Das Orginal von 1942
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Das Orginal von 1942
Das Orginal von 1942 Mit dem Poster des Grafikers J. Howard Miller sollten in den USA Frauen für die Fabrikarbeit angeworben werden. Als Vorlage diente das Foto einer damals 17-Jährigen namens Geraldine Doyle 70 T I TEL Was sie wirklich will In einer exklusiven und repräsentativen FOCUS-Umfrage geben Frauen darüber Auskunft, wie sie sich sehen – und wie viel Macht sie wollen Illustration : Matthew Hollings/FOCUS-Magazin Foto: bridgemanar t.com E s ist einfach der Sommer der Frauen: Millionen Zuschauer verfolgen die Frauen-Fußball-WM. Telekom-Chef René Obermann will, wie kein Konzernlenker vor ihm, Frauen im Vorstand durchsetzen. An der Spitze des Internationalen Währungsfonds (IWF) sitzt mit Christine Lagarde seit vergangener Woche erstmals eine Frau. Und mit Kristina Schröder ist gerade die erste Bundesministerin während ihrer Amtszeit Mutter geworden. Frauen, die erfolgreich scheinen – sie prägen neue Leitbilder. Aber wie steht es wirklich um den Willen, Schlüsselpositionen in Wirtschaft und Gesellschaft zu besetzen? Sind die deutschen Frauen bereit für den Marsch durch die Institutionen? Können und wollen sie Familie und Beruf vereinbaren? Eine repräsentative FOCUS-Studie gibt Antwort. È Ç Sind Sie fr eine feste Frauenquote? in Prozent Frauen ja wollen die Frauen? 63 34 nein 3 wei§ nicht Männer ja 48 nein 48 4 wei§ nicht Quelle für alle Grafiken: Institut für Medienund Konsumentenforschung (IMUK) Inwieweit stimmen Sie persnlich den einzelnen Aussagen zu? Umfrage unter Frauen, alle Angaben in Prozent, Abweichnungen zu 100 = wei§ nicht/keine Angabe È Ç Karrierefrauen haben in Deutschland ein gutes Image. 8 10 30 1 2 3 stimme berhaupt nicht zu È 22 12 4 Abstufung nach einer Skala von 1Ð6 15 5 6 stimme voll und ganz zu Ç Ich knnte mir vorstellen, fr meinen Beruf in ein anderes Land zu ziehen. 39 1 stimme berhaupt nicht zu FOCUS 28/2011 8 Wie viel Karriere 12 10 7 2 3 4 5 Abstufung nach einer Skala von 1Ð6 23 6 stimme voll und ganz zu Lange galt das böse Q-Wort als Teufelswerk, jetzt gewinnt die Frauenquote in Deutschland Zustimmung. Mehr als die Hälfte der 1003 Befragten einer von FOCUS in Auftrag gegebenen Umfrage sprach sich für die Quote aus, unter den 56 Prozent der Befürworter finden sich überraschend viele Männer. Frauen wollen aufsteigen. Aber nicht um jeden Preis. Um beruflich weiterzukommen, würde nur knapp ein Drittel der befragten Frauen ins Ausland ziehen. Das Image der Karrierefrau bleibt umstritten wie die Frauenquote in der Politik. In der deutschen Wirtschaft wird die Quote heiß diskutiert, vor allem seitdem die Deutsche Telekom ankündigte, bald drei Frauen in ihren Vorstand berufen zu wollen. „Alle Vorstände haben das Thema auf dem Tisch“, weiß Antonella MeiPochtler. Die Geschäftsführerin der Boston Consulting Group hält die Entwicklung in Deutschland für „sehr gut“. Die weibliche Teilnahme an der Wirtschaft dürfe man nicht nur auf die Anzahl der Vorstände in Dax-Unternehmen reduzieren. Chancen liegen ihrer Ansicht nach in der Förderung des mittleren Managements. In den Vorständen der 30 großen Dax-Firmen sitzen bislang sechs Frauen. 71 T I TEL Ist Familie das höchste Ideal? Die „graue Lady“ sorgt sich um Deutschlands Frauen. „Why Don’t German Mothers Work?