türkische medien als brücke zwi̇schen den kulturen

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türkische medien als brücke zwi̇schen den kulturen
TÜRKISCHE MEDIEN
ALS
BRÜCKE ZWİSCHEN DEN KULTUREN
Von: Ismail Kul, Mitglied der Zeitung Zaman
I. Einleitende Bemerkungen
- Beginn der Gastarbeiteranwerbung im Nachkriegsdeutschland 1955 mit
dem Anwerbevertrag mit Italien. Am 30. Oktober 1961 wurde der vertrag mit
der Türkei geschlossen.
- Beginn der Gastarbeiterprogramme im öffentlich-rechtlichen Radio 1961.
SR begann mit “Mezz’orana Italiana“, 1964 begann der BR mit der Sendung
für türkische Gastarbeiter.
- Diese Programme waren aber defensiver Natur, da aus dem Ostblock
mitten im Kalten Krieg Sendungen in der Muttersprache der Gastarbeiter
diese verunsicherten (Jörg Becker).
- Die heutige ‚Köln Radyosu’, die vom WDR gesendet wird, ist ein Produkt
der damaligen Sendungen. Sie führt aber heute ein Nischendasein. Warum?
- Heutige Situation: Es gibt bundesweit über 2500 fremdsprachige Medien in
Deutschland (IMH). Seit 1990 ist die zahl um 40% gestiegen, v.a. durch
türkische, russische und chinesische Medien. Viele lokale
(Anzeigen)Zeitungen.
- Über 400 Fernsehprogramme werden unverschlüsselt aus dem Ausland
nach Deutschland ausgestrahlt, darunter sind ca. 70 türkische Sender. Aber
auch deutsche Sender werden in der Türkei empfangen.
- Aber: Nur türkische Zeitungen werden an den Pranger gestellt, sie sind mit
dem Vorwurf konfrontiert, die Integration zu untergraben,
Parallelgesellschaften zu fördern. (Focus: Giftige Gazetten. Hagen Graf
Lambsdorff: Helfer oder Hindernis. Türkische Medien in Deutschland).
II. Entwicklung der türkischen Medien in Deutschland
- So wie Köln Hauptstadt islamischer Verbände ist, ist der Raum Frankfurt
Hauptstadt für die türkischen Zeitungen. Damals Ende der 60er und Anfang
der 70er war die Technik nicht so weit, die Filme mussten von Istanbul
herüber geflogen werden. Die Wahl fiel auf Frankfurt als zentralen Ort.
- Heute kommt der Mantelteil aus der Türkei, hier werden spezielle
Deutschland- und Europaseiten produziert. Der westeuropäische markt wird
aus Deutschland beliefert.
- Ende der 60er Jahre kam als erste türkische Tageszeitung ‚Akşam (Der
Abend) in den Markt, konnte aber nicht Fuss fassen. Aber weitere Zeitungen
folgten: 1971 Tercüman und Hürriyet, 1972 Milliyet, 1973 Milli Gazete. 1987
folgte Türkiye und 1991 Zaman, die zuvor vor 5 Jahren 1986 gegründet
wurde. 1995 kamen noch Evrensel und Özgür Politika. Letztere gilt als
Sprachrohr der verbotenen PKK (Verfassungsschutzbericht). Es gibt
insgesamt 9 überregionale türkische Zeitungen in Deutschland.
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Tagung
„Was guckst Du? Der Islam in
den Medien“
vom 16.-18.11.2007
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- 2005 wurde die Zeitung Vakit und Özgür Politika verboten, letztere wurde
kurze Zeit später unter ähnlichem Namen wieder veröffentlicht.
- Die taz startete 2000 die Wochenbeilage Perşembe in türkischer Sprache,
musste aber nach einem Jahr aufgeben.
- 80er Jahre waren geprägt von intensiver Videokonsum mit Filmen aus der
Türkei. Die Köln Radyosu oder die Sendungen im ZDF samstags, die durch
die Woche hindurch sehnsüchtig erwartet wurde, reichten nicht aus.
- 5. Mai 1990 ging der erste türkische Privatsender Star Tv in Sendung:
Anfang einer kleinen Medienrevolution. Danach kam der Videomarkt zum
Erliegen, Köln Radyosu verlor rapide an Bedeutung.
- Heute zahlen an die 700.000 türkischen Haushalte jährlich 120 Millionen
GEZ-Gebühr, aber Türkische Migranten haben in Rundfunkräten keine
Vertretung, ihre Bedürfnisse werden nur unzureichend berücksichtigt.
III. Heutige Situation
- Der Zeitungsmarkt ist gesättigt, neue Versuche der Etablierung in
Deutschland sind gescheitert. Bsp. Tercüman, Yeni Şafak, Ortadoğu, Star.
- Die Zahl der türkischen Journalisten 130 türkische Journalisten.
- Die Auflagenzahlen gehen stark zurück. Heute liegt die Auflagenhöhe
türkischer Zeitungen unter der 100.000-Marke. (In Deutschland: Hürriyet:
33.000, Zaman: 27.000). Zum Vergleich: FES-Veranstaltung am 19.11.1997,
Yüksel Pazarkaya: Die türkischen Zeitungen wie Hürriyet, Milliyet, Sabah
und Türkiye verkaufen in Deutschland 200.000 Zeitungen, erreichen eine
halbe Million Leser.
