenant with her, would be only to covenant with himself: and therefore it is also generally
true, that all compacts made between husband and wife, when single, are voided by the
intermarriage.“21
Wie übte sich diese Tatsache nun auf Musikerinnen, Komponistinnen und ihren Lebensalltag
aus? Wie bewegten sie sich in der Öffentlichkeit? Was passierte im Elternhaus, wenn sich
junge Frauen entschlossen eine musikalische Laufbahn einzuschlagen? Wie wurden in der
Öffentlichkeit erfolgreiche Frauen rezensiert? Welche Folgen hatte die damalige Situation
von Frauen in Außenseiterinnenrollen auf deren Privatleben, Psyche und Schaffen? Wie
haben sich Frauen vermarktet? Und welche Verbindungen lassen sich zur Verwaltung des
Nachlasses von Komponistinnen und Komponisten finden? In den folgenden Unterkapiteln
werden die Lebensumstände von Rebecca Clarke und Ethel Smyth, die beide Vorreiterinnen
in vielerlei Hinsicht waren, beleuchtet.
Betrachtet man Rebecca Clarke und Ethel Smyth bezüglich ihrer charakterlichen
Eigenschaften, fällt auf, dass diese beiden Frauen trotz ihrer bürgerlichen Herkunft und daraus
resultierenden Erziehung unterschiedlicher nicht sein könnten. Genau deshalb ist es
21
Blackstone, Sir William: Of Husband and Wife. Commentaries on the Laws of England (1765–
1769). Lonang Institut 2009.
28
interessant
diese
beiden
Frauen
im
Lichte
des
auslaufenden
19.
Jahrhunderts
gegenüberzustellen.
3.1 Rebecca Clarke
Wie aus dem vorherigen Kapitel hervorgeht, kommt Clarke aus einem gut situierten,
bürgerlichen Haus: ihre Mutter stammte aus einer Münchner Akademikerfamilie, die
berufliche Identität ihres amerikanischen Vaters kann trotz seiner Anstellung bei der Kodak
Company nicht klar benannt werden.22 Ohne britische Abstammung nahm die ganze Familie
eine Außenseiterrolle in England ein und der Atheismus des Vaters steuerte zusätzlich dazu
bei. Beide Elternteile teilten die Liebe zur Musik: Kammermusik und Singen. Allen vier
Kindern wurde das Erlernen eines Instrumentes, wie Jones Bryony in ihrer Dissertation
schreibt, aufgezwungen. Rebecca, die wirklich Interesse und Talent zeigte, durfte im
Gegensatz zu ihren Brüdern Hans und Eric zunächst nicht mit dem Violinspiel beginnen, doch
für kammermusikalische Zwecke bekam Rebecca dann doch die Erlaubnis. Nicht bekannt ist,
wie es der jüngsten Schwester Dora ergangen war, die später auch den Weg der bildenden
Künste einschlug.23
Diese Liebe für Musik trug die talentierte Rebecca, nachdem sie einige Konzerterlebnisse mit
ihrem Vater teilte, weiter. Nach dem Besuch der Weltausstellung in Paris und der Begegnung
mit fern östlicher Musik eines Gamelan-Orchesters, die sie überwältigte, fasste sie den
Entschluss Musikerin zu werden. Joesph Clarke war natürlich zunächst dagegen, konnte es
seiner Tochter jedoch nicht absprechen an die Londoner „Royal Academy of Music“ zu
gehen, um ein Violinstudium zu beginnen. Es ist zu vermuten, dass Joseph nur darauf
gewartet hatte, dass es auf der RAM einen Vorfall geben würde, woraufhin er seine Tochter
wieder von der Universität nehmen konnte. Diesen hatte es dann mit Percy Hilder Miles,
Rebeccas Harmonielehre- und Kontrapunktprofessor an der RAM, und einem von ihm
gehaltenen Heiratsantrag an die junge Studentin auch gegeben. Nicht der harte Eingriff des
Vaters, Rebecca von der RAM zu nehmen (die eine gesetzlich legitime Handlung darstellte,
22
Cutis, Liane: A Rebecca Clarke Reader, The Rebecca Clarke Society, Inc., Indiana University Press
2004, S. 21.
23
Dora Clarke war eine Bildhauerin und begann in sehr jungen Jahren (15 Jahren) ihrStudium an der
Slade School of Art. Sie eröffnete eine Vielzahl von Ausstellungen in London zwischen1916 und
1938. Sie heiratete Admiral GB Middleton, behielt jedoch ihren Mädchennamen als Künstlerin. (Siehe
Dunford, Penny: A Biographical Dictionary of Women Artists in Europe and America Since 1850,
Hertfordshire, Harvester Wheatsheaf 1990, S. 66.)
29
da Rebecca noch nicht volljährig war) und die darauffolgende Zurückgezogenheit im
Elternhaus brachten Rebecca dazu mit dem Komponieren zu beginnen, sondern die
florierende
neue
Umgebung
mit
vielen
kultur-
und
kunstinteressierten
jungen,
komponierenden Menschen von der RAM und die ständige Austauschmöglichkeit mit
KommilitonInnen zu verschiedensten philosophischen, lyrischen und musikalischen
Fragestellungen und Ideen.
In den drei Jahren, die Rebecca zuhause verbrachte, so schreibt auch Liane Curtis, konnte sie
diese Erlebnisse und musikalischen Ideen in Form von Liedern umsetzen.24 Es scheint als
hätte Rebecca Clarke über 20 Lieder im Geheimen und ohne Wissen des Vaters vertont. Eine
andere Möglichkeit wäre, dass dieser das Schaffen seiner Tochter schlicht und einfach nicht
ernst genommen hat, da, wie wir schon wissen, das kreative Schaffen ausschließlich Männern
vorbehalten war und er die Stücke wohl nicht einschätzen konnte. Es ist nicht möglich, diese
Phase (1904-1907) in Rebecca Clarkes Leben nachzuvollziehen, da ihre Memoiren von dem
Verwalter ihres Nachlasses, Christopher Johnson, nach wie vor unter Verschluss gehalten
werden. Es ist jedoch bekannt, dass Joseph Clarke seine Kinder nicht nur brutal mit einem 50
cm langen Architektenlineal schlug, sondern sie auch als Zielobjekt nutzte, wenn er mit
seinem Luftgewehr trainierte.25 Es stellt sich demnach die berechtigte Frage, wie sich Joseph
Clarke tatsächlich gegenüber Rebecca verhielt, als sie sich für ein Musikstudium, das sich für
eine Frau im viktorianischen Zeitalter eigentlich nicht ziemte, entschied. War verstärkte
körperliche Züchtigung die Konsequenz? Becky Evans, die Nichte Rebecca Clarkes, erzählte
in einem Interview auf BBC darüber, wie schrecklich der Vater Rebecca und ihre drei
Geschwister behandelt hatte. Sie meinte sogar, die Kinder mussten mit ihm als Vater die
Hölle auf Erden durchqueren.26 Der psychische Druck und die Handgreiflichkeiten des Vaters
mussten einen großen „Fußabdruck“ in Rebecca Clarkes Psyche hinterlassen haben. Welchen
Einfluss Agnes Clarke auf Rebecca hatte, die sie mit Poeten wie Dehmel, Schaukal, von
Liliencron und Goethe vertraut machte, ist auch nicht bekannt. Agnes Clarke dürfte eine
Bezugsperson für Rebecca gewesen sein, die sehr oft von ihrem Mann betrogen und
gedemütigt wurde, was die innige vor dem Vater geheim gehaltene Verbindung zwischen den
beiden Frauen erklären könnte, da beide solche Erniedrigungen erleiden mussten.
24
Cutis, Liane: A Rebecca Clarke Reader, The Rebecca Clarke Society, Inc., Indiana University Press
2004, S.21.
25
Jones, Bryony: The Music of Rebecca Clarke (1886-1979), Dissertation, Liverpool, 2004, S. 5.
26
http://www.bbc.co.uk/programmes/p02l52z0 (Min 2:25-2:47)
30
Als Rebecca den Entschluss fasste, nach einem abgebrochenen Instrumentalstudium noch
einmal eine Laufbahn an einer Universität, diesmal als Kompositionsstudentin, anzutreten,
wollte der Vater dieses Vorhaben verhindert wissen. Kurzerhand schickte er zwei von
Rebeccas Liedern zu dem ihm flüchtig bekannten Kompositionsprofessor Charles Stanford
vom Londoner „Royal College of Music“. Joseph Clarke erhoffte sich ein vernichtendes
Urteil seitens Stanford, was zu seiner Verwunderung nicht passierte. Dies trat wahrscheinlich
auch zur Verwunderung des Professors nicht ein, da dieser die Stücke zwar amateurhaft fand,
jedoch ein, zwei Funken von Talent entdeckte, wie es Rebecca Clarke in einem Interview
selbst wiedergab.27 Stanford bot Clarke an, seine Tochter in seine Klasse aufzunehmen, um
herauszufinden, was durch seinen Unterricht in ihr geweckt und geformt werden könne.
Sonderbar erscheint diese Entscheidung Charles Stanfords eine Frau aufzunehmen, da er,
nachdem er Rebecca Clarke 1907 in seine Klasse aufgenommen hatte, 1908 in seinen
Memoiren schrieb, dass Britische Institutionen von Frauen überrollt würden.28 Das hieße, er
stünde nicht wirklich hinter den Gleichstellungsannäherungen zwischen Frauen und Männern.
Ein weiterer Grund, warum es zur Aufnahme von Clarke bei Stanford kam, mag wohl der
sein, dass sie aus einem bürgerlichen Haus stammte und das RCM auf die Studiengebühren
angewiesen war und eine Quote (aus politischen, finanziellen Gründen) erfüllen musste.
Stanford musste nun auch Frauen in seine Klasse zulassen. Es ist nicht bekannt, dass Rebecca
Clarke über Stanford als schlechten Lehrer und Menschen berichtete. Ganz im Gegenteil, den
Kompositionsunterricht bei ihm empfand sie immer als Höhepunkt der Woche und erzählte
später über ihn: “I shall always remember with gratitude and affection the lessons he gave
me, feeling myself fortunate to have been his pupil. From the very beginning he was entirely
charming to me. I remember so well how I waited outside the glass door of his room before
my first lesson, too nervous to go in; and how an older student, chancing to pass by, advised
me to speak up for myself and not give him the impression of being frightened. Sir Charles's
amused quizzical glance of course took in the situation in an instant, and we were friends
from that moment. I can see now the hovering of his familiar gold pencil, and hear the
picturesque exaggerations of his praise or blame.”29
27
http://www.bbc.co.uk/programmes/p02l52z0 (Min 1:19-1:50)
http://han.kug.ac.at/han/OXFORDMUSICONLINE/www.oxfordmusiconline.com/subscriber/article/
grove/music/52554pg2
29
Sir Charles Stanford and his Pupils, RCM Magazine, Vol. 58 (1962), zitiert in Rodmell, Charles
Villiers Stanford, Aldershot, Ashgate, 2002, S. 352.
28
31
Ganz offenslichsichtlich ist Clarke jedoch auch wegen ihres Talents aufgenommen worden,
was sich mit Geldpreisen des RCM 1909 und 1910 für die Werke Sonate für Violine und
Klavier und Danse Bizarre aufzeigen lässt. Es scheint als hatte die Gesellschaft, vor allem die
Männer selbst, zu dieser Zeit sehr gespaltene Ansichten zum Thema Frauen in der
Öffentlichkeit. Waren sie eventuell privat einverstanden damit, dass man sich von nun an
auch mit Frauen konkurrierte und empfanden sie eventuell sogar Gefallen an dem weiblichen
kompositorischen Schaffen, konnten sie dies in der Öffentlichkeit nicht äußern, aus Angst,
selbst als Außenseiter degradiert zu werden. Eine Universität hingegen hatte vielleicht eine
Sonderstellung und konnte es sich leisten, auch Frauen für Wettbewerbe mit Geldpreisen
zuzulassen.
Dieses öffentliche Ansehen seiner Tochter war Joseph Clarke
sichtlich nicht recht. Er strich mit einem Mal alle finanziellen
Mittel für Rebecca. Von diesem Zeitpunkt an war Rebecca
Clarke auf sich alleine gestellt und hat Zeit ihres Lebens nie
wieder Geld von ihm angenommen, worauf sie sehr stolz war.30
Es ist weiters bekannt, dass Rebecca, gestärkt durch ihre
steigende Anerkennung in ihrem kompositorischen Schaffen,
ihren Vater aufgrund der vielen Liebschaften neben Agnes
Clarke konfronierte und er sie deshalb aus dem Haus warf. Erst
nach 10 Jahren, kurz nach seinem Tod, betrat sie ihr Elternhaus
wieder.
Mit einer sehr wertschätzenden und großzügigen finanziellen Unterstützung von Sir Hubert
Parry, Direktor des RCM, konnte Clarke das laufende Studienjahr noch abschließen. Er tarnte
den privat bezahlten Betrag als eine Art Stipendium seitens des Colleges.31
Durch die Unterstützung und den Einfluss ihrer Professoren und KommilitonInnen am RCM
(siehe auch die langjährige Beziehung zur „Society of Women Musicians“, bei deren
Gründungstreffen Clarke anwesend war) konnte Clarke, die 1910 auf Raten Stanfords von der
Violine auf die Bratsche wechselte und bei Lionel Tertis Privatschülerin wurde, sich mit
privaten wie öffentlichen Auftritten mit der Bratsche über Wasser halten und sich sogar ein
Zimmer in London leisten. Nancy Reich beschreibt Clarkes Lebenssituation sehr treffend:
30
http://www.bbc.co.uk/programmes/p02l52z0 (Min 1:56-2:24)
Kohnen, Daniela:Rebecca Clarke, Komponistin und Bratschistin, in: Deutsche Hochschulschriften
Nr. 1157, Dr. Markus Hänsel-Hohenhausen, (Hg.), Egelsbach, 1999, S.32.
31
32
„...a most unusual situation for a proper upper-middle-class Englishwoman in the first
decade of the twentieth century.“32Clarke genoss einen besonderen Stellenwert im
Universitätskreis und galt als Ausnahmeerscheinung neben Maude Valerie White (18551937), die 1879 den Mendelssohn-Förderpreis an der RAM erhielt. Diese universitäre
Anerkennung des Schaffens von Frauen zeigt von sehr modernen Ansichten seitens Stanford,
Parry und der weiteren Kollegschaft am RCM.
Der Bekanntheitsgrad Clarkes in England stieg in den darauffolgenden Jahren immens an und
sollte ihren Höhepunkt in den 1920er Jahren als Komponistin und Bratschistin erreichen.
Zunächst wurde sie eine der ersten Frauen in einem professionellen Orchester („Queen´s Hall
Orchestra“) unter der Leitung von Henry Wood (auf Drängen von Ethel Smyth).33 Rebecca
Clarke war in der Zeitung abgebildet, was eine große Sensation gewesen sein musste. Eine
interessante Beobachtung ist, dass die sechs Frauen in der gleichen Höhe entlohnt wurden wie
ihre männlichen Kollegen, sie jedoch bei den im Sommer abgehaltenen Proms nicht spielen
durften aufgrund des ewigen Vorwurfs, sie wären physisch nicht in der Lage, das ganze Jahr
ohne Pause zu musizieren. Die Reaktion der männlichen Kollegen im Orchester war sehr
herabwürdigend, wie aus Clarkes Gespräch mit Dr. Ellen Lerner hervorgeht: „I remember the
men in the orchestra were disgusted, but then they got friendly after we got in”, oder “Well
then the war came, and we women were what they called ‘extra strings’ for the big symphony
concerts when they wanted a particularly large string contingent”. Rebecca Clarke erzählt
weiter über den ersten Auftritt mit dem „Queen´s Hall Orchestra“: „Anyhow, we were so shy
of being women in the orchestra; the first concert we played at we sort of slunk into our
places. Well now, I was rather tall of slinking, and when I came in it was impossible to do it
conspicuously. And a man, who evidently was a feminist, up in the gallery in Queen´s Hall,
cheered when I came in, as much as to say, “well good enough, they´ve got some women”.
And I felt as if I would have dropped into the floor, because I knew how the orchestra was
annoyed at having women, they thought it was a fearful comedown.”34
32
Cutis, Liane:A Rebecca Clarke Reader, The Rebecca Clarke Society, Inc.,Indiana University
Press2004, S.11.
33
The others were Dora Garland, Jessie Grimson, E. M.Dudding and Jean Stewart (violins) and S.
Maturin (viola).Siehe Jacobs, Arthur: Henry J. Wood, Maker of the Proms, London, Methuen 1994,
S. 142.
34
Cutis, Liane:A Rebecca Clarke Reader, The Rebecca Clarke Society, Inc.,Indiana University Press
2004, S. 214.
33
Obwohl Sir Henry Wood hinter seiner
Entscheidung stand, Frauen in seine beiden
Orchester (Queen’s Hall Orchestra bzw.
Philharmonic Orchestra) aufzunehmen, da
sie seiner Meinung
Musikerinnen
nach
waren,
gleichwertge
waren
sie
die
Sündenböcke bei schlechten Rezensionen
nach einem Konzert. Da es Frauen bis auf
Ausnahmen
nicht
möglich
war,
in
Orchestern mitzuspielen, begannen Frauen in den 1920er Jahren ausschließlich von Frauen
besetzte Orcherster zu gründen und diese auch zu leiten. Das „British Women´s Symphony
Orchestra“, gegründet 1924, war das erste Orchester dieser Art und wurde in den ersten
Jahren von Gwynne Kimpton geleitet.35 Zusätzlich gründeten Rebecca Clarke und einige ihrer
Zeitgenossinnen Kammermusikensembles, die rein von Instrumentalistinnen besetzt waren.
Diese Ensembles, wie z.B. das „Clench Quartett“, „The English Ensemble“ und das „Pro
Musica String Quartet“ wurden mit den Jahren international bekannt und geschätzt. Doch der
Weg bis dorthin war schwer, wie es ein Brief aus dem Jahr (eventuell) 1923 von Clarke an
Elisabeth Sprague Coolidge belegt: „I have been thinking a lot about the plans you spoke of
for next year…. And there is one thing I am simply longing to say to you, but I hardly dare to,
because it is awfully presumptuous of me to offer an opinion. Still, I know you are a lover of
frankness, so I will take my courage in both hands, and believe you will understand well
enough not to be offended.
I have been wondering, if, when you said you were undecided about the cellist for the cello
recital next year, you had ever thought of the possibility of having a woman! I can´t help
feeling, and I believe you do too, that a great cause is served in putting the work of women
executants on an equal footing with that of men – that is, only when it really is equal, I mean,
of course. This would make such a splendid opportunity, for the woman I am thinking of is an
exceptionally fine example, as everyone knows she is one of the very finest artists on any
instrument, quite irrespective of sex.
Please do not think for a minute that May Mukle knows I am writing this, I am doing it
absolutely off my own bat, so that if you do not like my having spoken of it, please be offended
35
Saremba, Meinhard, Elgar: Britten & Co. Eine Geschichte der britischen Musik in zwölf Portraits,
M&T Verlag Ag, Zürich/St. Gallen, 1994, S. 142.
