Das Orginal von 1942

Transcription

Das Orginal von 1942
Das Orginal
von 1942
Mit dem Poster des
Grafikers J. Howard Miller
sollten in den USA
Frauen für die Fabrikarbeit angeworben werden. Als Vorlage diente
das Foto einer damals
17-Jährigen namens
Geraldine Doyle
70
T I TEL
Was
sie
wirklich will
In einer exklusiven und repräsentativen FOCUS-Umfrage geben Frauen
darüber Auskunft, wie sie sich sehen – und wie viel Macht sie wollen
Illustration : Matthew Hollings/FOCUS-Magazin
Foto: bridgemanar t.com
E
s ist einfach der Sommer der
Frauen: Millionen Zuschauer verfolgen die Frauen-Fußball-WM.
Telekom-Chef René Obermann will, wie
kein Konzernlenker vor ihm, Frauen im
Vorstand durchsetzen. An der Spitze des
Internationalen Währungsfonds (IWF) sitzt
mit Christine Lagarde seit vergangener
Woche erstmals eine Frau. Und mit Kristina
Schröder ist gerade die erste Bundesministerin während ihrer Amtszeit Mutter
geworden. Frauen, die erfolgreich scheinen – sie prägen neue Leitbilder. Aber wie
steht es wirklich um den Willen, Schlüsselpositionen in Wirtschaft und Gesellschaft
zu besetzen? Sind die deutschen Frauen
bereit für den Marsch durch die Institutionen? Können und wollen sie Familie
und Beruf vereinbaren? Eine repräsentative FOCUS-Studie gibt Antwort.
È
Ç
Sind Sie fŸr eine feste Frauenquote?
in Prozent
Frauen
ja
wollen die Frauen?
63
34
nein
3 wei§ nicht
Männer
ja
48
nein
48
4 wei§ nicht
Quelle für alle Grafiken:
Institut für Medienund Konsumentenforschung (IMUK)
Inwieweit stimmen Sie persšnlich den einzelnen Aussagen zu?
Umfrage unter Frauen, alle Angaben in Prozent, Abweichnungen zu 100 = wei§ nicht/keine Angabe
È
Ç
Karrierefrauen haben in Deutschland ein gutes Image.
8
10
30
1
2
3
stimme Ÿberhaupt
nicht zu
È
22
12
4
Abstufung nach einer Skala von 1Ð6
15
5
6
stimme voll
und ganz zu
Ç
Ich kšnnte mir vorstellen, fŸr meinen Beruf in ein anderes Land zu ziehen.
39
1
stimme Ÿberhaupt
nicht zu
FOCUS 28/2011
8
Wie viel Karriere
12
10
7
2
3
4
5
Abstufung nach einer Skala von 1Ð6
23
6
stimme voll
und ganz zu
Lange galt das böse Q-Wort als Teufelswerk, jetzt gewinnt die Frauenquote
in Deutschland Zustimmung. Mehr als
die Hälfte der 1003 Befragten einer von
FOCUS in Auftrag gegebenen Umfrage
sprach sich für die Quote aus, unter den
56 Prozent der Befürworter finden sich
überraschend viele Männer.
Frauen wollen aufsteigen. Aber nicht
um jeden Preis. Um beruflich weiterzukommen, würde nur knapp ein Drittel der
befragten Frauen ins Ausland ziehen. Das
Image der Karrierefrau bleibt umstritten
wie die Frauenquote in der Politik.
In der deutschen Wirtschaft wird die
Quote heiß diskutiert, vor allem seitdem
die Deutsche Telekom ankündigte, bald
drei Frauen in ihren Vorstand berufen zu
wollen. „Alle Vorstände haben das Thema
auf dem Tisch“, weiß Antonella MeiPochtler. Die Geschäftsführerin der Boston
Consulting Group hält die Entwicklung in
Deutschland für „sehr gut“. Die weibliche
Teilnahme an der Wirtschaft dürfe man
nicht nur auf die Anzahl der Vorstände in
Dax-Unternehmen reduzieren. Chancen
liegen ihrer Ansicht nach in der Förderung
des mittleren Managements. In den Vorständen der 30 großen Dax-Firmen sitzen
bislang sechs Frauen.
71
T I TEL
Ist Familie
das höchste Ideal?