“, fragte die „New York Times“ jüngst in einem Artikel, erstaunt, dass Kinder und Karriere in Deutschland nicht recht zusammenzupassen scheinen. Lediglich 20 Prozent der Frauen im erwerbsfähigen Alter vereinbaren hierzulande Kinder und Beruf. Vollzeit arbeiten gar nur sechs Prozent. Gleichzeitig aber bekommt die deutsche Frau im Schnitt nur 1,36 Kinder – eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt. Will Frau also weder Kind noch Karriere? Die Autorin Bascha Mika hat ihren Geschlechtsgenossinnen „Feigheit“ vorgeworfen. Statt beruflich durchzustarten, hätten sie sich in der Opferrolle gemütlich eingerichtet – und überließen die Karriere dem männlichen Versorger. Auch Journalistin Bettina Wündrich konstatiert in ihrem neuen Buch „Einsame Spitze?“ ein schlechtes Image für die Karrierefrauen: Sie vergraulten Männer und gelten als „gehetzte, geldgeile Egoistinnen“. Erwartet werde die „liebevolle Mutti“, glaubt laut FOCUS-Umfrage eine Mehrheit der Frauen. Der Versuch, Familie und Beruf zu vereinbaren, endet allerdings häufig im Gefühl, den Ansprüchen in keiner der beiden Welten genügen zu können. Tatsächlich wünschen sich fast drei Viertel der jungen Frauen Kinder. Doch sie zögern lange, das Vorhaben in die Tat umzusetzen. Im Schnitt planen Frauen È Ich hatte den Traum gar nicht wirklich, sonst hätte ich es ja gemacht. Ich habe eben immer nur Fußball gespielt und mit 32 Jahren nach 111 Länderspielen und 48 Toren aufgehört« Silvia Neid Bundestrainerin Ç È Welche Rolle wird eher von Ihnen erwartet? Ç Wo fhlen Sie sich wohler? 15 % wei§ nicht/ keine Angabe zu Hause 43 % im Bro 53 % die der Hausfrau und liebevollen Mutti 72 32 % die der Karrierefrau 47 % wei§ nicht/ 10 % keine Angabe in Deutschland ihr erstes Baby mit 30, so eine OECD-Studie. „Dadurch bleiben sie aber auch mit größerer Wahrscheinlichkeit dauerhaft kinderlos.“ Mehr als 40 Prozent der deutschen Frauen im Alter von 25 bis 49 Jahren leben in einem kinderlosen Haushalt. Auch aus finanziellen Gründen: In vergleichbaren Berufen erreichen Mütter im Laufe ihres Berufslebens weniger als die Hälfte des Gehalts von Frauen ohne Kinder. Eine Familienförderung, die diese Lücke ausgleichen würde, wird sich keine Regierung je leisten können. FOCUS 28/2011 Foto: Horst Hamann/DFB Denken Sie jetzt einmal daran, wie andere Menschen Sie sehen, was andere von Ihnen erwarten. »Dem Traum von einer Familie trauere ich nicht nach. È Wie stellen sie sich ihren Partner vor? Unabhngig davon, ob Sie gerade selbst in dieser Lebensphase sind: Wer sollte in Elternzeit gehen? Ç Wir sollten uns die Elternzeit teilen FOCUS 28/2011 nur mein Partner 3 wei§ nicht/ keine Angabe 4 44,8 Jahre alt 1,65 Meter groß und 68,1 Kilo schwer ist È Wen ziehen Sie vor: einen attraktiven Hausmann oder einen erfolgreichen Geschftsmann? Ç attraktiven Hausmann erfolgreichen Geschftsmann heiratet im Alter von 30,2 Jahren hat 1,36 Kinder 41 lässt sich mit 42,5 Jahren scheiden 44 wei§ nicht/ keine Angabe hat Realschulabschluss oder Hochschulreife 15 È Wenn Ihnen ein Mann gefllt: Ergreifen Sie eher die Initiative oder warten Sie, bis er die Initiative ergreift? Ich ergreife die Initiative Ç 40 Ich warte, bis der Mann die Initiative ergreift wei§ nicht/ keine Angabe Die deutsche Durchschnittsfrau 22 nur ich „Eine Frau glücklich zu machen ist so einfach“, befindet die Autorin Angela Troni in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Frauen verstehen in 60 Minuten“. Im Grunde ihres Herzens seien Frauen nämlich sehr bescheidene Wesen. Sie müssten gar nicht immer alles haben, auch wenn sie oft und gern den Anschein