34
with me only. It is only my tremendous faith in the whole subject that gave me courage to do
such a hard thing as to write to you about it, and I do believe that you will feel my sincerity
enough not to mind my having done so!”36
Diese Vorsicht, die Clarke hier (unter Frauen!) aufzeigt, bestätigt, wie schwierig es war, sich
als Frau, sogar als Instrumentalistin, durchzusetzen. Es mag unter anderem daran liegen, dass
Konzerte und Kompositionen von Frauen in den öffentlichen Medien immer zu Unrecht
schlecht rezensiert wurden. Bryony Jones hat einige Rezensionen, Rebecca Clarke betreffend,
zusammengestellt und soll hier mit diesen Beispielen Einsicht dazu geben: ... „The possible
half was Rebecca Clarke's ‘Shy One’; her other song ‘Had I the heaven's embroidered cloths,
‘ which was sung three times, we tried hard to think worthy of Yeats's words, but did not
succeed.” (The Times, 1919). Das Publikum fand das Lied Clothes of Heaven so wunderbar,
dass sie es dreimal hören wollten, und in der Rezension wurde das vom Journalisten negativ
festgehalten.
Eine weitere Kritik, bekam Clarke 1921: “… Although showing strong evidence of the
influence of the French school, notably Cesar Frank, Miss Clarke's music is by no means
devoid of fancy and imagination, suggesting that she will ultimately develop a style of her
own. She is apt to be a little discursive and has not learnt how to make her climaxes really
conclusive, but she has managed the simpler form of her Scherzo quite skilfully, while the
writing for both instruments is decidedly effective and interesting throughout.” (The Times)37
Zunächst klingt letztere Kritik nicht so negativ wie die davor, doch zeigt auch diese eine
sexistisch determinierende Richtung mit den Worten „but she has managed the simpler form
of her Scherzo quite skillfully“. Frauen wurde unterstellt, sie wären nicht in der Lage größere
musikalische Formen zu vertonen und wurden deshalb in öffentlichen Kritiken immer darauf
reduziert. Weitere Beispiele dafür sind: “…but we could not but prefer the lesser "Lullaby" -a
work of real feminine charm -…” oder “…’Midsummer Moon’, for violin and piano, is
melodious but diffuse, at any rate at first hearing: it has plenty of agreeable moments, but
they do not seem somehow to make a complete whole.”.38
36
Zitat nach: Cutis, Liane:A Rebecca Clarke Reader, The Rebecca Clarke Society, Inc., Indiana
University Press2004, S. 15.
37
Zitat nach: Jones, Bryony: The Music of Rebecca Clarke (1886-1979), Dissertation, Liverpool,
2004, S.293f.
38
Zitat nach: Jones, Bryony: The Music of Rebecca Clarke (1886-1979), Dissertation, Liverpool,
2004, S. 296.
35
Werden die folgenden Kritiken betrachtet, fällt auf, dass immer wieder das Geschlecht im
Vordergrund steht und das Weibliche als schwach dargestellt wird:
The Musical Times Vol. 67, 1926, 810:
“In reading Miss Rebecca Clarke's 'Chinese Puzzle' and 'Midsummer Moon' (Oxford
University Press), our first impression is one of relief and gratitude; for the new "woman
composer" is at least free from the cloying sentimentality of the old. She seems quite
impervious to the feelings of her predecessors. May nights and moonlight are no longer the
source of gushing platitudes. The modem woman looks upon these things with the detachment
to f a scientist.”
The Musical Times Vol. 137:
“Rebecca Clarke ... is, as all women composers, largely reflective of the preceding masculine
creations. She has, however, real feminine personality in such things as her ‘Lullaby’ for
viola and piano, and a true feminine bent towards the grotesque and intricate in ‘Grotesque’
and ‘Chinese Puzzle’.39
Wurden Stücke gelobt, waren es meist männliche Attribute, wie in der Einleitung dieses
Kapitels erwähnt, die ihr zugeschrieben wurden, oder Vergleiche mit Komponisten: „... She
had a strong right arm. She can lay down the foundation of a big chamber work, like her
piano trio last night, with all the emphasis of a Liszt and carry on with the sturdiness of a
John Ireland or Frank Bridge.”(London, Star)40
Clarkes Position zu diesen Unterstellungen und Zuschreibungen war eindeutig: “Art ... has
nothing to do with the sex of the artist. I would sooner be regarded as a sixteenth rate
composer than be judged as if there were one kind of musical art for men and another for
women.”41
39
Curtis, Liane: A Case of Identity: rescuing Rebecca Clarke, Mai 1996, S. 17-19.Zugänglichdurch die
Rebecca Clarke Society, Inc.
40
Zitat nach: Curtis, Liane: A case of identity: rescuing Rebecca Clarke, The Musical Times,
May 1996, S. 17f, Zugänglichdurch die Rebecca Clarke Society, Inc.
41
Haddon Squire, W. H.: Rebecca Clarke Sees Rhythm as Next Field of Development, Christian
Science Monitor, 9. December 1922, S. 18.
36
Es ist nicht verwunderlich, dass Rebecca Clarke im Jahr 1918 versuchte, ein männliches
Pseudonym („Anthony Trent“) für ihr Stück `Morpheus‘
`
bei einem Konzert in New Yorkzu
verwenden. Hinzu kam, dass sich Rebecca Clarke laut ihren Memoiren geschämt hatte, drei
Stücke von sich selbst ins Programm aufzunehmen und daher für das Stück, das sie am
schlechtesten empfand, einen männlichen Namen kreierte.
kreierte. In der Folge wurde in der
Rezension aus der „Vogue“ dieser „Newcomer Anthony Trent“ neben Frank Bridge als neuer
Stern am Komponistenhimmel bejubelt, während Clarkes Werke nur am Rande erwähnt
wurden: „One should not, too, overlook Miss Clarke´s owen picturescque
picturescque compositions the
„Lullaby“ and „Grotesque“ for viola und cello.“42So ist es nicht weiter verwunderlich, dass
es in der Geschichte keinen Einzelfall darstellt, dass Frauen männliche Pseudonyme nutzten,
um Werke überhaupt zu veröffentlichen.
42
Curtis, Liane: A Case of Identity:rescuing
Identity:
Rebecca Clarke, Mai 1996, S. 18.Zugänglichdurch
Zugänglichdurch die
Rebecca Clarke Society, Inc.
37
Schlechte Kritiken beeinflussten auch die Möglichkeit der Veröffentlichung von Stücken bei
Verlagen, vor allem weil Stücke von Komponistinnen generell nur spärlich seitens der
männlichen Verleger auserwählt wurden. Clarkes erste Veröffentlichung von ihren LiedernShy One und Cloths of Heaven 1920 bei Winthrop Rogers war durch die Bekanntschaft
Clarkes mit der Frau des Verlegers möglich.
Einen
weiteren
wichtigen
Meilenstein
in
Clarkes
Karriere
stellte
der
Bershire
Kompositionswettbewerb dar. Die Teilnahme an diesem Wettbewerb im Jahr 1919 schien für
Clarke eine gute Gelegenheit, wahrgenommen zu werden, da das eingesandte Werk ohne
namentliche Nennung der/des Komponierenden von einer Jury, quasi anonym, bewertet
wurde. Die Tatsache, dass eine Frau so gut komponieren konnte und die Aussage von
Elisabeth Sprague Coolidge „And you should have seen their faces, when they saw it was by a
woman”, musste zum einen für Rebecca Clarke eine Genugtuung bedeuten, zum anderen
einen großen Wirbel in der Öffentlichkeit erzeugt haben.
Viele von Rebecca Clarkes Werken wurden erst viele Jahre nach ihrem Tod veröffentlicht und
nur wenige fanden Zeit ihres Lebens den Weg in die Öffentlichkeit (20 Werke). Dies trug
dazu bei, dass Clarke ab den 1950er Jahren immer mehr in Vergessenheit geriet. Die Schuld
liegt nicht nur bei den Komponistinnen wie Clarke selbst (und an der Realität, dass sie als
weibliche Musikschaffende von Grund auf benachteiligt waren), sondern auch daran, dass ihr
Nachlass nicht wie sonst üblich vom Ehepartner (in diesem Fall starb Clarkes Ehemann James
Friskin vor Clarke selbst) oder den Kindern verwaltet und an Verlage verkauft wurde,
geschweige denn, dass versucht wurde, die Stücke zur Aufführung zu bringen. In der
Musikgeschichte waren es oft die Ehefrauen, die den Ehemann überlebten und versuchten
sein Werk lebendig zu halten. Dies ist zum Beispiel anhand Constanze Mozarts
Nachlassverwaltung der Werke ihres Mannes nach seinem Tod bekannt.43
3.2 Ethel Smyth
Auch Ethel Smyth (1858-1944) stammt aus einer bürgerlichen Familie. Ebenfalls in London
geboren wuchs Ethel Smyth nach viktorianischen Vorstellungen auf. Es ist bekannt, dass
Ethel Smyths Mutter eine kunst- und musikliebende Frau mit aristokratischen Wurzeln war,
die in Paris einen musikalischen Salon unter dem Namen Madame de Stracey führte. Der
43
Vgl. Unseld, Melanie: Lexikon Musik und Gender, Bärenreiter-Metzler, Kassel, 2010, KreutzigerHerr, Annette und Unseld, Melanie, (Hg.), S. 93-94.
38
Vater war ein Generalmajor der Königlichen Artillerie. Die Musik war ein wichtiger
Bestandteil im Leben der Familie Smyth. Ethels musikalisches Talent wurde schon früh beim
Singen und Spielen mit ihren Schwestern entdeckt. Einen Beitrag auf Ethels späteren
Deutschlandbezug übte eine im Hause Smyth angestellte Gouvernante, die in Deutschland
Klavier studiert hatte, aus. Ethel kam schon in frühen Jahren mit der Musik Beethovens in
Berührung. When I was twelve a new . . . [governess] arrived who had studied music at the
Leipzig Conservatorium, then in the heyday of its reputation in England; for the first time I
heard classical music and a new world opened up before me. Shortly after, a friend having
given me Beethoven’s Sonatas, I began studying the easier of these and walked into the new
world on my own feet. Thus was my true bent suddenly revealed to me, and I conceived the
plan, carried out seven years later, of studying at Leipzig and giving up my life to music.44
Ethel machte außerde, in jungen Jahren mit ihrer burschikosen und wilden Art auf sich
aufmerksam. Ihr Interessen und die Ausübung von Sport wie Reiten und Jagen waren für ein
Mädchen ihres Standes durchaus unüblich. Ethel galt bald als schwer erziehbar und wurde mit
14 Jahren in ein Mädchen-Internat gesteckt. Diese Strafmaßnahme musste sie drei Jahre lang
erdulden. Wieder im Elternhaus angekommen musste Ethel, da ihre älteren Schwestern
mittlerweile verheiratet waren, Hausarbeiten übernehmen. Diese Tatsache nahm die junge
Rebellin jedoch nicht hin und setzte sich stattdessen dafür ein, ebenfalls wie die Gouvernante
nach Leipzig gehen zu dürfen, um Komposition zu studieren. Trotz der Züchtigungen des
Vaters mit einer 73 cm langen, hölzernen Stricknadel und der Schläge ihrer Mutter auf ihre
Ohren, wie sich die Komponistin später erinnert, blieb die junge Ethel hartnäckig und
willensstark und konnte ihre Eltern schließlich mit Hungerstreiks und der Verweigerung zu
sprechen, dazu überreden, in Leipzig zu studieren. Eine Bedingung der Eltern war jedoch,
dass Ethel einmal im Jahr nach England zurückkehrte.
In Leipzig studierte sie zunächst am Konservatorium, wo sie jedoch nicht beabsichtigte, ihre
Klavierkenntnisse weiter auszubauen und nahm bald darauf privaten Harmonielehre- und
Kontrapunktunterricht bei einem Komponisten Namens Heinrich von Herzogenberg. Unter
ihren ersten Werken finden sich ausschließlich Klavier- und Kammermusikwerke.
Sie schaffte sich in wenigen Jahren ein lebendiges Umfeld mit intellektuellen
Bekanntschaften und Freundschaften. Nicht nur das Leipziger Gewandhaus mit seinen
hochwertigen Konzerten und Opern zog Ethel Smyth in seinen Bann, auch die Nähe zu
44
Smyth, Ethel: Impressions that Remained, London: Longmans, Green & Co. 1919.
39
Künstlerpersönlichkeiten wie Peter Tschaikowsky, Edward Grieg, Clara Schumann und
Johannes Brahms waren für die junge Musikerin anziehend. Tschaikowsky beeinflusste und
regte Smyth schließich auch an, sich im Bereich der Instrumentationslehre weiter zu
entwickeln, was Smyth umsetzte und anhand von Opern, Orchesterliedern und Solokonzerten
verwirklichte.
Ethel verband bald eine innige Freundschaft mit der Frau ihres Privatlehrers Herzogenberg.
Diese hieß Elisabeth („Lisl“) und war Pianistin. Zwischen den beiden entstand eine Art
Mutter-Tochter-Beziehung mit erotischen, sehr innigen Momenten, u.a. da die kinderlose
Frau Herzogenberg einen leeren Platz in ihrem Leben auffüllen wollte. Ethel Smyth äußert
sich in einem Brief an ihren langjährigen Freund, künstlerischen Partner und späteren
Lebenspartner, Henry Brewster (verheiratet mit der Schwester von Frau Herzogenberg) zum
Thema Sexualität: „Ich frage mich manchmal, weswegen es so leicht für mich ist – und wohl
auch für zahlreiche andere Engländerinnen –, mein eigenes Geschlecht leidenschaftlicher zu
lieben als das Deine. ... Selbst die Liebe zu meiner Mutter besaß eine intensive Qualität, die
man nur als Leidenschaft bezeichnen kann. Wie erklärst du dir das? Ich kann es nicht
ergründen, denn ich halte mich für eine sehr gesunde Person. Es ist ein ewiges Rätsel.“45 Die
Anziehung zu Frauen hat sich höchstwahrscheinlich in den Jahren im Mädchen-Internat
gefestigt. Als Bewsters Frau starb, hielt er um Ethels Hand an, doch diese lehnte ab und
verwies in einem Brief auf das Schicksal der Anna Karenina in Tolstois Roman und führte
andere mahnende Beispiele gegen die Ehe an: „Einige produktive Männer sind sogar unfähig
zu weiteren Anstrengungen, und wenn sie sie unternehmen, bringen sie nur Unheil für sie
selbst, ihre Frauen oder das gesellschaftliche Gefüge mit sich – sieh´ Dir nur Carlyle und
Goethe an, und als Beispiel für eine Frau, die - zu furchtsam, um für sich selbst einzustehen –
heiratete und ihr Werk durch dieses Aufgeben der Freiheit verdarb: G. Eliot.“46 Einen
Heiratsantrag abzulehnen, und Bisexualität zu leben, zeugten von gesundem Geist, in einer
Zeit wo Homosexualität als Krankheit gesehen wurde.
Ethel Smyth lebte ihr Leben wie jeder Mann es für sich in Anspruch nehmen würde und
unterstellte sich ihren männlichen Kompositionskollegen nie. Smyths Messe in D-Dur wurde
1894, nach den erfolgreich aufgeführten Stücken 1890 Serenade in D und Antony and
Cleopatra mit der Royal Choral Society unter der Leitung von Joseph Barnby in der Royal
Albert Hall uraufgeführt, worüber die Komponistin Folgendes berichtete: [...] „I found myself
45
46
Zitat nach: Rieger, Eva (Hg.): Ein stürmischer Winter, Kassel 1988, S. 230.
Zitat nach: St. John, C.: Ethel Smyth, London 1959, S. 72.
40
up against a brick wall. Chief among the denizens of the Groove at that time where Parry,
Stanford, and Sullivan. These men I knew personally; also Sir George Grove; Parry and
Sullivan I should have ventured to call my friends ... not one of them extended a friendly
finger to the newcomer...”47
Aufgrund zahlreicher finanzieller Unterstützung seitens reicher und einflussreicher
FreundInnen wie Kaiserin Eugènie, deren Kontakte zum Präsidenten der Royal Choral
Society, Herzog von Edinburgh, sehr gut waren, wurde Smyth von der breiten Öffentlichkeit
(u.a. Musical Times) vorgeworfen, dass ihr Stück normalerweise nicht die erste Wahl
gewesen wäre und nur durch Smyths Beziehungen aufgeführt wurde.48 Demzufolge wurde die
vom Publikum enthusiastisch aufgenommene Messe in den Zeitungen verrissen: „It is but
seldom“, schrieb die „Morning Post“, „that a lady composer attempts to soar in the loftier
regions of musical art.”49 Auch der „Star“ verfasste eine nicht minder sexistische Kritik: “Is
a female composer possible? No, says your psychologist. … With women, however, it is just
the impossible that is sure to happen.”50
Unter sehr vielen negativen Kritiken waren jedoch einige Stimmen, die Smyth ausschließlich
wohlgesonnen waren, wie die von George Bernhard Shaw, der in „The World“ schreibt, dem
Werk liege: „[…]bei allem äußeren Anspruch, höchst würdevoll aufzutreten, eine Weltlichkeit
zugrunde, die den Hörern ihre Aufgabe leichtmacht.“... „Aber die Messe hat großartige
Stellen, zum Beispiel das ‚I look for the life of the world to come‘, Stellen, die alle Menschen
rühren, in denen überhaupt noch Glauben und Hoffnung lebt, ob das Leben, das sie erwarten,
sich nun auf Londoner Straßen und Plätzen abspielen soll oder in einer anderen Welt. Stellen,
die sich in werkgerechten modernen Vertonungn gottesdienstlicher Texte aus der
abgebrauchten toten Messe herausheben, mit der Glaubensbekenntnisse im Laufe der
Jahrhunderte unweigerlich belastet werden.“ Ferner bemerkte Shaw Miss Smyth assoziiere
auch „auf seltsam heidnische, aber durchaus angenehme Weise das Himmlische mit dem
Pastoralen“, und er schrieb ihr „ein echtes Gefühl für die Instrumente“ zu. Shaws
abschließende Aussage lautete: „Nachdem Frauen in Victor Hugos Beruf auch fallende
Erfolge erziehlt haben, sehe ich nicht ein, warum ihnen das nicht auch in Liszts Beruf
47
Smyth, Ethel: Female Pipings in Eden, London 1933, S. 38-39.
Vgl. Saremba, Meinhard: Elgar, Britten & Co. Eine Geschichte der britischen Musik in zwölf
Portraits, M&T Verlag Ag, Zürich/St. Gallen, 1994, S. 131.
49
Zitat nach: Collis, Louise: Impetuous Heart: The Story of Ethel Smyth, William Kimber, London
1984, S. 63.
50
Zitat nach: Collis, Louise: Impetuous Heart: The Story of Ethel Smyth, William Kimber, London
1984, S. 64.
48
41
gelingen sollte, sobald sie ihm erst einmal ihre Aufmerksamkeit zuwenden“51 Zu einem
späteren Zeitpunkt stehen Shaw und Smyth in Briefkontakt, worin ihr Shaw mitteilt, seine
Anichten Frauen gegenüber reformiert zu haben: „You are totally and diametrically wrong in
imagining that you have suffered from a prejudice against feminine music. On the contrary
you have been almost extinguished by the dread of masculine music. […] It was your music
that cured me forever of the old delusion that women could not do man’s work in art and all
other things. […] You scorned sugar and sentimentality; and you were exuberantly ferocious.