Die „graue Lady“ sorgt sich um Deutschlands Frauen. „Why Don’t German Mothers
Work?“, fragte die „New York Times“ jüngst
in einem Artikel, erstaunt, dass Kinder und
Karriere in Deutschland nicht recht zusammenzupassen scheinen. Lediglich 20 Prozent der Frauen im erwerbsfähigen Alter
vereinbaren hierzulande Kinder und Beruf. Vollzeit arbeiten gar nur sechs Prozent.
Gleichzeitig aber bekommt die deutsche
Frau im Schnitt nur 1,36 Kinder – eine der
niedrigsten Geburtenraten der Welt. Will
Frau also weder Kind noch Karriere?
Die Autorin Bascha Mika hat ihren Geschlechtsgenossinnen „Feigheit“ vorgeworfen. Statt beruflich durchzustarten,
hätten sie sich in der Opferrolle gemütlich
eingerichtet – und überließen die Karriere
dem männlichen Versorger. Auch Journalistin Bettina Wündrich konstatiert in
ihrem neuen Buch „Einsame Spitze?“ ein
schlechtes Image für die Karrierefrauen:
Sie vergraulten Männer und gelten als
„gehetzte, geldgeile Egoistinnen“.
Erwartet werde die „liebevolle Mutti“,
glaubt laut FOCUS-Umfrage eine Mehrheit der Frauen. Der Versuch, Familie und
Beruf zu vereinbaren, endet allerdings häufig im Gefühl, den Ansprüchen in keiner
der beiden Welten genügen zu können.
Tatsächlich wünschen sich fast drei Viertel der jungen Frauen Kinder. Doch sie
zögern lange, das Vorhaben in die Tat
umzusetzen. Im Schnitt planen Frauen
È
Ich hatte den
Traum gar nicht
wirklich, sonst
hätte ich es ja
gemacht. Ich habe
eben immer nur
Fußball gespielt
und mit 32 Jahren
nach 111 Länderspielen und 48
Toren aufgehört«
Silvia Neid
Bundestrainerin
Ç È
Welche Rolle wird eher von Ihnen erwartet?
Ç
Wo fŸhlen Sie sich wohler?
15 %
wei§ nicht/
keine Angabe
zu Hause
43 %
im BŸro
53 %
die der Hausfrau
und liebevollen Mutti
72
32 %
die der Karrierefrau
47 %
wei§ nicht/
10 % keine Angabe
in Deutschland ihr erstes Baby mit 30,
so eine OECD-Studie. „Dadurch bleiben
sie aber auch mit größerer Wahrscheinlichkeit dauerhaft kinderlos.“ Mehr als 40
Prozent der deutschen Frauen im Alter von
25 bis 49 Jahren leben in einem kinderlosen Haushalt. Auch aus finanziellen Gründen: In vergleichbaren Berufen erreichen
Mütter im Laufe ihres Berufslebens weniger als die Hälfte des Gehalts von Frauen
ohne Kinder. Eine Familienförderung, die
diese Lücke ausgleichen würde, wird sich
keine Regierung je leisten können.
FOCUS 28/2011
Foto: Horst Hamann/DFB
Denken Sie jetzt einmal daran, wie andere Menschen
Sie sehen, was andere von Ihnen erwarten.
»Dem Traum von
einer Familie trauere ich nicht nach.
È
Wie stellen sie sich ihren
Partner vor?
UnabhŠngig davon, ob Sie gerade selbst
in dieser Lebensphase sind:
Wer sollte in Elternzeit gehen?
Ç
Wir sollten uns die
Elternzeit teilen
FOCUS 28/2011
nur mein Partner
3
wei§ nicht/
keine Angabe
4
44,8 Jahre alt
1,65 Meter groß und
68,1 Kilo schwer
ist
È
Wen ziehen Sie vor: einen attraktiven
Hausmann oder einen
erfolgreichen GeschŠftsmann?
Ç
attraktiven
Hausmann
erfolgreichen
GeschŠftsmann
heiratet im Alter von 30,2 Jahren
hat 1,36 Kinder
41
lässt sich mit 42,5 Jahren
scheiden
44
wei§ nicht/
keine Angabe
hat Realschulabschluss
oder Hochschulreife
15
È
Wenn Ihnen ein Mann gefŠllt: Ergreifen
Sie eher die Initiative oder
warten Sie, bis er die Initiative ergreift?
