VWL - Eine kritische Einführung

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VWL - Eine kritische Einführung
Karl Betz
VWL - Eine kritische Einführung
Studienbuch zum Kurs VWL für Ingenieure
FH SWF / Meschede, 2011
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S. I
Inhalt
S.
Verzeichnisse
Inhalt .......................................................................................................................................... hier
Boxen im Text ............................................................................................................................... V
Tabellen ......................................................................................................................................... V
Abbildungen .................................................................................................................................. V
Abkürzungen ............................................................................................................................. VIII
Vorbemerkung ................................................................................................................................ IX
1 Fragestellung, Methode und Gegenstand .................................................................................... 1
1.1.2 Arbeitsteilung ........................................................................................................................ 1
1.1.2.1 Vorteile der Arbeitsteilung ............................................................................................ 2
1.1.2.2 Das Koordinationsproblem ........................................................................................... 3
1.2 Vwl und Bwl ............................................................................................................................ 4
1.2.1 Die Gemeinsamkeit: Das ökonomische Prinzip ............................................................... 4
1.2.2 Der Unterschied: Einzel- vs. gesamtwirtschaftliche Betrachtung .................................... 5
1.3 Methode ................................................................................................................................... 6
1.4 Einige Prämissen ...................................................................................................................... 9
Fragen zum ersten Kapitel ........................................................................................................... 12
Teil 1 Mikroökonomik
2 Das Marktmodell ......................................................................................................................... 15
2.1 Zum Überblick: Die Kreislaufdarstellung ............................................................................. 15
2.2 Das Marktmodell: Die Grundannahmen ................................................................................ 19
2.2.1 Die Marktnachfrage ....................................................................................................... 21
2.2.2 Das Marktangebot .......................................................................................................... 23
2.2.3 Elastizitäten .................................................................................................................... 24
2.2.4 Das Marktgleichgewicht ................................................................................................ 26
2.2.4.1 Marktformen ........................................................................................................... 26
2.2.4.2 Wettbewerbsgleichgewicht ..................................................................................... 27
Fragen zum zweiten Kapitel ........................................................................................................ 32
Exkurs zum zweiten Kapitel: Die unsichtbare Hand des Marktes ............................................... 34
3 Komparative Statik oder: Das Marktmodell in Aktion ........................................................... 39
3.1 Komparative Statik: Die Methode ......................................................................................... 39
3.1.1 Verschiebung der Nachfragekurve ................................................................................. 41
3.1.2 Verschiebung der Angebotskurve ................................................................................... 43
S. II
3.1.3 Simultane Verschiebung beider Kurven ......................................................................... 44
3.2 Komparative Statik:Steuern ................................................................................................... 45
3.3 Komparative Statik:Externe Effekte ...................................................................................... 49
3.4 Mit Zitronen gehandelt: Marktversagen bei Informations-Asymmetrien............................... 51
3.5 Bubbles und Deflationen........................................................................................................ 51
Fragen zum dritten Kapitel .......................................................................................................... 56
Exkurs zum dritten Kapitel: Anchoring ....................................................................................... 59
4 Theorie des Angebots ................................................................................................................... 61
4.1 Produktionsfunktion ............................................................................................................... 62
4.2 Produktionsfunktion, Kostenfunktion und Angebotsfunktion (Lange Frist) ......................... 63
4.3 (Partielle) Produktionsfunktion und Kostenfunktion (Kurze Frist) ....................................... 67
Fragen zum 4. Kapitel .................................................................................................................. 70
Exkurs zum vierten Kapitel: Grenzproduktivität, Lohn und Arbeitsnachfrage ........................... 72
Einkommensverteilung ........................................................................................................... 73
5 Produktionspreismodell und Faktorpreisgrenze (fpf) .............................................................. 77
5.1 Die Produktionspreisgleichung .............................................................................................. 77
5.2 Die Faktorpreisgrenze (fpf) ................................................................................................... 79
5.3 Mehrere Techniken: fpf und die Wahl der Technik ................................................................ 81
5.4 Anwendungen: Komparative Statik mit der fpf ..................................................................... 84
Fragen zum 5. Kapitel .................................................................................................................. 85
6 Faktormärkte ............................................................................................................................... 89
6.1 Das Faktorangebot ................................................................................................................. 91
6.1.1 Das Kapitalangebot der Haushalte ................................................................................. 91
6.1.2 Das Arbeitsangebot der Haushalte ................................................................................. 97
6.2 Faktornachfrage und Gleichgewicht der Faktormärkte ......................................................... 99
6.3 Das BIP: die angebotsorientierte Sicht ................................................................................ 103
Fragen zum 6. Kapitel ................................................................................................................ 104
Exkurse zum sechsten Kapitel
Exkurs 6.1 Realzinssatz und Nominalzinssatz ...................................................................... 106
Exkurs 6.2 Verlauf der Arbeitsangebotskurve: Backward bending labour supply curve und
multiples Gleichgewicht ....................................................................................................... 107
Teil II - Makroökonomik
7 Mikro- und Makroökonomie .................................................................................................... 109
7.1 Angebotsorientierte und nachfrageorientierte Theorie: der Unterschied in den Sichtweisen109
7.2 Mikro- und Makro: Der Unterschied ................................................................................... 114
7.3 Aggregation .......................................................................................................................... 116
BIP ......................................................................................................................................... 116
S. III
Preisniveau / Inflation ........................................................................................................... 117
7.4 ex post / ex ante; notionale und effektive Pläne ................................................................... 118
Fragen zum 7. Kapitel ................................................................................................................ 121
8 Geld und Banken ....................................................................................................................... 123
8.1 Geldmenge ........................................................................................................................... 123
8.2 Wie Geld entsteht ................................................................................................................. 126
8.2.1 Wie Zentralbankgeld entsteht ....................................................................................... 126
8.2.2 Wie M entsteht ............................................................................................................. 129
8.2.3 Zusammenfassung: Wie Geld entsteht ......................................................................... 133
Too interconnected to fail ................................................................................................. 134
8.3 Banken trennen Sparen und Investieren .............................................................................. 137
8.4 Bubbles, the sequel .............................................................................................................. 140
Schulden sind sicher .............................................................................................................. 142
Too big to be saved ............................................................................................................... 144
Fragen zum 8. Kapitel ................................................................................................................ 145
9 Nachfrage und Einkommen ...................................................................................................... 149
9.1 Das Einkommen-Ausgaben-Diagramm ............................................................................... 150
9.1.1 Die Gleichgewichtsbedingung ..................................................................................... 151
9.1.2 Nachfrage und Gütermarktgleichgewicht .................................................................... 152
9.1.2.1 Konsumnachfrage ................................................................................................. 152
9.1.2.2 Sparen ................................................................................................................... 154
9.2 Erweiterung: Investitionen ................................................................................................... 156
9.3 Der Multiplikatorprozeß ...................................................................................................... 157
9.4 Staat ..................................................................................................................................... 159
Steuerfinanzierte Staatsausgaben ..................................................................................... 161
9.5 Ausland ................................................................................................................................ 163
9.6 Saldenbeziehungen .............................................................................................................. 165
Fragen zum 9. Kapitel ................................................................................................................ 168
Exkurse zum 9. Kapitel
Exkurs 9.1 Übersicht Multiplikatoren ................................................................................... 169
Exkurs 9.2 Vom Einkommen abhängige Steuern .................................................................. 170
Exkurs 9.3 Einkommensverteilung, Multiplikator und BIP .................................................. 171
Exkurs 9.4 d Y oder Y? ......................................................................................................... 173
10 IS-MP ....................................................................................................................................... 175
10.1 Zinselastische Nachfrage: Die IS-Kurve ........................................................................... 176
10.2 Geld, Banken und Zinsen: die MP-Kurve ......................................................................... 178
10.2.1 Die Grundidee ............................................................................................................ 178
10.2.2 Lage und Verlauf der MP-Kurve ................................................................................ 182
10.3 Das IS-MP-Gleichgewicht ................................................................................................. 184
10.4 Komparative Statik im IS-MP-Modell .............................................................................. 186
10.5 IS-MP und Arbeitsmarkt: Zwei Schließungen ................................................................... 189
S. IV
10.5.1 IS-MP: Die angebotsorientierte Variante ................................................................... 190
10.5.2 Die nachfrageorientierte Schließung .......................................................................... 194
Fragen zum 10. Kapitel .............................................................................................................. 199
Exkurs zu Kapitel 10: Neoklassisches vs. keynesianisches Gleichgewicht .............................. 200
Exkurs 10.1: Das neoklassische Gleichgewicht: Ein Sonderfall .......................................... 202
Exkurs 10.2: Eine monetär-keynesianische Schließung ....................................................... 203
Exkurs 10.2.1 Vermögensmarkt und Zinssatz .................................................................. 204
Exkurs 10.2.2 Zurück zu IS-MP ....................................................................................... 207
11 Wachstum & Konjunktur
11.1 Zur Abgrenzung von Wachstum und Konjunktur .............................................................. 211
11.2 Wachstumstheorie .............................................................................................................. 214
11.2.1 Der definitorische Rahmen ......................................................................................... 214
11.2.2 Nochmal zur Produktionsfunktion ............................................................................. 216
11.2.3 Angebotsorientierte Wachstumstheorie ...................................................................... 217
11.2.4 Nachfrageorientierte Wachstumstheorie .................................................................... 220
11.3 Konjunktur ......................................................................................................................... 221
11.4 Hysterese - oder: Hat die Konjunktur einen Einfluß auf das Wachstum? .......................... 223
Fragen zum 11. Kapitel .............................................................................................................. 228
12 Antworten auf die Anwendungsfragen .................................................................................. 231
S. V
Boxen im Text
Fallstudie: Überschußnachfrage .................................................................................................. 26
Fallstudie: Waldbrände in Rußland .............................................................................................. 44
Ab- und Aufdiskontieren ............................................................................................................. 53
Fallstudie: Kapitalumbewertung und -vernichtung : Der Wohnungsleerstand in den USA ........ 93
Fallstudie: Freiwillige und unfreiwillige Arbeitslosigkeit ........................................................... 98
Wie hoch ist r? Eine Überschlagsrechnung ............................................................................... 102
Neoklassische Synthese ............................................................................................................. 113
EZB und ESZB .......................................................................................................................... 126
Bruttoinlands- und Bruttoinländerprodukt (Sozialprodukt) ....................................................... 116
Anmerkungen zum Multiplikator .............................................................................................. 159
Einkommens- und Vermögensverteilung: USA ......................................................................... 173
Das Dilemma der Geldpolitik im Jahr 2011 .............................................................................. 183
Liquiditätsfalle: Der Fall Japans und der USA .......................................................................... 194
Wachstumsprognosen ................................................................................................................ 219
Einkommensentwicklung nach der Great Recession ................................................................. 225
Tabellen
Tab. 4.1: Arbeitsinput und Outputmenge ..................................................................................... 69
Tab. 8.1: Zinssätze der EZB ....................................................................................................... 127
Tab. 9.1: Übersicht Multiplikatoren ........................................................................................... 170
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1.1: Zahl der Unternehmen in Deutschland .......................................................................... 2
Abb. 2.1: Ein einfaches Kreislaufschema .................................................................................... 16
Abb. 2.2: Die Phillips-Maschine .................................................................................................. 18
Abb. 2.3: Einfaches Marktdiagramm ........................................................................................... 20
Abb. 2.4: Nachfrage nach Wasser ................................................................................................ 22
Abb. 2.5: Unterschiedliche Verläufe der Angebotsfunktion ........................................................ 23
Abb. 2.6: Markt im Ungleichgewicht .......................................................................................... 28
Abb. 2.7: Marktgleichgewicht ..................................................................................................... 30
Abb. 2.A.1: Anforderungen an Nachfrage- und Angebotsfunktionen ......................................... 37
Abb. 3.1: Verschiebung der Nachfragefunktion .......................................................................... 41
Abb. 3.2: Verschiebung der Angebotsfunktion ............................................................................ 43
Abb. 3.3: Verschiebung beider Kurven ........................................................................................ 45
Abb. 3.4: Mengensteuer, die der Käufer zahlt ............................................................................. 46
Abb. 3.5: Steuerinzidenz bei unterschiedlicher Steuererhebung ................................................. 47
Abb. 3.6: Steuerkeil ..................................................................................................................... 48
S. VI
Abb. 3.7: Negative Produktions-Externalität ............................................................................... 49
Abb. 3.8: historische Rhodiumpreise ........................................................................................... 52
Abb. 3.9: historische Goldbubbles ............................................................................................... 55
Abb. 4.1: Skalenerträge ............................................................................................................... 63
Abb. 4.2: Kostenfunktion und Grenzkostenfunktion bei sinkenden Skalenerträgen ................... 65
Abb. 4.3: Grenzkostenfunktion und Angebotsfunktion ............................................................... 65
Abb. 4.4: Angebotskurven bei sinkenden und konstanten Skalenerträgen .................................. 66
Abb. 4.5: Grenzproduktivität der Arbeit bei unterschiedlichem Kapitaleinsatz .......................... 69
Abb. 4.6: Grenzproduktivität der Arbeit und Arbeitsnachfragefunktion ..................................... 72
Abb. 5.1: Faktropreisgrenze (fpf) ................................................................................................ 80
Abb. 5.2: Mehrere Techniken ...................................................................................................... 81
Abb. 5.3: Reswitching ................................................................................................................. 83
Abb. 5.4: Technischer Fortschritt im Produktionspreismodell .................................................... 84
Abb. 6.1: Erweitertes Kreislaufdiagramm: Sparen und Investieren ............................................ 90
Abb. 6.2: Höhe der Brutto und Nettoinvestitionen als Anteil am BIP der BRD ......................... 92
Abb. 6.3: Realzinssatz, Kapitalangebot und Arbeitsnachfrage .................................................... 96
Abb. 6.4: Arbeitsnachfrage und Zins ........................................................................................... 97
Abb. 6.5: Arbeitsangebot, freiwillige und unfreiwillige Arbeitslosigkeit .................................... 98
Abb. 6.6: Simultanes Gleichgewicht von Arbeits- und Kapitalmarkt ....................................... 101
Abb. 6.7: Arbeitsmarktgleichgewicht und Volkseinkommen .................................................... 103
Abb. 6.E2.1: Multiple Gleichgewichte am Arbeitsmarkt .......................................................... 107
Abb. 7.1: Angebotsorientierte Theorie: Die Logik .................................................................... 110
Abb. 7.2: Nachfrageorientierte Theorie: Die Logik ................................................................... 111
Abb. 7.3: Keynesianischer Arbeitsmarkt ................................................................................... 112
Abb. 8.1: Entstehung von Zentralbankgeld ............................................................................... 126
Abb. 8.2: Geldmarkt .................................................................................................................. 128
Abb. 8.3 Zinskorridor ................................................................................................................ 129
Abb. 8.4 Entstehung von M ....................................................................................................... 130
Abb. 8.5: Kreditmarkt ................................................................................................................ 131
Abb. 8.6 Entwicklung der Reservehaltung britischer Banken ................................................... 135
Abb. 8.7 Eigenkapitalquoten US-amerikanischer und britischer Banken ................................. 136
Abb. 8.8: Entwicklung der Eigenkapitalrendite britischer Banken ........................................... 137
Abb. 8.9: Anteil der Finanzdienstleistungen am BIP der USA .................................................. 141
Abb. 8.10: Anteil der Gewinne der Finanzindustrie an allen Gewinnen in den USA ............... 142
Abb. 9.1: Gütermarktdiagramm mit Gleichgewichtsbedingung ................................................ 151
Abb. 9.2: Einkommen-Ausgabenmodell, nur Konsumnachfrage .............................................. 154
Abb. 9.3: Änderung der marginalen Konsum-/ bzw. Sparneigung ............................................ 155
Abb. 9.4: Investitionsnachfrage ................................................................................................. 157
Abb. 9.5: Die Wirkung steuerfinanzierter Staatsausgaben ........................................................ 162
Abb. 9.6: Kreislaufdiagramm einer offenen Volkswirtschaft mit Staat ..................................... 166
Abb. 10.1: Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals ..................................................... 177
Abb. 10.2: Die Herleitung der IS-Kurve .................................................................................... 178
S. VII
Abb. 10.3: IS-MP: Der einfachste Fall ...................................................................................... 181
Abb. 10.4: Verlauf der MP-Kurve gemäß der Taylor-Regel ...................................................... 183
Abb. 10.5: IS-MP-Gleichgewicht .............................................................................................. 185
Abb. 10.6. Verschiebung der IS-Kurve ...................................................................................... 187
Abb. 10.7 Inflationsrate und Geldpolitik in den USA ............................................................... 188
Abb. 10.8: Volkerts Recession: Verschiebung MP ..................................................................... 188
Abb. 10.9: Schema Totalmodell ................................................................................................. 189
Abb. 10.10 Schema Arbeitsmarkt .............................................................................................. 190
Abb. 10.11 Angebotsorientiertes IS-MP-Gleichgewicht ........................................................... 191
Abb. 10.12 Zinspolitik der Notenbank und Arbeitsmarkt ......................................................... 192
Abb. 10.13: Zinsspreads in den USA ......................................................................................... 195
Abb. 10.14 Keynesianisches IS-MP-Gleichgewicht .................................................................. 196
Abb. 10.15: Keynesianischer Arbeitsmarkt ............................................................................... 197
Abb. 10.E.1: fpf im IS-MP-Modell ............................................................................................ 201
Abb. 10.E.2: "Falscher" Verlauf der IS-Kurve .......................................................................... 202
Abb. 10.E.3 Geldvermögen und Verbindlichkeiten in einer einfachen Ökonomie ................... 205
Abb. 10.E.4: Geldvermögensangebot und -nachfrage und Notenbankzinssatz ......................... 206
Abb. 10.E.5 Ein geldkeynesianisches totales Gleichgewicht .................................................... 208
Abb. 11.1: Reales BIP in Deutschland 1950 - 2009 .................................................................. 212
Abb. 11.2: Wachstumsraten des BIP in Deutschland 1951 - 2009 ............................................ 213
Abb. 11.3: Konjunkturzyklus ..................................................................................................... 222
Abb. 11.4: Konjunkturzyklus in der BRD ................................................................................. 223
Abb. 11.5: Konjunktur und Trendentwicklung .......................................................................... 225
Abb. 11.6 Trend und Konjunktur: BRD / USA und Japan ......................................................... 226
Abb. 11.7: Rückkehr zum Trend? .............................................................................................. 227
S. VIII
Abkürzungen
Versalien
A
B
C
Co
D
EX
F
Arbeit
Bevölkerung
Konsum (consumption)
autonomer Konsum
Abschreibungen (depreciation)
Exporte
(in der PF: Stand der Technik).
Ansonsten: Ausland (Foreign)
G
Staatsnachfrage
(government spending)
GG Gleichgewicht
H
(in der PF: Humankapital)
Ansonsten: Inland (Home)
I
Investitionen
IM Importe
K
Kapital
M Geldmenge (money)
MP Monetary Policy Kurve
NCO Nettokapitalexporte
NR in der PF: Natürliche Ressourcen
NX Nettoexporte
P
Preisniveau
Q
Quwinne Gewinne (r · K)
S
Ersparnis (savings)
T
Steuern (taxes)
U
Arbeitslosigkeit (unemployment)
V
Umlaufgeschwindigkeit des Geldes
(Velocity of circulation)
W Lohnsumme (w · A) (wages)
Y
reales BIP
Z
Zentralbankgeldmenge
Minuskeln
a
Arbeitskoeffizient
(Arbeitseinsatz/Output)
c
marginale Konsumquote (dC/dY)
cQ, cW … aus Löhnen bzw. Gewinnen
e
Wechselkurs
R
e
realer (effektiver) Wechselkurs
f
meist: Funktionssymbol
fpf factor-price-frontier
g
Wachstumsrate. Bspl:
gY = Wachstumsrate von Y
i
nominaler Zinssatz
k
Kapitalkoeffizient
(Kapitaleinsatz/Output)
m
marginale Importneigung: Wie viel % des
zusätzlichen Einkommens geht in die
Importnachfrage
p
Preis
r
realer Zinssatz
Profit-Ratte
(meist, der Einfachheit halber,
unterstellt: Profitrate = realer Zinssatz)
rZB Leitzinssatz der Notenbank
s
marginale Sparquote
(dS/dY); s = 1 – c
t
(Einkommens-)Steuersatz
w
Nominallohnsatz
w/p Reallohnsatz
z
Zinsmarge der Banken
Indices
XAT Angebot von X
XF Gut X in Land Foreign
XH Gut X in Land Home
XNE Nachfrage nach X
X* Gleichgewichtswert von X
Sonderzeichen
λ
(durchschnittliche)
Arbeitsproduktivität (=1/a)
μ
Multiplikator
π
Inflationsrate
τ
in der Produktionsfunktion: Stand des
technischen Wissens
Einführung in die VWL
Vorbemerkung
S. IX
Vorbemerkung
TOP 10 REASONS TO STUDY ECONOMICS
1. Economists are armed and dangerous: "Watch out for our invisible hands."
2. Economists can supply it on demand.
3. You can talk about money without every having to make any.
4. You get to say "trickle down" with a straight face.
5. Mick Jagger and Arnold Schwarzenegger both studied economics and look
how they turned out.
6. When you are in the unemployment line, at least you will know why you
are there.
7. If you rearrange the letters in "ECONOMICS", you get "COMIC NOSE".
8. Although ethics teaches that virtue is its own reward, in economics we get
taught that reward is its own virtue.
9. When you get drunk, you can tell everyone that you are just researching
the law of diminishing marginal utility.
10. When you call 1-900-LUV-ECON and get Kandi Keynes, you will have
something to talk about. 1
Volkswirtschaftslehre verschafft Ihnen einen Überblick über wirtschaftliche Zusammenhänge.
Diese sind heute wichtiger denn je - welches Thema, das die politische Diskussion beherrscht, hat
denn heutzutage nichts mit Ökonomie zu tun? (OK, evtl. der Afghanistan Einsatz. 2 Aber sonst?) Ein
Grundverständnis für VWL ist also hilfreich, um aktuelle Entwicklungen zu verstehen.
Aber warum ein anderes Skript - Lehrbuch reicht doch?
Der Kurs VWL für Ingenieure kürzt den Stoff der beiden Veranstaltungen Mikro- und
Makroökonomie auf ein Semester zusammen. Damit kam die Mehrzahl der VWL Lehrbücher nicht
als Literaturgrundlage in Frage. Ich kann Ihnen schlecht 1200 Seiten als Lehrbuch für ein Semester
empfehlen.
Lehrbücher, die den Stoff kürzer darstellen, sind hingegen entweder Institutionenkunde oder sie
vereinfachen zu sehr. Von Institutionenkunde haben Sie nichts: Stellen Sie sich vor, Sie hätten 1995
studiert: Dann wüßten Sie jetzt genau, wie die Bundesbank funktioniert und welche Instrumente sie
einsetzt - nur daß es sie (mit ihrer damaligen Aufgabenstellung) heute gar nicht mehr gibt.
Andere Lehrbücher (aber das gilt auch für die meisten umfangreichen 3) vereinfachen, in dem sie
Kritikpunkte weglassen. Viele Ergebnisse lassen sich nur unter Annahmen herleiten, von denen
sicher ist, daß sie in der Praxis nicht erfüllt sein können. Oder, schlimmer: Die zwar sehr plausibel
und einsichtig, aber schlicht falsch sind. Dies wird dann elegant überspielt und bei den Studierenden
wird der Eindruck erweckt, alle Ergebnisse und Theoreme seien zwingend und unstrittig.
Ich möchte mit diesem Kurs aber dreierlei erreichen:
Erstens sollen Sie nicht Resultate sondern Methoden erlernen. Kleine Modelle, die Ihnen sagen,
wie Sie eine Frage analysieren können und welche Informationen Sie evtl. noch brauchen, um zu
einem Urteil zu kommen.
1 Dieser und die weiteren englischen Witze sind geklaut bei: http://netec.wustl.edu/JokEc.html
2 Von den Rohstofffunden dort haben Sie aber schon gelesen?
3 Snowdon, Brian und Vane, Howard R. (2005) Modern Macroeconomics: It's Origins, Development and Current
State. Edward Elgar. den Sie in der Bibliothek finden, sind ein positives Gegenbeispiel. Aber das wären dann wieder
800 Seiten alleine für den Makroökonomie Teil gewesen - schlicht nicht in einem Semester realisierbar.
S. X
Vorbemerkung
Karl Betz
Zweitens möchte ich blinde Flecken und unbegründete Annahmen herausstellen: Viele
Annahmen in der VWL werden nicht getroffen, weil man Sie für plausibel hält, sondern damit sich
das Modell besser rechnet.4 Solche Schwachstellen heißen nicht, daß die Modelle nichts taugen.
Von Ihnen gehört zu haben, könnte aber eine Warnung sein, neben dem Modellergebnis auch noch
etwas gesunden Menschenverstand zu benutzen: In wie weit sind meine Empfehlungen diesen
unrealistischen Annahmen geschuldet, muß ich da in der Interpretation evtl. etwas Spiel lassen?
Und wenn ja: In welche Richtung?
Und drittens gibt es zumindest zwei sehr unterschiedliche Theorien über die Funktionsweise
einer Volkswirtschaft: Die angebotsorientierte Richtung (Neoklassik) und die nachfrageorientierte
(Keynes). In den allermeisten Lehrbüchern lernen Sie nur eine dieser Theorien kennen (in der Regel
die angebotsorientierte Theorie). Andere Ansätze tauchen höchstens als „schon lange überwundene
Fehler“ in den Texten auf.
Ich möchte statt dessen versuchen, Ihnen beide Sichtweisen vorzustellen: Wie denkt der
angebotsorientierte Ökonom? Welche Voraussetzungen macht er, warum folgen seine Ergebnisse
aus diesen Voraussetzungen. Aber eben auch: Was ändert sich, wenn ich diese Voraussetzungen in
Zweifel ziehe und wie sieht die nachfrageorientierte Sicht der Ökonomie aus, die so entstehen
kann?
Ja, das macht die Sache schwieriger, weil Sie die Zusammenhänge durch zwei unterschiedliche
Brillen betrachten müssen und sie souverän genug werden müssen, die Brillen zu wechseln, ohne
daß Ihnen schwindelig wird. Andererseits gewinnen Sie so aber auch ein Stück Freiheit – Sie sind
nicht mehr jeder Expertenmeinung ausgeliefert, sondern Sie können selbst entscheiden, was Sie für
vernünftig halten und was nicht.
In der Politik hat sich eingebürgert, ökonomische Grundsatzentscheidungen an Expertenkommissionen zu delegieren, statt sie politisch auszutragen. Aber die Ergebnisse dieser
Kommissionen sind keineswegs so "objektiv" wie das Verfahren suggeriert: Wer die Experten
auswählt, bestimmt zugleich die Richtung der Empfehlung. In der Wirtschaftspolitik gibt es eben
nicht nur eine "richtige Antwort". Man kann vielmehr zu unterschiedlichen Maßnahmen kommen.
Das ist (a) möglich, wenn man unterschiedliche Prioritäten setzt. Also, wenn man sich zwar über
die Konsequenzen der Maßnahmen einig ist, diese Konsequenzen aber unterschiedlich beurteilt.
Beispiel: Mindestlöhne führen jedenfalls zu einer geringeren Verteilungsungleichheit, weil extrem
niedrigen Lohnsätze verboten werden. Und die führen im Niedriglohnsektor zu weniger
Abhängigkeiten, weil dann weniger Beschäftigte ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt beim JobCenter beantragen müssen. Neoklassisch führen sie aber außerdem zu geringerer Beschäftigung. Es
kann daher durchaus Neoklassiker geben die für die Einführung von Mindestlöhnen plädieren
(allerdings sind das eher wenige) und solche, die dagegen sind. Denn in der Frage: „Ist jetzt die
etwas höhere Beschäftigung wichtiger oder hat eine höhere soziale Ungleichheit Konsequenzen,
welche die Wohlfahrt einer Gesellschaft mehr drücken, als das bißchen zusätzlicher Output sie
heben kann?“5 kann man ja durchaus unterschiedlicher Meinung sein.
Und es ist (b) möglich, wenn man eine andere Theorie für richtig hält. Für Marxisten gilt das
sowieso. Aber auch ein Keynesianer könnte beim Beispiel Mindestlöhne anmerken: Das
4 Damit steht die VWL aber nicht alleine da: Denken Sie z.B. an die Symmetrie Annahmen in der Teilchenphysik.
5 Allerdings, und das ist ein Beispiel für die oben genannten blinden Flecken, wird der zweite Aspekt in der Regel
nicht diskutiert. Grund: Die Haushaltstheorie unterstellt, daß der Nutzen eines Haushalts allein davon abhängt, was
er sich kaufen kann. Die relative Einkommensposition, also das Einkommen anderer Haushalte, geht nicht ins
Kalkül ein (allgemeiner: Nutzeninterdependenzen werden qua Annahme ausgeschlossen). Es macht daher evtl. Sinn,
sich bei dieser Frage auch mal bei der Soziologie oder Psychologie zu erkundigen. (Oder bei der langsam neu
entstehenden Verhaltensökonomik (Behavioural Economics) vorbei zu schauen.)
Einführung in die VWL
Vorbemerkung
S. XI
neoklassische Ergebnis läßt sich nur herleiten, wenn die Märkte auf Vollbeschäftigung führen. Tun
sie das aber nicht. Haben wir aber Arbeitslosigkeit, dann ist die relative Höhe der Löhne weitgehend
willkürlich und eine Umverteilung nach unten könnte sogar zu mehr Nachfrage und deswegen zu
höherer Beschäftigung führen. Hier würde die Theorie also die negative Auswirkung auf die
Beschäftigung bestreiten.
In Summe: Man kann in vielen Fragen unterschiedlicher Meinung sein. Und ich möchte Ihnen
nicht, wie etwa Mankiw dies tut, eine Meinung als die richtige aufoktroyieren. Sie können gerne zu
anderen Positionen als meiner eigenen kommen. Aber: Wenn es auch verschiedene Theorien über
das Funktionieren einer Ökonomie gibt, die Gesetze der Logik gelten immer noch: 6 Sie sollen Ihre
Meinung wissenschaftlich sauber begründen können und Sie sollen wissen, welche stillschweigenden Voraussetzungen Sie unterstellen müssen, damit Ihre Position Sinn macht.
