IV) Betreutes Wohnen - Info

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IV) Betreutes Wohnen - Info
Conseil National des Personnes Handicapées
Centre National d’Information et de Rencontre du Handicap
Info-Handicap
DOSSIER TOP-THEMA
Behindertengerechtes Wohnen =
Selbstbestimmtes Wohnen ?
●
Logement adapté =
Logement autodéterminé ?
65, Avenue de la Gare
L-1611 Luxembourg
Tel. : 366 466-1
Fax : 360 885
[email protected]
www.info-handicap.lu
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Inhaltsverzeichnis
I) Einleitung: Artikel 19 der UN-Konvention zur Förderung und
zum Schutz der Rechte und der Würde von Menschen mit Behinderungen
…05
II) Autonomes Wohnen und Pflegeversicherung
…09
III) Wohnen in einer Institution
…27
IV) Betreutes Wohnen
…29
V) Persönliche Assistenz als Grundvoraussetzung für ein
selbstbestimmtes Leben
…35
VI) FAZIT durch die Redaktion
…43
Anmerkung:
Sämtliches Material in diesem Dossier wurde im Informationsblatt von Info-Handicap „de
Bulletin“ (Ausgaben ab N°1 2009 bis N°3 2010) veröffentlicht. Alle Ausgaben der Bulletins
finden Sie als PDF-Version auf unserer Internetseite: www.info-handicap.lu.
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I) Einleitung: Artikel 19 der UN-Konvention zur
Förderung und zum Schutz der Rechte und der
Würde von Menschen mit Behinderungen
Bevor wir uns mit der Wohnsituation der Menschen mit einer Behinderung in Luxemburg
beschäftigen stellen wir Ihnen zunächst den Artikel 19 der Konvention der Vereinten
Nationen zur Förderung und zum Schutz der Rechte und der Würde von Menschen mit
Behinderungen vor.
Zur Erinnerung: Diese internationale Konvention ist am 3. Mai 2008 in Kraft getreten. Sie
verpflichtet alle Staaten, die sie ratifiziert haben, Menschen mit Behinderungen den
gleichberechtigten Zugang zu allen Grundrechten zu sichern.
Luxemburg hat am 30. März 2007 die Konvention unterzeichnet und dadurch grundsätzlich
ihren Inhalt akzeptiert. Nun muss Luxemburg die Konvention noch ratifizieren, das heißt in
die nationale Gesetzgebung integrieren. In der Zwischenzeit dürfen keine gesetzlichen
Maßnahmen getroffen werden, die mit dem Inhalt der Konvention in Widerspruch stünden.
Die Konvention für Menschen mit Behinderungen ist aber nicht nur ein wichtiger rechtsverbindlicher Gesetzestext, der mit wirksamen Durchsetzungsmechanismen ausgestattet ist.
Sie ist auch deshalb so wichtig, weil sie eine neue Sichtweise von Behinderung definiert. In
der Vergangenheit wurde Behinderung und wurden damit auch die betroffenen Menschen
aus einem zunächst karitativen, dann medizinischen bis hin zu einem sozialen Blickwinkel
gesehen. Künftig wird nun die Situation der Menschen mit Behinderungen an den
Menschenrechten zu messen sein.
Die Konvention formuliert den Anspruch auf Selbstbestimmung, Diskriminierungsfreiheit und
gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe und dient damit sowohl der gesellschaftlichen
Anerkennung von Menschen mit Behinderungen als auch ihrem Empowerment. Wir haben
diesen Begriff gewählt, weil in ihm verschiedene Aspekte enthalten sind, die sich nicht mit
einem Wort übersetzen lassen. Gemeint ist damit die Stärkung des Selbstbewusstseins
von Menschen mit Behinderungen, aber auch die Stärkung ihrer politischen Mitwirkung.
Ganz im Sinne des Slogans des Jahres der Menschen mit Behinderungen 2003: “Nichts
über uns ohne uns!“
Was nun die Wohnsituation betrifft, so werden in Artikel 19 der Konvention folgende
Maßstäbe gesetzt bzw. Forderungen an die Vertragspartner gestellt:
Artikel 19: Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft
Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens anerkennen das gleiche Recht aller Menschen
mit Behinderungen, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der
Gemeinschaft zu leben, und treffen wirksame und geeignete Maßnahmen, um Menschen
mit Behinderungen den vollen Genuss dieses Rechts und ihre volle Einbeziehung in die
Gemeinschaft und Teilhabe an der Gemeinschaft zu erleichtern, indem sie unter anderem
gewährleisten, dass
a) Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren
Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht
verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben;
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b) Menschen mit Behinderungen Zugang zu einer Reihe von gemeindenahen Unterstützungsdiensten zu Hause und in Einrichtungen sowie zu sonstigen gemeindenahen
Unterstützungsdiensten haben, einschließlich der persönlichen Assistenz, die zur Unterstützung des Lebens in der Gemeinschaft und der Einbeziehung in die Gemeinschaft sowie
zur Verhinderung von Isolation und Absonderung von der Gemeinschaft notwendig ist;
c) gemeindenahe Dienstleistungen und Einrichtungen für die Allgemeinheit Menschen mit
Behinderungen auf der Grundlage der Gleichberechtigung zur Verfügung stehen und ihren
Bedürfnissen Rechnung tragen.
Wir haben den Artikel 19 der Konvention als Maßstab für die Bewertung der Situation und für
die daraus resultierenden zukünftigen Herausforderungen gewählt. Auch wenn wir wissen,
dass es ein weiter Weg ist, bis diese Forderungen realisiert sein werden, so denken wir
doch, dass hier deutlich das Ziel aufgezeigt wird, auf das sich hinbewegt werden muss.
Ganz im Sinne der eigenen Entscheidungsfreiheit und des Rechts auf volle Teilhabe an der
Gesellschaft definiert dieser Artikel im Grunde wie behindertengerechtes Wohnen aussehen
sollte. Die Konvention setzt behindertengerechtes Wohnen in jedem Falle gleich mit
selbstbestimmtem Wohnen.
Organisationen, die sich in ihrem europäischen Mitgliedsstaat dafür einsetzen, dass
Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit gegeben wird, unabhängig und selbstbestimmt
zu leben, haben sich zwecks Austausch und gegenseitiger Stärkung zu dem Netzwerk ENIL
zusammengeschlossen: „European Network on Independent Living (Europäisches Netzwerk
zum Selbstbestimmten Leben).
Eine gemeinsame Veranstaltung dieses Netzwerks ist der sogenannte “Freedom Drive“.
Alle zwei Jahre jeweils in der Herbstwoche, in der sich die Abgeordneten des Europaparlaments zur Vollversammlung zusammenfinden, treffen sich Vertreter von ENIL, um
öffentlichkeitswirksam ihre Forderungen an die Europaabgeordneten weiterzugeben. Ein
wichtiger Bestandteil dieses Jahr war eine ganztägige Konferenz, in der sich die
TeilnehmerInnen hauptsächlich mit der UN Konvention der Menschen mit Behinderungen,
genauer mit dem Artikel 19 „Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die
Gemeinschaft“ auseinandersetzten.
In Luxemburg gibt es leider noch keine Organisation die sich für selbstbestimmtes Leben
einsetzt. Wenn Sie mehr zu diesem Thema, zum Freedom Drive und zur Konferenz wissen
möchten, finden Sie Informationen auf der Internetseite von ENIL: www.enil.eu.
Wir möchten Ihnen die Pressemitteilung zum Freedom Drive 2009, sowie die Forderungen
der ENIL nicht vorenthalten…
PRESSEMITTEILUNG
Forderungen zu Rechten
behinderter Menschen an EU-Parlamentspräsident übergeben
In der Woche vom 14. – 17. September trafen sich 440 Menschen aus 21 Europäischen
Ländern in Straßburg zum Freedom Drive. Darunter waren behinderte Menschen mit ihren
persönlichen Assistenten. Sie vereinte ein gemeinsames Ziel, selbstbestimmtes Leben:
außerhalb von Heimen, mit persönlicher Assistenz und nach den Grundsätzen der UN
Konvention für die Rechte behinderter Menschen.
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„Das Ausgrenzen behinderter Menschen in Heimen ist eine Menschenrechtsverletzung“, sagt Freedom Drive Teilnehmerin Ines Bulic aus Großbritannien. Sie war eine der
RednerInnen bei der Konferenz “Implementing the UN Convention on the Rights of Persons
with Disability” mit der die Freedom Drive Woche am Montag startete.
Die UN Konvention ist das erste rechtlich bindende Instrument, das einen umfassenden
Schutz der Rechte behinderter Menschen festlegt. Aus diesem Grund war eine der 8
Forderungen, die dem EU Parlamentspräsidenten Jerzy Burzek überreicht wurde, dass die
Europäische Gemeinschaft die UN Konvention ratifizieren soll.
Die Freedom Driver forderten darüber hinaus mehr gemeindenahe Unterstützungssysteme,
um Deinstitutionalisierung zu erreichen. Das Recht auf persönliche Assistenz soll
europaweit durchgesetzt werden, weil es die Grundvoraussetzung für ein selbstbestimmtes
Leben ist.
Bei der Übergabe sagten EU Parlamentspräsident Burzek und der Präsident der Disability
Intergroup Richard Howitt MEP, dass sie den Kampf für die Rechte Behinderter
unterstützen. Sie forderten die TeilnehmerInnen auf, bei ihren Europa-Abgeordneten für die
Förderung des selbstbestimmten Lebens zu werben.
ENIL setzt sich europaweit seit 20 Jahren für selbstbestimmtes Leben behinderter
Menschen ein. Die Freedom Drive Woche ist ein wichtiges Ereignis für die Menschenrechte
behinderter Menschen.
Freedom Drive 2009 – Die Forderungen
1. Wir fordern die Europäische Gemeinschaft auf, sicherzustellen, dass selbstbestimmtes
Leben Priorität in der Behindertenpolitik hat, so wie es in der “Strategie der Europäischen
Gemeinschaft in der Behindertenthematik“, im „EU-Aktionsplan für Menschen mit Behinderungen“ und in Artikel 19 der „UN Konvention für die Rechte behinderter Menschen“ und
deren Fakultativprotokoll dargelegt ist.
2. Wir appellieren an die Europäische Gemeinschaft, weiterhin die Einrichtung von gemeindenahen Unterstützungssystemen zu fördern, um De-Institutionalisierung in Europa zu
erreichen.
3. Wir fordern die volle Anerkennung von Persönlicher Assistenz als Menschen- und
Bürgerrecht als Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben.
4. Wir fordern die Möglichkeit, persönliche Assistenz überall nutzen zu können. Dies gibt
uns Reisefreiheit.
5. Wir fordern, dass 5 % der EU Entwicklungshilfe zur Förderung von selbstbestimmtem Leben in Entwicklungsländern vorgesehen wird.
6. Wir fordern, dass die Europäische Gemeinschaft die UN Konvention für die Rechte
von Menschen mit Behinderung ratifiziert und das Fakultativprotokoll unterzeichnet und
ratifiziert. Wir fordern, dass die Artikel in EU Recht umgesetzt werden. Es ist obligatorisch,
dass die Institutionen und Vertreter ihre Mitgliedsstaaten auffordern, die Konvention
baldmöglichst in nationales Recht umzusetzen.
7. Wir fordern eine Europäische Richtlinie bezüglich Behinderung, welche die vollen
Rechte behinderter Menschen in Europa wahrt und schützt.
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8. Menschen mit Behinderungen und Behindertenorganisationen müssen in die Entscheidungen auf allen Ebenen der Politik involviert und zu Rate gezogen werden, sei es bei
Planung, Entwurf und Umsetzung von Gesetzen und Beschlüssen.
Nichts über uns ohne uns.
In den folgenden Ausgaben des Bulletins wollen wir uns nun aber mit der tatsächlichen
Situation der Menschen mit Behinderung was das Thema Wohnen betrifft, auseinandersetzen.
Für eine behinderte Person gibt es im Grunde 4 verschiedene mögliche Wohnsituationen. Im
Idealfall ist die Person in der Lage, ein unabhängiges, autonomes Leben in der eigenen
Wohnung zu führen und auch den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Für Personen, die zwar ein selbstbestimmtes Leben führen können, jedoch in ihrem Alltag
auf die Hilfe von Drittpersonen angewiesen sind, kann „betreutes Wohnen“ eine optimale
Alternative sein.
Menschen, die aufgrund der Schwere ihrer Behinderung nicht in der Lage sind ein
autonomes Leben zu führen, bleibt meist keine andere Wahl als das Leben in einer
Institution. Wenn die nötigen Bedingungen gegeben sind, kann eine Person mit einer
schweren Behinderung aber auch im Elternhaus wohnen.
Da wir in unserem Top-Thema all diese Möglichkeiten, mit den jeweiligen Vor- und
Nachteilen, näher betrachten möchten, werden wir uns also in den folgenden Ausgaben
zunächst mit der autonomen Wohnsituation auseinandersetzen. Danach werden wir uns mit
den alternativen Wohnmöglichkeiten befassen.
Wir bitten Sie als Leser, dieses Topthema gemeinsam mit uns zu gestalten, indem Sie uns
Ihre Meinungen, Erfahrungen und Vorschläge per Post, Fax oder E-Mail mitteilen. Sie haben
selbstverständlich auch das Recht, Ihren Beitrag anonym zu veröffentlichen. Nur durch Ihre
Mithilfe wird es möglich, die tatsächliche Situation der betroffenen Personen darzustellen,
das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, eventuelle Probleme oder
Schwierigkeiten aufzuzeigen und die entsprechenden Lösungsmöglichkeiten zu finden.
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II) Autonomes Wohnen und Pflegeversicherung
LESERBEITRÄGE
Behindertengerechtes Wohnen bezieht sich nicht nur
auf die eigenen 4 Wände
Info-Handicap im Gespräch mit Herrn André Wagner*
*Name wurde auf Wunsch von der Redaktion geändert
André Wagner ist seit einigen Jahren von einer Muskeldystrophie (Muskelschwäche)
betroffen. Wie die meisten Menschen mit einer Behinderung stößt auch er im Alltag immer
wieder auf Barrieren: Treppen steigen, langes Stehen oder längere Strecken zu Fuß gehen
bereiten ihm große Schwierigkeiten. Dennoch käme für ihn nicht in Frage, sich aus dem
gesellschaftlichen Leben zurück zu ziehen – jeder hat das Recht auf Selbstbestimmung und
aktive Teilnahme an der Gesellschaft und für dieses Recht setzt er sich ein.
Das Thema „Behindertengerechtes Wohnen“ bezieht sich für ihn nicht nur auf die eigenen
vier Wände, sondern auf das ganze Wohnumfeld. „Das Prinzip des Design for All müsste
viel konsequenter umgesetzt werden. Eine barrierefreie Umwelt kommt letztlich nicht nur
Menschen mit einer Behinderung zugute, sondern auch älteren Menschen, Eltern mit
Kinderwagen, werdenden Müttern, oder Personen, die wegen einer Verletzung kurzfristig auf
einen Rollstuhl oder eine Gehhilfe angewiesen sind. Barrierefreiheit macht uns ALLEN das
Leben einfacher.“
André setzt alles daran, auch mit seiner körperlichen Einschränkung mobil zu bleiben. „Es
gibt eine Unmenge an technischen Hilfsmitteln, die Menschen mit einer Behinderung
das Leben wesentlich erleichtern können. Man muss nur wissen, was es gibt und wie
man es erhält. Wenn man nicht selber die Möglichkeit hat, sich zu informieren, erfährt man
meist gar nicht, welche neuen Hilfsmittel es gibt. Hier fehlt es eindeutig an Information.“
Für André wäre es wünschenswert, dass die Koordination und die Zusammenarbeit
zwischen den verschiedenen Akteuren, in diesem Fall der Pflegeversicherung „Assurance
Dépendance“ und den Herstellern von Hilfsmitteln, besser funktionieren würden. Nur auf
diese Weise könnte dann auch die Information für den Verbraucher verbessert werden.
Um eine Wohnung barrierefrei zu gestalten, muss man auf viele Details achten. Dabei ist der
eigene Erfindungsreichtum oft sehr nützlich! Letztendlich weiß der Betroffene selbst immer
noch am besten, was seinen Bedürfnissen am ehesten entgegen kommt. André hat aber das
Gefühl, dass die individuellen Wünsche der Antragsteller oft nicht beachtet werden.
„Während der ganzen Prozedur, von dem Moment an, wo man bei der Pflegeversicherung
einen Antrag für eine Umstrukturierung oder ein technisches Hilfsmittel stellt, bis hin zur
Evaluation durch Ergotherapeuten und Sozialarbeiter, hat man als Betroffener irgendwie
immer das Gefühl untergeordnet zu sein. Oft wird über den eigenen Kopf hinweg
entschieden, welche Anpassung die beste ist, ohne dabei auf die tatsächlichen Bedürfnisse
einzugehen.“
André Wagner bedauert außerdem, dass die Freundlichkeit einzelner Mitarbeiter der
verschiedenen Instanzen oft zu wünschen übrig lässt. Das führt dazu, dass der Betroffene
sich letztendlich nicht mehr als „Kunde“ fühlt, sondern eher als „Plagegeist“, der für seine
speziellen Anforderungen betteln muss. Daneben sind die meist langwierigen, büro-
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kratisch aufwendigen Prozeduren für manche Betroffene Grund genug, sich auf eigene
Faust über bestehende Hilfsmittel zu erkundigen und diese aus eigener Tasche zu bezahlen,
meint André. Für die Installation eines simplen Geländers vor der Haustür musste er 2
Kostenvoranschläge vorlegen - die ganze Prozedur zog sich in diesem Fall über Wochen hin
- was ihn letztendlich dazu brachte, sich selber im Baumarkt ein Geländer zu besorgen.