Ich ergreife
die Initiative
Ç
40
Ich warte, bis
der Mann die
Initiative ergreift
wei§ nicht/
keine Angabe
Die deutsche
Durchschnittsfrau
22
nur ich
„Eine Frau glücklich zu machen ist so
einfach“, befindet die Autorin Angela
Troni in ihrem kürzlich erschienenen Buch
„Frauen verstehen in 60 Minuten“. Im
Grunde ihres Herzens seien Frauen nämlich sehr bescheidene Wesen. Sie müssten
gar nicht immer alles haben, auch wenn
sie oft und gern den Anschein erweckten.
Und dann zählt Troni drei Buchseiten lang
auf: Es reiche Frauen völlig aus, wenn ein
Mann nicht nur ein guter Liebhaber sei,
sondern auch ihr bester Freund, Vaterersatz, Kofferträger, Elektriker, Kuschelbär
und, und, und. Gutaussehend müsse er
aber auch sein, zuvorkommend, geistreich,
kommunikativ und so manches mehr.
Wobei, so Troni weiter, auch die „schönen
Dinge des Lebens“ wichtig seien. Kleine
Aufmerksamkeiten wie Blumen, Pralinen
oder Schmuck. Dann wäre er perfekt, der
Mann. Fast.
Es scheint also, als sei es gar nicht so
einfach, Frauen in 60 Minuten zu verstehen. Oder doch? Laut FOCUS-Umfrage
wartet zwar immer noch die Mehrheit aller Frauen (53 Prozent) darauf, dass bei
einem Kennenlernen der Mann die Initiative ergreift, 40 Prozent werden allerdings
selbst aktiv. Auch der erfolgreiche Geschäftsmann muss es bei der Partnerwahl
gar nicht mehr unbedingt sein. Auf die
Frage, ob er denn den Vorzug genieße,
vor einem attraktiven Hausmann, liegt
er bei den repräsentativ Befragten mit 44
Prozent nur knapp vor seinem Konkurrenten (41 Prozent). Beim Thema Elternzeit
wird der Wunsch nach Gleichberechtigung noch deutlicher: Klare 71 Prozent
der Frauen wünschen, dass sich Mutter
und Vater die Elternzeit teilen.
Nähert sich ein Mann einer Frau, darf
er auf sein Lächeln offenbar getrost verzichten. Das jedenfalls hat eine groß angelegte Studie der Universität von British
Columbia in Vancouver herausgefunden.
Mehr als 1000 Probanden sollten auf
Grund von Fotos die sexuelle Attraktivität von Gesichtern einschätzen. Im Gegensatz zu den Männern, die von einem
weiblichen Lächeln positiv angesprochen
71
53
7
werden, verhält es sich bei Frauen genau
andersherum. Beim ersten Eindruck favorisieren sie Grüblertypen. Das Lächeln, so
die Forscher, würde evolutionsgeschichtlich mit einem Mangel an Dominanz in
Verbindung gebracht – und damit mit Unterwürfigkeit und Verletzlichkeit.
Die Motive weiblicher Sexualität wurden ebenfalls erst kürzlich grundlegend
erforscht. In ihrem Ende 2010 erschienenen Buch „Warum Frauen Sex haben“
fassten die amerikanischen Psychologieprofessoren Cindy Meston und David
Buss auf Basis von 3000 Befragten 237
Gründe zusammen – vom pragmatischen
„Mir war langweilig“ bis zum selbstlosen „Ich wollte das Ego meines Partners
stärken“. Immerhin: Die Sehnsucht nach
Liebe und Bindung gehört zu den zwölf
am häufigsten genannten Gründen.
verdient monatlich 2791 Euro
brutto, also 18 Prozent weniger
als Männer (Teilzeit inklusive)
arbeitet als Bürofachkraft oder
kaufmännische Angestellte
leistet pro Monat 15,2 Überstunden (Männer: 23,2)
arbeitet 62 Minuten täglich
im Haushalt
geht fünfmal im Jahr zum
Friseur
wühlt 76 Tage ihres Lebens
in Handtaschen
besitzt durchschnittlich
20 Paar Schuhe, von denen
sie elf nie tragen wird
isst pro Jahr mit 30,3 Kilogramm
nur rund halb so viel Fleisch
wie Männer
verbraucht im Laufe ihres Lebens
2,7 Kilogramm Lippenstift
hat Orgasmen, die im Durchschnitt 26 Sekunden dauern
weint 64-mal im Jahr
(Männer: 17-mal) und lacht
acht Minuten pro Tag –
doppelt so lang wie Männer
73
T I TEL
»Ich schwinge die Keule«
Die durchsetzungsstarke EU-Kommissarin Viviane Reding hat genug von Absichtserklärungen:
Sie bereitet eine europaweite Quotenregelung vor, um Frauen in Führungspositionen zu bringen
Frau Reding, sind Sie die letzte Waffe
der deutschen Karrierefrauen?