Einige dieser Erläuterungen oder Kritikpunkte sind in Exkurse gepackt. Diese Themen sind teils
weiterführend, teils etwas schwieriger. Ich finde schon, daß man davon mal gehört (bzw.: gelesen)
haben sollte, denke aber, es würde zu weit gehen, sie in den Stoff der Prüfung zu packen. Die
Themen werden daher in der Klausur nicht auftauchen, sind also kein Lernstoff. Aber vielleicht
lohnt es sich für Sie ja, wenn das Fach sie interessiert, trotzdem mal kurz drüber zu lesen.
Diese erste Fassung wimmelt sicherlich noch von Fehlern und unverständlichen Passagen. Ich
würde mich daher über Rückmeldungen von Ihnen freuen, die mir helfen, in einer zweiten Fassung
besser zu werden. Korrekturen grober Fehler, oder auch von Rechenfehlern bei den Lösungshinweisen,7 werden zeitnah auch über die Errata auf der Seite der Studienbücher, im web eingestellt.
6 Tatsächlich sagt die Wissenschaftstheorie Ihnen, daß diese "Gesetze" nicht beweißbar sind. Aber ein vernünftiger
Diskurs unterstellt ihre Gültigkeit. Man muß sie also, beweißbar oder nicht, als Diskussionsregeln unterstellen,
damit wir vernünftig miteinander reden können.
7 Jau, ich weiß, das ist gemein: Sie müssen die Aufgaben richtig rechnen können. Ich muß sie nur korrigieren können.
Ist aber vielleicht auch ein Anreiz für Ihr Studium: Je weiter man sich qualifiziert hat, desto weniger muß man
scheinbar können.
S. XII
Vorbemerkung
Karl Betz
Einführung in die VWL
1 Fragestellung, Methode ...
S.1
1 Fragestellung, Methode und Gegenstand
Was ist der Unterschied zwischen einem Ökonomen und einem Terroristen?
Terroristen haben Sympathisanten!1
Lernziele: Die Studierenden verstehen
- Arbeitsteilung erhöht die Produktivität, läßt zugleich aber Koordinationsbedarf entstehen
- das ökonomische Prinzip gilt sowohl für VWL als für BWL
- der Unterschied besteht darin, daß die VWL nach den gesamtwirtschaftlichen
Konsequenzen einzelwirtschaftlicher Entscheidungen fragt.
- daß es zum gleichen Gebiet unterschiedliche Theorien geben kann.
- Dabei geht die VWL für die Analyse von einigen elementaren Annahmen aus:
Wahl zwischen Alternativen
Opportunitätskostenkonzept
Nutzenmaximierung
Marginalkalkül
abnehmender, aber positiver Grenznutzen
1.1 Arbeitsteilung
Eines der Kennzeichen von Gesellschaften ist, daß arbeitsteilig produziert wird. Nur in einer
Robinsonade, also der Welt von Robinson, der nach seinem Schiffbruch alleine auf einer Insel
gestrandet ist. produziert der Einzelne alle Güter selbst - und auch Robinson Crusoe war dazu nur in
der Lage, weil er eine ganze Menge an Gegenständen aus dem Schiffbruch gerettet hatte, die alleine
herzustellen er nie in der Lage gewesen wäre.
In einer modernen Gesellschaft gibt es eine große Anzahl unterschiedlicher Berufe: Die Liste der
staatlich anerkannten Ausbildungsberufe, Stand 01.08.2009, weist 349 Einträge, vom Änderungsschneider über die Bürsten- und Pinselmacherin bis hin zur Zupfinstrumentenmacherin und dem
Zweiradmechaniker, aus.2 Das Studiengangverzeichnis kennt 3765 unterschiedliche Studiengänge
in Deutschland.3 Und in den meisten dieser Felder wird man sich spätestens nach Aufnahme der
Tätigkeit noch weiter spezialisieren, z.B. als Programmierer auf eine bestimmte Programmiersprache.
Die Menschen mit diesen vielen unterschiedlichen Qualifikationen arbeiten in nahezu drei
Millionen Betrieben
1 http://iiso-web.fb7.uni-bremen.de/verschiedenes/witziges.html
2 http://www2.bibb.de/tools/aab/aabberufeliste.php
3 http://www.studiengang-verzeichnis.de/studieren/
S. 2
1 Fragestellung, Methode
Karl Betz
Abb. 1.1 Zahl der Unternehmen in Deutschland
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Unternehmen
1.1.1 Vorteile der Arbeitsteilung
Die Vorteile dieser Arbeitsteilung liegen klar auf der Hand:
1. Wenn jede sich auf die Verrichtungen spezialisiert, die ihr (relativ 4) am besten von der Hand
gehen, wird eine gegebene Arbeit am schnellsten erledigt werden.
2. Man bewegt sich entlang seiner "Lernkurve": Wenn man sich auf wenige Tätigkeiten
beschränkt, gewinnt man schneller an Erfahrung und eignet sich Tricks an, mit denen man
seine Produktivität steigern kann.
3. Es entfallen Einrichtzeiten: Man muß nicht ständig sein Werkzeug weg räumen und das für die
nächste Tätigkeit notwendige hervorkramen.
4. Es sind weniger Produktionsmittel (= weniger Kapitaleinsatz) erforderlich: Auf dem typischen
Bauernhof des Mittelalters wurde in den Wintermonaten z.B. Leinen versponnen und gewebt.
Das hieß aber, daß die Webstühle, Spindeln etc. nur 2 bis drei Monate im Jahr in Gebrauch
waren. Folglich (a) standen Kapitalgüter ein Gutteil des Jahres unbenutzt herum und (b)
waren die Anreize, in Verbesserungen der Geräte zu investieren, entsprechend begrenzt. Und
aus dem gleichen Grund waren die Anreize, derlei Verbesserungen zu entwickeln, ebenfalls
eher bescheiden.
Diese Liste ist sicherlich nicht abschließend. Sie sollte aber bereits ausreichen, um zu
verdeutlichen, daß die Arbeitsteilung beträchtliche Produktivitätsgewinne mit sich bringt. Und da
die Menschen auf die Dauer nicht mehr verbrauchen können, als sie herstellen, bedeuten
Produktivitätsfortschritte, daß die Konsummöglichkeiten für jedes Mitglied einer solchen
Gesellschaft sich – zumindest: potentiell5 – erweitern.
4 Entscheidend sind die relativen, nicht die absoluten Vorteile. Ein Kreisligaspieler mag durchaus besser Fußball
spielen als den Rasen mähen. Trotzdem macht es wahrscheinlich mehr Sinn, wenn er als Gärtner für Messi arbeitet.
Und das würde auch dann gelten, wenn Messi im Rasenmähen besser wäre.
5 Eine höhere Produktivität eröffnet die Möglichkeit, entweder bei der gleichen Beschäftigung mehr herzustellen oder
für die Erzeugung des gleichen Outputs weniger zu arbeiten. Produktivitätsfortschritte können daher entweder (bei
gleicher Beschäftigung) zu Wachstum oder (bei gleichem Output) zu mehr Arbeitslosigkeit führen. Ob die
Einführung in die VWL
1 Fragestellung, Methode ...
S.3
Aber andererseits weist Arbeitsteilung auch zwei Probleme auf, von denen das zweite der
Hauptgegenstand der Volkswirtschaftslehre ist
Entfremdung – Auf diesen Punkt hat vor allem Marx hingewiesen: Bei einer sehr weitgehenden
Arbeitsteilung verliert der Arbeiter den Bezug zu seinem Produkt, die Arbeit wird monoton und der
Sinn ist nicht mehr ersichtlich. Das kann so weit gehen, daß durch eine zu weit gehende
Arbeitszerlegung die Produktivität sogar wieder sinkt.
Koordinationsbedarf – Wenn unterschiedliche Menschen am gleichen Projekt arbeiten, müssen
deren Arbeiten irgendwie koordiniert werden. Wie geschieht dies in einer ganzen Volkswirtschaft?
1.1.2 Das Koordinationsproblem
Nehmen Sie an, Sie wollen mit einigen Freunden im Sommer eine Blockhütte bauen. Was tun
Sie? Nun, Sie setzen sich (hoffentlich) vorher zusammen, sprechen den Bauplan ab und teilen die
einzelnen Tätigkeiten untereinander auf: „Du fällst die Bäume, Du behaust die Stämme, Du
planierst schon mal den Boden“ u.s.w.
Wie organisiert eine Firma ihre Produktion? Nun ja, da gibt es z.B. eine Hierarchie von
Vorgesetzten, die den jeweiligen Untergebenen konkrete Anweisungen gibt, was sie zu tun haben.
Und wie organisiert eine Volkswirtschaft die Produktion des Outputs, des Volkseinkommens, die
ja um ein vielfaches komplexer ist, als der Output einer einzelnen Firma? Etwa durch Absprachen?
Überlegen Sie mal: Gehen Sie morgens bei Aldi vorbei und sagen Sie: „Ich brauche übrigens in
zwei Wochen eine Tüte Milch, ein Päckchen Kaffee und zwei Joghurt. Verständigt schon mal die
Molkerei und die Rösterei, damit die das bis dann auch hergestellt haben.“? Oder gehen Sie einfach
rein und erwarten, daß (in der Regel) alles da ist, was Sie brauchen? Und jetzt stellen Sie sich mal
vor, Sie basteln nach dem gleichen Schema an Ihrem Blockhaus ....
Jedenfalls also wird die Produktion einer Volkswirtschaft (oder gar der Weltwirtschaft) nicht
durch persönliche Absprache organisiert. Vielmehr entsteht dadurch, daß mehr oder minder alle
Arbeiten miteinander zusammenhängen, ohne daß sie bewußt koordiniert werden, ein System
gegenseitiger Abhängigkeiten, ein System von Märkten, in welchem die Tätigkeiten sich
wechselseitig beeinflussen. (Das ist übrigens die zweite Bedeutung, in der Marx den Begriff
Entfremdung gebraucht: Der Zusammenhang ihrer Tätigkeiten erscheint den Menschen als
objektiver Systemzwang, als "Sachzwang": Obwohl die Finanzkrise keine einzige Maschine
vernichtet und keine einzige Arbeiterin ihrer Qualifikation beraubt hat, brach die Produktion und
daher das Pro-Kopf-Einkommen in der BRD im Jahr 2009 um 5% ein.)
Wirtschaft automatisch immer auf das erstere Ergebnis führt, ist eine der großen Streitfragen zwischen
unterschiedlichen volkswirtschaftlichen Theorien.
S. 4
1 Fragestellung, Methode
Karl Betz
1.2 VWL und BWL
Two men are flying in a captive balloon. The wind is ugly and they come away from their
course and they have no idea where they are. So they go down to 20 m above ground and
ask a passing wanderer. "Could you tell us where we are?"
"You are in a balloon."
So the one pilot to the other:
"The answer is perfectly right and absolutely useless. The man must be an economist"
"Then you must be businessmen", answers the man.
"That's right! How did you know?"
"You have such a good view from where you are and yet you don't know where you are!"
Während die Betriebswirtschaftslehre fragt, wie ein einzelner Betrieb seine Produktion und seine
Beschaffung organisieren sollte, um möglichst viel Gewinn zu machen, 6 fragt die
Volkswirtschaftslehre danach, wie die Ökonomie als ganze funktioniert. Zu welchen
gesamtwirtschaftlichen Ergebnissen also die Interaktion von Haushalten und Unternehmen am
Markt führt – und wie diese Interaktion überhaupt funktioniert.
1.2.1 Die Gemeinsamkeit: Das ökonomische Prinzip
Nun, Gewinne sind Erlös minus Kosten – damit kann ich meinen Gewinn noch weiter erhöhen
(kann also nicht in einem Maximum sein), wenn ich (bei gegebenen Erlösen) nicht zu minimalen
Kosten produziere. (In dem ich die Kosten weiter senke.) Oder ich kann den Gewinn weiter
erhöhen, wenn ich – aus gegebenen Kosten – nocht nicht die maximalen Erlöse heraushole (z.B. in
dem ich mit der gleichen Einsatzmenge an Faktoren mehr Output herstelle). Allgemeiner formuliert:
Das ökonomische Prinzip lautet:
Entweder:
Erreiche ein gegebenes Ziel mit minimalem Aufwand!
oder:
Hole aus einem gegebenen Aufwand das Maximum an Zielerfüllung heraus!
Die Formulierung, die man häufig hört: "Versuche, mit einem Minimum an Aufwand ein
maximales Ergebnis zu erreichen" ist hingegen schlicht Blödsinn: Ich kann nämlich meinen
Aufwand immer weiter senken, in dem ich mich mit weniger Ergebnis zufrieden gebe. Und ich
kann mein Ergebnis immer erhöhen, wenn ich meinen Aufwand erhöhe.
Formaler: Es geht hier um die Lösung einer Extremwertaufgabe unter Nebenbedingungen.
Entweder um eine Maximierungsaufgabe:
Maximiere die Zielerfüllung
(Zielfunktion)
bei gegebenen Mitteln
(Nebenbedingung)
oder um eine Minimierungsaufgabe:
Minimiere den Mitteleinsatz
(Zielfunktion)
bei gegebenem Zielerfüllungsgrad
(Nebenbedingung)
6 Ok, in BWL hat man / hat Herr Klett / Ihnen gesagt, die Unternehmen seien gar nicht nur auf kurzfristige
Gewinnmaximierung aus. Aber wo steht oben im Text was von kurzfristig?
Einführung in die VWL
1 Fragestellung, Methode ...
S.5
1.2.2 Der Unterschied: einzel- vs. gesamtwirtschaftliche Betrachtung
OK. Was das ökonomische Prinzip betrifft, sitzen BWL und VWL im gleichen Boot – einfach
weil beide das gleiche Unternehmensziel unterstellen: Ich will meinen Gewinn maximieren. Und
weil, wenn dieses Ziel erreicht wird, das ökonomische Prinzip gewahrt sein muß.
An dieser Stelle hören die Gemeinsamkeiten dann aber auch schon so ziemlich auf, denn der
zentrale Unterschied zwischen VWL und BWL besteht darin, daß die BWL sich für die
Konsequenzen für das einzelne Unternehmen interessiert, während die VWL nach den
Konsequenzen für die gesamte Volkswirtschaft fragt.
Das kann – und wird dann auch oft – bedeuten, daß die beiden Disziplinen zu diametral
gegensätzlichen Ergebnissen kommen.7 Das sei am Beispiel Marketingaufwendungen illustriert:
Einzelwirtschaftliche Logik: Der Betriebswirt würde wahrscheinlich zu dem Ergebnis kommen:
"Wenn ich meine Marketingaufwendungen erhöhe, dann kann ich meinen Marktanteil erhöhen."
Dabei hat er allerdings unterstellt, daß die anderen Marktteilnehmer ihre Aufwendungen nicht
verändern. Und er hat sich nicht dafür interessiert, daß der Sinn der Marketingausgaben darin
bestand, anderen Marktanteile abzunehmen.
Der Volkswirt hingegen würde sagen, daß höhere Marketingaufwendungen gesamtwirtschaftlich
nicht zu höheren Marktanteilen führen können:
Gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen: Die Summe aller Marktanteile ist eins.
===> Höhere Marketingaufwendungen können den Marktanteil nicht erhöhen.
Dies ist ein typisches Nullsummenspiel: Die Summe ist gesamtwirtschaftlich konstant (100%),
sie wird lediglich umverteilt.
Oder nehmen Sie das Beispiel Kostensenkung. Sie werden sicherlich in anderen Kursen über die
Aussage stolpern: Wenn ein Betrieb seine Kosten senkt, kann er Arbeitsplätze sichern und seine
Gewinne erhöhen. Das stimmt auch für jeden einzelnen Betrieb. Was aber wirklich bei der
Geschichte herauskommt, sind nicht intendierte Nebenwirkungen:
Erstens: Gesamtwirtschaftlich müssen Sie sich überlegen:
a) Gesamtwirtschaftlich kann man Geld nicht ausgeben – man kann es höchstens weitergeben
(oder, aber das kommt erst in Kapitel 8, vernichten).
b) Kosten (= Ausgaben) von Betrieb A fallen folglich bei irgendwem anders als Einnahmen an.
Wenn also ein Betrieb erfolgreich seine Kosten senkt, senkt er zugleich erfolgreich die Einnahmen bei anderen Menschen in der Ökonomie (bei seinen Arbeitern oder bei seinen
Zulieferfirmen) – und damit die Nachfrage. Für die Wirtschaft insgesamt wird die Beschäftigung
durch die Kostensenkung also gerade nicht gesichert.
Zweitens bedeutet Rationalisierung, daß Sie jetzt mit weniger Aufwand den gleichen Output
produzieren können, wie zuvor. Solange Sie ihre Produkte jetzt zum gleichen Preis verkaufen
können wie früher, haben Sie in der Tat einen höheren Gewinn. Das Problem ist nur: Ihre
Kostensenkung setzt Ihre Wettbewerber unter Zugzwang, ebenfalls ihre Kosten zu senken. Dann ist
es aber, zumindest auf einem Wettbewerbsmarkt, für jeden einzelnen profitabel, zu versuchen,
seinen Absatz mit etwas geringeren Preisen auszuweiten. Und das heißt, daß die Rationalisierung
7 Früh und ausführlich herausgearbeitet wurde dieser Zusammenhang zwischen Partialaussagen, die für einzlene
Elemente des Systems gelten und Totalaussagen, die für die Interaktion aller gelten, von Stützel: Paradoxa der
Volkswirtschaftlichen Saldenmechanik.
S. 6
1 Fragestellung, Methode
Karl Betz
eben nicht zu den erhofften höheren Gewinnen, sondern zu niedrigeren Preisen führt.8
Die Idee bei jeder einzelnen Kostenreduzierung mag gewesen sein: Ich will meine Gewinne
erhöhen. Die Wirkung ist: Die Produktivität steigt und deswegen steigt die Kaufkraft der Löhne.
Das heißt natürlich nicht, daß Sie Ihrem Chef raten sollten, die geplante Rationalisierung zu
unterlassen. Täte er dies, würde er ja von seinen Konkurrenten vom Markt verdrängt. Allerdings
sollten Sie ihm schon davon abraten, die Gewinne, die er sich daraus für die nächsten 10 Jahre
erhofft, heute schon in einen neuen Porsche zu stecken ...
Übrigens ist dies ein Beispiel für ein Positivsummenspiel: Hier ist durch den Wettbewerb
technischer Fortschritt entstanden (die Produktivität ist gestiegen) und daher kann, wenn die Nachfrage ebenfalls ansteigt, das Einkommen steigen: Weil mehr hergestellt werden kann als vorher,
kann auch mehr konsumiert werden.
Um das nochmal zu resümieren: Der Unterschied zwischen BWL und VWL besteht also darin,
daß die BWL fragt:
„Was sind die Konsequenzen dieser Maßnahme für mich?“
Während die VWL darüber hinaus fragt:
„Was sind die Konsequenzen wenn alle das tun (und evtl.: wie wirkt die Reaktion der übrigen
Marktteilnehmer auf den Einzelnen zurück)?“
Wenn Sie die Sache nochmal aus Sicht der Buchhaltung sehen: Nehmen Sie an, Sie bekommen
eine Überweisung von 100 €. Der Einfachheit sei angenommen, diese erfolgte ohne Gegenleistung.
Dann verbuchen Sie diese unter Zahlungseingänge als Zuwachs an Geldvermögen und die
Gegenbuchung ist eine Zunahme Ihres Reinvermögens. Aus einzelwirtschaftlicher Sicht ist der
Vorgang damit abgeschlossen. Aus gesamtwirtschaftlicher Sich aber muß es bei einem anderen
Akteur eine Gegenbuchung geben: Bei diesem nehmen das Reinvermögen und das Geldvermögen
ab. Bei einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung müssen Sie also nicht nur beide Seiten einer,
sondern die beiden Seiten von (mindestens) zwei Bilanzen ansprechen.
Daß sich die Antworten aus einzel- und gesamtwirtschaftlicher Sicht in der Regel unterscheiden,
nennt man auch fallacy of composition.9
1.3 Methode
Sie können sich vielleicht vorstellen, daß es etwas unübersichtlich würde, wenn man die
Handlungen von Millionen von Firmen und zig Millionen von Menschen (bzw. Milliarden, im Fall
der Weltwirtschaft) in einem Modell simultan darstellen wollte (von den Problemen der
Datenerhebung mal ganz zu schweigen). Volkswirtschaftliche Modelle sind daher entweder sehr
abstrakt und argumentieren nur mit qualitativen Eigenschaften10 oder aber sie sind sehr stark
8 In der Vergangenheit sind die Preise aber doch (fast) immer gestiegen, nicht gesunken? Produktivitätsfortschritt
erlaubt entweder bei konstanten Inputpreisen billiger anzubieten, oder die Preise weniger zu erhöhen, wenn die
Preise der Inputs steigen. Wie in Kapitel 5 sehen werden, ist der volkswirtschaftlich entscheidende Inputpreis der
Lohn. Man kann also bei steigender Produktivität im Prinzip wählen zwischen steigenden Geldlöhnen und stabilen
Preisen oder stabilen Löhnen und fallenden Preisen. Wie wie im zweiten Teil noch zu zeigen sein wird, ist die erste
Variante die volkswirtschaftlich wünschenswertere.
9 Bei Stützel, der dieses Thema besonders prominent gemacht hat, nennt es "Paradoxa der volkswirtschaftlichen
Saldenmechanik."
10 Beispiel gefällig?: "Wir unterstellen, die Präferenzmenge sei ein konvexer Kegel und die Technologiemenge strikt
konkav. "
Einführung in die VWL
1 Fragestellung, Methode ...
S.7
vereinfacht. Ich nehme mal an, Sie werden die zweite Variante präferieren – und dieser folgt auch
dieses Skript.
Allerdings müssen Sie sich dann darauf verlassen, daß die Aussagen, die hergeleitet werden, im
Prinzip auch noch gelten, wenn man die vereinfachenden Annahmen aufhebt. Wo das nicht so ist,
werde ich darauf in Fußnoten oder Anhängen hinweisen.
Soweit werden Sie auch in anderen Lehrbüchern keinen großen Unterschied in den Aussagen zur
Methodik finden: Die Realität ist komplex und die Theorie vereinfacht, in dem Sie die komplexen
Zusammenhänge auf das wesentliche reduziert und die Welt so übersichtlich macht.
Das Problem an dieser Aussage ist nur der naive Gebrauch des Begriffs „Realität“. Seit Kant
könnte man wissen – und weiß die Erkenntnistheorie – daß es keine „Realität“ gibt außer der, die
wir wahrnehmen. Kriegen Sie das nicht in den falschen Hals: Es wird nicht behauptet, daß es
außerhalb unseres Kopfes keine Wirklichkeit gibt. Alles, was der Satz sagt, ist, daß wir keine
Fragen zu Dingen formulieren können, die wir nicht wahrgenommen haben – und daß unsere
Wahrnehmung nicht die Dinge selbst wiedergibt, sondern diese gefiltert oder gefärbt durch unsere
Wahrnehmung.
Und jetzt mal im Ernst: Glauben Sie wirklich, daß, wenn Westerwelle, Ackermann und ein
arbeitsloser Bauarbeiter über Arbeitslosigkeit reden, diese wirklich von der gleichen Realität reden?
Ok, Sie werden vielleicht entgegen, das ließe sich doch ganz einfach empirisch überprüfen. Man
müsse deren Aussagen doch nur mit „den Zahlen“ konfrontieren und werde dann schon sehen, wer
richtig liege oder ob evtl. alle falsch liegen.
Nur: Mit welchen Zahlen denn bitte? Wenn Sie sich die Zahlen des Arbeitsamtes ansehen, dann
sehen Sie nur, wie viele Menschen arbeitslos gemeldet sind (und auch gezählt werden – das ist auch
nicht das gleiche11).
Aber warum meldet sich jemand arbeitslos? Weil er eine Arbeit sucht oder weil sie
Arbeitslosengeld bekommen will? Und so werden Ihnen manche (die meisten) Ökonomen sagen,
die Zahl sei viel zu hoch, weil die Leute sich nur wegen dem Arbeitslosengeld arbeitslos melden –
und andere (z.B. ich) werden Ihnen sage, die Zahl sei viel zu niedrig, weil Menschen, die zwar
arbeitslos sind, aber keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben, keinen Sinn darin sehen, sich zu
melden – eine Stelle bietet ihnen das Amt ja sowieso nicht an, weil die Angebote zuerst an die
gehen, die Leistungen beziehen (also Kosten verursachen).
Dies ist auch ein gutes Beispiel dafür, daß es nicht sein kann, daß man eine Theorie „aus der
Erfahrung“ extrahiert: Ohne ein theoretisches Vorverständnis kann man gar keine Erfahrung
machen: Die Theorie geht bereits in die Kriterien ein, nach denen man die Arbeitslosen erfaßt. In
den Arbeitslosenzahlen ist die Theorie also bereits enthalten.12
Das ist übrigens kein Spezialproblem der Sozialwissenschaften. 13 In den Naturwissenschaften ist
dies kein bisschen anders: Die Werte, die Sie im Labor messen, messen Sie ja mit Hilfe von
Instrumenten – Amperemeter, Oszillograph ... – und diese Instrumente wurden auf der Basis der
gleichen Theorie entwickelt, die die Daten im Versuch testen sollen. In der Erfahrung – in den
Werten, die das Experiment Ihnen liefert – steckt also bereits die Theorie mit drin.
11 Vgl. ausführlicher Kapitel 11
12 So liegt die Arbeitslosigkeit in den USA derzeit (2010) - je nach dem ob man nur die gemeldeten Arbeitslosen zählt
oder alle, die eine Arbeit suchen - zwischen knapp 10% im ersten und 17% bis 19% im zweiten Fall.
13 Im Gegenteil wurde die hier vertretene neuere Wisssenschaftstheorie gerade an den Naturwissenschaften entwickelt.
Vgl. Kuhn, Die Logik wissenschaftlicher Revolutionen, Stegmüller oder Feyerabend: Against Method. (dt. : Wider
den Methodenzwang)
S. 8
1 Fragestellung, Methode
Karl Betz
Was macht Theorie nun? Sie versucht, unsere Erfahrungen zu erklären und sie tut dies, in dem
sie unsere Vorstellung von der Welt – hier von ökonomischen Zusammenhängen – systematisiert.
Sie entwickelt Modelle – aber diese Modelle sind in sich konsistente Modelle unserer Vorstellung,
wie Wirtschaft im Prinzip funktioniert, nicht Modelle einer "Wirklichkeit an sich".
Wenn Sie diese beiden Aussagen zusammennehmen:
- Ökonomische Theorien systematisieren unsere Vorstellung davon, wie die Wirtschaft funktioniert
- und: Menschen können unterschiedliche Vorstellungen haben
dann kommen Sie zusammen gefaßt auf die Aussage: Es kann unterschiedliche Theorien geben.
Und es gab und gibt sie auch:
Die Klassik etwa (Smith / Ricardo / Marx bzw., um jüngere Vertreter zu nennen: Sraffa,
Passinetti, Garegnani) versucht, die Ökonomie als gesellschaftliche Produktion zu verstehen.
Die Neoklassik versteht sie (in der Folge von Walras) als Tausch.
Und bei Keynes geht es vor allem um Geld.
Kriegen Sie die Sache aber nicht in den falschen Hals: Die Theorien erklären nicht unterschiedliche Aspekte, die es in einer Ökonomie alle gibt (Produktion, Tausch und Geld) sondern sie
erklären die gleichen Aspekte nach einem anderen Schema.
Für die Neoklassik etwa ist Produktion einfach ein Tausch – ein Tausch von Gütern, die in die
Produktion eingehen (Inputs) gegen die Güter, die durch den Produktionsprozeß entstehen
(Outputs). Und Geld ist einfach ein allgemeines Tauschmittel, auf das die Gesellschaft sich geeinigt
hat.
Die herrschende Theorie heute ist die neoklassische angebotsorientierte Theorie. Über Keynes
etwa gibt es das schöne Bonmot:
As Keynes said: „In the long run we are all dead“ – now we are in the long run and Keynes is
dead.
Aber Tote können wiederauferstehen: In der Folge der letzten Weltwirtschaftskrise waren auf
einmal wieder Konzepte und Wirtschaftspolitik en vouge, die man längst zusammen mit Keynes
beerdigt glaubte.
Warum wird dies hier breit getreten? Sie sollten sich klar machen, daß abweichende Meinungen
in der Ökonomie zwar daran liegen können, daß eine der beiden Kontrahentinnen falsch liegt. Sie
können aber eben auch daran liegen, daß die beiden Positionen von Standpunkt unterschiedlicher
Theorien aus argumentieren. Welchen Ansatz man für richtig hält, hat aber nichts mit einem
„objektiven“ Wahr oder Falsch zu tun, sondern viel mehr damit, was man für plausibel hält und was
nicht. Allerdings: Wenn man einen Ansatz – also eine Satz von Ausgangsannahmen – wählt, dann
muß man auch immer konsistent in diesem Rahmen argumentieren. Also nicht, da wo es einem paßt
Marx nehmen, woanders Keynes und dann zu Adam Smith wechseln, weil die Aussage gerade so
schön plausibel klingt.
Gerade in der (Theorie der) Wirtschaftspolitik hat die Vorherrschaft eines einzigen Ansatzes (der
Neoklassik, bzw. ihrer Kampfversion, des Neoliberalismus) dazu geführt, daß wirtschaftspolitische
Entscheidungen für alternativlos gehalten wurden. Gerhard Schröder hatte dies vor seiner ersten
Wahl auf den Satz gebracht: „Es gibt keine linke oder rechte Wirtschaftspolitik, nur gute und
schlechte.“ und in der Folge wurden viele Entscheidungen der politischen Debatte entzogen und an
scheinbar objektive Expertenkommissionen übertragen (Hartz-Kommission zur Reform des
Arbeitsmarktes,
Rürup-Kommission
zu
Reform
der
Rentenund
später
der
Krankenversicherung ...).
Die Gegenposition dieses Skripts ist, daß Politikvorschläge immer allenfalls so zwingend sind,
Einführung in die VWL
1 Fragestellung, Methode ...
S.9
wie die Theorie, aus der heraus sie entwickelt wurden. Daß es unterschiedliche Theorien und daher
unterschiedliche Wirtschaftspolitiken geben kann. Und daß die Wahl zwischen Alternativen eben
eine politische Wahl ist – die durch Expertenkommissionen nur scheinbar entpolitisiert wird, weil
die Empfehlung der Kommissionen dadurch präjudiziert wird, welche Experten man auswählt.
Dieses Skript wird (im ersten Teil) in weiten Zügen der herrschenden Lehre folgen, also der
neoklassischen Tauschökonomie. Dabei aber angeben, wo die Schwachstellen des Ansatzes sind
und, wo dies sinnvoll erscheint, Alternativen skizzieren.14
1.4 Einige Prämissen
Ein Kreuzfahrtschiff sinkt und es überleben nur drei Personen, ein Physiker, ein Chemiker
und ein Ökonom.