„Das geht natürlich nur, wenn die eigene finanzielle Situation es erlaubt! Viele Menschen mit
Behinderung können sich solche Anschaffungen aber aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit oder
eingeschränkten Arbeitsfähigkeit nicht leisten.“
Es besteht kein Zweifel daran, dass die Einführung der Pflegeversicherung Menschen mit
speziellen Bedürfnissen eine enorme Unterstützung bietet, nur sollte das Prinzip vielleicht
dem Antragsteller mehr Entscheidungsfreiheit überlassen. Die Pflegeversicherung bietet
im Hinblick auf die Anforderungen das einfachste – und billigste – Produkt. Dabei wird außer
Acht gelassen, dass die betroffene Person sich eventuell auch gerne etwas Luxus leisten
möchte, oder spezielle Wünsche hat, z.B. was das Design eines Produkts betrifft.
„Es wäre doch viel einfacher, für jede Leistung oder ein Produkt einen Pauschalbetrag zu
bestimmen und damit dem Antragsteller die Freiheit einzuräumen, sich mit diesem zufrieden
zu geben oder aber einen Aufpreis für spezielle Wünsche zu bezahlen.“
André Wagner wohnt seit vielen Jahren in einem Einfamilienhaus auf 2 Etagen. Um das
Haus rollstuhlgerecht zu gestalten, waren einige Anpassungen nötig. Dabei stieß er des
Öfteren auf Probleme, vor allem was größere Anpassungen betraf: „Ergotherapeuten sind
keine Architekten – und umgekehrt. Bei substantiellen Umbauten bedarf es einer perfekten
Zusammenarbeit zwischen Sozialarbeitern und Ergotherapeuten, die den optimalen
Lösungsvorschlag liefern sollen und den Ingenieuren oder Architekten, die diesen
Vorschlag auf die praktische Durchführbarkeit prüfen müssen. Leider scheint diese
Zusammenarbeit nicht immer zu funktionieren“.
Personen, die in ihrem Alltag Unterstützung benötigen, haben durch die Pflegeversicherung
die Möglichkeit, die Dienste der häuslichen Pflegenetzwerke wie „Hëllef Doheem“, „Help –
Doheem versuergt“, oder „Camille“ in Anspruch zu nehmen. Die MitarbeiterInnen bieten Hilfe
bei der täglichen Hygiene, bei Hausarbeiten, kleineren Erledigungen und bei der
medizinischen Versorgung. Diese Dienstleistungen werden von der Pflegeversicherung aber
nur dann übernommen, wenn der Bedarf an Hilfe und Pflege bei den Aktivitäten des
täglichen Lebens mindestens 3,5 Stunden pro Woche beträgt. Die Aktivitäten des
täglichen Lebens beziehen sich auf die Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität.
Jemand, der „nur“ Hilfe beim Putzen, Kochen, Rasen mähen oder Einkaufen benötigt, geht
somit meist leer aus.
Ein anderes Problem in diesem Zusammenhang ist der Respekt gegenüber der
Intimsphäre der pflegebedürftigen Person. Nicht selten übernimmt weibliches Pflegepersonal die Körperpflege von pflegebedürftigen Männern – oder aber männliches Pflegepersonal die Körperpflege von Frauen – was aber für die Betroffenen sehr unangenehm sein
kann und unter Umständen zu einer starken psychischen Belastung wird. Es ist klar, dass
dieses Problem wohl schwer in den Griff zu kriegen ist, jedoch wäre es nötig hier trotzdem
nach Lösungen zu suchen.
Behindertengerechtes Wohnen bedeutet nicht nur, sich in den eigenen vier Wänden frei
bewegen zu können, sondern auch vor der Haustür und innerhalb des ganzen
Wohnortes. In manchen Ortschaften ist dies für Rollstuhlfahrer aber leider unmöglich, meint
André Wagner. In seinem Wohnort in der Gemeinde Luxemburg herrscht aufgrund einer
Langzeit-Baustelle das Chaos auf der Hauptstraße. Die Baustelle ist so angelegt, dass ein
Rollstuhlfahrer keine Möglichkeit hat, in öffentliche Gebäude hinein oder hinaus zu gelangen.
Das Fehlen von Bürgersteigen zwingt Fußgänger und Rollstuhlfahrer, sich auf der Straße
fortzubewegen. Von diesen unzumutbaren Gefahren abgesehen sind viele öffentliche
Gebäude für Rollstuhlfahrer - wie vielerorts - überhaupt nicht zugänglich. In zahlreichen
Geschäften, Restaurants, Postämtern, Banken oder Cafés bleibt Rollstuhlfahrern der Zugang
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von vorneherein verwehrt. „Nicht immer scheitert es aber am guten Willen“, meint André,
„Ein mir bekanntes öffentliches Gebäude verfügt zwar über eine Rampe, letztere ist aber viel
zu steil und somit für einen Rollstuhlfahrer ohne fremde Hilfe kaum zu meistern. Ebenso
kommt es vor, dass ein Mieter wohl gewillt ist die Örtlichkeit barrierefrei umzugestalten, der
Eigentümer des Gebäudes jedoch nicht einverstanden ist.“
Eine äußerst praktische Methode, sich innerhalb der Ortschaft fortzubewegen ist der
Elektroscooter. Leider gibt es in diesem Zusammenhang aber noch viele offene Fragen,
was die gesetzliche Regelung betrifft. Muss oder darf man mit diesem Fahrzeug auf dem
Bürgersteig fahren, oder muss man auf die Straße?
Viele Personen mit Behinderung sind zwar Inhaber eines Führerscheins, sind aber wegen
eingeschränkter Mobilität auf die Behindertenparkplätze angewiesen. Abgesehen davon,
dass es schlichtweg zu wenige solcher Parkplätze gibt werden sie auch immer wieder von
nicht behinderten Autofahrern genutzt, die „nur ganz kurz und ausnahmsweise“ hier
stationieren, weil gerade sonst kein Platz frei war…
Sicherlich bietet Luxemburg mit der Einführung der Pflegeversicherung vielen älteren
Menschen oder Menschen mit einer Behinderung die Möglichkeit, so lange wie möglich
autonom zu wohnen. Im Vergleich zu manch anderen Ländern ist dies zweifellos ein großer
Vorteil. „Ich möchte auch betonen dass viele Gemeinden in Luxemburg sehr aktiv im Bereich
Barrierefreiheit sind und um die Integration ihrer behinderten Einwohner bemüht sind“, so
André. Trotz allem ist autonomes Wohnen für jene Personen mit zahlreichen Hindernissen
und bürokratischem Aufwand verbunden, die es in der Zukunft nach und nach abzubauen
gilt.
Profiter de l’aide des professionnels et insister sur les propres besoins
Article de Anne-Marie Ternes
Trouver un appartement accessible en fauteuil roulant et convenablement adapté est chose
difficile. J'ai longtemps cherché, j'ai vite abandonné l'idée de trouver un appartement déjà
construit qui me conviendrait, et j'ai ciblé plus précisément les résidences en cours de
construction, dans lesquelles il était encore possible de faire des modifications, et sur des
projets de future construction. Mais là encore, j'avoue que j'ai plusieurs fois complètement
arrêté de regarder les annonces, parce que j'en avais marre de contacter des immobilières,
d'inspecter des plans (en général pas très intelligents), d'aller voir sur place etc.
Finalement, Eurêka, j'avais trouvé: une résidence en future construction dans un des
faubourgs de la Ville de Luxembourg. L'environnement me plaisait beaucoup, les agents
immobiliers étaient sympas et prévenants, et prêts à toutes les discussions pour me
permettre d'adapter mon logement à mes besoins. En effet, l'avantage d'acheter sur plan est
qu'il est encore possible de changer la disposition intérieure de l'appartement.
Heureusement, j'avais aussi dès le début de mes “recherches immobilières”, contacté ma
personne de référence auprès de l'assurance-dépendance, ce qui faisait que, au moment de
mon choix définitif, le dossier était prêt, et le consultant de l'Adapth n'attendait que mon
appel pour entrer en action.
Nous nous sommes donc mis au travail, et avec l'aide de l'Adapth, nous avons ensemble
modifié les plans, bougé des murs intérieurs, agrandi des passages de portes, vérifié les
dimensions et accès au garage, aux caves, à l'ascenseur, aux portes d'entrée etc.
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Suite à toutes ces analyses, l'Adapth a préparé un cahier des charges, qui contient les
propositions de solutions aux divers problèmes à résoudre pour rendre l'appartement
parfaitement adapté à mes besoins, et qui a dû être validé par moi, et puis par l'assurancedépendance, au fur et à mesure que les coûts des différentes solutions étaient connus.
Plusieurs aspects de la résidence allaient déjà d'office dans la bonne direction: entrée de
plain-pied, pas de différence de niveau entre le garage et l'entrée intérieure à la résidence,
ascenseur, volets électriques.
En ce qui concerne les parties communes, les portes d'entrée ont été alignées différemment
afin de faciliter le passage, certaines portes ont été motorisées, les boîtes à lettres sont
disposées à la bonne hauteur.
Dans mon appartement, j'ai d'abord, sur le plan, enlevé quelques murs intérieurs, et déplacé
d'autres murs, de manière à ce que je dispose d'un grand espace ouvert. Les portes
restantes ont été transformées en portes coulissantes.
La plus grande difficulté se posait dans la salle de bains. Sur les plans étaient prévues une
salle de bains et une salle de douche. Je les ai réunies en une salle de bains plus grande,
mais le problème était que trois des quatre murs étaient porteurs, c.à.d. qu'on ne pouvait pas
les bouger, et au plein milieu se trouvait une gaine technique... Finalement, la gaine a pu
être déviée au moyen d'un faux-plafond, et encore seulement parce qu'il n'y avait pas de
conduite d'eau descendant du penthouse au-dessus. Ouf!
La salle de bains a ensuite été équipée d'une baignoire “Sitzbadewanne” (on est assis
dedans, pas allongé), avec portière qui permet le transfert facile depuis le fauteuil roulant. Le
lavabo est un modèle aplati avec siphon encastré pour bien pouvoir s'y installer en fauteuil.
J'ai choisi également de l'équiper d'un système de réglage en hauteur, afin de pouvoir
l'adapter à la position assise en fauteuil, sur tabouret ou debout. Finalement, le WC est un
modèle long, installé plus haut que d'habitude, et avec des barres d'appui.
L'autre point d'intérêt était la cuisine. Par chance, pendant les mois passés à chercher un
appartement, l'assurance-dépendance a décidé également de donner un soutien financier à
l'adaptation des cuisines – ce qui m'a évidemment bien arrangé.
Les points forts de la cuisine sont: la plaque de cuisson et l'évier sans meuble en dessous et
réglables en hauteur (pour le cas où quelqu’un d'autre vient faire la cuisine... ou la vaisselle –
on peut toujours rêver), des armoires à tiroir uniquement, un frigo à tiroirs, le four à la bonne
hauteur, une plaque de cuisson large pour pouvoir placer les casseroles côte à côte, un
meuble sur roulettes et une hotte à boutons déportés.
Pour les autres pièces, il n'y a rien d'extraordinaire – dans tout l'appartement, les
interrupteurs pour la lumière et les volets sont placés et regroupés à des endroits faciles
d'accès, et la majorité des prises de courant sont également disposées à une hauteur à
accès facile depuis le fauteuil roulant.
Je dois dire que mes expériences avec l'assurance-dépendance et l'Adapth sont jusqu'ici
très bonnes. En tout cas, je ne saurais pas me plaindre du soutien financier de la part de
l'assurance-dépendance! Certains aspects sont pris en charge sous forme de forfaits (p.ex.
portes coulissantes, carrelage anti-dérapant dans la salle de bains), ce qui laisse la liberté de
choisir quelque chose de plus élaboré; d'autres aspects sont complètement pris en charge
(p.ex. la baignoire, motorisation des portes dans les parties communes); et encore d'autres
solutions sont prises en charge non pas dans le cadre de l'aide au logement, mais de celui
des appareils techniques.
Je suis heureuse que la cuisine fait désormais partie de l'aide-logement (ce qui me semble
logique de toute façon, si l'on veut permettre aux personnes handicapées de se débrouiller
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autant que possible chez eux), et il est tout à fait clair que sans cette aide financière
considérable, je n'aurais pas pu mettre en place partout la solution idéale pour moi.
Si je peux donner quelques conseils aux personnes handicapées qui veulent se lancer
dans un projet similaire, voici quelques points qui me semblent les plus importants:
1. Profitez de l'aide de l'Adapth! Ne vous y lancez pas seul.
● j'avoue que je ne compte plus le nombre de fois où je me suis dit “Mon Dieu,
heureusement que l'Adapth t'a aidée à choisir ceci ou cela / t'a accompagnée auprès des
fournisseurs, sinon ...” j'aurai eu l'air maline après. J'ai pensé à beaucoup de choses, mais
j'ai quand-même oublié des détails ou je n’ai pas réalisé les conséquences fâcheuses de
certaines de mes idées.
● l'Adapth connaît, par son expérience pratique, des solutions auxquelles je n'aurais même
pas pensé (c'est l'effet “ah bon, ça existe?”)
● l'Adapth peut aider pour faire pression / pour insister auprès des responsables de chantier
quand ceux-ci ne sont pas trop partants pour une adaptation; il est parfois difficile pour une
personne privée seule de leur faire comprendre ou entendre la nécessité d'une solution –
l'Adapth apporte le poids nécessaire dans ces négociations.
● l'Adapth visite régulièrement le chantier pour vérifier que tout est construit / installé comme
requis dans le cahier des charges – en fauteuil roulant, nous n'avons accès à l'appartement
que quand l'ascenseur est installé, c.à.d. quand il est certainement trop tard pour remédier à
des erreurs.
1.
Lors de vos entretiens avec les responsables du chantier, insistez sur certaines
adaptations dont vous avez impérativement besoin – il se peut que ces suggestions soient
adoptées pour toute la résidence! Ainsi, les volets électriques et le passage de plain-pied
vers le balcon n'avaient pas été prévus d'office – en fin de compte, tous les appartements
ont des volets électriques et des passages de plain-pied aux balcons. Je suis sûre que les
autres propriétaires vont apprécier ces petits “luxes”.
2.
Le plus important: il faut absolument veiller à faire écrire noir sur blanc dans
votre contrat d'achat les adaptations / critères qui sont vraiment indispensables pour
que vous puissiez vivre à votre aise dans la résidence! Un de ces critères est
assurément les dimensions minimales de la cabine d'ascenseur (ne pas mentionner
seulement “ascenseur avec accès pour personne à mobilité réduite”) !! Tout mon projet a
failli chavirer à la fin parce que tout à coup la gaine de l'ascenseur était trop petite pour la
profondeur de cabine prévue depuis le début – malgré la mention des dimensions dans le
cahier des charges de l'Adapth remis aux responsables du chantier, malgré les plans qui
montraient des dimensions adéquates, malgré les questions régulières à ce sujet, malgré les
“bien sûr” proférés à chaque reprise!
L'aventure approche à sa fin, l'appartement devrait normalement être fini avant les congés
collectifs – qui sait quelles surprises surgiront encore?
Anne-Marie Ternes
[email protected]
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Méi Ënnerstëtzung an eng besser Berodung
Interview mam Marcia Franchini
Presentéier dech kuerz !
Ech heeschen Marcia, sinn glécklech bestued säit 2005. Ech hunn säit menger Geburt
d’Glas-Schanken Krankheet, sinn dofir och am Rollstull. Ech schaffen fir den Staat säit 2000.
Meng Hobbyen sinn liesen, an de Kino goën, spazéieren.
Wéi gesäit deng aktuell Wunnsituatioun aus?
Mat mengem Mann zesummen sinn ech Propriétaire vun enger Wunneng säit 2005. Mir
wunnen zu 2, plus nach eis 2 Kazen an den Baguie (chien d’assistance).
War et schwéier eng Wunneng ze fannen déi dengen Besoinen ent-sprecht ?
JO, et war net einfach well een op souvill Saachen muss oppassen, a schlussendlech ass et
awer nach net 100% esou wéi et soll. Oft sinn déi Wunnengen déi fir en Rollstullfuerer gudd
wieren ze deier oder si ginn et durch d’Transformatiounen déi musse gemaach ginn.
Et fänkt un mat der Entree vun der Résidence oder vum Haus, oft ginn et hei Trapen, suguer
wann et sech em en Neibau handelt. Huet een en Auto, brauch en, fir et mei einfach ze
hunn, eng Parkplatz. Oft sinn déi awer ze kleng fir dat d’Autosdier wäit genuch op geet fir en
Transfert ze machen. Also muss en dann 2 Parkplatzen kaafen - déi mussen awer dann och
nierwendeneen sinn!
Dann mussen d’Wunnengsdieren iwerall méi breet gemaach ginn, et brauch een eng
behënnertegerecht Kichen, e Buedzëmmer wat grouss genuch ass fir en Rollstull,
d’Schlofzëmmer muss esou sinn dat en mat sengem Rollstull ouni Problem doduerch fueren
kann an an an ..... Et muss een u sou vill Saachen denken dat een zum Schluss awer nach
eppes vergiess huet.