Es geht mir darum, Europa wieder auf die Füße
zu stellen. Wenn wir unseren Binnenmarkt mit
seinen 500 Millionen Menschen wirklich nutzen wollen, brauchen wir die besten Arbeitskräfte. Aber die lassen wir zum großen Teil
draußen vor der Tür stehen. Frauen stellen
60 Prozent der Universätsabsolventen, doch
dann gehen sie uns verloren. Das schadet
auch deutschen Unternehmen massiv.
Stehen die im internationalen
Vergleich so schlecht da?
Sie stehen nicht sehr überzeugend da, besser
immerhin als Malta oder Luxemburg, die mit
einem Anteil von zwei bis drei Prozent Frauen
das Schlusslicht bilden. Die Fortschritte in
puncto Frauen in den Leitungsgremien sind
minimal. In den letzten sieben Jahren gab es
EU-weit nur eine Steigerung von 0,5 Prozent
pro Jahr. In Deutschland liegt der Frauenanteil
in den Vorständen bei 2,9 Prozent und damit
74
Resolut
Viviane Reding, 60
Die Politikerin aus Luxemburg ist
seit 2010 EU-Kommissarin für
Justiz, Grundrechte, Bürgerschaft.
nur 0,4 Prozentpunkte höher als 2006. Wenn
das so weitergeht, kommen wir erst in 50 Jahren ans Ziel. Das akzeptiere ich nicht.
Konzernlenker behaupten, es gebe die
gesuchten Top-Managerinnen gar nicht . . .
Das ist Unsinn. Sie sind da, man muss sie nur
ermutigen und ganz oben mitmachen lassen.
Ich habe das bei der Besetzung der Generaldirektion für Justiz in Brüssel einmal durchexerziert. Für die meisten Top-Jobs habe ich
hochqualifizierte Frauen gesucht, gefunden
und bin hochzufrieden. Fast 80 Prozent meiner
Mitarbeiter im Top-Management sind Frauen,
allein auf der Basis von Qualifikation. Vielleicht
brauche ich da bald eine Männerquote.
Warum brauchen weibliche Führungskräfte
einen Zwang, um an die Spitze zu gelangen?
Das habe ich mich auch jahrelang gefragt, zumal ich viele Jahre gegen eine Quote war und
auch heute kein Quoten-Fan bin.
Wir warten schon sehr lange, und es passierte
fast nichts. Jetzt hat mich der Erfolg in jenen
Ländern, die eine Quote eingeführt haben,
überzeugt. Mir geht es nicht um Feminismus,
sondern darum, unsere Wirtschaft optimal
aufzustellen. Nach Erkenntnissen der Europäischen Kommission steigert ein Geschlechtergleichgewicht in den Führungsetagen von
Unternehmen deren Betriebsgewinn um bis
zu 56 Prozent.
Quoten können zur Diskriminierung von Männern führen. Heiligt der Zweck die Mittel?
Zurzeit gibt es doch in der Praxis eine 90prozentige Männerquote. Die Frauen werden
in vielen Unternehmen systematisch ausgeschlossen. Eine Quote ist aber aus meiner
Sicht nur eine Krücke, kein Allheilmittel.
In den EU-Staaten werden derzeit unterschiedliche Methoden ausprobiert, um das Ziel zu
erreichen. Mittlerweile haben Frankreich, Spanien, die Niederlande und Belgien Gesetze
für Quoten verabschiedet. Resultat dieser
unterschiedlichen Vorgehensweisen sind ein
Flickenteppich und Wettbewerbsverzerrungen
im europäischen Binnenmarkt. Eine Quotenregelung auf europäischer Ebene würde einen
verbindlichen Rechtsrahmen für alle Mitgliedsstaaten schaffen.
Wann kommt die EU-Richtlinie zur Quote?
Es bräuchte keine Quote, wenn die Unternehmen bis März 2012 beweisen, dass sie
genügend Frauen in Führungspositionen holen. Ich habe sie mehrfach dazu aufgefordert,
auch in Deutschland, zuletzt in einem Brief
mit Frau von der Leyen an den BDI. Ich erwarte, dass sie sich zu deutlichen Steigerungen bei den Aufsichtsräten verpflichten und
darüber berichten. Mein Ziel ist ein Frauenanteil in Aufsichtsräten von 30 Prozent bis
2015 und von 40 Prozent bis 2020. In den
Handwerksbetrieb in Oberbayern greife ich
natürlich nicht ein.