You booted Elgar contemptuously out of your way as an old woman52.
Ethel Smyth sah den Ursprung der oftmaligen Ablehnung ihrer Werke in der Erstarrung des
britischen Kulturestablishments und dem Umstand, dass sie eine Frau war, wie sie hier in
einem ihrer Schriften festhält: „Year in year out, composers of the Inner Circle, generally
University men attached to our musical institutions, produced one choral work after another
– not infrequently deadly dull affairs – … automatically went the round of our Festivals and
Chorals Societies. … Was it likely, then, that the Faculty would see any merit in a work
written on such very different lines – written too by a woman who had actually gone off to
Germany to learn her trade? “53
Smyths andauerndes Aufzeigen von Diskriminierung gegen Frauen in ihren Essays, ihr
Auftreten als Feministin in der Öffentlichkeit sowie der Verlust ihres Freundes Henry
Brewester mündeten in die aktive Unterstützung der 1903 gegründeten parteiunabhängigen
Organisation der „Suffragetten“. Sie beteiligte sich nicht nur an Demonstrationen, sondern
komponierte auch den berühmten March of the Women, der am 21. Jänner 1911 von einem
Suffragettenchor unter der Leitung der Komponistin zum Erklingen gebracht wurde. Wie 220
andere Suffragetten, wurde auch Ethel Smyth nach den Gewaltaktionen nach einer
gescheiterten Gesetzesinitiative zum Frauenwahlrecht 1920 für zwei Monate inhaftiert. Der
Dirigent Thomas Beecham besuchte Smyth im Gefängnis und hielt Folgendes fest: „... I went
to see her a several times. But on this particular occasion when I arrived ... There were the
ladies, a dozen ladies, marching up and down, singing hard. He [guard] pointed up to a
window where Ethel appeared; she was leaning out, conducting with a toothbrush, also with
51
Zitat nach: Shaw, G. B.: Musikfeuilletons des Corno di Bassetto, Leipzig 1972, S. 195.
Harris, Amanda: The Smyth-Brewster Correspondence. A Fresh Look at the Hidden Romantic World
of Ethel Smyth, Women and Music: A Journal of Gender and Culture, Volume 14, 2010,S. 92-93.
53
Smyth, Ethel: As Time went on, London 1936, S.172.
52
42
immense vigour, and joining in the chorus of her own song.”54Zwar nahm die aktive
Teilnahme viel Zeit in Anspruch, die Smyth zum Komponieren verwenden hätte können,
doch es schien als würde sie etwas von ihrer persönlichen Kreativität aufgeben, um anderen
die Möglichkeit zu geben kreativ zu sein. Ihr politischer Aktivismus verhalf vielen Frauen der
nächsten Generationen zu mehr künstlerische Freiheiten.55
Da es in England nur ein professionelles Opernhaus gab, musste Ethel Smyth es an einem der
deutschen Häuser versuchen. Smyth reiste also durch ganz Deutschland, um ihre
Opernkompositionen an Opernhäusern vorzustellen. Ihre erste Oper, Fantasio, kam 1889 am
Hoftheater Weimar zur Uraufführung, Der Wald 1902 in Berlin, 1903 in London und New
York. Ethel Smyth war die erste Komponistin, die an der Metropolitan Oper ein Stück
aufführte und erntete eine zehnminütige Ovation des Publikums. Im Musical Courier vom 18.
März 1903 wurde rezensiert: “Not as the music of a woman should Miss Smyth’s score be
judged. She thinks in masculine terms, broad and virile. … Her climaxes are full-blooded and
the fortissimos are real. There is no sparing of the brass, and there is no mincing of the means
that speak the language of musical passion. ... The gifted Englishwoman has successfully
emancipated herself from her sex.”56
In den 1920er Jahren war Smyth die meistgespielte Komponistin an Deutschen Opernhäusern.
Ihre Musik und auch ihr Auftreten, wenn sie eigene Stücke dirigierte, erfreuten sich
weitreichender Beliebtheit.57 Verträge mit Opernhäusern verliefen jedoch nicht immer nach
Vorstellungen der Komponistin. Sie musste im Laufe ihrer Karriere und trotz der großen
Anstrengungen, die sie aufbrachte, viele Niederlagen wegstecken.
Mit dem Jahr 1910 waren alle Hauptwerke Ethel Smyths zur Aufführung gekommen und im
gleichen Jahr erhielt Ethel Smyth die Ehrendoktorwürde der University of Durham, der 1926
eine zweite durch die Universität Oxford und 1928 eine dritte durch die University of St.
Andrews folgten. 1922 machte König Georg V. Ethel Smyth zur „Dame Commander“ des
Order of the British Empire.
54
Beecham, Thomas: Dame Ethel Smyth (1858-1944), Musical Times, Band XCIX, Nr. 4 1958, S.
364.
55
Vgl. Abromeit, Kathlee A.: Ethel Smyth, The Wreckers, and Sir Thomas Beecham, The Music
Quarterly, Vol. 73, Nr. 2, 1989, S. 205.
56
Aus: A New Opera in New York, Musical Courier 46, 18. März 1903, S. 12.
57
Vgl. Saremba, Meinhard: Elgar, Britten & Co. Eine Geschichte der britischen Musik in zwölf
Portraits, M&T Verlag Ag, Zürich/St. Gallen, 1994, S. 135.
43
In den 1930er Jahren lernte Smyth die Schriftstellerin Virginia Woolf kennen und lieben.
Beide kämpften für professionelle Karrieren in Branchen, die traditionellerweise von
Männern dominiert waren und hielten diese Unterrepräsentationen und Diskriminierungen
von Frauen in Büchern und Essays fest.
Ethel Smyth machte im Laufe ihres Lebens viele weitere wichtige, hilfreiche und
einflussreiche Bekanntschaften und Freundschaften, wie zum Beispiel jene mit dem
Dirigenten Bruno Walter oder Thomas Beecham. Letzterer dirigierte zum Anlass des 75.
Geburtstag Ethel Smyths ein Festival mit ihren Kompositionen in der Royal Albert Hall in
London, dem Smyth, aufgrund völliger Ertaubung, nicht beiwohnen konnte.
Trotz zahlreicher UnterstützerInnen und BefürworterInnen Smyths geriet sie nach ihrem Tod
in Vergessenheit. Erst in den 1980er Jahren wurden Smyth und ihr Schaffen wiederentdeckt
und erforscht. Der Verbleib des Nachlasses von Ethel Smyth ist unbekannt. Smyths
schriftstellerische Arbeit hinterlässt jedoch nicht nur ein Zeitdokument zu frauenpolitischen,
gesellschaftlichen, ästhetischen und musikalischen Themen58, sondern gewährt ebenso
Einblick in ihren harten Alltag als Frau in einer Männerwelt, die in der Musik Karriere
machen wollte.
3.3 Zusammenfassung
Betrachtet man die Biographien und das qualitative Schaffen der beiden Komponistinnen, ist
es sehr verwunderlich, dass sich Rebecca Clarke trotz ihres kompositorischen und kreativen
Talents im Gegensatz zu Ethel Smyth nie orchestralen Werken annahm.
Ethel Smyth war schon als Kind von „wilder“ Natur und hat sich dies Zeit ihres Lebens, sogar
bis ins hohe Alter, erhalten. Ethel Smyth war von Kindesbeinen an davon überzeugt die
gleichen Rechte zu haben wie ihre männlichen Mitmenschen. Dieser natürlichen Logik folgte
Smyth bis zum Ende ihres Lebens. Rebecca war zwar, wie sie selbst sagte, immer das
„frechste“ der vier Kinder, doch im Vergleich zu Ethel Smyth eingeschüchtert und ruhig.
58
Auflistung aus Saremba, Meinhard, Elgar: Britten & Co. Eine Geschichte der britischen Musik in
zwölf Portraits, M&T Verlag Ag, Zürich/St. Gallen, 1994, S. 147: Neben zahlreichen Zeitungs- und
Rundfunkbeiträgen folgten noch ihre Essaysammlungen Streaks of Life 1921, A Final Burning of
Boats 1928, Female Pipings in Eden 1933 und Beecham and Pharao 1936, die Erinnerungsbände A
Three-legged Tour in Greece 1927, As Time Went On 1925 und What Happened Next 1940, sowie
eine Biographie des Schriftstellers Maurice Baring 1928 und Inordinate Affection 1926 – ein Buch
über die Hunde in den moisten Fällen Schäferhunde, die sie zwischen 1888 und 1929 besaß.
Unvollendet blieb der autobiographische Band A Fresh Start.
44
Werden die Mütter der beiden Britinnen gegenübergestellt, lässt sich erkennen, dass Nina
Smyth, die immerhin einen Salon in Paris führte, ein an die Öffentlichkeit gerichtetes Leben
führte (zumindest bevor sie Kinder bekam). Dieser Umgang Nina Smyths mit verschiedenen
KünstlerInnen und das Darstellen einer öffentlichen Person gaben der Tochter Ethel Smyth
bestimmt das nötige Selbstbewusstsein. Aus Ethel Smyths Essays, die autobiographische
Züge haben, geht hervor, dass ihre Mutter stets eifersüchtig auf den Lebensstil ihrer Tochter
war, da diese noch stärker für ihre Rechte eintrat und sich weigerte, sich unterzuordnen.
Agnes Helferich hingegen nahm nie die Rolle einer starken, selbstbewussten Frau für
Rebecca Clarke ein. Es scheint, als ob diese Mutter-Tochter-Beziehungen einen Schatten auf
das Leben der Töchter warfen.
Darüberhinaus ist zu erwähnen, dass Ethel Smyth ihre eigenen Stücke stets mit
Selbstbewusstsein, Können und der nötigen Aufdringlichkeit an Menschen gebracht hat, sich
sozusagen immer gut verkauft hat. Smyth hat stets über ihre eigenen Stücke gesprochen, was
Rebecca Clarke nie in diesem Ausmaß, höchstens mit FreundInnen oder geschätzten
KollegInnen, unternommen hat.
Beide Frauen teilen das Schicksal, dass ihr Nachlass nicht ordnungsgemäß verwaltet wurde
und viele ihrer Stücke schwer oder gar nicht bei Verlagen veröffentlicht wurden. Im Laufe der
Recherchen entdeckte ich, dass sich die beiden Komponistinnen privat, wenn auch nicht sehr
gut, kannten und vor allem sehr schätzten.
Ein Unterschied, der hier aufzuzeigen ist, ist der, dass Rebecca Clarke sich stets als feminin
und wohlerzogen in der Öffentlichkeit präsentierte, Smyth hingegen für ihre markanten
Modestile und eigensinnigen, lauten Gestikulierungen bekannt war.
Einblicke dazu geben Lichtbildabbildungen beider Frauen:
45
Zu erkennen ist, dass Rebecca Clarke eine sehr private, zurückgezogene, wenn nicht sogar
schüchterne Ausstrahlung erkennen lässt, Ethel Smyth hingegen selbstsicher, mit dem Blick
zielgerichtet in die Zukunft und den Händen in den Jackentaschen den Eindruck aufkommen
lässt, sehr genau zu wissen, wer sie ist und was sie will.
Ein weiterer Punkt ist die finanzielle Unterstützung, die den Frauen im Laufe ihrer
Schaffensphasen gegeben war. Während Clarke nur auf vereinzelte Unterstützung
zurückgreifen konnte, war es Smyth für einige Zeit möglich, sich künstlerisch zu entfalten, da
der finanzielle Boden ausreichend gegeben war. Beleuchtet man Rebecca Clarkes
Schaffensphase 1919 bis 1923, entstanden die Werke (Sonate für Viola, Klaviertrio und
Rhapsodie), mit denen Clarke auch nach ihrem Tod in Erinnerung blieb. Interessant ist, dass
Clarke in dieser Phase von der sehr wohlhabenden Kunstmäzenin Elisabeth Sprague Coolidge
nicht nur finanziell, sondern auch emotional unterstützt wurde. Smyth hat sich hingegen ein
umfassendes, dichtes Netzwerk aus Mitgliedern der Aristokratie, dem Militär, der Politik und
natürlich der Musik gesponnen und durch ihren Verkaufsgeist, ihrer musikalischen Stärke, die
Gesellschaftskritik ebenso wie Witz enthielt, ihr Hauptwerk zur Aufführung gebracht.
Beide Komponistinnen waren damit konfrontiert, in Kritiken zu ihren Werken auf ihre
Weiblichkeit reduziert zu werden, wobei nicht auf die Stücke an sich eingegangen wurde.
Was sie außerdem verband, war ihre Freude am Komponieren. Clarke hat im Gegensatz zu
Smyth relativ früh aufgehört zu komponieren, sie sagte in einem Interview „I wanted to, but I
46
couldn´t“59, wobei Smyth wegen des Gehörverlusts nicht mehr komponieren konnte, da sie
auf das Anhören der Stücke nach deren Beendigung angewiesen war.60
59
Zitat nach: Curtis, Liane: A Rebecca Clarke Reader, The Rebecca Clarke Society, Inc., Indiana
University Press 2004, S. 176.
60
Vgl. Saremba, Meinhard, Elgar: Britten & Co. Eine Geschichte der britischen Musik in zwölf
Portraits, M&T Verlag Ag, Zürich/St. Gallen, 1994, S. 147.
47
4 Rebecca Clarke und die English Musical
Renaissance
4.1 Was ist die English Musical Renaissance?
Die English Musical Renaissance steht für die Etablierung einer englischen Identität auf
musikalischer Ebene und findet erste Initiativen ab 1840. Dicht verwoben mit den
Entscheidungen der Politik entstanden in den 1840er Jahren erste Fakultäten wie die Royal
Academy of Music (RAM) in London. Ziel war es, englische KomponistInnen und
MusikerInnen heranzuziehen, die den Bestand von ausländischen, vor allem deutschen
MusikerInnen, in England minimierten. England haftete bis dato der Ruf an, es wäre ein Land
ohne Musik, da doch viele dort tätige MusikerInnen und KomponistInnen aus Deutschland
waren, oder zumindest in Deutschland studiert hatten. Der Beruf des Musikers/der Musikerin
war nicht angesehen, sondern nur als Hobby neben einer geldbringenden Tätigkeit gängig.
Musik als Medium für Kunst sollte daher im Zuge der English Musical Renaissance den
bildenden Künsten und der Schriftstellerei ebenbürtig werden. Darum galt es in der frühen
Phase (1850er Jahre) den Stellenwert nationaler Komponisten zu steigern. Die
Industrialisierung, der ansteigende Wohlstand und der daraus resultierende Zugang zu
Bildung für mehrere Gesellschaftsschichten machten diese Entwicklung möglich. Möchte
man das Bewusstsein einer Bevölkerung hinsichtlich nationaler Musik und MusikerInnen
schärfen, braucht es eine klare Kategorisierung und das Aufzeigen der nationalen
(Musik)Geschichte. Hierfür trat George Grove in den Dienst der Politik, um die Meister der
englischen Geschichte aufzuzeigen und in das Bewusstsein der Bevölkerung zurück zu
bringen. Er verfasste das Dictionary of Music and Musicians, auf welches später eingegangen
wird. Der Reverend H.R. Haweis beeinflusste mit seinem Buch Music and Moral die
Entwicklung eines musikalischen Englands. Dieses Buch erschien in 20 Neuauflagen und
blieb bis 1906 in Druck, was beweist, welchen Stellenwert dieses Buch für England hatte. In
dem Buch schreibt Haweis über die Dringlichkeit der EngländerInnen, Kunstmusik als
Instanz zu betrachten, um die moralische Gesundheit einer Gesellschaft zu sichern. Dies sei
laut Haweis aber nur mit einem Komponisten möglich, der sehr gut ausgebildet ist und
intensive, nicht sinnliche, Emotionen mit hoher Kontrolle in Musik umsetzt. Haweis meint,
Mendelssohn (und generell deutsche Musik) habe dieses Maß an Kontrolle und Ausbildung
und sei demnach nachzufolgen. Haweis kritisiert weiters, dass englische Komponisten nicht
48
für das englische Volk komponierten, sondern nur für den Adel und das hohe Bürgertum.
Eine Entwicklung hin zur Zugänglichkeit von Kunstmusik für eine breitere Masse sollte
erreicht werden und Ausbildungsstätten sollten seitens der Politik gegründet werden, in denen
diese Werte und Fertigkeiten weitergegeben würden. Neben anderen der rasanten
musikalischen Entwicklungen im Ausland, werden die 1870er Jahre als Wendepunkt im
kulturellen Denken in England gesehen.61
Die Hinwendung zur Volksmusik in Verbindung mit der besten Ausbildung gelte als
vielversprechende Richtung, wie Haweis in Music and Moral schreibt: „[...] The music of the
people was ballads – the music of the people is still ballads. Our national music vibrates
between ‘When other lips’ and ‘Champagne Charly’ […] this will be so until music is felt
here, as it is felt in Germany, to be a kind of necessity – to be a thing without which the heart
pines and the emotions wither – a need, as of light, and air, and fire.”62 Er hebt eine bereits
positive musikalische Entwicklung in England hervor, die durch Mendelssohns Einfluss, den
stetigen Anstieg von Klavierbesitzern und einem stärker auftretenden Konzertleben
anzufinden sei. Für Englands Zukunft und das Bestehen einer starken Gesellschaft, sollte es
sich musikalisch weiterentwickeln, damit Musik erstmalig seine Mission im moralischen und
kulturellen Leben erfüllen könne.63Er schreibt weiters: “We must not be content with foreign
models […] but we must aim at forming a real national school, with a tone and temper
expressive of England […] When we have a national school of music, and not before, we shall
have high popular standards, and the music of the people will be as real as an instrument of
civilization in its way, and as happily under the control of public opinion, as the Press , the
Parliament, or any other of our national institutions.”64
Haweis’ Music and Moral wirkte lehrbuchartig auf die beiden Musiklehrinstitutionen RAM
und RCM (Royal College of Music) in London, welche seine Maßstäbe in Realität umsetzten.
Ersteres leitete Henry Cole, ein vielbereister Wirtschafter, der in enger Verbindung zum
61
Vgl. Hughes, M. & Stradling, R.M.: The English Musical Renaissance 1860-1940, Construction and
deconstruction, Erste Auflage: Routedge Verlag, London und New York 1993, Zweite Auflage:
Manchester University Press, Manchester und New York 2001. S. 5-7.
62
Zitiert aus Hawais, H. R.: Music and Morals, Strahan 1871, S. 492-493.
63
Vgl. Hughes, M. & Stradling, R.M.: The English Musical Renaissance 1860-1940, Construction and
deconstruction, Erste Auflage: Routedge Verlag, London und New York 1993, Zweite Auflage:
Manchester University Press, Manchester und New York 2001, S. 7.
64
Hawais, H. R.: Music and Morals, Strahan 1871, S. 573-574.