Sie stranden auf einer einsamen Insel und mit ihnen wird eine große, stabile Dose Wiener
Würstchen an den Strand gespült.
Der Chemiker sagt: Ich werde Salz aus dem Meer extrahieren und eine Säure anmischen,
um die Dose zu öffnen. Eine Woche lang probiert er dies, aber die Dose gibt nicht nach.
Sagt der Physiker: Lass mich mal ran, ich werde über Hebel und Kräfte versuchen, die
Dose zu öffnen, auch dies wir eine Woche probiert.
Währenddessen sitzt der Ökonom die ganze Zeit am Strand und bräunt sich, bis die
beiden anderen kommen und mächtig hungrig den Ökonomen anpaulen: Wir versuchen,
hier unser Leben zu retten und Du trägst nichts dazu bei. MACH WAS!!! …
Darauf sagt der Ökonom: Jungs ich weiß gar nicht was ihr habt.
„Nehmen wir doch einfach mal an, die Dose wäre offen“. 15
Eine Theorie, das wurde schon in 1.3 betont, kann nicht aus Beobachtungen extrahiert werden.
Vielmehr wird sie aus einzelnen Annahmen entwickelt, die dann, ganz wie in der Mathematik, zu
einem System von Aussagen entfaltet werden. Sodann mag man sich fragen, ob diese Aussagen
geeignet sind, die Erfahrungen, die man in der Praxis macht, zu erklären. (Und, wie gesagt,
Erfahrungen können nicht nur auf eine einzige Art erklärt werden.)
Die Theorie besteht also weder in Definitionen. Die fallen unter den Oberbegriff der Taxonomie
und sind praktisch alle in der Wikipedia abrufbar. Deswegen wird hier kein großer Wert auf sie
gelegt werden und sie werden in der Klausur auch nicht abgeprüft werden. (Allerdings: Ein paar
Begriffe sollten Sie sich schon merken, damit wir uns unterhalten können: Was ist ein Preis und so.)
Und sie besteht auch nicht in historischen oder sonstigen Daten – sowas läuft unter
Wirtschaftsgeschichte oder, wenn es sehr mathematisch zugeht, unter Ökonometrie. (Allerdings ist
es hilfreich, sich mit der Zeit ein paar Daten zu merken, um Größen einschätzen zu können – ob
eine Reduktion des Haushaltsdefizits um 60 oder 80 Mrd. viel oder wenig ist, kann man leichter
einschätzen, wenn man im Hinterkopf hat, daß das Volkseinkommen der BRD bei rund 2,8
Billionen liegt und die Steuereinnahmen so bei rund einem Drittel liegen.) Auch solche Zahlen
werden aber in der Klausur nicht abgefragt werden. Falls sie gebraucht werden, werden sie in der
Aufgabenstellung gegeben werden.
Der wirkliche Kern der Theorie besteht in den (in diesem Lehrbuch: kleinen) Modellen, die aus
relativ unscheinbaren Ausgangsannahmen entwickelt werden. Der Rest dieses Eingangskapitels
wird vier simple Ausgangsannahmen kurz vorstellen. Und in den folgenden Kapiteln geht es dann
14 Für den unwahrscheinlichen Fall, daß die ein odere andere von Ihnen gerne mehr über die anderen Ansätze wissen
möchte, stelle ich zwei ältere Skripte ins Netz: Eines zur Preistheorie und eines zur Beschäftigung.
15 http://iiso-web.fb7.uni-bremen.de/verschiedenes/witziges.html
S. 10
1 Fragestellung, Methode
Karl Betz
in die Theorie – also in die Modelle und ihre Anwendungen auf Fragestellungen.
Annahme 1: Individuen wählen zwischen Alternativen.
Das beinhaltet zunächst einmal, daß Entscheidungssituationen Alternativen zu Grunde liegen.
Wenn Sie mit 20 € in eine Kneipe gehen, ist die Frage: „Soll ich ein Bier oder einen Korn
trinken?“ keine Alternative. Sie können ja beides16. Eine Alternative wäre hingegen: Soll ich ein
Bier trinken und mit 18 € nach Hause gehen oder nehm' ich auch noch 'nen Korn und hab dann nur
noch 15 € übrig?
Alternativen schließen einander gegenseitig aus: Die Entscheidung für die eine Alternative ist
zugleich eine Entscheidung gegen alle anderen. Dies liegt daran, daß die Menschen, wie Erich
Schneider in seinen Vorlesungen zu formulieren pflegte, „unter dem kalten Stern der Knappheit“
leben. Unsere Mittel sind beschränkt und unsere Bedürfnisse, jedenfalls im Verhältnis zu den
Mitteln, sie zu befriedigen, unendlich. Daher müssen die knappen Mittel so eingesetzt werden, daß
mit ihnen ein Maximum an Zielerfüllung realisiert werden kann.
Genau dieser Konflikt: Knappe Mittel und diese Mittel übersteigende Bedürfnisse ist es, der
Menschen zwingt, zu wirtschaften. Damit ist nicht gesagt, daß immer alle Mittel knapp sind –
manches mag es im Überfluß geben: Streusand in der Sahara, oder (derzeit noch) atembare Luft und
Eis am Nordpol sind Beispiele hierfür. Aber weil von diesen Gütern genug da ist, ist es eben nicht
notwendig zu wirtschaften. Mann nimmt sich kostenlos so viel man will und den Rest läßt man
liegen – auf Fachchinesisch: Dies sind „Freie Güter“ (der Preis ist Null) von denen jede die
Sättigungsmenge nachfragt (nimmt, so viel sie braucht).
Annahme 2: (Opportunitätskosten): Die Kosten einer Alternative bestehen in dem, was
man dafür aufgibt.
Wenn Sie zwischen einander ausschließenden Alternativen wählen müssen, dann bedeutet die
Entscheidung für eine Alternative zugleich, daß Sie alle übrigen Alternativen nicht mehr wählen
können. Ökonomen sagen daher auch gerne: „There is nothing like a free lunch“: Die Kosten einer
gewählten Alternative bestehen im Verzicht auf den Vorteil aus der nicht gewählten zweitbesten
Alternative. (Nicht etwa: Aller nicht gewählter, denn Sie hätten statt der gewählten ja nur eine
andere Alternative wahrnehmen können.)
Wenn ihre Freundin Sie für Sa. Nachmittag zum Kaffee trinken einlädt (Frauen können ja so
wenig einfühlsam sein) dann bestehen die Opportunitätskosten der Live-Übertragung Mainz gegen
St. Pauli im entgangenen Kaffee trinken mit Ihrer Freundin. (Naja, eigentlich, weil die zweitbeste
Alternative ist ja entscheidend, in der Live-Übertagung von Dortmund gegen Hoffenheim).
Nicht ganz trivial ist, daß mit dieser Definition ein anderer Kostenbegriff eingeführt wird, als in
der BWL. Während in der BWL nur die expliziten Kosten, also Ausgaben erfaßt werden, gehören
zu den Opportunitätskosten auch Kosten, denen kein Zahlungsstrom gegenübersteht – also z.B. der
Verzicht auf Einnahmen aus einer anderen Verwendung des Vermögens (Eigenkapitalverzinsung)
oder der Verzicht auf eine andere Verwendung seines Zeitbudgets (entgangener Nutzen aus
Freizeit).
Annahme 3: Menschen wählen die Alternative, die sie für die beste halten.
Oder anders, Menschen versuchen, aus den vorgegebenen knappen Mitteln, die ihnen zu Gebote
stehen, das Beste für sich herauszuholen – damit ein Maximum an Bedürfnisbefriedigung zu
erzielen.
16 Von bestimmten Etablissements, in denen Sie für 20 € gerade mal ein Getränk bekommen, sehen hier ab, da dieses
Buch jugendfrei ist.
Einführung in die VWL
1 Fragestellung, Methode ...
S.11
Dies erinnert daran, daß die VWL – zumindest für die Haushalte – nur formale, nicht
substantielle Rationalität unterstellt. Sprich: Es wird kein Ziel vorgegeben und die Alternativen
werden von der Theorie selbst nicht bewertet – sowas ist Hauswirtschaftslehre, in der gefragt wird,
wie viel Vitamine eine Mahlzeit enthalten sollte. Formale Rationalität fragt hingegen nicht danach,
was jemand für das Beste halten sollte, sondern danach, was er (warum auch immer) jeweils für das
beste hält. Wenn jemand auf junk food steht, trifft er eine rationale Wahl, wenn er einen Burger
einem Salat vorzieht und der Vegetarier trifft eine rationale Wahl, wenn er das umgekehrte wählt.
Allerdings ist hier schon eine starke implizite Prämisse im Spiel: Es muß nämlich unterstellt
werden, daß die Menschen auch alle in Frage kommenden Alternativen kennen und korrekt darüber
informiert sind. (Vgl. den Anhang zu Kapitel 2).
Einzig bei Unternehmen wird eine substantielle Rationalitätsannahme getroffen: Unternehmen
haben das Ziel, ihren Gewinn zu maximieren. (Bedenken Sie aber, daß auch hier – über die
Opportunitätskosten – nicht-pekuniäre Motive eine Rolle spielen können.)
Das heißt jetzt jedoch nicht, daß die VWL konkrete Motive zu erforschen sucht. Die Annahme
dient vielmehr dazu, sich um diese Frage herum drücken zu können: Wenn Menschen die
Alternative wählen, die sie für die beste halten, dann muß ihnen das Gut, das sie kaufen, zum
Zeitpunkt des Kaufs auch (mindestens) so viel wert gewesen sein, wie sie dafür gezahlt haben – sie
hatten ja die Alternative, ihr Geld zu behalten.17
4. Rational entscheidende Individuen denken in Grenzbegriffen.
Daß die Akteure ein Maximum an Zielerfüllung bei gegebenen knappen Mitteln anstreben, sagt
doch im Kern nichts anderes, als:
Maximiere die Zielerfüllung
unter den Nebenbedingungen ....
Sprich, es wird postuliert, daß die Akteure maximieren. Nun, eine Funktion maximiert man, in
dem man die erste Ableitung gleich Null setzt. 18 Wenn Sie also abends in eine Kneipe gehen,
müssen Sie sich bei jedem weiteren Bierchen fragen: Ist mir das nächste Bierchen noch 2 € wert,
oder habe ich genug? Damit diese Überlegung auch wirklich zu einem Maximum führt, ist eine
weitere Annahme erforderlich (Gossen'sche „Gesetze“):
Erstens: Nichtsättigung: Jede weitere Einheit eines Gutes erhöht meinen Nutzen.
Das ist letztlich weniger dramatisch als es sich anhört: Wenn Sie von Gut 1 genug haben, können
Sie ihr Einkommen für mehr an Gut 2 einsetzten – da der entgangene Nutzen aus Gut 2 die
Opportunitätskosten der Nachfrage nach Gut 1 sind folgt, daß Sie, solange irgend ein Gut noch
einen positiven Nutzen für sie hat, mit dem weiteren Kauf von Gut 1 aufhören, ehe dessen
Grenznutzen den Wert Null erreicht hat. Und wenn ich von allem genug habe? Naja, entweder Sie
haben nur von allen Gütern (inkl. Ihrem Vermögen) genug – warum schränken Sie dann nicht Ihr
Einkommen ein, und leisten sich statt dessen mehr Freizeit (die aber einen positiven Grenznutzen
hat)? Oder Sie haben tatsächlich von allem genug – dann scheiden Sie aber per Suizid aus der
17 Insoweit greift die Kritik der Verhaltensökonomen, die in Experimenten überzeugend beweisen, daß Menschen nicht
immer aus guten Gründen entscheiden, hier ein wenig ins Leere, weil ja gar nicht unterstellt wird, daß die Gründe,
aus denen Menschen eine Alternative für besser halten, in irgend einem Sinne vernünftig sind. Andererseits trifft sie
schon die wohlfahrtsökonomische Interpretation, die zeigen will, daß Märkte die Wohlfahrt aller Beteiligten
steigern. Auf diese Aspekte wird in diesem Skript aber auch verzichtet.
18 Das gilt streng genommen nur für ein inneres Extremum und es ist ferner nur eine notwendige, keine hinreichende
Bedingung, denn könnten ja ebensogut in einem (lokalen) Minimum gelandet sein. Hier wird durchgängig einfach
unterstellt, daß ein inneres Extremum vorliegt und die Bedingungen zweiter Ordnung erfüllt sind. Wäre eigentlich
nicht erforderlich, macht die Sache aber einfacher.
S. 12
1 Fragestellung, Methode
Karl Betz
Ökonomie aus und brauchen daher im Modell auch nicht weiter betrachtet zu werden.
Zweitens: Abnehmender Grenznutzen: Der Grenznutzen eines Gutes sinkt mit dem
Konsum jeder weiteren Einheit.
Das scheint zumindest insofern plausibel, als es plausibel erscheint, daß man ein Gut zunächst
den wichtigsten Verwendungen zuführt, ehe man es für die weniger wichtigen einsetzt. Wenn man
sich sehr wenig Wasser leisten kann, wird man es also erstmal für den Pernot benutzen und erst
danach, falls man sich mehr leisten kann, für den Kaffee, den Abwasch ....19
Fragen zum ersten Kapitel
Verständnisfragen
1)
Versuchen Sie, sich irgend eine Tätigkeit vorzustellen, die Sie ausüben können, ohne daß Sie
dabei auf Leistungen anderer zurückgreifen. Vorschläge?
2)
Sie trinken eine Tasse Kaffee – welche unterschiedlichen Produktionsprozesse sind involviert?
3)
Welchen Studienabschluß streben Sie an? Was könnten Sie mit ihrer Qualifikation in einer
Gesellschaft mit wenig entwickelter Arbeitsteilung anfangen?
4)
Nehmen Sie an, Ihre Heimatgemeinde wird durch eine Naturkatastrophe von der Außenwelt
abgeschnitten. Was passiert nach einem Tag? Was nach einer Woche? Was nach einem Monat?
5)
„Was unterschiedet ein VWL- und ein BWL-Studium? Die Opportunitätskosten.“20
Bitte erklären Sie den Witz
6)
Kennen Sie Freie Güter?
7)
Welche der folgenden Fragen formulieren Alternativen? Bitte begründen Sie.
Soll ich in die Vorlesung gehen oder länger schlafen?
Soll ich ein Bier oder einen Korn trinken?
Soll ich dieses Semester Vwl oder Bwl schreiben?
Soll ich mich heute (den ganzen Tag) auf die Vwl oder auf die Bwl Klausur vorbereiten?
8)
Menschen haben unendliche Bedürfnisse und knappe Mittel, sie zu befriedigen - inwiefern und
in welcher Ausprägung steckt in dieser Aussage das ökonomische Prinzip drin?
19 Allerdings widerspricht diese Annahme dem verbreiteten Phänomen, daß man sich erstmal warmtrinken muß, daß
das dritte Bierchen also besser schmeckt als das erste.
20 http://iiso-web.fb7.uni-bremen.de/verschiedenes/witziges.html
Einführung in die VWL
1 Fragestellung, Methode ...
S.13
Anwendungen
1)
Eines Morgens wachen Sie auf und es ist ein wunderschöner Wintertag im Sauerland und Sie
überlegen sich, ob Sie nicht nach Winterberg zum Skifahren gehen sollen. Wenn Sie ehrlich gegen
sich selbst sind, dann ist Ihnen dieser Skiausflug € 60 wert. Das ist gewissermaßen der höchste
Betrag, den Sie an diesem Morgen dafür ausgeben würden.
Die Kosten für den Skiausflug belaufen sich auf € 40 und setzen sich aus dem Bustransfer, der
Liftkarte und der Miete für die Skiausrüstung zusammen. Der Ausflug dauert 5 Stunden.
a) Als Alternative können Sie an der Fachhochschule in Meschede als studentische Hilfskraft
(SHK) tätig sein. Die Arbeit dort macht Ihnen so viel Spaß, dass Sie auch ohne Bezahlung
arbeiten würden, aber Sie erhalten einen Stundenlohn von € 9. Wenn Sie sich rational
entscheiden, fahren Sie Ski oder gehen Sie an die FH?
b) Warum werden die Kosten für das Mittagessen nirgends aufgeführt?
c) Wenn Sie als Alternative nicht als SHK, sondern als Tellerwäscher zum gleichen Lohnsatz in
der Mensa tätig wären, dann macht die Arbeit viel weniger Spaß. Sie sind daher nicht bereit, für
weniger als € 6 pro Stunde als Tellerwäscher zu arbeiten. Zur Vereinfachung gehen Sie bitte davon
aus, dass Sie sehr flexible Arbeitszeiten haben. Es macht dem Manager der Mensa nichts aus, wenn
Sie mal einen Tag nicht kommen. Wenn Sie sich rational entscheiden, fahren Sie Ski oder arbeiten
Sie in der Mensa?
2)
Sie gewinnen € 1.000 im Lotto. Sie haben die Möglichkeit, das Geld auszugeben oder für ein
Jahr zu 5% Zinsen auf ein Konto einzuzahlen. Welches sind die Opportunitätskosten für € 1.000
Ausgaben sofort?
3)
Wenn ein Unternehmen im Gewinnmaximum produziert, produziert es immer zugleich in seinem
Kostenminimum - können Sie diese Aussage schon beweisen?
4)
Noch vor wenigen Jahren waren die Läden in der Bundesrepublik bis auf wenige Ausnahmen nur
Werktags von 9:00 bis 18:30 und Samstags bis 14:00 geöffnet. Die Handelsverbände machten sich
erfolgreich für eine Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten stark.
Welche Überlegung der Mitgliedsfirmen könnte wohl hinter dieser Forderung gestanden haben.
Welche gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen könnte sie wohl gehabt haben?
Hinweis: Überlegen Sie sich. Was passiert mit dem Umsatz eines Ladens, wenn dieser länger
öffnet? Was passiert mit dem Umsatz aller Läden, wenn alle länger auf haben?
5)
Sie kommen in eine Kneipe und haben 10 € in der Tasche. In der Kneipe gibt es nur Bier zu 2 € /
Glas.
a) Beschreiben Sie die Alternativen vor denen Sie stehen verbal und in einer Tabelle. (Damit Sie
fertig werden: Nehmen Sie bitte nur ganzzahlige Werte an.)
b) Kriegen Sie das auch grafisch hin? (In der Grafik sollten Bier und Geld auf den Achsen stehen.)
c) Können Sie eine Möglichkeit formulieren, die nicht zu den Alternativen zählt? Begründen Sie,
warum nicht.
d) Die Kneipe hat gerade ihr Angebot ausgeweitet. Neben Bier gibt es nun auch Korn zu 4 €/Glas.
Wie würden Sie Ihre Alterativen jetzt beschrieben?
S. 14
1 Fragestellung, Methode
Karl Betz
da) als Tabelle
db) als Diagramm?
6)
Sie haben 12 Gutscheine für den nächsten Jahrmarkt gewonnen. Die Gutscheine sind nur für
diesen Jahrmarkt gültig und können nicht übertragen werden.
Sie werden angenommen von der Geisterbahn, dem Riesenrad und der Achterbahn. Der
folgenden Tabelle können Sie entnehmen, wie viel Gutscheine Sie für eine Fahrt jeweils brauchen
(1. Zeile).
Die folgenden Zeilen geben Ihre persönliche Wertschätzung an. Der Eintrag bei Riesenrad, Fahrt
Nr. 2, besagt also, daß Sie der zweiten Fahrt mit dem Riesenrad einen Nutzen in Höhe von 2
zumessen.
Attraktion
Kosten [Gutscheine]
Geisterbahn
Riesenrad
Achterbahn
2
3
1
Ihre Wertschätzung
Fahrt Nr. 1
4
6
2
Fahrt Nr. 2
3
2
1,5
Fahrt Nr. 3
2
1
1
Fahrt Nr. 4
1
0,5
0,25
a) Wofür geben Sie Ihre Gutscheine aus?
b) Welche Regeln haben Sie angewandt, um Ihre Entscheidung zu treffen? Bitte nennen Sie
nicht nur die (4) Regeln, sondern erläutern Sie auch, was diese in diesem Falle konkret
bedeuten.
7)
Ökonomen sagen gerne "There is nothing like a free lunch." Bitte erläutern Sie an einem
Beispiel.
8)
Eines der Mitglieder des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung wird auf Vorschlag der Gewerkschaften berufen. Zur Zeit ist dies Bofinger. Dieser gibt
häufig abweichende Meinungen im Gutachten zu Protokoll. Woran könnte dies liegen?
Einführung in die VWL
2 Das Marktmodell
S. 15
2 Das Marktmodell
Lernziele: Die Studierenden verstehen
Märkte organisieren das Wirtschaften
Das Marktmodell formalisiert das Zusammenspiel von Preisen und Mengen.
Dargestellt wird es als Marktdiagramm oder in Form von Angebots- und Nachfragefunktion.
Betrachtet werden zwei Typen von Märkten: Güter- und Faktormärkte.
Die entscheidenden Akteure sind Anbieter und Nachfragerinnen. Auf dem Gütermarkt
sind dies Unternehmen (Produzentinnen) und Haushalte (Konsumenten).
Es wird unterstellt:
Die Nachfragefunktion verläuft (monoton) fallend, die Angebotsfunktion (monoton) steigend.
Im Marktgleichgewicht (p*, x*) stimmen die Pläne von Anbietern und Nachfragern überein.
Im Gleichgewicht haben alle identischen Güter den gleichen Preis. Es gilt die non-Arbitrage
Bedingung
Außerhalb des Gleichgewichts ändern sich die Preise
und setzen einen Prozeß zum Gleichgewicht in Gang.
Die Studierenden können ein Gleichgewicht graphisch und algebraisch bestimmen.
Die Stärke der Reaktion der Menge auf eine Preisänderung mißt man mit der Elastizität.
2.1 Ein erster Überblick: Ein simples Kreislaufmodell
Ich starte mal mit einem groben Überblick darüber, was eigentlich zu erklären ist.
Menschen müssen wirtschaften, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Zu diesem Zweck
produzieren und konsumieren sie.
Die VWL faßt alle Entscheidungen, die unter dem Oberbegriff konsumieren, dem
(End-)Verbrauch von Gütern und Diensten, laufen, unter der Überschrift „Haushalte“ zusammen
und alle Entscheidungen, die mit der Erstellung dieser Güter zusammenhängen, unter dem
Oberbegriff „Unternehmen“.
Bitte verwechseln Sie die Begriffe „Haushalte“ und „Unternehmen“ nicht mit in der „Realität“
vorkommenden Akteuren. Sie stehen für bestimmte Kalküle und Entscheidungen, die zu treffen
sind. Natürliche Personen können selbstverständlich sowohl Haushalts- als Unternehmensentscheidungen zu treffen haben. (Auch Unternehmer müssen essen.)
Zunächst sei angenommen (ich werde diese Vereinfachungen später fallen lassen), daß in der
Produktion nur Arbeit eingesetzt wird und daß es neben Haushalten und Unternehmen keine
weiteren Akteure gibt (also keinen Finanzsektor, keinen Staat, kein Ausland), dann kann man den
Fluß von Geld, Gütern und Leistungen wie folgt darstellen:
Wie Haushalte und Unternehmen miteinander interagieren, kann ein einem Kreislaufdiagramm
S. 16
2 Das Marktmodell
Karl Betz
dargestellt werden. Hier wird es zunächst in der einfachsten Form vorgestellt, der Sogenannten
geschlossenen Volkswirtschaft (Staat und Ausland werden nicht betrachtet) ohne Investitionen
(Haushalte können nicht sparen und Unternehmen nicht investieren). In den Makroabschnitten
(Kapitel 7 folgende) wird das Modell noch um diese Aspekte erweitert werden. Vorläufig aber sind
die Vereinfachungen hilfreich, um besser den Überblick zu behalen.
Abb.2.1: Ein einfaches Kreislaufschema
Zunächst ist zu bemerken, daß in diesem Kreislaufschema unter „Unternehmen“ alle
Unternehmen einer Volkswirtschaft zusammen gefaßt sind. Und unter Haushalte alle Haushalte. Das
erhöht die Übersichtlichkeit schon mal beträchtlich, weil man jetzt auf alle Transaktionen zwischen
Haushalten nicht mehr eingehen muß und ebenso alle Transaktionen zwischen Unternehmen
wegfallen: Der Vorleistungskauf eines Unternehmens ist der Verkauf eines anderen. Die Güter
bleiben im Unternehmenssektor und das Geld ebenfalls, weil es nur von einem Unternehmen an ein
anderes weitergegeben wurde.
Gibt ein Haushalt einem anderen einen Kredit, dann hat Haushalt A eine Forderung und Haushalt
B eine Verbindlichkeit – erneut verschwindet der Vorgang, wenn man über alle Haushalte
aufsaldiert (zusammenzählen). Die Zahlen in Klammern bezeichnen die Schnittstellen der Sektoren
zu den beiden Typen von Märkten, Güter- und Faktormärkte, wobei die gestrichelten Linien die
Geld- und die durchgezogenen Linien die realen Leistungsströme darstellen.
(1) Die Unternehmen bieten am Gütermarkt Güter und Dienstleistungen an. Sie nehmen Geld
aus dem Verkauf der Güter ein.
(3) Die Haushalte fragen am Gütermarkt Güter und Dienstleistungen nach. Sie zahlen diese mit
Geld.
(2) Die Unternehmen fragen am Faktormarkt Faktorleistungen: Arbeit, Boden (und, wenn
Kapital zugelassen wird: Kapitaldienste) nach und zahlen dafür Faktoreinkommen (Löhne,
Bodenrente (Pachten) und Zinsen).
(4) Die Haushalte bieten
am Faktormarkt Faktorleistungen an und erzielen ein
Einführung in die VWL
2 Das Marktmodell
S. 17
Faktoreinkommen.
Das Modell heißt „Kreislauf“modell, weil es zwei Eigenschaften eines geschlossenen Kreislaufs
aufweist
Erstens: Was von jedem der Pole (derzeit: Unternehmen und Haushalte) abfließt, kommt an
einem anderen Pol wieder an.
Zweitens: Was an jedem Pol zufließt, fließt auch wieder ab.
(1) und (2) Unternehmen treffen Produktionsentscheidungen. Sie legen fest, wie viele Güter sie
anbieten wollen und entscheiden, welche Faktorleistungen (vorläufig ist das nur Arbeit) sie
benötigen, um diese Güter herzustellen.
Zufluß = Abfluß:
Alle eingekauften Faktorleistungen werden (durch die Produktion) in Güter des Endverbrauchs
transformiert und diese werden an die Haushalte verkauft.
Alle Einnahmen aus dem Verkauf werden an die Haushalte weitergereicht.
Die Güter, die die Unternehmen (unter 2) an die Haushalte verkaufen, sind gleich dem (bewerteten)
Output des Unternehmenssektors. Und da die Unternehmen (unter 3) alles, was sie in diesem
Verkauf eingenommen haben (die Verkaufserlöse) in Form von Löhnen und Gewinnen an die
Haushalte abführen,1 ist der Wert der neu erstellten Güter zugleich gleich der Summe der
Einkommen, also gleich dem Volkseinkommen.
Es mag Sie jetzt etwas stutzig machen, daß die Unternehmen alle Erlöse an die Haushalte
abführen – was ist denn mit den einbehaltenen Gewinnen? Nun, ein Unternehmen gehört ja einem
(oder mehreren) Haushalt(en). Und damit gehören dem auch die Gewinne. Die Entscheidung, diese
nicht zu entnehmen, ist eine Haushaltsentscheidung – und beiläufig eine, über die ich (zur Zeit)
noch nicht reden kann, weil ich die Möglichkeit zu sparen ja noch gar nicht thematisiert habe.
(Allenfalls könnte der Haushaltssektor in unserem Grundmodell sparen, indem er haltbare Güter
kauft.) Der Unternehmenssektor wüßte zur Zeit auch noch gar nicht, was er mit der Ersparnis der
Haushalte anfange sollte – Kapitalgüter als Input habe ich ja auch noch nicht zugelassen.
(1) und (3) Dem Güterfluß steht ein Geldfluß gegenüber: Güter werden durch Kauf und Verkauf
übertragen (kein Diebstahl, keine Geschenke).
(2) und (4) Den Faktorleistungen steht ein Einkommensstrom gegenüber (keine Zwangsarbeit).
(3) und (4) Alles was die Haushalte an Einkommen von den Unternehmen bekommen, geben sie
in Form von Konsumnachfrage wieder aus. Daß das jetzt nur Konsumnachfrage ist und die
Haushalte nicht sparen können, ist erstmal unserer ersten Vereinfachung geschuldet und wird später
aufgehoben werden. Abgesehen davon bedeutet die Bedingung aber nur, daß die Haushalte alles,
was sie an Einkommen einnehmen, auch wieder für irgendetwas verwenden. Und da es vorläufig
nur den Konsum als Verwendungszweck gibt, heißt das eben, daß sie es für die (Konsum)Nachfrage
ausgeben. Aber gibt es nicht so etwas wie eine „Sättigung der Bedürfnisse?“. Ja, das ist schon
denkbar – aber bedenken Sie bitte, daß Einkommenserzielung mit Nachteilen verbunden ist
(„Arbeit ist ätzend“). Die Haushalte entscheiden gleichzeitig über ihr Faktorangebot und ihre
Konsumnachfrage. Sie werden also, wenn sie weniger nachfragen wollen, gleichzeitig weniger
Faktorleistungen zum Verkauf anbieten. Sie reduzieren also ihr (geplantes) 2 Angebot und ihre
1 Unternehmen verwenden ihre Erlöse doch auch, um Vorleistungen zu bezahlen. Ja, jedes einzelne Unternehmen tut
dies. Aber es bezahlt ein anderes Unternehmen. Aus dem Sektor Unternehmen fließt Geld nur in Form von Löhnen
und Gewinnen ab (wobei Zinszahlungen gesamtwirtschaftlich als Gewinne behandelt werden). (Und in Form von
Steuern. Aber der Staat ist ja noch nicht in das Modell eingebaut.)
2 Der Punkt, daß hier von Plänen die Rede ist, wird später wichtig werden, wenn ich von der neoklassischen zur
keynesianischen Theorie übergehe. Erstens können Pläne bekanntlich schief gehen. Dies ist der Ansatz für die
S. 18
2 Das Marktmodell
Karl Betz
(geplante) Nachfrage gleichzeitig, so daß die Kreislaufbedingung „(3) = (4)“ (geplante Ausgaben =
geplante Einnahmen) gewahrt bleibt.