FOCUS 28/2011
INTERVIEW: ULRIKE PLEWNIA
Wie halten sie es mit der
Macht?
„Frauen an die Macht“, das ist heute
keine feministische Vision mehr, sondern
ein Impuls, der auch von Männern ausgeht. Telekom-Chef René Obermann will
gleich drei Frauen in seinen Vorstand holen, um sich besondere Talente nicht entgehen zu lassen. Bis 2015 sollen 30 Prozent
Frauen in Führungspositionen sein.
Dennoch wird oft die Frage gestellt, ob
Frauen wirklich bereit seien, Macht zu
übernehmen. Tamara Dietl, Coachingexpertin aus München: „In meiner Praxis höre ich von Frauen oft: Ich will die
höhere Position, aber ich will sie nicht so
ausfüllen, wie Männer es tun.“ Deren direktiver Führungsstil und deren hierarchische Spiele würden von Frauen als albern
empfunden. „Die männlichen Strukturen
sind es, die Frauen abschrecken“, resümiert Dietl. „Der männliche Führungsstil neigt zum Denken in Rangordnungen
als Kultur des Gegeneinanders. Männer
sind, pointiert gesagt, immer im Krieg.
Sie kämpfen.“
Ein anderer Punkt, der zuweilen gegen
den Machtzuwachs von Frauen spreche,
È
Entweder Sie oder Ihr Partner kšnnen
beruflich durchstarten: Wer hŠtte
bei gleichen Bedingungen den Vortritt?
Ç
Umfrage unter
Frauen
Fotos: Tim Wegner, Hans-Chrisitan Plambeck/beide laif
Der Widerstand gegen eine gesetzliche
Quote in den Unternehmen und Wirtschaftsverbänden ist groß. Nutzt schon
die Androhung dieser Ultima Ratio?
Sicher, so ist das ja auch gemeint. Wenn
ich jetzt die Keule schwinge, werden die Herren Firmenchefs sich schon bewegen. Die
2001 eingeführten Selbstverpflichtungen in
Deutschland blieben fruchtlos. Typischerweise sitzt in einem zehnköpfigen Aufsichtsrat gerade mal eine Frau. Ausscheidenden
Herren sollen kompetente Frauen folgen. Natürlich gilt eine Quote nur vorübergehend – bis
Gleichbehandlung herrscht. Eine Quote darf
nicht dazu führen, dass sich nun Frauen an
Stelle von Männern dort einnisten.
Dann wird die Quote – wie schon die
Energiesparlampen – aus Brüssel diktiert?
Das ist ein sehr deutscher Einwand. Es geht
hier nicht um ein lokales Problem, sondern um
die Effektivität der europäischen Wirtschaft.
Gerade in Deutschland mit seiner niedrigen
Geburtenrate muss sich auch die Zahl der
erwerbstätigen Frauen erhöhen.
Was ist mit den Vorstandsetagen?
Da halte ich mich raus. Mir geht es um die
Aufsichtsräte, nicht um die Vorstände. Natürlich kann Deutschland auf einen Frauenanteil
von 2,9 Prozent in den Vorständen kaum stolz
sein. Auch das sollte sich ändern, allerdings
ohne meine Intervention. Das kann ja der
nationale Gesetzgeber regeln.
Eine Quote für ein paar hundert Top-Frauen
hat allenfalls Symbolcharakter. Die Mütter
unter ihnen (und auch die Väter) wünschen
sich vor allem familiengerechtere
Arbeitszeiten. Was bringt da eine Quote?
Natürlich, Männer sind auch Väter! Und an
Aspekten wie Kinderbetreuung müssen die
Mitgliedsländer unbedingt arbeiten. Ich kenne
das, ich habe selbst drei Kinder, und in Luxemburg gab es damals keinerlei Ganztagsschulen oder Krippenplätze. Die Quote für
Aufsichtsräte hätte eine weitreichende Signalwirkung: Frauen sind in der Breite und an
der Spitze gewünscht!
Sollten alle dem Quoten-Trendsetter
Norwegen nacheifern?
Norwegen ist schon ein Vorbild. Es ist ja keine
Mär, dass Frauen dort in den Aufsichtsräten
hervorragende Arbeit leisten. Und wenn Sie
mir jetzt mit dem Standardvorwurf der viel
beschäftigen norwegischen „Goldröcke“ kommen, sage ich Ihnen: Bisher okkupieren überall immer dieselben Goldhosen die begehrten
Aufsichtsratsposten.