49
Königshaus (vor allem zu Prinz Albert65) stand, der wie Haweis die Zukunft Englands in der
Übernahme von Traditionen aus Deutschland sah. Cole beobachtete, dass zum Beispiel in
München Politik, Wirtschaft, Kunst und vor allem Musik als Zentrum von Rationalität und
Kreativität gemeinsam funktionierten und das vorherrschende Wissen der Garant für
Fortschritt war. Nach dem Tod Prinz Alberts 1861 gründete Cole die Royal Society of Arts
1867. Alfred, Duke von Edinburgh (Alberts zweiter Sohn), wurde der Präsident der Society,
und mit staatlichen Geldern wurde die Royal Academy of Music als Ausbildungsstätte für
englische MusikerInnen, jedoch auch für zukünftige Lehrpersonen, finanziell unterstützt.
Coles Gedanken vor dem Komitee der Royal Society of Arts dazu waren: “I think music is to
be encouraged in order not that any special class, but that the country at large, may derive
benefit and pleasure from it […] As almost all civilized governments of the world have
thought it good state policy to devote some portion of their revenues to the encouragement of
musical education, so I think the time is come when our own government may be fairly asked
to do the same without stepping beyond its functions.”66
Diese geänderten Perspektiven zu Kunst, und der Beziehung zwischen Gesellschaft und
Kunst, wurden als Geburtsstunde der English Musical Renaissance betrachtet. Zwei weitere
Bücher, die veraltete gesellschaftliche Strukturen kritisierten, waren: Jakob Burckhardts The
Civilization of the Period of the Renaissance in Italy 1860 und Walter Paters Studies in the
History of the Renaissance 1873.
Für das bereits erwähnte Dictionary of Music and Musicians war Grove nicht nur
Herausgeber, sondern er schrieb auch viele Artikel selbst. Die weiteren Autoren waren auch
verwoben mit der Gründung und Führung der in London entstehenden Infrastruktur,
angefangen von der Royal Academy of Music bis hin zum Royal College of Music. Diese
beiden waren, und sind bis heute, die führenden Ausbildungseinrichtungen für MusikerInnen
und KomponistInnen in England. Teile der Inspiration Groves für die Enzyklopädie gehen auf
1870/71 zurück, dem Franko-Preussischen Krieg und einer daraus folgenden Krise in Europa.
Grove war ein Kriegsgegner und konnte es nicht akzeptieren, dass zwei der zivilisiertesten
Staaten Europas so viele Menschenleben aufs Spiel setzten, um ihre Macht zu erweitern. In
dieser Atmosphäre reichte die vorhandene englische Musik nicht aus und wurde eine
65
Die nationalistische Entwicklung Englands, in Bezug auf die politische Verbindung zwischen
England und Deutschland sei hier erwähnt, da Königin Viktoria mit dem Deutschen Prinzen Albert
von Sachsen-Anhalt verheiratet war.
66
Cole, Henry: Fifty Years of Public Work, In two Volumes, Volume 2, George Bell and Sons,
London 1884, S. 24-25.
50
politische Priorität. Groves erste Ausgabe des Dictionary of Music and Musicians gewährt
Einblicke in Groves Vorgangsweise. Er selbst schrieb längere Artikel über Beethoven und
Mendelssohn, auch vor allem über die zeitgenössischen, noch lebenden Komponisten wie
Hubert Parry, Arthur Sullivan und Charles Stanford. Es gab auch Einträge über Komponisten
aus früheren Epochen, wie Henry Prucell, wessen Artikel viel länger war als der von Johann
Sebastian Bach. Es sollte zeigen, dass auch England einen großen barocken Komponisten
aufzeigen kann. In Zusammenarbeit mit den Adeligen Duke von Edinburgh und Duke von
Albany trat Grove an die Öffentlichkeit, um für die Integration von englischer Musik in der
Bevölkerung zu werben. Drei Hauptpunkte, die vertreten wurden, waren der soziale und
moralische Wert von Musik, die Musikgeschichte Englands und die daraus folgende
Identifizierung mit dem eigenen Erbe und die positiven Auswirkungen auf das
zwischenmenschliche Alltagsleben in Familien.67
Der innere Zirkel von Lehrpersonen am RCM bestand aus Hubert Parry (Komposition,
Musikgeschichte), Charles Stanford (Komposition und Orchesterleitung) und Walter Parratt
(Orgel), die alle drei der Vision folgten, ein musikalisches Zentrum Englands, und in weiterer
Folge Europas aufzubauen und dabei auf die Bedürfnisse der Studierenden einzugehen.
Stanford, der in Deutschland studierte und dessen musikalische Vorbilder Bach, Beethoven
und Brahms waren, hatte eine sehr wichtige Rolle als Kompositionslehrer und Leiter des
Orchesters am RCM, da er für eine nächste KomponistInnengeneration verantwortlich war.
Stanford war es, der seine enge Verbindung zur Englischen Folklore und die Wichtigkeit des
Volksliedes für eine nationale Einheit und Entwicklung an seine Studierenden weitergab.
1889 konstatierte er die essentielle Verbindung zwischen nationaler Musik und der Folklore
folgendermaßen: „Without the foundation of such music no healthy taste can be fostered in
the population. From all times it has been the germ from which the great composers have
come … The greatest composers have sprung from the heart of the people.“68Als Leiter des
Orchesters war er auch verantwortlich für die Entwicklung einer eigenen Tradition im
Orchesterspiel und Dirigieren. Grove wollte, dass Stanford das Repertoire des Orchesters
stark auf vorhandene englische Literatur ausrichtete, um dem Dictionary of Music and
67
Vgl. Hughes, M. & Stradling, R. M.: The English Musical Renaissance 1860-1940, Construction
and deconstruction, Zweite Auflage: Manchester University Press, Manchester und New York 2001,
S. 26.
68
Hughes, M. & Stradling, R. M.: The English Musical Renaissance 1860-1940, Construction and
deconstruction, Zweite Auflage: Manchester University Press, Manchester und New York 2001, S.
32f.
51
Musiciansund den darin besprochenen englischen KomponistInnen eine aktive Interpretation
zu gewährleisten. Stanfords KompositionsschülerInnen sollten seiner Meinung nach alle
InstrumentalistInnen in diesem Orchester sein, damit sie ein Gefühl für musikalische Verläufe
der unterschiedlichen Instrumentalgruppen bekämen.
Die Meinung, dass Musik notwendig sei für eine gesunde Gesellschaft führte so weit, dass
sich viele weitere Schulen wie das London College of Music auf Abendstunden beschränkte,
um arbeitenden StädterInnen auch einen Zugang zu Musikunterricht zu ermöglichen. Stanford
sah die Zukunft jedoch in der Elementaren Bildungsriege. In seiner Vorlesung zum Thema
Music in Elementary School sagte er: „The first effect of education upon the uneducated
masses is the development of socialistic and even of revolutionary ideas amongst them … the
systematic development of art is a lever in the hands of education … [which] will act more
powerfully than any means of socialistic repression; by raising the standard of refinement it
will in time counteract by fair means the dangers born of knowledge.“69Diese Entwicklung
zeigt von einer Bildungsrevolution, deren Auswirkungen den Lebensstandard aller sozialen
Schichten erreichen sollte.
Groves zweite Hinterlassenschaft für England und die Entwicklung der nationalen Musik war
der Bau des bereits mehrfacht erwähnten Royal College of Music. Er war nicht nur Architekt
(für
Leuchttürme),
sondern
hatte
auch
Talent
als
Spendensammler
und
Veranstaltungsorganisator zum Lukrieren von Geldern. Seine Reden beeindruckten
königliche Unterstützer und führten zu hohen Geldspenden. Grove war es, der England auf
ein Podest im Musikhimmel zurückholte und alle Vorurteile, England wäre ein Land ohne
Musik, ausräumte. Seine Theorie war, dass Englands Musik die erste ausgereifte Schule im
westlichen Christentum darstellte und das „Goldene Zeitalter“ erst mit dem Tod Purcells
endete. Die darauffolgende Übernahme ausländischer Instanz, durch Händel und die
italienische Oper, wurde „Dunkles Zeitalter“ genannt. Für mehr als ein Jahrhundert war
England überschattet von Kräften aus dem Ausland. Einzig die Chortradition hatte überlebt.
Parry, als Professor für Musikgeschichte, hatte die Aufgabe diese Betrachtung der Geschichte
an seine Studierenden weiterzugeben (was ihm laut Hughes und Stradling exzellent gelungen
69
Hughes, M. & Stradling, R.M.: The English Musical Renaissance 1860-1940, Construction and
deconstruction, Erste Auflage: Zweite Auflage: Manchester University Press, Manchester und New
York 2001, S. 46.
52
ist) und ist in Form seines Buches The Art of Music, in schriftlicher Form den Anforderungen
der modernen English Musical Renaissance gerecht geworden.70
Nach der Era Groves, 1891, war nicht nur ein gutes Team am RCM entstanden, dass die
Zukunft für Englands Musik garantierte, sondern auch ein Netzwerk zwischen RCM und der
RAM unter der starken Leitung von Arthur Mackenzie, samt seinen Verbindungen zur Presse,
wie der Musical Times. London hatte sich nun ein Zentrum aufgebaut, das Englischen
KomponistInnen, noch dazu aus allen gesellschaftlichen Schichten, die Möglichkeit gab, ein
geistiges Zentrum zu teilen.
Die Renaissance hatte Züge einer Revolution, doch wie auch andere Revolutionen hatte die
English Musical Renaissance stets starke konservative Komponenten und musste sich bald die
fundamentale
Frage stellen:
Hat
das
Festhalten
von
Traditionen
Vorrang
oder
Weiterentwicklung und Veränderung? Die Bewegung Art for art’s sake wurde immer stärker
und fand mit Edward Elgar einen würdigen Vertreter. Elgars Gönner waren Anhänger
Wagners, und sahen dessen kompositorischen Weg (“In the unprecedented flux of the postWagnerian musical climate – the Pandora´s Box of experimentation opened by Tristan – this
seemed designed to ensure the fossilisation of English Music.”71) zukunftsweisend.
Stanford und Parry waren hingegen der Tradition Brahms verschrieben und sahen eine
musikalische Zukunft nur in Verbindung mit dem Volkslied. Diese beiden Kraftachsen in
England wirkten gegensätzlich und erzeugten eine Kluft, die Raum für weitere Möglichkeiten
schaffte. Einer, der davon Gebrauch machte, war der Dirigent Henry Wood (1869-1944). Er
gründete 1895 die Promenade Concerts, kurz Proms, die den Sinn hatten, einer breiten Masse
für wenig Geld die Möglichkeit zu geben, gute Orchestermusik zu hören. Diese Erneuerung in
der englischen Konzertwelt, dass auch niedrige Schichten Anteil hatten an der Musik, schlug
Wellen, und forderte die Vertreter der English Musical Renaissance, darunter Parry und
Stanford, auf, sich solchen Veränderungen anzupassen. Woods Ziel war es, nicht nur
englische Musik anzubieten, sondern auch Musik aus Russland, Frankreich, Deutschland und
Österreich, um eine musikalische europäische Entwicklung und vor allem verschiedene
70
(Vgl.) Hughes, M. & Stradling, R.M.: The English Musical Renaissance 1860-1940, Construction
and deconstruction, Erste Auflage: Routedge Verlag, London und New York 1993, Zweite Auflage:
Manchester University Press, Manchester und New York 2001, S. 45-46.
71
Hughes, M. & Stradling, R.M.: The English Musical Renaissance 1860-1940, Construction and
deconstruction, Erste Auflage: Routedge Verlag, London und New York 1993, Zweite Auflage:
Manchester University Press, Manchester und New York 2001, S.57.
53
Ästhetiken aufzuzeigen. Henry Wood war es auch, der das erste Orchester leitete, in dem auch
Frauen mitspielten (Rebecca Clarke war eine der sechs Streicherinnen).
Der Erste Weltkrieg führte zu einer unmittelbaren Abwendung von der deutschaffinen
Haltung der Wagner AnhängerInnen, aber auch fundamentalen Ideale Deutschlands, die sich
Grove und Parry als Bausteine für die Englische Renaissance zurechtlegten, wurden
abgelehnt. Der Angriff Deutschlands auf das neutrale Belgien, die Gewalt gegen
Zivilpersonen, das Zerstören von Städten samt Bibliotheken, das Einsetzen von Giftgas und
der erste Luftangriff auf London am Weihnachtsabend 1914, führten zu einer profunden
Reaktion seitens der Engländer. Anti-Deutsche Einstellungen führten dazu, dass das Royal
House selbst den Namen von Sachsen-Coburg-Gotha auf den Namen House of Windsor
änderte. Politische Verbindungen wurden somit kurzerhand abgebrochen.
Der mahnende Artikel The War and the Future of Music von Ernest Newman sollte England
darauf hinweisen, dass ein Zurückweichen auf „Little England“ ein fataler Schlag gegen die
Entwicklung der Musik in England wäre.72 Insbesondere, da sich England in den letzten 20
Jahren zu einem kosmopolitischen Zentrum entwickelt hatte, hätte diese Richtung einen
(deutsch)nationalen Beigeschmack. Newman hatte auch schon in vorangegangenen Artikeln
in der Musical Times die ‚folk-song friends‘ darauf hingewiesen, dass Nationalismus einem
nationalen Komponisten nicht helfe national zu sein.73
Nach einem Spielverbot von deutscher Musik (Musik des Feindes) und dem Auftrittsverbot
von deutschen MusikerInnen seitens der Britischen Regierung begann ein regelrechter Boom
britischer Werke an Opernhäusern und Konzertsälen. Komponisten, wie Elgar und Parry,
komponierten
einige
propagandistische
Kriegswerke,
durch
die
Elgar
seinen
Bekanntheitsgrad erweiterte und auch sehr gut verdiente, wobei Parry vermehrt in Konflikt
mit sich selbst stand, da die deutschen Traditionen für ihn einen hohen Stellenwert hatten.
Während und schon vor den Kriegsjahren erlitt England auch innerhalb des Landes eine
Krise. Irland wollte die Unabhängigkeit erreichen und die Burenkriege kosteten dem Land
viele Ressourcen. Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte eine Neubesetzung am RCM, was zur
Folge hatte, dass Parry und Stanford von dem jungen aufstrebenden Komponisten Ralph
72
Vgl. Hughes, M. & Stradling, R.M.: The English Musical Renaissance 1860-1940, Construction and
deconstruction , Zweite Auflage: Manchester University Press, Manchester und New York 2001, S.
84.
73
Vgl. Hughes, M. & Stradling, R.M.: The English Musical Renaissance 1860-1940, Construction and
deconstruction , Zweite Auflage: Manchester University Press, Manchester und New York 2001, S.
84.
54
Vaughen Williams und dessen langjährigen Freund Hugh Allen, einem Industriellensohn,
nachbesetzt wurden. Beide waren loyale Anhänger der Renaissance und der Deutschen
Tradition, vor allem Bach und Brahms. Vaughan Williams war bekannt durch seine
umfangreichen Sammlungen von Volksliedern aus ganz England Bushes and Briars aus 1903.
Williams galt stets als Komponist, der dem Volk nahestand. Er lehnte die Musik Schönbergs,
Stravinskys und Bartóks ab, da er Atonalität als hässlich empfand. In den 1920er Jahren war
Williams als „der nationale“ Komponist in England angesehen. Mit Ende der 1920er Jahre
war die Folksong School sehr populär und garantierte ein weiteres Fortbestehen.
Die in England vorherrschende Beliebtheit Stravinskys stieg trotz der Bemühungen Williams
und seiner Anhänger, dies zu verhindern. Neben Stravinsky waren auch Jazz, die
schöpferische Musik aus Frankreich – vor allem Ravel, Satie und die KomponistInnen aus Les
Six – große Einflüsse auf die englische Musikszene. Diese Einflüsse aus dem Ausland ließen
Journalisten der Musical Times wie Robin Hull die Meinung äußern, dass das Folksong
Revival in England nun dem Ende zuginge.74
Die stattfindende Kommerzialisierung der Musik im Radio, also der Gründung und
Entwicklung der BBC (British Broadcasting Corporation) in England, trug weiter dazu bei,
dass England eine Öffnung zu Musik aus dem Ausland durchführen musste und Filmmusik,
Jazz und Musicals ebenso ausstrahlte wie Klassische Musik. Ein Faktor war, dass Menschen
nach dem Krieg eine „leichtere“ Musik hören wollten, um sich den Kriegsschrecken zu
entziehen. In den 1940er Jahren schlossen das RCM und die BBC Abkommen ab, viele
Konzerte des RCM im Radio zu übertragen.
Blickt man zurück auf die Anfänge Englands in den 1840 Jahren, das Land in ein „Land mit
Musik“ zu verwandeln, können viele Konzerte namhafter KomponistInnen genannt werden,
die im Ausland, vor allem Deutschland, Erfolge feierten. Charles Stanford war mit einem
Konzert 1889 in Berlin, das ausschließlich seine Werke beinhaltete (darunter die Irish
Symphonie), eine beachtete kreative Figur im Deutschen Musikleben. Auch Ethel Smyth
konnte mit drei Opernpremieren in Deutschland punkten sowie Edward Elgar, der von dem
führenden deutschen Komponisten Richard Strauss nach der Aufführung von dessen Werk
The Dream of Geronitus mit dem Titel „Meister“ gekürt und als Inbegriff des Englischen
Progressivismus bezeichnet wurde.
74
Vgl. Hughes, M. & Stradling, R.M.: The English Musical Renaissance 1860-1940, Construction and
deconstruction, Erste Auflage: Routedge Verlag, London und New York 1993, Zweite Auflage:
Manchester University Press, Manchester und New York 2001, S.101.
55
4.2 Rebecca Clarke und die English Musical Renaissance
Geht man davon aus, dass Clarke nicht nur an den zwei Hauptinstitutionen, nämlich der RAM
und dem RCM, studierte sowie Kompositionsstudentin von Sir Charles Stanford war, der
gemeinsam mit Grove und Parry eine der Schlüsselfiguren der English Musical Renaissance
darstellte, könnte davon ausgegangen werden, Clarke sei unbedingter Teil der English
Musical Renaissance. Erkennt man jedoch, dass Clarke nicht mit einem einzigen Wort in dem
Buch The English Musical Renaissnce 1840 -1940 von Hughes und Stradling erwähnt wurde
oder in Groves Dictionary for Music and Musicians von 1980 mit einem nur zwei Zeilen
langen Eintrag: „Rebecca Clarke, b. Harrow, 2 Aug 1886. English viola player and composer,
wife of James Friskin.“75vermerkt wurde, stellt man sich die Frage, warum Clarke so spärlich
festgehalten wurde. Liane Curtis war die erste Musikologin, die eine Verbindung von Clarke
zur Renaissance aufstellte (Rebecca Clarke and the English Musical Renaissance findet sich
in Curtis‘ A Rebecca Clarke Reader S. 19). Bryony Jones hält fest, dass zu Clarke über den
Namen ihres Mannes James Friskin mehr Informationen über sie als Komponistin und ihr
Leben zu finden sind als über ihren eigenen Namen selbst. Dies ist als Konsequenz
patriarchaler Strukturen zu sehen, die sich in der Reproduktion männlicher Macht durch den
Ausschluss von Frauen und zeitgleichen Erhalt von Männerbünden (in weiten Teilen bis heute
in unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbereichen) widerspiegeln. Diese Strukturen
mach(t)en natürlich auch nicht vor dem weiten, prestigeträchtigen Sektor des Musikschaffens
Halt. Ein weiteres Beispiel solcher vorhandenen Männerbünde ist die Universität, die auch ein
Spiegelbild der Gesellschaft darstellt(e) und durch ihre späte Öffnung für Frauen auch in
dieser Arbeit bereits thematisiert wurde.76 Erst in den 1980er Jahren, mit Gründung der
Rebecca Clarke Society, kam der Forschungsgegenstand „Rebecca Clarke und ihr Schaffen“
ins Rollen. Nach genauerem Hinsehen änderten sich die Ansichten seitens Musikwissenschaft
gegenüber Rebecca Clarke:
„significant British figure ... who wrote with impressive
technical command, individual expression, and a refreshingly international outlook"77; „one
of the most interesting and independent-minded British composers - of either sex – in the first
75
Sadie, S. (Hg.): The New Grove Dictionary of Music and Musicians, IV, London 1980, S. 448.