Als Summe dieser Annahmen ergeben sich die beiden nicht ganz so offensichtlichen
Schlußfolgerungen:
(1) und (4) Das Einkommen der Haushalte ist immer hoch genug, damit diese den gesamten
produzierten Output kaufen können. Arbeitslosigkeit oder ein zu geringes Wachstum kann also nicht
durch ein zu niedriges Einkommen der Haushalte verursacht sein.
(2) und (3) Die Haushalte können nur mit dem Geld nachfragen, das die Unternehmen ihnen in
Form von Faktorentlohnung ausgezahlt haben. Die Unternehmen können also nur das Geld wieder
einnehmen, das sie zuvor (oder zeitgleich) den Haushalten gegeben haben. Marx hat das so
formuliert: Die Kapitalisten als Klasse schießen sich ihre Gewinne selbst vor. Wachstum kann also
nicht durch zu hohe (Geld-)löhne in Schwierigkeiten geraten. (Jedenfalls nicht solange noch kein
Ausland im Modell ist.)
Abb. 2.2: Die Phillips-Maschine
Der neuseeländische Ökonom Phillips entwickelte 1950 eine Kreislaufdarstellung mit
einem System kommunizierender Röhren, den moniac. Links das Modell, rechts die
schematische Darstellung. Quelle: Fortune März 1952 S. 100 ff.
OK. Als Resultat dieser Vorüberlegungen läßt sich schon mal festhalten, über welche Arten von
Konjunkturtheorie. Ferner wird dann die Frage, von welche Art von Plänen die Rede ist, noch eine bedeutsame
Rolle spielen (Keynesianisches vs. neoklassisches Gleichgewicht).
Einführung in die VWL
2 Das Marktmodell
S. 19
Märkten zu reden sein wird:
Auf dem einen Typ von Märkten sind die Unternehmen die Anbieter und die Haushalte die
Nachfrager. Dieser Markt heißt Markt für Güter und Dienstleistungen oder in der Folge kurz:
Gütermarkt.
Auf dem zweiten Typ sind die Haushalte die Anbieter und die Unternehmen die Nachfrager. Hier
handelt es sich um die Faktormärkte, den Arbeitsmarkt (und den Kapitalmarkt). Weitere
Faktorleistungen (Boden/natürliche Ressourcen) werde ich in diesem Skript in der Regel nicht
beachten.
2.2 Das Marktmodell: Die Grundannahmen
Zur Illustration vieler Problemstellungen wird in der VWL gerne Robinson herangezogen, der
auf seiner Insel gestandet ist und nun seine Ressourcen (seine Zeit und die aus dem Schiffbruch
geretteten Konsumgüter und Werkzeuge) so einteilen muß (allozieren, daher Allokationstheorie),
daß er überleben kann. Hier wird das oben angesprochene Koordinationsproblem als bereits gelöst
unterstellt.
Das macht einerseits Sinn: Schließlich bekommen Sie ja (in der Regel) Ihre Tüte Milch im
ALDI, die Koordination hat also in diesem Falle funktioniert.
Andererseits können so aber Koordinationsprobleme, die praktisch sehr wohl auftreten, leicht
überspielt und aus der Betrachtung ausgeblendet werden. Robinson weiß ja ob und wie viele
Kokosnüsse er gerne haben möchte; es ist unlogisch, daß Robinson Fische fängt und erst hinterher
feststellt, daß er Vegetarier ist. (Es kann also keine Strukturkrisen geben, in der einzelne Branchen
schrumpfen.) Oder daß er wochenlang Wohnhöhlen einrichtet und erst nachher merkt, daß er ja nur
eine braucht. (Eine Subprime-Krise ist also auf der Insel auch eher unwahrscheinlich.) Und es ist
auch nicht so recht einzusehen, wie es Arbeitslosigkeit geben können sollte: Wenn Robinson länger
arbeiten will (weil er noch eine weitere Kokosnuß möchte), dann tut er es halt.
In einer Marktwirtschaft nun findet diese Koordination, die in Robinsons Fall in seinem Kopf –
und beim oben erwähnten Bau eines Blockhauses beim Frühstück – stattfindet, über – Sie ahnen es
sicher schon: – den Markt statt.
Aber der Markt, von dem hier die Rede ist, ist weder ein orientalischer Basar, noch ein deutscher
Supermarkt, sondern ein theoretisches Konstrukt. Er ist der logisch vorgestellte Ort, an dem
ökonomische Interaktion über das Zusammentreffen von Preis- und Mengensignalen erfolgt.
Wie sich (unter bestimmten Annahmen – vgl. Anhang) nämlich zeigen läßt, läßt sich eine
komplexe Volkswirtschaft lediglich über Preis- und Mengensignale steuern.
Ok. Unter Marktdiagramm im Sinne dieses Skripts soll ein Diagramm verstanden werden,
welches die Nachfrage nach und das Angebot von einer Ware in Abhängigkeit von ihrem Preis
darstellt.
Lassen Sie uns zunächst die Begriffe klären
Ware: Unter einer Ware oder einem Gut sollen sowohl Güter als Dienstleistungen verstanden
werden, die Nutzen für den Endverbraucher stiften. Was ist mit Gütern, die Schaden verursachen?
Nun, man könnte entweder eine negative Nachfrage formulieren und handelte sich formale
Komplikationen ein3 - oder man definiert die Sache einfach um: Statt Abfall betrachtet man
3 Weil es dann negative Preise geben müßte und ich z.B. mit einem Quadranten für die Grafik nicht mehr hinkäme.
S. 20
2 Das Marktmodell
Karl Betz
Abfallentsorgung oder statt Körperverletzung die Nachfrage nach Bodyguards u.s.w. Wichtig ist
auch die Unterstellung, daß die betrachtete Ware homogen ist, in dem Sinne, daß es für Nachfrager
keinen Unterschied zwischen den einzelnen Gütern gibt. Wenn diese Bedingung nicht erfüllt ist,
müssen unterschiedliche Märkte betrachtet werden. Es gibt also keinen Markt für Rotwein (es sei
denn, man unterstellt, es gäbe nur eine Sorte Rotwein), sondern ganz viele unterschiedliche: Einen
Markt für Asti Spumante, einen für Bourdeaux Primeur, einen für Chateau La Tour 2003 etc. Was
nicht so offensichtlich ist: Die Pommes von der Frittenbude mit der hübschen Verkäuferin sind für
Sie evtl. nicht das gleiche Gut wie die an der Frittenbude nebenan. Und das Rettungsboot in
Liverpool ist auch nicht das gleiche Gut wie das (ansonsten identische) Rettungsboot auf der Titanic
nach dem meeting mit dem Eisberg - für letzteres hätten die Passagiere mehr gezahlt aus für
ersteres.
Nachfrage: Der Nachfrager ist derjenige, der ein Gut erwerben möchte und dafür etwas
hergeben will.
Angebot: Die Anbieterin bietet ein Gut an und möchte dafür im Gegenzug eine Gegenleistung
erhalten, den Preis des Gutes.
Preis: Der Preis ist das, was für die Überlassung der Ware gezahlt wird. Ist diese Gegenleistung
ein Geldbetrag, so spricht man vom absoluten Preis (ein Apfel kostet 50 Cent), ist es eine andere
Ware, so spricht man von einem relativen Preis (ein Apfel kostet eine Birne).
Kauf / Tausch: Durchgängig wird unterstellt, daß Güter nur durch Kauf und Verkauf (oder
Tausch) übertragen werden können. Schenkungen sind dabei nicht notwendig ein Problem: Ich
kaufe das Gut und mein Nutzen besteht darin, daß jemand anders sich darüber freut.
Kreditfinanzierung ist auch keines: Ich tausche das Gut gegen einen Zahlungsstrom in der Zukunft.
Ausgeschlossen sind aber Diebstahl plus (und spätestens hier wird's kritisch) Pleiten (denn wenn ich
meinen Kredit nicht zurückzahle, wäre der vereinbarte Tauschvertrag ja nicht erfüllt worden.)
Abb. 2.3: Einfaches Marktdiagramm
Einführung in die VWL
2 Das Marktmodell
S. 21
2.2.1 Die Marktnachfrage
Auf die (Markt-) Nachfragekurve kommt man, in dem man die individuellen
Zahlungsbereitschaften aufaddiert. Nehmen Sie z.B. an, es gebe nur drei Nachfrager in der
Volkswirtschaft: Tick, Trick und Track. Die beiden kommen an einem schwül heißen Tag in die
Mensa und überlegen sich, ob sie ein oder mehrere Mineralwasser trinken wollen. (Wobei
unterstellt sei, daß Mineralwasser ein homogenes Gut ist, daß es also in der Mensa nur eine Sorte
Mineralwasser gibt.) Bevor sie den Verkäufer nach dem Preis fragen, überlegen sie sich, wie viel sie
denn bei unterschiedlichen Preisen trinken wollen. Ihre Überlegungen seien in folgender Tabelle
wiedergegeben:
Wasserpreis
(Cent)
Wassernachfrage von ...
Marktnachfrage
nach Wasser
Tick
Trick
Track
60
0
2
1
3
50
1
2
2
5
40
1
3
2
6
30
1
3
3
7
20
2
3
4
9
Um die Tabelle zu interpretieren: Zeile 2: Bei einem Wasserpreis von 60 c würde Tick überhaupt
nichts kaufen. (Als Fieselschweifling weiß er nämlich, daß auf einen schwülen Tag oft ein Gewitter
folgt - und er kann warten, bis er das Wasser kostenlos auffangen kann.) Trick hat so einen Brand,
daß er trotz des Wucherpreises zwei Gläser Wasser herunter stürzen will und Track würde dann nur
den größten Brand mit einem Glas Wasser löschen. Die letzte Spalte addiert alle Nachfragemengen
beim jeweiligen Preis auf. Die Marktnachfrage ergibt sich also einfach als Summe der individuellen
Nachfragen: Bei einem Preis von 60 Cent werden drei Glas nachgefragt.
In den Spalten schlägt sich die Annahme des sinkenden Grenznutzens nieder: Ist Wasser sehr
teuer (60 c), dann ist es Tick die Ausgabe nicht wert. Bei 50 c stillt er seinen größten Brand und erst
wenn der Preis auf 20 c gefallen ist, ist er bereit, auch noch ein weiteres Glas zu kaufen, weil der
Nutzen, den ihm das zweite Glas bringt, ihm nicht mehr als 20 c wert ist. (Die Tabelle sagt also
nicht, daß Tick bei 50 c ein Glas kauft und bei 40 noch eins und so weiter, sondern daß er, wenn der
Preis 40 ist, genau so viel kaufen würde - nämlich ein Glas - wie wenn er bei 50 steht.)
Entsprechend sagt uns die Spalte der Marktnachfrage, daß bei einem Preis von 40 c sechs und bei
einem Preis von 20 c 9 Gläser Wasser nachgefragt würden.
Dieser Zusammenhang ist in Diagramm 2.4 als Kurve dargestellt - als Nachfragekurve nach
Wasser: WasserNE. Die einzelnen Punkte der Tabelle wurden in das Diagramm übertragen und mit
einer durchgehenden Linie verbunden. Letzteres anzunehmen ist deswegen wichtig, weil, wenn
Nachfrage- und die Angebotsdiagramm nur aus einzelnen Punkten bestünde (die Funktionen also
nicht stetig sind) sie sich unter Umständen nicht treffen würden, es also zu keinem Ausgleich
(keiner Gleichheit von) Angebot und Nachfrage kommen könnte. Sie sehen übrigens, daß die
Nachfragekurve bei den hier gewählten Werten nicht linear laufen (keine Gerade sein) würde. Das
ist sie im allgemeinen auch nicht. Da es aber für das, was in diesem Skript zu zeigen ist, keinen
S. 22
2 Das Marktmodell
Karl Betz
Unterschied macht4 ob die Nachfragefunktion linear ist oder nicht, wird im weiteren, weil's so
leichter zu zeichnen und zu rechnen ist, davon ausgegangen, daß Nachfrage und Angebot durch
Geraden abgebildet werden können.
Abb. 2.4: Nachfrage nach Wasser
Noch eins ist wichtig: Die Nachfragekurve gibt die Reaktion der nachgefragten Menge auf den
Preis UND NUR AUF DEN PREIS wieder.
Die Nachfrage nach Wasser hängt von einer ganzen Menge an Einflußfaktoren ab. Um nur einige
zu nennen:
Welche Getränke gibt es sonst noch und was kosten die?
(Substitute)
Wollen sie vielleicht auch etwas scharfes essen?
(Komplemente)
Sind auch die übrigen Fähnlein Mitglieder in der Kantine?
(Größe des Marktes)
Wie heiß ist es?
(Umweltbedingungen)
Wie viel Geld haben sie dabei?5
(Einkommen / Vermögen)
Tick rechnet mit einem Gewitter
(Erwartungen)
....
Man stellt sich die Nachfragekurve daher am besten als partielle Ableitung der Nachfrage nach
dem Preis vor. Wenn sich nur der Preis und sonst nichts ändert (ceteris paribus Bedingung), wie
verändert sich dann die nachgefragte Menge?
4 Mit einer Ausnahme, auf die im Anhang zu diesem Kapitel eingegangen wird.
5 Falls Sie die Überlegungen zum Kresilaufschema noch im Hinterkopf haben sollten: Gesamtwirtschaftlich kann das
Einkommen natürlich nicht vorgegeben sein - es wird an den Faktormärkten erwirtschaftet. Wenn ich alle Märkte
gleichzeitig betrachte muß ich also sagen: Die Nachfrage hängt davon ab, welche Faktorleistungen die drei anbieten
können und wie die Preise dieser Faktorleistungen sind.
Einführung in die VWL
2 Das Marktmodell
S. 23
Merken Sie sich schon mal:
Wenn sich nur der Preis oder nur die Menge und sonst nichts ändert, bewegen Sie sich auf
der Kurve: Die Wirkung der Größen, die an den Achsen stehen, aufeinander wird von der Kurve
beschrieben.
Wenn sich ein anderer Einflußfakor ändert, bewegt (verschiebt und / oder dreht) sich die
Kurve.
Dabei wird hier und im Hauptteil des restlichen Skripts unterstellt, daß die nachgefragte Menge
zurück geht, wenn der Preis steigt. Und der Einfachheit halber unterstelle ich eine lineare Funktion.
Es ist also:
XNE = a - b · p mit a, b > 0
Ich belasse es hier bei dieser willkürlichen Unterstellung. In vielen Mikrolehrbüchern werden Sie
Abschnitte finden, in denen die Nachfragekurve aus den Neigungen der Nachfrager hergeleitet wird
(Präferenzaxiomatik und Indifferenzkurven). Ich habe in meinem Studium im ersten Semester VWL
nichts anderes getrieben als das (Haushaltstheorie; das zweite Semester war Produktionstheorie). 6
Irgendwann bestand wohl mal die Hoffnung, man könne von ganz allgemeinen Annahmen
herkommend zeigen, daß die Nachfragekurve immer fallen müsse. Kann man nicht. Was geblieben
ist, ist Lehrstoff, den man halt schön abprüfen kann. Mache ich nicht.
2.2.2 Das Marktangebot
Beim Marktangebot kann man sich folgende Fälle vorstellen
Abb. 2.5: Unterschiedliche Verläufe der Angebotsfunktion
6 Oder, um ehrlich zu sein, ich hätte das tun sollen. Ich fand das Thema aber so ätzend, daß ich lieber die zeitgleiche
Philosophieveranstaltung besucht habe. (Ging damals noch: Die Noten vom Vordiplom wurden im Diplom nicht
angerechnet.)
S. 24
2 Das Marktmodell
Karl Betz
a) Durchgezogene Kurve: Die angebotene Menge ist fix und hängt nicht vom Preis ab. Sowas ist
immer dann realistisch, wenn keine Produktion möglich ist: Sage, das Angebot an Land, die
Landfläche der Erde, sei fest vorgegeben. (Deichbau und Global Warming vernachlässige ich mal,
bzw. ich unterstelle, beides hänge nicht vom Landpreis ab.) So kann man z.B. auch das Angebot an
Emissionszertifikaten für CO2 in der EU darstellen: Die Menge X an CO2 Emissionen ist erlaubt
und diese Menge an Verschmutzungsrechten kann an der Börse gehandelt werden.
Tipp: Es ist in solchen Fällen viel einfacher, in Gedanken so zu tun, als würden alle Bestände auf
einen großen Haufen geworfen und die Eigennachfrage, also das, was man behalten statt verkaufen
will, in der Nachfragefunktion zu berücksichtigen. Man muß dann nämlich nur noch eine statt zwei
Funktionen berechnen. (Und, aber siehe hierzu 2.2.4, das Gleichgewicht rechnet sich einfacher.)
b) Flache (gestrichelte) Kurve: Die Kurve besagt: Zum Preis p wird jede beliebige Menge
angeboten. Dies ist ein wichtiger Sonderfall, vor allem für die lange Frist, und ich werde in Kapitel
5 ausführlicher auf ihn zurückkommen.
c) Vorläufig unterstelle ich den Verlauf der gepunkteten Kurve: Das Angebot steigt mit
steigendem Preis.7 Das heißt, wie in Kapitel 4 noch hergeleitet werden wird, ich unterstelle, daß
eine Ausweitung der Produktion nur zu steigenden Stückkosten erfolgen kann und daß die
Angebotskurve diese Kosten der Produktion reflektiert.
Die Theorie des Angebots macht im Unterschied zur Theorie der Nachfrage Sinn: Weil hier eine
substantielle Annahme getroffen wird (die Anbieter wollen ihren Gewinn maximieren) und weil
sich über Kosten und Erlöse etwas mehr sagen läßt, kommt man hier zu handfesteren Ergebnissen.
Da dieses Thema in Kapitel 4 ausführlicher behandelt werden wird, kann hier darauf verzichtet
werden, genauer auf den Verlauf der Angebotskurve einzugehen.
2.2.3 Elastizitäten
Die Angebotskurven in Abb. 2.5 reagieren unterschiedlich stark auf Preisänderungen. Ein
Konzept, die Stärke dieser Reaktion zu messen, ist das Konzept der Elastizität. Denken Sie an
einen Zusammenhang zwischen zwei Größen, der sich durch eine Funktion y = f (x) ausdrücken
läßt. Das Konzept der Elastizität fragt allgemein:
Elastizität: Wenn ich den Einflußfaktor x um ein Prozent ändere, um wie viel Prozent ändert
sich dann das Ergebnis y?
Die Zugelastizität eines Gummibandes z.B. würde sich bestimmen über die Frage: Wenn ich die
ausgeübte Zugkraft um ein Prozent ändere, um wie viel Prozent wird das Band dann länger?
Was Sie am Beispiel schon sehen können, ist, daß die Elastizität einer Kurve in der Regel nicht
an allen Punkte die gleiche sein wird:8 Irgendwann reißt z.B. das Band .
Was Sie ferner sehen können, ist, daß die Elastizität ein dimensionsloses Maß ist:
 Änderung Länge
·100
ursprüngliche Länge 
Elastizität =
 Änderung Zug 
· 100
ursprünglicher Zug 
7 Kann das Angebot mit steigenden Preis auch sinken? Scheint erstmal unplausibel. Im Exkurs zu Kapitel 6 wird aber
aber mit dem Arbeitsangebot ein Beispiel gegeben werden, bei dem man sich sowas durchaus vorstellen kann.
8 Die Ausnahme bildet der Sonderfall der einheitselastischen (isoelastischen) Funktionen.
Einführung in die VWL
2 Das Marktmodell
S. 25
Egal ob Sie die Zugkraft in Pond, Kilo, Tonnen oder Gramm messen: Die Dimension steht in
Zähler und Nenner, sie fällt also weg. Und egal, ob Sie die Länge in cm, Zoll oder Inch messen: Sie
steht in Zähler und Nenner, kürzt sich also raus. Und daß oben und unten Prozent stehen, ist auch
egal, weil sie sich ebenfalls rauskürzen.
Und schließlich können Sie auch einen eleganten Weg sehen, die Elastizität zu berechnen, wenn
Sie die Gleichung der Kurven haben:
d y dy
dy
1. Ableitung
y
dx
dx
=
=
= =
dx
y
f  x Durchschnittsfunktion
x
x
x
Das sagt dann auch gleich, daß eine Gerade (y = a + b · x) an jeder Stelle eine andere Elastizität
haben muß. Denn die erste Ableitung ist überall gleich (hier = b), während der Durchschnitt
((a + b · p) / p = b + a/p) für jedes p ein anderer ist. (Außer für a = 0)
Bei der durchgezogenen, vertikalen Kurve reagiert die angebotene Menge überhaupt nicht auf
Preisänderungen: Sie ist vollständig unelastisch. (x = a heißt ja x hängt überhaupt nicht von p ab,
reagiert daher auch nicht auf Veränderungen von p → η = 0)
Bei der gestrichelten, horizontalen Kurve (p = konstant) genügt eine winzige Preisänderung, um
das Angebot entweder völlig verschwinden zu lassen (wenn der Preis unter den Schnittpunkt mit
der Preis-Achse fällt) oder um das Angebot explodieren zu lassen: Wenn der Preis über den
Schnittpunkt stiege, würde unendlich viel angeboten. Das Angebot reagiert unendlich stark: Die
gestrichelte Kurve ist unendlich elastisch. (η = ∞) (Hinweis: η wird als Betrag angegeben, kann
daher nicht negativ werden. Es mißt nur die Stärke, nicht die Richtung der Reaktion.)
Die gepunktete, diagonale Kurve liegt irgendwo dazwischen, sie ist endlich elastisch. (So wie
sie hier gezeichnet ist, könnte sie einheitselastisch sein, war aber keine Absicht.) (0 < η < ∞)
Wichtig, als Sprachregelung für später: Wenn eine Kurve elastischer wird, dann heißt das, daß
sie sich in Richtung der unendlich elastischen Kurve dreht (also flacher wird). Und wenn Sie
unelastischer wird, dann dreht sie sich in Richtung der vollständig unelastischen Kurve, wird also
steiler.
Sie sollten im Hinterkopf behalten, daß die Elastizitäten auch vom Betrachtungshorizont
abhängen: Langfristig haben Sie mehr Möglichkeiten auf eine Preisänderung zu reagieren. Steigen
die Benzinpreise, können Sie kurzfristig nur mit weniger fahren reagieren. Mittel- bis langfristig
könnten Sie aber auch auf ein verbrauchsärmeres Auto umsteigen (und können effizientere Motoren
entwickelt werden) oder das Auto ganz abschaffen und näher an Ihren Arbeitsplatz ziehen (oder in
eine Lage mit besserer Anbindung an den ÖPNV9).
2.2.4 Das Marktgleichgewicht
2.2.4.1 Marktformen
Auf einem Markt kann es unterschiedliche Ausmaße von Marktmacht geben: Eine einzige
Anbieterin kann vielen Nachfragern gegenüberstehen - das wäre ein Monopol - oder sie kann
wenige Konkurrenten haben - ein Oligopol, wie Sie es z.B. von Mineralölfirmen kennen - oder eben
9 Ok, ich weiß, im Sauerland muß man das erklären: Öffentlicher Personen Nahverkehr (ÖPNV), das sind
Verkehrsmittel wie U-Bahnen, Züge oder Busse, die häufig und regelmäßig verkehren (müßten) und in denen viele
Menschen gleichzeitig befördert werden können.
S. 26
2 Das Marktmodell
Karl Betz
ganz viele, ein Polypol.
Umgekehrt kann ein einziger oder können wenige Nachfrager vielen Anbieterinnen
gegenüberstehen - im Lebensmittelbereich ist dies z.B. der Fall (Discounter haben eine hohe
Marktmacht gegenüber ihren Zulieferern) und das Verhältnis von Autofirmen gegenüber den
meisten ihren Zulieferer ist ähnlich - oder es können viele Anbieter und viele Nachfrager am Markt
auftreten ...
Das Problem bei wenigen Anbietern und/oder Nachfragern besteht darin, daß man dann sein
Angebot oder seine Nachfrage auch von der erwarteten Reaktion der anderen Anbieter oder
Nachfragerinnen abhängig machen muß.
Im Beispiel (und mal angenommen, die drei wären die einzigen Kunden in der Volkswirtschaft)
müßten sich Tick, Trick und Track nicht nur überlegen: Was ist mir ein Glas Wasser wert? Sondern
sie müßten sich fragen:
- Wie ändert der Kantinenwirt wohl seine Preise, wenn wir ihm sagen, daß wir zu 50 c nichts
kaufen? Können wir also den Preis drücken, wenn wir unsere wahre Zahlungsbereitschaft
verschweigen?
- Und wenn ich sage, zu 40 c nehme ich nichts - kann ich dann sicher sein, daß Trick nicht aus
unserer verabredeten Strategie ausbricht?
- Oder, wenn gar nichts verabredet wurde: Kann Trick, indem er sagt, er zahlt keine 60 c, Track
signalisieren, daß man erstmal versuchen sollte, den Preis zu drücken?
Und der Kantinenwirt muß sich fragen:
Bluffen die nur und fragen doch nach, wenn ich stur bleibe? Oder gehen die dann raus und ich
verkaufe gar nichts? Sprich: Ändert sich deren (geäußerte) Nachfrage, wenn ich eine andere
Angebotsstrategie einschlage?
Sie merken: Wenn es wenige Anbieter oder Nachfrager gibt, wird die Sache kompliziert (und
man muß in die Spieltheorie einsteigen, um noch zu Ergebnissen zu kommen, die dann aber oft
auch nicht mehr eindeutig sind, sondern Fallunterscheidungen brauchen). Wenn es wenige Anbieter
und Nachfrager gibt, kommt auch noch hinzu, daß die Angebotskurven nicht mehr unabhängig von
den Nachfragekurven sein können: Die Strategie, die ich als Anbieter wähle, hängt nicht nur von
der Strategie meiner Konkurrenten sondern auch noch von der (vermuteten) Strategie der
Nachfrager ab. Am einfachsten zu handhaben sind deswegen Fälle, in denen strategisches Handeln
keinen Sinn macht.
Über die Auswirkungen seiner Strategie auf die Strategie seiner Wettbewerber muß sich ein
Unternehmen aber in zwei Fällen keine Gedanken machen:
Erstens, wenn es gar keine hat (Monopoltheorie) und
zweitens wenn es relativ zum Markt so klein ist, daß seine Handlungen keine Auswirkungen auf die
Pläne seiner Mitbewerber haben.
Diesen letzten Fall, die vollständige Konkurrenz, werde ich in diesem Skript weitgehend
unterstellen, teils weil es der einfachste Fall ist, teils, weil die meisten Aussagen, die Sie in der
wirtschaftspolitischen Diskussion hören, auf dieser Annahme fußen (wenn auch in der Regel, ohne
dies zu sagen).
Vollkommene Konkurrenz10 bedeutet, daß alle Anbieter und alle Nachfrager relativ zum Markt
so klein sind, daß sie erwarten, zum herrschenden Preis so viel kaufen und verkaufen zu können,
10 Ich benutzte die Begriffe vollkommene / vollständige Konkurrenz und vollkommener Wettbewerb synonym.
Einführung in die VWL
2 Das Marktmodell
S. 27
wie sie gerne möchten, ohne daß sich deswegen der Preis ändert.11
Die Akteure sind daher Preisnehmer und Mengenanpasser.
Nachfrage: Wenn Sie Bier kaufen gehen, fragen Sie sich nicht wirklich: Wie viele Flaschen wird
der Getränkegroßhändler wohl haben? Sie schauen in die Zeitungsanzeige und überlegen sich: Wie
viel Flaschen will ich bei dem Preis kaufen? Sie passen Ihre nachgefragte Menge dem Preis an.
Angebot: Ok, hier wird's schwieriger, plausible Beispiele zu finden. Aber das könnte eins sein:
Milchbäuerin Huber sieht die Abnahmepreise der Molkerei und überlegt sich: Wie viel Milch sollte
ich bei diesen Preisen wohl anbieten? Macht es Sinn, eine weitere Kuh zu kaufen (wegen der müßte
ich dann Heu zukaufen, weil meine Weide für die Tiere zu klein wird)? Sie fragt also: Wie viel
Milch soll ich zum gegebenen Preis produzieren. Sie fragt nicht: Nimmt die Molkerei mir auch die
weiteren 100 Liter zum gleichen Preis ab? Sie paßt also ihre angebotene Menge dem Preis an.
In beiden Fällen ist aus Sicht des einzelnen Anbieters oder der einzelnen Nachfragerin die
Menge unter sonst gleichen Bedingungen (ceteris paribus) eine Funktion des Preises, wie das unsere
Angebots- und Nachfragefunktionen auch behaupten:
xNE = f(p)
xAT = g(p)
Gesamtwirtschaftlich ist dies jedoch nicht so: Streusand in der Sahara ist ein freies Gut, weil
(relativ zu den Bedürfnissen) so viel da ist. Hier ist also der Preis (p = 0, der Sand kostet nichts)
eine Funktion der Menge. Aus diesem Grund ist die Marktgrafik auch (scheinbar) falsch beschriftet:
Die Menge steht an der x-Achse und der Preis an der y-Achse.
2.2.4.2 Wettbewerbsgleichgewicht
OK. Ich hatte oben gesagt, daß der Markt die Pläne (und darüber die Handlungen) der
Marktteilnehmer über die Preise koordiniert. Wie genau tut er das?
Ich starte mal mit einer ersten Frage an: Kann es für das gleiche Gut eigentlich unterschiedliche
Preise geben? Die Antwort lautet: Jedenfalls nicht lange. Wenn ALDI Mineralwasser zu 20 c pro
Liter verkauft und HIT für 50 c, dann können Sie Ihr Studium finanzieren, indem Sie in Ihren
Freistunden Wasser bei ALDI kaufen und sich vor HIT stellen um es dort für 40 c zu verkaufen.
Damit steigt die Nachfrage bei ALDI und HIT verkauft nichts mehr.12 HIT müßte also entweder
seinen Preis senken (und ALDI ihn evtl. erhöhen) oder den Verkauf einstellen. Natürlich ist die
Geschichte hier nicht abgeschlossen, weil jetzt Ihre Kommilitonin auf die Idee kommen wird: Das
Geschäftsmodell ist ja geil, kauf ich halt auch Wasser und biete es für 35 c an, dann habe ich den
ganzen Umsatz für mich.
Diese Geschichte geht genau so lange weiter, bis sich durch Arbitrage (billig kaufen und teuer
verkaufen) kein Gewinn mehr machen läßt.13 Arbitrage führt also auf einen einheitlichen Preis für
11 Diese Annahme macht für die wenigsten Firmen wirklich Sinn - andernfalls wären alle Menschen, die Marketing
studieren, anschließend arbeitslos. Ich werde sie, wenn wir zu Keynes kommen, durch die Annahme der
Kapitalkonkurrenz ersetzen. Im Moment ist es aber am einfachsten, mit der Preisnehmer- und Mengenanpasser
Annahme zu arbeiten.