erweckten. Und dann zählt Troni drei Buchseiten lang auf: Es reiche Frauen völlig aus, wenn ein Mann nicht nur ein guter Liebhaber sei, sondern auch ihr bester Freund, Vaterersatz, Kofferträger, Elektriker, Kuschelbär und, und, und. Gutaussehend müsse er aber auch sein, zuvorkommend, geistreich, kommunikativ und so manches mehr. Wobei, so Troni weiter, auch die „schönen Dinge des Lebens“ wichtig seien. Kleine Aufmerksamkeiten wie Blumen, Pralinen oder Schmuck. Dann wäre er perfekt, der Mann. Fast. Es scheint also, als sei es gar nicht so einfach, Frauen in 60 Minuten zu verstehen. Oder doch? Laut FOCUS-Umfrage wartet zwar immer noch die Mehrheit aller Frauen (53 Prozent) darauf, dass bei einem Kennenlernen der Mann die Initiative ergreift, 40 Prozent werden allerdings selbst aktiv. Auch der erfolgreiche Geschäftsmann muss es bei der Partnerwahl gar nicht mehr unbedingt sein. Auf die Frage, ob er denn den Vorzug genieße, vor einem attraktiven Hausmann, liegt er bei den repräsentativ Befragten mit 44 Prozent nur knapp vor seinem Konkurrenten (41 Prozent). Beim Thema Elternzeit wird der Wunsch nach Gleichberechtigung noch deutlicher: Klare 71 Prozent der Frauen wünschen, dass sich Mutter und Vater die Elternzeit teilen. Nähert sich ein Mann einer Frau, darf er auf sein Lächeln offenbar getrost verzichten. Das jedenfalls hat eine groß angelegte Studie der Universität von British Columbia in Vancouver herausgefunden. Mehr als 1000 Probanden sollten auf Grund von Fotos die sexuelle Attraktivität von Gesichtern einschätzen. Im Gegensatz zu den Männern, die von einem weiblichen Lächeln positiv angesprochen 71 53 7 werden, verhält es sich bei Frauen genau andersherum. Beim ersten Eindruck favorisieren sie Grüblertypen. Das Lächeln, so die Forscher, würde evolutionsgeschichtlich mit einem Mangel an Dominanz in Verbindung gebracht – und damit mit Unterwürfigkeit und Verletzlichkeit. Die Motive weiblicher Sexualität wurden ebenfalls erst kürzlich grundlegend erforscht. In ihrem Ende 2010 erschienenen Buch „Warum Frauen Sex haben“ fassten die amerikanischen Psychologieprofessoren Cindy Meston und David Buss auf Basis von 3000 Befragten 237 Gründe zusammen – vom pragmatischen „Mir war langweilig“ bis zum selbstlosen „Ich wollte das Ego meines Partners stärken“. Immerhin: Die Sehnsucht nach Liebe und Bindung gehört zu den zwölf am häufigsten genannten Gründen. verdient monatlich 2791 Euro brutto, also 18 Prozent weniger als Männer (Teilzeit inklusive) arbeitet als Bürofachkraft oder kaufmännische Angestellte leistet pro Monat 15,2 Überstunden (Männer: 23,2) arbeitet 62 Minuten täglich im Haushalt geht fünfmal im Jahr zum Friseur wühlt 76 Tage ihres Lebens in Handtaschen besitzt durchschnittlich 20 Paar Schuhe, von denen sie elf nie tragen wird isst pro Jahr mit 30,3 Kilogramm nur rund halb so viel Fleisch wie Männer verbraucht im Laufe ihres Lebens 2,7 Kilogramm Lippenstift hat Orgasmen, die im Durchschnitt 26 Sekunden dauern weint 64-mal im Jahr (Männer: 17-mal) und lacht acht Minuten pro Tag – doppelt so lang wie Männer 73 T I TEL »Ich schwinge die Keule« Die durchsetzungsstarke EU-Kommissarin Viviane Reding hat genug von Absichtserklärungen: Sie bereitet eine europaweite Quotenregelung vor, um Frauen in Führungspositionen zu bringen Frau Reding, sind Sie die letzte Waffe der deutschen Karrierefrauen? Es geht mir darum, Europa wieder auf die Füße zu stellen. Wenn wir unseren Binnenmarkt mit seinen 500 Millionen Menschen