Goufen et eventuell Problemer / Hindernisser bei der Wunnéngssich oder dem Kaaf
(Bank / prêt) ?
Mir perséinlech haten keng Problemer mam Prêt, ausser dat mir eis hu missen mei
grëndlech emfroën wéinst dem Embau. Mir wollten allen zwee eng Assurance Vie
ofschléissen. Daat war och kee Problem, mee fir meng Assurance Vie hu mir missten
teschend 6.000 an 7.000 Euro méi bezuelen (!) Daat ass a mengen Aën net korrekt well
meng Liewenserwardung duerch meng Krankheet net méi niddereg ass wéi bei engem
gesonden Mensch.
Waren gréisser Adaptatiounen (Embau) néideg ?
Ech denken dat daat mam Embau fir jiddwereen emmer anescht ass, fir mech waren et eben
d’Dieren déi mi breet, an d’Toiletten déi méi déif an méi grouss hu missten gemaach ginn. Et
gouf eng nei Kichen installéiert, wou ech selwer dann och kachen kann… an do muss ech
leider soën dat déi nach net 100% gudd ass.
Wat fir eng Ennerstëtzung / Berodung hues du dobäi kritt (Agence, Assurance
Dépendance, Ar-chitekt, aner Servicer) ?
Berodung?? Nee, mir goufen absolut net beroden. Ech hat beim Ministère du Logement
ugeruff, fir do mol ze froën op en kann eng Hëllef kréien fir all déi néideg Adaptatiounen, an
als Äntwert krut ech gesot dat et bei hinnen näischt géif ginn.
D’Assurance Dépendance ass zwar e gudden Service, mee si hunn eben hir Richtlinnen a si
kucken net all Persoun individuell, wat awer a mengen Aën net richteg ass. All behënnert
Persoun - och wann d’Behënnerung di selwecht ass - huet net di selwecht Usprech! Ech
gesinn daat zum Beispill bei de behënnertegerechten Toiletten - déi sin vill méi héich, fir den
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Transfert aus dem Rollstull ze erliichteren. Fir mech perséinlech sin déi awer vill ze vill héich!
Där Saachen gin et vill, waat fir deen een gudd ass, as awer net automatesch gudd fir deen
aneren.
Mir haaten en Architekt, deen eis vill Suen kascht huet, an deen mir awer nemmen geholl
hunn well d’Gemeng dorop bestaanen huet. Also et war näischt geschenkt! Ech soën daat
well vill Leit denken wann een behënnert ass kritt een vill Geld an Hellëf, mee dat as nach
lang net esou…
Entsprecht deng Wunneng elo ganz dengen Besoinen ?
Eis Wunneng entsprecht leider net zu 100% mengen Besoinen. Et war eben daat waat mir
eis an deem Moment leeschten konnten.
Fenns du dat et fir eng Persoun mat Behënnerung grad sou einfach as wéi fir eng net
behënnert Persoun eng Wunnéng ze fannen ? Falls nee, hues du Iddeen oder
Proposen wéi een déi Prozedur kéint vereinfachen ?
Nee, et ass lang net esou einfach fir eng behënnert Persoun eng Wunneng ze fannen. Et ass
schon souwisou deier genuch eng Wunneng ze bezuelen, mee well mir och nach méi eng
grouss Wunnfläch brauchen gett et nach méi deier.
Et wees een och net emmer u wien een sech mat all senge Froën wenden soll, et mist eng
eenzeg Ulaafstell gin wou en all seng Froën stelle kann an och eng Änwert kritt, ouni dat een
vun engem Service zum anere geschéckt gëtt.
Et misst een och méi finanziell Ënnerstëtzung kréien. Et ginn jo Logementer vum Ministère
du Logement fir Leit mat nidderegem Akommes. Da kéint et jo och Wunnengen ze kaafen
oder ze verlounen ginn fir Leit mat enger Behënnerung – déi vläit dann net zu 100% fir
jiddereen accessibel wären mee awer scho mol zu engem groussen Deel.
Schammatdorf Trier
Beitrag von der Redaktion (Quelle: www.schammatdorf.de)
Wir möchten Ihnen in dieser Ausgabe ein integratives Wohnprojekt der Stadt Trier vorstellen.
Im sogenannten „Schammatdorf“ leben Menschen mit und ohne Behinderung nach den
Prinzipien der Solidarität und der nachbarschaftlichen Hilfsbereitschaft zusammen.
Im anschließenden Interview mit einer Bewohnerin des Schammatdorfes erfahren Sie dann
wie das Leben praktisch in dieser alternativen und interessanten Wohnstruktur aussieht…
Der Nachbarschaftsverein Schammatdorf e.V. wurde im Juni 1984 ins Leben gerufen mit
dem Ziel, „das solidarische Miteinanderwohnen der Nachbarn des Schammatdorfes (zu)
fördern und so einen Beitrag zur Integration von behinderten und nichtbehinderten Nachbarn
(zu) leisten.“ (Vereinssatzung des Schammatdorf e.V., § 2, Abs. 1)
Entstehungsgeschichte
Auf dem Hintergrund zahlreicher Probleme städtischen Wohnens entwickelte sich in Trier in
den siebziger Jahren der Gedanke, ein Wohngebiet mit sozialer Zielsetzung zu errichten.
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In Zusammenarbeit mit dem Sozialdezernat der Stadt Trier planten die Abtei St. Matthias
und die Wohnungsbau und Treuhand AG (GBT) das Schammatdorf, das ab Ende 1979
bezugsfertig wurde. Die Wohnungsbau und Treuhand AG (GBT) als Bauträger erstellte im
Rahmen des sozialen Wohnungsbaus die Wohnanlage. In den 144 Wohnungen, von denen
44 barrierefrei gehalten sind, wohnen zur Zeit etwa 280 Menschen. Die Bewohner wollen
eine neue Nachbarschaft mit hoher Kommunikation, Integration und Partizipation leben. Die
Kaltmiete beträgt derzeit etwa 5,40 Euro je m2 Wohnfläche. Zwischenzeitlich haben einige
Bewohner ihre frühere Mietwohnung als Eigentum erworben.
Ziele und ihre Verwirklichung
Der Grundgedanke des Projektes ist, einen Wohnbereich zu schaffen, in dem selbständig
Lebende mit Menschen zusammenwohnen, die aufgrund ihrer Lebensgeschichte oder
spezifischer Beeinträchtigungen Schwierigkeiten mit der selbständigen Bewältigung des
Alltags haben. Im Schammatdorf wohnen somit heute Familien mit Kindern, Menschen mit
und ohne Behinderungen, ältere Menschen, Studenten, psychisch Kranke, Alleinerziehende
... in guter Nachbarschaft zusammen und helfen sich gegenseitig im Alltag dort, wo es
Probleme gibt.
Die Architektur des Dorfes schafft für die Ziele der Integration und Kommunikation gute
Voraussetzungen. Die Häuser sind zweigeschossig in sogenannten Wohnhöfen gebaut.
Laubengänge, der Hofbereich mit Baum, Sandkasten und Bänke laden zum Verweilen ein.
Die halböffentlichen Räume geben den Bewohnern die Möglichkeit zu selbstverständlichen
Alltagskontakten. Die Außenanlagen sind weitgehend rollstuhlfreundlich und zudem vielfältig
begrünt. Ebenfalls barrierefrei ist das in der Dorfmitte gelegene Schammatdorfzentrum, das
den Nachbarn für ihre Aktivitäten (gemeinsame Mittagessen, Kindertreffs, Kaffeenachmittage, Bastelgruppen, offene Treffs wie z.B. das „Kneipchen“...) zur Verfügung steht. Es ist
aber auch Treffpunkt für Initiativen und Veranstaltungen, die über das Dorf hinausgehen
(Vorträge, Ausstellungen...).
Auf Grundlage des intensiveren gemeinsamen Wohnens von Menschen mit unterschiedlicher Lebenslage und Lebensorientierung erweitert der Bewohner den eigenen menschlichen Erfahrungshorizont. In den gemeinsamen Aktivitäten in der Gestaltung der
Wohnumwelt und in der Freizeit werden wechselseitige Anerkennung gefördert, persönliche
Fähigkeiten zur selbstbestimmteren Lebensführung entwickelt und gegenseitige unentgeltliche Unterstützung aufgebaut. Mit der Gründung eines Vereins haben die Nachbarn auch
eine rechtlich verfasste Struktur zur Beteiligung an der Weiterentwicklung ihres
Gemeinwesens geschaffen.
Kleiner Bürgermeister
Als beratende Kontaktperson steht den Bewohnerinnen und Bewohnern ein DiplomSozialpädagoge (der so genannte Kleine Bürgermeister) zur Seite. Er begleitet Menschen in
schwierigen Lebenssituationen und bietet bei persönlichen Problemen kontinuierlich Hilfen
an.
Weitere Informationen finden Sie unter:
www.schammatdorf.de
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Autonomes Wohnen mit nachbarschaftlicher Unterstützung
Interview mit Anne Chérel
Hallo Anne, würdest du dich bitte kurz vorstellen?
Mein Name ist Anne Chérel und ich bin 32 Jahre alt. Ich bin Diplomerzieherin, habe
Pädagogik studiert und arbeite seit 3 Jahren hauptsächlich beim Club Aktiv in Trier.
Momentan beschäftige ich mich dort mit dem Projekt „Porta Libertas – Barrierefrei durch
Trier und die Region“, einem Kulturführer. Daneben bin ich als Sekretärin und Koordinatorin
beim Conseil National des Personnes Handicapées in Luxemburg tätig.
Seit meiner Geburt habe ich eine sogenannte infantile Zerebralparese, eine durch Sauerstoffmangel bedingte Schädigung des motorischen Zentrums im Gehirn. Diese Behinderung
äußert sich vor allem durch eine erhöhte Muskelspannung, hinzu kommen aber auch noch
Wahrnehmungsstörungen verschiedener Art, die bei mir Gott sei Dank nicht allzu stark
ausgeprägt sind. Ich bin aufgrund dieser Behinderung Rollstuhlfahrerin.
Wo wohnst du momentan?
Ich wohne jetzt seit ungefähr 8 Jahren in Trier im Schammatdorf, das ist ein integratives
Wohnprojekt, in dem behinderte und nicht behinderte Menschen zusammenleben. Es gibt
daher mehrere barrierefreie Wohnungen im Erdgeschoss. Das Prinzip beruht eigentlich auf
nachbarschaftlicher Hilfe, d.h., wenn mir beispielsweise etwas passiert, gibt es in jedem
Raum meiner Wohnung einen Alarmknopf, den ich betätigen kann und die Nachbarn
kommen dann, um mir zu helfen. Ich musste schon auf diese Art von Hilfe zurückgreifen und
muss sagen, das funktioniert sehr gut.
Wie kam es dass du ins Schammatdorf gezogen bist?
Ich bin nach Trier gezogen, weil ich hier an der Uni Pädagogik und Anglistik studiert habe.
Wie der Zufall es wollte, hat mich eine Freundin, die hier im Dorf wohnt, darüber unterrichtet,
dass eine barrierefreie Wohnung zur Verfügung stünde. Glücklicherweise konnte ich dann
auch recht schnell hier einziehen.
Gab es irgendwelche Bedingungen, die du erfüllen musstest, um diese Wohnung im
Schammatdorf beziehen zu können?
Ja. Da das Schammatdorf ein soziales Projekt ist, braucht man dazu einen Wohnberechtigungsschein der Stadt Trier. Den erhält man, wenn man aufgrund von Behinderung oder
sonst einer Einschränkung sozialer Natur auf eine solche Wohnung angewiesen ist. Als
Rollstuhlfahrerin war es für mich nicht schwer, diesen Schein zu erhalten. Ich weiß aber,
dass es in manchen Fällen, wo die Behinderung oder Einschränkung nicht direkt erkennbar
ist, schwieriger ist, diesen Schein ausgestellt zu bekommen. Dann wird erst geprüft, ob die
soziale Situation es auch wirklich erforderlich macht, in einer solchen Struktur zu leben.
Andernfalls wäre es schwierig gewesen eine geeignete Wohnung in Trier zu finden?
Also ich habe mich zu dieser Zeit natürlich auch nach anderen Wohnmöglichkeiten
umgesehen, aber ich muss sagen, es war schon recht schwierig, eine barrierefreie Wohnung
im Erdgeschoss mit guter Lage zu finden – das schränkt die Suche schon ziemlich ein. Es
gab auch auf dem Campus der Uni behindertengerechte Wohnungen, da ich aber nicht nur
auf dem Campus leben wollte, sondern eher in Stadtnähe, habe ich mich dann fürs
Schammatdorf entschieden.
Kannst du kurz deine Wohnung beschreiben? Welche Vorteile bietet sie dir als
Rollstuhlfahrerin?
Die Wohnung ist barrierefrei für Rollstuhlfahrer, d.h. sie verfügt z.B. über breite Türen. Für
mich persönlich ist das keine Notwendigkeit, aber wenn ich mich in einem Elektro-Rollstuhl
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fortbewegen würde, käme ich auch überall problemlos hindurch. Ein absolutes Luxus-Gefühl
hat mir mein Badezimmer gegeben: großes Bad, ebenerdige Dusche mit eingesenktem
Abfluss ohne Schwelle und ausreichend Raum, um mich mit dem Rollstuhl frei zu bewegen
und zu drehen. Die Räume sind allesamt großzügig geschnitten, sodass ich überall genug
Bewegungsfreiheit habe.
Wie groß ist deine Wohnung?
Also sie ist schon recht groß, es gibt 2 Zimmer, Küche und Bad auf einer Fläche von 80 m2.
Die Wohnung war ursprünglich für 2 Personen gedacht, ich wohne jetzt aber schon seit 2
Jahren alleine hier und ich denke von der Zimmeraufteilung her ist das auch recht günstig,
zu zweit würde es doch schon etwas eng werden.
Welche Wohnungsgröße sieht das Schammatdorf denn normalerweise für einen
Rollstuhlfahrer vor?
So zwischen 55 und 60 m2. Da gibt es dann eben nur 1 Zimmer, die Küche und das Bad.
Das heißt also Wohnzimmer und Schlafzimmer kann man nicht voneinander abtrennen. Ich
habe auch am Anfang selbst in einer solch kleineren Wohnung gewohnt. Von der Größe her
war das schon ok, da trotzdem die Barrierefreiheit gegeben war. Dann bin ich aber mit
jemandem zusammengezogen und benötigte daher eine größere Wohnung. Wir lebten dann
für 6 Jahre zusammen hier, danach bin ich dann in dieser Wohnung geblieben.
Gab es denn keine Probleme, diese Wohnung behalten zu können?
Wenn ich von meiner finanziellen Situation her auf staatliche Hilfe angewiesen wäre, dann
hätte ich ganz klar wieder in eine kleinere Wohnung umziehen müssen. In diesem Fall
schreibt das Sozialhilfegesetz diese 55 m2 vor. Da ich aber mit meinem Verdienst diese
Wohnung bezahlen kann, gibt es da keine Probleme.
Benötigst du außer der Nachbarschaftshilfe auch noch andere Unterstützung?
Ich habe seit 4 Jahren einen Assistenzhund, der mir alle Dienstleistungen erbringt, die ich
benötige. Er bringt mir Sachen oder hebt auf, was zu Boden fällt, er hilft mir auch mal aus
meiner Jacke oder meinen Schuhen, aber darüber hinaus benötige ich eigentlich keine Hilfe.
Ich könnte zwar noch weitere Dienstleistungen in Anspruch nehmen, wie z.B. eine
Haushaltshilfe, aber darauf möchte ich im Moment noch verzichten, solange ich selber
klarkomme.
Wie sieht es mit der Einrichtung der Wohnung aus? Ist die auch rollstuhlgerecht?
Die Einrichtung der Wohnung habe ich selbst besorgt, d.h. die ist ziemlich „zusammengewürfelt“ und auch nicht unbedingt auf meine Bedürfnisse angepasst. Das Einzige, was
speziell rollstuhlfreundlich ist, ist die unterfahrbare Spüle (die ich mir vom Sperrmüll besorgt
habe). Dann habe ich noch eine kleine Terrasse und ein Stück vom Gemeinschaftsrasen,
den ich mir wegen des Hundes einzäunen durfte. Es freut mich sehr, jetzt meinen eigenen
kleinen Garten zu haben!
Das wurde also dann mit den Nachbarn abgesprochen?
Ja, genau. Alle Belange die die Nachbarschaft angeht, Neubeziehungen von Wohnungen,
Unterhalt der gemeinsamen Strukturen etc., werden hier regelmäßig bei kleinen Treffen
besprochen. Bei Problemen kann man sich an einen sogenannten Hofsprecher wenden, der
dann zur Not das Anliegen an den Dorfbürgermeister weiterleitet oder an die angrenzende
Abtei, die bei verschiedenen Dingen auch noch Mitspracherecht hat. Der Hofsprecher wird
unter der Nachbarschaft, normalerweise jedes Jahr, gewählt. Seine Aufgabe ist es, die
persönlichen Interessen, sowie die Interessen der Hofgemeinschaft zu vertreten.
Wie sah deine frühere Wohnsituation aus? Wo hast du vorher gelebt?
Also, ich habe bis zu meinem 19. Lebensjahr bei meinen Eltern gewohnt, bis zum Abschluss
des „Lyçée Technique“. Mein Elternhaus war absolut nicht rollstuhlgerecht. Wo es möglich
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war, haben meine Eltern die Einrichtung an meine Bedürfnisse angepasst und mir bei den
restlichen Barrieren, wie z.B. den Treppen, geholfen.