12 Falls Ihnen jetzt Einwände kommen sollten: Erinnern Sie sich daran, wie ein homogenes Gut definiert war.
13 Das unterstellt allerdings die Abwesenheit von Transaktionskosten: Der Stand vor HIT kostet nichts, der Transport
von ALDI zu HIT kostet nicht und so weiter. Arbitrage sichert vor allem auf Märkten mit geringen Transaktions kosten den Ausgleich von Preisdifferenzen - Finanzmärkte sind so ein Beispiel (Wenn die Fordaktie oder der €
abstürzt, stürzt er in New York und Frankfurt gleichzeitig ab.) Andernfalls kann es (in Grenzen) schon unterschied-
S. 28
2 Das Marktmodell
Karl Betz
ein homogenes Gut.
Non-Arbitrage-Bedingung (auch law of one price genannt): Homogene Güter haben im
Marktgleichgewicht stets den gleichen Preis.
Damit ist schon mal klar, daß man, wenn man über einen Markt reden, sich immer nur fragen
muß, was bei einem bestimmten Preis los sein wird, denn mehrere Preise gleichzeitig kann es nicht
(oder jedenfalls: nicht lange) geben.
Ich male mal ein willkürliches Marktdiagramm und starte in irgend einer Ausgangssituation,
sage beim Preis p1:
Abb. 2.6: Markt im Ungleichgewicht
So wie die Geraden hier laufen, habe ich offensichtlich angenommen:
WasserNE = 8 - 0,1 ∙ p und
WasserAT = - (4/3) + (4/30) ∙ p
Beim Preis p1 (= 20 c) sind nur zwei Punkte von Interesse : die Punkte auf der Angebots- und der
Nachfragekurve bei diesem Preis. Denn alle übrigen Mengen werden bei diesem Preis ja sowieso
nicht gewählt: mehr oder weniger als die Menge am Schnittpunkt mit der Angebotskurve (x AT(p1) =
1,33... ) wollen die Anbieter nicht anbieten. Und mehr (oder weniger) als die Menge am
Schnittpunkt mit der Nachfragekurve (xNE(p1) = 6) wollen die Nachfragerinnen sowieso nicht haben.
Die geäußerten Nachfragen und Angebote bei p 1 = 20 sind hier also ungleich. Die Nachfrage ist
größer als das Angebot - oder: Bei p1 = 20 liegt eine Überschußnachfrage vor:
liche Preise geben. Aber auch das macht das Modell nicht falsch: Warum kaufen Sie Mister Tom in der Kantine?
Weil Ihnen der Weg zu ALDI wegen eines einzigen Nußriegels zu weit wäre. Das heist aber: Ein Mister Tom in der
Kantine und ein Riegel bei ALDI sind für Sie nicht das gleiche Gut. Es handelt sich also um zwei verschiedene
Märkte.
Einführung in die VWL
2 Das Marktmodell
S. 29
ÜNE(p1) = xNE(p1) - xAT(p1) = 6 - 4/3 = 4 (2/3)
Wenn die Nachfrage aber höher als das Angebot ist, dann heißt das, daß einige Nachfrager, die
bereit wären, mehr als 20 c für Wasser zu zahlen, nicht zum Zuge kommen. Diese werden nun
versuchen, doch an Wasser zu kommen, in dem sie höhere Preise bieten.
Nun zum umgekehrten Fall: der Preis liege bei p2: Bei einem Preis von 50 c ist das Angebot
5,33... Flaschen Wasser, die Nachfrage aber nur 3 Flaschen. Es liegt also ein Überschußangebot in
Höhe von 7/3 Flaschen vor.14
ÜAT(p2) = xAT(p2) - xNE(p2) = 16/3 - 3 = 7/3
Den Fall kennen Sie auch: Wie in der Fallstudie geschildert, decken sich die Schwarzhändler
frühzeitig mit Karten ein, die sie dann über Ebay vor der Halle oder dem Stadion verkaufen. Nun
kann es gut vorkommen, daß sie sich verrechnet haben: Sie haben sich vorab mit Karten für das
Championsleague Finale in Dresden eingedeckt - und jetzt sind die Bayern schon in der Vorrunde
ausgeschieden und der FC Levadia Tallinn spielt gegen Vikingur Gotu (Farör Inseln). 15 Die Karten14 Für das Überschußangebot muß man die Nachfrage von Angebot, für die Überschußnachfrage das Angebot von der
Nachfrage abziehen. Um sich die lästige Fallunterscheidung zu ersparen, definiert man ganz einfach eine
Überschußnachfrage als ein negatives Überschußangebot.
15 Ätsch.
S. 30
2 Das Marktmodell
Karl Betz
händler müssen dann versuchen, ihre Karten zu jedem Preis los zu werden - im Zweifelsfall unter
dem Preis der Abendkasse - weil der Event nicht ausverkauft ist. Bei einem Überschußangebot
werden also die Anbieter ihre Preise senken, um ihre Produkte los zu werden.
Es läßt sich also schon mal festhalten:
Wenn der Preis zu niedrig ist, ist das Angebot kleiner als die Nachfrage und der Preis wird
steigen.
Wenn der Preis zu hoch ist, ist die Nachfrage kleiner als als das Angebot und der Preis wird
fallen.
Es gibt damit genau einen Preis, der sich nicht weiter verändern, stabil bleiben wird (solange sich
nichts an den anderen Einflußfaktoren ändert): den Preis, bei dem Nachfrage und Angebot gleich
hoch sind. Formal ist das das Marktgleichgewicht, der Punkt der gleichgewichtigen Menge (x*) und
des gleichgewichtigen Preises (p*) - oder, graphisch: Der Punkt, in dem Angebots- und Nachfragekurve sich schneiden.
Abb. 2.7 Marktgleichgewicht
Daran können Sie sich das Problem von Höchst- oder Mindestpreisen klar machen: Setzen Sie
einen Mindestpreis über dem Gleichgewichtspreis (darunter ist er nicht bindend: Der Marktpreis
kann sich ja einstellen und daher wirkungslos.), dann entsteht ein Überschußangebot; die Anbieter
bleiben auf ihren Waren sitzen. Setzen Sie einen Höchstpreis unter dem Gleichgewichtspreis, dann
können Sie der Fallstudie entnehmen, was passiert: Es bilden sich Schwarzmärkte oder Warteschlangen heraus.
Das Marktgleichgewicht können Sie entweder graphisch bestimmen: Sie berechnen für
Angebots- und Nachfragekurve je zwei Punkte, tragen die Kurven in ein Marktdiagramm ein und
bestimmen den Schnittpunkt. Oder, genauer, Sie berechnen es über das Gleichsetzen der beiden
Einführung in die VWL
2 Das Marktmodell
S. 31
Kurven. Im Beispiel:
Angebots- und Nachfragefunktionen:
WasserNE = 8 - 0,1 ∙ p
WasserAT = - (4/3) + (4/30) ∙ p
Gleichgewichtsbedingung:
Wasser* = WasserNE(p*)!= WasserAT(p*)
(Die Gleichgewichtsbedingung verbal wiedergegeben: Die gleichgewichtige Wassermenge
(Wasser*) ist die Menge, bei der Angebot und Nachfrage gleich sind.)
Setzen Sie nun die Gleichungen der Angebots- und Nachfragekurve gleich (wobei Sie p durch p*
ersetzen, weil diese Gleichheit ja nur bei einem bestimmten Preis, dem Gleichgewichtspreis p*,
gilt.):
8 - 0,1 ∙ p* = - (4/3) + (4/30) ∙ p*
=> 28/3 = 7/30 ∙ p* ==> p* =
28⋅ 30
=40
7⋅ 3
Den Gleichgewichtspreis können Sie jetzt in entweder die Angebots- oder in die
Nachfragefunktion einsetzen, um die Gleichgewichtsmenge zu erhalten. Ich nehme mal die
Wassernachfrage:
Wasser* = 8 - 0,1 ∙ p* = 8 - 0,1 ∙ 40 = 4
Und zur Sicherheit können Sie den Gleichgewichtspreis nochmal die Angebotsfunktion
einsetzen, um Ihr Ergebnis zu überprüfen:
Wasser* = - (4/3) + (4/30) ∙ p* = (- 40/30) + 160/30 = 120/30 = 4. Stimmt.
Das Marktgleichgewicht liegt also bei x* = 4 und p* = 40 c.
Ach ja, eins noch: Es garantiert Ihnen natürlich niemand, daß die Kurven so nett sind und sich
immer bei ganzzahligen Werten schneiden. Daher muß man annehmen, daß die Bedingung
beliebiger Teilbarkeit erfüllt ist. Eine Gleichgewichtsmenge von 3 31 Flaschen Wasser zu einem
4
Preis von 2 Cent ist also durchaus eine zulässige Lösung.
7
Nebenbemerkung: Die Rechnung wird drastisch einfacher, wenn Sie es mit einer vollkommen
unelastischen oder einer unendlich elastischen Angebotskurve (aus Abschnitt 2.2.3) zu tun haben.
Im ersten Fall kennen Sie die Menge schon, im zweiten den Preis - und Sie brauchen diesen Wert
dann nur noch in die Nachfragefunktion einzusetzen, um den Gleichgewichtspreis (bzw., im
zweiten Fall, die Gleichgewichtsmenge) zu erhalten.
Bei einem starren Angebot steigt der Preis also so lange bis die Nachfrager sich nicht mehr
leisten können (oder wollen) als da ist.
Und bei einem vollkommen elastischen Angebot stellen die Produzentinnen halt so viel her, wie
die Nachfrager bei diesem Preis haben wollen
Der entscheidende Punkt ist an der Marktlösung ist jetzt nicht die Frage, ob der Markt besonders
gut für die Wohlfahrt ist. Das kann man zwar zeigen, aber nur unter einer ganzen Batterie von
Annahmen, von denen klar ist, daß sie in der Realität nicht zutreffen können. 16 Der entscheidende
Punkt ist, daß man hier sieht, wie die Pläne koordiniert werden: Die Nachfragekurve faßt ja die
16 Bei Interesse können Sie (eines Tages) im Exkurs zu diesem Kapitel mehr dazu finden.
S. 32
2 Das Marktmodell
Karl Betz
geplanten Nachfragemengen aller Nachfrager in der Ökonomie bei unterschiedlichen Preisen
zusammen. Und die Angebotskurve auf die gleiche Weise die geplanten Angebotsmengen aller
Anbieter. Der Gleichgewichtspreis stimmt also alle einzelnen Angebots- und Nachfragepläne an
diesem Markt aufeinander ab.
Der Markt funktioniert also über den Preis als Zuteilungs(Allokations)mechanismus. Knappe
Güter werden über den Preis auf die Menschen aufgeteilt, die bereit sind, am meisten dafür zu
zahlen. Und ein hoher Preis (auf Grund einer hohe Nachfrage) und bewirkt, daß mehr knappe
Faktoren in der Produktion eines Gutes eingesetzt werden als andernfalls.
Das ist einerseits effizient. Bei anderen Zuteilungsmechanismen wie Schlage stehen werden
Ressourcen verschwendet - schließlich wartet ein Teil der Leute in der Schlange umsonst, weil das
Gut ausverkauft ist, ehe sie drankommen. (In der Fallstudie z.B. wurden viel mehr Telefongespräche bezahlt als es überhaupt Karten gab). Andererseits bekommen so die Leute die Güter, die
am meisten dafür zu zahlen bereit sind - und das sind nicht notwendiger Weise die, die sie am
dringendsten brauchen. Denken Sie z.B. an eine Epidemie. Wenn da Medikamente knapp sind
gehen sie nicht notwendigerweise an die Kranken, sondern zumindest zum Teil an die wohlhabenden, die sich mit einem Vorrat eindecken, für den Fall, daß sie sich anstecken. Im Ergebnis
breitet die Seuche sich dann schneller aus, weil mehr unbehandelte Kranke sie weiter verbreiten.
Als 2009 die Schweinegrippe ausbrach, war das Medikament Tamiflu bei den Internet Apotheken
binnen kurzem ausverkauft. Geliefert worden war die Masse nach Europa und in die USA - obwohl
es außerhalb Mexikos zunächst noch keinen einzigen Fall gab. (Und daß viele Rockfans von diesem
Zuteilungsmechanismus auch nicht gerade begeistert sind, können Sie der Fallstudie auch
entnehmen.17)
Fragen zum zweiten Kapitel
Verständnisfragen
1)
Warum wird unterstellt, daß der Unternehmenssektor alle Erlöse an den Haushaltssektor
auszahlt?
2)
Was versteht man eigentlich unter einem Sektor?
3)
Kann die gleiche Person zugleich Haushalt und Unternehmer sein?
4)
Warum ist die Summe der Zu- und der Abflüsse für einen Sektor stets gleich?
17 Allerdings würde ich im konkreten Fall eher die Band verantwortlich machen. Als es in den frühen 70ern
Scharzmarktpreise für ein Konzert von Pink Floyd in Dortmund gab, hat die Band einfach noch ein Zusatzkonzert
am Folgetag im Westfalenstadion angesetzt. Wenn eine Gruppe wie AC/DC nur eine Halle bespielt (und Eventim als
Monopol-Kartenhändler einsetzt) oder Metallica nur ein einziges Big Four Festival im deutschsprachigen Raum
spielt, dann wissen die Bands schon, was sie tun.
Einführung in die VWL
2 Das Marktmodell
S. 33
5)
Welches (Koordinations-)Problem lösen Märkte?
6)
Wann erreicht ein Markt ein Gleichgewicht?
7)
Was geschieht oberhalb, was unterhalb eines Gleichgewichts?
8)
Bitte streichen Sie die unzutreffende Aussage: Ein Marktgleichgewicht ist dadurch gekennzeichnet,
daß es allen gut geht.
daß sich die Preise nicht mehr weiter ändern.
9)
Bitte streichen Sie die unzutreffende Alternative
Wenn sich nur der Preis ändert / bewegt man sich auf der Kurve / verschiebt sich die Kurve.
Wenn sich ein anderer Einflußfaktor ändert, dann
/ bewegt man sich auf der Kurve / verschiebt sich die Kurve.
10)
Was könnte man unter der Zug Elastizität eines Gummibandes verstehen?
Anwendungen
1)
Einfaches Kreislaufmodell: Kein Staat, kein Ausland, keine Investitionen.
(a) In einer Ökonomie werden Güter im Wert von 100 konsumiert. Die Lohnsumme ist 80. Wie
hoch sind die Gewinne? (Warum?)
(b) In Folge des technischen Fortschritts könnte in der Ökonomie mit dem gleichen Arbeitsaufwand
das Doppelte produziert werden. Der Konsum steigt aber nur auf 150.
(ba) Was ist geschehen?
(bb) Was erwarten Sie: Wie könnten sich Löhne und Gewinne entwickelt haben?
2)
Am Markt für Lederhosen ist die Angebotsfunktion:
LederAT = 2 · p - 5
LederNE = 10 - 3 · p
Bitte bestimmen Sie das Gleichgewicht grafisch und algebraisch.
3)
Wie verläuft Ihres Erachtens
Die Angebotsfunktion für Streichhölzer?
Die Angebotsfunktion für Grundstücke?
Die (Arbeits-) Angebotsfunktion für SHK-Tätigkeiten an der FH?
Die Angebotsfunktionen der Lehrbriefe?
S. 34
2 Das Marktmodell
Karl Betz
Die Angebotsfunktion für das Skript zu diesem Kurs?
Tragen Sie die Kurven in ein Diagramm ein und bestimmen Sie: Welche Kurve ist (endlich)
elastisch? Welche vollständig unelastisch? Welche unendlich elastisch?
4)
Kann eine Verteuerung von Benzin den CO2-Ausstoß senken? (Welche Kurve müssen Sie
betrachten? Was ist das Kriterium für die Antwort?)
5)
Der Staat will den Milchpreis regulieren und setzt einen Mindestpreis von 0,5 € (50 Cent) pro
Liter Milch. Es ist
MilchAT = 6 · p - 0,5
MilchNE = 3,5 - 4 · p
(a) Bitte bestimmen Sie das Gleichgewicht grafisch und algebraisch.
(b) Wie hoch sind Angebot und Nachfrage nach der Einführung des Mindestpreises?
(c) Was würde am Markt passieren?
(d) Wie kann der Staat sicherstellen, daß der Mindestpreis trotzdem erlöst wird?
(e) Was sagt Ihnen das über die EU-Agrarmarktpolitik?
Exkurs: Die unsichtbare Hand des Marktes
Um leichter die Übersicht zu behalten, nehme ich hier erstmal an, daß es in einer Ökonomie nur
zwei Güter gebe, sage Äpfel (A) und Birnen (B). Die beiden Güter werden nicht produziert, sondern
sind zu Beginn einfach da. Diese Anfangsausstattung bezeichne ich mit dem Index E
(Erstausstattung). Es stehe also AE für den Anfangsbestand an Äpfeln und BE für den
Anfangsbestand an Birnen. Nun ist diese Erstausstattung willkürlich auf die Haushalte verteilt
worden. Daher haben jetzt manche Haushalte mehr Äpfel und andere mehr Birnen als sie wollen.
Geld gibt es auch noch nicht, also müssen die Haushalte Äpfel gegen Birnen tauschen.
Ein Haushalt kann also zum Beispiel einen Teil seiner Äpfel anbieten, wenn er mehr Birnen will.
Es ist aber letztlich für die Fragestellung, um die es hier geht, einfacher, so zu tun, als ob der
Haushalt alles Obst, das er hat, anbietet und einen Teil davon gleich wieder zurück tauscht, also
quasi bei sich selbst kauft.
Der Wert des geplanten Angebots eines Haushalts ist dann gleich dem Wert seiner
Erstausstattung, also gleich
pA · AE + pB · BE
und der Wert seiner geplanten Nachfrage ist
pA · ANE + pB · BNE.
Da nun unterstellt wird, daß Güter nur durch Tausch übertragen werden, 18 muß der geplante Wert
des Angebots immer gleich dem geplanten Wert der Nachfrage sein.
geplantes Angebot: pA · AE + pB · BE = pA · ANE + pB · BNE
:geplante Nachfrage
Wäre der geplante Wert des Angebots kleiner, würde der Haushalt ja planen, einen Teil der Güter
zu stehlen - und wäre er größer, würde er einen Teil wertvoller Güter wegwerfen, statt sie gegen
etwas anderes einzutauschen. (Es ist natürlich möglich, daß von manchen Gütern mehr da ist, als
gebraucht wird. Aber dann kosten sie nichts - ihr Preis ist Null und dann ist der Wert des geplanten
Angebots (= 0) immer noch gleich dem Wert der geplanten Nachfrage (ebenfalls 0).)
18 Kauf und Verkauf sind ein Spezialfall eines Tausches: Ein Tausch Ware gegen Geld.
Einführung in die VWL
2 Das Marktmodell
S. 35
Wenn diese Aussage aber für jeden Haushalt gelten muß, dann muß sie auch für alle Haushalte
zusammen gelten. Daraus folgt für die gesamte Ökonomie:
(1) Der Wert aller (geplanten) Nachfragen muß gleich dem Wert aller Angebote sein - so etwas
wie eine zu niedrige gesamtwirtschaftliche Nachfrage scheint es nicht geben zu können.
(2) Die Märkte hängen miteinander zusammen: Wenn auf dem Markt für Gut A der Wert der
Nachfrage größer als der Wert des Angebots ist, muß auf mindestens einem anderen Markt der Wert
des Angebots größer als der Wert der Nachfrage sein. Dies ergibt sich durch einfaches Umstellen
der Gleichung:
pA · AE - pA · ANE = - (pB · BE - pB · BNE)
Diese beiden Aussagen würden zwar am Beispiel von zwei Gütern hergeleitet. Es ändert sich
aber nichts an ihnen, wenn man mehr Güter betrachtet: Die beiden Seiten der Gleichungen werden
dann nur länger und unübersichtlicher.
Vielleicht nochmal anders formuliert: Wenn jemand Birnen nachfragt, dann muß sie dafür Äpfel
vom gleichen Wert anbieten. Ein Birnenangebot ist also immer zugleich eine Apfelnachfrage und
Angebot: Die Nachfragekurve am Birnenmarkt ist zugleich die Angebotskurve am Apfelmarkt.
Wenn ich also im Text über einen Markt rede, dann spreche ich in Wirklichkeit implizit immer
mindestens zwei, in den meisten Fällen aber ganz viele Märkte an.
Daran sieht man, wie sich ein Schock 19 auf einem Einzelmarkt auf die gesamte Ökonomie
überträgt: Steigt die Nachfrage nach irgend einem Gut plötzlich an, kommt nicht nur der Preis an
diesem Markt in Bewegung, sondern auch die Preise an allen Märkten, die etwas mit dem ersten
Gut zu tun haben und die Preise an allen Märkten, die etwas mit diesen Gütern zu tun haben usw.,
usf.. Informell wird dies in der Nachfolge von Adam Smith als die "unsichtbare Hand des
Marktes" bezeichnet: Diese Preisänderungen koordinieren die Märkte und sorgen dafür, daß am
Ende ein kohärentes Marktergebnis herauskommt, daß die Ökonomie "funktioniert".
Man kann nun fragen: "Gibt es einen Vektor von Preisen, der dafür sorgt, daß alle Märkte
gleichzeitig im Gleichgewicht sind?", bei dem also die geplanten Angebote und Nachfragen für alle
Güter von allen Haushalten auch realisiert werden können?
Die praktische Dimension dieser Frage dürfte Ihnen klar werden, wenn Sie daran denken, daß
ein Teil dieser Güter Arbeitsleistungen (unterschiedlicher Qualifikation) sein können. Dann ist
nämlich ein Teilaspekt: Gibt es einen Vektor von Preisen, bei dem Vollbeschäftigung herrscht? Und
sorgt der Marktprozeß (die unsichtbare Hand) auch dafür, daß sich dieser Vektor auch einstellt?
Bejaht man diese Frage, dann folgt, daß der Markt, wenn man ihn nur sich selbst überläßt,
automatisch zu Vollbeschäftigung führt. (Unfreiwillige) Arbeitslosigkeit kann es dann entweder
nicht geben, oder sie wird durch politische Eingriffe in den Markt verursacht, die diesen am
funktionieren hindern (Mindestlöhne, Tariflöhne, Arbeitsschutzgesetzgebung – you name it.)
Neoliberale Ökonomen sind also nicht aus Menschenfeindlichkeit für Deregulierung (auch wenn
es praktisch darauf hinausläuft), sondern weil sie die Frage, ob der Markt immer dieses
Gleichgewicht herstellen wird.
Unter welchen Bedingungen diese Annahme berechtigt ist, wird (formaler) von der Theorie des
Allgemeinen Gleichgewichts behandelt. Sie fragt:
"Unter welchen Annahmen kann man zeigen
(a) daß es überhaupt ein Gleichgewicht gibt?
(b) daß dieses auch eindeutig ist (daß es also nicht drei, fünf oder mehr (die Zahl ist immer
ungerade) unterschiedliche Gleichgewichte gibt) ?
19 Unter einem Schock versteht man irgend einen äußeren Einfluß, eine nicht im Modell selbst erklärte Änderung.
S. 36
2 Das Marktmodell
Karl Betz
(c) daß dieses auch vom Markt erreicht wird?."
Um eine lange Frage kurz zu beantworten:
Ja, man kann zeigen, daß es Bedingungen gibt, unter denen ein Preisvektor auf ein eindeutiges
und stabiles Gleichgewicht führt.
... aber die dafür erforderlichen Annahmen (jedenfalls die, die bisher gefunden wurden) sind so
restriktiv, daß man sich zugleich sicher sein kann, daß sie in der Praxis nie zutreffen können.
Bevor ich auf einige dieser Annahmen im Einzelnen eingehe, noch kurz die Interpretation des
Ergebnisses:
Einerseits: Daß man nicht beweisen kann, daß der Marktprozeß immer auf ein Gleichgewicht
führt, heißt nicht, daß er es nicht trotzdem (immer oder manchmal) tut.
Andererseits: Wenn jemand sagt (wie dies die gesamte herrschende Ökonomie tut) flexible
Preise würden immer ein Gleichgewicht herstellen, also z.B. für Vollbeschäftigung sorgen, dann ist
dies bestenfalls ein Glaubenssatz (wahrscheinlich eher: Blödsinn) ganz sicher aber keine
wissenschaftlich bewiesene Tatsache.
Hier nun Annahmen, die man für den Beweis braucht, daß sich ein Gleichgewichtspreis einstellt.
Vollständigkeit der Märkte. Damit Märkte Preissignale übermitteln können, muß es sie erstmal
geben. Klar. Nur: Es gibt sehr viel mehr Güter als man auf den ersten Blick denken sollten: Güter
unterscheiden sich nämlich, abgesehen von ihren sonstigen Charakteristika,
- durch den Ort: Am Markt für Rettungsboote auf der Titanic am 14. April 1912 gegen 23:40 Uhr
der markträumende Preis sehr wahrscheinlich höher als zur gleichen Zeit in Liverpool.
- durch die Zeit: Kalender aus dem Vorjahr kosten heute deutlich weniger als Kalender für das
nächste Jahr.
- durch die Umweltzustände: Der Preis von Jod Tabletten wird im Jahr 2020 in der Nähe von
Neckarwestheim ein anderer sein, wenn das Kraftwerk hochgeht, als wenn es Störfall frei bis zum
Ende seiner Lebensdauer funktioniert.
Das sind dann schon eine ganze Menge Märkte: Alle Güter mal alle Orte mal alle Zeitpunkte mal
alle denkbaren Umweltzustände.
Vollständige Information: Die Akteure müssen nicht nur alle Preise, sondern auch alle
denkbaren Umweltzustände (und deren Eintrittswahrscheinlichkeiten) kennen.
Handel nur im Gleichgewicht. Es darf erst gehandelt werden, wenn das Gleichgewicht bereits
erreicht ist (die Gleichgewichtspreise bereits bekannt sind).
Damit diese Annahmen überhaupt Sinn machen, bedarf es einer Zusatzannahme: Abwesenheit
von Transaktionskosten. Denn wenn Vertragsverhandlungen oder die Beschaffung von Informationen zeitaufwändig sind, dann wäre es viel zu teuer, all die Informationen zu beschaffen und all
die Myriaden von Verträgen auszuhandeln.
Ferner dürfen die Akteure keinen Einfluß auf die Preise haben: Sie müssen Preisnehmer und
Mengenanpasser sein, also die Marktpreise als gegeben hinnehmen und nur ihre geplanten
angebotenen und nachgefragten Mengen ändern. Dies bedeutet unter anderem, daß sie unterstellen
müssen, zu einem gegebenen Preis so viel kaufen und verkaufen zu können, wie sie wollen.
Und wenn diese Anforderungen alle erfüllt sind, dann muß darüber hinaus auch noch unterstellt
werden, daß die Präferenzen und die Produktionsbedingungen der Haushalte und Unternehmen so
sind, daß gilt
(a) Die Angebots- und Nachfragefunktionen müssen stetig verlaufen, dürfen also keine
Sprungstellen aufweisen, weil sonst nicht sichergestellt ist, daß sie sich überhaupt schneiden (Graph
Einführung in die VWL
2 Das Marktmodell
S. 37
(a) in Abb.2.1.1). Sie müssen also im Zweifelsfall schon mal ein halbes Auto kaufen wollen.
(Alternativ kann man auch unterstellen, daß es unendlich viele Anbieter und Nachfrager gibt – auch
nicht gerade realistisch.20)
(b) Sie müssen monoton steigen oder fallen – weil es sonst mehrere Gleichgewichte geben
könnte. Die Vorstellung, daß man bei einem niedrigen Lohn länger arbeiten muß, sich dann mit
steigendem Lohn mehr Freizeit leistet, und daß ein weiter steigender Lohnsatz zusätzliche
Arbeitsangebote hervorruft, ist also nicht erlaubt, weil es dann mehr als ein Gleichgewicht geben
könnte (Graph (b)).
(c) Schließlich gibt es eine Anforderung an die Steigung der Funktionen: Die Nachfragefunktion
muß langsamer steigen (idealerweise: fallen) als die Angebotsfunktion, weil ein Gleichgewicht
sonst instabil wäre: Unter dem Gleichgewichtspreis wäre die Nachfrage kleiner als das Angebot –
der Preis würde immer weiter fallen und die Überschußnachfrage immer weiter zunehmen. Damit
fiele der Preis aber immer weiter. Oberhalb von p* wäre das Umgekehrte der Fall. Wenn man nicht
gleich im Gleichgewicht starten würde, könnte es also nie erreicht werden. Probieren Sie mal in
Graph (c), ob Sie dieses Argument dort rekonstruieren können.
Abb. 2.A.1: Anforderungen an Nachfrage- und Angebotsfunktionen
In der Ökonomie – jedenfalls in der Makroökonomie – gibt es nun aber Modelle, die scheinbar
ganz problemlos zu einem gesamtwirtschaftlichen „Gleichgewicht“ kommen – CGE Modelle
(Computable General Equilibrium) und DSGE Modelle (Dynamik Stochastic General Equilibrium
Model). So beeindruckend der mathematische Apparat auch ist, den die jeweiligen Autoren dabei
auffahren – die oben genannten Anforderungen und Probleme definieren sie entweder einfach weg,
oder sie unterstellen implizit, daß die Anforderungen erfüllt sind – mag das in der Praxis realistisch
sein oder nicht. Daß ein Ergebnis richtig ausgerechnet wurde, heißt eben noch lange nicht:
vernünftiges Ergebnis. Eine Herleitung kann vielmehr nie überzeugender sein als die ihr zu Grunde
liegenden Annahmen.
20 Immerhin konnte man zeigen, daß es schon reicht, wenn es abzählbar unendlich viele sind und nicht, wie man früher
unterstellen mußte, überabzählbar unendlich viele.
S. 38
2 Das Marktmodell
Karl Betz
Einführung in die VWL
3 Der Vergleich von Gleichgewichten
S. 39
3 Komparative Statik oder der Vergleich von Gleichgewichten
Lernziele:
Mit Hilfe von Modellen kann man die Konsistenz seiner Aussagen überprüfen.
Die Studierenden lernen, den Vergleich von Gleichgewichten anzuwenden, um Aussagen über
die Wirkung von Schocks auf das Marktergebnis zu machen.
- Preisänderungen führen zu einer Bewegung auf der Angebots- und Nachfragekurve.
- Änderungen anderer Einflüsse führen zu einer Verschiebung der Kurven.