■
68 %
Umfrage unter
Männern
52 %
24 %
17 %
15 %
eher mein
Partner
wei§ nicht/
keine Angabe
eher ich
24 %
eher ich
eher mein
Partner
»Es ist geradezu
lächerlich, diesen
großen Pool von
Talenten nicht
stärker zu fördern«
René Obermann
Telekom-Chef über Frauenförderung
so die Coachingexpertin, sei deren stärkere Ausrichtung auf eine Work-Life-Balance. Partnerschaft und Familie hintanzustellen, dazu seien nur wenige Frauen
bereit – und das sei auch legitim: „In
Büchern wie ‚Das dämliche Geschlecht‘
von Barbara Bierach wird den Frauen
vorgeworfen, sie vergeudeten ihre Potenziale. Aber nur weil wir alle Freiheiten haben, sind wir nicht gezwungen, sie
zu nutzen – auch wenn frauenbewegte
Aktivistinnen das verurteilen.“
Die FOCUS-Umfrage jedenfalls ergab,
dass Frauen überwiegend ihrem Partner den Vortritt lassen würden, wenn
beide prinzipiell die Chance hätten, beruflich durchzustarten. Das könnte sich
ändern, wenn neue Leitbilder zu einer
gesellschaftlichen Mentalitätsverschiebung führen – und nicht zuletzt die
Quote und damit mehr weibliche Präsenz in Chefetagen den Führungsstil
verändern. „Ich war immer gegen eine
Quote“, bekennt Tamara Dietl. „Doch sie
ist der ökonomisch notwendige Weg von
uns Frauen, Führungskräfte zu werden.
Wir müssen nur die veralteten Rollenvorstellungen revidieren, wie man Führung
definiert.“
75
T I TEL
Trendforscherin Lidewij Edelkoort prognostiziert sieben neue
Entwicklungen und träumt vom Comeback der Familie
sich selbst. Männer dürfen weibliche
Eigenschaften haben, Frauen männliche. Die Geschlechter in Opposition
zu stellen ist nicht mehr zeitgemäß.
Paare leben gleichberechtigt miteinander, an Stelle alter Rollenverteilungen erleben wir Kameradschaft
zwischen den Geschlechtern. Mann
und Frau teilen alles: die Arbeit, die
Freizeit, den Sex.
4
Modernes Orakel
Lidewij Edelkoort
Designer, Autoindustrie und
Food-Konzerne verlassen
sich auf die Prognosen der
61-jährigen Niederländerin.
1
2
3
76
In Machtpositionen werden Frauen
immer mehr akzeptiert, und es wird
Normalität, Frauen in Chefetagen
zu sehen. Auf dem Weg nach oben
werden Frauen nicht mehr versuchen,
Männer zu imitieren, sondern bewusst weiblich auftreten. Denn hier
liegt ihre Stärke: Frauen sind eher in
der Lage, zum Gesprächspartner eine
Brücke zu bauen, während Männer
ihren Standpunkt erstreiten.
Mädchen, die heute aufwachsen, werden viele Männer in ihrem Leben
haben wollen. Sie werden viel gelassener mit dem anderen Geschlecht
umgehen. Letzteres gilt auch für Jungen. Auslöser für diese Entwicklung
sind die neuen Väter, die sich um
ihre Kinder so intensiv wie nie zuvor
kümmern. Das neue Rollenverständnis unserer Kinder wird die Gesellschaft grundlegend verändern.
Frauen und Männer entdecken die
Gene des anderen Geschlechts in
5
6
7
Frauen favorisieren einen neuen Männertypus: Muskelpakete sind out. Der
neue Mann ist schlank. Gefragt ist
der Naturbursche, der eine gesunde
Verbindung zu seinem Körper hat und
ihn mit Aktivitäten wie Gartenarbeit,
Wandern, Schwimmen oder Rudern
in Form hält.
Je mehr die berufstätige Mutter zur
Regel wird und für die Kinderbetreuung zumindest teilweise ausfällt,
umso stärker bilden sich neue Familienbande. Großeltern und Enkel
verbringen immer mehr Zeit miteinander. Die Kinder helfen den Älteren
bei Dingen wie Internet und Computer, die zahlungskräftigen Großeltern
erfüllen ihren Enkeln Wünsche.