Vgl. Rath, Anna: Wenn frau Wissen schaffen will. Universitäre gleichstellungsorientierte
Weiterbildung zur Karriereförderung von Wissenschafterinnen. http://static.unigraz.at/fileadmin/Koordination-Gender/Gleichstellung/Masterarbeit_Anna_Rath.pdf
77
MacDonald, C: Rebecca Clarke's Chamber Music; Tempo, Nr. 160, March 1986, S. 15, Zitat nach:
Jones, Bryony: The Music of Rebecca Clarke (1886-1979), Dissertation, Liverpool, 2004, S. 2.
76
56
half of the twentieth century”78;“one of the most accomplished British composers of her
generation”79
Um so verwunderlicher ist es, dass Clarke zum einen in Stephen Benfields Studie Sensibility
and English Song (1985) ausgeschlossen blieb, und zum anderen im sehr umfangreich
ausfallenden Buch Women and Music - A History (1991) von Karin Pendle ebenfalls nicht
erwähnt wurde.80 Erst im New Grove Dictionary of Women Composers, und mit viel Druck
seitens der Rebecca Clarke Society81, kam es zu einem umfangreichen Eintrag von mehr als
1000 Worten, der einen Einblick in ihre Errungenschaften und ihre Wichtigkeit für die
britische Musikgeschichte gewährt.82
Betrachtet man zunächst nochmal die Anzahl der Einträge von Frauen im Buch The English
Musical Renaissance 1840-1940, empfinden Hughes und Stradling nur fünf Komponistinnen
als würdig, in 100 Jahren Musikgeschichte erwähnt zu werden. Vergleicht man dies mit der
Aussage von Marin Ruth Tollefson Jacobson in ihrer Dissertation Stylistic development in the
choral music of Rebecca Clarke aus dem Jahr 2011, erscheint es nahezu unverantwortlich,
wie stark eine so faszinierende Komponistin vernachlässigt wurde:
“As Clarke‘s music gains wider circulation and as further scholarship draws attention to her
excellent writing and beautiful, expressive compositions, Rebecca Clarke may be recognized
as one of the finest English composers of the early twentieth century.”83
Tollefson Jacobson spricht in ihrer Dissertation, ebenfalls wie Curtis, auf die sich T. J. immer
wieder bezieht, den Grund an, warum Clarke als Teil der Renaissance in der
Geschichtsschreibung immer ausgelassen wurde. Sie führt dieses Phänomen darauf zurück,
dass Clarke nie ein Orchesterwerk vertonte und somit auch nie im Zuge größerer Konzerte der
breiten Masse vorgeführt werden konnte, wie zum Beispiel Ethel Smyth mit ihren
Opernkompositionen. Jedoch versprachen Clarkes kompositorische Erfolge auf dem RCM
eine vielversprechende Zukunft als Komponistin, welche durch finanzielle Umstände, die die
78
MacDonald, C: Introduction to the Boosey and Hawkes edition of Clarke's Trio (1994), Zitat nach:
Jones, Bryony: The Music of Rebecca Clarke (1886-1979), Dissertation, Liverpool, 2004, S. 2.
79
Oliver, M E: Gramophone, 73, October 1995, S. 81, Zitat nach: Jones, Bryony: The Music of
Rebecca Clarke (1886-1979), Dissertation, Liverpool, 2004, S. 2.
80
Vgl. Jones, Bryony: The Music of Rebecca Clarke (1886-1979), Dissertation, Liverpool, 2004, S. 2.
81
Die Rebecca Clarke Society wurde 2000 von Dr. Liane Curtis von der Brandeis University
gegründet. Ziel ist es Clarkes Werk zu verbreiten, um das Interesse an der Komponistin zu erhöhen.
Weiters bemüht sich die Society Clarkes Stücke auf die Bühne zu bringen.
82
Vgl. Jones, Bryony: The Music of Rebecca Clarke(1886-1979), Dissertation, Liverpool, 2004, S. 3.
83
Tollefson Jacobson, Marin Ruth: Stylistic development in the choral music of Rebecca Clarke, in:
Theses and Dissertations, Iowa Research Online, University of Iowa 2011, S. 204.
57
junge Studentin dazu zwangen, als Bratschistin ihren Lebensunterhalt zu verdienen und das
Komponieren aus Zeitmangel zu vernachlässigen, zunichtegemacht wurde. Aus diesem
Lebensumstand heraus entwickelte sich Rebecca Clarkes Karriere in eine instrumentale,
kammermusikalische Richtung: Clarke wurde zu einer der renommiertesten Bratschistinnen
in ganz England. Tollefson Jacobsons Dissertation behandelt eine Behauptung Curtis‘, die
besagt, dass Clarke sich dazu entschlossen hätte, nie größere Werke zu vertonen, da Frauen
immer wieder gesagt würde, sie seien nicht fähig kreativ zu sein, hätten weniger
intellektuelles Potential als Männer und würden im Kompositionsprozess ihre feminine Seite
verlieren. Bedenkt man Clarkes Fixstelle als Bratschistin im Queen‘s Hall Orchestra und die
öffentliche Aufregung und Abneigung Frauen in Orchestern gegenüber, ist es möglich, dass
sich Clarke diesem öffentlichen Druck, der auf sie eingefallen wäre, hätte sie Orchesterwerke
vertont, nicht aussetzen wollte, trotz ihrer Leidenschaft für das Komponieren.
Mit dem Lebensumstand als Kammermusikerin konnte sie in ihrem Fachbereich ihre
kompositorischen
Fähigkeiten
und
Fertigkeiten
auf
sehr
hohem
Niveau
in
experimentierfreudigem Umfeld ausprobieren, umsetzen und einem Publikum präsentieren,
das auch Interesse an neuer Musik hatte (Kritiken nicht einberechnet).
Ein wichtiger Faktor war bestimmt auch, dass sie sich das Komponieren größerer Werke
schlicht und einfach nicht leisten konnte, da sie, bis auf Elisabeth Sprague Coolidge, keine
Gönner aufzuweisen hatte.
Die Spezialisierung auf Kammermusik, vor allem auf Lieder, die Clarke vertonte, waren nach
Ansichten der Vertreter der English Musical Renaissance keine repräsentativen Arbeiten.
Charles Stanford hatte seinen Studierenden zum Beispiel das Vertonen von Liedern zwar stets
ans Herz gelegt, ihnen jedoch auch zu verstehen gegeben, dass das Komponieren von Liedern
immer nur eine beiläufige Tätigkeit darstellen sollte, um die Handhabung mit kleinsten
musikalischen Teilen stets zu trainieren, bis das Handwerk soweit gereift war, um absolute
Musik zu schreiben.84
Da die English Musical Renaissance gesellschaftlichen Normen, vor allem jenen der
Viktorianischen Zeit, unterlag war, stand eine Frau als Kompositionsstudentin im
Widerspruch zum gängigen Sittlichkeitsbild der Frau, wie Clarke selbst schrieb: „When I was
a student a female composer was about as much of a freak as the bearded lady of the
84
Vgl. Jones, Bryony: The Music of Rebecca Clarke (1886-1979), Dissertation, Liverpool, 2004, S.
19f.
58
circus.“85Curtis geht davon aus, dass die starren Viktorianischen Ansichten Clarkes
Komponistinnendasein sehr stark geformt haben. In der Folgte konnte sich Clarke als Frau
kaum herausnehmen, sich überhaupt zu entscheiden, große oder kleinere Werke zu schreiben,
sondern sah den einzigen Weg in der Kammermusik. Dies unterstreicht auch Paula Gilletts
Aussage, der zufolge Frauen, die große Werke veröffentlichen wollten, nicht nur dasselbe
Problem hatten wie Männer, überhaupt einen Verlag zu finden, sondern bei einer fallweisen
Gegenüberstellung die Stücke von Frauen immer als schlechter bewertet wurden als die der
Männer.86
In Curtis‘ Artikel Rebecca Clarke and the English Musical Renaissance bespricht diese, dass
Clarke einen gewissen Einfluss auf verschiedene männliche Zeitgenossen wie Gurney und
Vaughen Williams und deren Liedkompositionen hatte. Tollefson Jacobson geht sogar von
noch vielen weiteren Komponisten aus, die Clarke mit ihrer sehr fortschrittlichen, europäisch
offenen Kompositionsweise beeinflusste (und von denen sie auch umgekehrt beeinflusst
wurde). Dazu zählen Parry, Holst, Granville, Bantock, Frank Bridge, Roger Quilter und
andere, von denen Clarke als Kollegin und Komponistin auch sehr geschätzt wurde.
Rebecca Clarke, die als Kind brutal von ihrem Vater geschlagen und gedemütigt wurde,
führte zwar ein selbstbestimmtes Leben, hatte jedoch mit Depressionen zu kämpfen, wie aus
ihren Memoiren hervorgeht. Diese äußerten sich unter anderem in Form von
Minderwertigkeitskomplexen, die sich bis ins hohe Alter zogen, wie der Eintrag in ihren
Memoiren bezeugt: „I loved the Royal College, and made many more friends there than I had
at the Royal Academy. It was extremely stimulating to think of the well known composers who
had been there and passed through Stanford’s hands: Gustav Holst, Vaughan Williams,
Frank Bridge, George Butterworth and a host of others, all of whom I ultimately came to
know. That I was the only woman he had accepted was a source of great pride to me, though I
knew full well that I never really deserved it.”87Im nächsten Absatz sieht sich Clarke selbst
zwar als Teil ihrer Zeitgenossen, doch dies sehr zurückhaltend und den anderen gegenüber
sehr bewundernd: „Awestruck, I gazed at composition students whose names were already
known to me. There they were in person at the Fortnightly concerts – Benjamin Dale, York
85
Zitat nach: Curits, Liane: The Woman Composer - Then and Now. Facsimile of typescript reproduced
with Morpheus: for Viola and Piano by Rebecca Clarke, Appendix 2, New York: Oxford University
Press 2002.
86
Gillett, Paula. Musical Women in England, 1870-1914. New York: St. Martin’s Press 2000, S. 18.
87
Clarke, Rebecca: I Had a Father, Too; or The Mustard Spoon. Unveröffentliches Manuskript,
private Kollektion, S. 154.
59
Bowen…, and, grandest of all, Arnold Bax, resplendent in a pale-greenish suit with a pink
carnation in his buttonhole. Pig-tailed nonentity that I was, it never crossed my mind that
later on, in my professional life, I should become acquainted with these gods.”Somit lässt
sich Clarkes musikalischer Stil im Sinne der English Musical Renaissance verstehen.88
Der Wechsel von der Violine auf die Viola, auf Anraten Stanfords, verhalf Clarke zu einer
Orchesterpraxis im College Orchester unter der Leitung von Hubert Parry.: „You must come
into the orchestra…Change over to the viola…because then you are right in the middle of the
sound, and can tell how it‘s all done. And from that moment the viola became my instrument.
I had felt an affinity for it ever since I was a child and first heard the two Brahms songs with
viola obbligato; so the switch from violin felt very natural. I have always been glad I made
it”89.
Clarkes Werk lässt eine Verbindung zur Renaissance anhand einiger Beispiele erkennen, die
sie letztendlich als Renaissancekomponistin identifizieren. Three Old English Songs aus dem
Jahr 1923 und die darauffolgenden Three Irish Country Songs von 1926 werden zu ihren
bekanntesten Werken gezählt un sind Arrangements für Stimme und Violine. Hier lässt sich
eine Verbindung zu Ralph Vaughan Williams herstellen, der für seine Volksliedsammlungen
bekannt war. Es hat den Anschein, dass Clarke, die mit Williams befreundet war, durch ihn
oder zumindest sein Umfeld für diese Stücke inspiriert wurde. Dr. Liane Curtis verweist, wie
vorhin angeschnitten, in Rebecca Clarke and the English Musical Renaissance darauf, dass es
offensichtliche Ähnlichkeiten zwischen zwei Liedern von Clarke und Williams gibt. Es
handelt sich um Clarkes The Seal Man (1922) und Vaughan Williams The New Ghost (1925).
Curtis zeigt einige Ausschnitte auf, die hier kurz beleuchtet werden sollen.
88
Vgl. Cutis, Liane: A Rebecca Clarke Reader, The Rebecca Clarke Society, Inc., Indiana University
Press2004, S. 21.
89
Clarke, Rebecca: I Had a Father, Too; or The Mustard Spoon. Unveröffentliches Manuskript,
private Kollektion, S.158-159.
60
Dem voran geht Curtis‘ Vermutung, die besagt, dass Vaughan Williams,, ein Studienkollege
und Freund von Clarke, The Seal Man bei einem informellen Konzert gehört und
un einige ihrer
Vorgehensweisen übernommen hatte (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1 Clarke, The Seal Man, Takt 6-8
Abbildung 2 Vaughan Williams, The New Ghost, Takt 1-3
61
Abbildung 3 Anfang desTextes, The Seal Man, von John Masefield
Abbildung 4 Anfang des Textes, The New Ghost, von Fredegond Shove
Die Stimmführung der Melodien, aus The Seal Man und The New Ghost, teilt eine gewisse
deklamatorische Qualität, deren Ausprägung im Verlauf des Liedes lyrischer und von einer
Arpeggiobewegung im Klavier begleitet wird. Der erste Aspekt, den Curtis erkannte war, dass
beide Texte unmittelbar in die Geschichte einsteigen und beide Stimmeinsätze unbegleitet
beginnen. Außerdem stimmen die Inhalte der Erzählungen insofern überein, als dass sich zwei
Wesen in erotisch geladener Stimmung treffen, wobei ein Wesen sterblich und das andere von
mystischer Natur ist.90
Der zweit Aspekt, der darauf schließen lässt, dass Clarke in Verbindung zur Renaissance
stand, war ihre Textwahl für ihre Werke. Hier ist Clarke in Verbindung mit Ivor Gurney zu
setzen. Beide vertraten das Komponieren des Genre Lied als Zentrum ihres Schaffens. Clarke
greift auf ähnliche Textdichter wie ihre bekannteren Zeitgenossen zurück, darunter Housman,
Yeats, Masefield, Blake, John Fletcher, sowie anonyme Texte mit Verbindung zum
Folklied.91
Rebecca Clarkes Verbindung zur Society of Women Musicians bestand ab der Gründung
1911 über viele Jahre, wenn auch nicht immer gleich intensiv. Die Society wurde von der
Sängerin Gertrude Eaton, der Komponistin Katharine Eggar und der Musikologin Marion
Scott gegründet, die sich als Ziel setzten, Komponistinnen und Instrumentalistinnen zu
90
Vgl. Cutis, Liane: A Rebecca Clarke Reader, The Rebecca Clarke Society, Inc., Indiana University
Press 2004, S. 24 - 25.
91
Vgl. Cutis, Liane: A Rebecca Clarke Reader, The Rebecca Clarke Society, Inc., Indiana University
Press 2004, S. 25.
62
fördern und sich bei regelmäßigen Treffen auszutauschen und zu unterstützen. Die Aufnahme
von Amateurmusikerinnen im Verein, schreibt Laura Seddon, könnte ein Grund dafür sein,
dass sich Clarke immer wieder von der SWM distanzierte, um als professionelle
Instrumentalistin und nicht als Amateurin angesehen zu werden.92
92
Seddon, Laura: The Instrumental Chamber Music of British Women Composers in the Early
Twentieth Century, PhD diss., City University, London 2011.
63
5 Stilistik und kompositorische
Entwicklung Rebecca Clarkes
Rebecca Clarke komponierte ab 1903 im Alleingang ihre ersten Lieder für Klavier und
Stimme, nachdem sie ihr Studium an der RAM abgebrochen hatte. Die Auswahl der
Textutoren fiel damals fast ausschließlich auf deutsche Dichter wie Goethe, von Liliencron,
Dehmel und Schaukal. Die Stücke sind geprägt von romantisch bis spätromantischer Stilistik
und sehr einfacher Umsetzung. Trotz der Einfachheit hat Charles Stanford, als er zwei Lieder
von Rebecca Clarke über ihren Vater bekam, einige Spuren von Talent anhand eigenständiger
musikalischer Ideen entdeckt und wollte diese fördern (siehe auch Kapitel 2). Aus Rebecca
Clarkes Memoiren ist bekannt, dass Clarke einen sehr produktiven Unterricht bei Stanford
genoss und trotz seiner bekannten rauen Art sehr gut mit ihm zurechtkam. Das Variieren von
Motiven stand im Unterricht an der Tagesordnung und das ganz im Stile Brahms, den
Stanford selbst in Deutschland studierte. In diesem Stil wird davon ausgegangen, dass man
das kleinste musikalische Fragment variiert wiederholen und entwickeln kann. Im Fachjargon
ist dieser Stil unter dem Namen „Entwickelnde Variation“ bekannt und wurde von Arnold
Schönberg in Grundlagen der musikalischen Komposition (1937-1948) geprägt.93
Abbildung 5 zeigt uns, wie Clarke zum Beispiel im Stück He That Dwelleth in the Secret
Place of the Most High, die Sopranmelodievon Takt 8 – 16 mit der entwickelnden Variation
umgeht.94
93
Entwickelnde Variation: Dieser definierte e. V. als „Variation der charakteristischen Züge einer
Grundeinheit“, welche „all die thematischen Gebilde“ erzeugt, „die für den Fluß, die Kontraste, die
Vielfalt, die Logik und die Einheit einerseits und für den Charakter, die Stimmung, den Ausdruck und
jegliche notwendige Differenzierung andererseits sorgen und so den Gedanken eines Stückes
ausarbeiten“ (Stil und Gedanke). Der Begriff besagt, dass mithilfe traditioneller „Variations“Techniken wie Abspaltung, Umkehrung oder Reduktion mitunter kleinste intervallische und/oder
rhythmische Bestandteile einer „Grundeinheit“ in fortwährender Veränderung zu einem umfassenden
musikalischen Zusammenhang verknüpft werden. Der Anspruch auf „Entwicklung“ des Variierten soll
dem Hörer zugleich eine anschauliche Nachvollziehbarkeit der Abfolge von Gestaltbildungen
gewährleisten: als „Wachstum, Vermehrung, Erweiterung und Ausdehnung“, aber auch in der
„Verminderung, Kondensierung und Intensivierung“ von Satzelementen (Schönberg, Grundlagen der
musikalischen Komposition). Zitat aus:
http://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_E/Entwickelnde_Variation.xml
94
Tollefson Jacobson, Marin Ruth: Stylistic development in the choral music of Rebecca Clarke,
Theses and Dissertations, University of Iowa 2011, S.125-126.