wirklich nutzen wollen, brauchen wir die besten Arbeitskräfte. Aber die lassen wir zum großen Teil draußen vor der Tür stehen. Frauen stellen 60 Prozent der Universätsabsolventen, doch dann gehen sie uns verloren. Das schadet auch deutschen Unternehmen massiv. Stehen die im internationalen Vergleich so schlecht da? Sie stehen nicht sehr überzeugend da, besser immerhin als Malta oder Luxemburg, die mit einem Anteil von zwei bis drei Prozent Frauen das Schlusslicht bilden. Die Fortschritte in puncto Frauen in den Leitungsgremien sind minimal. In den letzten sieben Jahren gab es EU-weit nur eine Steigerung von 0,5 Prozent pro Jahr. In Deutschland liegt der Frauenanteil in den Vorständen bei 2,9 Prozent und damit 74 Resolut Viviane Reding, 60 Die Politikerin aus Luxemburg ist seit 2010 EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte, Bürgerschaft. nur 0,4 Prozentpunkte höher als 2006. Wenn das so weitergeht, kommen wir erst in 50 Jahren ans Ziel. Das akzeptiere ich nicht. Konzernlenker behaupten, es gebe die gesuchten Top-Managerinnen gar nicht . . . Das ist Unsinn. Sie sind da, man muss sie nur ermutigen und ganz oben mitmachen lassen. Ich habe das bei der Besetzung der Generaldirektion für Justiz in Brüssel einmal durchexerziert. Für die meisten Top-Jobs habe ich hochqualifizierte Frauen gesucht, gefunden und bin hochzufrieden. Fast 80 Prozent meiner Mitarbeiter im Top-Management sind Frauen, allein auf der Basis von Qualifikation. Vielleicht brauche ich da bald eine Männerquote. Warum brauchen weibliche Führungskräfte einen Zwang, um an die Spitze zu gelangen? Das habe ich mich auch jahrelang gefragt, zumal ich viele Jahre gegen eine Quote war und auch heute kein Quoten-Fan bin. Wir warten schon sehr lange, und es passierte fast nichts. Jetzt hat mich der Erfolg in jenen Ländern, die eine Quote eingeführt haben, überzeugt. Mir geht es nicht um Feminismus, sondern darum, unsere Wirtschaft optimal aufzustellen. Nach Erkenntnissen der Europäischen Kommission steigert ein Geschlechtergleichgewicht in den Führungsetagen von Unternehmen deren Betriebsgewinn um bis zu 56 Prozent. Quoten können zur Diskriminierung von Männern führen. Heiligt der Zweck die Mittel? Zurzeit gibt es doch in der Praxis eine 90prozentige Männerquote. Die Frauen werden in vielen Unternehmen systematisch ausgeschlossen. Eine Quote ist aber aus meiner Sicht nur eine Krücke, kein Allheilmittel. In den EU-Staaten werden derzeit unterschiedliche Methoden ausprobiert, um das Ziel zu erreichen. Mittlerweile haben Frankreich, Spanien, die Niederlande und Belgien Gesetze für Quoten verabschiedet. Resultat dieser unterschiedlichen Vorgehensweisen sind ein Flickenteppich und Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Binnenmarkt. Eine Quotenregelung auf europäischer Ebene würde einen verbindlichen Rechtsrahmen für alle Mitgliedsstaaten schaffen. Wann kommt die EU-Richtlinie zur Quote? Es bräuchte keine Quote, wenn die Unternehmen bis März 2012 beweisen, dass sie genügend Frauen in Führungspositionen holen. Ich habe sie mehrfach dazu aufgefordert, auch in Deutschland, zuletzt in einem Brief mit Frau von der Leyen an den BDI. Ich erwarte, dass sie sich zu deutlichen Steigerungen bei den Aufsichtsräten verpflichten und darüber berichten. Mein Ziel ist ein Frauenanteil in Aufsichtsräten von 30 Prozent bis 2015 und von 40 Prozent bis 2020. In den Handwerksbetrieb in Oberbayern greife ich natürlich nicht ein. FOCUS 28/2011 INTERVIEW: