Nicolas G.Hayek
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Nicolas G.Hayek
Liebe Freunde und Kenner edler Zeitmesser, Quai de l’Horloge 39, Paris. An dieser Adresse auf der Ile de la Cité eröffnete Abraham-Louis Breguet 1775 eine Uhrmacherwerkstatt. Sie war nicht nur der Ort, wo die für Marie-Antoinette, Napoleon, die Königin von Neapel, Zar Alexander I., König Georg IV. von England und andere bedeutende Persönlichkeiten angefertigten Zeitmesser das Licht der Welt erblickten, sie war auch die Wiege bemerkenswerter technischer und ästhetischer Erfindungen, darunter das Tourbillon, die Breguet-Spiralfeder, die Pare-chute-Stoßsicherung, die guillochierten Zifferblätter, die Pomme- oder Breguetzeiger und die Breguetziffern, die heute noch zu den Meilensteinen der Uhrmacherkunst gehören. Wir haben beschlossen, unserer Geschichte und unserem Erbe die Ehre zu erweisen, indem wir als Titel unserer Publikation diese prestigereiche Adresse wählten. Dieser Link zum bedeutendsten Erbe der gesamten Uhrmacherkunst inspiriert selbstverständlich das heutige Schaffen von Breguet. Tradition und Erbe machen jedoch nur Sinn, wenn sie in einem historischen Kontext stehen. Abraham-Louis Breguet war der größte Uhrmacher aller Zeiten und mit seiner schöpferischen Kraft nicht nur seiner Zeit, sondern auch den folgenden Jahrhunderten weit voraus. Wenn wir uns von der Vergangenheit und diesem Erbe inspirieren lassen, bedeutet das allerdings nicht, dass wir einfach Breguets Entwicklungen und Konstruktionen in einem modernen Gewand neu auflegen. Wie der Gründer unseres Hauses widmen wir uns ebenso leidenschaftlich wie unermüdlich der Forschung und Entwicklung im Dienst der Innovation. Das ist das wahre Erbe von Abra- ham-Louis Breguet, eine nie endende Suche, um die Grenzen der Uhrmacherkunst zu erweitern. Quai de l’Horloge möchte Ihnen eine attraktive Auswahl an Beiträgen bieten, die einerseits über das Leben und die Epoche unseres Markengründers sowie seine zahlreichen Meisterwerke berichten und andererseits über das Haus Breguet und seine heutige führende Rolle im Spitzensegment der Uhrmacherkunst informieren. Jede Ausgabe widmet sich jeweils den historischen und den modernen uhrmacherischen Abenteuern. Wie im Leben werfen wir einen Blick zurück in die Vergangenheit und vorwärts in die Zukunft. Diese erste Ausgabe von Quai de l’Horloge enthält eine Hommage an meinen verstorbenen Großvater, Nicolas G. Hayek. Seine außergewöhnliche unternehmerische Laufbahn fand in den Medien großes Echo. Weniger bekannt ist seine persönliche Beziehung zu Breguet und die Art und Weise, wie er uns dahin führte, wo wir heute stehen. Sein unerschöpflicher Elan, den er auf Breguet übertrug, ist in den Neukreationen Hora Mundi, Type XXII und Réveil Musical verkörpert. Jeder dieser Zeitmesser, denen ein eigener Artikel gewidmet ist, zeichnet sich durch bemerkenswerte uhrmacherische Fortschritte aus. Unsere lange Geschichte ist natürlich ebenfalls einen Beitrag wert. Ich hoffe, dass auch das Porträt von Caroline Murat, der Schwester Napoleons und Königin von Neapel, Ihr Interesse findet. Sie war eine glühende Bewunderin von Breguet, der die erste jemals hergestellte Armbanduhr der Welt um ihr Handgelenk legte. Und last, not least werfen wir einen Blick auf das Leben von Marie-Antoinette und ihr Privatschlösschen Petit Trianon. Mit freundlichen Grüßen Marc A. Hayek, Präsident und CEO der Montres Breguet SA 2 3 INHALT Inhalt 1.Nicolas G. Hayek „Ein außergewöhnliches Abenteuer“ 2.Classique Hora Mundi 19 3. Die erste Armbanduhr 33 4. Die neue Limite: 10 Hertz 41 5. Die Guilloche 53 6. Das Petit Trianon 71 7. Der Réveil Musical 85 8. Breguet im Schweizerischen Nationalmuseum 4 7 98 5 NICOLAS G. HAYEK Nicolas G.Hayek „Ein außergewöhnliches Abenteuer“ Von Jeffrey S. Kingston 6 7 NICOLAS G. HAYEK V isionäre sind eine seltene Spezies. Überlegen Sie mal, was es wirklich heißt, ein Visionär zu sein … Da ist zunächst einmal das schöpferische Genie, die Fähigkeit, das menschliche Streben voranzubringen, und zwar nicht nur schrittweise, sondern in gewaltigen Größenordnungen. Doch wie hochfliegend der kreative Geist auch sein mag, Visionäre agieren auf einer noch höheren Ebene. Denn ein Visionär verfügt nicht nur über schöpferisches Genie, sondern über eine Weitsicht, die uns Normalsterblichen abgeht. Visionäre sehen voraus, wie man dieses Genie am besten nutzt, um ein völlig neues Unternehmen aufzubauen oder eine Institution, ja einen ganzen Industriesektor vor dem Untergang zu retten und wieder auf Vordermann zu bringen. ◆◆◆ Nur wenige Unternehmen können von sich behaupten, in ihrer Firmengeschichte je mit einem Visionär gesegnet worden zu sein. Das Haus Breguet hingegen kann sich glücklich schätzen, in den nun 236 Jahren seines Bestehens gleich von zwei Visionären profitiert zu haben: seinem Gründer Abraham-Louis Breguet und seinem Retter Nicolas G. Hayek. Natürlich haben die heute bei Breguet tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Abraham-Louis Breguet nie persönlich gekannt. Fast alle haben jedoch mit Nicolas G. Hayek zusammengearbeitet. Falls Sie eines Tages Gelegenheit haben, die Werkstätten der Manufaktur zu besuchen, werden Sie zweifellos überrascht sein, wie omnipräsent Nicolas G. Hayek auch noch Monate nach seinem Tod in den Büros, Ateliers, Werkhallen und auf den Werkbänken der Uhrmacher in Form von Fotografien ist. Der „Senior“ – wie er gern genannt wurde, um ihn von seinem Sohn Nick Hayek junior und seinem Enkel Marc A. Hayek zu unterscheiden – macht den Eindruck, nach wie vor quicklebendig zu sein und den Betrieb zu führen. Seine Präsenz ist jedoch nicht von oben gesteuert, die Direktion hat dies8 bezüglich keine Weisung erlassen. Doch die Breguet-Mitarbeiter sind von Nicolas G. Hayek senior und dessen Leben derart berührt, dass sie die Erinnerung an ihn durch sein Porträt am Arbeitsplatz wachhalten wollen. Beim plötzlichen Ableben von Nicolas G. Hayek lobten die internationalen Medien, die Fach- ebenso wie die allgemeine Presse einhellig seine Verdienste. Nachdem er 1957 eine erfolgreiche Firma für Unternehmensberatung gegründet hatte, wurde er 1980 von einem Schweizer Bankenkonsortium beauftragt, die beiden Uhrenkonzerne SSIH und ASUAG zu liquidieren, die wie die ganze Schweizer Uhrenindustrie unter massiven finanziellen Schwierigkeiten litten. Doch statt wie vorgesehen die unumgänglich erscheinende Liquidation einzuleiten, schmiedete der Senior einen Restrukturierungs- und Fusionierungsplan, der ihren Fortbestand ermöglichen sollte. Nachdem die Reorganisation durchgeführt worden war, erwarb er zusammen mit einer Investorengruppe das frisch fusionierte Unternehmen: Die SMH war geboren. Die heute unter der Bezeichnung Swatch Group bekannte SMH hat nicht nur die legendäre Swatch hervorgebracht, sie wurde außerdem zur Konzern9 NICOLAS G. HAYEK NUR WENIGE GESCHÄFTLICHE KARRIEREN WURDEN SO GEFEIERT. So bekannt die Leistungen von Nicolas G. Hayek sind, die Einzelheiten seines Engagements für Breguet kennen nur wenige. mutter zahlreicher berühmter Uhrenmarken wie Breguet, Blancpain, Omega, Jaquet Droz, Longines und Glashütte Original, um nur einige zu nennen. Sie alle wurden von ihm gehegt und gepflegt, doch Breguet eroberte im Herzen des Seniors einen Vorzugsplatz. Während die Medien die weitsichtige Rettung der SSIH und ASUAG – die der gesamten Uhrenindustrie den Weg zum Wiederaufschwung aufzeigte – ausführlich lobten und über seine spektakulären späteren finanziellen Erfolge berichteten, blieb die Art und Weise, wie er die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Breguet inspirierte und gemeinsam mit ihnen die Renaissance dieser Marke schaffte, weitgehend unerwähnt. Da also die Finanzpresse die geschäftlichen Erfolge des Seniors detailliert beleuchtete, sich über seine Rolle an der Spitze von Breguet jedoch eher ausschwieg, fragt man sich, wie und wo diese Geschichte zu finden ist. Bestimmt nicht in den Printmedien. Sein echtes Porträt zeichnet sich nach und nach im Gespräch mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ab. Vergessen Sie alle üblichen Vorstellungen eines unnahbaren Industriekapitäns, der sein PenthouseBüro kaum verlässt, eifrig bewacht von unerbittlichen Chefsekretärinnen und Assistenten, die Türen und Telefonanrufe wie Zerberusse kontrollieren und nur einigen Auserwählten Zutritt ins Allerheiligste gewähren. Denn der Senior setzte sich im direkten Kontakt mit allen BreguetTeams voll und ganz für das Unternehmen ein. Die Entstehungsgeschichte der Modelllinie Tradition ist ein ausgezeichnetes Beispiel für die Hingabe, mit der er jede Breguet-Uhr bis ins kleinste Detail begleitete, und wie 10 er die Teams zu Bestleistungen anspornte. Es ist kein Geheimnis, dass klassische Uhren branchenweit im Trend liegen; die Entwicklungsteams durchforsten auf der Suche nach alten Zeitmessern, die kopiert werden können, offenbar sämtliche Archive und Museen. Die Entwickler der Linie Tradition waren sich bewusst, dass andere ihren Spuren folgen würden. Doch der Senior riet seinen Mitarbeitern gleich zu Beginn: „Vergesst die Vergangenheit, macht aus der Tradition keine Kopie.“ Er suchte eine größere Herausforderung: Der Geist der Vergangenheit sollte eingefangen, aber nicht sklavisch kopiert werden. Allmählich wuchs die Begeisterung über das, was da Form annahm: eine moderne Uhr mit einer Titanunruh – was sonst? – und dennoch ein Stück mit einem mehr als zweihundertjährigen genetischen Fingerabdruck. Der entscheidende Augenblick kam, als Nicolas G. Hayek die atemberaubende Schönheit des Uhrwerks der Tradition entdeckte. Das Team erinnert sich, wie sich der Senior vor Freude über das neue Kaliber die Hände rieb: „Ist das nicht ein außergewöhnliches, einzigartiges Abenteuer, was wir da erleben?!“ Sekunden später war ihm klar: Ein Mechanismus von derart schöner Schlichtheit durfte nicht hinter einem konventionellen Zifferblatt verborgen werden. Deshalb wies der Senior sein Team, die Uhr mit einem kleinen Zifferblatt auszustatten, um möglichst viel Einblick in das prachtvolle Uhrwerk zu gewähren. Grenzenlosen Enthusiasmus an den Tag zu legen, wenn das Unternehmen erfolgreich arbeitet, ist eine Sache; eine ganz andere ist es, diesen Optimismus in Zeiten globaler Finanzkrisen zu bewahren. Der Senior führte nicht nur Breguet und die anderen Marken seines Konzerns auf diese Weise durch die düstersten Tage der Panik, er beeinflusste die gesamte Uhrenindustrie, als er sein Vertrauen in einen kommenden Aufschwung durch die Ankündigung bekräftigte, wegen der Krise keinen einzigen Mitarbeiter zu entlassen. Andere Firmen dieses Sektors, denen dieser Optimismus und diese Durchhaltekraft abgingen, strichen angesichts des Sturms die Segel und bauten Personal ab, einige reduzierten die Zahl der Uhrmacher gar auf die Hälfte. Der Senior begnügte sich indessen nicht damit, die Breguet-Belegschaft nur durch seine positive Einstellung und seinen visionären Geist zu unterstützen. Er stärkte ihre Zuversicht mit dem überzeugenden Argument, das Haus Breguet habe schließlich auch den turbulenten Zeiten ◆ Nicolas G. Hayek und die Uhr Marie-Antoinette. 11 NICOLAS G. HAYEK der Französischen Revolution getrotzt. Abraham-Louis Breguet gelang es damals, den Betrieb erfolgreich über die Runden zu bringen – sogar während der kurzen Zeit, die er aus Sicherheitsgründen in der Schweiz verbrachte –, ja er konzipierte in diesen dunklen, unruhigen Tagen sogar den Tourbillon-mechanismus. Man stelle sich vor: Seine berühmteste Komplikation, die in der Uhrmacherkunst noch heute einen besonderen Stellenwert hat und als unübertroffen raffinierte Konstruktion gilt, wurde in einer Zeit entwickelt, in der die feudale Gesellschaftsordnung gestürzt wurde und die Köpfe rollten. Der Senior verstand diese historische Episode als Lehrstück für die Krise von 2008. Er machte allen klar, dass der Mut, der Abraham-Louis Breguet bewog, mitten in den nachrevolutionären Wirren einen Geniestreich wie das Tourbillon zu erfinden, am besten dadurch gewürdigt werde, während der Bankenkrise mit unverändertem Tempo die Innovation voranzutreiben. MARIE-ANTOINETTE, EIN UNVERGLEICHLICHES PROJEKT. Noch nie in der Geschichte der Uhrmacherkunst ist ein derart ehrgeiziges Projekt wie die Neuerschaffung der Uhr Marie-Antoinette von Breguet verwirklicht worden. Vier Jahre für die Herstellung einer Uhr, die nie verkauft werden wird! 12 Der Senior erkannte zudem schon früh die Bedeutung des Tourbillons für die Marke Breguet. Denn AbrahamLouis Breguet hatte ja nicht nur das Tourbillon, sondern auch den Namen erfunden, mit dem diese Vorrichtung für die Schwerkraftkompensation seither in der Lingua franca der Uhrenbranche bezeichnet wird. Angesichts dieses bedeutenden Erbes entschied der Senior, den Tourbillonuhren in den Breguet-Kollektionen stets einen Ehrenplatz einzuräumen. Folglich lenkte er das Augenmerk seiner Uhrmacherteams nicht bloß auf die Entwicklung neuer Varianten bereits bestehender Breguet-Tourbillons, sondern trieb sie an, noch raffiniertere Tourbillondesigns zu kreieren. Daraus resultierten die Tourbillonuhr Nr. 7047PT der Linie Tradition, die mit zahlreichen Innovationen wie einem Titankäfig, einer Spiralfeder und Hemmung aus Silizium sowie einer Kraftübertragung mittels Schnecke und Kette ausgestattet ist, sowie die Grande Classique mit drehendem Doppeltourbillon, in der zwei unabhängige Tourbillons durch ein Differential gekoppelt sind. Dieses leitet ihre mittlere Ganggeschwindigkeit auf die zentrale rotierende Scheibe weiter, in die die Tourbillons eingebaut sind, wobei ihre Brücke als Stundenzeiger dient. Das Marie-Antoinette-Projekt ist ein weiteres Beispiel dafür, wie sein ausgeprägtes Interesse für die Geschichte von Breguet den Senior an neue Herausforderungen heranführte. Die Uhr von Marie-Antoinette war Abraham-Louis Breguets wahrscheinlich ehrgeizigstes Projekt gewesen. Im Auftrag eines Gardeoffiziers der Königin – möglicherweise einer ihrer glühendsten Verehrer, doch vielleicht auch nur ein Mittelsmann – begann Abraham-Louis Breguet 1783 mit dem Bau einer Uhr, die „alle damals bekannten Komplikationen“ enthalten und „wo immer möglich aus Gold bestehen“ sollte. Nach langen Unterbrechungen wurde sie erst mehr als 44 Jahre später, 1827, vier Jahre nach dem Tod von Abraham-Louis, durch seinen Sohn und dessen Mitarbeiter vollendet. Die Uhr Nr. 160, heute allgemein unter der Bezeichnung „Marie-Antoinette“ bekannt, gehört zu den kompliziertesten Zeitmessern, die je angefertigt wurden. Konkret enthält die Uhr mit Automatikaufzug, Ankerhemmung, goldener Spiralfeder mit Breguet-Endkrümmung und doppelter Pare-chute-Stoßsicherung die Komplikationen Minutenrepetition, ewiger Kalender, Zeitgleichung, Anzeige der Gangreserve, metallisches Thermometer, große unabhängige und ständige kleine Sekunde. Doch damit nicht genug: Breguets Entscheid, das Zifferblatt aus Bergkristall anzufertigen, damit der ganze Mechanismus sichtbar bleibt, beweist, dass er ein echter Neuerer war. Transparente Zifferblätter, welche die Oberseite des Uhrwerks zeigen, sind eine gestalterische Idee, die sich erst in den letzten fünf Jahren so richtig durchgesetzt hat. Breguet war also seiner Zeit rund zweihundert Jahre voraus! Dieser unvergleichliche Zeitmesser ging durch mehrere Hände, bevor er dem Museum Mayer ◆ Nicolas G. Hayek und sein Enkel Marc A. Hayek. in Israel vermacht wurde. Dort wurde er zusammen mit einer ganzen Uhrensammlung gestohlen und galt danach für immer als verschwunden. Das weckte in Nicolas G. Hayek den Wunsch, das Meisterwerk mit all seinen außergewöhnlichen Eigenschaften neu zu erschaffen. Die Rekonstruktion der „Marie-Antoinette“ erfüllte in jeder Hinsicht das Verlangen des Seniors, „außergewöhnliche Abenteuer zu erleben“. Das ehrgeizige Projekt war ein geradezu gigantisches Unternehmen. Der Bau jeder sehr komplizierten Uhr erfordert herkulische Anstrengungen und seltene Fachkenntnisse. Doch die „Marie-Antoinette“ nachzubauen verlangte noch wesentlich mehr, da die Uhr ja bis ins kleinste Detail dem legendären historischen Modell entsprechen musste. Wie sich sein Enkel Marc Hayek erinnert, war es erneut der Weitblick des Seniors, der dem Breguet-Team den Weg wies. Er war überzeugt, die Manufaktur Breguet könne dank der modernen Technologien, 13 NICOLAS G. HAYEK die ihr heute zur Verfügung stehen, Uhren realisieren, die sich Abraham-Louis Breguet nicht einmal hätte vorstellen können. Und er war auch der Meinung, sie müsse bei allem Respekt vor ihrem Gründer die Uhrmacherkunst durch den Einsatz dieser Hightech-Verfahren weiterentwickeln. Gleichzeitig war es für das Unternehmen Ehrensache, zu beweisen, dass es an der Spitze der heutigen Uhrmacherkunst steht und über das notwendige Savoir-faire verfügt, um das geniale Werk Breguets nachzubauen. Dieser Syllogismus bewirkte, dass das mit dem Nachbau beauftragte Uhrmacherteam von Breguet fieberhaft nach sämtlichen Abbildungen und Beschreibungen der Marie-AntoinetteUhr suchte, um eine präzise Vorstellung von ihr zu erhalten. Hunderte von Komponenten wurden minutiös von Hand angefertigt. Jede Anzeige und jede Komplikation musste auf die genau gleiche Weise geformt werden und funktionieren wie beim historischen Stück. Die Arbeit ging zügig voran. Nach knapp vier Jahren, Ende 2007, war die Replik fertiggestellt, im Frühling 2008 wurde sie der Presse vorgestellt. ◆ Nicolas G. Hayek und sein Enkel Marc A. Hayek. 