64
Abbildung 5 Clarke, Melodieverlauf von He That Dwelleth in the Secret Place ofthe Most High
Der Ausgangston g1 der aufsteigenden Melodie wird immer weiter ausgedehnt, zunächst mit
einer großen Sekunde, danach mit einer kleinen Terz und schließlich einer Quarte. Ab Takt 12
wird die Melodie, von h1 ausgehend, nun nochmal gesteigert, doch diesmal spinnen sich die
ausbreitenden Intervalle der Melodie in einer Ganztonstruktur bis zurverminderten Quinte,
auf den Ton f2.95 Es ist hier eine Entwicklung hin zur Septime und weiters zu
Septakkordklängen erkennbar, die Clarkes Stil in weiterer Folgeprägen.
Mit dem Unterricht am RCM kam Clarke mit einer Vielzahl an Stücken der English Musical
Renaissance in Berührung, wie Lieder mit Klavierbegleitung, Streichquartette und
Orchesterstücke. Zudem lernte Clarke im Zuge ihrer Karriere als Bratschistin Musik aus den
kontinentalen Ländern Europas wie Frankreich, Deutschland, Ungarn, Russland und
Österreich (2.Wiener Schule) kennen. Hier wurde sie mit verschiedensten musikalischen
Sprachen konfrontiert, die über die Palette der Tonalität hinausgingen und modale und atonale Expressivität erforschten. Clarke war nicht nur ausübende Musikerin, sie nahm auch
als Zuhörerin teil am regen Konzertleben Londons, das die neuesten Errungenschaften der
Musikgeschichte offerierte. Mit englischer Musik von Parry, Stanford, und Elgar war sie
ebenso umgeben wie mit Musik von Stravinsky96 und Bartók.
Wie bereits im zweiten Kapitel erwähnt, war der französische Impressionismus ein stetiger
Begleiter von Clarke und trug wesentlich in ihrer kompositorischen Entwicklung als
95
Tollefson Jacobson, Marin Ruth: Stylistic development in the choral music ofRebecca Clarke,
Theses and Dissertations, University of Iowa 2011, S. 126f.
96
Clarke mochte Stravinskys Musik, wie sie in ihrem Tagebuch vom 20. Juni 1920 festhielt:
“Stravinsky concert at Wigmore Hall. Crowded audience, mostly laughing at it. I couldn´t help liking
a good deal of it, and it is all interesting.“ Zitat aus: Tollefson Jacobson, Marin Ruth: Stylistic
development in the choral music ofRebecca Clarke, Theses and Dissertations, University of Iowa
2011, S. 317.
65
Komponistin bei. Clarke hatte beim Besuch der Weltausstellung mit ihrem Vater 1900
höchstwahrscheinlich neben dem prägenden Erlebnis des dort auftretenden GamelanOrchesters, auch die Möglichkeit, französische Vertreter der Musikgeschichte, wie Debussy
oder Ravel, zu hören. Ihr Kommilitone Ralph Vaughan Williams hatte 1908 in weiterer Folge
Unterricht bei Maurice Ravel, wodurch Clarke über zweite Hand wieder mit Impressionismus
in Berührung kam. Auf ihre Musik bezogen heißt das, dass sie sich von einer strengen
Tonalität abwandte und mit nicht-funktionsgebundenen Harmonien, darunter Sept- und
Nonakkorde sowie Akkorde mit hinzugefügter Sext ohne Auflösungstendenz ihre Tonsprache
erweitern wollte. Die für Stanford nicht der damaligen Ästhetik entsprechenden
Quintparallelen wurden ebenso wie Dreiklangsparallelen Teil Clarkes musikalischen
Ausdrucks. Rebecca Clarke war eine sehr belesene Person und wollte dem Wort (den
Gedichten ihrer Lieder) mit musikalischer und rhythmischer Expressivität gerecht werden.
Dies war mit der spätromantischen Klangvorstellung und Struktur nicht mehr möglich. Im
Laufe ihrer kompositorischen Entwicklung erweiterten sich auch ihre rhythmischen
Ausdrucksformen, die sich an den russischen Nationalismus und vor allem an Stravinsky
anlehnen, die anhand vieler Taktwechsel und expressiven Rhythmen erkennbar sind. Der
atmosphärische und diffizile Stimmungsgehalt ihrer ausgereifteren Lieder wird bestimmt
durch Dissonanzen, Akkorden in Gestalt von Akkordparallelen, Akkorden plusTritoni sowie
übermäßigen
Akkorden,
um
Sekundreibungen
und
Verwischungen
von
Tonartengeschlechtern zu erzielen. Clarkes harmonisches Spektrum beinhaltet Pentatonik,
Chromatik, Kirchentonarten und Ganztonleitern. Ihre Lieder unterscheiden sich grundlegend,
durch Perspektive, Länge und Stil. Sehr bemerkenswert ist, dass auch ihre kürzesten Lieder
(ShyOne, 18 Takte) eine Dichtheit an Konstruktion und eine motivische Fertigkeit aufweisen
wie ihre größeren Werke (Binnorie: A Ballad, 245 Takte). Viele ihrer Texte, die sie vertonte,
hatten ähnliche Themen: Liebe, Tod und Träume, aber auch Kombinationen dieser. Es zeigt
sich, dass Clarke eine Affinität zu mysteriösen und unheimlichen Stimmungen hatte. The Seal
Man (1922) und Binnorie: A Ballad beinhalten beide Tod mit Ertrinken, und Eight O’Clock
(1927) beschreibt die letzten Momente eines Gefangenen kurz vor seiner Hinrichtung.
Bryony Jones schreibt in ihrer Dissertation über die Verbindung von leeren Quinten (vgl.
Spätwerk von F. Liszt), die Clarke in ihren Liedern oft am Beginn oder als Schlussakkord
66
verwendet, und deren Bezug zu Henry Purcell. Bestätigt wird dies durch ihre persönlichen
Tagebucheinträge.97
Erst seit einigen Jahren wird in der Forschung die Wichtigkeit der Lieder Clarkes anerkannt.
Ihr Name war vielen KammermusikerInnen nur in Verbindung mit der Violinsonate und dem
Klaviertrio bekannt. Erst in den 1980er Jahren wurden auch Clarkes Liedschaffen sowie ihre
zwölf Chorwerke analysiert, wodurch der Umfang und die Qualität ihrer Stücke bekannt
wurde.98
Die Entwicklung Clarkes kompositorischen Stils wird nun anschließend anhand dreier Lieder,
The Clothsof Heaven, The Seal Man und Tiger, Tiger chronologisch nach ihrer
Entstehungszeit und ihrem Entwicklungsstand besprochen. Diese Analyse soll trotz des wenig
beachteten Genres Lied Clarkes herausragende und präzise Arbeit als Komponistin aufzeigen.
Ihre Prämisse war: Qualität statt Quantität.
5.1 The Cloths of Heaven (1920)
The Cloths of Heaven ist neben Shy One eines der ersten Lieder, die Clarke 1920 bei
Winthrop Rogers veröffentlichte. Die Textvorlage ist von William Butler Yeats, der als erster
irischer Dichter den Nobelpreis erhielt. Das Gedicht ist aus dem Gedichtband The Wind
among the Reeds aus dem Jahr 1899 und stellt zur Zeit der Vertonung nicht sein aktuellstes
Werk dar. The Clothsof Heaven hatte ursprünglich den Titel Aedh Wishes for the Cloths of
Heaven und wurde später umbenannt in He Wishes for the Cloths of Heaven (Aedh war ein
schottischer König ca. aus der Zeit 840 -878 n. Chr.). Dies lässt vermuten, dass die lyrische
Person ein Mann ist, der sich wünscht, alle Farben des Himmelslichtes in Form von Tüchern
unter die Füße seiner Geliebten legen zu können. (Möglicherweise könnte dies eine
Anspielung auf den Kavaliersakt des Mannes sein, der seinen Mantel über eine Pfütze legt,
damit sich die Frau beim Überqueren der Pfütze nicht schmutzig macht.) Doch der lyrischen
Person ist der gewünschte Akt des Unterlegens der Füße mit Tüchern in allen Farben des
Himmelslichtes nicht möglich, sie hat „nur“ ihre Träume und legt diese dem Gegenüber
anstatt der Tücher unter die Füße. Es soll sanft betreten werden, sind es doch Träume, auf die
die Geliebte steigt.
97
Vgl. Jones, Bryony:The Music of Rebecca Clarke(1886-1979), Dissertation, Liverpool, 2004, S. 158.
Vgl. Jones, Bryony:The Music of Rebecca Clarke (1886-1979), Dissertation, Liverpool, 2004, S.
156.
98
67
Had I the heavens embroidered cloths,
Enwrought with golden and silver light,
The blue and the dim and the dark cloths
Of night and light and the half-light,
I would spread the cloths under your feet:
But I, being poor, have only my dreams;
I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams
Das rhythmische Konstrukt der Vertonung im Lied ist beherrscht von Zweier- gegenüber
Dreierrhythmen und weist durchgehende Taktwechsel auf zwischen alla breve, 5/4 und 3/4.
Diese technische Anwendung findet sich auch bei Clarkes ZeitenossInnenen wie zum Beispiel
Vaughan Williams wieder. Für die harmonische Analyse ist zu erwähnen, dass das Stück in
einem modalen A-Moll beginnt, in der Textstelle But I beingpoor in eine der Harmonie des
Beginns sehr fremden Tonart H-Dur übergeht und zum Schluss hin in ein A-Dur mündet.
Dies führt zu einer Vertiefung des Stückes, verliert dabei aber nie seine Leichtigkeit.
Die Form des Stückes ist von einem Klaviervorspiel von zwei Takten und einem Nachspiel
von ebenfalls zwei Takten umrahmt und bereitet somit die Atmosphäre des Textes vor. Im
Nachspiel kommt die Vermutung auf, dass die oben genannten Wünsche des Schenkenden
mit seinen intimsten Gedanken (Träumen) zärtlich angenommen werden. Das Lied soll keine
euphorische Liebeserklärung darstellen, sondern vermittelt eine verworrene Stimmung, die
eine Doppelbödigkeit entstehen lässt.
Betrachtet man den Text des Gedichtes mit den verschiedenen Farben des Lichtes golden and
silver wirkt die Stimmung mit einem modalen A-Moll wie eine Vorwegnahme der Textstellen
blue, dim und dark im Takt 7-8. Auch die Gesangslinie, die einen Tonumfang von
zweieinhalb Oktaven aufweist, wandert in ein sehr tiefes Stimmregister und fordert von
InterpretInnen eine ausgereifte Stimmtechnik. Erst bei Takt 10 kommt auf das Wort half
lightein helles D-Dur im Klavier, das Clarke in ein H-Dur weiterführt, eingeleitet vom
lyrischen Ich mit einem kleinen Sextsprung. Clarke nutzt eine breite dynamische Palette,
wobei die sehr anspruchsvolle Stelle des Sextsprunges in ein Pianissimo, weiters sogar in ein
dreigestrichenes Pianissimo geführt wird und für kurze Zeit sogar ein Forte erreicht, das
sofort in einem Pianissimo endet. Im Takt 7 findet sich ein ebenso ausbruchsartiger
dynamischer Schwung, der jedoch nach einem Takt schon wieder vorbei ist.
68
Die rechte Hand des Klavieres beginnt mit sehr dichten Akkorden, wobei die Gesangslinie in
der Klavierstimme verdoppelt wird. Diese Technik kann man auch bei Debussy erkennen, wie
zum Beispiel in dem Stück Claire de lune. Die Gesangslinie wird hier nicht überdeckt,
sondern die Klavierstimme bettet die Gesangsmelodie in einen weichen Farbklang ein, der
aus den verschiedenen Oktavlagen der Melodiestimme hervorgeht. Auch die syllabische
Verarbeitung des Textes ist eine Methode aus der französischen Tradition. Betrachtet man die
vielen Wortwiederholungen im Gedicht (cloths dreimal, dreams dreimal, light dreimal,
spreadzweimal, tread zweimal und underyourfeet zweimal), verwendet Clarke diese sehr
unterschiedlich. Die cloths werden jeweils an unterschiedliche Tonhöhen gesetzt und
unterschiedlichen Notenwerte unterlegt. Dreams hingegen erklingt die ersten beiden Male auf
dem Ton D²: beim ersten Mal in Form einer punktierten Halben, beim zweiten als halbe Note
und beim letzten Mal auf dem Ton A1, um als punktierte Halbe mit folgender Viertelnote, die
mit einem Haltebogen übergezogen ist, mit der Tonhöhe A1 auch ein harmonisches Zentrum
(Dur Tonika) zu erzielen, was jedoch erst im Nachspiel des Klavieres erklingt und als subtile
Schlussformel fungieren soll. Durch diese Vorgehensweise wird auch das Word dreams noch
einmal betont und scheinbar vergrößert.
Ein formaler Überblick schafft Klarheit der einzelnen Gruppierungen:
2 Takte Klaviervorspiel
2+2+2+2
2+2+3+2+4
3 Takte Nachspiel
Die Tatsache, dass das Gedicht sowie das Lied sehr kurz ist (26 Takte), hindert Clarke nicht
daran, in großen Bögen zu denken bzw. sich vergrößernde Bögen weiter zu entwickeln und zu
nutzen (dynamische Bögen). Harmonisch bleibt sie im engeren Sinne im modalen A-Moll
Klang, der mit D-Dur, H-Dur und der endenden A-Dur eher einen Funken Hoffnung für die
geschilderte Liebe im Gedicht darstellen könnte. Dieser A-Dur-Klang wird schon in Takt 7
vorweggenommen und im ersten ausschweifenden musikalischen Bogen und der Textstelle
The blueandthedimandthedarkcloths für einen Takt vorgestellt. Bryony Jones behauptet,
Clarke bevorzuge es, die Gesamtstimmung eines Stückes auszudrücken und nicht einzelnen
Wörtern und Passagen Aufmerksamkeit zu schenken. Dieser Meinung stimme ich nicht ganz
69
zu, sieht man in Takt 9 von The Clothes of Heaven, welche klanglichen Farben den Worten
night (As-Dur), halflight (Es-Dur und D-Dur) unterlegt werden, um einzelne Worte, zwar
subtil, hervorzuheben.
Die erwähnte Verwendung von parallelen Quinten, wie sie Claude Debussy verwendete,
sollen mit folgendem Ausschnitt (vgl. Abbildung 6) aus einem Gespräch zwischen dem
Komponisten und seinem Lehrer Ernest Guiraud aufgezeigt und deren Handhabung
dargestellt werden.
Abbildung 6 Ausschnitt aus dem Kompositionsunterricht: Debussy bei Guiraud
Sie
sollen
Clarkes
Vorstellung
von
Klang,
Schönheit
und
der
99
Überwindung
musiktheoretischer Regeln veranschaulichen.100
Rebecca Clarke hat The Cloths of Heaven mit 26 Jahren vertont. Das Stück zeichnet sich
durch kreative Ideen, Empathie für die Stimmung des Gedichts undkompositorische
Feinarbeit aus, welche das beschriebene schimmernde Farbenspiel musikalisch erfasst.
Clarkes Expressivität ist zart und tiefgehend zugleich und zeugt von sehr hohem Niveau.
99
DeVoto, Mark: Some Aspects of Parallel Harmony in Debussy, Artikelin der Festschrift SerieNr. 19:
Liber amicorum Isabelle Cazeaux:Symbols, Parallels and Discoveries in Her Honor, (Hg.)
Bempéchat, Paul-André, Pendragon Press 2005, S. 460.
100
DeVoto, Mark: Some Aspects of Parallel Harmony in Debussy, Artikelin der Festschrift SerieNr.
19: Liber amicorum Isabelle Cazeaux:Symbols, Parallels and Discoveries in Her Honor, (Hg.)
Bempéchat, Paul-André, Pendragon Press 2005, S.459-485.
70
71
72
73
5.2 The Seal Man (1922)
Ein Jahrzehnt nach den frühen Liedern Shy One und The Clothsof Heavenvertonte Clarke
einen Teil von John Masefields A Main SailHaul, nämlichThe Seal Manim Jahr 1922.
Masefield war nicht nur ein Meister im Geschichteschreiben und Poet der Meere, sondern
auch ein glühender Schüler von Yeats und in weiterer Folge ein sehr beliebter Textdichter der
KomponistInnen aus der English Musical Renaissance. The Seal Man ist die Erzählung eines
jungen Mädchens, das der Legende nach von einem Seehund, in Gestalt eines Mannes, zur
See gelockt wird und ertrinkt. Das Gedicht zeigt das Verlieren des eigenen Selbst gegen eine
Kraft jenseits des eigenen Verständnisses. Clarke verwendet den Schluss von Masefields Text
nicht, bei dem der Mann über dem Körper der toten Frau weint. Diese Abänderung Clarkes ist
sehr aufschlussreich und zeigt, dass Clarke die Frau der Geschichte im Fokus behalten wollte
und nicht die Trauer des Mannes. Deborah Stein interpretiert in ihrem Artikel Dare
SeizetheFire, An Introductiontothe Songs of Rebecca Clarkedas Stück als Vorhersage für
Clarkes Kompositions“durststrecke“ Ende der 1920er Jahre und 1930er Jahre.
Clarkes Methode im Umgang mit Prosatexten unterscheidet sich vom Umgang mit lyrischen
Texten. Sie achtet bei Prosatexten auf die Natürlichkeit des Wortflusses und verarbeitet dies
bei The Seal Man rezitativisch. Die Melodielinie verläuft hierbei eher in Sekundschritten und
wirkt statisch. Diese rezitativischen Teile sind im Klavier nur mit einzelnen liegenden
Akkorden oder Tönen unterlegt und geben der Gesangslinie Klangteppiche, um sich darüber
fortzuspinnen.
Clarke verwendet tonale Elemente, doch insbesondere den verminderten Septakkord mit
nicht-tonalen und modalen Elementen.
74
And he came by her cabin to the west of the road, calling.
There was a strong love came up in her at that,
and she put down her sewing on the table, and "Mother," she says,
"There's no lock, and no key, and no bolt, and no door.
There's no iron, nor no stone, nor anything at all
will keep me this night from the man I love."
And she went out into the moonlight to him,
there by the bush where the flow'rs is pretty, beyond the river.
And he says to her: "You are all of the beauty of the world,
will you come where I go, over the waves of the sea?"
And she says to him: "My treasure and my strength," she says,
"I would follow you on the frozen hills, my feet bleeding."
Then they went down into the sea together,
and the moon made a track on the sea, and they walked down it;
it was like a flame before them. There was no fear at all on her;
only a great love like the love of the Old Ones,
that was stronger than the touch of the fool.
She had a little white throat, and little cheeks like flowers,
and she went down into the sea with her man, who wasn't a man at all.