ULRIKE PLEWNIA Wie halten sie es mit der Macht? „Frauen an die Macht“, das ist heute keine feministische Vision mehr, sondern ein Impuls, der auch von Männern ausgeht. Telekom-Chef René Obermann will gleich drei Frauen in seinen Vorstand holen, um sich besondere Talente nicht entgehen zu lassen. Bis 2015 sollen 30 Prozent Frauen in Führungspositionen sein. Dennoch wird oft die Frage gestellt, ob Frauen wirklich bereit seien, Macht zu übernehmen. Tamara Dietl, Coachingexpertin aus München: „In meiner Praxis höre ich von Frauen oft: Ich will die höhere Position, aber ich will sie nicht so ausfüllen, wie Männer es tun.“ Deren direktiver Führungsstil und deren hierarchische Spiele würden von Frauen als albern empfunden. „Die männlichen Strukturen sind es, die Frauen abschrecken“, resümiert Dietl. „Der männliche Führungsstil neigt zum Denken in Rangordnungen als Kultur des Gegeneinanders. Männer sind, pointiert gesagt, immer im Krieg. Sie kämpfen.“ Ein anderer Punkt, der zuweilen gegen den Machtzuwachs von Frauen spreche, È Entweder Sie oder Ihr Partner knnen beruflich durchstarten: Wer htte bei gleichen Bedingungen den Vortritt? Ç Umfrage unter Frauen Fotos: Tim Wegner, Hans-Chrisitan Plambeck/beide laif Der Widerstand gegen eine gesetzliche Quote in den Unternehmen und Wirtschaftsverbänden ist groß. Nutzt schon die Androhung dieser Ultima Ratio? Sicher, so ist das ja auch gemeint. Wenn ich jetzt die Keule schwinge, werden die Herren Firmenchefs sich schon bewegen. Die 2001 eingeführten Selbstverpflichtungen in Deutschland blieben fruchtlos. Typischerweise sitzt in einem zehnköpfigen Aufsichtsrat gerade mal eine Frau. Ausscheidenden Herren sollen kompetente Frauen folgen. Natürlich gilt eine Quote nur vorübergehend – bis Gleichbehandlung herrscht. Eine Quote darf nicht dazu führen, dass sich nun Frauen an Stelle von Männern dort einnisten. Dann wird die Quote – wie schon die Energiesparlampen – aus Brüssel diktiert? Das ist ein sehr deutscher Einwand. Es geht hier nicht um ein lokales Problem, sondern um die Effektivität der europäischen Wirtschaft. Gerade in Deutschland mit seiner niedrigen Geburtenrate muss sich auch die Zahl der erwerbstätigen Frauen erhöhen. Was ist mit den Vorstandsetagen? Da halte ich mich raus. Mir geht es um die Aufsichtsräte, nicht um die Vorstände. Natürlich kann Deutschland auf einen Frauenanteil von 2,9 Prozent in den Vorständen kaum stolz sein. Auch das sollte sich ändern, allerdings ohne meine Intervention. Das kann ja der nationale Gesetzgeber regeln. Eine Quote für ein paar hundert Top-Frauen hat allenfalls Symbolcharakter. Die Mütter unter ihnen (und auch die Väter) wünschen sich vor allem familiengerechtere Arbeitszeiten. Was bringt da eine Quote? Natürlich, Männer sind auch Väter! Und an Aspekten wie Kinderbetreuung müssen die Mitgliedsländer unbedingt arbeiten. Ich kenne das, ich habe selbst drei Kinder, und in Luxemburg gab es damals keinerlei Ganztagsschulen oder Krippenplätze. Die Quote für Aufsichtsräte hätte eine weitreichende Signalwirkung: Frauen sind in der Breite und an der Spitze gewünscht! Sollten alle dem Quoten-Trendsetter Norwegen nacheifern? Norwegen ist schon ein Vorbild. Es ist ja keine Mär, dass Frauen dort in den Aufsichtsräten hervorragende Arbeit leisten. Und wenn Sie mir jetzt mit dem Standardvorwurf der viel beschäftigen norwegischen „Goldröcke“ kommen, sage ich Ihnen: Bisher okkupieren überall immer dieselben Goldhosen die begehrten