Zu diesem Zeitpunkt gab es ja auch noch keine Pflegeversicherung – diese Unterstützung steht ja erst seit 1999 zur Verfügung – was sicherlich die Möglichkeiten
extrem eingegrenzt hat.
Ja, absolut. Damals musste man öfters mal improvisieren und sich selbst so gut wie möglich
organisieren. Da hatte ich wirklich Glück, dass ich immer nette hilfsbereite Menschen,
entweder die Eltern oder Freunde, um mich hatte, die für mich die Barrieren aus dem Weg
räumten.
Mit 19 habe ich also dann meine Ausbildung zur Erzieherin in Luxemburg begonnen. Ich
musste und wollte dann auch von meinen Eltern wegziehen. So habe ich mich auf
Wohnungssuche in der Nähe meiner Ausbildungsstätte begeben. Glücklicherweise kannte
mein Vater jemanden, der gerade aus einer Parterre-Wohnung im Ort selbst, in Fentange,
ausziehen wollte. Die Wohnung lag zwar im Erdgeschoss, war aber darüber hinaus absolut
nicht rollstuhlgerecht konzipiert. Im Eingangsbereich gab es eine Stufe, wo wir uns dann mit
einer Rampe beholfen haben. Zwischen Küche und Wohn-/Schlafzimmer gab es auch noch
eine Stufe, die ich dann mit einer weiteren Rampe „überwinden“ konnte. Die Küche war
ziemlich eng und klein und viele Schränke waren hoch montiert, sodass ich an Vieles nicht
rankam. Ich habe dann halt alle Sachen, die ich nur selten gebrauche in die oberen
Schränke geräumt und das meiste in die unteren Schubladen verstaut – so wie ich es heute
noch tue. Irgendwer ist schon immer hilfsbereit zur Stelle, wenn ich mal was brauche, ich
mach mir deswegen keinen Kopf.
Glücklicherweise war das Bad recht groß, sodass ich mich gut darin bewegen konnte. Die
Dusche allerdings hatte eine Schwelle. In Absprache mit der Vermieterin konnte ich mir da
mit 2 Haltegriffen helfen. Irgendwie klappte es dann!
Aus dieser Wohnung bin ich dann nach Trier gezogen.
Deine Wohnsituation hat sich also stetig verbessert… aber gibt es für dich vielleicht
irgendwelche Kritikpunkte, die du noch ansprechen möchtest?
Also bevor ich mich etwas kritischer äußere, möchte ich vorausschicken, dass ich eher zu
den Menschen gehöre, die sich gut organisieren können und zufrieden sind, wenn es
irgendwie klappt. Ich bin kein Mensch, der sich dauernd Gedanken über Sachen macht, die
eben nicht zu ändern sind.
Den ein oder anderen Kritikpunkt an meiner jetzigen Wohnung gibt es doch. Da ich mich in
letzter Zeit etwas intensiver mit dem Thema Barrierefreiheit beschäftige, muss ich sagen,
dass die Wohnung im Schammatdorf nicht zu 100% barrierefrei ist. Es gibt einige kleinere
Schwellen, z.B. im Eingangsbereich, die doch schon den Zugang für manche Personen mit
Behinderung erschweren können.
Das Problem ist, diese Wohnungen sind in den 70er Jahren gebaut worden – natürlich
entsprachen die damaligen Standards in punkto Barrierefreiheit nicht den heutigen
Standards. Trotzdem hätte man an verschiedenen Stellen nachrüsten müssen oder nach
Lösungen suchen müssen: z.B. gibt es an jedem Fenster einen Griff, der aber so hoch
angebracht ist, dass man im Sitzen kaum dran kommt. Wenn man also nicht wie ich die
Möglichkeit hat kurz aufzustehen und sich anzulehnen, kriegt man selbstständig nicht mal
ein Fenster auf.
Was das Wohnen hier in der Gemeinschaft betrifft möchte ich noch hinzufügen, dass die
Prinzipien Solidarität und Hilfsbereitschaft immer sehr schön klingen, aber es ist klar, dass es
überall dort wo Menschen eng zusammen wohnen, immer wieder mal zu Differenzen kommt.
Ich würde jedem raten, der sich hier bewirbt, sich etwas abzugrenzen und die eigene
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Privatsphäre sowie die der anderen unbedingt zu respektieren. Es ist eigentlich nicht viel
anders als auf dem Dorf zu leben – jeder kennt jeden, und es wird viel geredet! ☺
Sind denn die Wohngebäude an sich auch barrierefrei, damit du die Nachbarn in den
andEren Wohnungen besuchen kannst?
Es ist so, dass nur ein bestimmter Prozentsatz der Wohnungen rollstuhlgerecht konzipiert ist
und diese befinden sich alle im Erdgeschoss. Als die Wohnungen erbaut wurden, gab es
überhaupt keine Fahrstühle in den Gebäuden. D.h. Rollstuhlfahrer konnten weder ihre
Nachbarn auf den anderen Stockwerken besuchen, noch in den eigenen Keller gelangen.
Auf Spendenbasis – im Rahmen der „Aktion Mensch“ – wurden später dann 3 der Wohnhöfe
mit Außenaufzügen ausgestattet. Seit einem Jahr erst hat man nun den Antrag für den Bau
weiterer Aufzüge bewilligt, die jetzt nach und nach installiert werden.
Wie stellst du dir die Zukunft vor? Möchtest du hier wohnen bleiben?
Vorerst ja. Vor allem aufgrund meiner Arbeitssituation ist das am günstigsten. Meine Arbeit
macht mir Spaß und erfüllt mich absolut, weil sie mir das Gefühl gibt, etwas bewegen zu
können. Ich arbeite mit sehr lieben Menschen zusammen, von und mit denen ich viel gelernt
hab. Ein weiteres Argument, vorerst weiter hier zu wohnen, sind natürlich die sozialen
Kontakte, die ich hier geknüpft habe.
Seit meiner Kindheit habe ich aber auch eine gewisse innere Unruhe in mir, die mich immer
wieder weg zieht. Ich hoffe, dass ich in Zukunft die Möglichkeit haben werde, viel und weit zu
verreisen, damit ich irgendwann dieses Fernweh gestillt habe und einen Ort finde, wo ich zur
Ruhe kommen kann und das Gefühl habe angekommen zu sein.
Du kannst dir also auch vorstellen irgendwo anders, vielleicht in der Stadt selbst, zu
leben?
Ja, hier in Trier auf jeden Fall. Ich habe nichts gegen Veränderungen, wenn sie sich
ergeben. Natürlich ist die Wohnungssuche für jeden heutzutage nicht unbedingt einfach, da
die Mietpreise – vor allem im Stadtzentrum – ständig ansteigen und die dafür erhaltene
Wohnfläche immer kleiner wird! Bei mir spielt dann auch noch die Barrierefreiheit eine große
Rolle und natürlich auch die Mobilität: die Verbindungen im öffentlichen Transport müssen
schon so sein, dass ich mich gut von A nach B begeben kann.
Sind die Busse hier in Trier denn alle für Rollstuhlfahrer zugänglich?
Also prinzipiell sind es Niederflurbusse, die alle mit Rampen ausgestattet sind, die sich
relativ leicht mit einem Hebel heraus klappen lassen. Es gibt aber nach wie vor auch
Niederflurbusse ohne Rampen. Außerhalb des Stadtzentrums kann es auch immer noch
vorkommen, dass man auf Busse mit Treppen trifft – wo man dann erst mal ziemlich dumm
aus der Wäsche kuckt!
Wie sieht es mit der Hilfsbereitschaft der Busfahrer aus?
Manche sind sehr hilfsbereit, manche nicht. Ich denke, das ist menschlich, aber ich rege
mich schon öfters mal darüber auf, wenn sie gestresst und unfreundlich sind. Ich habe aber
auch schon sehr positive Erlebnisse gehabt: einmal hat mich ein Busfahrer im leeren Bus bis
vor die Haustür gefahren, obwohl die Strecke absolut nicht auf seiner Linie lag!
Ein anderes Mal stand ich als einzige an der Bushaltestelle, der Bus kommt um die Ecke, ich
winke, weil ich mitfahren möchte und der Busfahrer winkt zurück und fährt vorbei! Das war
schon weniger toll! (lacht)
Es ist mir auch schon mal passiert, dass ich im Regen stand und ein Busfahrer mich nicht
mitnehmen wollte oder konnte, weil es ein Treppenbus war. Glücklicherweise konnte ich
dann aber einige Passagiere auf mich aufmerksam machen, die mich dann in den Bus
getragen haben.
Dann bin ich auch schon mal aus dem Bus gefallen. Eine Dame wollte mir helfen, die Rampe
hinunter zu fahren. Leider war diese nass… sie ist ausgerutscht und ich mit dem Rollstuhl
umgekippt. Der Busfahrer kam erst später dazu. Ich habe mich dann, wie schon öfters,
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beschwert. Da erst habe ich erfahren, dass es gar nicht die Pflicht der Busfahrer ist in
solchen Situationen zu helfen, da sie die Kasse nicht unbeaufsichtigt lassen können und ihre
Kabine nicht verlassen dürfen.
Also als Rollstuhlfahrer muss man schon ein dickes Fell haben, wenn man den öffentlichen
Transport nutzen will!
Hast du sonst noch etwas zum Thema Wohnen hinzuzufügen, irgendwelche Wünsche
oder Vorschläge?
Ich wünsche mir prinzipiell für jeden, der eine Einschränkung hat, sei es nun finanziell,
körperlich, geistig oder seelisch, mehr Wohnmöglichkeiten. Ein Dach über dem Kopf zu
haben, ist ein fundamentales Menschenrecht und ich wünsche mir wirklich von ganzem
Herzen, dass die Lage sich entspannt und die Menschen wieder einfacher von diesem Recht
profitieren können. Momentan ist es schon fast ein Luxus, sich etwas Elementares wie eine
Wohnung leisten zu können – mal abgesehen von der immer noch mangelnden
Barrierefreiheit – und diese Situation ist in meinen Augen nicht zu tolerieren.
Vielen Dank für das Gespräch!
Interview
Isabel Sturm, Nathalie Gaudron
Info-Handicap
Selbstbestimmt Leben – Selbstbestimmt wohnen!
Beitrag von Andrée Biltgen zum 3. Dezember –
Internationaler und Europäischer Tag der Menschen mit Behinderung
In seiner eigenen Wohnung leben ist für jeden Menschen ein wichtiger Schritt in die
Selbständigkeit und Selbstbestimmung. Dies gilt natürlich auch für Menschen, die mit einer
Behinderung leben. Und doch ist dieser Abschnitt im Leben mit vielen Hindernissen
verbunden.
Ich bin vor 43 Jahren mit einer Körperbehinderung zur Welt gekommen und wohne seit 5
Jahren in meiner zweiten eigenen Wohnung.
Als ich vor 15 Jahren von der Universität wieder nach Luxemburg zurückgekehrt bin, habe
ich mich gleich auf die Suche nach einer Wohnung gemacht. Und damit haben wir auch
schon das erste Problem: Behindertengerechte Wohnungen, oder solche, die man ohne
zuviel Aufwand umbauen kann, sind eher selten zu finden in Luxemburg. Und so war meine
erste Wohnung ein « Kompromiss », bei der ich viele Zugeständnisse machen musste. Aber
damals war ich auch noch fitter als jetzt, benutzte noch keinen Rollstuhl,…. So war z.B. die
Haustür unerreichbar für einen Rollstuhlfahrer und man kam nur ins Haus durch die Garage
oder den Keller. Die Briefkästen waren alle draußen, so dass ich im Winter Hilfe brauchte,
um meine Post rauszunehmen. Zum Aufzug musste man ein paar Stufen rauf oder runter
gehen, die Toilette war separat, der Flur und die Türen recht schmal.
Ein weiteres, für Viele unüberwindbares Hindernis, auf das man in Luxemburg stößt, ist die
Finanzierung. Um einen Kredit bei einer Bank aufzunehmen, muss man eine Restschuldversicherung abschließen. Und diese wurde mir erst mal radikal verweigert aufgrund meiner
Behinderung. Erst nachdem ich Widerspruch eingelegt hatte und bei einer Kontrollärztin war,
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konnte ich eine solche Versicherung abschließen, zum teuersten Tarif, den es gab ! Als ich
dann ein neues Darlehen beantragte, hatte ich das « Glück » Single zu sein, so dass meine
Bank auf eine erneute Versicherung verzichtet hat, da ich ja keinen Partner habe, der im
Haus bleiben möchte. Aber was ist, wenn ich doch noch einen Partner finde ? Muss ich
damit warten bis ich 58 bin und meine Wohnung abbezahlt ist ?
Mit der Verschlechterung meines allgemeinen Zustandes wurde das Bedürfnis nach einer
neuen Wohnung, die meiner Situation gerechter wurde, immer größer. Durch Zufall wurde
ich aufmerksam auf eine Wohnung in Differdingen. Der Makler hat mir am Telefon bestätigt,
dass die Wohnung behindertengerecht sei, ich sei daher auch nicht die einzige Person mit
einer Behinderung, die sich für die Wohnung interessiere.
Bei der Besichtigung am nächsten Tag war ich gleich begeistert, habe aber auch festgestellt,
dass es einige Hindernisse gab : eine Eingangsstufe, eine Stufe vom Wohnzimmer in die
Küche, 4 Stufen zur Terrasse,… Der Makler war sehr erstaunt, er habe nicht gewusst, dass
man auf so viele Dinge achten muss, damit eine Wohnung tatsächlich rollstuhlgerecht ist.
Ich habe mich gleich mit der Pflegeversicherung in Verbindung gesetzt, um in Erfahrung zu
bringen, ob sie einverstanden wären, diese Wohnung umzubauen oder nicht. Innerhalb von
zwei Tagen (Kompliment) hat eine Frau dann meine alte Wohnung, mich und die potentielle
neue Wohnung angesehen und mir zugesagt, dass sie den Umbau übernehmen würden, da
meine alte Wohnung nicht veränderbar sei.
Ab da begann eine sehr lange Phase des Umbaus. Es gab sehr viele Diskussionen, da
einige Vorschläge von Seiten der Pflegeversicherung zwar den « Normen » entsprachen,
aber nicht auf meine individuelle Situation angepasst waren. So musste ich wie eine Löwin
darum kämpfen, meine Badewanne zu behalten, mit der ich besser klarkomme als mit einer
Dusche. Ein Treppenlift zum Keller wurde abgelehnt mit der Begründung, ich bräuchte ja
nicht in den Keller zu gehen!? Und noch einiges mehr.
Bis ich endlich einziehen konnte, waren anderthalb Jahre vergangen.
Heute bin ich sehr glücklich in meiner Wohnung. Es gibt keine Stufe mehr am Eingang und
keine mehr im Wohnzimmer, ich habe 4 Schiebetüren und Haltegriffe im Badezimmer. Das
Gäste-WC wurde zur Waschküche umfunktioniert und in der Küche komme ich an fast alle
Schränke und das Fenster.
All dies ermöglicht mir tatsächlich ein weitestgehend selbständiges Leben. Mit dem Geld der
Pflegestufe 1 leiste ich mir zwei Mal pro Woche eine Putzfrau, die putzt und mir bei der
Wäsche hilft. Meine Einkäufe transportiere ich in einem Korb mit Rädern in die Küche, ….
Meine Wohnsituation hat sich also sehr zum Guten hin verbessert. Aber wenn ich jetzt an
Baustellen vorbeikomme, wo Mehrfamilienhäuser gebaut werden, sehe ich immer Treppen.
Warum ? Das Leben ohne Stufen ist doch für jeden einfacher, oder ist es etwa Absicht, wie
ein Bauherr mir vor vielen, vielen Jahren gesagt hat, dass er nicht rollstuhlgerecht bauen
darf, weil er « wegen Minderung der Wohnqualität » die Wohnungen nicht mehr verkauft,
wenn ein Mensch mit einer Behinderung im Haus wohnt ? Ich hoffe nicht!
Andrée Biltgen
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Die Pflegeversicherung
Beitrag von der Redaktion
Zum besseren Verständnis möchten wir Ihnen im Folgenden nähere Erklärungen geben,
unter welchen Bedingungen man Anspruch auf die Leistungen der Pflegeversicherung hat
und wie, im Falle einer autonomen Wohnsituation, eine solche Unterstützung durch die
Pflegeversicherung aussieht.
1. Allgemein
Die Gesellschaftsstruktur der westlichen Industrieländer in den letzten Jahrzehnten hat sich
sehr verändert. Die Geburtenrate ist stark zurückgegangen, das heißt es kommen immer
weniger Menschen auf die Welt, gleichzeitig steigt die Lebenserwartung, das heißt die
Menschen leben länger, weit über das Rentenalter hinaus. Damit steigt auch der Anteil der
pflegebedürftigen Personen. Es war irgendwann abzusehen, dass die daraus entstehenden
Kosten nicht mehr von den Krankenkassen zu leisten waren. Deshalb entschloss man sich,
die Pflegekosten von den Behandlungskosten zu lösen und schuf eine eigene Versicherung die Pflegeversicherung.