14 Was aber besonders beweist, in welchem Ausmaß der Senior Breguet als führende Manufaktur und Marke betrachtete, deren Pflicht als Branchenleader es sei, Projekte anzupacken, die für andere Unternehmen der Uhrenindustrie zu aufwendig, zu gewagt und zu ambitioniert wären, ist die Tatsache, dass er das Marie-AntoinetteAbenteuer startete, ohne sich zu entscheiden, ob die Uhr verkauft werden solle oder nicht. Das muss man sich mal vorstellen: Der Senior lancierte eines der schwierigsten und kostspieligsten Uhrenprojekte in der Geschichte der Uhrmacherei ohne klares kommerzielles Ziel! Und später, als das Werk Form anzunehmen begann, entschied er, die Uhr werde unter keinen Umständen verkauft. Als diese Neuigkeit durchsickerte, regnete es zuhauf Kaufangebote zu jedem Preis. Doch dies bestätigte dem Senior nur, wie richtig er mit seinem Beschluss lag. Diese Uhr war viel zu wichtig, um in irgendeinem Safe vor der Öffentlichkeit verborgen zu werden. Die legendäre „Marie-Antoinette“ sollte als Meilenstein in der Geschichte der Uhrenindustrie im Besitz von Breguet bleiben und für Museen und Sonderausstellungen zur Verfügung stehen, um die Neugier von Uhrmachern, Sammlern, Historikern und Uhrenliebhabern zu befriedigen. Für den Senior war das „außergewöhnliche Abenteuer“ der „Marie-Antoinette“ allerdings nicht mit dem Zeitmesser selbst zu Ende. Die Uhr brauchte eine Schatulle, die ihrer würdig war. Und ein Meisterwerk, das nie verkauft und nie einem potenziellen Käufer präsentiert würde, verdiente ein Schatzkästlein! Für ein so bemerkenswertes Stück genügten selbst die exquisitesten Präsentationskassetten der Breguet-Kollektionen nicht. Nicolas G. Hayek hatte einen großen Plan, der das wohl großartigste Projekt rund um eine Uhrenschatulle zur Folge hatte. Die Vorzeichen standen zunächst schlecht. Ende 1999 fegte der Jahrhundertsturm Lothar durch Frankreich und Europa. In Versailles wütete er besonders verheerend. Zu den Opfern zählte auch eine dreihundert Jahre alte Eiche im Park des Trianon, in deren Schatten Marie-Antoinette besonders gern geruht haben soll. Der Baum überlebte zwar schwer beschädigt, doch dann gab ihm der Hitzesommer 2003 den Rest: Das Urteil der Fachleute war unwiderruflich: Die Eiche musste gefällt werden. Als sich die Hiobsbotschaft bis in die Schweiz verbreitete, begann ein Gedanke Form anzunehmen. Warum nicht mit den Gärtnern von Versailles Verbindung aufnehmen und schauen, was sich machen lässt? Breguet schickte Vertreter nach Paris, um einen Teil der inzwischen gefällten Eiche zu erwerben. Die für heutige Zeiten ungewohnte Antwort des Obergärtners war kurz und bündig: Das Holz dieser Eiche wird nicht verkauft, aber Breguet kann sich selbstverständlich umsonst bedienen! Für die Schweizer Abgesandten war der Gedanke, das Holz einfach so zu nehmen, ihrem Naturell entspre15 NICOLAS G. HAYEK HAYEK ARBEITETE NICHT, ER AMÜSIERTE SICH ACHT BIS VIERZEHN STUNDEN PRO TAG. Nicolas G. Hayek packte alles mit Optimismus, Begeisterung und Zuversicht an und motivierte so seine Mitarbeiter, es ihm gleichzutun. chend unvorstellbar. Breguet musste das „unverkäufliche“ Holz in irgendeiner Form bezahlen. Der Ausweg aus der Sackgasse wurde gefunden, als Breguet vorschlug, „eine Schenkung für ein Renovationsprojekt in Versailles“ zu machen. Das Team machte sich auf den Heimweg, versehen mit einer Liste von Vorhaben – wie die Instandsetzung von Statuen und ähnlichem –, für die ein bescheidener Beitrag willkommen wäre. Doch der Senior konnte dieser Liste nichts abgewinnen. Das Team erinnert sich, wie seine Augen zu funkeln begannen, als er entschied, Breguet müsse wesentlich mehr tun. Eine kleine Renovierung für 10 000 Euro sei nicht interessant und wichtig genug, doch vielleicht die Restaurierung des ganzen Petit Trianon, ja, das würde zu Breguet passen. Außerdem erinnerte sich der Senior an seine Anfänge als Ingenieur und beschloss, Hayek Engineering werde kostenlos einen Spezialisten zur Verfügung stellen, der die Baustelle während drei Jahren einmal pro Woche besuchen werde. Als Gegenleistung für dieses ehrgeizige Vorhaben erhielt Breguet das Stammholz der Eiche. Damit war das Rohmaterial für die Prunkschatulle der Marie-Antoinette-Uhr gesichert: Der Schrein für dieses unverkäufliche Meisterwerk, das ursprünglich für die Königin bestimmt war, wurde aus dem Holz eines historisch ebenfalls mit ihr verbundenen Baumes gefertigt. Doch damit nicht genug: Die Kassette ist 16 außen mit einer getreuen Wiedergabe des Parketts im Schloss Petit Trianon geschmückt. Und obwohl Breguet es nicht hervorgehoben hat, sei hier doch erwähnt, dass diese Uhrenschatulle mit Sicherheit die teuerste ist, die es je gab! So bemerkenswert diese außergewöhnlichen Abenteuer auch sind, das Erbe des Seniors prosperiert ebenfalls wegen seiner weniger aufsehenerregenden Aktivitäten bei Breguet. Er setzte großen Wert auf die Inspiration und Kreativität seines Personals. Seiner Meinung nach waren Organigramme, Rapporte und Hierarchien Hindernisse, die den Zielen, die ihm am Herzen lagen, im Weg standen. Er zog es vor, eine Atmosphäre des ungezwungenen Austauschs und der Freiräume für die Kreativität zu schaffen. Er konnte sehr umsichtig und feinfühlig vorgehen, um eine Organisation nach seinen Grundsätzen aufzubauen. Ein Beispiel dafür ist die Aufgliederung der neuen BreguetManufaktur in L’Orient im Vallée de Joux. Statt Inseln zu schaffen, die gleichartige Funktionen zusammenfassen und von den andern isolieren, sorgte der Senior dafür, dass die unzähligen verschiedenen Tätigkeiten in einer Uhrenfabrik durchmischt wurden. Gibt es eine bessere Methode, um den Dialog zwischen Uhrwerkkonstrukteuren und Uhrmachern zu fördern, als ihre Arbeitsplätze direkt nebeneinander zu platzieren? Der Senior brauchte sich nicht um Organigramme und Ähnliches zu kümmern, weil er die Fähigkeit hatte, jedem Angestellten das Gefühl einer besonderen gegenseitigen Beziehung zu vermitteln. Selbstverständlich hatte diese Nähe einen Preis, denn er erwartete von allen, dass sie sich ebenso stark mit der Marke identifizierten wie er selbst. Und es gab wohl keine schlechtere Antwort auf seine Bitten als: „Ich habe keine Zeit.“ Seine Reaktion bestärkte das alte Axiom, man müsse einen viel beschäftigten Menschen beauftragen, wenn man etwas gut und schnell erledigt haben wolle. Beklagte sich jemand über zu viel Arbeit und Zeitnot, entgegnete er: „Okay, ich mache es selbst.“ Es war seine feste Überzeugung, der Schlüssel zum Erfolg liege in der Schnelligkeit, mit der man die anstehenden Aufgaben erledigt. Dieses Prinzip gab mitunter auch zu Scherzen Anlass. Als er das „Marie-Antoinette“Team 2005 drängte, Gas zu geben, schätzten die Uhrmacher ihren Zeitbedarf auf drei Jahre ein (es dauerte schließlich vier). Die Antwort des damals 77-jährigen Seniors: „Schauen Sie mich an. Wissen Sie, was drei Jahre für mich bedeuten? Für Sie ist das wenig, aber ich bin dann 80!“ In seinen Beziehungen zum Team gab es eine Art Yin und Yang. Er verlangte an einem Samstag telefonisch einen Bericht über die Entwicklung eines Marktes. Eine Minute später ließ er Blumen schicken als Dank für den ausgezeichneten Bericht. Wichtige Sitzungen mit den Breguet-Direktoren präsidierte er mit einer Fliegenklatsche in der Hand. Sie hatte eine Doppelfunktion. Die eine war selbstverständlich, die lästigen Brummer ins Jenseits zu befördern. Andererseits benutzte er sie, um die Sitzung zu leiten und gelegentlich damit auf den Tisch zu schlagen und so seinen Argumenten mehr Nachdruck zu verleihen. Am wichtigsten war jedoch vielleicht, dass seine Arbeit den Senior glücklich machte. Ja mehr als das. Wenn er zu seiner Arbeit befragt wurde, folgte jedes Mal die gleiche Antwort: „Ich arbeite nicht … Ich amüsiere mich acht bis vierzehn Stunden pro Tag.“ Führung durch Vorbild war seine Devise, um die Mitarbeiter zu motivieren. Die Freude, eine prächtige neue Uhr zu kreieren. Das Vergnügen, sie herzustellen. Und über all dem spannten sich wie ein Gewölbe Vertrauen und Optimismus. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum sein Geist in L’Abbaye (wo sich die Büros von Breguet befinden) und L’Orient (dem Standort der Manufaktur, wenige Autominuten davon entfernt) immer noch allgegenwärtig ist. Sein „außergewöhnliches Abenteuer“ geht weiter. Nicolas George Hayek (*19. Februar 1928 in Beirut, Libanon; † 28. Juni 2010 in Biel) 17 HORA MUNDI Classique HORA MUNDI Von Jeffrey S. Kingston 18 19 hora mundi E s gilt als gegeben und allgemein akzeptiert, dass jedes Element der Feinuhrmacherei von Präzision durchdrungen ist. Ja für viele ist Genauigkeit der Kern oder Nukleus der Haute Horlogerie. Tatsächlich zeichnet Präzision ja nicht nur die funktionellen Leistungen der edelsten mechanischen Zeitmesser aus, sondern hat auch entscheidenden Anteil an der Herstellung und Endbearbeitung jedes einzelnen Bestandteils der Uhr. Doch da ist auch noch eine dritte Dimension. Mehr als zwei Jahrhunderte Entwicklung der Uhrmacherkunst haben zu einer bemerkenswerten Genauigkeit bei der Beschreibung der Bauweise, Einzelteile und Funktionen der Uhr geführt. Spricht ein Uhrmacher beispielsweise von einem ewigen Kalender, weiß jeder andere Uhrmacher und jeder Uhrenkenner, was er damit meint. Die Regeln, was einen echten ewigen Kalender ausmacht, sind bestens bekannt und klar definiert. In anderen Worten: Die Uhrenfachsprache ist „präzise“. ◆◆◆ ◆ Hora Mundi in Rotgold mit dem Zifferblatt der Neuen Welt. 20 Doch so beruhigend es erscheinen mag, dass die Uhrensprache auf der Höhe der Zeit und der Zeitmesser ist: Bei den GMT- oder Zeitzonenuhren hat sie einen falschen Zungenschlag. Diese Ungenauigkeit ergibt sich aus der Tatsache, dass es generell zwei verschiedene Arten von GMT- oder Zeitzonenuhren gibt, die jedoch unterschiedslos mit diesen beiden Begriffen bezeichnet werden. Die erste Art betrifft eine Uhr, die für Vielreisende und vor allem Vielflieger entwickelt wurde. Die GMT- oder Zeitzonen-Komplikation dieses Typs bewahrt die Uhrzeit am Heimatort des Besitzers in einem Unterzifferblatt und erlaubt das schnelle Vor- oder Rückwärtsstellen des großen Stundenzeigers auf die Ortszeit der anderen Zeitzone, in der er sich gerade aufhält. Diese Anordnung der Komplikation ist völlig logisch. Ist der Träger der Uhr in eine andere Zeitzone als jene gereist, in der er meist lebt, etwa auf einem Flug von New York nach London, bewahrt die Uhr die Zeit in New York auf einem untergeordneten Ziffer- blatt (das meist eine 24-Stunden-Anzeige enthält oder damit gekoppelt ist). Auf dem Hauptzifferblatt verfügt der reisende Besitzer nach dem Richten über die aktuelle Lokalzeit, also die Zeit in London. Was ist die wichtigste Funktion der Uhr? Selbstverständlich die Anzeige dieser Londoner Ortszeit, und sie kann hier dank den großen Zeigern mit einem Blick abgelesen werden. Die Zeit zu Hause oder Home time ist weniger wichtig und kann kleiner angezeigt werden, braucht sie doch nur konsultiert zu werden, wenn er wissen will, wie früh oder spät es zu Hause in New York ist. Es gibt jedoch noch eine andere Art der GMT- oder Zeitzonenuhren als die eben beschriebene. Dieser Typ erlaubt dem Besitzer, eine Stadt pro Zeitzone rund um den Globus auszuwählen (höchstwahrscheinlich eine, die nicht der Zeitzone des aktuellen Aufenthaltsorts entspricht), um zu erfahren, wie spät es dort gerade ist. Da er 21 hora mundi sich nur über die aktuelle Zeit an einem anderen Ort bzw. in einer anderen Zeitzone informieren will, zeigt das Hauptzifferblatt weiterhin die Orts- oder Lokalzeit an seinem gegenwärtigen Aufenthaltsort an, während die mit der Städtescheibe gesuchte Zeit in der anderen Zeitzone auf untergeordnete Weise erscheint (entweder auf einem Unterzifferblatt oder mittels eines Drehrings, der mit den auf der Lünette aufgeführten Zeitzonenstädten synchronisiert ist, wenn das von Louis Cottier in den 1930er-Jahren entwickelte System verwendet wird). Ist der Träger der Uhr in New York und will wissen, wie spät es in London ist, bietet diese GMT-Uhr eine praktische Möglichkeit, unter Wahrung der New Yorker Ortszeit auf untergeordnete Weise die Zeit in London aufzurufen. Dieser zweite Typ der Zeitzonenuhr ist ideal als „Telefonuhr“, um zu vermeiden, dass der Gesprächspartner in der anderen Zeitzone aus dem Bett geholt oder während des Dinners gestört wird. Er eignet sich jedoch weit weniger auf Reisen, da man die dortige Ortszeit auf untergeordneten Anzeigen ablesen oder sonst die Uhr vollständig neu richten muss, um sie auf das Hauptzifferblatt zu holen. Leider vermengt die Uhrensprache diese beiden völlig unterschiedlichen Konzeptionen von GMT- oder Zeitzonenuhren, da beide Arten unterschiedslos als „GMT-“ oder „Zeitzonenuhren“ bezeichnet werden. Der Käufer kann sich nicht auf diese Bezeichnungen verlassen, um zu erfahren, welche Art der Anzeige eine bestimmte GMToder Zeitzonenuhr bietet. DAS FENSTER BEI 6 UHR ZEIGT, DASS ES SICH UM EINE UHR MIT ZWEI ZEITZONEN HANDELT. Auf den ersten Blick scheint die Hora Mundi eine Uhr mit einfacher Zeitanzeige Die Lösung für das Dilemma, ob eine bestimmte Zeitzonenuhr eher dem „Reise-Typ“ oder dem „Telefon-Typ“ entspricht, liegt sicherlich weder darin, ein neues Fachlexikon der Uhrmacherei zu veröffentlichen, noch ellenlange Beschreibungen von Uhren mit zwei Zeitzonenanzeigen zu veröffentlichen. Die ideale Lösung bietet vielmehr die 22 zu sein, hat sie doch nur ein Zeigerset. Das Fenster gibt einen Hinweis auf die Zusatzfunktion dieses Zeitmessers. 