Aufsichtsratsposten. ■ 68 % Umfrage unter Männern 52 % 24 % 17 % 15 % eher mein Partner wei§ nicht/ keine Angabe eher ich 24 % eher ich eher mein Partner »Es ist geradezu lächerlich, diesen großen Pool von Talenten nicht stärker zu fördern« René Obermann Telekom-Chef über Frauenförderung so die Coachingexpertin, sei deren stärkere Ausrichtung auf eine Work-Life-Balance. Partnerschaft und Familie hintanzustellen, dazu seien nur wenige Frauen bereit – und das sei auch legitim: „In Büchern wie ‚Das dämliche Geschlecht‘ von Barbara Bierach wird den Frauen vorgeworfen, sie vergeudeten ihre Potenziale. Aber nur weil wir alle Freiheiten haben, sind wir nicht gezwungen, sie zu nutzen – auch wenn frauenbewegte Aktivistinnen das verurteilen.“ Die FOCUS-Umfrage jedenfalls ergab, dass Frauen überwiegend ihrem Partner den Vortritt lassen würden, wenn beide prinzipiell die Chance hätten, beruflich durchzustarten. Das könnte sich ändern, wenn neue Leitbilder zu einer gesellschaftlichen Mentalitätsverschiebung führen – und nicht zuletzt die Quote und damit mehr weibliche Präsenz in Chefetagen den Führungsstil verändern. „Ich war immer gegen eine Quote“, bekennt Tamara Dietl. „Doch sie ist der ökonomisch notwendige Weg von uns Frauen, Führungskräfte zu werden. Wir müssen nur die veralteten Rollenvorstellungen revidieren, wie man Führung definiert.“ 75 T I TEL Trendforscherin Lidewij Edelkoort prognostiziert sieben neue Entwicklungen und träumt vom Comeback der Familie sich selbst. Männer dürfen weibliche Eigenschaften haben, Frauen männliche. Die Geschlechter in Opposition zu stellen ist nicht mehr zeitgemäß. Paare leben gleichberechtigt miteinander, an Stelle alter Rollenverteilungen erleben wir Kameradschaft zwischen den Geschlechtern. Mann und Frau teilen alles: die Arbeit, die Freizeit, den Sex. 4 Modernes Orakel Lidewij Edelkoort Designer, Autoindustrie und Food-Konzerne verlassen sich auf die Prognosen der 61-jährigen Niederländerin. 1 2 3 76 In Machtpositionen werden Frauen immer mehr akzeptiert, und es wird Normalität, Frauen in Chefetagen zu sehen. Auf dem Weg nach oben werden Frauen nicht mehr versuchen, Männer zu imitieren, sondern bewusst weiblich auftreten. Denn hier liegt ihre Stärke: Frauen sind eher in der Lage, zum Gesprächspartner eine Brücke zu bauen, während Männer ihren Standpunkt erstreiten. Mädchen, die heute aufwachsen, werden viele Männer in ihrem Leben haben wollen. Sie werden viel gelassener mit dem anderen Geschlecht umgehen. Letzteres gilt auch für Jungen. Auslöser für diese Entwicklung sind die neuen Väter, die sich um ihre Kinder so intensiv wie nie zuvor kümmern. Das neue Rollenverständnis unserer Kinder wird die Gesellschaft grundlegend verändern. Frauen und Männer entdecken die Gene des anderen Geschlechts in 5 6 7 Frauen favorisieren einen neuen Männertypus: Muskelpakete sind out. Der neue Mann ist schlank. Gefragt ist der Naturbursche, der eine gesunde Verbindung zu seinem Körper hat und ihn mit Aktivitäten wie Gartenarbeit, Wandern, Schwimmen oder Rudern in Form hält. Je mehr die berufstätige Mutter zur Regel wird und für die Kinderbetreuung zumindest teilweise ausfällt, umso stärker bilden sich neue Familienbande. Großeltern und Enkel verbringen immer mehr Zeit miteinander. Die Kinder helfen den Älteren bei Dingen wie Internet und Computer, die zahlungskräftigen Großeltern erfüllen ihren Enkeln Wünsche. Die Tage des Individuums sind gezählt, die Gruppe ist auf dem Vormarsch. Wenn sich