Die Tage des Individuums sind gezählt, die Gruppe ist auf dem Vormarsch. Wenn sich junge Menschen
selbstständig machen, tun sie das
zusammen mit Gleichgesinnten, und
jeder übernimmt die Arbeit, die ihm
am meisten liegt.
Auch privat trifft man Frauen immer
häufiger in Cliquen an. Frauen brauchen Männer immer weniger und
verbringen zwei bis drei Abende in
der Woche lieber im Kreis ihrer Freundinnen.
Wir werden familienorientierter und
entwickeln wieder eine gesunde
Streitkultur. In der Familie lernen
wir zu debattieren. Scheidungen per
Computer und SMS sind out.
Entscheiden sie über den
Konsum?
Frauen sind eine willige Zielgruppe. Immer häufiger verfügen sie über ein gutes
Einkommen, treffen eigenständige Kaufentscheidungen und leisten sich einen
gewissen Luxus, auch als Äquivalent zum
aufreibenden Berufsleben. Da sie weniger Zeit zum Flanieren haben, findet das
weibliche Shopping zunehmend im Internet statt, was beispielsweise Designermode-Portalen wie Net-a-porter hohe Zuwachsraten beschert. „Frauen geben sich
nur mit dem absolut Besten zufrieden“,
behauptet Diana Jaffé, Expertin für Gendermarketing in ihrem Buch „Werbung
È
Angenommen, Sie und Ihr Partner sind sich
uneinig beim Kauf eines neuen Autos.
Wer trifft die endgŸltige Entscheidung?
Umfrage bei Frauen
30 %
Ç
55 %
eher ich
Abweichnungen zu
100 = wei§ nicht/keine Angabe
eher mein
Partner
für Adam und Eva“. Für eine Frau müsse
ein Produkt zudem mehr Kriterien erfüllen als für einen Mann. Das liege auch
daran, dass Frauen, anders als Männer,
bei ihren Einkäufen stets die Bedürfnisse
ihrer Familie berücksichtigten. Deshalb
will eine Frau beim Kauf eines Familienautos auch mitbestimmen, selbst wenn es
überwiegend vom Mann gefahren wird.
30 Prozent der Frauen setzen sich in der
Entscheidung durch, wie die FOCUS-Umfrage ergab. Bei Daimler heißt es, dass
drei von vier seiner verkauften Autos von
■
Frauen ausgesucht würden.
J. BRAND / G. CZÖPPAN / C. EICHEL / M. GRIESSL /
H. PAULI / S. RUZAS / N. WALDENMAIER
FOCUS 28/2011
Foto: Ruy Texeira
Zukunft der Frauen
T I TEL
Die Vielgeliebte
Michelle Hunziker
Spätestens als Co-Moderatorin von „Wetten, dass..?“Mann Thomas Gottschalk
wurde die gebürtige
Schweizerin, 34, in
Deutschland populär
78
FOCUS 28/2011
»Wir
müssen
einander nicht verstehen«
Fernsehmoderatorin Michelle Hunziker outet sich als Feministin und erklärt,
warum es so schön ist, dass Männer und Frauen verschieden sind
Was wollen die Frauen, Frau Hunziker?
Wir wollen die gleichen Rechte wie
Männer, wir wollen aber nicht wie Männer werden. Eine Frau darf eine gute
Mutter und eine gute Ehefrau sein,
sie muss aber auch arbeiten dürfen.
Sie haben gemeinsam mit einer Rechtsanwältin und Parlamentarierin in Italien
sogar eine Stiftung namens Doppia
difesa gegründet, die sich um die Rechte
der Frauen kümmert. Warum das?
Auf Deutsch bedeutet Doppia difesa
doppelte Verteidigung. Das heißt, wir
wollen Frauen helfen, denen die Justiz,
aus welchen Gründen auch immer, nicht
hilft. In Fällen häuslicher Gewalt zum
Beispiel oder bei Stalking-Attacken. Ich
war selbst Stalking-Opfer und weiß, wovon ich rede. Wir kümmern uns jährlich
um mehr als 7000 Frauen. Mit Rechtsberatung und medizinischer und psychologischer Hilfe, aber auch, indem wir
Dinge öffentlich machen.
Sind Sie eine Feministin?
Foto: Simone Falcetta for „A“/RCS/Picture Press
Ja, bin ich, auch wenn viele das möglicherweise nicht gut finden. Ich höre
aber deswegen nicht auf, Frau zu sein.