23 hora mundi ZWEI BELIEBIGE DER 24 ZEITZONEN WERDEN ABWECHSELND ANGEZEIGT. Sind die beiden Zeitzonen einmal eingestellt, wechselt die Anzeige der Uhr auf simplen Knopfdruck von der einen zur andern. neue Breguet Classique Hora Mundi. Weil diese Uhr mit einer Art mechanischem „Gedächtnis“ ausgestattet ist, kann sie einerseits die Ortszeit auf dem Hauptzifferblatt anzeigen (mit der Zeit zu Hause, die auf Wunsch gesehen werden kann) und ist damit die perfekte Personifizierung der echten Reiseuhr. Andererseits kann sie ebenfalls auf Wunsch auf demselben Zifferblatt die Zeit in einer beliebig wählbaren zweiten Zeitzone anzeigen und dann augenblicklich wieder auf die Zeit zu Hause wechseln. Damit ist sie die perfekte Verkörperung der „Telefonuhr“. Auf den ersten Blick sieht die Breguet Classique Hora Mundi keineswegs wie eine GMT- oder Zeitzonenuhr aus. Der Grund dafür: Neben der großen Sekunde verfügt sie nur über je einen Stunden- und Minutenzeiger. Ein Unterzifferblatt für eine zweite Zeitzone fehlt. Mit diesem Erscheinungsbild wirkt der Zeitmesser wie eine Uhr, die sich auf die bloße Zeitanzeige beschränkt. Diese ist jedoch mit einem mechanischen Gedächtnis unter dem Zifferblatt gekoppelt, das die Zeiten zweier verschiedener Zeitzonen bewahren kann. Drückt man die Krone mit integrierter Drückerfunktion bei 8 Uhr, wechseln die Zeiger von der einen im Zeitgedächtnis gespeicherten Zeitzonenzeit auf 24 die andere. Damit ist die Verwechslung zweier verschiedener Zeitanzeigen, der bisher alle herkömmlichen GMToder Zeitzonenuhren unterworfen waren, vollständig eliminiert. Seither ist auch die Frage gegenstandslos, ob die Uhr für einen Wechsel auf dem Haupt- oder eher auf einem Unterzifferblatt konzipiert wurde. Die Breguet Classique Hora Mundi erleichtert das Einstellen sowohl der Home time als auch der Zeit an irgendeinem anderen Punkt des Globus und zeigt auf Wunsch die Zeit in jeder beliebigen Zeitzone an, die der Träger zu sehen wünscht. Die Bedienung könnte nicht einfacher sein. Für die erste Zeitzone (wohl meist die Zeit zu Hause) zieht der Besitzer der Uhr die Krone bei 8 Uhr heraus und wählt durch Drehen im Fenster bei 6 Uhr die Stadt aus, die der eigenen Zeitzone entspricht. Nun stellt er mit der Hauptkrone bei 3 Uhr die aktuelle Uhrzeit ein und speichert diese Zeitzone durch Drücken der 8-Uhr-Krone. Danach kann er im 6-Uhr-Fenster eine beliebige andere der 24 Zeitzonenstädte auswählen und speichern, worauf die Uhr von diesem Punkt an auf Knopfdruck die Zeit in dieser ausgewählten Zeitzone anzeigt. Ist er inzwischen in diese Region gereist, bietet die Uhr eine ideale Ortszeitanzeige. Will er wissen, wie spät es zu Hause ist, genügt ein erneutes Drücken der 8-Uhr-Krone, um dank des mechanischen Gedächtnisses auf die dortige Zeit zu wechseln. Damit verfügt die Hora Mundi über das klassische funktionale Konzept einer Reiseuhr. Ist der Besitzer hingegen zu Hause geblieben und will nur die aktuelle Zeit in einer anderen Weltgegend kennen, wählt er mit der 8-Uhr-Krone einfach die entsprechende Stadt an, worauf die dortige Zeit erscheint. Bei erneutem Drücken kehrt die Anzeige zur Uhrzeit zu Hause zurück: die ideale Funktionsweise einer „Telefonuhr“. Noch nie zuvor hat eine Zeitzonenuhr eine so perfekte Anpassung an die beiden Paradigmen geboten. Das mechanische Gedächtnis, das diesen Durchbruch ermöglichte, entspricht in vielem der Chronographenkonstruktion. Eines der zentralen Bauteile eines klassischen Stoppuhrmechanismus ist ein sogenannter Herznocken. Wird ein Arm, in der Uhrensprache auch Hammer genannt, gegen den Herznocken gepresst, dreht sich der Letztere dank seiner logarithmischen Form stets in die Position, in der der Hammer im „Brustausschnitt“ ruht. In der Stoppuhr dienen Nocken und Hammer dem Rückstellen der Zählerzeiger auf null. In welcher Position sich der Herznocken auch befinden mag, sobald der Hammer schlägt, kehrt er in die vorprogrammierte Nullstellung zurück. In der Breguet Classique Hora Mundi sind zwei separate Herznocken am Werk, die beide mit je einem vom Räderwerk angetriebenen Rad verbunden sind. Wird im Fenster bei 6 Uhr eine Zeitzone gewählt, ändert sich die Position eines der beiden Nocken und dreht dessen Rad, bis der Hammer in seinem Ausschnitt sitzt. Wird der Kronendrücker erneut betätigt, schlägt das andere Ende des Hammers auf den zweiten Herznocken und dreht ihn mit dem Rad, bis er mit dem Hammer im Ausschnitt stehe bleibt. Bei jedem weiteren Drücken wechselt der Hammer zwischen den Nullstellungen der beiden Herznocken und damit zwischen den beiden programmierten Zeitzonen. DAS GEHEIMNIS DER HORA MUNDI: EIN MECHANISCHES GEDÄCHTNIS. Oben sind die wichtigsten Komponenten des mechanischen Gedächtnisses zu sehen; zwei Herznocken, der Hammer für den Wechsel der Zeitzonen und das mit dem Stundenzeiger gekoppelte Differential. Selbstverständlich ist das alles etwas komplizierter, als man aufgrund dieser vereinfachten Beschreibung glauben könnte, da die Zeiger sowohl vom Räderwerk als auch von den Herznocken aus jeder Position heraus angetrieben werden. Dies setzt bei der Zeigersteuerung ein Differential voraus, das die unterschiedlichen Drehbefehle des Räderwerks und der Nocken aufnimmt und kombiniert. Das System eines mechanischen Gedächtnisses für die Anzeige zweier verschiedener Zeitzonen in der Breguet 25 hora mundi Classique Hora Mundi ist für sich allein schon ein bemerkenswerter Fortschritt bei der Konstruktion von Zeitzonenuhren. Doch das ist nur die erste Hälfte ihrer raffinierten Funktionen. Da sind ja noch zwei andere höchst wichtige Anzeigen, die beim Zeitzonenwechsel eine Rolle spielen: das Datum und die Tag-Nacht-Anzeige. Damit eine Zeitzonenuhr wirklich nützlich ist, sollte sie das Datum in der neuen Zeitzone anzeigen (das will ich als Benutzer ja schließlich kennen) und angeben, ob es zu Hause Tag oder Nacht ist (ob ich jetzt nachmittags oder morgens um drei Uhr anrufe, ist ja doch ein gewaltiger Unterschied). Die Breguet Classique Hora Mundi wird beiden Erwartungen gerecht. Wechselt die Anzeige zwischen den beiden gespeicherten Zeiten, wechseln auch das Datum und die Tag-Nacht-Anzeige, sofern notwendig. Damit entspricht das Datum im Fenster bei 12 Uhr immer dem Datum der aktuellen Zeitanzeige, und im Tag-NachtFenster bei 4 Uhr erscheint dementsprechend eine Sonne oder ein Mond. Wie die Kenner von Reiseuhren wissen, ist es bei den meisten Modellen gar nicht einfach, Datum und neue Ortszeit in Einklang zu bringen. Denn obwohl eine neue Ortszeit eingestellt wird, kann das Datum noch den Vortag anzeigen. Oder anders gesagt: Damit das Datum immer richtig eingestellt werden kann, muss der Mechanismus den Datumwechsel vor- und rückwärts erlauben. Bei vielen Konstruktionsweisen kann man jedoch das Datum nur vorwärts verstellen, weshalb sie für einen schnellen Zeitzonenwechsel wie bei der Classique Hora Mundi nicht infrage kämen. Breguet musste deshalb hier eine Vorrichtung entwickeln, die das Vor- und Rückstellen des Datums ermöglichte. All diese Funktionen, die sämtliche Wünsche der Liebhaber in Sachen Reise- oder Telefonuhr erfüllen, mögen 26 27 hora mundi DREI ZIFFERBLATTVARIANTEN ZUR WAHL. Das raffiniert aufgebaute Zifferblatt der Hora Mundi ist mit einer Darstellung Asiens (Bild links), Europas oder Nord- und Südamerikas lieferbar. kompliziert erscheinen, wenn man sie beschreibt. Doch sie erweisen sich als sensationell einfach, sobald man die Uhr in der Hand hält. Zuerst wird der Benutzer die Zeit und das Datum in seiner Heimat-Zeitzone einstellen wollen. Durch Herausziehen und Vor- oder Rückwärtsdrehen der Krone bei 8 Uhr kann die dieser Zeitzone entsprechende Stadt im 6-Uhr-Fenster angewählt und durch Drücken der Krone gespeichert werden. Damit wird die erste Zeitzone gesetzt. Das Richten der Uhrzeit und des Datums erfolgt dann wie bei jeder anderen Uhr mit der Krone bei 3 Uhr. In Position 1 (ganz eingeschoben) dient sie dem Aufziehen des Automatikwerks, in Position 2 dem Einstellen des Datums und in Position 3 (ganz herausgezogen) dem Richten der Uhrzeit. Sind Zeit und Datum eingestellt, stimmen alle Anzeigen für die Zeit zu Hause. Will man wissen, wie spät es in einer anderen Zeitzone ist, zieht man einfach die Krone bei 8 Uhr heraus und dreht sie, bis die gewünschte Stadt im 6-Uhr-Fenster erscheint. Das Datum und die Tag-Nacht-Anzeige wechseln automatisch, wenn im Fenster Städte erscheinen, die genügend weit entfernten Zeitzonen entsprechen. Ist die gewünschte Stadt beziehungsweise Zeitzone gewählt und durch Drücken der Krone ebenfalls gespeichert, kann auf einfachste 28 29 hora mundi Weise zwischen den beiden Städten und ihren Zeitzonen gewechselt werden. Das Drücken der 8-Uhr-Krone spannt eine Feder, welche die oben erwähnten Herznocken und Hämmer aktiviert. Alle drei Anzeigen – Zeit, Datum und Tag-Nacht-Anzeige – sind synchronisiert und ändern, sofern notwendig. Über ihre revolutionären Zeitzonenfunktionen hinaus bietet die Classique Hora Mundi eine ästhetische Verfeinerung im Einklang mit der großen Tradition von Breguet. Das Zifferblatt hat vier Teile, von denen drei aus Gold sind: einen großen zentralen Bereich mit der Darstellung einer der großen Weltregionen; die Minutenskala und den Stundenkreis mit großen arabischen Ziffern sowie die zweiteilige Tag-Nacht-Anzeige mit einerseits handgravierten Wolken und andererseits einem Hintergrund aus Lapislazuli als einziger Komponente, die nicht aus Gold besteht. Der zentrale Bereich ist äußerst komplex aufgebaut. Er besteht zunächst aus einer Goldscheibe, die in einem ersten Schritt poliert wird, bevor sie in eine konvex gewölbte Form gebracht wird. Nachdem das Datumfenster ausgeschnitten und die Scheibe erneut poliert worden ist, fräst man im Laserverfahren die dargestellten Kontinente aus (angeboten wird die Uhr in drei Kontinentversionen: Nord- und Südamerika, Europa und Afrika, Asien und Ozeanien). Die Kontinentflächen werden anschließend sandgestrahlt und die Ozeane mit einem handguillochierten Wellendekor geschmückt. Schließlich trägt man mehrere Lackschichten für die Farbgebung auf. Zeitraubende Handarbeit ist auch für die Gestaltung des Wolkenbereichs der Tag-Nacht-Anzeige erforderlich, in den zusätzlich der Breguet-Schriftzug und die Uhrnummer eingraviert werden. Die Breguet Classique Hora Mundi ist erhältlich in 18 Karat Rotgold oder Platin 950. 30 31 DIE ERSTE ARMBANDUHR BREGUET SCHUF die erste Armbanduhr FÜR EINE KÖNIGIN Von Emmanuel Breguet ◆ Caroline Murat, Königin von Neapel, Gemälde von Baron François-Pascal Simon, Baron Gérard (1770–1837). 32 33 DIE ERSTE ARMBANDUHR V on allen Mitgliedern der Familie Bonaparte war Caroline Murat (1782–1839) die beste Kundin des Hauses Breguet. Die jüngste, eigentlich Annunziata getaufte Schwester Napoleons tätigte ihren ersten Kauf 1805, im Alter von 23 Jahren, und setzte dann die Erwerbungen bis 1814 in regelmäßigem Rhythmus fort. Die Frau, die 1800 Joachim Murat heiratete, damals Kommandant der konsularischen Garde, und mit ihrem Ehemann von 1808 bis 1815 das Königreich Neapel regierte, besaß nicht weniger als 34 Uhren und Pendülen von Breguet. Während der bewegten Regentschaft in Neapel förderte Caroline Murat die Künste, kümmerte sich um die Einrichtung der königlichen Paläste, interessierte sich für die archäologischen Ausgrabungen von Pompeji und Herculaneum und förderte die Entwicklung der frühindustriellen Fertigung. Sie ließ es sich zudem nicht nehmen, französische Maler wie Ingres, die Pariser Mode- und Theaterwelt ... sowie die Uhrmacherei der Ville Lumière in Neapel bekannt zu machen. Offensichtlich fand Caroline Geschmack an der Uhrmacherkunst und schätzte ganz besonders die Kreationen, die aus Breguets Werkstätten am Quai de l’Horloge hervorgingen. Über seine Zeitmesser konnte sie sich selbstverständlich mit den zahlreichen Mitgliedern der Familie Bonaparte unterhalten, denn die Arbeitsbücher der Breguet-Archive aus der napoleonischen Periode warten mit einer Fülle von Namen und Adelstiteln ihrer Verwandtschaft auf. Napoleon selbst ist 1798, vor seinem Aufbruch zum Ägyptenfeldzug, als Käufer dreier Zeitmesser erwähnt; die beiden Kaiserinnen Joséphine ab 1797 und Marie-Louise ab 1811; Joseph, König von Neapel und später von Spanien; Louis, König von Holland, und Lucien, Prinz von Canino; Jérôme, König von Westphalen; Pauline und ihr Gatte, der Prinz Borghese; Elisa, die Großherzogin der Toskana … Ganz abgesehen von deren Angehörigen, die alle hohe Würdenträger, Marschälle, Generäle waren … Die Erwerbungen der kaiserlichen Familie Bonaparte wären eine eigene Studie wert! 34 Analysiert man die Käufe dieser Herrschaften anhand der Manufakturregister, kommt man einer spannenden Eintragung auf die Spur. Sie weist darauf hin, dass Abraham-Louis Breguet von 1810 bis 1812 für Caroline Murat eine Armbanduhr anfertigte. Eine Armbanduhr zu dieser Zeit? Unmöglich, sollte man meinen, viel zu früh! Denn im Angebot der Uhrengeschäfte erscheint die Armbanduhr nur zögerlich im ausgehenden 19. Jahrhundert, um 1880 für Damen, ein wenig später für Herren. Um 1910 ziehen dann Radfahrer, Reiter, Flugpioniere und erste Automobilisten nach und nach die Uhr am Handgelenk derjenigen in der Westentasche vor, und schon bald führt jeder Uhrenfabrikant eine oder mehrere Armbanduhren im Katalog. Auch all das ist zwar schon ziemlich lange her, doch wie oft bei Erfindungen gibt es Vorläufer in früheren Zeiten, die in Vergessenheit gerieten oder bloß den Spezialisten bekannt sind. Was die Armbanduhr betrifft, wollen wir die Belege für Taschenuhren, die nachträglich an Anhängern oder auf breiten Armbändern befestigt wurden, beiseite lassen. Hier interessieren ausschließlich jene Stücke, die speziell und von Grund auf als Armbanduhren konzipiert wurden. Lange nahm das Haus Patek Philippe in Genf für sich in Anspruch, in diesem Bereich eine Pionierrolle gespielt zu haben: „1868 bestellte die ungarische Gräfin Kocewicz die erste wirkliche Armbanduhr.“ Mit Breguet und Caroline Murat, der Königin von Neapel, sind wir beinahe sechzig Jahre früher dran … Doch was steckt hinter dieser unglaublichen Geschichte? Was berichten uns die Chroniken darüber? Begeben wir uns nach Paris, wo an der Place Vendôme die historischen Dokumente der Manufaktur im Archiv des Hauses Breguet aufbewahrt werden. Öffnen wir zunächst das ◆ Der Palazzo Reale, Neapel, kolorierte Lithographie. 35 DIE ERSTE ARMBANDUHR Buch der besonderen Bestellungen (man nannte sie damals „Kommissionen“), in dem die spezifischen Wünsche derjenigen Kunden aufgeführt sind, die sich nicht mit den von Breguet vorgestellten lieferbaren Stücken zufriedengeben wollten. Dieses Kommissionenbuch enthält alle Arten von Komplikationsmechanismen und oft phantasievollen Vorrichtungen, die Abraham-Louis Breguet für seine Kunden, häufig mächtige und berühmte Persönlichkeiten, zu verwirklichen gedachte. Auf Folio 29 ist vermerkt, dass die Königin von Neapel am 8. Juni 1810 die Bestellung für zwei eher außergewöhnliche Stücke aufgab: eine Kutschenuhr mit großen Komplikationen zum Preis von 100 Louis d’or, „… plus une montre pour bracelet à répétition dont on lui fait le prix 5000 Francs“ (sowie eine Uhr fürs Armband mit Repetition, für die man von ihr den Preis von 5000 Francs verlangt). Folgen wir nun der Genese dieser erstaunlichen Bestellung, und öffnen wir das Fabrikationsregister, das Buch, welches die technische Beschreibung jeder Uhr enthält, mit der vollständigen Zusammenfassung aller Arbeitsschritte, die zur Verwirklichung des Stücks führten. Zuerst einmal wurde die Bestellung der Königin von Neapel als Uhr Nr. 2639 der Breguet-Produktion registriert, und zwar mit der – noch nie da gewesenen – Bezeichnung „répétition de forme oblongue pour bracelet“ (Repetition in länglicher Form für Armband). Das Stück ging am 11. August 1810 in Produktion, genau zwei Monate nach dem Auftragseingang, und wurde am 21. Dezember 1812 fertiggestellt. Seine Verwirklichung dauerte somit beinahe zweieinhalb Jahre. Man erfährt, dass es sich um eine Repetieruhr handelt, genauer: um eine der bei Breguet üblichen Viertelstundenrepetitionen, und man entdeckt zudem, dass die Uhr länglich beziehungsweise oval ist, was bei Breguet außergewöhnlich ist. Das Fabrikationsregister verrät uns außerdem, dass diese Uhr eine Ankerhemmung besitzt und mit einem Thermometer ausgestattet ist. Ihre Herstellung erforderte 34 verschiedene Arbeitsschritte und beschäftigte 17 Personen, die namentlich aufgeführt sind. Anfang Dezember 1811 scheint die Uhr fertig gewesen zu sein; sie wurde am 5. Dezember mit 4800 Francs fakturiert. Breguet hatte sie bei der Bestellung für 5000 Francs offeriert, und er hielt mit dem um 200 Francs niedrigeren Rechnungsbetrag Wort! 36 Während ihrer Regentschaft in Neapel förderte Caroline Murat die schönen Künste in jeder Form und sicherte so den Ruhm zahlreicher französischer und italienischer Künstler. ◆ Das Zimmer von Caroline Murat im Palazzo Reale in Neapel, Aquarell von Montagny Elie-Honoré, 1811. 37 DIE ERSTE ARMBANDUHR Dennoch wurde die Uhr nicht ausgeliefert. Sie verließ die Werkstätten erst ein Jahr später … Abraham-Louis Breguet muss die Entscheidung getroffen haben, die Auslieferung hinauszuzögern. Denn die Regel in der Manufaktur von Breguet war, dass man erst lieferte, wenn alles einwandfrei funktionierte. Erste Feststellung: Man wechselte das Zeigerwerksystem aus, da es offenbar nicht ganz zufriedenstellend lief oder beim Regulieren beschädigt worden war. Dann ersetzte man – zweifellos auf Wunsch der Königin – das guillochierte Gold- durch ein Silberzifferblatt mit demselben Dekor, wobei ausdrücklich die arabischen Ziffern erwähnt sind (die üblicherweise für Emailzifferblätter verwendeten arabischen Ziffern finden sich auf Breguets Goldund Silberzifferblättern sehr selten). Schließlich ist das Stück am 21. Dezember 1812 vollendet. Wahrscheinlich wurde es Königin Caroline geschickt, die nach Neapel zurückgekehrt war, um die Regierungsgeschäfte zu übernehmen, da ihr Gatte Murat an der Seite von Kaiser Napoleon in den Russlandfeldzug gezogen war. Da im Archiv keinerlei Skizze der Uhr gefunden wurde, müssen wir weiterforschen, um etwas über ihr Aussehen zu erfahren. Zum Glück findet sich ihre Spur 1849 in einem Rhabillagebuch des Hauses wieder, in dem die Reparaturen von Breguet-Uhren aufgelistet sind, also mit heutigen Worten im Kundendienstregister. Dort ist nachzulesen, dass am 8. März 1849 die Gräfin Rasponi, „… wohnhaft in Paris, 63 rue d’Anjou“, ihre Uhr Nr. 2639 zur Reparatur brachte. Die Besitzerin ist niemand anderes als Louise Murat. Diese 1805 als viertes und letztes Kind geborene Tochter von Joachim und Caroline Murat hatte 1825 den Grafen Giulio Rasponi geheiratet. Was die Uhr betrifft, ist sie perfekt beschrieben: „Sehr flache Repetieruhr Nr. 2639, Silberzifferblatt, arabische Ziffern, mit Thermometer und Vorgang/ Nachgang außerhalb des Zifferblatts, die genannte Uhr wird in ein Armband aus golddurchwirktem Haar eingepasst, Repetition auf Verlangen, einfacher goldener Schlüssel, dazu ein anderes mit Gold verziertes Armband in einem Etui aus rotem Saffianleder. Zum Reparieren.