In Luxemburg trat das Gesetz der Pflegeversicherung 1999 in Kraft. Seitdem zahlen alle
Berufstätigen und Rentner in diese Versicherung ein, sie sind dann - sobald sie selbst oder
ein Familienmitglied, das über sie versichert ist, pflegebedürftig werden - berechtigt,
Leistungen der Pflegeversicherung zu erhalten.
Im Gesetz der Pflegeversicherung wird die Pflegebedürftigkeit als Anspruchsberechtigung
für deren Leistungen folgendermaßen definiert: Der Bedarf an Hilfe bei den Verrichtungen im
täglichen Leben muss mindestens 3,5 Stunden pro Woche betragen und die Pflegebedürftigkeit muss mindestens 6 Monate andauern oder unabänderlich sein. Mit Hilfe bei
den Verrichtungen im täglichen Leben ist gemeint: Hilfe bei der Körperpflege, bei der
Ernährung und der Bewegung. Um als pflegebedürftig eingestuft zu werden, muss ein
Antrag bei der „Nationalen Gesundheitskasse“ (Assurance dépendance) gestellt werden. Der
Antrag muss zusammen mit einem Bericht des behandelnden Arztes eingereicht werden.
Daraufhin nimmt die "Cellule d'évaluation et d'orientation" Kontakt mit dem Antragsteller
auf, um ein Gutachten zu erstellen. In dem Gutachten wird festgestellt, ob eine Pflegebedürftigkeit besteht bzw. wie groß der Schweregrad der Pflegebedürftigkeit ist.
Aufgrund dieser Begutachtung wird ein Pflegeplan erstellt. Hier werden die notwendigen
Hilfsleistungen und der wöchentliche Zeitbedarf festgelegt. Es wird ausgerechnet, wie viel
Hilfe die pflegebedürftige Person durch eine helfende Person, einer sogenannten "Drittperson" braucht.
Für eine pflegebedürftige Person, die zu Hause lebt, zahlt die Pflegeversicherung die
Leistungen, die von einem Pflegenetz oder einer halbstationären Einrichtung erbracht
werden. Die Pflegeversicherung erkennt auch die von einer privaten Pflegeperson
erbrachte Pflege an (Person, die nicht für ein Hilfs- und Pflegenetz arbeitet). Für eine
pflegebedürftige Person, die in einer stationären Pflegeeinrichtung lebt zahlt die Pflegeversicherung die von dieser Einrichtung geleisteten Hilfs- und Pflegeleistungen.
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Im Falle von Pflegebedürftigkeit gewährt die Pflegeversicherung eine finanzielle Unterstützung für Hilfs- und Pflegedienste in den folgenden Bereichen :
•
•
•
•
•
•
•
•
Hilfe bei Verrichtungen im täglichen Leben
Hauswirtschaftliche Hilfe
Unterstützende Maβnahmen
Beratung
Pflegehilfsmittel
Technische Hilfsmittel
Anpassung des Fahrzeugs
Anpassungen der Wohnung
WICHTIG: Der Mindestpflegebedarf von 3,5 Stunden pro Woche muss nicht erreicht sein,
um ein technisches Hilfsmittel, eine Anpassung des Fahrzeugs oder eine Anpassung der
Wohnung zu beantragen.
Allerdings muss der Bedarf nach einer oder mehrerer der 3 Maßnahmen nachgewiesen
werden. D.h. auch hier wird durch die "Cellule d'évaluation et d'orientation (CEO)" ein
Gutachten darüber erstellt, ob ein Bedarf besteht.
2. Anpassung der Wohnung
Die finanzielle Beihilfe der Pflegeversicherung wird bewilligt, um einer anspruchsberechtigten
Person den Verbleib in ihrer Wohnung zu ermöglichen.
Wenn ein Anspruch auf die Leistungen der Pflegeversicherung besteht, kann sich diese, im
Rahmen einer globalen Kostenübernahme an den Kosten für Anpassungen in der
bestehenden Wohnung oder für Anpassungen des Wohnumfelds in einer Neubauwohnung beteiligen – unabhängig davon, ob die Person im Sinne des Gesetzes pflegebedürftig ist.
Das Antragsverfahren ist fast identisch mit dem unter Punkt 1 beschriebenen. Wenn keine
Pflegebedürftigkeit im Sinne des Gesetzes vorliegt, muss auf dem Antragsformular nur das
Feld für Wohnungsanpassung angekreuzt werden. Zusätzlich ist eine Wohnsitzbescheinigung erforderlich, die bestätigt, dass der Leistungsempfänger dort, wo die Anpassungen
getätigt werden, tatsächlich auch wohnt (Hauptwohnsitz). Wenn der Umzug noch nicht stattgefunden hat, muss ein Mietvertrag bzw. ein Eigentumsnachweis vorgelegt werden. Wenn
die betroffene Person in einem Mietverhältnis steht oder aber Wohnungseigentümer in einer
Eigentümergemeinschaft ist, ist das schriftliche Einverständnis des Vermieters bzw. der
Eigentümergemeinschaft notwendig.
Man spricht von Anpassungen der Wohnung, wenn die Struktur der Wohnung wesentlich
verändert wird, z.B. wenn Mauern entfernt werden. Solche Maßnahmen können der Einbau
einer ebenerdigen Dusche, eines Fahrstuhls oder von Spezialtüren sein. Andere
Maßnahmen sind die Verbreiterung von Türen oder das Auslegen von rutschfestem Material
auf dem Fußboden.
Die Adapth asbl gilt als unabhängiger Sachverständiger und kann der CEO Vorschläge
unterbreiten.
Die Ausführungsbestimmungen und Beschränkungen hinsichtlich einer Kostenübernahme
für Anpassungen der Wohnung durch die Pflegeversicherung wurden durch die großherzogliche Verordnung vom 22.12.2006 festgelegt. Die Höchstgrenze für eine Kostenübernahme beträgt demnach 26.000 € pro Person.
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Die Kostenübernahme für eine Anpassung der Wohnung ist grundsätzlich eine einmalige
Leistung der Pflegeversicherung.
Allerdings kann die Pflegeversicherung in Ausnahmefällen einer finanziellen Beihilfe für eine
zusätzliche Wohnungsanpassung zustimmen. Dies ist z.B. der Fall, wenn eine anspruchsberechtigte Person die elterliche Wohnung verlässt, um einen eigenen Hausstand zu
gründen, ein Umzug aus beruflichen Gründen notwendig ist oder aus anderen Gründen die
Entscheidung zu einem Umzug getroffen werden muss. Auch kann - unter der Voraussetzung, dass der Antragsteller Mieter der Wohnung ist - die CEO eine Übernahme der
durch einen Umzug in eine zugänglichere Wohnung entstehenden Kosten einem
Wohnungsumbau vorziehen. Wie unter Punkt 1 bereits erwähnt, gibt es keine rückwirkende
Kostenübernahme, das heißt, das Einverständnis der CEO muss vorliegen, bevor die
Arbeiten beginnen können. Die Kosten für Anpassungsarbeiten der Wohnung, die ohne
Einwilligung der CEO veranlasst wurden, werden nicht zurückerstattet.
Isabel Sturm
Service d’Information Juridique
Info-Handicap
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III) Wohnen in einer Institution
LESERBEITRAG
Wohnen im Foyer La Cerisaie in Dalheim
Erfahrungsbericht von Rigobert Rink
Ein schwerer Verkehrsunfall riss mich im Juli 2002 aus dem „normalen“ Berufs- und
Arbeitsleben. Diagnose: Hohe Querschnittslähmung – Tetraplegie. Das bedeutet, dass
weder Hände und Arme noch Beine bewegt werden können. Ich lebte bis dahin im eigenen
Haus mit meinen Kindern von 19, 14 und 3 Jahren. Von Beruf war ich Krankenpfleger und
leitete eine Station in einem Altenheim in Luxemburg.
Ich hatte Glück im Unglück, dass mein Kopf unverletzt blieb und ich schon unmittelbar nach
dem Unfall klar bei Verstand war. Mein Verstand sagte mir, dass bei meinem schweren
Handicap meine Pflege auf keinen Fall zuhause durchgeführt werden kann, sondern von
professionellen Pflegekräften in einer Pflegeeinrichtung.
Nach monatelangem Klinikaufenthalt, zunächst als stationärer Patient im „Centre National de
Rééducation Fonctionelle et de Réadaptation“ – heute: Rehazenter Luxemburg – bewarb ich
mich gleich in mehreren Foyers in Luxemburg für einen Wohn- und Pflegeplatz. Dank eines
Freundes fand ich relativ schnell ein neues Zuhause im Foyer La Cerisaie in Dalheim. Meine
Zusage zum Probewohnen erhielt ich unerwartet schnell zum 1. Oktober 2003.
Das Foyer La Cerisaie wurde vor 30 Jahren von der „Association pour la défense des
intérêts des personnes physiquement handycapées“ (ADIPH) auf einem Grundstück mit
dem symbolischen Wert von 1 Luxemburger Franken erbaut. Heute gehört es zur „Fondation
Kräizbierg“. Im Cerisaie leben zur Zeit 24 leicht bis schwer Körperbehinderte im Alter von 25
bis 80 Jahren. Etwa die Hälfte unserer Bewohner arbeitet tagsüber in den Ateliers der
Fondation Kräizbierg in Dudelange.
Das Schlimmste für mich ist, in allen Aktivitäten des täglichen Lebens abhängig zu sein.
Ganz egal ob ich etwas aufräumen will, oder es mich irgendwo juckt, oder ich ein paar
Kartoffel-Chips naschen will, ich kann fast nichts selbst machen. Ich kann nicht einmal selbst
eine übliche Klingel drücken. Von daher war ich anfangs in meinem Studio - so heißen die
großzügigen Zimmer in unserem Foyer - ziemlich ängstlich. Einerseits konnte ich nach
insgesamt 16 Monaten im Klinikzimmer mit vier oder zwei oft sehr lauten und anstrengenden
Patienten endlich die Ruhe im Einzelzimmer genießen. Andererseits war da immer noch die
Angst, es könnte irgendetwas geschehen und ich wäre nicht in der Lage, Hilfe zu rufen. Da
ich anfangs noch in einem manuellen Rollstuhl saß, konnte ich nur in eine Richtung schauen
und hatte außer Fernsehen – selbst das Programm konnte ich nicht wechseln – sonst keine
Aktivitäten. Deshalb fiel ich in eine Depression.
Nach und nach erhielt ich dann die notwendigen Hilfsmittel, wie z.B. die pustegesteuerte
Umweltkontrolle, mit der ich in meinem Zimmer alle Geräte einschließlich Klingel, Telefon
und sogar Licht bedienen kann. Ein Elektrorollstuhl mit Kinnsteuerung ermöglicht mir heute,
mich nahezu „frei“ im und ums Haus zu bewegen und sogar einen Computer zu bedienen.
Und dank eines ebenfalls pustegesteuerten Blattwendegerätes kann ich selbst Zeitschriften
und Bücher lesen.
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Dass man sich in der wohnlichen und sehr familiären Atmosphäre unseres Foyers „fast“ wie
zuhause fühlen kann, ist größtenteils Verdienst der Infirmières und Educateurs des
Pflegeteams. Sein Studio darf jeder Bewohner nach seinem Geschmack einrichten. Neben
Ergo- und Kinésitherapie gibt es stets ein reichhaltiges Angebot an Aktivitäten und Projekten,
wie Konzert-, Restaurant- oder Theaterbesuche, und Shoppingtouren.
Es gibt Gemeinschaftsveranstaltungen in und außer Haus, aber wer das nicht mag, kann
sich auch zurückziehen. Jeder Bewohner erhält soviel Pflege und Unterstützung wie nötig,
bei gleichzeitiger Förderung der Autonomie. Von der medizinischen Versorgung, über
Arztbesuche bis hin zur individuellen Betreuung bei Problemen, gehen die Leistungen.
Alles in allem kann ich sagen, dass es keine leichte Entscheidung für mich war, künftig in
einem Wohnheim zu leben. Wer allerdings rund um die Uhr Pflege benötigt oder auch durch
Behinderung nicht mehr alleine leben kann, der erlangt in einem Wohnheim wie dem Foyer
La Cerisaie trotz Körperbehinderung eine hohe Lebensqualität mit einem Höchstmaß an
Selbstbestimmung zurück.
Eine Schattenseite ist die Finanzierung. Die monatliche Miete für ein Studio beträgt zur Zeit
1.985 € inklusive Verpflegung. Hinzu kommen bei den meisten Bewohnern noch 106,75 €
Eigenanteil für medizinischen Service, Pflegematerial usw. Für die Pflege selbst zahlt die
Pflegeversicherung individuell nach einer Ermittlung des Pflegeaufwandes (Evaluation) direkt
an den Träger der Wohneinrichtung.
Als mein Unfall passierte, war ich gerade erst vierzig Jahre alt. Obwohl ich nie arbeitslos war
beläuft sich meine Invalidenrente (Deutschland und Luxemburg) auf 1.400 €. Da meine
Rente nicht einmal für mein Studio ausreicht, übernimmt der Staat etwa ein Drittel meiner
Miete. Für zwei meiner Kinder muss ich Unterhalt zahlen, so dass mir letztendlich nur ein
spärliches Taschengeld bleibt. Oft reicht das Geld nicht, um an den vom Foyer angebotenen
Veranstaltungen wie Konzert-, Theater-, Restaurantbesuche usw. – also am „normalen
gesellschaftlichen Leben“ gleichberechtigt teilzunehmen. Das geht einer Reihe meiner
Mitbewohner – ich bin vor zwei Jahren zum Bewohnersprecher unserer Einrichtung gewählt
worden – ganz genau so. Es wäre wünschenswert, da wir trotz unserer körperlichen
Behinderung aktiv und unternehmenslustig sind und nicht im Heim versauern wollen, dass
jedem Bewohner ein angemessenes Taschengeld bleibt.
Rigobert Rink, 47 Jahre
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IV) Betreutes Wohnen
Betreutes Wohnen ermöglicht es einer Person mit Behinderung, oder auch älteren Menschen, autonom zu wohnen und trotzdem bei Bedarf oder regelmäßig auf eine Hilfestellung
zurückgreifen zu können. Um dies zu ermöglichen stehen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eines Pflegenetzes auf Abruf zur Verfügung.
LESERBEITRÄGE
Ein ganz gewöhnlicher Tag…
Erfahrungsbericht von Joël und Andrea Delvaux
So gegen 6:30 Uhr in einer Wohnung im Viertel Sauerwiss in Gasperich: Der Wecker reißt
mich und meine Frau Andrea aus unserer Traumwelt. Unsere zwei Mitbewohner, der 8
jährige Kater Zoé und unser Golden Retriever Urban sind schon wach und freuen sich auf
das baldige Frühstück. Keine Zeit, um es sich noch mal unter der Decke gemütlich zu
machen oder um ein bisschen zu kuscheln. Im Schnelltempo wird das morgendliche Ritual
durchgeführt: Waschen, anziehen, frühstücken, unsere zwei Raubtiere nicht vergessen, noch
schnell mit unserem treuen Hund Urban vor die Tür und schon ist die Zeit gekommen, um
zur Arbeit zu fahren.
Andrea und ich arbeiten beide im Bürobereich, jedoch bei verschiedenen Arbeitgebern,
versteht sich. Am Feierabend ist der Tag natürlich noch lange nicht vorbei, da fängt das
Leben erst richtig an - wie wohl bei den meisten Leuten.
Was nach der Arbeit unternommen wird, steht noch nicht fest, am liebsten verbringen wir
unsere Freizeit mit Freunden oder mit der Familie, wir gehen auch gerne mal ins Kino oder
zu Konzerten. Nebenbei sind wir auch in mehreren Vereinen tätig, da vergeht dann auch
schon mal ein Abend mit gemeinnütziger Arbeit. Tja, man könnte sagen, ein ganz normaler
Tagesablauf wie bei den meisten Leuten in Luxemburg. Und doch gibt es einen großen
Unterschied zwischen uns und all den Anderen.
Sowohl Andrea als ich selbst sind körperlich behindert. Andrea hat eine degenerative
Krankheit, deren erste Anzeichen erst mit 13 Jahren auftraten und ich selbst bin seit meiner
Geburt stark körperlich behindert. Wir sind beide Fahrer eines Elektrorollstuhls und
benötigen für die gängigsten Sachen des Alltags wie zum Beispiel Duschen, An- und
Ausziehen, Essen vorbereiten oder auch beim Haushalt die Hilfe einer Drittperson.
Als wir uns 1995 kennen lernten und uns näher kamen, stellten wir uns sehr viele Fragen, ob
es für uns überhaupt eine Möglichkeit gäbe, ein gemeinsames Leben zu führen. Sehr schnell
war uns jedenfalls klar, dass wir eine Möglichkeit finden mussten, denn es war ohne Zweifel:
Wir gehörten zusammen und dies nicht nur während der Mittagspausen des Atelier Protegé,
wo wir damals beide arbeiteten. Es kam für uns auch nicht in Frage, bei unseren Eltern zu
wohnen oder gar in einem klassischen Wohnheim, wo wir höchstens ein eigenes Zimmer
gehabt hätten und für den Rest alles mit den anderen Mitbewohnern hätten teilen müssen.
Nein, wir wollten dasselbe Recht in Anspruch nehmen wie andere junge Paare, ein eigenes
Heim zu haben.
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Schließlich hatten wir 1997 das große Glück, dass die Fondation Kräizbierg ihre neue
Wohnstruktur „Betreit Wunnen Gasperich“ eröffnete und uns dadurch ermöglichte, unseren
Traum eines Zusammenlebens Wirklichkeit werden zu lassen.