junge Menschen selbstständig machen, tun sie das zusammen mit Gleichgesinnten, und jeder übernimmt die Arbeit, die ihm am meisten liegt. Auch privat trifft man Frauen immer häufiger in Cliquen an. Frauen brauchen Männer immer weniger und verbringen zwei bis drei Abende in der Woche lieber im Kreis ihrer Freundinnen. Wir werden familienorientierter und entwickeln wieder eine gesunde Streitkultur. In der Familie lernen wir zu debattieren. Scheidungen per Computer und SMS sind out. Entscheiden sie über den Konsum? Frauen sind eine willige Zielgruppe. Immer häufiger verfügen sie über ein gutes Einkommen, treffen eigenständige Kaufentscheidungen und leisten sich einen gewissen Luxus, auch als Äquivalent zum aufreibenden Berufsleben. Da sie weniger Zeit zum Flanieren haben, findet das weibliche Shopping zunehmend im Internet statt, was beispielsweise Designermode-Portalen wie Net-a-porter hohe Zuwachsraten beschert. „Frauen geben sich nur mit dem absolut Besten zufrieden“, behauptet Diana Jaffé, Expertin für Gendermarketing in ihrem Buch „Werbung È Angenommen, Sie und Ihr Partner sind sich uneinig beim Kauf eines neuen Autos. Wer trifft die endgltige Entscheidung? Umfrage bei Frauen 30 % Ç 55 % eher ich Abweichnungen zu 100 = wei§ nicht/keine Angabe eher mein Partner für Adam und Eva“. Für eine Frau müsse ein Produkt zudem mehr Kriterien erfüllen als für einen Mann. Das liege auch daran, dass Frauen, anders als Männer, bei ihren Einkäufen stets die Bedürfnisse ihrer Familie berücksichtigten. Deshalb will eine Frau beim Kauf eines Familienautos auch mitbestimmen, selbst wenn es überwiegend vom Mann gefahren wird. 30 Prozent der Frauen setzen sich in der Entscheidung durch, wie die FOCUS-Umfrage ergab. Bei Daimler heißt es, dass drei von vier seiner verkauften Autos von ■ Frauen ausgesucht würden. J. BRAND / G. CZÖPPAN / C. EICHEL / M. GRIESSL / H. PAULI / S. RUZAS / N. WALDENMAIER FOCUS 28/2011 Foto: Ruy Texeira Zukunft der Frauen T I TEL Die Vielgeliebte Michelle Hunziker Spätestens als Co-Moderatorin von „Wetten, dass..?“Mann Thomas Gottschalk wurde die gebürtige Schweizerin, 34, in Deutschland populär 78 FOCUS 28/2011 »Wir müssen einander nicht verstehen« Fernsehmoderatorin Michelle Hunziker outet sich als Feministin und erklärt, warum es so schön ist, dass Männer und Frauen verschieden sind Was wollen die Frauen, Frau Hunziker? Wir wollen die gleichen Rechte wie Männer, wir wollen aber nicht wie Männer werden. Eine Frau darf eine gute Mutter und eine gute Ehefrau sein, sie muss aber auch arbeiten dürfen. Sie haben gemeinsam mit einer Rechtsanwältin und Parlamentarierin in Italien sogar eine Stiftung namens Doppia difesa gegründet, die sich um die Rechte der Frauen kümmert. Warum das? Auf Deutsch bedeutet Doppia difesa doppelte Verteidigung. Das heißt, wir wollen Frauen helfen, denen die Justiz, aus welchen Gründen auch immer, nicht hilft. In Fällen häuslicher Gewalt zum Beispiel oder bei Stalking-Attacken. Ich war selbst Stalking-Opfer und weiß, wovon ich rede. Wir kümmern uns jährlich um mehr als 7000 Frauen. Mit Rechtsberatung und medizinischer und psychologischer Hilfe, aber auch, indem wir Dinge öffentlich machen. Sind Sie eine Feministin? Foto: Simone Falcetta for „A“/RCS/Picture Press Ja, bin ich, auch wenn viele das möglicherweise nicht gut finden. Ich höre aber deswegen nicht auf, Frau zu sein. Klingt nach dem, was man neuerdings Lipstick-Feminismus nennt, oder? Nach Frauen also, die ihre Rechte