She was drowned, of course.
It's like he never thought that she wouldn't bear the sea like himself.
She was drowned, drowned.
Faszinierend ist, dass Clarke die mystische Darstellung des Seehundes als Mann aus dem
Meer mit tonalen Elementen versieht und nicht die Welt der Lebenden. Clarke verwendet
metaphorische Klänge (Dreiklangsgruppierungen), die in folgenden Beispielen gezeigt
werden sollen101:
Abbildung 7 sich wiederholende metaphorische Gruppierung im Stück The Seal Man
102
Dieser a-tonale Klang kehrt in verschiedenen variierten Ausformungen wieder, wie in tonalen,
a-tonalen und modalen Kontexten und beinhaltet eine Dualität der Intervalle innerhalb des
101
Stein, Deborah: Dare Seize the Fire, An Introduction to the Songs of Rebecca Clarke, Artikel in
Curtis, Liane: A Rebecca Clarke Reader, The Rebecca Clarke Society, Inc., Indiana University Press
2004. S. 63.
102
Stein, Deborah: Dare Seize the Fire, An Introduction to the Songs of Rebecca Clarke, Artikel in
Curtis, Liane: A Rebecca Clarke Reader, The Rebecca Clarke Society, Inc., Indiana University Press
2004. S. 63.
75
Akkords, der auf Stravinsky zurückzuführen ist.103 Eine klare Benennung von a-tonalem oder
tonalem Zusammenhang verschwimmt in Clarkes Vorgangsweise. Im Gegensatz zu tonalen
Bezügen stellt Clarke Intervallzusammenhänge dar, worin Tonabstände aus einer kleinen
Sekunde, kleiner und großer Terz und einer reinen Quarte bestehen.
Abbildung 8The Seal Man, Liegende Dreiklänge ab Takt 10 sind nicht eindeutig harmonisch zu zuordnen
Clarke unterteilt den Text in acht Teile, deren Differenzen in unterschiedlichen Tonhöhen,
musikalischen Aussagen und Schwankungen zwischen Rezitativ und lyrischem Gesang zu
erkennensind. Weiterführend sind auch Taktwechsel angeführt, die zeigen, dass Clarke im
Vergleich zu The Clothsof Heaven die Textausdeutung für The Seal Man (Prosa) vielfältiger
anlegen musste. EinigeTaktwechselsuggerieren expressive Ausdehnungen wie:
2/4: There was a strong 3/4: love came up in her at that (Takt 10-12), oder 4/4:Then they
went down into the sea together, and the moon made a track on the sea, and they walked
down it; it was like a flame before them 2/4: There was no 4/4: fear at all on her, only a 2/4:
great 4/4: love like the love of the Old Ones (Takt 37-50). Metrische oder rhythmische
103
Vgl. Stein, Deborah: Dare Seize the Fire, An Introduction to the Songs of Rebecca Clarke, Artikel
in Curtis, Liane: A Rebecca Clarke Reader,The Rebecca Clarke Society, Inc., Indiana University
Press2004. S. 54.
76
Einheiten lassen sich durchwegs nicht finden und sind auf den dramatischen Inhalt des
Stückes zurückzuführen.
Teil 1: 6-taktiges Klaviervorspiel, 3/4 + 2/4 + 5/4 + 3/4
Teil 2: 13 Takte
4/4: And he came by the cabin to the west of the road, calling. 2/4: There was a strong
3/4: love came up in here at that, and she punt down her 4/4: sewing on the table,
and“mother”she says, “there’s no lock, and no key, and no bolt, and no door. There’s
no 3/4: iron, nor no stone, nor anything at all will keep me this night from the man I
2/4: love.”
Teil 3: 6 Takte
And she 4/4: went out into the moonlight to him, there by the bush where the flow’rs is
3/4: pretty, beyond the river.
Teil 4: 5 Takte
And he says to her: “You are 4/4: all of the beauty of the world, will you come where I
go, over the waves of the3/4: sea?” And she says to him:
Teil 5: 6 Takte
“My treasure and my strength,” she says, “I would 2/4: follow you on the 3/4: frozen
hills, my feet bleeding.”
Teil 6: 8 Takte
4/4: Then they went down into the sea together, and the moon made a track on the sea,
and they walked down it; it was like a flame before them.
Teil 7: 11 Takte
2/4: There was no 4/4: fear at all on her; only a great love like the love of the Old
Ones, that was stronger 2/4: than the touch of the 3/4: fool. She had a 4/4: little white
throat, and little cheeks like flowers,
Teil 8: 20 Takte
3/4: and she 4/4: went down into the sea with the man, 3/4: who wasn´t a man at all.
Sheewas drowned, of course. It’s like he never thought that she wouldn’t bear the sea
like himself. She was drowned, 2/4:drowned.
77
The Seal Man wird als Meisterstück Clarkes angesehen und überzeugt mit seiner
Ausdruckskraft und Stärke, dessen Szenerie eine/n in eine andere Welt versetzt. Clarke
beschreibt dieses Lied in einem Brief an Elisabeth Sprague Collidge als eines ihrer
Lieblingslieder.104 Ein Kritiker der Daily Telegraph’szeigte sichnach der Premiere des
Stückes 1925 in der Wigmore Hall nicht begeistert von The Seal Man und bemängelte, dass
Clarke das Stück auf die gleiche Weise beendet hätte, wie sie esauch begonnen hätte. Sie
jedoch imitierte Masefields Geschichte, der sie im Meer beginnen und enden lässt.
Eine genaue harmonische Analyse des Stückes The Seal Man hat Deborah Stein in Dare Seize
the Fire, An Introduction to the Songs of Rebecca Clarke auf Seite 65 vorgenommen, der hier
zur Veranschaulichung in der Abbildung 9 dargestellt werden soll.
104
Vgl. Clarke, Rebecca and Elizabeth Sprague Coolidge.Correspondence.Coolidge
Foundation.Rebecca Clarke Correspondence.Library of Congress.
78
Abbildung 9 Harmonische Analyse von The Seal Man
79
Abbildung 9 Harmonische Analyse von The Seal Man Fortsetzung
105
Clarke schafft es den Text in einer sehr verzauberten Art und wiederzugeben. Dies kann man
zum Beispiel daran erkennen, dass Clarke schon den Textbeginn rezitativisch und noch dazu
in einer sehr tiefen Gesangslage darstellt, und ZuhörerInnen in eine sehr mystische Stimmung
versetzt, die durch den liegenbleibenden Ton im Klavier verstärkt wird. Im Verlauf des
Stückes lassen sich musikalische Ausbrüche erkennen, die durchgehend mit einer
dynamischen Verstärkung zusammenhängen und wieder in ein Piano des sehr tief liegenden
Reziatives zurückführen. Zu erkennen ist dies zunächst in Takt 11 bis 26, wo auch der
verzauberte Zustand des Mädchens und die drohende Gefahr musikalisch ausgedrückt
werden. Eine sehr besondere Stelle ist der Dialog zwischen dem Mädchen und dem
verzauberten Mann, der als Dialog und rezitativisch, zunächst ohne Klavierbegleitung eine
sehr intime Stimmung hervorruft, die zunächst kein Gefühl von Gefahr aufkommen lässt. Zu
erwähnen ist das Wort „love“ das im Verlauf des Liedes wiederholt und immer mehr verstärkt
wird, und auch die Gefahr dieser „Liebe“ wiederspiegelt. (Takt 11 und 49) Im Takt 49 finden
105
Stein, Deborah: Dare Seize the Fire, An Introduction to the Songs of Rebecca Clarke, Artikel in
Curtis, Liane: A Rebecca Clarke Reader,The Rebecca Clarke Society, Inc., Indiana University
Press2004. S. 65f.
80
wir den dynamischen Höhepunkt im Fortissimo, sowie den höchsten Ton g2 der
Gesangsstimme. Das Mädchen ist dem mystischen Wesen nun endgültig ausgeliefert und
ertrinkt im Meer. Der Ton c1 scheint eine Verbindungsebene vom Diesseits und Jenseits zu
sein, da der Beginn des Liedes in der Gesangsstimme auch auf dem gleichen Ton beginnt und
am Ende, nachdem das Mädchen im Meer ertrinkt, und das mystische Wesen seinen Willen
durchgesetzt hat, wieder mündet.
81
82
83
84
85
86
87
88
89
5.3 Tiger, Tiger
Dieses sehr bekannte Gedicht, von William Blake, erkundet die dunklen Abgründe des
Lebens, die durch die
ständige Bedrohung des Tigers heraufbeschworen werden. Der/die ErzählerIn hinterfragt die
Natur von Angst und Gefahr und sucht eine spirituelle Antwort auf seine bzw. ihre
beunruhigenden Fragen.
Tiger, tiger, burning bright,
In the forests of the night:
What immortal hand or eye,
Could frame thy fearful symmetry?
In what distant deeps or skies
Burnt the fire of thine eyes?
On what wings dare he aspire?
What the hand dare seize the fire?
And what shoulder, and what art,
Could twist the sinews of thy heart?
And when thy heart began to beat,
And what dread hand?And what dread feet?
What the hammer? What the chain?
In what furnace was thy brain?
What the anvil? What dread grasp,
Dare its deadly terrors clasp!
When the stars threw down their spears,
And watered heaven with their tears,
Did he smile His work to see?
Did He who made the lamb make thee?
90
Tiger, tiger burning bright,
In the forests of the night:
What immortal hand or eye,
Dare frame thy fearful symmetry?
Clarke hat insgesamt drei Blake-Texte vertont; Infant Joy 1913, Cradle Song 1929 und Tiger,
Tiger 1929, wobei nur die erstgenannten in Clarkes Lebzeiten veröffentlich wurden. Mit 64
Takten ist das Stück zwar um 11 Takte kürzer als The Seal Man, doch immernoch länger als
viele ihrer anderen Lieder.
Werden nun Tiger, Tiger und The Seal Man gegenübergestellt, lassen sich einige
Gemeinsamkeiten finden: Tonhöhenbezüge als harmonische Zentren im Gegensatz zur
Tonika, die Verwendung von modalen und pentatonischen Reihen, wiederkehrende
motivische Teile mit Fokus auf Intervallsprüngen. Die Tonhöhenstruktur in der Gesangslinie
lässt sich zum einen als chromatisch und abstrakt und zum anderen abgehakt und sprunghaft
beschreiben. Das rhythmische Konzept von Tiger, Tiger unterscheidet sich grundsätzlich von
jenen von The Clothes of Heaven und The Seal Man. Die wenigen auftretenden Taktwechsel
beziehen sich auf einzelne Worte und sollen deren Expressivität unterstreichen oder einen
musikalischen Gedanken erweitern und dadurch verstärken (siehe Abbildung 10). Clarke
nutzt Off-Beats und Akzentuierungen von einzelnen Worten, um das vorherrschende Metrum
zu verzerren. Dies zeigt sich zum Beispiel in der Verwendung markanter Sforzati, wie im
Takt 2, oder im Einsatz von Septolen, Sextolen und Triolen.
91
Abbildung 10 Musikalische Textausdeutung: Intervalle stehen im direkten Zusammenhang mit dem Text
106
Die angeführte Abbildung soll eine Übersicht über die Tonhöhenstruktur des besprochenen
Stückes geben, die den Ton g als Ausgangs- und Endton hat. Tiger, Tiger wirkt sehr
orchestral durchdacht, und ist mit energetischen Pianissimo und tiefen Trillern umgesetzt. Die
Begleitung, die Clarke mit vielen unterschiedlichen, technischen Möglichkeiten und
rhythmischen Figuren im Klavier abdeckt, lässt durch das Spiel beider Hände im Basschlüssel
eine dunkle, verschwommen teuflische Energie entstehen.
Clarke weist eine große Sensibilität für den dramatischen Stil auf, was sich auch in ihren drei
Coolidge-Vertonungen widerspiegelt. Trotz der Erfolge mit den Instrumentalstücken kehrte
Clarke wieder zum Genre Lied zurück, da dies schlicht ihre Leidenschaft war. Kritiker und
Kollegen haben sich gegen ihren Hang für dunkle Themen ausgesprochen und behauptet, dass
dies nicht für eine Frau passend wäre. Clarke ist ihren künstlerischen Inspirationsquellen
jedoch treu geblieben. Nach Tiger, Tiger vertonte sie auch Binnorie: A Ballad, ihr längstes
Lied, worin sie ihrer musikalischen Ausdrucksstärke treu blieb und das Dunkle und Düstere
beibehielt. Diese beiden genannten Lieder wurden erst 2002 in Oxford University Press
veröffentlicht. Erwähnenswert ist das Faktum, dass Tiger, Tiger von Oxford University Press
1929 abgelehnt wurde, ihr „Lullaby“ Cradle Song jedoch sehr wohl aufgenommen wurde.
(Dies geht aus ihrem Tagebucheintrag vom 21. Juli 1929 hervor.) Beim Lullaby handelte es
106
Stein, Deborah: Dare Seize the Fire, An Introduction to the Songs of Rebecca Clarke, Artikel in
Curtis, Liane: A Rebecca Clarke Reader,The Rebecca Clarke Society, Inc., Indiana University Press
2004, S. 75.
92
sich um eine musikalische Form, die als sehr feminin angesehen wurde, was die Entscheidung
der Oxford University Press erklärt.
93
94
95
96
97
98
99
6 Was hätte Rebecca Clarke komponiert,
hätte sie ein größeres Werk vertont?
In Anbetracht des Umfanges des momentan bekannten Gesamtwerks Rebecca Clarkes aus
ihrer Schaffenszeit zwischen 1908 und 1944, das eine Anzahl von 93 Stücken umfasst und
sich unterschiedlicher Genres wie Lied, instrumentale Kammermusik und Chormusik bedient,
darf vermutet werden, dass sie die Fähigkeiten und Fertigkeiten gehabt hätte, ein orchestrales
Werk zu verfassen. Darüber hinausweisen sowohlihre Studienzeit auf der Royal Academy of
Music als auch einige Jahre später am Royal College of Music darauf hin, mit dem
notwendigen Wissen und dem Handwerkszeug ausgestatten worden zu sein, um ein größeres
Werk zu vertonen. Hinzu kommt Clarkes jahrelange Orchestererfahrung als Bratschistin, die
ihr ermöglichte, Kompositionen inmitten des Orchesterklanges genau verfolgen zu können.
All diese Faktoren sprechen für Clarkes kompositorische Kenntnisse, die sie zu mehr hätten
befähigen können als sie letztendlich umsetzte. Dieser Meinung war auch einer der
renommiertesten DirigentenEnglands, Sir Henry Wood. Er, der die Promenade Concerts
(Proms) ins Leben rief und der erste Dirigent war, der in seinem Orchester Frauen spielen
ließ, fragte Rebecca Clarke, ob sie nicht ein Stück für das Queen’s Hall Orchester schreiben
wollte, das im Zuge der Proms aufgeführt werden sollte. Sie lehnte jedoch ab, weil sie das
Werk in kürzester Zeit schreiben hätte sollen und diese Herangehensweise ihrer Überzeugung
widersprach, stets Qualität Quantität vorzuziehen. Höchstwahrscheinlich war der Lohn für das
Stück auch nicht hoch genug und somit stellte der Auftrag kein lukratives Geschäft dar.
Nichtsdestotrotz ist das Angebot seitens Woods ein weiterer Indikator für Clarkes
Fähigkeiten.
Geht man jetzt derFrage nach, welches Stück sie geschrieben hätte, hätte sie ein orchestrales
Stück in Noten gesetzt, sind hier Clarkes kompositorische Methoden, ihr Wissen und die
jeweilige Umsetzung bei vorhandenen Werken in den Fokus zu stellen.
Viele von Clarkes ZeitgenossInnenwaren geübte PianistInnen, sie hingegen hatte das Spiel
mit der Violine mit dem achten Lebensjahr begonnen und dieses mit Anfang 20 mit der
Bratsche fortgesetzt, bei dem sie ihr kompositorisches Denken und ihre technischen
Spielmöglichkeiten
gut
umsetzten
konnte.
Betrachtet
man
ihre
grandiosen
Klavierbegleitungen ihrer Lieder, fällt auf, dass sie auch für den Klavierpart eine intensive
Vorstellungskraft besaß – eine wichtige Grundlage für jegliches orchestrale Schaffen.
100
Herausragend ist auch Clarkes musikalisches Gehör bei ihren ausgereiften Stücken. Hierfällt
eine Erweiterung der Klangausdeutung auf differenzierte Orchesterklänge ihre Lieder
betreffend auf, wie man es im vorigen Kapitel anhand von Tiger, Tiger gut nachvollziehen
kann.
Clarkes enge Verbindung zum Genre Lied, das sich über ihre ganze musikalische
Schaffensphase zieht, führt zur Annahme, dass auch ein großes Werk in enger Verbindung
mit der menschlichen Stimme beruhend auf einer Textgrundlage entstehen hätte können. Ein
weiterer Hinweis dafür ist Clarkes Chormusikbezug, der 2011 in der Dissertation von
Tollefson Jacobson auf ihre kompositorische Weiterentwicklung analysiert wurde. Clarke
konnte in diesem Genre nicht nur alte Meister wie Purcell und Palestrina in gekonnter Manier
verewigen, sondern diese Stile mit zeitgenössischen Techniken und Klangfarben in eine
modernere Zeit manövrieren. Dass sie in 31 Jahren zwölf Chorstücke vertonte und diese
heute, wie aus Tollefson Jacobsons Dissertation hervorgeht, als sehr hochwertig einzustufen
sind, unterstreicht die Vermutung der Verwendung von Stimme(n) auch in einem orchestralen
Werk.
Aus den Interviews mit Rebecca Clarke geht hervor, dass sie immer wieder Ideen für neue
Stücke hatte und in ihrem Leben noch ein großes, wichtiges Werk schreiben wollte. Auf die
Frage, warum sie das nicht gemacht hätte, antwortete Clarke: „I wanted to, but I couldn’t. I
had lots ofsketchesofthings. I know and I miss it, because there’s nothing in the world more
thrilling – or practically nothing… But you can’t do it – at least I can’t – maybe that’s where
a woman’s different – I can’t do it unless it’s the first thing I think of every morning when I
wake and the last thing I think of every night before I go to sleep – I’ve got to have it in my
mind all the time and if one allows too many other things to take over one is liable not to be
able to do it, that’s been my experience.”107
Sie, die in ihren Memoiren und Interviews von der Erfüllung schreibt, die sie beim Akt des
Komponierens stets hat(te), wirkt in diesem Auszug, als ob sie das Ideal einer Komponistin
wohl nie mehr erreichen könnte. Dieses Idealbild einer Komponistin beinhaltet in ihren
Vorstellungen die ausschließliche Auseinandersetzung mit der Materie, die das Erste sein
sollte, woran sie denkt, wenn sie morgens aufsteht und das Letzte, bevor sie zu Bett geht.
Dieser Umstand war ihr nur selten beschieden (Anfang der 1920er Jahre, mit der
107
Zitat nach: Curtis, Liane: A case of identity: rescuing Rebecca Clarke, The Musical Times, May
1996, S. 20, Zugänglichdurch die Rebecca Clarke Society, Inc.