Sie verstehen den Sinn von ceteris-paribus Annahmen.
Sie können die Wirkung von Steuern auf das Marktergebnis erläutern.
Sie verstehen, daß die Frage, wer eine Steuer abführt (Zahllast), in der Regel nichts darüber
besagt, wer davon letztlich getroffen wird (Traglast).
Sie können das Konzept des Steuerkeils einsetzen.
Sie verstehen, warum Märkte problematisch sind, wenn nicht alle Kosten beim Verursacher
anfallen.
Sie verstehen, warum bei externen Effekten staatliche Eingriffe sinnvoll sein können.
Sie kennen die wesentlichen Eingriffsmöglichkeiten: Auflagen, (Pigou-)Steuer und
Zertifikate.
Sie verstehen, wie bubbles entstehen können und warum Informations-Asymmetrien Marktversagen erzeugen können.
Das Kapitel zum Marktgleichgewicht hat geholfen zu verstehen, wie Märkte funktionieren und
was sie tun. Mehr aber auch noch nicht, denn normalerweise sind die die Angebots- und Nachfrage
Gleichungen ja nicht bekannt und daher läßt sich zwar sagen,daß (unter bestimmten Annahmen) im
Gleichgewicht p* und x* erreicht werden – es ist aber nicht bekannt, wie hoch die genauen Werte
sind. Das ist in etwa so hilfreich, wie zu glauben, daß der Weihnachtsmann existiert: Wie soll ich
ihm meinen Wunschzettel zuschicken, wenn ich nicht weiß, wo er wohnt?
Lassen sich dem Modell etwas konkretere Aussagen entlocken? Die Antwort ist: Ja, es geht. Die
Methode hierfür ist:
Der Vergleich
die komparative
unterschiedlicher
Gleichgewichte
oder
Statik.
3.1 Komparative Statik: die Methode
In Kapitel 2.2 hatte ich herausgearbeitet, daß die Angebots- und die Nachfragekurven angeben,
wie sich Angebot und Nachfrage bei Änderungen des Preises verändern, gegeben alle anderen
Einflußfaktoren. Der Einfluß des Preises bestimmt also die Steigung der Kurve. Die anderen
Einflußfaktoren bestimmen ihre Lage. Ändert sich also etwas an den anderen Einflußfaktoren, wird
sich entweder eine oder werden beide Kurven sich verschieben.
S. 40
3 Der Vergleich von Gleichgewichten
Karl Betz
Was hier also betrachtet wird, ist der Einfluß einer exogenen (außerhalb des Marktmodells)
entstandenen (und daher im Modell nicht erklärten) Veränderung. Eine solche exogene Veränderung
nennt man auch Schock: Angebotsschock, wenn die Angebotskurve. Nachfrageschock, wenn die
Nachfragekurve betroffen ist. Ob etwas exogen ist oder nicht, hängt vom Umfang des Modells ab.
Betrachte ich nur einen einzigen Markt, ist alles exogen außer Gleichgewichtspreis- und -menge,
denn letztere werden innerhalb des Modells bestimmt, sind also endogen. Habe ich ein Modell der
Weltwirtschaft, ist der Dollarkurs endogen. Habe ich nur eines der Bundesrepublik ist er exogen.
Die komparative Statik sagt zwar in der Regel nicht, um wie viel genau sich das Marktergebnis
bei solchen exogenen Schocks verändert,1 aber man kann immerhin meist die Richtung bestimmen.
Der erste Schritt ist dabei die Identifizierung der Änderung. Werden mehrere gleichzeitige
Änderungen diskutiert, so sollte man jede der Reihe nach einzeln diskutieren (also unter der ceteris
paribus Bedingung) und die Effekte erst dann addieren.
Sodann ist zu klären, auf welche Kurve der Einfluß wirkt: Auf die Angebotskurve? Auf die
Nachfragekurve? Oder auf beide? Und dann müssen Sie fragen, in welche Richtung die Kurve(n)
sich wohl verschieben wird.
Klausurtechnisch: Beides ist im Zweifelsfall gar nicht immer so eindeutig. Nehmen Sie an, eine
Klausurfrage lautet: Es wird eine Steuer auf Zigaretten erhoben: Wie wirkt das auf das
Marktgleichgewicht am Markt für Tabak? Dann müßten Sie erst evtl. mal eine Annahme treffen,
wer die Steuer eigentlich abführt: die Verbraucher oder die Hersteller? 2 Wie wirkt sich das auf die
Menge an Zigaretten aus und wie wirkt das auf die Tabaknachfrage? Schon hier ist ihre
Einschätzung gefordert: Wenn Sie der Auffassung sind, daß Raucher so süchtig sind, daß sie die
Preiserhöhung weg stecken, ohne ihren Konsum einzuschränken, so wird sich an der Menge an
Zigaretten nichts ändern. Allerdings ist fraglich, ob die Nachfrage auch auf längere Sicht
unelastisch ist: Potentielle Neueinsteiger sind ja noch nicht süchtig und könnten sich z.B. für Gras
statt Tabak entscheiden.
Angenommen, Sie sind zum Ergebnis gekommen, die Gleichgewichtsmenge an Zigaretten ist
gesunken. Aber auch über die Wirkung auf den Tabakmarkt kann man wieder unterschiedliche
Annahmen treffen. Man kann einmal sagen: Die Tabaknachfrage sinkt. Klar, für weniger Zigaretten
brauch ich auch weniger Tabak. Man kann aber auch der Meinung sein, daß die Konsumenten dann
auf selbst gedrehte oder gesteckte Zigaretten ausweichen, daß der Schmuggel anzieht etc. 3 und
deswegen soviel Tabak wie zuvor - nur halt für andere Produkte - benötigt wird.
Keine dieser Antworten wäre falsch - es kommt mir nicht auf das Ergebnis an, sondern darauf,
daß Sie sehen, wozu Sie Annahmen treffen müssen und daß Sie diese Annahmen richtig im
Diagramm umsetzen. Wenn Sie dabei auf Ideen kommen, die ich nicht antizipiert habe, ist das
völlig in Ordnung.
1 Allerdings kann man, wenn man sich frühere Erfahrungswerte ansieht, die Stärke (gemessen als Elastizität) eines
Einflusses abschätzen und damit auch auf quantitative Prognosen kommen. Die sind aber immer noch nur ein grober
Hinweis, denn erstens sind die Elastizitäten ja an unterschiedlichen Stellen einer Funktion andere und heute wird bei
einem anderen Preis - an einer anderen Stelle der Kurve – gemessen als bei den vergangenen Beobachtungen und
zweitens können die Zusammenhänge - z.B. die Neigungen der Konsumenten oder die Ausweichmöglichkeiten sich inzwischen geändert haben.
2 Wenn Sie das Konzept des Steuerkeils benutzen (vgl. Abb. 3.6), können Sie auf diese Annahme verzichten.
3 "Im vergangenen Jahr fiel etwa in Deutschland der Steuervorteil für selbst gesteckte Zigaretten. Die Konzerne
versuchen nun, bei den preisbewussten Deutschen mit neuen Produkten zu punkten. So verkaufen sie seit Kurzem
abgepackte Tabakstränge, die sich die Raucher selbst nach Wunsch zurechtschneiden können. Gleichzeitig tüfteln
sie an rauchfreien Zigaretten oder Tabakbeutelchen, die man sich zwischen die Backen klemmen kann."
(www.stern.de/wirtschaft/news/maerkte/tabakindustrie-wir-ziehen-weiter-583400.html)
Einführung in die VWL
3 Der Vergleich von Gleichgewichten
S. 41
Komparative Statik: Das Kochrezept
1) Bestimme das Ausgangsgleichgewicht.
2) Diskutiere die Änderung: Ist eine der beiden Kurven betroffen, oder sind es beide?
3) In welche Richtung(en) wird die Kurve (werden die Kurven) verschoben?
4) Verschiebe die Kurve.
5) Lies das neue Gleichgewicht ab und vergleiche es mit dem alten:
dp* = p*neu - p*alt
dx* = x*neu - x*alt
Eine wichtige Einschränkung noch: Hier werden das Anfangsgleichgewicht (A) und das
Endgleichgewicht (B) verglichen. Die Frage, wie man von A nach B kommt - und ob der Markt
möglicherweise unterwegs vom Weg abkommen könnte - ist eine Frage der Dynamik die im
Rahmen einer Einführung nicht behandelt werden kann: Erstens, weil sie reichlich kompliziert ist
und zweitens, weil sie wieder mal nicht ganz eindeutig ist: Das Endgleichgewicht kann nämlich
durchaus davon abhängen, welchen von unterschiedlichen möglichen Anpassungspfaden man
eingeschlagen hat.
3.1.1 Verschiebung der Nachfragekurve
Betrachten Sie den Markt für Laptops nach Einführung der Netbooks.
Zunächst: Bestimme (in Abb. 3.1) das Ausgangsgleichgewicht (p0*, x0*) am Markt für Laptops
ehe die Netbooks erfunden wurden.
Abb. 3.1: Komparative Statik: Verschiebung der Nachfragekurve
S. 42
3 Der Vergleich von Gleichgewichten
Karl Betz
Zweitens: diskutiere den isolierten Effekt der Netbooks. Achtung: Es geht um den Effekt der
Netbooks alleine, es sind also alle anderen Einflüsse konstant zu halten (formal: Es ist unter der
ceteris-paribus-Bedingung zu argumentieren) – also ist z.B. ausschließen z.B. daß die Computernachfrage insgesamt gestiegen ist, daß es einen Trend weg vom Desktop gibt, wenn in Firmen z.B.
Büroorganisationen gewählt werden, bei denen die Mitarbeiter keinen festen Arbeitsplatz mehr
haben, sondern sich mit ihrem Laptop dort hinsetzen, wo gerade Platz ist u.s.w. u.s.f.. All diese
Einflüsse könnte man sich der Reihe nach ansehen, aber jetzt soll es erstmal um den isolierten
Einfluß der Netbooks gehen. Die Frage lautet also: Was wäre passiert, wenn sich sonst nichts
geändert hätte und nur die Netbooks neu auf den Markt gekommen wären? Welche Kurve ist
betroffen? Sicherlich die Nachfragekurve.
Drittens und viertens: In welche Richtung verschiebt sich die Kurve? Weil etliche Verbraucher
das billigere Netbook einem Laptop vorgezogen haben, wird die Nachfrage zurück gegangen sein.
Was heißt die Nachfrage ist zurück gegangen? Nun, alternativ:
Entweder: Bei einem bestimmten Preis wird weniger gekauft als zuvor (schraffierter Pfeil)
Oder: Für die gleiche Menge wird weniger geboten als zuvor (grauer Pfeil)
Welche der beiden Varianten die geschicktere ist, hängt mitunter ein wenig von der Fragestellung
ab. Nehmen Sie z.B. an, es wird gefragt: Was passiert, wenn die Bevölkerung sich verdoppelt?
Dann ist es plausibel anzunehmen, daß die Nachfrage sich verdoppelt und nicht nur die Richtung,
sondern auch das Ausmaß der Verschiebung ist dann bekannt.
Übrigens ist es gut möglich, daß die Kurve sich im vorliegenden Fall gedreht hat: Daß Netbooks
billiger geworden sind, ist ja vor allem ein Argument für Menschen, die nicht so viel Knete haben
und von daher von vorne herein weniger für Laptops zahlen konnten. Die Kurve würde sich nach
dieser Überlegung bei niedrigeren ps weiter von der ursprünglichen x 0NE entfernt haben als bei
höheren.4
Fünftens: Vergleiche Anfangs- und Endgleichgewicht: Die abgesetzte Menge an Laptops wird
fallen (von x0* auf x1*) und der Preis wird ebenfalls fallen (von p0* auf p1*).
Übrigens könnten einige von Ihnen auf die Idee kommen zu sagen: In die Produktion von
Netbooks gehen zum Teil die gleichen Komponenten ein, wie in die von Laptops. Daher steigt der
Preis von Laptopkomponenten, die Herstellung verteuert sich und die Angebotskurve verschiebt
sich ebenfalls (nach oben). Die Überlegung wäre mit der Frage nicht intendiert gewesen. Aber sie
wäre natürlich nicht falsch und eine völlig zulässige Antwort. Die Frage, was geschieht, wenn beide
Kurven sich verschieben, vertage ich hier aber auf den Abschnitt 3.1.3.
Denken in Modellen: Mitunter liest man in Klausuren: Weil die Nachfrage sinkt, sinkt der
Preis. Das aber regt die Nachfrage wieder an und deswegen ändert sich nichts an der Menge.
Was verbal so plausibel klingt, enttarnt sich als Denkfehler, wenn man sauber im Modell denkt:
Der Preis ist ja nur gesunken, weil die abgesetzte Menge gesunken ist. Der niedrigere Preis
dämpft (bei einer endlich elastischen Angebotskurve) einen Teil des Mengeneffekts der
gesunkenen Nachfrage. Er kann diesen Effekt (außer bei einer vollständig unelastischen
Angebotsfunktion) aber nicht völlig kompensieren - sonst wären Sie ja wieder bei der alten
Menge und für die, sagt die Angebotskurve, müßte auch der alte Preis bezahlt werden. Und das
gibt die nun niedrigere Nachfrage nicht her.
4 Ich wollte zuerst schreiben: Teurere Laptops sind High End Geräte, deren Funktionen von Netbooks nicht
übernommen werden können (Counterstrike und so). Da hätte ich aber Blödsinn geredet: High End Laptops haben
andere Eigenschaften als einfache. Ich hätte also von unterschiedlichen, inhomogenen Gütern geredet, und die
wären durch unterschiedliche Märkte abzubilden gewesen.
Einführung in die VWL
3 Der Vergleich von Gleichgewichten
S. 43
Bleiben Sie also, wenn Sie argumentieren, im Modell und lassen Sie sich nicht von verbalen
Kurzschlüssen hereinlegen. Denn genau das ist die Funktion von mathematischen oder
graphischen Modellen: zu überprüfen, ob, gegeben meine Annahmen, denn auch wirklich das
Ergebnis herauskommt, das ich glaube, daß herauskommen sollte.
Natürlich: Falls dann etwas anderes herauskommt, dann kann das (wenn Sie richtig gerechnet
haben) an zwei Faktoren liegen: Sie können sich im Ergebnis geirrt haben, oder Ihre Ausgangsannahmen können falsch gewesen sein.
3.1.2 Verschiebung der Angebotskurve
Angenommen, es verändere sich etwas, das das Angebot betrifft. Den Verlauf der Angebotskurve
diskutiert erst das folgende Kapitel. Ich bleibe daher vorerst bei der informellen Annahme, die
Angebotskurve reflektiere irgendwie die Kosten der Produktion eines Gutes. Beim Beispiel Laptops
könnte das z.B. eine neue Technik sein, die es erlaubt, Prozessoren mit einer niedrigeren Ausschußrate herzustellen, so daß die Kosten der Prozessoren und daher die Kosten der Produktion von
Laptops sinken.
Abb. 3.2: Verschiebung der Angebotskurve
Also:
• Betroffen sind die Kosten der Herstellung (des Angebots). Folglich verschiebt sich die
Angebotskurve.
•
Die Kosten sind gesunken - folglich verschiebt sich die Angebotskurve nach unten (ich kann
die gleiche Menge bei einem niedrigeren Preis anbieten; grauer Pfeil) oder nach außen (bei
dem gleichen Preis will ich jetzt mehr herstellen, schraffierter Pfeil).
•
Auf die Nachfrage wirkt der Effekt nicht, die Nachfragekurve bleibt also liegen, wo sie
liegt.
S. 44
•
3 Der Vergleich von Gleichgewichten
Karl Betz
Im Vergleich von Anfangs- und Endgleichgewicht wird der Preis von Laptops fallen (von
p0* auf p1*) und die abgesetzte Menge wird steigen (von x0* auf x1*).
Fallstudie: Waldbrände in Rußland
Am Weizenmarkt greift die Angst um sich
Wegen Dürre und Waldbränden stoppt Russland die Getreideausfuhr. Damit steigt die
Angst vor einer Weizenknappheit weiter. Die Preise schießen in die Höhe. Welchen Anteil
Spekulanten daran haben und wie knapp das Getreide wirklich ist.
HB FRANKFURT. Der Markt für Weizen gerät außer Kontrolle. Dürre und die verheerendsten Waldbrände seit 40 Jahren drohen einen großen Teil der russischen Ernte zu vernichten.
Auf die Katastrophe hat die Regierung in Moskau nun mit einem Verbot von Getreideausfuhren reagiert. Ministerpräsident Wladimir Putin kündigte gestern den vorübergehenden
Exportstopp an.
An den Rohstoffmärkten fachte das die ohnehin grassierende Angst vor einer Weizenknappheit weiter an. Der Preis für das Getreide stieg rasant. Der europäische November-Kontrakt legte
um bis zu neun Prozent auf 227,50 Euro je Tonne zu. Seit Anfang Juli hat sich die Tonne Weizen
damit um 50 Prozent verteuert.
Preisaufschläge sind "zu 70 Prozent Spekulation"
Experten führen die Explosion des Weizenpreises aber nicht allein auf die drohende
Verknappung des Angebots zurück. Die Aufschläge seien "zu 70 Prozent der Spekulation großer
Fonds geschuldet", sagte Klaus Josef Lutz, Chef des größten europäischen Agrar- und
Baustoffhändlers Baywa. "Keiner weiß genau, wie sich die Getreidepreise entwickeln."
Einen Versorgungsengpass sieht Lutz aber derzeit nicht. In den vergangenen Wochen hatten
heftige Preisausschläge auch bei anderen Nahrungsmittelrohstoffen wie Kakao für erhitzte
Diskussionen darüber gesorgt, inwieweit Hedge-Fonds und Banken mit ihren Investitionen die
Märkte destabilisieren.
(Quelle: Handelsblatt 6.8. 2010. Kompletter Artikel: link)
3.1.3 Simultane Verschiebung beider Kurven
Es sind aber auch Schocks denkbar, die beide Kurven betreffen. Denken Sie z.B. an
Zuwanderung: Durch Zuwanderung steigt gleichzeitig die Nachfrage nach Lebensmitteln (denn
auch Zuwanderer müssen essen) und das Angebot (denn auch Zuwanderer können produzieren).
In der Grafik ist, der besseren Übersichtlichkeit halber, das Ausgangsgleichgewicht in grau
dargestellt. Zuerst sei der Effekt auf die Nachfrage betrachtet: Die Nachfrage steigt (die
Nachfragekurve verschiebt sich nach oben / außen, oder Nordosten). Eine höhere Nachfrage,
isoliert betrachtet, bedeutet höhere Preise und eine höhere Menge (graue Pfeile). Das läßt sich
ablesen, indem man Punkt A, den Schnittpunkt der neuen (schwarzen) Nachfragekurve mit der alten
(grauen) Angebotskurve betrachtet. Gleichzeitig aber steigt das Angebot (die Angebotskurve
Einführung in die VWL
3 Der Vergleich von Gleichgewichten
S. 45
verschiebt sich nach unten / außen, nach Südosten.): Ein höheres Angebot isoliert betrachtet
bedeutet eine höhere Menge, aber niedrigere Preise (schraffierte Pfeile). Dies sieht man am
Vergleich von Punkt A und Punkt B, dem neuen Gleichgewicht, also dem Schnittpunkt von neuer
Nachfrage- und neuer Angebotskurve.
Abb.3.3 Verschiebung beider Kurven
Damit ist zwar jeder Effekt für sich betrachtet eindeutig. Der Gesamteffekt, die Summe der
beiden Einflüsse, ist aber nicht mehr so klar: Für die Mengenänderung ist der Effekt immer noch
eindeutig: Beide Wirkungen lassen die Menge steigen. Aber ob der Preis steigt, sinkt, oder gleich
bleibt, hängt davon ab, wie stark die einzelnen Verschiebungen sind (und wie elastisch die
ursprünglichen Kurven sind). Ohne nähere Informationen hierzu (z.B. in Form von Elastizitäten)
läßt sich über die Entwicklung des Preises nichts aussagen.
3.2 Komparative Statik: Steuern
Nehmen Sie an, der Staat erhebe eine Steuer auf Wasser. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten:
Entweder wird die Steuer von Anbieter entrichtet oder vom Nachfrager. Was aber wichtiger ist als
die Frage, wer die Steuer abführt (Zahllast), ist die Frage, wer sie letzten Endes trägt (Traglast).
Nehmen Sie an, die Steuer wird vom Anbieter abgeführt, dieser kann sie aber erfolgreich auf
seinen Preis aufschlagen (überwälzen). Dann würde die Steuer zwar vom Produzenten gezahlt.
Getragen würde sie aber von Nachfrager, der jetzt mehr für das Produkt zahlen müßte. Die Frage
der Steuerinzidenz (also die Frage, wer die Steuerlast letztlich trägt) ist also offensichtlich noch
nicht entschieden, wenn festgelegt ist, wer die Steuer ans Finanzamt abzuführen hat.
Um diese Frage nach der Steuerinzidenz zu beantworten, läßt sich wieder das Instrument der
komparativen Statik einsetzen.
Zunächst sei angenommen, die Steuer sei vom Nachfrager zu tragen und es handele sich um eine
S. 46
3 Der Vergleich von Gleichgewichten
Karl Betz
Mengensteuer. Neben dem Wasserautomaten steht also ein Finanzbeamter und an den müssen Sie,
für jede Flasche, die Sie gezogen haben, 20 Cent zu zahlen. Die Nachfragekurve besagt: Für die xte
Flasche Wasser werden maximal p Cent gezahlt werden. An wen sie dieses Geld zahlen, ist den
Nachfragern schnurz piep egal. Die xte Flasche ist ihnen nicht mehr wert, wenn sie das Geld an den
Staat abführen müssen, als wenn sie es an Evonik blechen. Sind pro Flasche 20 Cent Steuern zu
zahlen und ist den Nachfragern die 10te Flasche einen Euro wert, dann werden diese nach
Einführung der Steuer eben nur noch bereit sein, 80 Cent in den Automaten zu stecken (an den
Verkäufer zu entrichten). Andernfalls ziehen sie eben nur noch acht oder neun Flaschen. Die
Einführung einer Steuer verschiebt also die Nachfragekurve nach unten, wobei gilt;
Neue Zahlungsbereitschaft = Alte Zahlungsbereitschaft – Steuerbetrag [pro Stück].
Ob sich die Kurve parallel (um den Steuerbetrag) verschiebt, oder ob sie sich dreht, hängt davon
ab, ob es sich um eine Mengensteuer oder um eine Wertsteuer handelt. Eine Mengensteuer (20 Cent
pro Flasche) erzeugt eine Parallelverschiebung: Ich muß ja für jede Flasche 20 Cent abdrücken,
egal, wie teuer sie ist und diese 20 Cent gehen von meiner Zahlungsbereitschaft gegenüber Evonik
ab. Bei einer Wertsteuer (sage 19% des Verkaufspreises) dreht sich die Kurve: Der Steuerbetrag ist
ja geringer, wenn der Preis niedriger ist. Insbesondere ist die Steuer bei einem Preis von Null
ebenfalls Null, der alte Schnittpunkt mit der x-Achse bleibt also von der Steuer unberührt. In
diesem Falle wäre die neue Nachfragekurve zu konstruieren über:
Neue Zahlungsbereitschaft = Alte Zahlungsbereitschaft · (1 – Steuersatz [%])
Weil man den Effekt, der hier vorgeführt werden soll, bei einer Mengensteuer leichter zeichnen
kann als bei einer Wertsteuer, soll im folgenden weiter eine Mengensteuer, also 20 Cent/Flasche,
unterstellt werden.
Abb.3.4 -Mengensteuer, die der Käufer zahlt
Gut. Zunächst wird also angenommen, der Nachfrager müsse die Steuer zahlen (wie dies z.B. bei
der Kfz-Steuer der Fall ist.) Es sind jetzt zwei Preise zu unterscheiden: Das, was die Sache den
Nachfrager insgesamt kostet (also Steuer plus dem, was er dem Anbieter zahlt) und das, was der
Einführung in die VWL
3 Der Vergleich von Gleichgewichten
S. 47
Anbieter bekommt. Ich nenne die Knete, die die Nachfragerin insgesamt abdrücken muß, mal p K (K
für Käufer) und das was davon beim Verkäufer ankommt pV. Dann beschreibt Abb. 3.4 die
Konsequenzen der Steuer.
Durch die Steuer verschiebt sich die Nachfragekurve – und zwar um genau den Betrag der
Mengensteuer, also 20 c, nach unten. Entsprechend geht die Menge zurück (von x 0 auf x1) und
dieser Mengenrückgang bewirkt, daß man sich auf der Angebotskurve nach unten bewegt: Wenn
das Angebot nicht unendlich elastisch ist, wird eine geringere Menge ja auch zu niedrigeren Preisen
angeboten.
Im Ergebnis steigt pK durch die Steuer – aber eben nicht um den vollen Steuerbetrag, sondern um
- im Beispiel – rund 11 c. Die restlichen 9 c werden zwar auch von Käufer abgeführt – getragen
aber werden Sie vom Verkäufer, der jetzt, auf Grund der geringeren Nachfrage, nur noch den
niedrigeren Preis pV für seine Produkte erlöst.
Was ändert sich nun am Ergebnis, wenn nicht der Nachfrager sondern der Anbieter die Steuer
zahlen muß? Nun, zunächst ändert sich etwas an der Herleitung: Jetzt muß die Angebotsfunktion
verschoben werden: Die Angebotskurve, so wurde oben gesagt, reflektiert die Kosten des Angebots,
und diese sind gestiegen, da der Anbieter jetzt pro verkaufter Einheit zusätzlich die 20 c Steuer
abdrücken muß. Die Angebotskurve verschiebt sich also (um exakt 20 c) nach oben.
Dies ist im linken Diagramm von Abbildung 3.5 dargestellt. pK steigt, pV, das, was dem Anbieter
nach der Steuer bleibt, sinkt. Also im Prinzip das gleiche Ergebnis, das man auch bekommt, wenn
man die Steuer vom Käufer zahlen läßt (nur daß die Steuererhebung so billiger wird – stellen Sie
sich mal vor, neben jeden Zigarettenautomaten müßte noch ein Finanzbeamter stehen).
Aber die Antwort läßt sich noch genauer geben und deswegen ist rechts daneben die Grafik 3.4
nochmal wiedergegeben: Die Menge sinkt in beiden Fällen um genau den gleichen Betrag – und
daher sind auch die neuen pK und pV in beiden Fällen die gleichen: Es ist völlig egal, wer die Steuer
zahlt – wer die Steuer letztlich trägt, hängt einzig und allein davon ab, wie elastisch Angebots- und
Nachfragekurve sind (vgl. hierzu die Übungsfrage 6).
Abb. 3.5 Steuerinzidenz bei unterschiedlicher Steuererhebung
Man kann es sich deswegen auch einfach machen und, anstatt lange Kurven zu verschieben,
einfach den Steuerbetrag wie einen Keil zwischen Angebots- und Nachfragekurve einpassen und
das Ergebnis einfach ablesen (Abb. 3.6).
S. 48
3 Der Vergleich von Gleichgewichten
Karl Betz
Heißt das, daß man mit einer Steuer grundsätzlich immer beide Parteien trifft? Nun, nicht
unbedingt.
Steuern können in zwei Fällen nicht überwälzt werden:
a) Wenn sie nicht mengenabhängig sind. Eine Überwälzung der Steuerlast gelingt im Beispiel ja
deswegen, weil die nachgefragte bzw. die angebotene Menge als Reaktion auf die Einführung der
Steuer verändert werden kann. Bei einer Kopfsteuer (oder der Kopfpauschale bei der Krankenversicherung) ist eine solche Reaktion nicht möglich – Sie werden sich ja nicht enthaupten lassen ,
um der Steuer zu entgehen.
b) Wenn es einen Weg gibt, nur diejenigen Nachfrager zu besteuern, deren Zahlungsbereitschaft
über dem bisherigen Gleichgewichtspreis liegt – oder nur die Anbieter, die auch zu einem
niedrigeren als dem alten Gleichgewichtspreis anbieten würden. Gelingt einem dies, dann geht die
Nachfrage (das Angebot) zwar zurück, aber nur bei Preisen, die über dem aktuellen
Gleichgewichtspreis liegen. Die Nachfragekurve (bzw. die Angebotskurve) dreht sich dann im
Gleichgewichtspunkt, das Gleichgewicht selbst aber bleibt unberührt.
Abb. 3.6: Steuerkeil
Ein Beispiel hierfür ist die Minenabgabe, die derzeit (Stand: August 2010) in Australien
eingeführt werden soll.5 (Oder sind Förderabgaben bei Erdölfeldern.) Nicht alle Erzadern liegen
gleich tief und / oder bei nicht allen ist der Erzgehalt gleich hoch. Entsprechend sind, weil sie
unterschiedliche Förderkosten haben, Minen auch unterschiedlich profitabel. Wenn auf Grund hoher
Nachfrage (z.B. aus China) auch Minen betrieben werden müssen, bei denen der Abbau teurer ist,
dann muß der Preis so weit anziehen, daß es lohnt, auch weniger ergiebige Vorkommen abzubauen.
Damit steigt der Preis auf ein Niveau, das weit über dem liegt, zu dem die ertragreichen Minen
anbieten könnten und diese erzielen hohe Extragewinne. In der Ökonomie wird ein solcher Gewinn,
der nicht wegkonkurriert werden kann, auf Rente genannt (hier: Bergwerksrente).
5 Auf Grund erfolgreicher Lobbyarbeit der Bergwerksunternehmen wurde der Vorschlag allerdings bereits stark
verwässert.
Einführung in die VWL
3 Der Vergleich von Gleichgewichten
S. 49
Die Idee der australischen Regierung war es nun, die Gewinne der Bergwerke zu besteuern,
wenn deren Profit höher war, als er es bei einer normalen Kapitalverzinsung gewesen wäre. Sprich
(in der ursprünglichen Fassung): Profite bis 8% des Eigenkapitals bleiben unversteuert und auf die
darüber hinausgehenden ist ein hoher Steuersatz abzuführen. Angenommen, die 8% reflektieren die
tatsächlichen Kosten der Kapitalbeschaffung (der Satz kommt mir etwas zu niedrig vor, aber es geht
ja nur ums Prinzip) dann wird die Mine, die zu hohen Kosten produziert (die Grenzmine so zu
sagen), von der Steuer nicht getroffen und Steuern zahlen müssen nur die Minen, deren Angebot
weiter unten auf der Angebotskurve angesiedelt ist. Das Marktergebnis würde nicht beeinflußt, es
würden lediglich Extragewinne (windfall profits) von den Minenbesitzern zu den Steuerzahlern hin
umverteilt.