Die Dienststelle „Betreit Wunnen Gasperich“ bietet die Vermietung von behindertengerechten Wohnungen an. Darüber hinaus werden auch Dienstleistungen für körperlich behinderte Personen angeboten, die an die Bedürfnisse der einzelnen Bewohner angepasst
werden, um ihnen ein quasi autonomes und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Über
ein Telealarm System, das man durch einfachen Knopfdruck betätigen kann, können wir Tag
und Nacht Hilfe von qualifiziertem Pflegepersonal beantragen.
Auch für Haushaltsarbeiten ist jemand vorgesehen, der mehrmals wöchentlich den
verschiedenen Bewohnern behilflich ist. Die Miete und Nebenkosten zahlen wir selbst, von
unserem Gehalt so wie jeder andere auch. Die Kosten betreffend der Pflege werden im
Rahmen der Pflegeversicherung und vom Familienministerium übernommen. Die 10
Wohnungen der Dienststelle „BWG“ sind in der gesamten Siedlung „Sauerwiss“ verteilt, so
dass in jedem Gebäude nie mehr als 2 Wohnungen für Menschen mit Behinderung
vorgesehen sind, dies um eine Gettoisierung zu vermeiden und das Zusammenleben von
behinderten und nichtbehinderten Menschen zu fördern.
Natürlich sind Andrea und ich nach der Eröffnung dieser neuen Wohnstruktur sofort
eingezogen und bis heute ist „Betreit Wunnen Gasperich“ noch immer unser Zuhause. In der
Zwischenzeit haben wir auch geheiratet und ich hatte das Glück, die Behindertenwerkstatt
verlassen zu können, um eine Arbeit auf dem regulären Arbeitsmarkt zu finden.
Auch die Anschaffung unseres Golden Retriever Urban hat uns noch ein zusätzliches Stück
Autonomie gebracht. Urban ist nämlich nicht nur ein „gewöhnlicher Hund“ sondern ein
Assistenzhund – „Chien d’Assistance“ den wir über den Verein Rahna asbl bekommen
haben. Urban kennt rund 50 verschiedene Befehle, um uns im Alltag behilflich zu sein. Z.B.
kann er uns verschlossene Türen öffnen, etwas vom Boden aufheben, das Telefon oder
andere Dinge bringen und noch einiges mehr. Urban ist uns täglich wirklich eine große Hilfe.
Seit wir im „BWG“ leben, haben wir aber auch eine Menge Leute kennen gelernt, die uns wie
selbstverständlich auch gerne mal zur Seite stehen, wenn es nötig sein sollte oder die
einfach mal mit uns etwas in der Freizeit unternehmen.
Wir haben uns auch einen behindertengerechten VAN angeschafft, wo wir mit unseren
Rollstühlen mit Hilfe einer Rampe rein fahren können. Selbst fahren können wir den Wagen
leider nicht, aber es findet sich immer ein Familienmitglied oder ein Freund, der bereit ist,
uns dorthin zu bringen, wo wir gerade hin wollen. Es ist zwar eine teure Anschaffung
gewesen, aber um auch eine gewisse Bewegungsfreiheit zu haben war diese notwendig und
wird es wohl auch noch längere Zeit bleiben - es sei denn, die öffentlichen Transportmittel
wie Bus und Zug würden endlich landesweit behindertengerecht.
Natürlich gibt es die Spezialtransporte wie Rollibus oder Novabus, die übrigens sehr gut
sind, aber leider sehr wenig Spielraum für spontane Fahrten lassen und stets lange im
Voraus angefragt werden müssen. Auch kann man mit diesen nicht über die Grenze des
Landes fahren und das ist für ein Land der Größe Luxemburgs schon eine gewisse
Einschränkung.
Zum Abschluss möchten wir unserer Hoffnung Ausdruck verleihen, dass es sehr bald
zusätzliche Wohnstrukturen geben wird, die ähnlich funktionieren wie „Betreit Wunnen
Gasperich“, damit mehr Menschen mit Behinderungen das Recht bekommen, ihr eigenes
Leben zu leben - so wie sie es sich vorstellen. Dazu gehört natürlich auch der nötige
politische Willen und ein Umdenken Aller. Weg vom institutionellen zum selbstbestimmten
und autonomen Leben!
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Mit ein wenig Unterstützung und
der richtigen Förderung die eigenen Grenzen sprengen
Interview mit Nadine Boor
Hallo Nadine, würdest du dich bitte kurz vorstellen?
Ich heiße Nadine Boor, ich bin 30 Jahre alt und habe Trisomie 21.
Wo arbeitest du?
Ich arbeite in der Werkstatt der Lebenshilfe Trier in der Elektrogruppe. Das mache ich jetzt
seit 9 Jahren.
Bist du vorher zur Schule gegangen, hast du eine Ausbildung gemacht?
Ja, vorher bin ich zur Schule gegangen, bis ich 18 Jahre alt war.
Seit wann wohnst du in deiner eigenen Wohnung?
Seit 6 Monaten ungefähr.
Hast du dir diese Wohnung selbst ausgesucht oder hat sie jemand für dich ausgesucht?
Meine Mutter, die hier ganz in der Nähe arbeitet, hat die Wohnung zusammen mit meinem
Vermieter ausgesucht. Die beiden kennen sich, da mein Vermieter der Sohn des Freundes
meiner Mutter ist.
Dann habt ihr euch also zusammen überlegt, dass du hier wohnen könntest?
Ja, genau.
Wo hast du vorher gewohnt?
Aufgewachsen bin ich in Trier, danach hab ich mit meiner Mutter zusammen in Trierweiler
gewohnt.
Wer kam auf die Idee, dass du alleine wohnen solltest?
Ich wollte schon länger eine Wohnung für mich haben. Hier zu wohnen gefällt mir sehr gut.
Ich habe 2 Betreuerinnen von der Lebenshilfe (betreutes Wohnen), Sarah und Kerstin, die
regelmäßig nach mir sehen.
Welche Aufgaben erledigen die für dich?
Also ich mache mit „Betreutes Wohnen“ Termine aus für die Sachen, die ich erledigen oder
unternehmen möchte, wie zum Beispiel spazieren gehen, oder einkaufen. Putzen mach ich
selber. Meistens kommen die Betreuerinnen dann einmal in der Woche vorbei.
Und wenn du was einkaufen möchtest, wie kommst du an das Geld dafür?
Das klär ich alles mit meiner Mama ab, ich sag ihr, wofür ich das Geld brauche und sie gibt
mir es dann.
Und wie war das mit den Möbeln, die du dir für die Wohnung besorgen musstest? Wer
hat dir die Möbel besorgt?
Also es fehlen noch ein paar Sachen, die wir bestellt haben, die werden nachgeliefert. Ein
paar davon hatte ich von zu Hause mitgenommen, die anderen haben meine Mama und ihr
Freund Erich für mich besorgt.
Das heißt, die Möbel habt ihr selber gekauft oder mitgebracht, damit hatte die
Lebenshilfe nichts zu tun?
Ja, richtig.
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Wie funktioniert das denn genau mit der Unterstützung von Betreutes Wohnen,
meldest du dich bei ihnen, um einen Termin zu vereinbaren?
Normalerweise rufen die Betreuerinnen mich an. Zum Beispiel hat die Sarah jetzt einen
Termin nächsten Mittwoch mit mir vereinbart, wo sie vorbei kommt, wenn ich Zeit habe und
nicht arbeite. Dann schauen wir zusammen, was ich brauche und was erledigt werden muss.
Manchmal gehe ich aber auch zu ihnen, nach der Arbeit.
Dabei geht es aber immer nur ums Wohnen, nicht um die Arbeit?
Nein, sie helfen mir nur bei allem, was mit dem Wohnen hier zu tun hat.
Woher bekommst du noch Unterstützung?
Also Unterstützung bekomme ich vor allem von meiner Mama und meinem Vermieter. Ich
telefoniere regelmäßig mit meiner Mama und sie kommt auch oft vorbei. Sie kümmert sich
auch um alles, was mit meinem Geld zu tun hat. Wenn ich meinen Lohnzettel kriege, gebe
ich ihn meiner Mama und sie setzt das Geld auf mein Konto.
Und wie ist das, wenn du mal krank wirst, wer kümmert sich dann um dich?
Wenn ich krank werde, rufe ich einfach in der Werkstatt an und sage Bescheid, dass ich
nicht zur Arbeit kommen kann. Wenn ich länger krank bin, geh ich zum Arzt, der mir dann die
Krankmeldung gibt. Die gebe ich dann in der Werkstatt ab.
Wie gefällt es dir denn, hier zu wohnen?
Es gefällt mir gut hier, ich bin sehr zufrieden. Meine Nachbarn sind auch sehr nett und ich
habe auch einige Freunde hier, die kommen auch manchmal zum Kaffee trinken rüber, wir
verstehen uns hier alle gut.
Dann habt ihr ja eine schöne Wohngemeinschaft hier. Kümmert ihr euch gemeinsam
um das Gebäude, z.B. Treppenhaus putzen?
Ja, genau. Wir haben da unsere Regeln aufgestellt: Auf einem Zettel wird festgehalten, wer
was zu tun hat. Wir haben einen Mülldienst und einen Treppenputz-Dienst. Da helfe ich auch
immer mit, das klappt sehr gut.
Woher hast du denn so gut putzen gelernt, deine Wohnung ist so sauber?
Das habe ich alles in der Schule gelernt. Da habe ich auch kochen gelernt. Ich habe auch
einen Freund, mit dem koche ich dann öfters zusammen, der kann das auch, dann machen
wir „Team-Kochen“ ☺
Findest du es schön, in der Stadt zu leben?
Ja, das gefällt mir besser hier als in einem Dorf, man kann vieles zu Fuß erreichen und die
Busverbindungen sind gut. Donnerstags kann ich zum Beispiel immer zu Fuß zur Probe in
die TUFA gehen. Bei meiner Mutter in Trierweiler klappt das nicht so gut mit den
Busverbindungen, das ist in der Stadt einfacher.
Ach ja, du hast ja auch noch viele Hobbys, erzähl uns mal davon!
Ich bin in einer Theatergruppe, „Projekt 54“, wo wir jeden Donnerstag in der Tuchfabrik in
Trier zusammen üben. Gerade proben wir ein neues Theaterstück, das heißt „MS Agathe –
Leinen los!“. Da spielen aber nur Leute mit aus der Lebenshilfe Trier und aus der Lebenshilfe
Hofgut Serrig. Im September haben wir 3 Auftritte: am 5., 6. und am 11. September spielen
wir das Stück in der TUFA in Trier (um 20.00 Uhr).*
Bist du schon lange in dieser Theatergruppe?
Ja, schon ganz lange. Ich habe die Moni (Monika Kukawka, Organisatorin von Projekt 54) in Frankfurt
beim Tischtennis spielen kennen gelernt, und da hat sie mit mir geredet und mich gefragt, ob
ich nicht gerne bei der Theatergruppe mitmachen möchte.
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Das erste Stück, wo ich dann mitgemacht habe, war das Projekt „LOVE“, jetzt bin ich schon
ungefähr 5 Jahre in der Theatergruppe.
Du spielst also auch Tischtennis?
Ja, Tischtennis spiele ich auch, damit habe ich schon in der Schule angefangen. Jetzt
machen wir manchmal Turniere in der Werkstatt und ich spiele auch bei Meisterschaften mit.
Hast du sonst noch ein Hobby?
Ja, ich reite auch gerne. Das mache ich öfters, auf dem Reiterhof in Hohensonne. Ich habe
schon als kleines Kind reiten gelernt, da wir zu Hause auch Pferde hatten.
Du hast auch schon Gedichte geschrieben, hab ich gehört?
Ja, das hab ich, im Moment schreibe ich aber keine mehr.
Lesen tue ich auch sehr gerne! Ich habe die Bücher von Harry Potter gelesen und von „Gute
Zeiten, schlechte Zeiten“. Ich habe aber meistens keine Zeit die Serie im Fernsehen zu
schauen, da ich so viel unterwegs bin! Meistens stehe ich morgens auch früh auf, an den
Wochenenden schlafe ich dann etwas länger – außer gestern, da habe ich beim Stadtlauf
mitgeholfen, Medaillen zu verteilen!
Gehst du auch manchmal aus in Trier?
Ja, ins Kino geh ich gerne. Ich mach auch mal öfters einen Stadtbummel, entweder alleine
oder mit meinen Betreuerinnen. Wenn ich mir dann was kaufe, dann lasse ich mir das im
Geschäft zur Seite legen und frag meine Mutter am nächsten Tag für das Geld.
Gefällt es dir denn, alleine zu wohnen? Oder würdest du lieber mit deinem Freund
zusammen wohnen?
Also, mein Freund wohnt in Trier in einer Wohngruppe und dann übernachte ich manchmal
bei ihm und er manchmal bei mir. Eigentlich wohne ich aber sehr gerne alleine! Er unterstützt
mich auch dabei. Ihm gefällt es auch sehr gut in der Wohngruppe.
Hast du auch sonst noch Freunde hier?
Ja, ich habe noch eine sehr gute Freundin, die Heike, die kenne ich schon von der Schule,
die kommt mich öfters mal besuchen. Ihr Freund, der Rudi ist auch sehr nett. Die haben
beide auch ihre eigene Wohnung in Trier.
Wenn du irgendwo hin möchtest, nimmst du dann den Bus? Kommst du gut zurecht
mit den Busplänen?
Ja, ich nehme meistens den Bus, ich komme auch ganz gut zurecht mit den Busplänen, ich
hab ja auch lesen und schreiben gelernt in der Schule.
Gibt es irgendwas an deiner Wohnsituation, das dir nicht so gut gefällt? Etwas, was
du noch verbessern möchtest?
Also was mir noch besser gefallen würde, das wäre, wenn ich selber Geld holen könnte,
wenn ich welches brauche, ohne vorher meine Mutter zu fragen. Aber ich habe auch eine
eigene Karte bei der Bank, mit der ich Geld abheben kann, wann ich will. Meine Mama zeigt
mir aber noch, wie das geht.
Bist du denn froh, dass die Betreuerinnen manchmal kommen oder wärst du lieber
ganz auf dich allein gestellt?
Nein, ich bin sehr zufrieden mit ihrer Unterstützung und ich versteh mich auch gut mit ihnen.
Sie kommen ja auch nicht einfach so hier rein, sie rufen immer zuerst an. Sie haben auch
meine Handynummer und ich kann das Büro von Betreutes Wohnen immer erreichen.
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Was ist, wenn du nachts mal Hilfe bräuchtest?
Nachts habe ich noch nie ein Problem gehabt, aber die Betreuer sind nur tagsüber zur
Verfügung.
Was fehlt denn jetzt noch hier in deiner Wohnung?
Also es fehlt noch sehr viel, ich habe noch viele Kartons in Trierweiler stehen und ich habe
noch keine Waschmaschine. Im Moment wäscht meine Mutter meine Kleider noch, nachher
kann ich das selber machen. Ich habe gelernt, wie man die Waschmaschine bedient und
zum Trocknen hänge ich die Sachen dann draußen auf die Leine.
Vielen Dank für das Gespräch Nadine, und alles Gute für deine Zukunft!
Interview
Isabel Sturm, Nathalie Gaudron
Info-Handicap
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V) Persönliche Assistenz als Grundvoraussetzung
für ein selbstbestimmtes Leben
Ihre Beiträge haben deutlich gezeigt, dass selbstbestimmtes Wohnen nur dann möglich ist,
wenn eine ganze Reihe Bedingungen erfüllt und Fragen geklärt sind: Erlauben mir meine
körperlichen Fähigkeiten ein autonomes Leben, oder fühle ich mich vielleicht sicherer in
einer semiautonomen Einrichtung? Was kann ich und wo liegen meine persönlichen
Grenzen? Auf welche Formen von Assistenz kann ich zurückgreifen? Wie sieht meine
finanzielle Situation aus?... All diese Fragen verlangen kompetente Information, Beratung
und Unterstützung.
Ein Verein, der eine solche Unterstützung leistet, ist das Zentrum für selbstbestimmtes
Leben Mainz, das wir kürzlich besuchen konnten und welches wir Ihnen nun gerne im
Rahmen des Top-Themas vorstellen möchten.
Gleichzeitig soll die Präsentation dieses Zentrums aber auch eine Brücke zu unserem
nächsten Top- Thema schlagen: „Persönliche Assistenz“. Eine individuelle Unterstützung
durch Drittpersonen, die dort ansetzt, wo die persönliche Autonomie an ihre Grenzen stößt,
ist das A und O für ein selbstbestimmtes Leben. In unserer alltäglichen Arbeit in der
Dienststelle Info-Handicap stellen wir fest, dass die luxemburgische Assurance Dependance
weitgehend Unterstützung bietet. Die Form dieser Unterstützung ist aber wenig flexibel und
bietet den Nutzern kaum Raum für eigene Entscheidungen. Außerdem ist das Anrecht auf
diese Unterstützung an Bedingungen gebunden, die viele Personen mit Assistenzbedarf
nicht erfüllen. Diese Betroffenen fallen damit durchs Netz und gehen leer aus.
In dieser Hinsicht zeigt das Zentrum für selbstbestimmtes Leben interessante Alternativen
auf, die die deutsche Gesetzgebung ermöglicht. Ein Gesetz betreffend Assistenzleistungen
würde in Luxemburg vielen Betroffenen ein selbstbestimmtes Leben erleichtern und zudem
die Pflegeversicherung entlasten. Darauf werden wir in den nächsten Ausgaben aber noch
ausführlicher eingehen.