- Türkische Zeitungen haben kein Monopol auf türkische Leser, werden in
ihrer Bedeutung überschätzt. Denn, Untersuchung vom November 2002
zum Leseverhalten der Türken kam zu folgendem Ergebnis:
17% lesen nur türkische Zeitungen
17% nur deutsche Zeitungen
12% deutsche und türkische Zeitungen UND
54% lesen keine Zeitungen.
Danach erreichen deutsche Zeitungen mehr Leser (29%) als türkische (12%),
wobei die Mehrzahl nicht erreicht wird.
- Mediengettoisierung fand nicht statt (KAS: Türkische Medien in
Deutschland vom Juli 2007).
- Warum gehen die Zahlen zurück? Meine Vermutung: Rückgang der
Türkisch-Kenntnisse der jüngeren Generationen, weniger Türkeibezug…
Aber auch: Türkische Medien bleiben hinter der gesellschaftlichen
Entwicklung zurück. Mangelnde Einstellung zu Lesern. Der Gastarbeiter,
der sprachunkundig ist und dem alles erklärt werden muss, ist als Leser
irrelevant geworden. Bis von einigen Jahren beschränkte sich die
hauptsächliche Arbeit vieler türkischer Redaktionsmitglieder auf reine
Übertragung deutscher Meldungen.
IV. Was ist und was will Zaman?
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„Was guckst Du? Der Islam in
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- 1986 gegründet. Auflage in der Türkei auf 700.000-Marke gestiegen. Z. Z.
Leser-Anwerbe-Kampagne. Ziel 1-Mio-Marke.
- Auf faire, ausgewogene Berichterstattung bedacht, trennt scharf zwischen
Meinung und Meldung. Keine Sensationsjournalismus. Geniesst Vertrauen
von weiten Kreisen.
- Linie wird unterschiedlich definiert: wertkonservativ, konservativ und
liberal, islamisch.
- Zu Zaman Kolumnisten gehören: Etyen Mahçupyan (türkischer Armenier),
Herkül Milas (Grieche), Ali Bulaç (gilt islamisch), Şahin Alpay (liberal), Nihal
Bengisu Karaca (kopftuchtragend), Elif Şafak (Romane auch in deutsch).
- Meine Meinung: wertkonservativ und liberal mit islamischem Hintergrund.
Wobei: Man muss vorsichtig sein mit solchen Beschreibungen:
Hürriyet (Slogan: Türkei gehört den Türken), heisst Freiheit und gilt als
nationalistisch, Milliyet heisst Nationalität, gilt aber als linksliberal, Radikal
gilt als liberal, Fanatik ist eine Sportzeitung. Aber sie gehören alle der
Doğan-Gruppe und diese Bindung scheint stärker zu sein als ihre Linien.
Beispiel CHP aus der Politik. Sie gilt als links und sozialdemokratisch, hat
aber mit europäischen Parteien nicht viel gemein.
- Druckorte von Zaman ausserhalb der Türkei: Nordzypern, Bulgarien,
Rumänien, Makedonien, Deutschland, Aserbaidschan, Baschkurdistan,
Tatarstan, Kasachstan, Turkmenistan, Australien und USA. Erscheint
insgesamt in 14 Sprachen und zwei Alphabeten (lateinisch und kyrillisch).
- Zur Familie gehören noch: Today’s Zaman (englisch), Aksiyon
(Wöchentliche Nachrichtenmagazin), Sızıntı (Monatszeitschrift, 700.000
Abonnenten), da (Diyalog Avrasya, Zeitschrift, russisch-türkisch),
Samanyolu TV, Samanyolu Haber (reiner Nachrichtenkanal), Mehtap
(Kulturkanal), Yumurcak (Kinderkanal), Ebru (USA, englisch). In
Deutschland noch: Zukunft (monatlich).
- In Deutschland haben wir als schreibende Mitarbeiter einen Russen, eine
Tatarin und einen Kirgisen. In Samanyolu Avrupa und Zukunft haben wir
auch deutsche Mitarbeiter.
- KAS-Bericht: “Es ist nicht vollkommen klar, wie eng die Verbindung
zwischen der Fethullah Gülen Bewegung und der Zaman wirklich sind. Da
die Zeitung in intellektuellen türkischen Kreisen in Deutschland gerne
gelesen wird, sollte man sie zur Kenntnis nehmen und als Politiker keinen
Bogen um sie machen. Es empfiehlt sich bei Kontakten zu Zaman – genau
wie bei der Hürriyet – nur eine gewisse Vorsicht walten zu lassen.”
- Verbindung zu Fethullah Gülen: Rief eine Bildungsbewegung hervor,
islamisch inspiriert. Zaman wird auch getragen von dieser Bewegung.