Ein Beispiel dafür, wie man versuchen könnte, nur die oberen Abschnitte der Nachfragefunktion
mit einer Steuer zu belasten, finden Sie unter den Fragen im Anschluß an dieses Kapitel.
3.3 Komparative Statik: Marktversagen bei externen Effekten
Die Nachfragekurve reflektiert die Grenzzahlungsbereitschaften der Verbraucher. In Ihre
Zahlungsbereitschaften gehen aber nur die Vorteile ein, die der Konsum einer Ware für Sie hat.
Beim Konsum können aber auch Wirkungen auf andere Menschen entstehen, die Sie in Ihre
Rechnung nicht mit einbeziehen. Derlei Externalitäten können positiv oder negativ sein.
Ein Beispiel für eine negative Konsum-Externalität ist das Passivrauchen: In Ihre
Nachfragefunktion nach Zigaretten geht nicht die Rauchbelästigung für andere Personen ein.
Eine positive Externalität ist z.B. der Besuch eines Schachkurses. Der Vorteil für Sie: Sie können
anschließend besser spielen. Aber auch alle anderen Spieler haben einen Vorteil: Diese haben jetzt
einen weiteren (oder: besseren) möglichen Spielpartner. Ihre Zahlungsbereitschaft für den Kurs
reflektiert aber nur den Nutzen, den Sie sich von dem Kurs erwarten, nicht auch den Vorteil aller
übrigen Spieler.
Abb. 3.7: Negative Produktionsexternalität
S. 50
3 Der Vergleich von Gleichgewichten
Karl Betz
Die Angebotskurve wiederum reflektiert die Kosten, die die Produktion einer Ware bei der
Herstellerin verursacht. Aber die Tatsache, daß sie diesen Produktionsprozeß durchführt, kann
darüber hinaus bei unbeteiligten Dritten Vorteile (positive Produktions-Externalität) oder Nachteile
(negativer externer Effekt) bewirken:
Positive Produktions-Externalität: Bienenvölker produzieren Honig. Und nur dieser ist für den
Imker wichtig, wenn er überlegt, wie viele Bienenstämme er hält. Aber sie bestäuben auch Pflanzen.
Für den Obstbauern steigt daher der Ertrag, wenn in der Nähe seiner Wiese Bienen gehalten
werden.
Negative Produktions-Externalität: Von globaler Erwärmung haben Sie ja schon gehört. Daß ein
Kohlekraftwerk negative Externalitäten hervorruft, brauche ich daher wohl nicht lange zu erläutern.
Abb. 3.7 illustriert dies am Beispiel einer negativen Produktions-Externalität. Bei der
Herstellung von Benzin6 fallen Abgase an und auch bei der Förderung des Rohstoffs Öl soll es
schon zu dem ein oder anderen negativen Externen Effekt gekommen sein.
Diese Kosten werden vom Anbieter nicht getragen (sondern von den Anwohnern). Entsprechend
sind die gesellschaftlichen Kosten höher als die privaten und die gesellschaftliche Angebotskurve,
xgesAT, die beide Kostengruppen berücksichtigt, würde höher verlaufen als die nur private x privAT.
Entsprechend müßte, würden auch die Externalitäten berücksichtigt, die Gleichgewichtsmenge (x G)
niedriger sein und der Gleichgewichtspreis (pG) wäre höher.
Entscheidend bei externen Effekten ist dabei nicht, daß sie bei Anderen anfallen. Entscheidend
ist vielmehr, daß die Wirkung bei Anderen nicht in das Kalkül der Verursacher eingeht, weil / wenn
die Verursacher die Betroffenen nicht dafür entschädigen müssen (negative externe Effekte) bzw.
von diesen nicht dafür entlohnt werden (positive externe Effekte). Soweit eine solche Entlohnung
am Markt ausgehandelt werden kann, berücksichtigen sie den Effekt in ihrer Entscheidung und er
wäre internalisiert.
Ein Beispiel für eine solche Internalisierung liefert Kalifornien: Die dortigen Verbände der
Obstplantagenbesitzer zahlen Imkern eine Prämie, wenn diese während der Obstblüte mit ihren
Bienenstämmen nach Kalifornien kommen.
Im allgemeinen sind bei Externalitäten aber entweder zu viele Parteien involviert oder der
Zusammenhang ist zu komplex, als daß eine solche spontane Internalisierung über den Markt zu
Stande kommen könnte. Spätestens dann ist ein Staatseingriff sinnvoll. Dabei kommen zwei Typen
von Maßnahmen in Betracht.
a) Steuern / Subventionen: Es wurde gezeigt, daß eine Steuer die Nachfragekurve nach unten
bzw. die Angebotskurve nach oben verschiebt. Bei negativen Externalitäten könnte man also eine
Steuer einsetzen, um die private Angebots- bzw. Nachfragekurve in Richtung auf die gesellschaftliche zu verschieben. Bei positiven Effekten wäre eine Verschiebung in die andere Richtung
erforderlich. Nun ja, wenn eine Steuer eine Kurve nach oben verschiebt, dann wird eine Subvention
(also: eine negative Steuer) sie wohl ... genau: nach unten verschieben.
b) Vorgabe einer Menge. Wenn ich weiß, daß der Markt, unter Berücksichtigung der negativen
Externalitäten, zu viel von einer Sache bereit stellt, dann kann ich einfach die Menge beschränken:
Emissionszertifikate oder Lizenzen tuen genau dies: In dem der CO2 Ausstoß begrenzt wird – und in
dem diese Emissionsrechte handelbar gemacht werden – erhalten Emissionen einen Preis, der so
lange steigt, bis die Produktion so teuer geworden ist, daß nur noch die gesellschaftlich gewünschte
Menge des Gutes hergestellt wird.
6 Frage: Beim Verbrauch, sprich: beim Verbrennen, von Benzin entstehen natürlich auch negative externe Effekte.
Wie würden Sie dies analysieren?
Einführung in die VWL
3 Der Vergleich von Gleichgewichten
3.4
gehandelt:
Mit Zitronen
Asymmetrien
Marktversagen
S. 51
bei
Informations-
Bisher wurde unausgesprochen unterstellt, daß Anbieter und Nachfrager vollständig informiert
sind. Wenn Sie überlegen, was Sie für eine Flasche Wasser wohl maximal bezahlen würden, müssen
Sie eine Idee davon haben, wie sie wohl schmeckt: Ob sie gekühlt oder warm ist, mit oder ohne
Kohlensäure und auch da gibt es dann immer noch deutliche Unterschiede.
John Akerlof ist in einem Aufsatz7 der Frage nachgegangen, was es für Konsequenzen haben
kann, wenn das nicht der Fall ist und hat hier den Gebrauchtwagenmarkt als Beispiel genommen.
Nehmen Sie an, ein potentieller Käufer weiß zwar, daß es von einem bestimmten
Gebrauchtwagentyp 20 % Montagswagen (also Karren, die ständig kaputt gehen, in den USA
lemmons genannt) gibt. Er kann aber nicht sagen, ob ein konkreter Wagen, der ihm angeboten wird,
ein Montagswagen ist oder nicht. Er hat folgende Zahlungsbereitschaft:
Einwandfreier Wagen:
Zitrone:
1000 €
200 €
Der Einfachheit halber unterstelle ich mal, er sei nicht risikoavers. Dann ist der bereit, für einen
Wagen dessen Erwartungswert zu zahlen. Da der Wagen, dessen Kauf er gerade erwägt, mit
zwanzig prozentiger Wahrscheinlichkeit nur 200 € wert ist (Zitrone) und mit achtzigprozentiger
Wahrscheinlichkeit 1000 € wird er maximal 840 € bieten.
Zahlungsbereitschaft: Σ (Wahrscheinlichkeit · Wertschätzung) = 0,2 · 200 + 0,8 · 1000 = 840 €
Das Problem ist nun: Der potentielle Verkäufer kennt ja die Qualität seines Wagens. Der Besitzer
einer Zitrone wird 840 € für ein gutes Geschäft halten und verkaufen. Von den Besitzern der guten
Wagen werden aber etliche 840 € für ein zu niedriges Gebot halten und deswegen ihr Angebot vom
Markt nehmen. Damit sinkt aber die Wahrscheinlichkeit, einen guten Wagen zu erwischen. Weil der
Käufer weiß, daß der Anbieter so denkt, muß er auch diese Reaktion in sein Kalkül einbeziehen –
und damit geht sein Angebot weiter zurück und der Anteil der Zitronen steigt weiter.
Dieser Prozeß ist erst dann sicher beendet, wenn der gebotene Preis auf 200 € gefallen ist und
nur noch die Zitronen angeboten werden.
Informationsasymmetrien können also einen Markt (hier den für gute Gebrauchtwagen) zum
Erliegen bringen.
3.5 Bubbles und Deflationen
Bei der komparativ statischen Analyse wurde nicht gefragt, wie man vom Ausgangs- zum
Endgleichgewicht kommt. Ein Beispiel dafür, daß dieses Vorgehen eine ganze Menge an
stillschweigenden Prämissen erfordert, sind Bubbles.
Vermögensobjekte halten Sie ja in der Regel nicht wegen deren persönlichem Nutzen – Gemälde
alter Meister nicht, weil sie so viel hübscher sind als Kopien – sondern weil Sie auf steigende Preise
und damit auf Vermögensgewinne hoffen.
Nehmen Sie nun an, auf Grund irgendeines Effektes steigt die Nachfrage an einem Markt – z.B.
mögen als Reaktion auf eine Krise die Zinssätze durch die Notenbank gesenkt werden, die
Hypothekenzinsen mögen deswegen sinken, die Nachfrage nach Grundstücken deswegen anziehen
7 Akerlof, John. The Market for 'Lemons': Quality Uncertainty and the Market Mechanism. In: The Quarterly Journal
of Economics. Band 84, Nr. 3, August 1970, S. 488–500.
S. 52
3 Der Vergleich von Gleichgewichten
Karl Betz
und nun steigen die Grundstückspreise. Soweit so gut, das ist die bereits bekannte komparative
Statik.
Was aber, wenn die steigenden Preise nun Erwartungen weiter steigender Preise generieren?
Dann steigt die nun Nachfrage erneut, weil die erwarteten Preise gestiegen (und dadurch
Gewinnerwartungen entstanden) sind. Und das ganze Spiel geht von vorne los.
Steigende Preise können so zu einer Marktdynamik führen, durch die sich der Wert eines Anlageobjekts (eines Assets) immer weiter von seinem „fundamentalen Wert“ entfernt – bis bei irgendeinem Preisniveau die Nachfrage nicht mehr – oder langsamer – weiter steigt. Das ist der Punkt, an
dem die Blase zu platzen beginnt: Die langsameren oder ausbleibenden Wertsteigerungen lassen die
Gewinnerwartungen einbrechen, die Nachfrage bricht ein und der Preis sackt in sich zusammen.
Ein Beispiel unter vielen für solche Bubbles liefert die Preisgeschichte des Rhodiummarktes, die
in Abb. 8 wiedergegeben ist. Man sieht, daß es hier mehrfach zu solchen Preisexplosionen
gekommen ist (Anfang der 90er, Ende der 90er, Ende der 00er) und daß der Preis dann regelmäßig
wieder auf sein Ausgangsniveau zurück krachte.
Abb. 3.8: historische Rhodiumpreise
Quelle: Kitcom
Einführung in die VWL
3 Der Vergleich von Gleichgewichten
S. 53
Wenn man das weiß, warum kann es dann sein, daß bubbles überhaupt vorkommen? Wenn man
weiß, daß Blasen schließlich platzen werden, dann wäre es doch eine gute Idee, in einem bubble
leer zu verkaufen (sprich das Asset heute zu einem Liefertermin in der Zukunft zu verkaufen, ohne
daß man es bereits hat – und sich dann nach dem Platzen des bubble billig mit dem Zeug
einzudecken, um seine Verpflichtung zu erfüllen).
Nun, mit dieser Strategie läuft man in zwei Probleme:
Erstens: Oben wurde so schön gesagt: Der Kurs entfernt sich von seinem fundamentalen Wert.
Aber wenn Sie mitten in einem bubble stecken, werden Sie Schwierigkeiten haben zu entscheiden,
ob sich der Preis gerade von fundamentalen Wert entfernt – oder ob der fundamentale Wert sich
gerade ändert. Beispiel Grundstückspreis bubble: Ein vernünftiges Maß für den fundamentalen Wert
einer Immobilie sind die Mieteinnahmen, die man mit der Immobilie erzielen kann. Nur: Der
Gegenwartswert eines Zahlungsstroms (hier: der Mieten) sind die abgezinsten erwarteten Erträge.
Und da stellt sich die Frage: Abgezinst mit welchem Zinssatz?
Ab- und Aufdiskontieren
Nehmen Sie an, nach Abzug aller Reparaturkosten (und einer Entschädigung dafür, daß Sie
ein Haus schwieriger zu Geld machen können als eine Bankeinlage) erbringe eine Immobilie
jährliche Mieteinnahmen von 10.000 €.
Gleichzeitig erwarten Sie (sicher), daß Sie für eine Bankeinlage 4% Realzinsen pro Jahr
bekommen.
Kaufen Sie die Immobilie oder bringen Sie Ihr Geld zur Bank?
Die Antwort ist: Es kommt darauf an – darauf nämlich, welchen Realzinssatz die Bankeinlage
erbringt und welchen die Immobilie. Um die Rechnung so einfach wie möglich zu halten,
unterstelle ich mal, das Haus halte ewig. Bei ewiger Laufzeit vereinfacht sich die Formel zur
Berechnung eines Vermögenswertes zu: Vermögenswert (V) = jährliche Einzahlungen / Zinssatz.
Hier also auf Wert der Immobilie = (Mieteinnahmen/Jahr)/(Zinssatz/Jahr)
Die Mieteinnahmen seien als bekannt unterstellt, sie sind 10.000.
Bei einem Zinssatz von 10% wäre das Haus mithin 100.000 Wert (=10.000/0,1), bei einem
Zinssatz von 5% aber 200.000 €.
Wenn das Haus jetzt 200.000 kostet, dann werden Sie es bei einem Zinssatz von (etwas
weniger als 5%) einer Bankeinlage vorziehen, weil Sie so einen Höhere Rendite haben als bei
der Bank. Und bei einem Zinssatz von 10% werden sie die Bankeinlage vorziehen, weil die für
Sie Jahr für Jahr mehr abwirft als das Haus.
Ein Zahlungsstrom in der Zukunft ist in der Gegenwart also umso weniger wert, je höher der
Zinssatz ist, mit dem man ihn abdiskontiert. Dieser Sachverhalt spielt zum Beispiel in der
Diskussion um die Vermeidung von CO2 Emissionen eine große Rolle. Denn selbst wenn man
sich darüber einig wäre, welche Schäden die globale Erwärmung in der Zukunft anrichten wird,
lohnt es sich doch viel weniger, heute etwas dagegen zu tun, wenn man die erwarteten Schäden
mit einem höheren Zinssatz abdiskontiert.
Viele Analysten vertraten die These, daß die neuen Finanzinstrumente - wie credit default swaps
(also Kreditausfallversicherungen) oder das Bündeln von Hypotheken in asset backed securites (so
daß man seine Eier nicht alle in einen Korb legt, weil, wenn ein oder zwei Hypotheken ausfallen,
die übrigen immer noch Zinsen abwerfen) - das Risiko gemindert hätten und daher ein niedrigeres
S. 54
3 Der Vergleich von Gleichgewichten
Karl Betz
gleichgewichtiges Zinsniveau rechtfertigten. Auch das von den Makroökonomen verkündete Ende
der Wirtschaftskrisen auf Grund einer besseren Wirtschaftspolitik („great moderation“) unterstützte
diese Ansicht. Bei einem niedrigeren Zinsniveau und damit bei einem niedrigeren Diskontierungsfaktor rechtfertigen aber die gleichen erwarteten Mieteinnahmen höhere Immobilienpreise.
In jedem bubble werden sich daher Experten finden, die elaborierte Theorien produzieren, warum
die neuen höheren Preise vollständig gerechtfertigt sind. Noch 2005 etwa erklärte der IWF in einem
country report, das Niveau der Grundstückspreise in den USA sei ganz in Ordnung.
Das zweite Problem ist, daß Sie, selbst wenn Sie sich sicher sind, in einem bubble zu stecken,
sich nicht sicher sein können, wann er platzt.8 Nehmen Sie an, wir schreiben Anfang 2006. Sie sind
sich sicher, daß im Rhodium-Markt ein bubble vorliegt und verkaufen daher Rhodium leer auf
Termin Anfang 2007. Das machen Sie einmal, danach sind Sie gefeuert (oder pleite, wenn Sie auf
eigene Rechnung spekuliert haben.)
Oder nehmen Sie an, ein Vermögensobjekt habe derzeit einen Kurs von 100. Sie glauben, dieser
Preis sei überhöht und Sie seien in einem bubble. Sie können nicht wissen wann er platzt, wissen
aber, daß bubbles ganz schön lange laufen können: Sie erwarten daher, daß die Blase mit einer
Wahrscheinlichkeit von 5% im Folgemonat platzt und erwarten ferner, daß der Preis in diesem Fall
auf 50 fällt. Zugleich steigen die Preise zur Zeit mit einer Rate von 10% pro Monat. Dann ist Ihre
Erwartung für den den Profit, den Sie mit einer Investition in dieses Asset machen können:
E[Gewinn] = 0,95 · (10) + 0,05 · (- 50) = 9,50 – 2,50 = 7 oder 7% pro Monat (= 125% pro Jahr).
Keine unattraktive Investitionsidee, den bubble zu reiten, wenn Sie sich, sage, zu 5% pro Jahr am
Markt refinanzieren können. ...
Testen Sie sich doch mal selbst, wie sicher Sie bubbles von gerechtfertigten Preissteigerungen
unterscheiden können. Ist die aktuelle Goldpreisentwicklung ein bubble?
Einerseits hören Sie Argumente, daß die Niedrigzinspolitik der Notenbanken und die steigende
Staatsverschuldung eine Inflation auslösen werden. Und Gold wird als Inflationsschutz empfohlen. 9
Andererseits ist in nächster Zeit die Inflationsgefahr gering, weil die Unternehmen unausgelastete
Kapazitäten haben und daher kaum die Preise werden anheben können. Dies spiegelt sich darin
wider, daß die inflationsindexierte Bundesanleihe nur eine geringe Inflationsrate eingepreist hat:
"Vergleicht man die Rendite der bis 2016 laufenden Bundesanleihen miteinander, so ergibt sich für
den 2016 fälligen Linker eine Inflationserwartung von etwa 1,5 Prozent." (Stand: August 2010;
FAZ). Die vielleicht noch intelligenteste Erklärung gab der Economist:: Weil die Anleger sich nicht
sicher sind, ob eine Inflation oder eine Deflation kommt, fragen sie beides nach (Wertpapiere als
Deflationsschutz und Gold als Inflationsschutz).
8 Der Economist z.B. hat seit dem Platzen der dot.com Blase Anfang der 00er auf den housing bubble in den USA
hingewiesen.
9 Wenn auch manchmal mit etwas seltsamen Argumenten: "Gold hat seine Kaufkraft in der Geschichte immer
erhalten. So kostete Anfang der 20er Jahre eine Unze Gold rund 20 Dollar. Dafür bekam man damals einen guten
Herrenanzug. Heute bekommen sie für eine Unze Gold immer noch einen guten Herrenanzug, aber für 20 Dollar
bekommen sie vielleicht gerade einmal das Einstecktuch dazu." (Martin Mack, unter Handelsblatt.com)*) Was
dieser Anlageberater elegant verschweigt, ist, daß die Alternative zu Gold als Anlageobjekt ja nicht Bargeld, sondern
verzinsliche Wertpapiere sind. Wenn Gold aber seine Kaufkraft sein Anfang der 20er laut seiner Aussage gerade mal
bewahrt hat (immer noch ein Herrenanzug), dann ist das gar nicht so attraktiv: Hätten Sie Ihr Vermögen damals in
den USA statt in Gold in Wertpapiere gesteckt, dann hätte sich seine Kaufkraft im gleichen Zeitraum knapp
verdoppelt (kurzfristige Staatsanleihen) gut verfünffacht (Staatsanleihen mit 10jähriger Laufzeit) bzw. mehr als
verhundertfacht (Aktien). (Vgl. Martin Ehret, Studienbuch Finanzmarkttheorie, Abb. 3.2). Ok, jetzt können Sie
natürlich fragen: Was soll ich mit 100 Herrenanzügen? ...
*) Unter diesem link finden Sie auch die übrigen hier zitierten Expertenmeinungen sowie weitere Einschätzungen.
Einführung in die VWL
3 Der Vergleich von Gleichgewichten
S. 55
Abb. 3.9 Goldbubbles
Quelle: Wikipedia
Wie immer gibt es auch Analysten, die den aktuellen Preis für fundamental gerechtfertigt halten:
"Gold ist bei 1200 bis 1500 Dollar in etwa fair bewertet und eine Versicherung gegen viele
Negativszenarien. Es gehört damit in jedes Depot." (Max Otte (Der Crash kommt) in: Handelsblatt,
siehe oben).
Daß Gold jedenfalls immer mal wieder einen bubble mitmacht, können Sie der obigen Grafik
entnehmen. Und es gibt auch Analysen, die von einer Blase sprechen - aber: Wenn Sie z.B. die
Einschätzung von Jeffrey Nichols, geschäftsführender Direktor von American Precious Metals
Advisors teilen (ebenfalls der Handelsblatt link): "Bevor die Blase platzt, kann der Goldpreis
durchaus noch auf 2000 Dollar oder 3000 Dollar klettern.", Was machen Sie, wenn Sie diese
Einschätzung teilen?? Kaufen Sie und nehmen die 100% Gewinn noch mit, ehe Sie aussteigen (und
heizen den Preisanstieg vorläufig weiter mit an) oder bleiben Sie draußen und lassen sich die
Gewinnchance entgehen?
Die Entwicklung des Goldpreises ist übrigens auch ein gutes Beispiel für trau, schau wem. Wenn
Sie sich die historischen Goldpreise von www.Goldmünzen.de holen, startet die Reihe im Jahr
2000. Die Daten sind nicht falsch. Es wurden halt nur die alten Bubble-Episoden abgeschnitten und
der Chart startet zu einem Zeitpunkt, ab dem der Goldpreis nur eine Richtung kennt: Nach oben. Sie
sollten also generell, wenn Sie Informationen im Internet holen, erstens versuchen, seriöse Quellen
zu finden (Wissenschaftler, Forschungsinstitute) und Sie sollten darüber hinaus auch unterschiedliche Meinungen einholen, weil diese Quellen auch nicht immer richtig liegen (vgl. die
Einschätzung des IMF zu den Grundstückspreisen) oder nicht unbedingt interesselose Forschung
betreiben, wenn sie im Aufsichtsrat einer Lebensversicherung sitzen (wie Raffelhüschen, der immer
wieder als Rentenexperte im Fernsehen auftritt) Beraterverträge von Firmen haben (wie Rürup,
S. 56
3 Der Vergleich von Gleichgewichten
Karl Betz
zeitweise Chefökonom von AWD) oder ihr Institut von Interessengruppen der Wirtschaft finanziert
wird (z.B. IW Köln, Stiftung Soziale Marktwirtschaft und Unterinstitute). Ein von den Gewerkschaften finanziertes Institut gibt es übrigens auch (IMK).
Das Gegenbild zu diesem Beispiel der bubbles liefert die Deflation. Hier führen fallende Preise
zur Erwartung weiter fallender Preise – und auch dieser Prozeß ist selbst verstärkend: Wenn die
Nachfrager fallende Preise erwarten, werden sie Nachfrage zeitlich aufschieben. damit aber geht die
Nachfrage zurück und deswegen fallen die Preise weiter – was wiederum die Nachfrage zurück
gehen läßt. Der Unterschied ist nur, daß hier nicht von der erwarteten Preisänderung für eine
einzelne Ware sondern von der erwarteten Richtung der Veränderung aller Preise die Rede ist.. Ich
komme auf dieses Problem im Makro-Teil noch zurück.
Sie sehen: Die Annahme, daß alle Kurven liegen bleiben wo sie sind, während sich die Preise
ändern und der Markt sein neues Gleichgewicht erreicht, ist nicht so ganz unproblematisch.
Fragen zum dritten Kapitel
Verständnisfragen
1)
Was vergleicht komparativ-statische Analyse?
2)
Was verstehen Sie unter der ceteris-paribus-Bedingung?
3)
Warum macht es Sinn, in Modellen zu denken?
4)
Welche Kurve ist betroffen, wenn sich die Herstellungskosten ändern?
5)
Was ist der Unterschied zwischen Zahllast und Traglast einer Steuer?
6)
Was sind externe Effekte?
7)
Was spricht dagegen, Externalitäten zu beseitigen, in dem man einfach Rechte vergibt und die
Privaten die Marktlösung selber aushandeln läßt?
8)
Wie bestimmt man den Wert eines Zahlungsversprechens in der Zukunft?
9)
Sind Marktpreise immer „richtig“?
10)
Wieso können Preisblasen entstehen?
Einführung in die VWL
3 Der Vergleich von Gleichgewichten
S. 57
Anwendungen
1)
Bitte diskutieren Sie die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf den Markt für Heizdecken.
Argumentieren Sie nur grafisch.
2)
Wie Sie vielleicht wissen, wird Wodka aus Kartoffeln gebrannt. Und wie Sie vielleicht auch
wissen, ist Wodka ein beliebtes Erfrischungsgetränk in Russland. Nehmen Sie nun bitte an, eine
Abstinenzkampagne führt zu einem Einbruch der Nachfrage nach alkoholischen Getränken.
Bitte diskutieren Sie grafisch:
(a) Welche direkten Auswirkungen hat dies für den Wodka-Markt.
(b) Welche Auswirkungen hat dies für den Markt für Kartoffeln?
(c) Wie wirkt dies auf den Markt für Wodka zurück?
(d) Nur verbal: Überlegen Sie, welche weiteren Märkte davon betroffen sein könnten. Geben Sie
zwei oder drei Beispiele.
3)
Am Markt für Zipfelmützen seien Angebot und Nachfrage beschrieben mit
xAT = 8 · p – 4
xNE = 16 – 2 · p
(a) Bitte bestimmen Sie das Marktgleichgewicht graphisch und algebraisch.
(b) Der Schneewittchen zieht bei den sieben Zwergen ein. Diese wollen nun möglichst
elegant aussehen und beschließen, sich neu einzukleiden, koste es, was es wolle ...
(ba) Welche Kurve ist (warum) betroffen?
(bb) Bestimmen Sie das neue Gleichgewicht grafisch.
(bc) Kriegen Sie das auch algebraisch hin?
Hinweis: „Nein“ mag eine zutreffende Antwort sein. Sie bringt Ihnen aber keine Punkte.
4)
Auf dem Kleinwagen-Markt sei die Nachfragekurve
AutoNE = 25.000 - 0,5 · p
und die Angebotskurve sei
AutoAT = - 15.000 + 1,5 · p
Um die Nachfrage zu stimulieren, beschließt die Regierung für ein Jahr eine Prämie von 1000 €
pro gekauftem Wagen. Bitte bestimmen Sie grafisch und algebraisch: Wie verändern sich der
Absatz und der Preis?
Bitte diskutieren Sie verbal:
Was geschieht wohl im nächsten Jahr?
Was geschieht auf dem Gebrauchtwagenmarkt?
S. 58
3 Der Vergleich von Gleichgewichten
Karl Betz
5)
Die Angebots- und die Nachfragekurve auf dem Markt für Benzin sind:
BNE = 1000 - 0,1 · p
BAT = 0,2 · p - 200
(a) Bitte bestimmen Sie (grafisch und algebraisch) Gleichgewichtspreis und -menge.
(b) Die Regierung will, um den CO2-Ausstoß zu senken, den Benzinverbrauch um 10%
reduzieren.
(ba) Wie hoch müßte die Steuer pro Einheit sein, um dieses Ziel zu erreichen?
(bb) Würde es einen Unterschied machen, ob die Anbieter oder die Nachfrager besteuert werden?
(c) Angenommen die Regierung gäbe, statt den Benzinverbrauch zu besteuern, handelbare
Zertifikate (hier: Bezugsscheine, die zum Kauf von Benzin berechtigen) aus.
(ca) Wie viele Zertifikate müßte sie ausgeben?
(cb) Wie teuer wäre ein Zertifikat?
6)
Zeichnen Sie zwei Diagramme. In dem einen nehmen Sie bitte eine sehr unelastische
Nachfragekurve an, in dem zweiten eine sehr unelastische Angebotskurve. Zeichnen Sie jetzt an
beiden Märkten einen Steuerkeil ein.
(a) Diskutieren Sie: Wer trägt in den beiden Fällen die überwiegende Steuerlast?
(b) Können Sie das Ergebnis verallgemeinern?
7)
Betrachten Sie den Markt für Pizza. Angenommen nun Sie erheben eine Steuer in Höhe von t,
die aber nur für die erste Pizza zu entrichten ist, die Sie im Monat essen. Was könnte dies für das
Marktgleichgewicht bedeuten?
8)
Bildung hat, neben Ihrem privaten Vorteil (höheres Einkommen, evtl. auch: Interesse am Fach)
auch einen Nutzen für die Gesellschaft.
a) Können Sie einige dieser gesellschaftlichen Effekte aufzählen?
b) Was heißt dies für die Menge an Bildung, die vom Markt bereitgestellt würde, wenn es keine
staatlichen Subventionen (Kostenloser Zugang zu Schulen und Hochschulen; Bafög) gäbe?
c) Wie wirken Studiengebühren auf die nachgefragte Menge an Bildung?
Bitte argumentieren Sie zu den Fragen b) und c) graphisch.
Exkurs: Anchoring
Auch bei Preisänderungen zeigt sich wieder, daß die Annahme vollständiger Information in der
Praxis nicht als erfüllt vorausgesetzt werden kann.
So hat die Bundesregierung, in Absprache mit der Tabakindustrie, die Einführung der
Tabaksteuer in mehreren Stufen beschlossen. Der Grund ist die Erwartung, daß die Nachfrage nach
Tabakwaren weniger stark einbricht, wenn die Preisanhebung schrittweise erfolgt, als wenn sie auf
Einführung in die VWL
3 Der Vergleich von Gleichgewichten
S. 59
einen Schlag eingeführt wird.
Selbstverständlich widersprechen sich die Motivationen der Bundesregierung:
–
Anhebung der Steuer aus gesundheitspolitischen Gründen (= Es soll weniger geraucht
werden).