“ Die Präzision des Textes ist anerkennenswert und verrät die Bewunderung des Verfassers für das ungewöhnliche Objekt. Am 27. März 1849 wurde die Uhr ihrer Besitzerin zurückgegeben. Die Reparatur zum Preis von 80 Francs ist wie folgt beschrieben: „Man hat die Zapfen poliert, das Thermometer neu eingestellt, die Repetition mit ihren Funktionen gerichtet, das Zifferblatt aufgefrischt, die Uhr in all ihren Teilen kontrolliert, gereinigt und reguliert.“ 1855 wurde die Uhr erneut bei Breguet repariert. Das ist die letzte Spur, die das Haus von ihr besitzt. Heute ist die Uhr unauffindbar. Sie ist in keiner öffentlichen oder der Öffentlichkeit bekannten privaten Sammlung aufgelistet. Existiert sie noch? Wird sie eines Tages wieder auftauchen? Die Nachforschungen sind im Gange, Hinweise willkommen! Dank den Beschreibungen in den Archiven kann man sich eine Vorstellung von dieser ersten Armbanduhr machen. Und obwohl einige Hinweise fehlen (Maße, genaue Anordnung der Funktionen auf dem Zifferblatt, Form des Armbands sowie Art der Befestigung und des Verschlusses), kann man ein derartiges Kunstwerk und eine solche Pioniertat nur bewundern. Wie könnte man beim gegenwärtigen Wissensstand anders, als Abraham-Louis Breguet Anerkennung zu zollen? Nach der Bestellung der Königin von Neapel vom 8. Juni 1810 entwickelte der König der Uhrmacher die erste Armbanduhr der Welt, die speziell für diesen Zweck bestimmt war. Ein Stück mit einer gänzlich neuartigen Architektur und unglaublicher Raffinesse, da es sich um eine Repetieruhr mit Komplikationen handelt, oval, außerordentlich flach und mit einem aus Haaren geflochtenen und mit Goldfäden verzierten Armband versehen. Die Ehre der Pioniertat gebührt auch Caroline Murat, einer echten Verehrerin der Uhrmacherkunst, ohne die Breguet vielleicht nie eine solche Uhr geschaffen hätte. Einer Caroline Murat, die – das ist kaum bekannt – über ein Uhrmacherland hätte herrschen können. Denn ihr Bruder, Kaiser Napoleon, bot ihr 1806 das Fürstentum Neuchâtel an, aber sie befand dieses Hoheitsgebiet als zu klein ... Doch das Rad der Geschichte dreht man nicht zurück. ◆ Dank den Breguet-Archiven – hier ein Fabrikationsregister – können oft sämtliche Einzelheiten der Herstellung verfolgt werden, etwa bei der Uhr Nr. 2639, aufgeführt als „längliche Repetieruhr für Armband“. 38 39 10 HERTZ Die neue Limite: 10 HERTZ Von Jeffrey S. Kingston 40 41 10 HertZ F ortschritt ist offensichtlich nur in Schritten zu haben. Selbst das Mooresche Gesetz, benannt nach Intel-Gründer Gordon Moore, das die atemberaubenden Fortschritte der Komplexität und damit der Leistungsfähigkeit integrierter Schaltkreise richtig vorausgesagt hat, weicht nicht von diesem Axiom im elektronischen Milieu ab, gemäß dem hier die Verdoppelung innerhalb weniger Monate dem normalen Zuwachs entspricht. In anderen Bereichen stößt man selten, wenn überhaupt, auf Entwicklungssprünge vergleichbarer Größenordnung. Doch mit dem neuen TypeXXII-Chronographen ist Breguet genau dies gelungen. In den über zweihundert Jahren Weiterentwicklung der Schweizer Ankerhemmung, die das Kernstück praktisch aller qualitativ hochwertigen mechanischen Schweizer Uhren bildet, hat die Frequenz oder Halbschwingungsgeschwindigkeit nicht oder nur graduell zugenommen. Im letzten halben Jahrhundert betrugen die üblichen Frequenzen zwischen 18 000 und 28 800 Halbschwingungen pro Stunde; nur bei wenigen Zeitmessern schwingt die Unruh 36 000 Mal pro Stunde hin und her. Kürzlich kündigte zwar eine Marke im Vallée de Joux stolz an, sie habe die Frequenz auf 43 200 Halbschwingungen pro Stunde gesteigert (allerdings mit einer anderen Hemmungsart). Doch das entspricht ja genau dieser Schritt-für-Schritt-Entwicklung, die man in einem Umfeld mechanischer Konstruktionen, die seit mehr als zwei Jahrhunderten herangereift sind, erwarten darf. Stellen Sie sich nun nicht eine Steigerung um rund 7000 Halbschwingungen, sondern um eine klare Verdoppelung der bis vor Kurzem höchsten Frequenz vor, nämlich 72 000 Halbschwingungen pro Stunde oder 10 Hertz! Dies ist der „Quantensprung“, den Breguet beim Type-XXII-Chronographen realisiert hat. Genießen Sie diesen Gedanken einen Augenblick: Hier schwingt die Unruh mehr als fünfmal schneller als bei dem oben erwähnten und mit großem medialem Aufwand angekündigten letzten industriellen Meilenstein in diesem Bereich. EIN ENTWICKLUNGSSPRUNG BEI DER UNRUHFREQUENZ. Die Steigerung der Frequenz mechanischer Uhren ging bisher langsam voran. Eine Erhöhung um 7000 Halbschwingungen pro Stunde wurde noch kürzlich als revolutionär betrachtet. Der Chronograph Type XXII bietet eine fünfmal höhere Geschwindigkeit. Doch es geht ja hier um weit mehr als nur Zahlenwerte. 42 43 10 Hertz Diese Steigerung der Frequenz sorgt für offensichtliche Verbesserungen bei der Gang- und Messgenauigkeit von Chronographen. Die Revolution des neuen Type XXII hat das Bewegungsbild des Sekundenzeigers völlig verändert. Wird dieser von einer Unruh mit beispielsweise 21 600 statt 18 000 Halbschwingungen angetrieben, kann nur das geübte Auge einen Unterschied bei seinen winzigen Schritten erkennen. Er springt dann jede Sechstel- statt jede Fünftelsekunde. Das sind zweifellos kleinere Sprünge, was aber mit bloßem Auge nicht wirklich auseinanderzuhalten ist. Anders ist das bei einer Steigerung auf 72 000 Halbschwingungen. Hier ist der Unterschied enorm. Statt jede Fünftel- oder Sechstelsekunde springt der Zeiger jede Zwanzigstelsekunde. Das Auge nimmt das nicht mehr als kleine Hüpfer wahr, sondern als sanftes kontinuierliches Gleiten. Dieses sanfte Kreisen geht zudem mit höherer Auflösung und Genauigkeit einher. Da jede Sekunde in zwanzig kleine Abschnitte unterteilt ist, kann man die Zeit in diesen Stufen stoppen, das heißt auf die Zwanzigstelsekunde genau. Das sind die für den Besitzer sofort erkennbaren Vorteile. Doch es gibt noch andere wichtige Fortschritte, die vielleicht nicht so augenfällig, aber ebenso bedeutsam sind. Die bahnbrechend hohe Frequenz sorgt für bedeutende Verbesserungen bezüglich der Gleichmäßigkeit und Genauigkeit der Zeitanzeige der Uhr. Uhrmacher beurteilen die Qualität eines Spiralfeder-Unruh-Paars, indem sie den Grad des Amplitudenverlusts messen, das heißt die Gradzahl des Halbschwingungswinkels der Unruh nach dem ersten Ingangsetzen und ihrem anschließenden freien Oszillieren. Je niedriger der Amplitudenverlust, desto hochwertiger ist die Konzeption der Unruhkonstruktion und desto gleichmäßiger der Gang der Uhr. Wird die Frequenz der Unruh erhöht, steigt auch das Drehmoment dieses Oszillatorsystems. Und die physikalischen Gesetze lehren uns, dass ein Oszillator mit höherem Drehmoment auch weniger anfällig für Erschütterungen und andere Beeinträchtigungen ist als eine langsamer schwingende Vorrichtung. Damit sorgt die Frequenzsteigerung für Verbesserungen bei zahlreichen entscheidenden Messwerten der Unruhleistung, und so profitiert der Träger der Uhr von einer stabileren Ganggenauigkeit. Möglich machten diesen Magnitudensprung bei der Uhrwerkperformance modernste Werkstoffe und Konstruktionsprinzipien. Spiralfeder, Anker und Ankerrad der Hemmung des Type-XXII-Chronographen sind aus Silizium gefertigt. 44 45 10 Hertz Dies ist das Ergebnis von mehr als sechs Jahren Forschungsarbeit im Bereich des Siliziumeinsatzes in Armbanduhren. Die ersten Uhren mit Siliziumkomponenten waren die auf der Baselworld 2006 vorgestellten Modelle 5197 und 5177. Beide boten Hemmungen mit konventioneller Unruhfrequenz. Der Type-XXIIChronograph ist nun ein weiterer Fortschritt, da hier das geringe Gewicht des Siliziums genutzt wird, um das Regulierorgan mit rekordbrechender Frequenz schwingen zu lassen. Mit dem Einsatz von Silizium steht Breguet an vorderster Front der modernen Uhrenkonstruktion, doch die Manufaktur hat ihre Führungsposition im Entwicklungsbereich noch weiter vorangetrieben. Seit mehr als zweihundert Jahren suchen die Uhrmacher mit den verschiedensten Mitteln, die Auswirkungen von Temperaturschwankungen auf die Ganggenauigkeit zu verringern. Die Spiralfeder ist eine der kritischen Komponenten bezüglich der Dilatation von Metallen. Spiralfeder-Legierungen wie die von Nivarox, die heute in den meisten mechanischen Uhren verwendet werden, bieten bis heute eine ausgezeichnete Antwort auf diese Frage. Der Wechsel auf das Halbmetall Silizium machte neue Forschungen über den Einfluss von Temperaturschwankungen notwendig. Die durch ein Patent geschützte Antwort von Breguet ist ein spezieller Prozess der thermischen Siliziumoxidierung. BREGUET IST EIN PIONIER BEIM EINSATZ VON SILIZIUM. Links: das filigrane Hemmungsrad aus Silizium des Type-XXII-Chronographen. Für die superschnelle Frequenz war jedoch mehr erforderlich, als nur die Spiralfeder aus der Nivarox-Legierung und den Anker sowie das Hemmungsrad aus Stahl durch Silizium zu ersetzen. Weitere Neuerungen wurden notwendig bei der Formgebung des Hemmungsrads und des Ankers, um ihre Masse und dementsprechend ihr Trägheitsmoment zu verringern. Ein herkömmlicher Anker aus Stahl zum Beispiel wiegt 7,5 Gramm, der Siliziumanker des Type XXII hingegen mit 2,6 Gramm nur ein Drittel davon. Wichtiger ist jedoch, dass hier das Trägheitsmoment auf nur noch 10 Prozent desjenigen eines Stahlankers gesenkt ist. Die Verringerung des Gewichts dieser zentralen Bauteile der Uhr erwies sich als einer der entscheidenden Trittsteine, um die Frequenz auf die revo-lutionären 72 000 Halbschwingungen pro Stunde steigern zu können. Der Einsatz von Silizium bietet jedoch noch einen weiteren Vorteil. Herkömmliche Hemmungsräder müssen geölt werden, um die Abnutzung durch Abrieb zu verhindern. Dank der enorm hohen Abriebfestigkeit von Silizium 46 47 10 Hertz DIE FUNKTIONEN DES TYPE XXII. Der Type XXII bietet selbstverständlich sämtliche Funktionen eines FlybackChronographen mit zwei Drückern und als zusätzliche Komplikation eine GMT-Zeitzonenanzeige. 48 49 10 HERTZ braucht die äußere Oberfläche des Rads überhaupt nicht mehr geölt zu werden, und das ist bei dieser hohen Frequenz besonders wichtig. Einen zweiten Trittstein bildete das Design der Unruh selbst. Breguet hat beim Einsatz von Titan für die Unruh Pionierarbeit geleistet und das Ergebnis patentieren lassen. Unruhen aus diesem Metall mit seinem geringen Gewicht in Verbindung mit goldenen Regulierschrauben für das Feinstellen der UnruhHalbschwingungen und damit der Ganggeschwindigkeit eignen sich nicht nur ideal für herkömmliche Unruhfrequenzen, sondern auch besonders gut für den Type-XXII-Chronographen, denn bei dessen Rekordfrequenz ist ein minimales Trägheitsmoment grundlegend wichtig. Passenderweise erfolgt dieser revolutionäre, die Spielregeln beim Bau mechanischer Chronographen verändernde Fortschritt fast gleichzeitig mit einem 50-Jahr-Jubiläum. Der erste Type-XX-Chronograph von Breguet erschien in den 1950er-Jahren als Bestellung der französischen Streitkräfte, die eine sowohl von den Navigatoren der Flugwaffe wie der Marine einsetzbare Stoppuhr suchten. Die Bezeichnung Type XX (manche nannten die frühen Versionen des Modells „Type 20“) illustriert eine erstaunliche historische Kontinuität, trug doch das letzte Flugzeug, das Abraham-Louis Breguets Enkel, der Luftfahrtpionier Louis Breguet, gebaut hatte, die Bezeichnung Type XIX. Alle von den französischen Streitkräften erworbenen und den Piloten als Teil ihrer Standardausrüstung abgegebenen Type-XX-Modelle gehörten zu den ersten Stoppuhren der Uhrengeschichte, die mit der Flybackfunktion ausgestattet waren. Dieses automatische Nullen und Neustarten ist eine der sinnvollsten Stoppuhrkomplikationen und äußerst wichtig für Piloten und Navigatoren, die vor der Funkpeilung und dem GPS für ihre Standortbestimmung in der Luft laufend auf exakte Zeit-DistanzBerechnungen angewiesen waren. Dabei stoppt der Pilot beim Passieren eines Navigationspunkts (in der Fliegersprache „Fix“ genannt) den Chronographen mit dem Start/Stopp-Drücker, notiert die Zeit und lässt den Drücker gleichzeitig wieder los, worauf augenblicklich eine neue Zeitmessung bis zum nächsten Fixpunkt erfolgt. Entscheidend ist dabei, dass der Chronograph beim Reset oder Nullen sofort erneut starten kann. Bei klassischen Stoppuhren mit zwei Drückern ist dafür ein dreifaches Betätigen erforderlich: fürs Stoppen, Nullrückstellen und den erneuten Start, was etwas länger dauert. Die Flybackfunktion des Type-XX-Chronographen mit einmaligem Betätigen des Reset-Drückers für Stoppen, Nullen und Neustarten verbesserte deshalb die Präzision der laufenden Zeit-Distanz-Kalkulationen im Flug beträchtlich. Selbstverständlich fügt sich der Type-XXII-Chronograph – abgesehen von seiner hohen Frequenz – ganz in die Linie der Type-XX-Familie ein, indem er die Flybackfunktion bietet, die schon das ursprüngliche Type-XX-Modell berühmt gemacht hatte. Und auch beim restlichen Erscheinungsbild hält er seinem Erbe die Treue. Großzügiger Durchmesser von 44 mm für sofortiges 50 sicheres Ablesen, Drehlünette, Edelstahlgehäuse, schwarzes Zifferblatt im Military-Stil mit arabischen Ziffern … alles erinnert an das Design des ersten TypeXX-Chronographen. Die Treue zum Erscheinungsbild des Originals hat jedoch nicht verhindert, die Vorteile des Hochfrequenz-Uhrwerks zu nutzen. Statt einen ChronographenSekundenzeiger zu bieten, der eine Umdrehung pro Minute macht, rotiert dieser im Type XXII doppelt so schnell, mit einer Umdrehung in 30 Sekunden. Deshalb stehen die Sekundenstriche auf dem Zifferblatt doppelt so weit auseinander wie bei einem herkömmlichen Chronographen, was das Ablesen der Zwanzigstelsekunden erleichtert. Wegen der zwei Umdrehungen des Sekundenzeigers pro Minute musste selbstverständlich eine Anzeige entwickelt werden, die dem Benutzer sagt, ob gerade die erste oder zweite Hälfte der Minute angezeigt wird. Dies wurde durch spezielle Markierungen auf dem Zifferblatt erreicht: Wie beim Vorgängermodell Type XXI kreist auf dem Type-XXII-Chronographen ein großer Minutenzählerzeiger über eine äußere Minutenteilung, auf deren Markierungen klar erkennbar ist, ob der Chronographenzeiger einen Wert innerhalb der ersten oder zweiten 30 Sekunden angibt. Als Ergänzung ist ein 12-Stunden-Zähler in einem Unterzifferblatt bei 6 Uhr platziert. Neu in der Type-XX-Modelllinie ist die GMT-Funktion. Dafür kann der Stundenzeiger des Hauptzifferblatts mit der verschraubbaren Krone in Stundenschritten verstellt werden, um auf die aktuelle Ortszeit zu wechseln, wenn der Träger der Uhr in eine andere Zeitzone fährt oder fliegt, während die Zeit zu Hause auf einem 24-Stunden-Unterzifferblatt bei 3 Uhr erhalten bleibt. Ergänzt werden die Zifferblattanzeigen durch ein Datumfenster bei 6 Uhr. Traditionell hatten alle Zeitmesser der Type-XX-Linie einen geschlossenen Gehäuseboden, wie es sich für militärische Stoppuhren gebührt. Der Chronograph Type XXII weicht nur leicht von dieser Vorgabe ab. Die Schwingungen der Highspeed-Unruh und der Hemmung sind jedoch so fesselnd, dass es schade gewesen wäre, sie vor allen Blicken verborgen zu halten. Deshalb wurde der sonst massive Edelstahlboden mit einem runden Fenster über der Unruh versehen, das Einblick in diese von keiner anderen Armbanduhr erreichte Frequenzgeschwindigkeit gewährt. Und da die Schwingmasse des Automatikaufzugs von Zeit zu Zeit unter dem Saphirglas dieses Bullauges vorbeigleitet, wurde sie speziell dekoriert. FORTSETZUNG EINER TRADITION. Der Type-XXII-Chronograph basiert auf der reichen Geschichte der Breguet-Fliegeruhren, die vor sechzig Jahren mit dem ursprünglichen Type XX für die französischen Marineflieger der Aeronavale begann. So kann der Type-XXII-Chronograph als Brückenschlag zwischen zwei Epochen angesehen werden – derjenigen vor mehr als einem halben Jahrhundert, als er für die französische Armee entwickelt wurde, und der Zeit des heutigen Pioniermodells mit seiner Spitzentechnologie, das als erste Armbanduhr der Welt eine Frequenz von 10 Hertz erreicht. 