Zentrum für selbstbestimmtes Leben
behinderter Menschen Mainz e.V.
Beitrag von der Redaktion
Das Zentrum für selbstbestimmtes Leben Mainz ist ein gemeinnütziger Verein, der 1993 von
StudentInnen gegründet wurde. Der Verein arbeitet auf der Grundlage des "Independent
Living" (Selbstbestimmt Leben), der internationalen Bürgerrechtsbewegung behinderter
Menschen.
Das Zentrum ist Mitgliedsorganisation der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in
Deutschland - ISL Deutschland e.V. "Selbstbestimmung". Dies bedeutet, dass der Verein
Menschen mit Behinderung unterstützt, ein eigenverantwortliches und selbst gewähltes
Leben zu führen. In allen Lebensbereichen, wie Arbeit, Wohn- und Lebensform,
Freizeitgestaltung usw. bietet das ZsL Menschen mit Behinderungen Unterstützung
an.
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Auf der politischen Ebene bedeutet "Selbstbestimmung", dass das ZsL Mainz e.V. die
gesellschaftlich notwendigen Rahmenbedingungen einfordert, damit Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes Leben führen können. Es gibt in Deutschland mehrere Zentren,
die in einem Bundesverband zusammengeschlossen sind.
Im ZsL arbeiten 24 MitarbeiterInnen die zum großen Teil selbst von Behinderung betroffen
sind. Die Beratung von Betroffenen für Betroffene (auch „Peer Counseling“ genannt) erlaubt
es, schneller ein Vertrauensverhältnis zueinander aufzubauen. Die Ratsuchenden fühlen
sich verstanden und die BeraterInnen können bei der Unterstützung auf eigene Erfahrungen
zurückgreifen. Beide begegnen sich so auf gleicher Augenhöhe. Das Konzept basiert auf
den persönlichen Erfahrungen von behinderten Menschen selbst, und es beinhaltet die klare
Überzeugung, dass sich Beratung immer daran orientieren sollte, wo für jede/n Einzelne/n
seine/ihre Selbstbestimmung liegt oder liegen könnte: Denn behinderte Menschen wissen
aus eigenem Erleben, dass Selbstbestimmung die wichtigste Vorbedingung für ein erfülltes
Leben ist.
Dienstleistungen des ZsL
Integrationsfachdienst Vermittlung
Der Integrationsfachdienst (IDF-V) ist eine Vermittlungs- und Fachberatungsstelle zur
beruflichen Integration schwerbehinderter Menschen und zur Information und Beratung von
Arbeitgebern, die Menschen mit einer Behinderung einstellen möchten.
Das Angebot umfasst:
- Individuelle Beratung zu allen Fragen rund um das Bewerbungsverfahren
- Unterstützung bei der Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz
- Arbeitsvermittlung
- Vorbereitung auf die Arbeitsaufnahme
- Berufsbegleitung und Unterstützung in Konfliktsituationen.
In der Beratungsstelle „Job Budget“ Bitburg-Prüm ist zudem ein intensives Job Coaching
direkt am Arbeitsplatz möglich. In Deutschland wird den Betroffenen dazu ein „Budget für
Arbeit“ zur Verfügung gestellt.
Übergang Schule-Beruf (ÜSB)
Zielgruppe sind junge Menschen mit einer Behinderung, die sich am Übergang von der
Schule zum Beruf befinden und bei der Planung ihrer beruflichen Laufbahn begleitet und
unterstützt werden.
Kompetenzzentrum Arbeitgebermodell und Lohnabrechnungsservice
Die effektivste Form für ein freies und selbstbestimmtes Leben für behinderte Menschen mit
Assistenzbedarf bietet das sogenannte Arbeitgebermodell (selbstorganisierte persönliche
Assistenz). Ziel der Arbeit des Kompetenzzentrums ist es, Assistenzmodelle zu fördern, die
gewährleisten, dass die behinderten Menschen selbst bestimmen, wann, an welchem Ort,
von wem und wie die notwendigen Hilfen erbracht werden. Natürlich ist es nicht immer
einfach, die Pflichten und Aufgaben als Arbeitgeber zu erfüllen. Hier bietet das ZsL durch
seinen Lohnabrechnungsservice Unterstützung an.
Pädagogische Begleitung
Das ZsL Mainz unterstützt Personen mit körperlichen und psychischen Behinderungen und
Lernschwierigkeiten. Dabei richtet sich die Art der Unterstützung nach den Wünschen und
Bedürfnissen der Betroffenen. Häufig nachgefragte Tätigkeiten sind Unterstützung im Alltag,
bei der Freizeitgestaltung und das Training lebenspraktischer Fertigkeiten.
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Kurse
2002 wurde die Deutsche Gebärdensprache DGS durch das Bundesgleichstellungsgesetz
offiziell als eigenständige Sprache anerkannt. Im ZsL wird durch eine selbst gehörlose und
geprüfte Gebärdensprachdozentin Unterricht in Deutscher Gebärdensprache (DGS) angeboten. Ziel des Unterrichts mit selbst betroffenen Dozenten ist die Einführung in die Grundsätze
der Kommunikation mit gehörlosen Menschen.
Daneben bietet das ZsL Computerkurse, sowie Peer Counseling Kurse für Menschen mit
Behinderung.
Projekte des ZsL
gIB - Gesundheitliche Integration behinderter und chronisch kranker MigrantInnen
Ziel des Projektes ist die Beratung von MigrantInnen zu allen Fragen der Behinderung und
der Gesundheit und die Schaffung von Zugängen zu Selbsthilfeorganisationen. Die
interkulturelle Kompetenz der Selbsthilfeorganisationen und des Gesundheitswesens sollen
gestärkt werden.
Der gIB bietet Einzel- und Gruppenberatungen in deutscher, polnischer, türkischer, spanischer, englischer, französischer, und nach Vereinbarung in arabischer und russischer
Sprache an.
Kobra - Koordinations- und Beratungsstelle für behinderte Frauen in Rheinland-Pfalz
Ein wichtiges Projekt des Zentrums ist das Frauenberatungsprojekt Kobra, das schon seit 12
Jahren besteht. Frauen mit Behinderung müssen - im Vergleich zu behinderten Männern und
auch im Vergleich zu nichtbehinderten Frauen - in vielerlei Hinsicht mit erschwerten
Lebensbedingungen zurechtkommen. Einige behinderte Frauen machen auch Erfahrungen
mit Gewalt.
KOBRA hat sich zum Ziel gesetzt, Frauen mit Behinderung bei der Gestaltung eines
selbstbestimmten Lebens zu unterstützen. Einen großen Bestandteil der Arbeit von Kobra
stellt die Beratungsarbeit dar. Die Mitarbeiterinnen sind selbst von einer Behinderung
betroffen (Peer Counselorinnen) und bieten je nach Anliegen individuelle Beratung zu
unterschiedlichsten Themen wie Arbeit, Partnerschaft und Sexualität, Frauenrolle an. Die
Beratungen werden größtenteils in der Mainzer Beratungsstelle angeboten, die Mitarbeiterinnen geben aber auch spezielle Beratung und Unterstützung für Frauen mit Behinderung,
die in Einrichtungen der Behindertenhilfe leben und/oder arbeiten.
Wag es !
Ziel des relativ jungen Projektes ist, Menschen mit Behinderung Wahlmöglichkeiten im
Bereich Wohnen und Lebensgestaltung zu eröffnen, diese zu begleiten und durch Aufbau
von Netzwerken zu unterstützen. Das Projekt „Wag es !“ wendet sich an Frauen und Männer
mit einer Behinderung, die bei den Eltern oder in einer Behinderteneinrichtung leben und die
eine andere Wohnform planen oder sich wünschen – sei es autonom, in einer ambulanten
Wohnform oder aber in einer anderen Wohneinrichtung. Ganz wichtig ist es dabei, dass die
betroffene Person ihre Entscheidungen selbst trifft. Die Unterstützung verläuft meist über
einen längeren Zeitraum und ist sehr vielfältig und umfassend. Dazu gehören kann zum
Beispiel die Suche nach einer geeigneten Wohnung, das Verhandeln mit Behörden, die
Antragstellung eines persönlichen Budgets, die Auswahl eines Pflegedienstes und so weiter.
Eine pädagogische Betreuung beim Erlernen von lebenspraktischen Fertigkeiten und von
Lösen von Alltagsproblemen gehört ebenfalls dazu. Mittel- und langfristig sollen durch
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Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung auf Stadtteilebene die Bedingungen für das Wohnen in
der Gemeinde für Menschen mit Behinderungen verbessert werden.
Ab Februar 2010 soll nun auch eine Wohnungsbörse aufgebaut werden. Mit der Wohnungsbörse sollen Nachfrager und Anbieter barrierefreier Wohnungen zueinander finden.
Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung
Das ZsL vertritt die politischen Interessen der Menschen mit Behinderungen in der
Öffentlichkeit, z.B. in Form von Stellungnahmen zu Gesetzesprojekten, die Menschen mit
Behinderungen betreffen. Diese Stellungnahmen werden auf der Internetseite des ZSL
veröffentlicht.
Nathalie Gaudron, Sekretariat und Kommunikation Info-Handicap
Isabel Sturm, juristischer Informationsdienst Info-Handicap
Patrick Hurst, Leiter der Arbeitsgruppe zur UN-Konvention
Wenn Sie mehr über das Zentrum für selbstbestimmtes Leben
behinderter Menschen Mainz erfahren möchten :
ZsL Mainz e.V.
Rheinstrasse 43-45
D-55116 Mainz
Tel.: (+49) 6131-146743
E-Mail: [email protected]
Homepage: www.zsl-mz.de
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Die schwierige Anerkennung des Helfers in der Pflegversicherung
Beitrag von der Redaktion
Die Forscherin Frau Nicole Kerschen hat sich in ihrem Text „La difficile reconnaissance de
l'aidant dans l'assurance dépendance luxembourgeoise“ mit der Pflegeversicherung und
dem Status der Hilfsperson beschäftigt.
Frau Kerschen, die von 1989 bis 1999 als Beraterin beim Ministerium für soziale Sicherheit
tätig gewesen war und in dieser Rolle bei der Ausarbeitung des Gesetzes zur Pflegeversicherung mitgewirkt hat, arbeitet heute als Forscherin beim CNRS an der Universität von
Paris. Hintergrund ihres Beitrags war der Auftrag des Instituts der sozialen Sicherheit bei der
Universität Carlos III von Madrid, das ein gemeinschaftliches Werk über die Hilfsperson in
den verschiedenen Betreuungssystemen der Pflegebedürftigkeit in Europa vorbereitete. Bei
ihrer Analyse der luxemburgischen Situation stellte Frau Kerschen fest, dass der Status der
Assistenzperson und damit auch der Status der pflegebedürftigen Person durch die
Gesetzesmodifikation 2005 geschwächt worden waren…
Der vollständige Text von Frau Kerschen ist in französischer Sprache im „Bulletin
Luxembourgeois des Questions Sociales“ Nr. 25 als 6. Beitrag (S.145) veröffentlicht worden
und kann unter dem Link: http://www.mss.public.lu/publications/blqs/index.html heruntergeladen werden.
Wie in unserer letzten Ausgabe angekündigt, möchten wir an dieser Stelle eine kurze
Zusammenfassung der wichtigsten Punkte in deutscher Sprache veröffentlichen:
Vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Pflegeversicherung
Die Pflege war fast ausschließlich Aufgabe der Familie und damit meist der Frauen. Die
Dienststellen, die Hilfe zu Hause anboten, waren wenig entwickelt und konnten nur eine
kleine Anzahl der pflegebedürftigen Personen betreuen. Eine finanzielle Hilfe konnte
beantragt werden, - diese Leistung wurde als Kompensationsleistung bis zur Aufnahme in
ein Pflegeheim verstanden. Auch Menschen mit Behinderungen, die die Hilfe einer Drittperson benötigten, konnten bis 1999 ein sogenanntes Schwerbehindertengeld beantragen.
Die Leistungsempfänger des Schwerbehindertengeldes, die keine Pflegeversicherung beantragt haben, bekommen diese Hilfe weiter. Beim Pflegegeld und beim Schwerbehindertengeld handelte es sich um Pauschalleistungen, ohne Bezug auf den Grad der Pflegebedürftigkeit und die einzelne Situation.
Ab 1999 - Das Gesetz der Pflegeversicherung ist in Kraft
Die Pflegeversicherung beruht auf 4 großen Prinzipien: Die Bevorzugung der reedukativen
Maßnahmen bei der Betreuung von pflegebedürftigen Personen, die Bevorzugung der
Heimpflege gegenüber der Pflege in einer Einrichtung, die Bevorzugung der Sachleistungen
gegenüber der Geldleistungen und das Recht auf Selbstbestimmung der pflegebedürftigen
Person. Ziel der Reformierung war es gewesen, jeder pflegebedürftigen Person zu erlauben,
solange wie möglich unter guten Bedingungen zu Hause leben zu können und eine
vorzeitige Einweisung in eine Einrichtung zu verhindern. Mit der Bevorzugung der Sachleistungen wollte man eine Professionalisierung der Betreuung und somit die Entwicklung
von Pflegenetzen fördern.
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Was nun das Recht auf Selbstbestimmung betrifft, so sollte dieses durch die Anerkennung
einer gewissen Autonomie der pflegebedürftigen Person bei der Organisation der Pflege zu
Hause gewährleistet werden. Gleichzeitig sollte aber auch durch die Anerkennung des
Status der Hilfsperson abgesichert werden.
Recht auf Selbstbestimmung der pflegebedürftigen Person
Die Möglichkeit wurde geschaffen, bestimmte Sachleistungen durch Geldleistungen zu
ersetzen, mit denen eine Hilfsperson bezahlt wird. Diese betraf allerdings nur die Hilfen bei
den Verrichtungen des täglichen Lebens und die Hilfen im Haushalt. Diese konnten bis zu 7
Stunden pro Woche ersetzt werden. Die darüber hinausgehenden notwendigen Sachleistungen von 7 bis zu 14 Stunden konnten zur Hälfte durch Geldleistungen ersetzt werden.
Das heißt, maximal 10 ½ Stunden konnten von einer Hilfsperson außerhalb eines
Pflegenetzes übernommen werden.
Es bestand die Möglichkeit für die pflegebedürftige Person, bestimmte Hilfen in einem
Bereich durch für einen anderen Bereich vorgesehene Hilfe zu ersetzen. Der große Vorteil
war also, die Hilfen individuell an den Bedarf anzupassen.
Innerhalb des Stundenkontingents, auf das ein Anspruch bestand, konnten auch die unterstützenden Maßnahmen mit berücksichtigt werden. Der Betreuungsplan wurde gemeinsam
mit dem Leistungsempfänger und/oder mit den betroffenen Familienmitgliedern aufgestellt.
Eine Versammlung wurde organisiert zwischen dem Koordinator des Pflegenetzes, der
pflegebedürftigen Person und seiner Umgebung. Die pflegbedürftige Person konnte ihre
Präferenzen bei ihrer Pflege ausdrücken. Die Vereinbarung wurde von allen unterzeichnet
und der Betreuungsplan an die Union des Caisses de maladie gesandt, die die Entscheidung
traf.
Status der Hilfsperson
Die Hilfsperson wurde folgendermaßen definiert: Person, die Hilfs- und Pflegeleistungen
außerhalb eines Pflegenetzes leistet. Dabei unterschied man zwischen der informellen
Hilfsperson und der Hilfsperson als eingestelltem Lohnempfänger. Die Hilfspersonen hatten
neben einem Anspruch auf Entlohnung ein jährliches Recht auf einen 3-wöchigen Urlaub.
Dazu überwies die Pflegeversicherung einmal im Jahr für 3 Wochen die doppelten
Geldleistungen. So konnte die pflegebedürftige Person die Hilfsperson weiterbezahlen und
gleichzeitig die Person, die sie ersetzte. Weiter hatten die Hilfspersonen ein Recht auf
Begleitmaßnahmen. Dabei handelte es sich um eine Art Schulung, die meist am Anfang der
Hilfstätigkeit stand und die Hilfsperson auf ihre künftige Aufgabe vorbereiten sollte. Die
Hilfspersonen erhielten durch das Gesetz der Pflegeversicherung Pensionsrechte.
Die Pflegeversicherung übernahm die Zahlungen für die Rentenversicherung einer Person,
die vor Eintritt des Rentenalters die Pflege einer pflegebedürftigen Person absicherte. Diese
Zahlungen wurden auf Basis der Leistungen eines ungelernten erwachsenen Arbeitnehmers
berechnet. Damit diese Leistungen übernommen wurden, musste die pflegebedürftige
Person die Hilfsperson bei dem Centre Commun de la Sécurité Sociale anmelden. Je
nachdem, ob es sich um eine informelle oder eine eingestellte Hilfsperson handelte, verlief
die Prozedur anders:
Bei der informellen Hilfsperson hatte die Anmeldung nur das Ziel, die künftigen Pensionsrechte abzusichern. Hier genügte die Angabe der Identität der pflegebedürftigen Person, der
informellen Hilfsperson und Anfang und Zeit der Tätigkeit.