und Interessen thematisieren, aber trotzdem alles dürfen, was Frauen mögen – von Stilettos bis zu Liebesromanen. Der Begriff gefällt mir. Mir geht es um Rechte und Gleichstellung, nicht um Rollen. Als Fernsehmoderatorin dürfte es gar nicht so einfach sein, emanzipiert zu sein. Der Weg dahin ist hart und kompliziert. Ich arbeite in einem Unternehmen wie in jedem anderen auch. Bei mir hat es nur eben mit Unterhaltung und Kameras zu tun. Es ist eben ein Unterschied, FOCUS 28/2011 vulgär zu sein oder sexy und emanzipiert. Vielleicht habe ich deswegen gerade in Italien auch so viele weibliche Zuschauer. Ich bin eben niemals eine Rivalin und keine Stute, die nach anderen beißt. Dafür nehme ich mich selbst auch gar nicht wichtig genug. Sind Sie für oder gegen eine feste Frauenquote in Wirtschaft und Politik? Dafür. Frauen machen nun mal die Hälfte der Bevölkerung aus, was sich aber weder in der Wirtschaft noch in der Politik zeigt. Freiwilligkeit funktioniert offenbar nicht, also muss man es gesetzlich regeln. Was war Ihnen persönlich denn bislang wichtiger: Supermami zu sein oder Superkarriere zu machen? Ganz klar: Supermami. Nicht nur weil meine Tochter das Wichtigste in meinem Leben ist, sondern weil ich ohne sie nie die Kraft hätte zu tun, was ich tue. Kann es sein, dass Frauen gar nicht unbedingt Karriere machen wollen – weil sie immer auch anderes im Blick haben? Ist das schlimm? Auch eine Frau, die aus Überzeugung Hausfrau ist, kann ehrenwert und emanzipiert sein. Umgekehrt geht es ja auch. Ich habe gerade gelesen, dass es in England einen richtigen Hausmänner-Boom gibt. Wäre das ein Männertyp, mit dem Sie glücklich werden könnten? Ich hätte kein Problem damit. Wie sieht für Sie denn das perfekte erste Date aus? Das Wichtigste ist, dass keine Paparazzi dabei sind, sonst ist es kein Date. Das heißt: Ich kann mit niemandem, wirklich niemandem, darüber reden. Das heißt aber auch, dass ich für ein Date in ein Flugzeug steigen muss. Meist geht es nach London oder Paris. Und was unternehmen Sie, wenn Ihnen ein Mann gefällt? Auch wenn Sie es mir vielleicht nicht glauben: Ich bin durchaus schüchtern. Deswegen fällt es mir auch schwer, den ersten Schritt zu machen. Außerdem gefällt es mir, wenn mir ein Mann den Hof macht. Ich finde das sehr romantisch, auch wenn es leider nicht oft passiert. Aber wegnehmen darf man diese Gelegenheit den Männern auf gar keinen Fall. Til Schweiger meinte neulich, Männer seien zurzeit in einer No-win-Situation. Frauen würden Männer gern erziehen, weg vom Machotum, langweilen sich dann aber, wenn sie einen Schlaffi zu Hause haben. Können Männer zurzeit wirklich nur verlieren? Ach, ich wäre da nicht so pessimistisch. So schlimm ist das nicht. So wie eine Feministin ihre Weiblichkeit sollte ein Mann seine Männlichkeit nicht verlieren. Für mich muss ein Mann ein Mann bleiben. Er muss mich beschützen können, er darf nie unterwürfig sein, aber er muss nicht alles können. Wobei: Es ist schon schön, bekocht zu werden, wenn man abends spät nach Hause kommt. Aber welches ist denn nun das schwächere Geschlecht: Mann oder Frau? Keines von beiden. Wir Frauen haben jahrhundertelang gelitten unter diesem Etikett des schwächeren Geschlechts, deswegen möchte ich das dem Mann nicht antun. Also sind Frauen gar nicht so kompliziert? Für Männer schon. Aber das ist ja das Schöne. Wir sind total verschiedene Welten, deswegen müssen wir uns auch gar nicht immer verstehen. ■ INTERVIEW: STEFAN RUZAS 79