51 DIE GUILLOCHE Die Guilloche Von Jeffrey S. Kingston 52 53 Die Guilloche L inke Gehirnhälfte. Rechte Gehirnhälfte. Vernünftig und funktionell oder musisch und emotional? Wie oft steckt der Geist Objekte oder Motive entweder ins eine oder andere Kästchen? Praktisch jedes Mal. Das ist es, weshalb es auch niemandem in den Sinn kommt, Gedichte über das Familienauto zu schreiben oder Blumenarrangements für ein Navy-SealsTrainingscamp zu bestellen. Wenn es jedoch eine Ausnahme gibt, die diese Regel bestätigt, ist das Guillochieren dafür das perfekte Beispiel. Angenommen, das Zifferblatt sei ein vom Uhrmacher gemaltes Bild, dann gäbe es wohl keine raffiniertere, elegan- ◆ Nr. 7337 Motive links: Gerstenkorn (Hauptzifferblatt), alternierender Korb (innerer Stundenkreis), Sonnenstrahlen (kleine Sekunde), tere und faszinierendere Ausdrucksform der Uhrmacher- Bordüre (Rand des Stunden- kunst als ein Guillochemuster. Ein Blick in die Archive be- kreises); Korb (Mondphase), stätigt, dass Abraham-Louis Breguet, der das Verfahren vor Netz (Rand der Kartuschen). über zweihundert Jahren als erster Uhrmacher auf Zifferblättern anwandte, dies in erster Linie aus ästhetischen Gründen tat. Dennoch wäre es ein Irrtum, sich mit dieser 54 55 Die Guilloche ◆ N r. 5707 Motive rechts: Clou de Paris (Hauptzifferblatt); Pavé de Paris (Zähler bei 3 Uhr); alter Korb (obere Zählerhälfte bei 9 Uhr), geflammt (untere Zählerhälfte bei 9 Uhr); Gerstenkorn (Zähler bei 6 Uhr); Bordüre (Rand des Stundenkreises); Netz (Rand der Kartuschen). 56 57 Die Guilloche Feststellung zufriedenzugeben, da man damit nur einen Bruchteil der Motive Breguets für die Wahl dieser Technik berücksichtigen würde. Betrachtet man sein Leben und sein Werk genauer, stellt sich heraus, dass Breguet seinen Überzeugungen von der Funktionalität sämtlicher Elemente des Uhrendesigns stets treu blieb. Linke Gehirnhälfte. Rechte Gehirnhälfte. Für Breguet war der Guillochagedekor schön und funktionell zugleich. Die ornamentale Guillochegravur ist ein künstlerisches Seite 58 ◆ N r. 8828 Motive oben links: Wellen (Hauptzifferblatt). Verfahren, das bereits den antiken Griechen bekannt war. ◆ N r. 5827 Unsicher ist hingegen, wann genau erstmals halbmechani- Motive unten links: abwechselnd sche Gravurgeräte verwendet wurden. Einer Schulmeinung folgend gilt der französische Ingenieur Guillot als Erfinder der Guillochiermaschine oder Drehbank für das Gravieren geflinkert (Hauptzifferblatt). Seite 59 ◆ N r. 5967 Motiv oben links: Art-déco- von Linienmotiven auf Metall (im Deutschen auch Rund- «Kubus». und Geradzugmaschine genannt). Andere Quellen be- ◆ N r. 5177 haupten hingegen, das Guillochieren sei eine Erfindung des Motiv oben rechts: Schachbrett Deutschen Hans Schwanhardt. Wie auch immer, Breguet gestrichelt (Hauptzifferblatt). scheint diese Technik während einer Reise nach London 58 59 Die Guilloche ◆ N r. 5157 Motive rechts: Clou de Paris (Hauptzifferblatt); Bordüre (Rand des Stundenkreises), Netz (Rand des Kartuschen). 60 61 Die Guilloche entdeckt zu haben, wo damit vor allem Möbelstücke verziert wurden. Nach seiner Rückkehr begann Breguet in Paris unverzüglich, mit der Anwendung des Verfahrens auf Zifferblättern zu experimentieren. Zweifellos erkannte er die bedeutenden funktionellen Vorteile dieses feinen Gravurdekors. Erstens sind die Zeiger auf einem so mattierten Zifferblatt viel besser sichtbar als auf blankem Metall, was das Ablesen der Uhrzeit erheblich erleichtert. Zwar waren zu dieser Zeit vorwiegend große, barock verschnörkelte Zeiger beliebt, die sich von jedem Hintergrund abhoben. Die Guillochage eb- ◆ N r. 5347 Motive links: kreisförmiger Korb (Hauptzifferblatt); Bordüre (Rand des Stundenkreises). nete jedoch den Weg zu feineren, eleganteren Zeigern. Die feine Guillochetextur bildete den genau richtigen Hintergrund für Breguets „Pomme“-Zeiger aus gebläutem Stahl mit ihrem leicht exzentrisch gelochten Ring hinter der feinen Spitze. Längst zu Klassikern geworden, nennt man sie ◆ N r. 5317 Motive oben: Clou de Paris (Hauptzifferblatt), kreisförmige Wellen (Gangreserveanzeige); Bordüre (Rand des Stundenkreises); Netz (Rand der Kartuschen). in der Uhrmachersprache allgemein Breguetzeiger. Breguets Versuche brachten einen zweiten praktischen Vorteil ans Tageslicht. Als er die Muster auf dem Zifferblatt variierte, erkannte er, dass er so verschiedene Zonen abgren62 63 40 DIE GUILLOCHE 30 20 10 0 B R E GUE T zen, hervorheben und definieren konnte, um darin Komplikationsfunktionen und spezielle Anzeigen zu platzieren. Da sich so das Hauptzifferblatt ohne großen Aufwand optisch in Unterzifferblätter unterteilen lässt, bildete die Guillochemuster-Vielfalt auf den Metallzifferblättern Breguets praktisch von Anfang an eine gestalterische Konstante. Dieselben künstlerischen und funktionellen Ziele, die Breguet vor weit über zweihundert Jahren in seiner Werk64 65 DIE GUILLOCHE statt am Quai de l’Horloge 39 veranlassten, die Guillochiertechnik zu übernehmen, sind bis heute gültig geblieben. Zwei Design- und Herstellungsaspekte haben sich allerdings seither geändert. Erstens beschichtete Breguet seine guillochierten Zifferblätter nicht, sondern verwendete Massivgold oder -silber, sodass sie die ursprüngliche Edelmetallfarbe behielten. Heute werden die Zifferblätter der Breguet-Uhren entweder aus Massivgold oder bei 66 67 DIE GUILLOCHE ◆ Nr. 5497 Motive rechts: abwechselnd geflinkert (Innenfläche gewissen Damenmodellen aus Perlmutt hergestellt. Anders als zu Breguets Zeiten überzieht man die Zifferblätter aus des Stundenkreises); Gold mit einer feinen Silberschicht, was der Guillochage drapiertes Moiré (Haupt- mehr visuelle Tiefe verleiht. Und zweitens haben neue Mo- zifferblatt); Netz (Rand der Kartuschen). tive – obwohl die herkömmliche Guillochiermaschine und die Handarbeit geblieben sind – das Repertoire bereichert, um eine zuvor ungekannte ästhetische Vielfalt zu bieten. Stellen Sie sich die Aufnahmen, die diesen Artikel illustrieren, als Bilder einer Ausstellung vor. Mit jedem Umblättern betreten Sie einen anderen Raum dieser Galerie der Breguet-Guillochen. 68 69 DAS PETIT TRIANON DAS PETIT TRIANON Von Marie-Hélène Huet, Professorin an der Princeton University ◆ Der Pavillon français im Garten des Petit Trianon 70 71 DAs Petit Trianon F rankreich besitzt eine Fülle von Schlössern, in denen die Erinnerung an ihre berühmten ehemaligen Bewohner wachgehalten wird. Zwei davon sind besonders erwähnenswert: Chenonceau, das elegante Wasserschloss im Cher, das für immer mit der bezaubernden Diane de Poitiers verbunden bleibt, der Mätresse König Heinrichs II., und das reizende Lustschlösschen Petit Trianon, in dem Königin Marie-Antoinette vor dem Ausbruch der Französischen Revolution die glücklichsten Sommermonate ihres Lebens verbrachte. ◆◆◆ Erbaut wurde das Petit Trianon im Auftrag von König Ludwig XV. als fürstliches Präsent für seine Geliebte, Madame de Pompadour. Die Bürgerliche hatte das Herz des Königs durch ihre Schönheit und Intelligenz erobert. Seit ihrer ersten Begegnung 1745 bis zu ihrem Tod im Jahre 1764 setzte sie sich für die Förderung und Entwicklung der Künste ein. Das Projekt des Petit Trianon wurde AngeJacques Gabriel anvertraut, einem der renommiertesten Architekten der damaligen Zeit, und die Arbeiten begannen 1763. Doch Madame de Pompadour starb, bevor der Bau vollendet war, und das Schlösschen wurde 1768 vom König und von Madame du Barry eingeweiht, der lebenslustigen, jedoch weniger kultivierten neuen Favoritin von Ludwig XV., die den Platz von Madame de Pompadour eingenommen hatte. 72 Der Gegensatz zwischen der majestätischen Pracht von Schloss Versailles und dem Petit Trianon ist verblüffend. Nur wenige Kilometer vom Königsschloss entfernt scheint das elegante Palais in magischer Abgeschiedenheit inmitten eines Parks mit gewundenen Alleen, Hecken und Sommerpavillons zu ruhen. Einen Übergang bildet der elegante Französische Garten, einziger Teil der ursprünglichen Anlage aus der Zeit von Ludwig XV., zwischen dem Großen und Kleinen Trianon. Er ist der vollkommene Gegensatz zum Eindruck ungebändigter Natürlichkeit, den der unter Marie-Antoinette hinter dem Schlösschen angelegte Englische Garten vermittelt. Dieser bietet unerwartete Ausblicke, etwa auf einen Bach, der sich durch die Landschaft schlängelt, einen kleinen See und einen Bauernweiler. Zweifellos steckt hinter der Anlage hohe Kunst und ein minutiös aus- ◆ Die Westfassade und der Französische Garten. 73 DAs Petit Trianon dern. Kleine Sommerpavillons betonen die geschwungenen Linien des Parks. Der Musikpavillon Belvédère oder der auf einer künstlichen Insel in der Mitte des Sees stehende Temple de l’Amour erinnern die Besucher daran, dass diese scheinbar freie Natur in Wirklichkeit das Resultat umsichtiger Planung ist. Die Umgestaltung des Parks dauerte mehrere Jahre. Die anmutigen Pavillons wurden geschickt so platziert, dass jedes Fenster des Petit Trianon einen vollendet harmonischen Ausblick in die Gartenlandschaft bietet. ◆ Das Theater von Marie-Antoinette. gearbeiteter Masterplan. Doch wie als Erinnerung an die glücklichen Sommermonate, die Marie-Antoinette im Petit Trianon verbrachte, weitab vom Pomp und dem steifen Zeremoniell des Hofs, herrscht hier auch noch heute eine Atmosphäre von Muße und ungestörter Harmonie. Ludwig XVI. schenkte Marie-Antoinette das Petit Trianon 1774. Er hätte der neunzehnjährigen Königin, die unter der steifen Etikette von Versailles und dem monotonen Tagesablauf litt, wohl keine größere Freude machen können. Die Königin engagierte die besten Architekten und Künstler ihrer Zeit für die Vollendung der Innenausstattung und Erneuerung des Parks. Sie machte das Petit Trianon zu ihrer eigenen Domäne, indem sie die wichtigsten Räume neu einrichtete, exquisite Möbel bestellte und den botanischen Garten Ludwigs XV. für einen herrlichen Park mit einem Bach, einem kleinen See und einer Grotte opferte. Sie wurde bei ihren Plänen von Richard Mique unterstützt, dem offiziellen Architekten des Königs. Er verstand es, die strengen Linien des klassizistischen Baus durch die charakteristische freie Gestaltung des Englischen Gartens zu mil74 DAS PETIT TRIANON WAR EIN GESCHENK. In Versailles blieb Marie-Antoinette nichts anderes übrig, als sich dem antiquierten Protokoll zu fügen, im Petit Trianon hingegen schwang sie das Zepter. Ohne persönliche Einladung hatte hier niemand Zutritt. Sie ersetzte einige große Bilder, die in den Sälen des Erdgeschosses hingen, durch Werke, die sie an ihre Kindheit in Wien erinnerten. Das Vestibül war mit zwei imposanten Tapisserien des österreichischen Malers Johann Georg Weikert geschmückt. Marie-Antoinette hatte ihn beauftragt, Studien umzusetzen, die er zu einem Theaterstück realisiert hatte, das von den Kaiserkindern anlässlich der Hochzeit ihres älteren Bruders, Erzherzog Joseph, geschrieben und in Wien aufgeführt worden war. Eines dieser Gemälde mit dem Titel Le Triomphe de l’Amour zeigt die junge Marie-Antoinette in den Kleidern einer Braut beim graziösen Tanz mit ihrem Bräutigam unter den Augen Cupidos. Bedeutung und Symbolik sind unschwer zu deuten: Dieses Gut gehört einer jungen Königin, hier werden alle Freuden zelebriert, die mit der neckischen Tyrannis des Liebesgottes verbunden sind. Das Äußere des klassizistischen Lustschlösschens täuscht über die wirklichen Dimensionen und die Komplexität des Petit Trianon hinweg. Jede Fassade ist unterschiedlich, jedes Fenster zeigt einen anderen Landschaftsausschnitt, die Stockwerke sind durch mehrere Treppen miteinander verbunden – einige sorgfältig vor unerwünschten Blicken getarnt –, und jeder Raum scheint ein Geheimnis zu bergen. Die prächtigen Privatgemächer der Königin befinden sich im Hauptgeschoss. Dazu gehören die Empfangsräume, aber auch das mysteriöse Cabinet des glaces mouvantes (Kabinett der beweglichen Spiegel), in dem ein Rollsystem erlaubt, in der Wandverkleidung verborgene Spiegel herunterzuziehen, um damit die Fenster zu verdecken. Dank diesem System verfügte Marie-Antoinette über Kein Präsent hätte die neunzehnjährige Königin mehr gefreut als das Schlösschen Petit Trianon, das nur ihrer Unterhaltung und Lebensfreude gewidmet war. ◆ Königin Marie-Antoinette, Porträt von Jean-Baptiste Gautier-Dagoty, 1775. 75 DAs Petit Trianon Hofstaats, die sich an der blutjungen, freigeistigen Königin rächten, von der sie sich ins Abseits gestellt und zu wenig beachtet fühlten. Marie-Antoinette begab sich jeden Sommer ins Petit Trianon, wo sie mehrere Monate frei über ihre Zeit und ihre Vergnügungen verfügen konnte. Der König selbst soll nur auf Einladung hin gekommen sein und keine einzige Nacht in den Gemächern verbracht haben, die für ihn hergerichtet worden waren. Die junge Königin organisierte Spiele und Ausflüge und führte in einem kleinen, vorzüglich ausgestatteten Theater Stücke auf. Der Bau ist ebenfalls ein Werk von Richard Mique, der ihr Lieblingsarchitekt geworden war. Marie-Antoinette liebte das Theater, und hin und wieder verließ sie Versailles diskret in Begleitung des jüngeren Bruders des Königs und einiger seiner Freunde, um Aufführungen in Paris zu besuchen. Obwohl verkleidet, wurde die Königin prompt erkannt, und in der Gerüchteküche brodelte es nach jeder unvorsichtigen Eskapade noch heftiger. Das Theater des Petit Trianon ermöglichte es Marie-Antoinette zweifellos, ihre Leidenschaft für die Bühne standesgemäßer auszuleben: Sie konnte Aufführungen besuchen, ohne einen Skandal zu riskieren, und stand sogar mehrmals selbst auf der Bühne. Anfangs war es nur ihrem kleinen Freundeskreis erlaubt, ihr Beifall zu spenden, doch mit der Zeit wurden auch andere privilegierte Aristokraten und Offiziere des Königs eingeladen. Die letzte von Marie-Antoinette gespielte Rolle war die Rosine im Barbier von Sevilla von Beaumarchais 1785. ◆ Die Haupttreppe. einen kleinen, von der Außenwelt vollständig abgeschlossenen Privatbereich. Er vermittelte ihr ein Gefühl der Sicherheit, war aber auch ein Ort, wo allen Phantasien freier Lauf gelassen werden konnte, weit weg von den Zensoren, die der Königin in Versailles das Leben schwer machten. Es drängt sich auf, das Cabinet des glaces mouvantes als eine ironische Antwort auf die majestätische Galerie des Glaces zu verstehen, die Ludwig XIV. in Versailles als Spiegelung seines blendenden Ruhms hatte einrichten lassen. Das Privatgemach von Marie-Antoinette bewahrt das Geheimnis 76 ihrer glücklichsten Tage als Königin von Frankreich. Doch mit wem teilte sie die Intimität ihres Kabinetts, das so gut vor der Neugier der Umgebung geschützt war? Selbstverständlich kursierten wilde Gerüchte über den kleinen Freundeskreis, der regelmäßig im Petit Trianon ein und aus ging – darunter der Graf von Artois, der jüngere Bruder Ludwigs XVI., außerdem der Graf von Vaudreuil und die schöne Herzogin von Polignac – und an nicht ganz unschuldigen Lustbarkeiten teilgenommen haben soll. Urheber dieses Klatsches waren sicherlich alte Mitglieder des Nach der Französischen Revolution diente das Petit Trianon kurze Zeit als Restaurant, bis Napoleon I. es seiner Lieblingsschwester schenkte, der schönen Pauline Borghese. Ihr bewegtes Leben erlaubte Pauline allerdings nicht, längere Zeit in diesem friedlichen Refugium zu verweilen. Nach dem Tod ihres ersten Ehemanns, des Generals Charles Leclerc d’Ostin, heiratete sie den Prinzen Camillo Borghese und ließ sich in Italien nieder, wo sie einen Skandal auslöste, als sie Antonio Canova halbnackt für seine Venus Victrix Modell saß, eine wunderbare Marmorstatue mit von einem Tuch bedeckten Beinen, die heute in der Galerie Borghese in Rom ausgestellt ist. Während der Julimonarchie verbrachte die Herzogin von Angoulême, die Tochter MarieAntoinettes, einige Tage im Petit Trianon. Später ließ Kaise- ◆ Von Jean-Ferdinand Schwerdfeger 1788 angefertigte Konsole für das Schlafzimmer von Marie-Antoinette. BESUCHER KAMEN NUR AUF EINLADUNG INS PETIT TRIANON. Die Sommer im Petit Trianon brachten der Königin Freiheit vom höfischen Zwang. Die Mitglieder des Hofs durften nur auf Einladung kommen, selbst der König, der hier nur einmal weilte. 77 DAs Petit Trianon rin Eugénie das Schlösschen mit großer Sorgfalt restaurieren. 1867 wurde die Sommerresidenz von Marie-Antoinette schließlich zum Museum. Obwohl nie völlig verlassen, blieb das Petit Trianon im Zustand passiver Bestandserhaltung und verlor im Schatten von Versailles allmählich seinen Glanz. Bis zu dem schicksalhaften Augenblick, in dem der Sturm Lothar 1999 das Interesse an der Königin und ihrem Privatsitz unversehens wachrief. ◆ Das Schlafzimmer von Marie-Antoinette. JEDE WOHNUNG WAR MIT EIGENEN MOTIVEN UND FARBEN AUSGESTATTET. Die Zimmer des Petit Trianon spiegeln die Erinnerungen an die Königin wider. Wer hätte es gewagt, ihre Vergnügungen zu kontrollieren? 