101
Unterstützung von Elisabeth Sprague Coolidge). Nach der Eheschließung mit James Friskin
1954 war dies keine mögliche Alltagspraxis, trotz Anraten ihres Mannes weiter zu
komponieren.
Beschäftigt man sich mit Clarkes ZeitgenossInnen und deren Schaffen, lassen sich neue
Formen der Symphonie erkennen. Da die Instrumentalmusik der Chormusik im England des
19. Jahrhunderts sehr unterlegen war und es keine Tradition der Symphonie wie z.B. in
Deutschland gab, war im Zuge der Entstehung und Etablierung der Englischen Musikszene
ein ausdrückliches Ziel, die Instrumentalmusik zu fördern. Der Komponist und Dirigent Josef
Holbrooke schrieb in seinem Buch Contemporary British Composers (London 1925, S. 321):
“Yes, there are British symphonies.”1925 hatte sich die Renaissance schon einen guten Platz
in Europa erarbeitet und wies eine große Anzahl an Symphonien und Tondichtungen auf.
Auch Sonderformen der Symphonie, wie die Chorsymphonie oder die Pastoralsymphonie,
aber auch kleinere Symphonien für Kammerorchester, wurden präsentiert.108
Clarke
hatte
als
regelmäßige
Konzertbesucherin
und
aktive
Instrumentalistin
höchstwahrscheinlich einen großen Überblick über diese Symphonienlandschaft und den
jeweils aktuellen Stand technischer Erneuerungen. In Verbindung mit ihrem Interesse für
kontinentaleuropäische Musik und deren technischen Errungenschaftenstand Clarke eine
große Auswahl an kompositorischen Möglichkeiten zur Verfügung.
In Anbetracht Clarkes starker Expressivität in ihrer Sonate, in den Klaviertrios und der
Rhapsodie sowie in einigen ihrer Lieder, kann davon ausgegangen werden, dass ihr Stück
eine Tiefe und Abgründigkeit aufgewiesen hätte. Eine Mischung aus Chorsymphonie und
Requiem wäre eine logische Möglichkeit. Diese Expressivität und Tiefe,die in dieser
Konstellation aus Chorsymphonie und Requiem zum Ausdruck gebracht werden hätte
können, hätte sich gut in Clarkes bestehendes Schaffen eingeordnet. Auch Clarkes
Auseinandersetzung mit religiösen und spirituellen Themen lässt auf diese Vermutung
schließen.
Die Besetzung mit einer Solostimme, vielleicht Bariton oder Mezzosopran, da ihr der tiefere,
warme Klang zusagte, was sich auch in der Wahl der Bratsche widerspiegelte, wäre eine
weitere naheliegende Option für ein potentielles orchestrales Werk gewesen. Das Requiem
hätte wohl dem Requiem When Lilacs Last in the Dooryard Bloom'd: A Requiem for those we
love von Paul Hindemith geähnelt. Dieser Vergleich lässt sich durch die Bekanntschaft von
108
Vgl. Schaarwächter, Jürgen: Die britische Sinfonie 1914-1945, Verlag Dohr, Köln 1995.
102
Clarke und Hindemith zurückführen, sowohl der Kenntnis vieler Stücke von Hindemith
seitens Clarke. Ausserdem teilen beide den gemeinsamen Europa-Amerika-Bezug und den .
Hindemiths rhythmische Techniken und seine starke Expressivität sprechen außerdem für
eine Annäherung an sein kompositorisches Schaffen. Auch der Europa-Amerika-Bezug ist bei
beiden KomponistInnen gegeben. Das Requiem wäre ausgehend von Clarkes bestehenden
Textauswahlen nicht nach einem lateinischen Text vertont gewesen, ebenso wie bei
Hindemith. Die Offenheit für Musik aus ganz Europa lässt darauf schließen, dass die
Textvorlage jedoch nicht unbedingt von einem Englischen Autor stammen hätte müssen,
sondern sie hätte genauso aus dem Amerikanischen, oder aus anderen Teilen des
europäischen Raums stammen können.
Eine intensivere Durchforstung sämtlicher Ideen Clarkes wäre notwendig, um diese
Annahmen weitgehend zu bekräftigen.Die Besetzung für das Orchester hätte eine eigenwillige
Besetzung sein können, da Clarke eventuell nach neuen Klangwirkungen und vor allem einem
eigenen Orchesterklang gesucht haben könnte. Auch die Soli einzelner Instrumente neben der
Gesangssolostimme und dem Chor könnten Clarkes Ideen entsprechen, zeigt sie in ihren
vorhandenen Stücken oft eine Unterschwelligkeit. Holzbläser wie Klarinetten und Fagotte
sowie ein dichtes Streicherensemble und eine starke rhythmische Komponente kämen in
meinen Vermutungen Clarkes Ideen nahe.
Eine weitere Möglichkeit könnte ein Violakonzert mit Orchester sein. Betrachtet man Ruth
Lomons Orchestrierung Clarkes Violasonate, deren Noten ich freundlicherweise zur Einsicht
von Liane Curtis, der Präsidentin der Rebecca Clarke Society zugesendet bekommen habe,
zeigt sich eine Besetzung von zwei Flöten (ein Piccolo), zwei Oboen, zwei Klarinetten in Bb,
zwei Fagotte, zwei Hörner in F, Pauke, Harfe, Erste und Zweite Violine, Viola, Cello und
Kontrabass. Dass die Komponistin Ruth Lomon nur Hörner als Blechbläser ausgewählt hat,
empfinde ich einer Klangvorstellung nahe, die Rebecca Clarke womöglich in der Tat in
Erwägung gezogen hätte. Die Wahl der Harfe lässt klangliche Annäherungen zu Werken
Debussys und Ravels aufkommen. Beide Komponisten hinterlassen mit ihren jeweiligen
Kompositionsstilen und -elementen Fingerabdrücke in Clarkes Schaffen, was allein durch das
Zuhören ihrer Werke erkennbar ist. Um einen Eindruck der Orchestrierung Lomons zu
bekommen, gibt es die Möglichkeit, einen Livemitschnitt auf der Website der Rebecca Clarke
Society anzuhören.109
109
http://www.rebeccaclarke.org
103
Eine noch präzisere Theorie über eine mögliche orchestrale Komposition Clarkes verlangt die
Einsicht ihrer Notizen, Tagebucheintragungen und die Benennung jener Werke, die sie
eventuell studiert haben könnte.
104
7 Zusammenfassung
Die große Anstrengung, die England mit seiner Politik im 19. Jahrhundert aufbrachte, um
Musik als gleichwertige Kunst neben der Malerei und Literatur zu etablieren, führte zur
Schaffung einer neuen Identität in ganz England und wird unter dem Begriff English Musical
Renaissance zusammengefasst. Zusätzlich zu dieser (Bildungs-)Politik mobilisierten sich
auch Frauen, die erstmals Zugang zu renommierten Bildungseinrichtungen erhielten. Diese
Frauen, die ausschließlich aus wohlhabenden Gesellschaftsschichten stammten, setzten sich
für Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern ein und konnten durch ihren großen
politischen und waghalsigen Einsatz erzielen, dass Frauen in England 1928 das
uneingeschränkte Wahlrecht erhielten. Die damalige Gesellschaft, unter der Herrschaft von
Königin Viktoria bis 1901, vertrat sehr strenge Ansichten, wie sich Männer und Frauen zu
verhalten hatten. Dieses Bild wurde von immer mehr Frauen (u.a. bestärkt durch die
Bildungsreformen) durchbrochen, die in berufliche Bereiche vordrangen, die bis dahin nur
von Männern eingenommen wurden. Eine dieser Frauen war Rebecca Clarke, die in einer Zeit
des politischen und gesellschaftlichen Umbruchs in England zu studieren begann, in der
studierende
Frauen
eher
als
„Freaks“
denn
als
ernstzunehmende
Studentinnen
wahrgenommen wurden. Ihnen wurde nachgesagt, sie würden keine kreativen Fähigkeiten
besitzen.
Als erste Studentin am Royal College of Music in London in der Klasse des namhaftesten
Kompositionsprofessors Englands, Charles Stanford, gilt sie als Vorbild für viele weitere
weiblichen Generationen.
Im Zuge der Recherchen zu Rebecca Clarke, ihrem Leben und Schaffen, fand ich heraus, dass
viele ihrer Werke bis vor einigen Jahren nicht zugänglich waren. Die erste Literatur, die mir
zur Vefügung stand, war die Biographie von Daniela Kohnen, die mich über ihre
Bibliographie auf die amerikanische Musikologin Liane Curtis aufmerksam machte. Nach
weiterer Literaturrecherche wurde ich vor allem im Internet fündig. Liane Curtis, die
Gründerin der Rebecca Clarke Society, die es sich zum Ziel gemacht hat, das sehr
hochwertige Werk Rebecca Clarkes zur Gänze zu erforschen und zur Aufführung zu bringen,
um somit ihren Platz in der Musikgeschichte neu zu schreiben, ermöglichte mir einen tiefen
Einblick in die Situation um Rebecca Clarke und ihren Nachlass. Der Verwalter Rebecca
Clarkes Nachlasses, Christopher Johnsen (Ehemann einer Nichte Clarkes), zeigte Liane
105
Curtis, die ein Buch mit dem Titel A Rebecca Clarke Reader veröffentlichen wollte, aufgrund
der Verletzung des Urheberrechts an. Ein Prozess zwischen diesen beiden Personen führt bis
in die Gegenwart und brachte Liane Curtis dazu, alle Informationen zu Rebecca Clarke, die
ihrer Meinung nach zu Unrecht der Öffentlichkeit ferngehalten werden, auf eigene Faust an
Menschen heran zu bringen, indem sie eigenhändige Kopien ihres A Rebecca Clarke Readers
anfertigte und verschenkte. Heute ist das Buch als Googlebook online gratis einsichtig und hat
maßgeblich dazu beigetragen, dass ich zu allen weiteren wichtigen Informationsquellen
gelangte.110 Im Rechercheprozess wurde mir bewusst, wie viele Stücke von Rebecca Clarke
erst in den letzten fünf Jahren veröffentlicht wurden (z.B. die gesamten Chorwerke im Jahr
2011) und wie viele wohl noch bis heute versteckt vor der Öffentlichkeit sein müssen.
Weitere Informationen zu Clarkes Werkschaffen gewann ich aus Bryony Jones‘ Dissertation
The Music of Rebecca Clarke (1886-1979) aus dem Jahre 2004. Schon am Ende des
Verfassens meiner Arbeit bin ich auf eine weitere Dissertation von Marin Ruth Tollefson
Jacobson mit dem Titel Stylistic development in the choral music ofRebecca Clarke aus 2011
gestoßen. Diese drei genannten Bücher und Dissertationen halfen mir einen genauen Blick auf
Clarkes Werk werfen zu können. Vor allem Clarkes Liedschaffen, das mich am meisten
fasziniert und einen Großteil ihrer Arbeit ausmacht, gibt besondere Einblicke in ihre
Entwicklung als Komponistin und ihre Techniken.
Die Frage, welches orchestrale Werk sie verfasst haben könnte, hätte sie andere Lebens- bzw.
Arbeitsumstände erfahren, bildete den Ausgangspunkt für diese Arbeit und wurde im
vorangegangenen Kapitel 6 ausführlich diskutiert.
Nach Recherchen zu ihrem Leben und Schaffen komme ich zum Schluss, dass sie als Teil der
English Musical Renaissance sowie durch ihre Ausbildung am RCM die fachlichen
Voraussetzungen für ein größeres Werk aufwies.
Ob es tatsächlich in der Art komponiert worden wäre, wie es im Kapitel 6 dargestellt wurde,
kann wohl nie endgültig beantwortet werden. Dies war ein Versuch meinerseits, der großen,
Komponistin mit all den Wissensgrundlagen, die ich in meiner Recherchearbeit erworben
habe, ein Denkmal zu setzen, indem ich ausgehend von ihren Voraussetzungen als
Komponistin den Ansatz eines fiktiven Stücks kreierte, das ihr und ihrer Qualität gebührt.
110
https://books.google.at/books/about/A_Rebecca_Clarke_Reader.html
106
Die Frage, inwieweit Clarke für ihre Karriere von der English Musical Renaissance gefördert
wurde, lässt sich an dieser Stelle insofern beantworten, als dass Rebecca Clarke
kompositorischen Unterricht bei Schlüsselfiguren der Renaissance bekam und diese Personen,
darunter Parry und Stanford, ihr auch weiterhin zu Auftritten mit der Bratsche und vielen
einflussreichen Bekanntschaften verhalfen, die sie schließlich bis zum Berkshire
Kompositionswettbewerb führten.
Rebecca Clarke wurde über Jahrzehnte als eine der schillerndsten Komponistinnen des
beginnenden 20. Jahrhunderts in der Musikgeschichte verschwiegen. Erst langsam wird sie
als ebenbürtige, wenn nicht sogar zukunftsweisende Komponistin der English Musical
Renaissance wahrgenommen. Mit meiner Arbeit möchte ich zu diesem Prozess der
hoffentlich steigenden Popularität dieser Ausnahmekomponistin positiv beitragen.
107
8 Literaturverzeichnis
Abromeit, Kathleen A.: Ethel Smyth, The Wreckers, and Sir Thomas Beecham, The Music
Quarterly, Vol. 73, Nr. 2, 1989, S. 196-211.
Beecham, Thomas: Dame Ethel Smyth (1858-1944), Musical Times, XCIX, Nr. 4 1958.
Blackstone, Sir William:Of Husband and Wife, Commentaries on the Laws of England (1765–
1769). Lonang Institut 2009, S. 363-365.
Briscoe R. James (Hg.): New Historical Anthology of Music by Women, Indiana University
Press, Bloomington and Indianapolis, 1987.
Cole, Henry: Fifty Years of Public Work, Two Volumes, Volume 2, George Bell and Sons,
London 1884.
Collis, Louise: Impetuous Heart: The Story of Ethel Smyth, London, William Kimber, 1984.
Curtis, Liane: A case of identity: rescuing Rebecca Clarke, The Musical Times, May 1996.
Zugänglichdurch
die
Rebecca
Clarke
Society,
Inc.,
http://www.rebeccaclarke.org/pdf/identity.pdf
Cutis, Liane: A Rebecca Clarke Reader, The Rebecca Clarke Society, Inc., Indiana University
Press 2004.
Curtis, Liane: Clarke und die Sonaten Form, Gender und Genres, The Musical Quarterly,
Vol. 81, No. 3, Oxford University Press, Autumn 1997. S. 393-428.
DeVoto, Mark: Some Aspects of Parallel Harmony in Debussy, Artikel der Festschrift Serie
Nr. 19: Liber amicorum Isabelle Cazeaux.Symbols, Parallels and Discoveries in Her Honor,
(Hg.) Bempéchat, Paul-André, Pendragon Press 2005, S. 459-482.
108
Harris, Amanda: The Smyth-Brewster Correspondence. A Fresh Look at the Hidden Romantic
World of Ethel Smyth, Women and Music: A Journal of Gender and Culture, Volume 14,
2010, S. 72-94.
Hawais, H. R.: Music and Morals, Strahan 1871.
Hughes, M. & Stradling, R. M.: The English Musical Renaissance 1860-1940, Construction
and deconstruction, Zweite Auflage: Manchester University Press, Manchester und New
York 2001.
Jacobs, Arthur: Henry J. Wood, Maker of the Proms, London, Methuen 1994.
Johnson, Christopher: Introduction to the Trio for piano, violin and cello by Rebecca Clarke.
Da capo Press New York 1980.
Jones, Bryony: The Music of Rebecca Clarke (1886-1979), Dissertation, Liverpool, 2004.
Kohnen,
Daniela:
Rebecca
Clarke,
Komponistin
und
Bratschistin,
in:
Deutsche
Hochschulschriften Nr. 1157, Dr. Markus Hänsel-Hohenhausen (Hg.), Egelsbach, 1999.
Le Beau, Luise, Adolpha: Über die musikalische Erziehung der weiblichen Jugend,
Allgemeine Deutsche Musik-Zeitung, 1.November 1878, S. 365-366.
Maudsley, H.: The Pathology of Mind. London: Macmillian 1879, in: Showalter, E.: The
female malady, S.130, Pantheon Books New York, 1985, S. 121-135.
Squire, W. H.: Rebecca Clarke Sees Rhythm as Next Field of Development, Christian Science
Monitor, Dezember 1922, S. 18.
Rath, Anna: Wenn frau Wissen schaffen will. Universitäre gleichstellungsorientierte
Weiterbildung zur Karriereförderung von Wissenschafterinnen, Masterarbeit, Karl-FranzensUniversität Graz 2013.
109
Rieger, Eva (Hg.): Ein stürmischer Winter, Kassel 1988.
Sadie, S. (Hg.): The New Grove Dictionary of Music and Musicians, IV, London 1980.
Saremba, Meinhard, Elgar: Britten & Co. Eine Geschichte der britischen Musik in zwölf
Portraits, M&T Verlag Ag, Zürich/St. Gallen, 1994.
Schaarwächter, Jürgen: Die britische Sinfonie 1914-1945, Verlag Dohr, Köln 1995.
Shaw, G. B.: Musikfeuilletons des Corno di Bassetto, Leipzig 1972.
Smyth, Ethel: Female Pipings in Eden, London 1933.
Smyth, Ethel: Impressions that Remained, London: Longmans, Green & Co., 1919.
St. John, C.: Ethel Smyth, London 1959.
Tertis, Lionel: My Viola and I. Kahn & Averill, London, 1991.
Tollefson Jacobson, Marin Ruth: Stylistic development in the choral music ofRebecca Clarke,
Theses and Dissertations, University of Iowa 2011.
Unseld, Melanie:Lexikon Musik und Gender, Bärenreiter-Metzler, Kreutziger-Herr, Annette
und Unseld, Melanie (Hg.), Kassel 2010.
Magazine:
Rodmell, Charles: Villiers Stanford, “Sir Charles Stanford and his Pupils”, RCM Magazine,
Vol. 58 (1962), Aldershot, Ashgate 2002.
Noten:
Rebecca Clarke: Song Album, for Medium-High Voice and Piano, Boosey & Hawkes 1995.
110
Rebecca Clarke:Songs with Piano, Oxford University Press 2002.
Onlinequellen:
http://www.salzburgerfestspiele.at/geschichte/1924 (27.01.2016)
http://mugi.hfmt-hamburg.de/artikel/Rebecca_Clarke (26.01.2016)
http://www.rebeccaclarke.org (10.10.2015)
http://www.fepproject.org/commentaries/rebeccaclarke.curtis.html (29.01.2016)
http://han.kug.ac.at/han/OXFORDMUSICONLINE/www.oxfordmusiconline.com/subscriber/
article/grove/music/52554pg2 (02.02.2016)
http://han.kug.ac.at/han/OXFORDMUSICONLINE/www.oxfordmusiconline.com/subscriber/
article/grove/music/44728?q=Rebecca+Clarke (02.02.2016)
http://chronicle.com/article/Silent-Treatment/36247 (11.02.2016)
http://www.bbc.co.uk/programmes/p02l52z0 (12.02.2016)
http://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_E/Entwickelnde_Variation.xml (15.02.2016)
111