Klingt nach dem, was man neuerdings
Lipstick-Feminismus nennt, oder?
Nach Frauen also, die ihre Rechte und
Interessen thematisieren, aber trotzdem
alles dürfen, was Frauen mögen –
von Stilettos bis zu Liebesromanen.
Der Begriff gefällt mir. Mir geht es um
Rechte und Gleichstellung, nicht um
Rollen.
Als Fernsehmoderatorin dürfte es gar nicht
so einfach sein, emanzipiert zu sein.
Der Weg dahin ist hart und kompliziert.
Ich arbeite in einem Unternehmen wie
in jedem anderen auch. Bei mir hat es
nur eben mit Unterhaltung und Kameras zu tun. Es ist eben ein Unterschied,
FOCUS 28/2011
vulgär zu sein oder sexy und emanzipiert. Vielleicht habe ich deswegen
gerade in Italien auch so viele weibliche
Zuschauer. Ich bin eben niemals eine
Rivalin und keine Stute, die nach anderen beißt. Dafür nehme ich mich selbst
auch gar nicht wichtig genug.
Sind Sie für oder gegen eine feste
Frauenquote in Wirtschaft und Politik?
Dafür. Frauen machen nun mal die
Hälfte der Bevölkerung aus, was sich
aber weder in der Wirtschaft noch in
der Politik zeigt. Freiwilligkeit funktioniert offenbar nicht, also muss man es
gesetzlich regeln.
Was war Ihnen persönlich denn
bislang wichtiger: Supermami zu sein
oder Superkarriere zu machen?
Ganz klar: Supermami. Nicht nur weil
meine Tochter das Wichtigste in meinem
Leben ist, sondern weil ich ohne sie nie
die Kraft hätte zu tun, was ich tue.
Kann es sein, dass Frauen gar nicht
unbedingt Karriere machen wollen – weil
sie immer auch anderes im Blick haben?
Ist das schlimm? Auch eine Frau, die
aus Überzeugung Hausfrau ist, kann
ehrenwert und emanzipiert sein. Umgekehrt geht es ja auch. Ich habe gerade
gelesen, dass es in England einen richtigen Hausmänner-Boom gibt.
Wäre das ein Männertyp, mit dem
Sie glücklich werden könnten?
Ich hätte kein Problem damit.
Wie sieht für Sie denn das
perfekte erste Date aus?
Das Wichtigste ist, dass keine Paparazzi
dabei sind, sonst ist es kein Date. Das
heißt: Ich kann mit niemandem, wirklich niemandem, darüber reden. Das
heißt aber auch, dass ich für ein Date in
ein Flugzeug steigen muss. Meist geht
es nach London oder Paris.
Und was unternehmen Sie,
wenn Ihnen ein Mann gefällt?
Auch wenn Sie es mir vielleicht nicht
glauben: Ich bin durchaus schüchtern.
Deswegen fällt es mir auch schwer,
den ersten Schritt zu machen. Außerdem gefällt es mir, wenn mir ein Mann
den Hof macht. Ich finde das sehr romantisch, auch wenn es leider nicht oft
passiert. Aber wegnehmen darf man
diese Gelegenheit den Männern auf
gar keinen Fall.
Til Schweiger meinte neulich, Männer seien
zurzeit in einer No-win-Situation. Frauen
würden Männer gern erziehen, weg vom
Machotum, langweilen sich dann aber, wenn
sie einen Schlaffi zu Hause haben. Können
Männer zurzeit wirklich nur verlieren?
Ach, ich wäre da nicht so pessimistisch.
So schlimm ist das nicht. So wie eine
Feministin ihre Weiblichkeit sollte ein
Mann seine Männlichkeit nicht verlieren. Für mich muss ein Mann ein Mann
bleiben. Er muss mich beschützen können, er darf nie unterwürfig sein, aber
er muss nicht alles können. Wobei: Es
ist schon schön, bekocht zu werden,
wenn man abends spät nach Hause
kommt.
Aber welches ist denn nun das schwächere
Geschlecht: Mann oder Frau?
Keines von beiden. Wir Frauen haben
jahrhundertelang gelitten unter diesem
Etikett des schwächeren Geschlechts,
deswegen möchte ich das dem Mann
nicht antun.
Also sind Frauen gar nicht so kompliziert?
Für Männer schon. Aber das ist ja das
Schöne. Wir sind total verschiedene
Welten, deswegen müssen wir uns auch
gar nicht immer verstehen.
■
INTERVIEW: STEFAN RUZAS
79