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Für den eingestellten Lohnempfänger galt die so genannte vereinfachte Prozedur. Diese
bestand darin, das ausgezahlte Nettogehalt anzugeben. Anschließend berechnete die CCSS
die Beiträge bezüglich Sozialversicherung und Einkommenssteuer. Die Pflegeversicherung
übernahm die - den im Betreuungsplan festgelegten Arbeitsstunden entsprechenden Zahlungen in die Rentenkasse, der Rest der sozialen Leistungen und die Einkommenssteuer
wurden von der pflegebedürftigen Person übernommen.
Ab 2005 Gesetzesänderungen zur Pflegeversicherung
Bei den Gesetzänderungen überrascht zunächst, dass bei der Zielsetzung des Gesetzes
eine wichtige Passage weggefallen ist. So tauchen hier die Maßnahmen gegenüber der
Hilfspersonen nicht mehr auf, also das Recht auf eine 3-wöchige Auszeit, die Zahlungen in
die Rentenversicherung und die Begleitmaßnahmen. Frau Kerschen befürchtet, dass durch
die Nichtbenennung der Maßnahmen in diesem wichtigen Gesetzesartikel der Status der
Hilfsperson geschwächt wird.
Eine der wichtigen Veränderungen im Gesetz betrifft die Definition der Hilfsperson. So sind
nun damit „eine oder mehrere Personen der Umgebung gemeint, die in der Lage sind, die
geforderten Hilfs- und Pflegeleistungen abzusichern.“ Das bedeutet: Die von der
Pflegeperson eingestellte Hilfsperson taucht nicht mehr auf, die damit verbundenen
finanziellen Hilfen fallen folglich weg. Wenn die pflegebedürftige Person eine Hilfsperson
einstellt, muss sie alle damit verbundenen Kosten selbst übernehmen.
Außerdem muss künftig die Fähigkeit der Hilfsperson, Pflegeleistungen zu erbringen
nachgewiesen werden. Diese geforderte Bedingung schwächt die Entscheidungsbefugnis
der pflegebedürftigen Person darüber, wen sie sich als Pflegeperson wählt. Auch die
veränderte Berechnung der Geldleistungen ist ein Indiz für die Schwächung dieser Form von
Hilfe. Die Leistung ist nicht mehr an die Höhe der Sachleistung gebunden. Sie beträgt jetzt
25 Euro pro Stunde. Nur nach einer Entscheidung des Gesetzgebers kann sie verändert
werden und nicht wie zuvor nach Verhandlungen der Copas und der Pflegeversicherung
über die Sachleistungen. Die Gefahr besteht, dass die Geldleistungen zu Pauschalleistungen
werden.
Schwächung des Status der Hilfsperson
Die Rückführung auf die informelle Hilfsperson hat seit dem 1. Januar 2007 zu einer weiteren
Veränderung in der Gesetzgebung geführt. Die Rechte der Hilfspersonen wurden im Art. 355
CAS neu definiert. Sie lassen sich nur noch auf die informellen Hilfspersonen anwenden und
schließen die entlohnten Hilfspersonen aus. Aber auch diese Rechte wurden eingeschränkt.
So ist das Recht auf Urlaub weggefallen. Was die Pensionsrechte betrifft, so übernimmt die
Pflegeversicherung nur die Zahlungen in die Pensionskasse für eine einzige Person und das
auch nur dann, wenn sie keine eigene Pension hat. Das heißt im Falle einer Heimpflege
muss sich die pflegebedürftige Person entscheiden, wer ihre informelle Hilfsperson ist, diese
Aufgabe kann nicht aufgeteilt werden. Im Falle einer außergewöhnlich schweren
Pflegebedürftigkeit wurde die maximale Stundenzahl von 24 Stunden auf 38 ½ Stunden
erhöht. Diese Erhöhung hatte aber keine Konsequenzen auf die Stunden, die von einer
Hilfsperson geleistet werden können, sie betreffen im Falle der Heimpflege also nur die
Pflegenetze.
Auch die Regelung, dass die Aufstellung des Betreuungsplans gemeinsam besprochen wird,
ist weggefallen. Nun entscheidet die Cellule d’évaluation et d’orientation der Pflegeversicherung. Das heißt, der pflegebedürftigen Person ist die Möglichkeit genommen, die
Leistungen für ihre Bedürfnisse zu individualisieren.
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Schlussfolgerungen
Durch die Gesetzgebung zur Pflegeversicherung ist es in der Tat gelungen, eine wichtige
Alternative zur Pflege in Einrichtungen aufzubauen. Die Menschen, die pflegebedürftig
werden, können so lange wie eben möglich in ihrer Umgebung bleiben, was sehr
wünschenswert ist.
In den letzten Jahren haben sich Pflegenetze aufgebaut und institutionalisiert. Allerdings
wurde offenbar in dieser Zeit zunehmend die zweite Möglichkeit der Heimpflege durch eine
von der pflegebedürftigen Person eingestellte Assistenzperson aus den Augen gelassen.
Dies ist sehr bedenklich, wird doch die Selbstbestimmung der Menschen mit einer
Pflegebedürftigkeit, zu der auch Menschen mit schweren Behinderungen zählen, auf
europäischer und internationaler Ebene gefordert. Diese Überlegungen haben ja auch bei
der Gründung der Pflegeversicherung eine wichtige Rolle gespielt.
Frau Kerschen empfiehlt das Nachdenken über die pflegebedürftige Person als zentrale
Figur in der luxemburgischen Pflegeversicherung wieder aufzunehmen. In dieser Reflexion
sollten die großen Prinzipien ihrer Gründung als Ausgangspunkt genommen werden und mit
der Wahrheit konfrontiert werden.
Zusammenfassung und Übersetzung: Isabel Sturm
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VI) FAZIT durch die Redaktion
Die Konvention der Vereinten Nationen zur Förderung und zum Schutz der Rechte und der
Würde von Menschen mit Behinderungen verpflichtet alle Staaten, die sie ratifiziert haben,
Menschen mit Behinderungen den gleichberechtigten Zugang zu allen Grundrechten zu
sichern. Luxemburg hat diese Konvention unterzeichnet und wird sie in nächster Zukunft
auch ratifizieren.
Artikel 19 der UN-Konvention verpflichtet die Vertragsstaaten zur Anerkennung des gleichen
Rechts aller Menschen mit Behinderung, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere
Menschen in der Gemeinschaft zu leben.
Dies bedeutet, dass:
a) Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet
sind, in besonderen Wohnformen zu leben;
b) Menschen mit Behinderungen Zugang zu einer Reihe von gemeindenahen Unterstützungsdiensten zu Hause und in Einrichtungen sowie zu sonstigen gemeindenahen
Unterstützungsdiensten haben, einschließlich der persönlichen Assistenz, die zur Unterstützung des Lebens in der Gemeinschaft und der Einbeziehung in die Gemeinschaft sowie
zur Verhinderung von Isolation und Absonderung von der Gemeinschaft notwendig ist;
c) gemeindenahe Dienstleistungen und Einrichtungen für die Allgemeinheit Menschen
mit Behinderungen auf der Grundlage der Gleichberechtigung zur Verfügung stehen und
ihren Bedürfnissen Rechnung tragen.
Durch die Ratifikation der UN-Konvention wird der luxemburgische Staat also diese Rechte
anerkennen und sich verpflichten, alle notwendigen und geeigneten Maßnahmen zu treffen,
damit die Betroffenen auch von ihrem Recht profitieren können.
Wir haben das Thema „Behindertengerechtes Wohnen = Selbstbestimmtes Wohnen?“ als
Top Thema gewählt, weil wir erfahren wollten, wie die Wohnsituation von Menschen mit
einer Behinderung hier in Luxemburg denn nun – in der Praxis – aussieht.
Dazu haben wir die 3 möglichen Wohnformen (autonomes Wohnen, Wohnen in einer
Institution und betreutes Wohnen) im Einzelnen näher betrachtet. Die Beiträge der
LeserInnen haben klar gezeigt, welche Vor- und Nachteile diese verschiedenen Wohnformen
beinhalten. Wir haben 5 Beiträge von Menschen erhalten, die trotz ihrer Behinderung
autonom in ihrer eigenen Wohnung leben.
Aus diesen Leserbriefen ging deutlich hervor, dass eine der größten Schwierigkeiten darin
besteht, überhaupt eine barrierefreie und erschwingliche Wohnung in Luxemburg zu
finden. Es gibt keine zentrale Vermittlungsstelle für behindertengerechte Wohnungen, so
dass die Wohnungssuche die Betroffenen meist von einer Immobilienagentur zur nächsten
führt. Hinzu kommt, dass Barrierefreiheit oft unterschiedlich interpretiert wird. So kommt es
beispielsweise vor, dass eine Residenz schon dann als barrierefrei bezeichnet wird, wenn
sie lediglich über einen Aufzug verfügt. Dabei wird aber außer Acht gelassen, dass sich
eventuell ein Absatz vor dem Haupteingang befindet oder die Türen gar nicht breit genug
sind, um mit einem elektrischen Rollstuhl hindurch zu passen.
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Die barrierefreie Gestaltung der eigenen Wohnung ist ebenfalls keine leichte Aufgabe. Viele
Aspekte müssen berücksichtigt werden, von der Planung bis zur praktischen Umsetzung, um
eine Wohnung optimal und individuell anzupassen. Deshalb legt eine Leserin den Betroffenen wärmstens ans Herz, die Unterstützung der Adapth in Anspruch zu nehmen. Die
Adapth asbl informiert über technische Hilfsmittel, auf die man zurückgreifen kann, und
überprüft vor Ort, welche baulichen Anpassungen möglich und sinnvoll sein könnten.
Betreffend der technischen Hilfsmittel bemerkt ein Leser, dass es sehr wohl eine Vielzahl
davon gibt, die Menschen mit einer Behinderung das Leben wesentlich erleichtern können „man muss nur wissen, was es gibt“. Seiner Meinung nach fehlt es in diesem Bereich
eindeutig an Information für den Verbraucher.
Die meisten LeserInnen betonen, dass die Unterstützung durch die Pflegeversicherung
eine enorme Erleichterung darstellt und vielen Betroffenen erlaubt, ihre Lebensqualität
deutlich zu verbessern. Zweifellos wäre ohne die Unterstützung der Pflegeversicherung für
viele Personen ein autonomes Leben – und Wohnen erst gar nicht möglich.
Jedoch bemängeln einige LeserInnen, dass den individuellen Wünschen der Antragsteller
nicht immer Rechnung getragen wird. Meist ist es so, dass die Pflegeversicherung die
Kosten für das günstigste Standardprodukt übernimmt. Jedoch wünschen sich die
Antragsteller bei dieser Prozedur mehr Entscheidungsfreiheit. Eine Leserin bemerkt
beispielsweise, dass eine behindertengerechte Toilette ihren eigenen Ansprüchen absolut
nicht gerecht wird, da sie viel zu hoch ist. Jeder Antragsteller sollte die Möglichkeit haben, zu
wählen, welches Produkt ihm am meisten zusagt und seinen individuellen Bedürfnissen
entspricht – selbst wenn dadurch zusätzliche Kosten entstehen. Behindertengerecht
bedeutet eben nicht, dass ein Produkt automatisch den Bedürfnissen aller behinderten
Personen gerecht wird.
Des Öfteren sind die Anträge für eine Kostenübernahme durch die Pflegeversicherung auch
mit „langwierigen, bürokratisch aufwendigen Prozeduren“ verbunden, wie ein Leser
bemerkt. Für viele Hilfsmittel oder Spezialanfertigungen müssen mehrere Kostenvoranschläge vorgelegt werden, wodurch sich diese Prozedur über Wochen, gar Monate hinziehen
kann. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass der Betroffene eventuell dringend auf sein
Hilfsmittel angewiesen ist, was nicht selten der Fall ist.
Ein weiteres Problem betreffend der Pflegeversicherung, das in den Leserbriefen angesprochen wird, ist die fehlende Unterstützung für Personen, die aufgrund ihrer Behinderung
Hilfe bei hauswirtschaftlichen Arbeiten brauchen, wie z.B. beim Kochen, Putzen,
Einkaufen oder Wäsche waschen. Für Unterstützung in diesem Bereich kommt die
Pflegeversicherung nur auf, wenn man zusätzlich auf Hilfe bei Körperpflege, Ernährung und
Mobilität angewiesen ist - und dies für mindestens 3,5 Stunden pro Woche. Durch diese
Regelung gehen somit alle Betroffenen, die „nur“ auf hauswirtschaftliche Unterstützung
angewiesen sind und/oder einen Bedarf an Hilfe bei den essentiellen Verrichtungen des
Lebens unter 3,5 Stunden pro Woche haben leer aus. Im nächsten Top-Thema zur
persönlichen Assistenz werden wir uns aber noch näher mit diesen Problemen befassen.
Eine Person, die sich trotz Behinderung entschließt, autonom zu wohnen, muss einige
Barrieren überwinden. Sich eine eigene Wohnung zu leisten bedeutet oft auch, dass man bei
seiner Bank ein Darlehen anfragen muss. Um ein Darlehen für eine Wohnung zu bekommen,
muss man eine Lebensversicherung abschließen. Gleich zwei unserer Leserinnen haben in
diesem Kontext hervorgehoben, dass sie aufgrund ihrer Behinderung ihre Lebensversicherung nur zum allerhöchsten Tarif abschließen konnten, obwohl ihre Behinderung absolut
keinen Einfluss auf ihre Lebenserwartung hat. Dies stellt unserer Meinung nach eine
unberechtigte Benachteiligung dar.
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Behindertengerechtes Wohnen bezieht sich nicht nur auf die eigenen vier Wände.
Schön und gut, wenn man sich in der eigenen Wohnung frei und autonom bewegen kann,
aber was nützt es, wenn man vor seiner Haustür alle paar Meter auf Barrieren stößt? Wie
kann man ein unabhängiges Leben führen, wenn einem der Zugang zum nächsten Bäcker
oder Supermarkt durch architektonische Barrieren verwehrt bleibt? Wo bleibt die Lebensqualität, wenn man nicht am kulturellen und sozialen Leben teilnehmen kann? Noch immer
haben viele Dienst- und Produktanbieter nicht verstanden, dass Barrierefreiheit nicht nur
Menschen mit einer Behinderung zugutekommt, sondern auch älteren Menschen, Familien
mit Kinderwagen oder Gepäckstücken, schwangeren Frauen, Menschen die wegen einer
Verletzung kurzzeitig in ihrer Mobilität eingeschränkt sind… letztlich bedeutet Barrierefreiheit
– „Design for all“ - ein Plus an Qualität für Jeden.
Was das Wohnen in einer Institution betrifft, so haben wir im Rahmen dieses Top-Themas
nur einen Leserbrief erhalten. Wenn der Schweregrad der Behinderung so hoch ist, dass
eine Pflege rund um die Uhr benötigt wird, bleibt den Betroffenen meist keine andere Wahl
als das Leben in einer Institution. Bei allen Aktivitäten des täglichen Lebens auf Hilfe
angewiesen zu sein, erfordert ein Höchstmaß an psychischer Kraft und ist mit vielen
Einbußen verbunden – nicht zuletzt auch was die Privatsphäre betrifft. Dennoch geht aus
dem Leserbrief hervor, dass der Betroffene sich relativ gut mit seiner Situation abgefunden
hat und eine zufriedenstellende Lebensqualität erreicht hat. Sein einziger Kritikpunkt betrifft
die finanzielle Regelung. Seiner Meinung nach müsste allen Bewohnern – egal in welcher
finanziellen Situation sie sich befinden – am Ende des Monats genug Taschengeld bleiben,
um ihre Zeit abwechslungsreich gestalten zu können und zum Beispiel an kulturellen
Aktivitäten teilnehmen zu können.
Für Personen, die aufgrund der Schwere ihrer Behinderung nicht vollständig autonom leben
können, andererseits aber auch nicht rund um die Uhr betreut werden müssen, hat sich das
Prinzip des betreuten Wohnens als optimale Wohnform herausgestellt. Die Betroffenen
können ihr Leben in allen Bereichen so gestalten, wie sie es möchten, leben in der eigenen
oder angemieteten Wohnung und können doch auf Unterstützung zurückgreifen, wenn sie
benötigt wird. Diese Unterstützung wird von den häuslichen Pflegediensten geleistet, die sich
innerhalb oder in unmittelbarer Nähe dieser Wohnstrukturen befinden. Betreutes Wohnen
ermöglicht sowohl Menschen mit einer physischen als auch einer geistigen Behinderung ein
autonomes und selbstbestimmtes Leben, wie unsere Leserbriefe gezeigt haben.
Der einzige Schwachpunkt dieser Wohnform besteht eben nur darin, dass es nicht
annähernd genügend solcher Strukturen in Luxemburg gibt. „Betreit Wunnen Gasperich“
bleibt trotz der enormen Nachfrage quasi ein Pilotprojekt. Um mit den Worten von Andrea
und Joël Delvaux abzuschließen: „Wir möchten unserer Hoffnung Ausdruck verleihen, dass
es sehr bald zusätzliche Wohnstrukturen geben wird, die ähnlich funktionieren wie „Betreit
Wunnen Gasperich“, damit mehr Menschen mit Behinderungen das Recht bekommen, ihr
eigenes Leben zu leben - so wie sie es sich vorstellen. Dazu gehört natürlich auch der nötige
politische Willen und ein Umdenken Aller. Weg vom institutionellen zum selbstbestimmten
und autonomen Leben!“
Nathalie Gaudron
Redaktion
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Redaktion
Isabel Sturm
Nathalie Gaudron
Joël Delvaux
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