78 Das neue Kapitel begann mit dem Tod einer dreihundertjährigen Eiche im Park von Versailles, von der es hieß, sie habe seinerzeit Marie-Antoinette Schatten gespendet. Bereits geschwächt vom Sturm, ging die historische Eiche im Hitzesommer 2003 vollends ein und musste gefällt werden. Das Haus Breguet – dessen Gründer Abraham-Louis Breguet eine langjährige Beziehung mit Ludwig XVI. und Königin Marie-Antoinette gepflegt hatte – interessierte sich für das Schicksal des alten Baumes, und in der Folge wuchs der Entschluss, die Restaurierung des prächtigen Parks und des bezaubernden Schlösschens zu unterstützen. Im Vallée de Joux fand eine Sitzung statt, und zwar „in einem winterlichen Dekor, der eine Postkarte wert gewesen wäre“, wie sich Nicolas G. Hayek erinnerte. Am Schluss dieses Meetings entschied er im Namen der Breguet SA, die volle Verantwortung für die gesamte Renovierung des Petit Trianon zu übernehmen. Am Tag, als wir das Petit Trianon in Begleitung von zwei jungen Historikern und einer der Konservatorinnen des Schlösschens besuchen durften, schneite es ebenfalls, und es war mindestens so kalt. Der Nordwind fegte über die große Esplanade, die zum Hof von Versailles führt, und wir schätzten es, im Auto durch den weitläufigen Park bis vor die Pforten der Privatdomäne von Marie-Antoinette fahren zu können. Nur einige wenige Besucher hatten an diesem Tag der Kälte getrotzt, und wir fühlten uns in der traulichen Wärme des Palais rundum wohl. Der Entschluss, das Petit Trianon zu restaurieren, wie es sich vor der Revolution und der Vertreibung der königlichen Familie aus Versailles präsentiert hatte, ermöglicht den Besuchern, auf lebensnahe Weise die Neigungen Marie-Antoinettes und ihre Liebe zur Kunst kennenzulernen. Nachdem wir die heute für das Publikum geöffneten Empfangsräume durchquert hatten, gelangten wir ins Zwischengeschoss und ins zweite Stockwerk. ◆ Der Musiksaal. Hier vermittelt ein komplexes Ensemble von Gemächern, Korridoren, verborgenen Treppen und beweglichen Paneelen den Eindruck, einen magischen Ort zu betreten. Kostbare, farbenprächtige Brokatvorhänge umrahmen die Fenster. Die Tapisserien und bemalten Tapeten geben die durch die Königin ausgewählten Originalmotive getreu wieder. Ein charmantes Boudoir lädt zur trauten Konversation ein. Das aufwendig dekorierte Schlafgemach evoziert die graziöseste Form der Gastfreundschaft. Ein mit Rosengirlanden dekorierter kleiner Stuhl mit assortiertem Fußschemel ist neu aufgepolstert worden. Die Konservatorin lüftet vorsichtig die Husse, die ihn vor Staub schützt, und bringt den ursprünglichen Bezug zum Vorschein, der zwar verblichen ist, ansonsten jedoch bis ins kleinste Detail dem neuen entspricht. Dieser kurze Blick auf den Originalstoff macht die Zeit spürbar, die seit dem tragischen Ende des mit dem Petit Trianon verbundenen Traums vom Glück verflossen ist. Er illustriert außerdem, wie es den Restauratoren gelingt, mithilfe solcher außer79 DAs Petit Trianon Trianon einst herrschte: Zwischen den Privatgemächern gibt es kleine, fensterlose Zimmer, die bloß mit einem einfachen Tisch und einem Stuhl möbliert sind. Hier warteten die Bediensteten darauf, gerufen zu werden. Der große Speisesaal wurde berühmt durch die geplante raffinierte Konstruktion, die erlauben sollte, die Tische in der Küche zu decken und durch Plafond- bzw. Bodenklappen in den Saal zu hieven. Die Gerichte wären so wie von Zauberhand serviert worden, und die Gäste hätten keine Bediensteten zu Gesicht bekommen … Die „fliegenden Tische“ wurden schließlich nicht realisiert, doch allein schon ihre Projektierung ist einerseits beispielhaft für den magischen Stil des Schlösschens und zeugt andererseits von dem tiefen Graben, der damals die sozialen Klassen trennte und kurz darauf zum Ausbruch der Französischen Revolution führte. Dennoch bewahrt das Petit Trianon die Erinnerung an die herrlichen Zeiten vor dem Sturm. „Wer hätte es schon gewagt, den Zeitvertreib einer jungen, lebhaften und schönen Königin zu kontrollieren“1, meinte Madame Campan, die Erste Kammerfrau der Königin. In ihren Memoiren beschreibt sie eine Soiree, die zum märchenhaften Ruf des Petit Trianon beigetragen hatte: ◆ Der Temple de l'Amour im Englischen Garten des Petit Trianon. gewöhnlicher Details den zerbrechlichen Charme der Vergangenheit zu erhalten. Jedes Gemach hat ein anderes Motiv und spielt mit unterschiedlichen Farbvariationen, häufig in den hellen Grauund weichen Grüntönen, die für die damalige Epoche charakteristisch sind. Friese brechen die strengen Linien der klassizistischen Möbel, allgegenwärtige Rundungen machen die Täfelung weicher, verspielter. So sind die Türen eines Eckschranks ebenso abgerundet wie seine Schlösser 80 und beschwören die wohlbehüteten Geheimnisse einer in einen Kokon eingesponnenen Existenz herauf. Aus Angst, den Zauber der vergangenen Zeit zu zerstören, neigt man zum Flüstern. Unsichtbare Türen öffnen sich in den Holzpaneelen, Gänge und Treppen führen an unerwartete Orte dieses Gebäudes, das von außen wie ein simpler Kubus wirkt und sich nun als Labyrinth herausstellt. Die Erkundung der dunkleren Ecken und Winkel offenbart die andere Seite des süßen Lebens, das im Petit „Im Petit Trianon wurde ein noch nie da gewesenes Fest veranstaltet. Die Art und Weise, wie der Englische Garten nicht einfach beleuchtet, sondern illuminiert wurde, erzeugte einen reizenden Effekt: Lampen aus irdenen Töpfen, die von grün bemalten Brettern verdeckt wurden, erhellten die Büsche und Blumenbeete und brachten ihre unterschiedlichen Farben aufs Schönste zur Geltung. Hunderte von Fackeln brannten im Graben hinter dem Liebestempel, sodass er zum strahlendsten Ort des Parks wurde.“2 Musik und Tanz, glanzvolle Nächte, Spiele ohne Ende zeichneten die Sommer aus, die 1789 vorausgingen: „Ich halte dort nicht Hof“, erklärte Marie-Antoinette, „ich lebe dort wie eine nichtöffentliche Person, und Madame Campan ist dauernd damit beschäftigt, meine Wünsche zu befolgen und die Hausfeste nach meinen Vorstellungen zu organisieren.“3 1 Jeanne Louise Henriette Campan, Mémoires de Madame Campan, première femme de chambre de Marie-Antoinette, Kapitel IX. 2 do., Kapitel VIII. 3 do., Kapitel IX. ◆ Bei der Einweihungsfeier für das restaurierte Schloss stellte Nicolas G. Hayek die Uhr Marie-Antoinette von Breguet in einem Schrein vor, der aus dem Holz ihrer Lieblingseiche gefertigt ist, die einem Sturm zum Opfer fiel. DURCH EINEN STURM VEREINT. Der Tod einer dreihundertjährigen Eiche, deren Schatten Marie-Antoinette geschätzt hatte, war der Auslöser eine Folge von Ereignissen, die Breguet bewogen, die Restaurierung des Petit Trianon zu finanzieren. 81 DAS PETIT TRIANON EINE GESPENSTERGESCHICHTE Am 10. August 1901 besuchten zwei Engländerinnen Versailles. Charlotte Anne Moberly und Eleanor Jourdain spazierten durch den Park und waren auf der Suche nach dem Petit Trianon. Es war heiß und schwül, die beiden Damen verloren die Orientierung, nachdem sie einen falschen Weg eingeschlagen hatten. Sie gingen auf Wegen, die nicht ausgeschildert und von Bäumen gesäumt waren, die merkwürdig „flach und leblos“ wirkten. Dann näherten sie sich einem Waldrand in der Nähe des Liebestempels. Die eine entdeckte einen halbverfallenen Bauernhof, bei dem sich altmodisch gekleidete Gärtner zu schaffen machten, die andere sah einen pockennarbigen Edelmann mit abweisendem Gesichtsausdruck, der bei einem Pavillon saß. Nachdem sie eine Brücke passiert hatten und weiteren Personen mit seltsamer Kleidung begegnet waren, erreichten die Frauen endlich das Petit Trianon, wo Charlotte Anne Moberly etwas beobachtete, das sie verunsicherte. „Eine Dame saß da und hielt mit ausgestrecktem Arm ein Blatt Papier in der Hand, als wolle sie es begutachten. Ich vermute, dass sie skizzierte und dazu einen Feldstuhl mitgenommen hatte. Es schien, als würde sie eine Studie der Bäume anfertigen, die vor ihr standen, jedenfalls war nichts anderes zu sehen, das zu zeichnen sich lohnte. Sie bemerkte uns, als wir an ihr vorbeigingen, wandte den Kopf und schaute uns aufmerksam an. Ihr Gesicht war nicht jung, und obwohl es recht hübsch war, fand ich es nicht anziehend. Sie trug einen komischen weißen Hut, der fast alle ihrer blonden Haare bedeckte. Ihr leichtes Sommerkleid war um die Schultern wie ein Schal drapiert und hatte eine schmale grüne oder goldene Bordüre, an der zu er- kennen war, das es darübergelegt und nicht in die weit geschnittene Korsage gesteckt war … Ich sah ihr direkt ins Gesicht, doch ein unbeschreibliches Gefühl veranlasste mich, den Blick abzuwenden und weiterzugehen.“4 Charlotte Anne Moberly und Eleanor Jourdain sahen beide unterschiedliche und überraschende Szenen, berichteten einander jedoch erst ein paar Tage später über ihre merkwürdigen Erlebnisse. Sie waren sehr erstaunt festzustellen, dass dort, wo die eine eine Frau in Begleitung eines Mädchens gesehen hatte, die andere nichts bemerkt hatte, und dass der abweisende Gentleman nur einer von ihnen begegnet war. Zehn Jahre später veröffentlichten die Freundinnen Moberly und Jourdain eine Beschreibung ihres außergewöhnlichen Besuchs des Petit Trianon, und zwar unter den Pseudonymen Elizabeth Morrison und Frances Lamont. Die Tatsache, dass sie nicht dieselben Personen gesehen und beide ein unangenehmes Gefühl der Bedrückung verspürt hatten, irritierte sie, weshalb jede ihre Eindrücke vom Besuch des Schlösschens von Marie-Antoinette separat aufzeichnete. An Adventure schildert ihre Erlebnisse und berichtet von den Nachforschungen, die sie zusätzlich vor allem in französischen Archi- ven unternommen hatten, weil sie hofften, so die eigenartigen Figuren identifizieren zu können, die ihnen begegnet waren. Charlotte Anne Moberly und Eleanor Jourdain kamen zum Schluss, der Mann mit dem pockennarbigen Gesicht und finsteren Blick sei niemand anders als der Graf von Vaudreuil gewesen, einer der engen Freunde MarieAntoinettes und ein Habitué des Petit Trianon. Die zeichnende sitzende Frau in einer leichten grünen Robe, die nur von Charlotte Anne gesehen worden war, glich ohne Zweifel dem Porträt der MarieAntoinette von Adolf Ulrich Wertmüller, wie es Madame Campan beschrieben hatte. Die englische Lady war überdies sicher, dieses Bild nie gesehen zu haben, da es an den Königshof von Schweden geschickt worden war. Ihre Folgerungen waren komplexer, als es Gespenstergeschichten in der Regel sind. „Wir haben uns gefragt“, schrieb Morrison/Moberly, „ob wir unabsichtlich in einen Erinnerungsakt der lebenden Königin geraten seien und ob dies vielleicht unser merkwürdiges Gefühl der Eingeschlossenheit und Bedrückung erkläre. Wieso sollte sie sich nicht in den traurigen Stunden im Saal der Nationalversammlung oder im Kerker in der Conciergerie höchst lebhaft an die früheren, so glücklichen Augustwochen im Trianon erinnert haben.“5 Interessant ist auch, dass sie auf den neuen Karten dieser Gegend keine Spuren der Landschaften fanden, die sie auf dem Weg zum Petit Trianon gesehen hatten. Hingegen erkannten sie in alten Karten und Beschreibungen der Projekte zur Umgestaltung der Gärten den Pavillon und die Brücke wieder. Selbstverständlich wurde ihr Buch von parapsychologischen Kreisen ausführlich kommentiert. Es erlebte mehrere Neuauflagen und rückte wieder ins Rampenlicht, als nach dem Tod von Eleanor Jourdain bekannt wurde, dass die beiden Autorinnen zur gesellschaftlichen Elite Englands gehörten. Charlotte Anne Moberly war von 1886 bis 1905 Rektorin des Frauen-College St. Hugh’s Hall in Ox- ford gewesen, ihr Vater zuerst Schulleiter und dann Bischof von Salisbury. Eleanor Jourdain, ebenfalls eine Akademikerin und Pastorentochter, war Moberlys Nachfolgerin im St. Hugh’s Hall Women’s College. Hatte es sich bei ihren Erlebnissen um eine durch die Hitze ausgelöste Sinnestäuschung gehandelt? Oder war das Ganze ein sorgfältig orchestrierter Jux? An Adventure liest sich wie eine wundersame, leicht beunruhigende Reise in die Vergangenheit. Bei Abschluss unserer Visite im Petit Trianon sind die letzten Besucher bereits gegangen. Beim Passieren der prachtvollen Gemächer der Königin ertönt plötzlich ein hohes, spitzes Geräusch, das von einem der glänzenden Lüster herzurühren scheint. Der eine unserer Führer meint: „Da ist er wieder, dieser Ton“. „Ja“, erwidert die Konservatorin, „er kommt und geht, niemand kann sich erklären, wie er entsteht.“ Meine spontane Frage: „Sind es vielleicht die Geister?“ Ihre verblüffte, ja schockierte Antwort: „Das glauben Sie doch nicht wirklich, oder?“ „Natürlich nicht“, gebe ich schnell zurück. Und tatsächlich glaube ich nicht, dass Geister im Petit Trianon herumspuken. Dennoch: Könnte dieses unheimliche Geräusch nicht vom Gemurmel sanfter Stimmen und dem Widerhall weit entfernter Musik stammen? Das mit Liebe zum Detail restaurierte, wunderbare kleine Schloss schlägt seine Besucher in Bann: Nirgendwo wird die Erinnerung an die vorrevolutionären Lustbarkeiten des Adels so lebendig wie in dieser Privatdomäne von MarieAntoinette. Spitzen Sie die Ohren, wenn Sie beim Besuch des Petit Trianon in die Nähe eines prachtvollen Lüsters kommen. Möglicherweise vernehmen Sie die letzten Klänge eines Menuetts oder entdecken sogar die junge Königin, die graziös aus Weikerts Triomphe de l’Amour tanzt … 4 5 Elizabeth Morrison und Frances Lamont, An Adventure, London, MacMillan and Co, 1911, S. 8/9. do., S. 23. ◆ Johann Georg Weikert, Der Triumph der Liebe. 82 83 RÉVEIL MUSICAL Der Réveil Musical Von Jeffrey S. Kingston 84 85 RÉveil Musical W ir leben in einer Epoche musikalischer Allgegenwart, und zwar in einem Ausmaß, dass es praktisch unmöglich ist, dieser Geräuschkulisse zu entkommen. Klangwellen erreichen uns von allen Seiten – CDs, Radios, iPods, Handys, Datenübermittlung, Downloads … So, wie man oft den Eindruck hat, das nächste Café sei nie weiter als 50 Meter entfernt, fühlt man sich in unserer digitalisierten Welt mitunter von der Musik überflutet und vereinnahmt. DIE MUSIKDOSEN. Ungeachtet ihrer jahrhundertealten Geschichte und häufigen Verwendung in Taschenuhren hatten die Musikdosenmechanismen noch nicht Eingang in Armbanduhren gefunden. 86 Vor ein paar Jahrhunderten war dies noch nicht der Fall. Jede Begegnung mit der Musik hatte etwas Magisches, vor allem, wenn die Töne aus einer Musikdose kamen, welche die Melodie ganz ohne Instrumente und ohne Musiker abspielte. Verfolgt man die Spur dieser Musik ohne Musiker genügend weit zurück, bis zu ihren Anfängen, landet man im 9. Jahrhundert in Mesopotamien, wo die Perser eine hydraulisch angetriebene Orgel gebaut hatten, die mittels einer mit kleinen Stiften versehenen Drehtrommel Tonfolgen erzeugte. Obwohl sich diese persische Konstruktion mit ihrem Wasserantrieb nicht für den Kaminsims eignete und schon gar nicht in die Westentasche passte, entsprach das Prinzip der Tonerzeugung mit kleinen Stiften auf einer rotierenden Walze zum „Aufzeichnen“ oder „Programmieren“ der Musik jenem der Musikdose. In der Renaissance schufen Kunsthandwerker in Augsburg wertvolle Musikautomaten und selbstspielende Spinette, die ebenfalls über Stiftwalzen gesteuert wurden. Die erste Verbindung eines Glockenspiels und einer Stiftwalze wurde Ende des 16. Jahrhunderts entwickelt und fand danach als ein Symbol des Reichtums großen Anklang. Um die Wende zum 19. Jahrhundert ermöglichten zwei Schweizer Erfindungen, die sich innerhalb weniger Jahren folgten, erstmals die Herstellung musikalischer Taschenuhren. 1796 ersetzte der Genfer Uhrmacher Antoine Favre die zuvor für den Klang zuständigen Glocken durch einen Metallkamm mit zahlreichen Zungen – später kleinen Zähnen –, die jeweils den Ton einer bestimmten Note erzeugten. Die zweite Erfindung war vier Jahre später eine rotierende Scheibe, die mit Zähnchen (den picots) – bestückt war und die Stiftwalze ablöste, deren Prinzip vor rund tausend Jahren in der persischen Wasserorgel Urständ gefeiert hatte. 