Weltweit gibt es viele Schulen von den USA über Südafrika, Nordirak (8
Schulen, 2 Schulen und eine Uni geplant, Grundstück für Uni von der
regionalen kurdischen Verwaltung zugewiesen) bis zu Mongolei und den
Philippinen. Schulen geben keine religiöse Erziehung, u.a. Englisch und
Türkisch beigebracht. Zaman schätzt und respektiert Ideen von Fethullah
Gülen, aber Gülen als Person in die Zeitung nicht eingebunden. Es gibt eine
Doktorarbeit von Bekim Agai: Keine rein türkische Bewegung, wird
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„Was guckst Du? Der Islam in
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beispielsweise in Albanien von Albaniern weitergetragen. Es ist auch nicht
staatlich und allein islamisch.
- Die Bewegung zur zweifachen Öffnung der türkischen Gesellschaft
beigetragen: Zum einen zur Öffnung zum Dialog mit den nichtislamischen
Minderheiten in der Türkei, zum anderen zur Öffnung der türkischen
Gesellschaft nach aussen.
- Zaman in Deutschland unterstützt Integration (nicht Assimilation ! ), auf
ausgewogene Berichterstattung bedacht, verstehen uns nicht als Anwälte
der Türken, wenn Türken mit Gesetzen in Konflikt geraten, stehen wir auf
der Seite des Gesetzes, möchten eine gleichberechtigte Partizipation an der
Gesellschaft.
- Samanyolu macht sehr viele Programme (8) aus Deutschland, die auch in
der Türkei gesehen wird von Zuschauern, die mit ihrer Antenne unsere
Version von Samanyolu sehen. Darunter machen wir auch eine Art kleine
Presseclub, wo wir jeden Sonntag als Redaktionsmitglieder die Ereignisse der
Woche kommentieren.
V. Sind wir eine Brücke zwischen den Kulturen?
- Medien sind als solche Brücken, da sie zur Übertragung dienen. Die Frage
ist, was sie übertragen, wozu sie als Brücke dienen.
- Die deutschen Medien tragen überwiegend nicht zur Verständigung, zur
Annäherung der Menschen in Deutschland. Wie anders ist zu erklären, dass
98% der Deutschen den Islam mit Terror verbinden.
- Aber die Medien spielen nicht die einzige Rolle, sie dienen nur als Brücke.
Auch die Politik (Innenminister, Verfassungsschutzberichte) oder aber auch
Kulturschaffende (Kleine schwedische Karikaturenkrise, Lars Vils) tragen
dazu bei.
- Die Kategorien werden bei Muslimen durcheinander gemischt, soziale
Probleme werden als religiöse, religiöse als politische usw. behandelt.
- Das ist für uns auch ein Problem. Wir verfolgen die überregionalen
Zeitungen, achten besonders auf Themen mit Türkei- und Islam-Bezug,
welche überwiegend negativ sind. Dadurch werden wir negativ beeinflusst,
weil wir ein einseitiges, negatives Bild, nicht realitätsgerechtes DeutschlandBild vermittelt bekommen, das wir auch sehr häufig nicht durch direkte
Kontakte und Zusammenkünfte korrigieren können.
- Problem: Deutsche Integrationspolitik gleicht dem Versuch der Quadratur
des Kreises: Zu starke Betonung der Sprache. Aber: Über 80% der Türken
haben keine Deutschprobleme, viele haben auch – trotzdem – keine
deutschen Freunde.
- Meine These: Sprache ist wichtig, aber nicht das A und O der Integration.
Es fehlt die Empathie, Gefühl, die Emotionen. Jakob Wassermann (Mein
Weg als Deutscher und Jude, Berlin 1921 – Liest sich wie ein Dokument von
heute, viele Erfahrungen kann man nachvollziehen): „Er (Der Deutsche, ik)
hat durch seine Überheblichkeit im Entstehen vernichtet, was sicherlich
einmal bestimmt war, ihn reicher, voller, ausgeglichener zu machen. Er
hätte Erbe eines blühenden Besitzes sein können; jetzt wächst ihm,
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bestenfalls, ein geplünderter zu. Liebe zu erwecken hat er nirgends
verstanden, so auch hier nicht. Er achtet die Herzen nicht, er zertritt sie
plump, indem er ihnen Vorschrift einbläut.“ (Vielleicht zu hart, aber
Richtung stimmt, so mein Eindruck).
- Anerkennung ein zentraler menschlicher Bedürfnis. Aber wo bleibt die
Anerkennung für junge Türken und Muslime? Wie Michael Lüders schreibt
(Allahs langer Schatten, S. 217): „Ein Türke in Deutschland hingegen wird
auch in der dritten und vierten Generation in erster Linie als Türke gesehen.
Mit Respekt oder Sympathie für seine Kultur darf er nicht rechnen.“ (Der
erste Teil stört mich nicht. Ich habe kein Problem damit, wenn wir auch
weiterhin als Türken angesehen werden).
- Und; ich stimme der These von Wilhelm Heitmeyer zu, der am 13. 11. 2007
in Frankfurt bei einer Podiumsdiskussion gesagt hat: „Integration hat auch
was mit Anerkennung zu tun. Die Kernfrage der Zukunft in Deutschland ist:
Wie kommen wir zu einer Kultur der Anerkennung.
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