87 RÉveil Musical Die musikalische Taschenuhr erreichte ihren Zenit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als eine Reihe von Zeitmessern erschien, die teils mit Stiftwalzen, teils mit Stiftscheiben ausgestattet waren, welche die Tonzungen des Kamms zum Klingen brachten und so eine bestimmte Melodie spielten. Die größte Schwierigkeit bei der Konstruktion dieser Musikwerke war die richtige Platzierung der Stifte auf der Walze oder Scheibe. Hier war größte Präzision gefragt. Schließlich wurde zu diesem Zweck eine Art „Schreibmaschine“ entwickelt. Ein Musiker spielte die Melodie im gewünschten Tempo auf einer Tastatur, welche die Notenanschläge als Markierungen auf die in die „Schreibmaschine“ eingespannte Walze oder die Scheibe übertrug. Anschließend ersetzte der Uhrmacher jede Markierung durch ein Zähnchen, und dann erklang die Melodie im Musikwerk so, wie sie der Musiker auf der „Schreibmaschine“ interpretiert hatte. Die hohen technischen Ansprüche, die diese Konstruktion stellte, sicherten den Musik-Taschenuhren einen Spitzenplatz unter den Komplikationsmodellen ... und selbstverständlich auch entsprechende Preise. In Übereinstimmung mit ihrem Prestige und dem hohen Preisniveau waren diese außergewöhnlichen, seltenen Uhren meist mit erlesenen Gehäusen und Zifferblättern ausgestattet, welche häufig mit einer handgemalten Emailminiatur geschmückt waren. Für größere Musikuhren wie die bekannten Wand- oder Tisch-Flötenuhren, die mit einem Windwerk und Orgelpfeifen ausgestattet waren, schrieben mehrere bekannte Komponisten Werke, so Georg Friedrich Händel, Carl Philipp Emanuel Bach, Joseph Haydn, Antonio Salieri, Wolfgang Amadeus Mozart oder Ludwig van Beethoven. Praktisch alle Taschenuhr-Komplikationen schafften den Sprung in die Armbanduhr, nur das Musikwerk scheint dabei in Vergessenheit geraten zu sein. Mit der Einführung des Réveil Musical hat Breguet die große 88 Tradition dieses seltenen und romantischen Genres wiederbelebt und mit dem ersten mechanischen Musikwecker als Armbanduhr eine Weltpremiere lanciert. Einen Taschenuhr-Komplikationsmechanismus auf die begrenzten Dimensionen einer Armbanduhr zu reduzieren ist jedes Mal eine uhrmacherische Herausforderung. Die Tatsache, dass es vor Breguet niemandem gelungen ist, eine Armbanduhr anzubieten, die eine vollständige Melodie spielt, zeugt von der enormen Schwierigkeit, das Musikwerk zu miniaturisieren. Man kann sagen, dass grundsätzlich alle anderen klassischen Taschenuhr-Komplikationen durch simple Verkleinerung auf die Armbanduhr-Ausmaße übertragen wurden. Der ewige Kalender, das Tourbillon, der einfache und der Schleppzeiger-Chronograph, die Anzeige einer zweiten Zeitzone, die Universalzeit … all diese uhrmacherischen Raffinessen haben nach Abschluss eines Miniaturisierungsprozesses in der Armbanduhr Einzug gehalten, wobei ihr TaschenuhrKonstruktionsprinzip bezüglich Konzeption und Anwendung unverändert blieb. Diese Feststellung trifft allerdings auf das Musikwerk nicht zu: Diese technische Meisterleistung erforderte weit mehr als eine simple Verkleinerung der Einzelteile. Selbstverständlich waren all die Schwierigkeiten beim Bau einer traditionellen Taschenuhr mit Musikwerk längst bekannt, als Breguet den Réveil Musical zu entwickeln begann. Die Konstrukteure mussten deshalb das Vorgehen bei der Programmierung der Melodie festlegen und ein weiteres, um die Klangqualität sicherzustellen. In beiden Bereichen war es möglich, klassische Lösungen anzuwenden: eine rotierende Stiftscheibe als Melodieprogramm und den Metallkamm, um die Noten erklingen zu lassen. Wie oben erwähnt, sind diese Vorrichtungen um 1800 herum erschienen. DIE MUSIKDOSE EROBERT DAS HANDGELENK. Breguet musste gewaltige Herausforderungen meistern, um im beschränkten Raum der Armbanduhr einen Musikdosenmechanismus unterzubringen. Doch diese für die Miniaturisierung auf ArmbanduhrDimensionen wenig geeigneten Elemente waren nur ein Teil der Schwierigkeiten, die Breguet in den ersten Phasen der Entwicklung des Réveil Musical bewältigen musste. Ein hohes Klangvolumen zu erzeugen, die musikalischen Tempi richtig wiederzugeben und eine ausreichende Kraftreserve waren weitere gewaltige Herausforderungen. Hätte nicht jedes dieser Probleme völlig zufriedenstellend gelöst werden können, wäre die Uhr nie erschienen. Die Uhrmacher des frühen 19. Jahrhunderts konnten dank den großzügigen Abmessungen der damaligen Taschenuhren große Federhäuser und üppig bemessene Kammzungen mit genügender Klangstärke in die Musikuhren packen. Außerdem bildeten die großvolumigen Zwiebelgehäuse ausgezeichnete Resonanzkörper. Es ist nur logisch, dass ein kleineres Federhaus die Antriebskraft verringert und kürzere Metallzungen sowie reduzierte Gehäuseabmessungen unausweichlich auch das Klangvolumen verschlechtern. Selbst nach erfolgreicher Miniaturisierung der Einzelteile musste Breguet deshalb neue Lösungen finden, die über die traditionellen Vorrichtungen hinausgingen, um das hörbare Klangvolumen – das heißt die Zahl der Dezibel, die vom Musikwerk auf die Außenseite des Gehäuses übertragen werden – zu verstärken. 89 RÉveil Musical Es ging also darum, eine Konstruktion zu entwickeln, welche die Klangübertragung auf die Gehäuse-Außenseite verbesserte. Die Antwort lag auf der Hand, warf jedoch eine neue Schwierigkeit auf. Die „einfache Lösung“, die zuvor von einer anderen Marke für eine Minutenrepetieruhr benutzt worden war, bestand darin, durch Öffnungen im Gehäuseboden die Verbreitung des Schalls zu erleichtern. Mit der Uhrmacherkunst vertraute Leser erkennen sofort, dass hier ein Problem das andere ablöst. Die Gehäuseöffnungen mögen zwar das Klangvolumen verstärken, öffnen jedoch den eingeschworenen Feinden jedes Präzisionsmechanismus – Feuchtigkeit und Staub – Tür und Tor (die erwähnte Minutenrepetition dieser anderen Marke durfte denn auch keinesfalls mit Wasser in Berührung kommen). Breguet ging die Frage anders an. Statt zuerst Löcher zu öffnen und dann ans Versiegeln zu denken, begann das Entwicklungsteam nach einem Material zu suchen, das mit dem Musikwerk mitschwingen, selbst vibrieren und so die Schallwellen verstärken würde. Die üblichen Werkstoffe für Gehäuseböden wie Saphirglas und Edelmetalle vibrieren im natürlichen Zustand auf den Frequenzen, die vom Musikwerk erzeugt werden. Das Stichwort für die von Breguet gewählte Lösung ist Liquidmetal. So heißt der Hersteller, der 2003 diesen deutsch auch Metallglas genannten Werkstoff entwickelte, eine Metalllegierung mit amorpher Kris◆ El iduciamet laut ◆die im Musikwecker als Membran eingesetzt tallstruktur, wird. Die physikalischen Eigenschaften dieser Membran eatumquas maximod ipsaectur adit omni ut que nobis ma entsprechen denen einer Beckentrommel, die in der richtinonsect atureicae verum, omnimetur gensimaximus Frequenz sequam schwingt, nämlich jener der Melodie. Damit erfüllt der Boden des Goldgehäuses eine neue Funktion: Er ipis excepeliquid mil evendit inveris et vellibus et alicae schützt die inwendig mit etwas Abstand montierte Metallnobistr uptati tet, et porrumquae. isim und Erschütterungen. glasmembran vorOmnimodis Beschädigungen Dem Zwischenraum zwischen Boden und Membran wurde nonesciunt esti ut lab idebissit etus aliquam fugitem besondere Aufmerksamkeit zuteil, dient er doch als sogedoluptat offici nobitibus omnis velecum eos dolupta nannter sit Helmholtz-Resonator. Dabei handelt es sich um einen Luftraum mit sehr kleiner Öffnung mit akustischer tendipsame eatumquas aliquam fugitem doluptat offici Resonanz (das einfachste Beispiel ist die Flasche, die einen nobitibus sit omnis eoswenn dolupta Tonvelecum erzeugt, sietendipsame am Hals angeblasen wird). Dieses Toningenieuren bestens bekannte Phänomen wird auch bei den Klangkörpern von Musikinstrumenten wie der Geige, Tiefton-Lautsprechern (Bassboxen oder Subwoofer), ja selbst bei den Luftansaugfiltern von Verbrennungsmotoren genutzt. Dieser Luftraum verfügt über seine eigenen Reso90 91 RÉVEIL MUSICAL nanzfrequenzen, die Breguet durch Lochbohrungen auf jene der Melodie abstimmte. Und obwohl die Membran nicht sichtbar ist, entwickelte Breguet ein neuartiges Verfahren, um ihr die optimale Form zu geben, und verzierte sie außerdem mit einem guillochierten Schliffmuster. Die Besitzer eines Réveil Musical können sich also glücklich schätzen im Wissen darum, dass der Kundendienst-Uhrmacher, der für die Wartung der Uhr den Gehäuseboden öffnet, die welterste guillochierte Metallglasmembran erblickt, die Normalsterblichen leider verborgen bleibt. Das zweite entscheidende Problem war, die Regulierung der Kadenz sicherzustellen. Wie bei allen Schlagwerkmechanismen wird auch das Musikwerk durch ein Federhaus mit Energie versorgt. Und unvermeidlicherweise ist die Kraft der Antriebsfeder größer, wenn sie voll aufgezogen ist, als wenn sie sich fast entspannt hat. Wäre ein solches Federhaus einfach direkt mit einem Musikwerk verbunden, würde die Melodie mit fortschreitendem Entspannen der Feder unweigerlich immer langsamer. Üblicherweise begegnet man diesem Phänomen mit einem ins Schlagwerk-Räderwerk integrierten Regulator. Dieser sorgt wie die Uhrwerkhemmung für eine konstante Ganggeschwindigkeit bzw. in diesem Fall für das gleichmäßige Tempo der Melodie. Solche Regulatoren umfassen jedoch rotierende Elemente, die einen charakteristischen Ton erzeugen, der die Klangreinheit beeinträchtigt. Einmal mehr erbringt eine „Lösung“ eine Antwort, die ein neues Problem schafft. Ein zweites Mal nutzte das Breguet-Entwicklungsteam bei der Konstruktion des Musikweckers eine Technologie, die bei der Herstellung mechanischer Armbanduhren noch nie eingesetzt worden war … und erfand mit der Verwendung von Magneten gleich einen lautlosen Regulator! Magnete und allgemein Magnetfelder gelten ja eigentlich als Gift für mechanische Uhren, weshalb man für die Regulierorgane traditionell amagnetische Werkstoffe verwendet. Geraten sie jedoch in ein genügend starkes Magnetfeld, können sie sich selbst magnetisieren und dann die vom Uhrmacher nach der Montage vorgenommene Feinstellung der Ganggenauigkeit beträchtlich verändern. Die übliche Lösung ist, die Uhr zu entmagnetisieren, um den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Das ist zwar eine recht einfache Sache, dennoch zeigte sich mehr als ein Besitzer 92 DER MAGNETISCHE REGULATOR VON BREGUET: EINE WELTPREMIERE. Oben: Die Fliehkraft verschiebt die versilberten Scheiben des Regulators nach außen unter die Magnete, was die Drehgeschwindigkeit verringert. Unten: Bei abnehmender Geschwindigkeit drücken die Federn die Scheiben wieder nach innen und begünstigen so eine schnellere Rotation. 93 RÉveil Musical eines kostbaren Zeitmessers zu Recht beunruhigt, dass dieser seine legendäre Genauigkeit eingebüßt hatte, weil er zufällig magnetisiert worden war. Bei der Entwicklung eines geräuschlosen magnetischen Regulators war das Team also mit zwei Schwierigkeiten konfrontiert: Einerseits galt es, das Konstruktionsprinzip des Regulators festzulegen, andererseits sicherzustellen, dass die Magnete die Ganggenauigkeit in keiner Weise beeinträchtigten. Das Funktionsprinzip des aus diesen Forschungen hervorgegangenen Regulators ist besonders raffiniert und wird hier erstmals in einer mechanischen Armbanduhr angewandt. Die Vorrichtung erinnert in zahlreichen Aspekten an einen elektrischen Generator. Die aus Metall gefertigten Dreharme werden auf dem ganzen Umfang von Magneten eingefasst. Bei ihrer Rotation erzeugen die Arme ein elektrisches Feld, das bei seinem Aufbau auf den Widerstand des Magnetfelds stößt. Dieser Widerstand steigert sich bei wachsender Drehgeschwindigkeit und nimmt ab, wenn sich die Rotation verlangsamt. Dieses Phänomen kann genutzt werden, um eine konstante Drehgeschwindigkeit zu erzielen, da die Beschleunigung wie die Verlangsamung einem entsprechenden entgegengesetzten Widerstand begegnen. Dieses völlig neue System funktioniert nicht nur lautlos, es vermeidet auch einen weiteren Nachteil herkömmlicher Regulatorkonstruktionen. Das herkömmliche Regulatorprinzip für mechanische Schlagwerke basiert auf der Reibung. Die Dreharme des Regulators sind innerhalb eines Zylinders so konstruiert, dass sie mit steigender Geschwindigkeit und Fliehkraft stärker gegen die Wand dieses Rohrs drücken und so die Reibung verstärken. Diese aneinander reibenden Oberflächen müssen selbstverständlich geschmiert werden, und bei dieser Bauweise erzeugt der reibende Kontakt der beiden Teile nicht nur ein Ge94 räusch, sondern hat auch eine Abnutzung zur Folge, die umso stärker wird, je mehr sich die Eigenschaften des Schmiermittels verschlechtern. Indem die neue BreguetKonstruktion diesen Kontakt zwischen den Dreharmen und der Zylinder-Innenwand vermeidet, werden gleichzeitig Lärm und Abnutzung eliminiert. Es gibt jedoch noch einen weiteren, für Uhrwerkkonstrukteure besonders wichtigen Vorteil: Bei Reibungsregulatoren sind die Reibungseigenschaften schwierig zu berechnen und können sich vor allem mit der Zeit verändern, während die Eigenschaften der Magnetkonstruktion exakt kalkulierbar sind und auf Dauer höchst stabil bleiben. Die neue, perfekte Lösung setzte selbstverständlich voraus, die Präsenz von Magneten innerhalb des Uhrwerks in den Griff zu bekommen. Dafür boten sich eher konventionelle Verfahren an. Auf die gleiche Weise, wie viele Militäruhren durch einen Weicheisenmantel gegen Magnetfelder abgeschirmt werden, packte Breguet den Magnetregulator in einen solchen Mantel. Damit sind die Magnetfelder des Regulators eingeschlossen und können nicht auf die anderen Uhrwerkteile ausstrahlen. Zwei weitere Konstruktionsentscheidungen garantieren, dass die Magnete die Ganggenauigkeit nicht beeinflussen. Erstens sind die Hemmung und die Spiralfeder aus dem absolut amagnetischen Werkstoff Silizium gefertigt. Und zweitens wurde bei der Bauweise des Werks darauf geachtet, den Schlagwerkregulator möglichst weit entfernt vom Regulierorgan der Uhr mit seiner Unruh zu platzieren. Nun galt es nur noch das Problem der ausreichenden Kraftversorgung für das Abspielen einer Melodie zu lösen, die genügend lang ist, um den Hörer zu bezaubern, und laut genug, um ihn auch wirklich zu wecken. Also musste eine Möglichkeit gefunden werden, neben dem Federhaus für die Zeitanzeigen zwei ausschließlich für das Musikwerk EINE MELODIE AM HANDGELENK. Damit eine Musikwecker-Melodie harmonisch klingt, muss die Abfolge der Noten genau stimmen, und dafür benötigt der Mechanismus eine große Gangreserve. bestimmte Federhäuser im Uhrwerk unterzubringen, also insgesamt drei. Damit eine Musikwerk-Melodie genossen werden kann, muss sie mehr bieten, als nur zu einer bestimmten Zeit ein Wecksignal zu produzieren. Selbstverständlich ist die Weckfunktion wichtig (und benötigt eigene Komplikationsmechanismen für das Einstellen des Weckzeitpunkts), doch der Besitzer eines Musikweckers will die Melodie auch nach Lust und Laune bzw. auf Verlangen abspielen können. Der Réveil Musical bietet beide Funktionen. Betätigt man einen bei 8 Uhr an der Gehäuseflanke angebrachten Drücker, spielt die Uhr das musikalische Thema während 20 Sekunden. Doch sie bietet mehr als nur dieses Musikvergnügen: Die Drehscheibe mit den „Programmierstiften“ ist auf der Unterseite des guillochierten Zifferblatts angebracht. Wird das Schlagwerk ausgelöst, kann man zuschauen, wie sich das Zifferblatt während der 20 Sekunden dauernden Melodie einmal um seine Achse dreht. Im Weckmodus musiziert die Uhr besonders lang, nämlich 80 Sekunden: Das entspricht vier Zifferblattumdrehungen und ebenso vielen Wiederholungen des musikalischen Motivs. Vergleichen Sie das mit den üblicherweise 15 Sekun95 RÉveil Musical den eines herkömmlichen mechanischen Weckers! Gewiefte Uhrenkenner werden sich nun fragen, was passiert, wenn der Wecker mitten während dieses Abspielens gestoppt wird? Da sich die Stiftscheibe mit dem Zifferblatt dreht, wird die Melodie bis zu einer vollen Umdrehung zu Ende gespielt, worauf sich die Zifferblattscheibe wieder in ihrer normalen Position befindet. Die Konstrukteure von Breguet haben bei der Bauweise einen weiteren Umstand berücksichtigt: Was geschieht, wenn die Kraftreserve des Musikwerks nicht für eine vollständige Umdrehung ausreicht? Zwar findet sich eine Gangreserveanzeige auf dem Zifferblatt, aber vielleicht wird sie ja vom Träger beim Auslösen nicht beachtet. Um dem abzuhelfen, haben die Uhrmacher der Manufaktur ein Blockiersystem entwickelt, welches verhindert, dass das Zifferblatt in einer andern als seiner üblichen Position stehen bleibt. Um den Weckmodus zu wählen, braucht man nur den Drücker unterhalb von 10 Uhr auf der Gehäuseflanke zu betätigen. Die Aktivierung dieser Funktion wird in einem Zifferblattfenster durch eine Note angezeigt. Die Weckzeit kann auf dem Zifferblatt an einem großen, an der Spitze mit einem G-Notenschlüssel gekrönten Zeiger abgelesen werden. Ein sinnreiches Element des Modells Réveil du Tsar von Breguet findet sich im Réveil Musical ebenfalls wieder: Weckeruhren haben ja im Allgemeinen den Nachteil, dass eine Verbindung zwischen dem Weckmechanismus und der Zeitanzeige bestehen muss. Bei jedem Richten der Uhrzeit wird auch eine vorgängig eingestellte Weckzeit verändert, was ein Neueinstellen notwendig macht. Breguet hat beim Réveil du Tsar eine Lösung für diesen chronischen Nachteil von Weckeruhren gefunden, indem der Wecker-Einstellmechanismus mit einer Kupplung versehen wurde. Diese kuppelt den Weckmechanismus aus, wenn die Krone in die Position zum Richten der Uhrzeit gezogen wird. Damit hat das Verstellen der Uhrzeit keinen Einfluss auf den fürs Wecken gewählten Zeitpunkt. Dieses System wurde wie erwähnt in den Réveil Musical integriert. ◆ Gioacchino Rossini. Die erste für den Réveil Musical ausgewählte Melodie stammt aus der Oper Die diebische Elster (La Gazza ladra). Es macht Sinn, dass für die erste Version dieses Musikweckers ein Werk von Gioacchino Rossini gewählt wurde, war doch der italienische Komponist stolzer Besitzer einer Breguet-Uhr. Das Basis-Uhrwerk dieses Zeitmessers ist das Breguet-Manufakturkaliber 777 mit einer Hemmung aus Silizium und einer Spiralfeder mit Breguet-Endkrümmung aus demselben Material sowie einer Unruh mit variablem Trägheitsmoment und goldenen Regulierschrauben. Es verfügt über eine Gangreserve von 60 Stunden. Der Réveil Musical wird in Gelbgold und Weißgold angeboten. 96 97 BREGUET IM SCHWEIZERISCHEN NATIONALMUSEUM ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ BREGUET IM SCHWEIZERISCHEN NATIONALMUSEUM ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ ◆ Von Jeffrey S. Kingston 98 99 BREGUET IM SCHWEIZERISCHEN NATIONALMUSEUM ◆ Château de Prangins vor den Toren Genfs, der Westschweizer Sitz des Schweizerischen Nationalmuseums. Links das Landesmuseum Zürich. W er sich an einzelnen historischen Quellen orientiert, könnte leicht zum Schluss kommen, Abraham-Louis Breguet sei ein französischer Uhrmacher gewesen. Tatsächlich lebte er abgesehen von einer zweijährigen Unterbrechung von 1762 bis zu seinem Tod 1823 in Frankreich und besaß die französische Staatsbürgerschaft. Er hatte seinen Geschäftssitz zeitlebens am Quai de l’Horloge Nr. 39 auf der Ile de la Cité in Paris. Zu seiner Kundschaft gehörten bedeutende Persönlichkeiten wie Marie-Antoinette, Napoleon, General Charles-Victor-Emmanuel Leclerc, Charles-Maurice de Talleyrand oder Ludwig XVIII. Breguet war Mitglied der Akademie der Wissenschaften des Institut de France. Seine Gattin war Französin. Sein Sohn und sein Enkel führten sein Uhrengeschäft nach seinem Tod jahrzehntelang in Frankreich erfolgreich weiter. Und sein Ururenkel Louis Breguet war ein französischer Flugpionier. In Wirklichkeit war Abraham-Louis Breguet jedoch Schweizer beziehungsweise Bürger des Fürstentums und späteren Schweizer Kantons Neuenburg. ◆ ◆ ◆ 100 Das war für das Schweizerische Nationalmuseum ein guter Grund, im Château de Prangins vor den Toren Genfs und im Schweizerischen Landesmuseum in Zürich das von überragenden uhrmacherischen Entwicklungen geprägte Leben Breguets in zwei Sonderausstellungen zu präsentieren. Abraham-Louis Breguet wurde 1747 in Neuchâtel geboren. Er verbrachte die ersten fünfzehn Jahre seines Lebens in der Schweiz. Nach dem frühen Tod seines Vaters, 1758, heiratete seine Mutter im Jahr darauf dessen Vetter, den Uhrmacher Joseph Tattet, der Breguet in seinen Beruf einführte und 1762 bei einem befreundeten Uhrmacher in Versailles in die Lehre gab. Danach arbeitete er bei Pariser Uhrmachermeistern, bevor er sich 1775 selbstständig machte, und pflegte dabei engen Kontakt mit anderen Schweizern seines Fachs, die in der französischen Hauptstadt arbeiteten. Zum Kreis der Schweizer gehörten beispielsweise der ebenfalls in Neuchâtel geborene Ferdinand Berthoud, dessen Marinechronometer Berühmtheit erlangten, Jean-Antoine Lépine, ein angesehener Hersteller von Pendülen, der das Licht der Welt in der Nähe von Genf erblickt hatte, sowie Jean-Pierre Droz aus La Chauxde-Fonds, ein Fabrikant von Medaillen und Münzen. Die Beziehungen Breguets zu Schweizern beschränkten sich indes nicht nur auf Paris. In regelmäßigem Kontakt stand er etwa mit dem Neuenburger Uhrmacher Abraham-Louis Perrelet, und er bezog verschiedene Einzelteile seiner Uhren über ein großes Netz von Schweizer Lieferanten. In den turbulenten Zeiten nach der Französischen Revolution zählte Breguet zu den Befürwortern der ersten Stunde des egalitären Gedankenguts (was eigentlich paradox ist, da die meisten seiner Kunden politisch auf der Gegenseite standen). Als er sich dann dem gemäßigteren Lager näherte, geriet er bei den neuen Machthabern unter Verdacht. Da er um sein Leben fürchten musste, beschloss er, mit seiner Familie in sein vergleichsweise sicheres Geburtsland zu flüchten. Er blieb dort für zwei Jahre, zunächst einige Wochen in Genf, anschließend in den Städten Neuchâtel und Le Locle. 101 BREGUET IM SCHWEIZERISCHEN NATIONALMUSEUM Der Aufenthalt in der Schweiz wurde gut genutzt. In den zweieinhalb Monaten, die er in Genf verbrachte, verstärkte er seine Beziehungen zu den Herstellern von Rädern, Spiralfedern und anderen Uhrenbestandteilen, die seine Pariser Werkstätten belieferten. Noch ehrgeiziger war der Versuch, die ursprünglich von Voltaire im grenznahen französischen Ferney gegründete Uhrwerk-Manufaktur wieder in Schwung zu bringen. Der Grund für dieses gewagte Unterfangen war, dass Frankreich in der damaligen Zeit die Kontrolle über Genf zu erlangen suchte und eine Reihe verheerender Wirtschaftsblockaden gegen die Stadt verhängte, was Betriebsgründungen in der Calvinstadt extrem verteuerte. Ferney auf französischem Boden war von diesen wirtschaftlichen Behinderungen weniger betroffen, jedoch für Breguet politisch riskanter. Angesichts dieser negativen Umstände verzichtete der Uhrmacher schweren Herzens darauf, Voltaires Werkstatt neuen Elan zu verleihen. Dessen ungeachtet war die Zeit in Genf nicht verloren, da seine Aufnahme in die Société des Arts de Genève – die Gewerbekammer – für ihn eine Anerkennung bedeutete, auf die er in seiner Wahlheimat Paris auch nach seiner 102 Rückkehr nach Frankreich noch mehrere Jahre warten musste. Die Aufenthalte in Neuchâtel und Le Locle erwiesen sich als produktiver. In Le Locle gründete er eine Werkstatt für die Uhrwerkmontage, um die Nachfrage seiner Pariser Geschäfte zu befriedigen. Angegliedert war ein Labor, in dem Breguet Experimente für die Weiterentwicklung von Uhrwerken durchführte. Üblicherweise geht es im politischen Exil zunächst darum, das nackte Überleben zu sichern. Erfindungskraft, Kreativität und Inspiration rücken bei einem solchen Bruch in den Hintergrund. Das war bei Breguet nicht der Fall: Die zwei in der Schweiz verbrachten Jahre waren sogar außerordentlich fruchtbar. Abgesehen von seinen Werkstattplänen in Genf und Neuenburg sowie der Gründung in Le Locle schuf er hier die Grundlagen für eine Reihe von Erfindungen, die bei seiner Rückkehr nach Frankreich geradezu schlagartig erschienen. Die erste war die Konzeption des Tourbillons, um damit schwerkraftbedingte Gang- abweichungen zu kompensieren. Wir verneigen uns vor dieser Leistung: Eine der wichtigsten Erfindungen in der Geschichte der Uhrmacherkunst begann im Exil. Doch damit nicht genug. Breguet entwickelte in der Schweiz auch die Tastuhr oder Montre à tact – eine Einzeigeruhr ohne Glas mit erhöhten Stundenmarkierungen, sodass die Zeit im Dunkeln durch Abtasten ermittelt werden kann – sowie die sogenannte sympathetische Pendüle. Zu dieser Tischuhr gehört eine Taschenuhr, deren Uhrzeit automatisch mit jener der Pendüle synchronisiert wird, wenn sie in deren Verbindungsschlitz eingesetzt wird. AUSSERGEWÖHNLICHE AUSSTELLUNGEN. Breguet ist der einzige Uhrmacher, dem die größten Museen der Welt Einzelausstellungen gewidmet haben. Sein Erfindungsgeist und Tatendrang während der Schweizer Jahre beschränkte sich jedoch nicht auf die Uhrenmechanik. Er beschäftigte sich außerdem intensiv mit dem kommerziellen Aspekt seines Unternehmens, indem er eine vollständig neue Methode für den Uhrenverkauf ersann: die Subskription. Breguets Idee der Uhrensubskription war revolutionär und bahnte den Weg zur modernen Serienproduktion. Zu seiner Zeit wurden Uhren zumeist auf Bestellung und den Kundenwünschen entsprechend 103 BREGUET IM SCHWEIZERISCHEN NATIONALMUSEUM angefertigt, sodass jedes Stück ein Unikat war. Breguets Subskriptionsuhren hingegen waren als einfache und einheitlich gestaltete Einzeigeruhren mit emaillierten Zifferblättern konzipiert. Mit diesem standardisierten Design nahm Breguet Fabrikationsmethoden der späteren Jahrzehnte vorweg, die bis heute Bestand haben. In Kenntnis der historischen Quellen darf also mit Fug und Recht gesagt werden, dass er sich als erster für die Serienproduktion eingesetzt hatte. Abraham-Louis Breguet konnte so diese standardisierten, einfacheren Uhren nicht nur zu tieferen Preisen und einer breiteren sozialen Schicht mit bescheidenerem Einkommen anbieten, er entwickelte gleichzeitig eine neue Vertriebsmethode. Sie funktionierte folgendermaßen: Der Kunde leistete einen Teil des Kaufpreises (gewöhnlich ein Drittel) bei der Bestellung, weitere Zahlungen während der Herstellungszeit und den Rest bei der Auslieferung der Uhr. Diese Methode unterschied sich von der damals üblichen Praxis, bei welcher der Gesamtbetrag bei der Bestellung zu entrichten war. 104 In Breguets Leben und Werk sind schweizerische und französische Einflüsse verwoben, sie ergänzen sich und können nicht auseinanderdividiert werden. Aus dieser Perspektive wurde der Plan einer Ausstellung als Hommage an sein Genie und seine Kreationen in Angriff genommen, und es war von Anfang an klar, dass sie in Frankreich und in der Schweiz gezeigt werden musste. Die erste französisch-schweizerische Breguet-Retrospektive fand von Juni bis September 2009 im Louvre in Paris statt. Erstmals widmete das berühmte Museum einen seiner Hauptsäle, in diesem Fall die Salle de la Chapelle direkt neben der Eingangspyramide, dem Werk eines einzelnen Uhrmachers. Und bis heute ist Breguet der einzige Uhrmacher geblieben, dem zwei der prestigereichsten Museen der Welt eine große Ausstellung gewidmet haben. Denn schon einige Jahre früher, 2004, hatte das Eremitage-Museum in St. Petersburg eine Ausstellung zu Ehren von Abraham-Louis Breguet veranstaltet. Die Bedeutung der Retrospektive im Louvre wurde anlässlich der Vernissage augenfällig. Unter den Anwesenden befanden sich der im Jahr darauf verstorbene Nicolas G. Hayek, Henri Loyrette, Präsident des Musée du Louvre, und Ulrich Lehner, Schweizer Botschafter in Paris. Die Ausstellung zog während der zweieinhalb Monate, in denen sie im Louvre gezeigt wurde, mehr als 110 000 Besucher an, und der dazu veröffentlichte prachtvolle Katalog wurde während dieser Zeit in der Museumsbuchhandlung zum Bestseller. Das Schweizerische Nationalmuseum stellt den helvetischen Teil der Ausstellungskampagne dar, und zwar mit den Präsentationen an seinen beiden Hauptstandorten – von Juni bis September 2011 im Château de Prangins in der Westschweiz und von Oktober 2011 bis Januar 2012 im Schweizerischen Landesmuseum in Zürich –, bevor die Exponate in Ausstellungen rund um den Globus gezeigt werden. Es gibt einige kleine, vom Ausstellungsort abhängige Abweichungen von Katalog und Präsentation, wobei für die Ausstellung im Louvre rund 120 Taschenuhren und Pendülen zusammengetragen wurden. Die wichtigen Stücke sind mehrheitlich von handschriftlichen Anmerkungen Breguets begleitet, mit denen er seine Kreationen vom Bestelldatum über die diversen Fertigungsschritte bis zur Lieferung an die Kundschaft kommentierte. Diese Dokumente führen die Besucher zwei Jahrhunderte zurück ins legendäre Atelier am Quai de l’Horloge 39 und bieten ihnen Gelegenheit, die Geburt unschätzbarer Meisterwerke nachzuvollziehen. 105 BREGUET IM SCHWEIZERISCHEN NATIONALMUSEUM ◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆ HIGHLIGHTS DER AUSSTELLUNG ◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆ Verkauft 1814 an den Prinzregenten von England, den späteren König Georg IV. Heute im Besitz von Königin Elizabeth und Prinz Philip von England. 106 ◆ Nr. 666/721 SYMPATHETISCHE PENDÜLE Mahagonigehäuse, vier Seiten verglast, Silberzifferblatt, vergoldetes Metall, mit der dazugehörigen einfachen Breguet-Taschenuhr Nr. 721 mit Goldgehäuse und Emailzifferblatt. Verkauft im August 1814 an den Prinzregenten von England, den späteren König Georg IV.; Leihgabe von Königin Elisabeth und Prinz Philip von England. 107 BREGUET IM SCHWEIZERISCHEN NATIONALMUSEUM ◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆ HIGHLIGHTS DER AUSSTELLUNG ◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆ Erworben 1798 von Napoleon Bonaparte ◆ Nr. 178 REISEPENDÜLETTE MIT VIERTELSTUNDENREPETITION UND ALMANACH Vergoldetes Bronzekabinett mit dorischen Säulchen, an drei Seiten verglast, Silberzifferblatt mit großem Fenster für die Mondphasenanzeige, vorgeblendete Platte aus vergoldetem Metall und Blattwerkgravuren mit drei Anzeigefenstern für Datum, Monat und Wochentag, 8-Tage-Uhrwerk aus vergoldetem Metall, Hemmung mit geradem Anker, Repetition auf zwei Tonfedern. Diese Reiseuhr wurde von General Napoleon Bonaparte 1798 einen Monat vor seinem Ägyptenfeldzug erworben, und zwar als einer von drei Zeitmessern, die zu seiner Ausrüstung für diesen Krieg gehörten. 108 109 BREGUET IM SCHWEIZERISCHEN NATIONALMUSEUM ◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆ HIGHLIGHTS DER AUSSTELLUNG ◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆ Konstruiert für Marie-Antoinette ◆ Nr. 1160 PERPETUELLE UHR MIT MINUTENREPETITION „MARIE-ANTOINETTE“ Goldgehäuse, Bergkristall-Zifferblatt, Zeiger aus Gold und Stahl, vollständiger ewiger Kalender, Zeitgleichung, Gangreserve, metallisches Thermometer, unabhängige große Sekunde und kleiner Sekundenzeiger. Diese Uhr ist von der Montres Breguet SA von 2004 bis 2008 anhand der erhaltenen Aufzeichnungen über die zwischen 1783 und 1827 angefertigte Uhr „Marie-Antoinette“ Nr. 160 konstruiert worden. 110 111 BREGUET IM SCHWEIZERISCHEN NATIONALMUSEUM ◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆ HIGHLIGHTS DER AUSSTELLUNG ◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆ Verkauft 1800 an Kaiserin Josephine Bonaparte ◆ Nr. 611 KLEINE MEDAILLON-TASTUHR Blau emailliertes Goldgehäuse, mit Diamanten besetzter Pfeil und Tastelemente aus großen runden Diamanten, Silberzifferblatt, RubinZylinderhemmung. Verkauft im Februar 1800 an Josephine Bonaparte. Später schenkte Kaiserin Josephine diese Uhr ihrer Tochter Hortense de Beauharnais, Königin von Holland; bei diesem Anlass wurde das Stück mit einem gekrönten H und mit neuen Diamanten versehen, die größer als die ursprünglichen sind. Tastuhren sind mit einem großen äußeren Stundenzeiger ausgestattet, dessen Position im Dunkeln ertastet werden kann. 112 113 BREGUET IM SCHWEIZERISCHEN NATIONALMUSEUM ◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆ HIGHLIGHTS DER AUSSTELLUNG ◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆◆ Verkauft 1813 an die Großherzogin der Toskana, Élisa Bonaparte ◆ Nr. 2603 MEDAILLONUHR MIT VIERTELSTUNDENREPETITION UND REGULATORZIFFERBLATT Guillochiertes Goldgehäuse, Staubdeckel aus Gold, Regulator-Silberzifferblatt mit kleinen zusätzlichen Ringzifferblättern für die Anzeige der Stunden und Sekunden, Minutenzeiger aus der Mitte, RubinZylinderhemmung. Im November 1813 verkauft an Elisa Bonaparte, Großherzogin der Toskana und Schwester von Napoleon Bonaparte. 114 115 Nº 1 HERAUSGEBER Montres Breguet SA CH-1344 L’Abbaye Schweiz Tel. +41 21 841 90 90 www.breguet.com PRODUKTMANAGEMENT Géraldine Joz-Roland CHEFREDAKTOR Jeffrey Kingston AUTOREN Jeffrey S. Kingston Marie-Hélène Huet Emmanuel Breguet EIN BESONDERER DANK GEHT AN Christian Lattmann Nakis Karapatis Alain Zaugg VORSTUFE UND DRUCK Courvoisier-Attinger SA BILDNACHWEIS Aufnahmen im Besitz der Collection Montres Breguet SA: Joël von Allmen Lionel Deriaz Xavier Reboud Pixmédia Photo 2000 ANDERE ILLUSTRATIONEN © RMN/Gérard Blot S. 32/33 © RMN(château de Versailles)/Gérard Blot S. 75 © Château de Versailles/Jean-Marc Manaï S. 78, 82/83 © Collection Swatch Group S. 8, 13, 14, 17 © Getty Images S. 35, 36/37 © Schweizerisches Nationalmuseum S. 100, 101, 109, 114/115 © The Royal Collection 2011 Her Majesty Queen Elizabeth II S. 107 © Patrick Tournebœuf S. 70/71, 74, 76, 77, 79, 80 © Ullstein Bild S. 96 ADAPTATION DER DEUTSCHEN AUSGABE Robert und Claudia Schnieper, Sion KONZEPT, GRAFIKDESIGN, VERWIRKLICHUNG A+, Basel, Schweiz Gregorio Caruso, Marie-Anne Räber ART DIRECTION Gregorio Caruso Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Montres Breguet SA ist es nicht gestattet, Texte, Bilder oder das Layout dieser Zeitschrift zu reproduzieren oder anderweitig zu verwenden. © Montres Breguet SA 2011 FOTOLITHOGRAFIE Gravoractual 116 Gedruckt im Dezember 2011