–
Schrittweise Anhebung: wahlweise aus Gründen des Steueraufkommens oder der Beschäftigung in der Zigaretten Industrie (= es soll möglichst nicht weniger geraucht werden).
Aber nicht nur die Argumentation der Bundesregierung, auch einige Annahmen des
Marktmodells werden hier fragwürdig: Die Nachfrage hängt nämlich qua Annahme nur vom
laufenden Preis ab, nicht auch von früheren Preisen oder der Preisänderung. Praktisch kennen die
Menschen aber nicht alle Preise, sondern sie orientieren sich an Vergleichsgrößen. Der bisherige
Preis von Zigaretten ist so eine Größe: Mit der Zeit gewöhnt man sich an ihn und nimmt dann eine
weitere Veränderung nur als Preiserhöhung von 10% gegenüber dem alten Preis wahr (und nicht als
eine Erhöhung um 50% gegenüber dem Preis vor 4 Jahren).
Das heißt aber, daß der „gewohnte“ Preis ein Lageparameter der Nachfragekurve sein muß –
während wir unterstellen, daß die Menschen unabhängig von den bisherigen Preisen einschätzen
können müßten, was ihnen die nächste Kippe wert ist.
In der Verhaltensökonomie (behavioral economics) ist dieser Sachverhalt gut belegt. Dan
Ariely10 berichtet beispielsweise von einem Experiment, in dem die Probanden zunächst den
Auftrag erhielten, die letzten beiden Ziffern ihrer Sozialversicherungsnummer auf dem Antwortbogen notieren. Danach wurde eine Flasche französischen Rotweins angepriesen und jeder
Teilnehmer sollte aufschreiben, was er bereit wäre, für diese Flasche auszugeben.
Die Zahlungsbereitschaft der Probanden mit den höchsten Endziffern war deutlich höher: Die
Teilnehmer mit den 20% höchsten Endziffern waren im Durchschnitt bereit 216 bis 346% mehr zu
zahlen als die Teilnehmer mit den 20% niedrigsten Endziffern. Sie Teilnehmer hatten durch das
Aufschreiben der Sozialversicherungsnummer größere Zahlen im Hinterkopf und dies beeinflußte
ihre Gebote.
So funktioniert auch so manche Talkrunde: Wenn ein Diskussionsteilnehmer etwa behauptet, der
Ausstieg aus der Kernenergie werde 132 Mrd. € kosten (krumme Zahlen beeindrucken mehr – da
muß sich jemand richtig gut auskennen, wenn sie die genauen Werte kennt) dann dreht sich die
folgende Diskussion oft nur noch darum, ob die Kosten höher oder niedriger sind. Die - möglicherweise völlig aus der Luft gegriffene – ursprüngliche Größenordnung wird aber nicht mehr
diskutiert. Sie dient allen weiteren Überlegungen als Ankerpunkt. (Daher der Ausdruck anchoring).
Um gleich noch ein anderes Ergebnis der Verhaltensökonomie nachzuschieben. Annahmegemäß
dürfte Ihre Nachfrage nur reflektieren, was Ihnen ein Gut wert ist. Nutzeninterdependenzen – also
Fälle, in denen der Konsum anderer Menschen ihre Nachfrage beeinflußt – sind per Annahme
ausgeschlossen. Praktisch gibt es diese aber sehr wohl. Ein Beispiel sind Statusgüter. In
ökonometrischen Untersuchungen wurde gezeigt, daß die Nachfrage nach Neuwagen in den
Vierteln anstieg, in denen in der Nachbarschaft jemand in der Lotterie gewonnen hatte.
10 Ariely, Dan. Predictabliy Irrational. Harper collins. London 2009. Kapitel 2.
Einführung in die VWL
4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion
S. 61
4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion
Lernziele:
Gewinn als Erlös minus Kosten ==> Gewinnmaximum bei Grenzerlös gleich Grenzkosten
Vollständige Konkurrenz ==> Preisnehmer-Annahme ==> Grenzerlös = Preis
Die Produktionsfunktion als Verhältnis von Inputs und Outputs
Skalenerträge: Was geschieht, wenn alle Faktoren vermehrt werden?
Produktionsfunktion und Kostenfunktion
Grenz- und Durchschnittskosten
Grenzkostenfunktion und Angebotsfunktion
Die langfristige Angebotsfunktion ist elastischer als die kurzfristige.
Partielle Produktionsfunktion: (partielle Ableitung der Produktionsfunktion) Was geschieht,
wenn nur ein Faktor vermehrt wird?
Null Gewinn Bedingung im Gleichgewicht: Extragewinne werden weg konkurriert.
Faktoren werden mit ihrem Wertgrenzprodukt entlohnt
Bisher habe ich einfach unterstellt, daß die Angebotsfunktion irgendwie die Kosten
widerspiegelt. Lassen Sie mich das mal etwas sauberer machen. Die VWL unterstellt für die
Unternehmen, daß diese das Ziel haben, ihren Gewinn zu maximieren. Nun, der Gewinn ist gleich:
Gewinn = Erlös – Kosten
Maximieren Unternehmen ihren Gewinn, dann muß die erste Ableitung der Gewinnfunktion Null
werden. Also:
G' = E' – K' =! 0
Das sagt jetzt noch nicht so schrecklich viel, denn es ist ja noch nicht klar: "Die erste Ableitung
in Bezug auf was?" Diese Frage ist aber schon durch eine weitere Annahme entschieden, durch die
Annahme vollständiger Konkurrenz. Bei vollständiger Konkurrenz, so war oben herausgestellt
worden, sind alle Akteure Preisnehmer und Mengenanpasser. Die Unternehmen müssen also die
Menge x, die sie herstellen, so wählen, daß sie ihren Gewinn maximieren.
Dabei ist der erste Aspekt, die Ableitung der Erlösfunktion, schnell abgefrühstückt:
Der Erlös (der Umsatz) ist Preis mal Menge. Da (wenn) die Unternehmen Preisnehmer sind,
erwarten sie nicht, über ihr Angebot den Preis beeinflussen zu können. Also ist die erste Ableitung
der Erlösfunktion nach der Menge x einfach gleich p:
E= p⋅ x 
dE
=p
dx
Was etwas Zeit in Anspruch nehmen wird, sind die Kosten.
Kosten entstehen, weil ich für die Produktion von Outputs, für die Güter, die ich herstellen will,
Inputs, auch Produktionsfaktoren genannt, benötige.
Ich werde im folgenden unterstellen, daß es nur zwei Inputarten gibt: Arbeit und produzierte
S. 62
4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion
Karl Betz
Produktionsinputs: Kapital. Im nächsten Kapitel werde ich darauf eingehen, wie man die
produzierten Produktionsinputs noch weiter in unterschiedliche Waren auffächern kann und im
Kapitel zur Wachstumstheorie werden noch kurz weitere Inputarten diskutiert werden. Im
wesentlichen beschränkt das Skript sich aber der Einfachheit halber auf die genannten beiden
Gruppen von Inputs: Kapital und Arbeit.
Dabei hängen die Kosten von zwei Einflußfaktoren ab: Den Mengen an Inputgütern, die ich
einsetze und deren Preisen. Letztere ist bereits erschlagen: Die Unternehmen sind Preisnehmer, die
Inputpreise sind also für das einzelne Unternehmen vorgegeben. Gesamtwirtschaftlich bestimmen
sie sich natürlich über die (Faktor)Märkte und diese werden im übernächsten Kapitel auch behandet
werden. Für das einzelne Unternehmen sind sie jedoch bei vollständiger Konkurrenz nicht
beeinflußbar.
Das Unternehmen hat daher nur zwei Einflußmöglichkeiten auf seine Herstellungskosten:
- Es kann seine Outputmenge x variieren und
- Es muß die Inputfaktoren in dem Einsatzverhältnis einsetzen, in dem es diese Outputmenge am
günstigsten herstellen kann.
Zunächst zum Verhältnis von Outputmenge zu Kosten.
4.1 Die Produktionsfunktion
Die Produktionsfunktion beschreibt das Verhältnis von Inputs und Outputs. Also:
Output = PF(Inputmengen) oder hier: Output = PF (Arbeit, Kapital)
Dabei beschreibt die Produktionsfunktion selbst die effizienten Produktionsmöglichkeiten. Ich
kann mit einer gegebenen Menge an Faktoren immer auch weniger als das maximal mögliche
produzieren, möglich ist also die gesamte Fläche zwischen x-Achse und der Kurve der
Produktionsfunktion.
Es sei unterstellt, das Unternehmen habe die, bei den aktuellen Preisen von Arbeit und
Kaptialgütern, optimale Kombination von Inputfaktoren gefunden (Inputbündel), um die
Outputmenge x0 herzustellen. Wie, darum gehe ich gleich anschließend ein. Dabei heißt optimal
natürlich: die kostengünstigste, denn die Unternehmerin will ja ihren Gewinn maximieren. Weil der
Erlös aber mit p · x0 vorgegeben ist, steigt der Gewinn weiter, so lange ich die Kosten senken kann.
Im Gewinnmaximum für die Menge x0 müssen also die Kosten (für diese Menge) minimal sein. Aus
der Gewinnmaximierungsannahme folgt also, daß die Unternehmen stets im Kostenminimum
operieren. Interessant sind daher
•
Erstens nur die Punkte auf der Produktionsfunktion (denn sonst verwende ich einen Teil der
Inputs ja nicht und das wäre heraus geschmissenes Geld mithin eine Minderung des
Gewinns) und
•
Zweitens nur das Verhältnis von Inputmengen, mit dem ich bei den gegeben Inputpreisen
meinen Output am billigsten herstellen kann.1
Die Produktionsfunktion beschreibt also das Verhältnis von Inputs und Outputs: Wie viel
Produkte x kann ich erzeugen, wenn ich λ dieser - später noch genauer zu bestimmenden Inputbündel einsetze?
1 Erinnern Sie sich aber bitte daran, daß von homogenen Gütern die Rede ist. Es geht also um einen Output von
gegebener Qualität, nicht um Kosteneinsparungen zu Lasten der Qualität.
Einführung in die VWL
4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion
S. 63
Hier gibt es, wie im nachstehenden Diagramm (Abb. 4.1) illustriert, drei Möglichkeiten. Wenn
die Menge aller Inputs im gleichen Verhältnis verdoppelt (ver-λ-facht) wird, dann kann einer der
folgenden Fälle auftreten.
(a) Die Menge an Outputs kann sich ebenfalls verdoppeln. Das Verhältnis von Inputs zu
Outputs bleibt unverändert. Mithin verdoppelt sich die Outputmenge ebenfalls, wenn alle
Inputs verdoppelt werden. Das wären konstante Skalenerträge (konstant, weil das Verhältnis
konstant bleibt.) (durchgezogene Kurve)
(b) Der Output wächst langsamer als die Inputmengen. Wenn man alle Inputs verdoppelt, erhält
man z.B. nur das 1,5 fache an Output. Das wären sinkende Skalenerträge. (gestrichelte
Kurve)
(c) Der Output wächst schneller als die Inputmengen - eine Verdopplung aller Inputmengen
führt z.B. zu einer Vervierfachung aller Outputmengen. Das wäre ein Beispiel für steigende
Skalenerträge.(gepunktete Kurve)
Abb. 4.1: Skalenerträge
100
90
80
70
Output
60
50
40
30
20
10
0
0
2
4
6
8
10
12
14
16
λ
konstant
steigend
fallend
4.2 Produktionsfunktion, Kostenfunktion und Angebotsfunktion (Lange
Frist)
Die mit der Produktion verbundenen Kosten müssen nun natürlich im Zusammenhang mit der
Produktionsfunktion stehen: Meine Kosten sind ja die mit ihren Preisen bewerteten Inputmengen.
Wenn ich von den Inputmengen herkomme, dann sagt mir die Produktionsfunktion, welche Menge
an Produkt ich mit λ Inputbündeln erzeugen kann. Lese ich die Funktion aber in umgekehrter
Richtung (formal: bilde ich die Umkehrfunktion), dann sagt mit der Zusammenhang, wie viele
Inputbündel ich brauche, um x Einheiten Output zu bekommen. Die Umkehrfunktion der
Produktionsfunktion, multipliziert mit den Preisen der Inputs, gibt mir also die Kostenfunktion.
S. 64
4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion
Karl Betz
Die Grenzkosten sind dabei die erste Ableitung der Kostenfunktion nach x – was kostet es, noch
ein weiteres Stück herzustellen? und die Durchschnittskosten sind alle Kosten umgelegt auf die
produzierte Menge.
Es ist also der Stückgewinn = preis minus Durchschnittskosten.
Und der Gesamtgewinn wird maximal, wenn gilt: Preis gleich Grenzkosten.
Es bedeuteten dann steigende Skalenerträge, daß die Kosten langsamer steigen als der Output.
Damit sinken sowohl die Grenz- als auch die Durchschnittskosten (auch Stückkosten genannt: K/x).
Bei konstanten Skalenerträgen sind Grenz- und Durchschnittskosten konstant und gleich groß.
Das erste Stück herzustellen, kostet ja genau so viel, wie jedes weitere, das ich herstelle. Wenn ich n
Stück herstelle, sind die Kosten also gleich n mal den (immer gleichen) Grenzkosten pro Stück.
Und damit sind die Durchschnittskosten gleich den Grenzkosten: (n · GK)/n = GK.
Und bei sinkenden Skalenerträgen steigen Grenz- und Durchschnittskosten, weil die Kosten
schneller steigen als der Output.
Von diesen drei Varianten ist (für die lange Frist) eigentlich nur der Fall der konstanten
Skalenerträge (bzw. Grenzkosten) von Interesse:
Zum einen ist er plausibel: Warum sollte, wenn ich ein identisches zweites Werk neben das erste
stelle, dieses weniger herstellen als das erste?
Zum anderen ist er der einzig sinnvolle:
Steigende Skalenerträge sind zwar denkbar. Aber dann würden die Stückkosten umso niedriger
sein, je mehr ich herstelle. Am billigsten anbieten könnte dann doch eine Firma, die den Markt
alleine beliefert. Das ist zwar denkbar, wäre aber nicht unter vollkommene Konkurrenz zu
behandeln, sondern in der Monopoltheorie. Eine solcher Fall wird als "natürliches Monopol"
bezeichnet - natürlich, weil der Marktprozeß selbst, wenn man ihn gewähren läßt, ein Monopol
hervorbringt. Monopoltheorie kriege ich in diesem Kurs aber nicht unter, daher muß ich diesen Fall
übergehen.
Sinkende Skalenerträge werfen ein anderes Problem auf: Meine Stückkosten sinken, wenn ich
weniger herstelle. Also könnte ich immer meinen Gewinn erhöhen, in dem ich einen Betrieb in zwei
halb so große aufteile, denn die produzieren dann ja zu niedrigeren Stückkosten. Zu Ende gedacht
bedeutet das, daß bei sinkenden Skalenerträgen die optimale Firmengröße Null wäre - auch kein
Ergebnis, das man wirklich gerne haben möchte.
Konstante Grenzkosten sind also zumindest für die lange Frist zwar plausibel und sie werden in
weiten Teilen des Skripts auch unterstellt werden. Der Zusammenhang zwischen Kostenfunktion,
Grenzkostenfunktion und Angebotsfunktion läßt sich aber bei steigenden Grenzkosten (also
sinkenden Skalenerträgen) leichter erläutern. Es seien daher erst mal steigende Grenzkosten
unterstellt.
Was sagt die Grenzkostenfunktion? Wenn ich x Einheiten herstelle, dann habe ich Grenzkosten
in Höhe von GK(x). Bei der Grenzkostenfunktion starte ich also bei der Menge der Einheiten, die
ich produziere und stelle fest, was mich die letzte zusätzlich produzierte Einheit kostet. Das ist der
durchgezogene Pfeil in Abb. 5: x → GK.
Nun denken Sie nochmal an den Anfang dieses Kapitels zurück: Das Unternehmen ist, qua
vollständige Konkurrenz, Mengenanpasser. Es fragt also nicht: "Was kostet es mich, x Einheiten
herzustellen?" sondern "Welche Menge x soll ich herstellen, um den maximalen Gewinn zu
erzielen?".
Einführung in die VWL
4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion
S. 65
Abb. 4.2: Kostenfunktion und Grenzkostenfunktion bei sinkenden Skalenerträgen
12
K(x), GK(x)
10
8
6
4
2
0
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Output x
K(x)
GK(x)
Und die Gewinnmaximierungsbedingung beantwortet diese Frage: Stelle die Menge her, bei der
Deine Grenzkosten gerade dem Preis entsprechen, dann hast Du den maximalen Gewinn. Ein den
Gewinn maximierendes Unternehmen wird also die Menge anbieten, bei der seine Grenzkosten
gerade gleich dem Preis sind. Das bedeutet aber, daß die Grenzkostenfunktion, umgekehrt gelesen
(p = GK → x) die Mengen angibt, die eine Unternehmerin in Abhängigkeit vom Marktpreis
anbieten wird. Oder formal: Die Angebotsfunktion eines Unternehmens ist die Umkehrfunktion
seiner Grenzkostenfunktion - und die Marktangebotsfunktion ist halt wieder einfach die Summe
aller individuellen Angebotsfunktionen,
Abb. 4.3: Grenzkostenfunktion und Angebotsfunktion
Im Beispiel stellt das Unternehmen also fest, daß seine Grenzkosten bei 38 Cent liegen, wenn es
S. 66
4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion
Karl Betz
5 Einheiten herstellt - und es maximiert seinen Gewinn bei einem Marktpreis von 50 Cent, wenn es
7 Einheiten anbietet.
Um das nochmal in Erinnerung zu rufen: Bei konstanten Skalenerträgen wird langfristig die
Grenzkosten- und daher die Angebotskurve unendlich preiselastisch verlaufen – zu einem
bestimmten Preis wird beliebig viel angeboten. Das Angebot bestimmt dann den Gleichgewichtspreis und man muß diesen Preis nur noch in die Nachfragefunktion einsetzen, um auch die
Gleichgewichtsmenge zu erhalten. Nur bei sinkenden Skalenerträgen haben liegt eine ansteigend
verlaufende Angebotskurve vor. (Abb. 4.4)
Abb. 4.4 Angebotskurven bei sinkenden und konstanten Skalenerträgen
Moment mal: Wenn die Angebotsfunktion unendlich preiselastisch ist, dann heißt das doch, daß
ich überall die gleichen Grenzkosten habe. Jedes einzelne Stück herzustellen, kostet mich also
gleich viel. Wenn ich jetzt zu meinen Grenzkosten = p anbiete, dann kriege ich doch über den Preis
gerade mal meine Kosten wieder raus – wo ist denn der Gewinn geblieben?
Nun, einerseits haben Sie mit dem Einwand recht und andererseits auch wieder nicht:
Andererseits: Es geht hier um ökonomische, nicht um buchhalterische Kosten - mithin sind die
Opportunitätskosten in die Kosten eingerechnet – der Lohn, den der Unternehmer andernfalls am
Arbeitsmarkt erzielen könnte, wenn er eine abhängige Beschäftigung aufnähme, statt seine Zeit für
die Führung seines Unternehmens einzusetzen, die Pacht die er andernfalls für sein Grundstück
bekommen könnte und die Verzinsung, die er andernfalls am Markt für das von ihm bereitgestellte
Eingenkapital bekommen könnte – das alles ist im Kostenbegriff, wie er hier verwendet wird,
einbegriffen. Ihren Normalgewinn erzielt die Unternehmerin hier also durchaus.
Einerseits: Aber mehr eben auch nicht. Stellen Sie sich vor, in einer Branche lassen sich (ohne
Risiko, Unsicherheitsprämien wären in den Opportunitätskosten ja enthalten) 12% Gewinn machen,
einen Kredit kann man aber am Markt für 10% bekommen. Was machen Sie? Nun ja, dies ist eine
Einführung in die VWL
4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion
S. 67
Arbitragemöglichkeit: Sie können zu 10% leihen und damit 12% verdienen - Sie werden also einen
Kredit aufnehmen und in der Branche ein Unternehmen aufmachen. Und das werden auch jede
Menge anderer machen. Damit steigt aber das Angebot und der Preis fällt.
Also: Sie können bei vollständigem Wettbewerb (buchhalterische) Gewinne machen. Den
marktüblichen Gewinn übersteigende Gewinne, also die Opportunitätskosten übersteigende
Gewinne, fallen aber nur so lange an, wie nicht im langfristigen Kostenminimum produziert wird.
Sie fallen daher nur kurzfristig an, werden aber immer wieder weg konkurriert. Diese kurzfristigen
Gewinnmöglichkeiten andererseits sind gerade das Motiv, das den Wettbewerb antreibt: Neue
Produkte oder Produktionsverfahren werfen Extra-Gewinne ab, so lange sie noch nicht von allen
eingesetzt werden. Allerdings führt gerade dieser Gewinn dazu, daß sie imitiert werden – und das
läßt die Extragewinne wieder verschwinden.
4.3 (Partielle) Produktionsfunktion und Kostenfunktion (Kurze Frist)
Langfristig kann ein Unternehmen alle eingesetzten Faktormengen variieren - zusätzliche
Maschinen kaufen, weitere Beschäftigte einstellen, die Werkshalle erweitern etc. Damit sind
langfristig alle Kosten variierbar, es gibt nur variable, Output abhängige Kosten, keine fixen
Kosten, die unabhängig davon anfallen, wie viel hergestellt wird: Schließlich kann man langfristig
ja den Betrieb dicht machen und dann sind die Kosten bei einer Produktion von Null ebenfalls Null.
Damit werden langfristig die Faktoren immer in dem Verhältnis eingesetzt werden, in dem zu den
niedrigsten Stückkosten produziert werden kann, in der sogenannten Minimalkosten-Kombination.
Kurzfristig wird dies aber in aller Regel nicht möglich sein: Es dauert, bis die neue Maschine
geliefert wird, Sie haben Suchzeiten, bis Sie neue Mitarbeiter gefunden haben, die Zinsen für den
Kredit, der die letzte Investition finanziert hat laufen weiter, egal ob die Maschine läuft oder nicht
und den Mietvertrag können Sie auch nicht von jetzt auf gleich kündigen.
Kurzfristig setzen Sie also evtl. nicht die optimale / kostengünstigste Inputkombination ein,
wenn Sie ihre Produktion erhöhen oder absenken.
Nun lassen sich die Produktionsfunktionen in zwei große Gruppen einteilen: Solche, in denen die
Inputfaktoren in einem festen Verhältnis stehen und solche, bei denen ich (evtl. in Grenzen) einige
Faktoren durch andere ersetzen kann.
Der erste Typ nennt sich limitational (der knappste Faktor ist die Grenze für meinen
produzierbaren Output; Gutenbergs Stückliste, für diejenigen unter Ihnen, die das aus BWL
kennen): Wenn Sie 20 Räder, 5 Lenker und 7 Ketten haben, können Sie maximal 5 Fahrräder
herstellen. Sie können nicht einfach einen Lenker oder eine Kette durch ein drittes Rad ersetzen.
Der zweite Typ nennt sich (evtl. begrenzt) substitutional. Das kennen Sie vielleicht vom
Autofahren: Wenn Sie mit Bleifuß fahren, verbrauchen Sie mehr Benzin. Sie können also, in dem
Sie langsamer fahren, Benzin durch Kapital- und Arbeitseinsatz ersetzen: Für die gleiche
Fahrleistung benötigt ein Fuhrunternehmen mehr Kapital (mehr Wagen) und mehr Arbeit (mehr
Fahrer), wenn langsamer gefahren und so der Benzinverbrauch reduziert wird.
Produzieren Sie mit einer limitationalen Produktionsfunktion, können Sie kurzfristig weiter
nichts tun: Senken Sie ihren Output, liegt halt ein Teil der Faktoren ungenutzt rum und kostet vor
sich hin.
Im Falle einer substitutionalen Produktionsfunktion hingegen können Sie den Einsatz von einem
oder mehreren Faktoren variieren. z.B. Überstunden machen lassen, bis die neue Maschine geliefert
wurde und Sie wieder mit dem kostenminimalen Faktoreinsatzverhältnis produzieren können.
Der Unterschied zwischen kurzer und langer Frist besteht nun in der Annahme, daß in der langen
S. 68
4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion
Karl Betz
Frist alle, in der kurzen Frist aber nur ein Teil der Inputfaktoren variiert werden kann. Dies ist keine
inhaltliche Aussage, sondern eine bloße Definition. Dauert der Bau eines zweiten Werkes 5 Jahre,
dann sind eben 5 Jahre die lange Frist, dauert er ein Jahr, dann ist ein Jahr langfristig.
Der einfachste und beliebteste Typ aller (beschränkt) substitutionalen Produktionsfunktionen ist
die Cobb-Douglas Produktionsfunktion. Sie wurde Ende der zwanziger Jahre von den
Ökonometrikern Paul Howard Douglas und Charles Wiggins Cobb für die Analyse der Entwicklung
des Outputs der USA eingesetzt hat die allgemeine Form:
Y = N · Kα · Aβ mit α, β > 0
N ist ein Umrechnungsfaktor, der, selbst wenn er eins sein sollte, nicht verzichtbar ist, denn
rechts stehen ja Stunden (Arbeit) und Inputmengen und links steht die Outputmenge. Damit müssen
die beiden Seiten der Gleichung durch die geeignete Dimensionierung von N auf die gleiche
Dimension gebracht werden.
Um die Funktion etwas genauer zu diskutieren.2
(a) Skalenerträge. Wenn man alle Inputs in der Funktion ver-λ-facht, dann lautet die Funktion:
Y = N · (λ · Kα) · (λ · Aβ)
Umstellen führt auf:
Y = (λα · λβ) · N · Kα · Aβ = λα + β · N · Kα · Aβ
Eine Ver-λ-fachung aller Inputs führt also dann und nur dann auf eine Ver-λ-fachung der Outputs,
wenn λα + β = λ ist, oder wenn α + β = 1 sind. Allgemeiner, wenn ich mehr als zwei Inputs in der
Produktionsfunktion stehen habe: Eine Cobb-Douglas Produktionsfunktion weist konstante
Skalenerträge auf, wenn die Summe aller Exponenten gleich 1 ist, Sie weist steigende Skalenerträge
auf, wenn diese Summe größer und sie weist sinkende auf, wenn die Summe kleiner eins ist.
(b) Partielle Ableitung (kurzfristige Produktionsfunktion und kurzfristige Angebotsfunktion)
Nehmen Sie nun an, die Produktionsfunktion weise zwar konstante Skalenerträge (α + β = 1) auf.
Die Menge an Kapital sei aber kurzfristig gegeben, und um den Output zu erhöhen können Sie nun
nur noch weitere Arbeit einsetzen. Was eine Erhöhung der Arbeit alleine für den Output bedeutet,
sagt die partielle Ableitung der Produktionsfunktion nach A:
β
dY
A
=β⋅ N ⋅ K α ⋅
dA
A
Es sei N = 1, es sei α = β = 0,5 und der Kapitalbestand sei gegeben - einmal mit 2 und einmal mit
10 Einheiten Kapital. Dann gibt Tab. 4.1 den Zusammenhang zwischen Arbeitsinput und
Outputmengen wieder.
Also einerseits: Es liegen konstante Skalenerträge vor (α + β = 1): Verlambdafachen Sie alle
Inputs, dann verlambdafacht sich auch die Outputmenge:
Bei einer Einheit Arbeit und zwei Einheiten Kapital beträgt der Output 1,41. Bei fünf Einheiten
Arbeit und 10 Einheiten Kapital beträgt er 7,07 (Rundungsfehler).
Bei zwei Einheiten Arbeit und zwei Einheiten Kapital erhält man zwei Einheiten Output und bei
10 Einheiten Arbeit und 10 Einheiten Kapital erhält man 10 Einheiten Output.
Andererseits aber wächst der Output immer langsamer, wenn Sie einen Faktor (hier Kapital)
konstant halten und nur den anderen weiter vermehren. Das ist ja irgendwo auch klar: Wenn beide
2 Ich erwarte nicht, daß Sie die Rechnerei in der Klausur reproduzieren. Nur erscheint mir die Herleitung so letztlich
leichter nachvollziehbar.
Einführung in die VWL
4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion
S. 69
Faktoren zum Produktionserfolg beitragen, dann wird die Produktion langsamer wachsen, wenn ich
nur einen vermehre statt beide.
Tab. 4.1: Arbeitsinput und Outputmenge
Arbeit
Kapitalbestand
K=2
Output
1,41
2
2,45
2,83
3,16
3,46
3,74
4
4,24
4,47
4,69
4,9
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
K = 10
dx/dA
0,71
0,5
0,41
0,35
0,32
0,29
0,27
0,25
0,24
0,22
0,21
0,2
Output
3,16
4,47
5,48
6,32
7,07
7,75
8,37
8,94
9,49
10
10,49
10,95
dx/dA
1,58
1,12
0,91
0,79
0,71
0,65
0,6
0,56
0,53
0,5
0,48
0,46
Die partielle Produktionsfunktion liefert also (PF abgeleitet nach der Arbeit) die Grenzproduktivität der Arbeit (und abgeleitet nach dem Kapital ergibt sich die Grenzproduktivität des
Kapitals).
Abb. 4.5: Grenzproduktivität der Arbeit bei unterschiedlichem Kapitaleinsatz
1,8
1,6
1,4
Output
1,2
1
0,8
0,6
0,4
0,2
0
0
2
4
6
8
10
12
14
Arbeitseinheiten
Abb. 4.5 übersetzt Tabelle 4.1 ins grafische und weist die Entwicklung der Grenzproduktivität
der Arbeit für einen Kapitalbestand von 2 und 5 aus.
S. 70
4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion
Karl Betz
Die Produktion weist also einmal Fixkosten auf (die Kapitalkosten) für die beiden bzw. die 10
Maschinen. Denn die Kapitalkosten für die beiden Maschinen müssen Sie tragen, ob Sie nun etwas
herstellen oder nicht. Daher sind sie fix, hängen nicht von der produzierten Menge ab.
Und sie weist variable Kosten, Kosten, die mit dem Output variieren, auf, nämlich die
Lohnkosten für die zusätzlichen Arbeiter. An diesen variablen Kosten läßt sich etwas drehen, man
kann die Produktion herunter fahren und so auf Umsatz verzichten, dafür aber Lohnkosten (und
oder: Materialkosten) einsparen.
Da der Lohnsatz für die Unternehmerin gegeben ist, und jede weitere Einheit Arbeit immer
weniger zusätzlichen Output herstellt, steigen die variablen Kosten mit steigendem x – es liegen
also trotz (langfristig) konstanter Skalenerträge kurzfristig steigende Grenzkosten vor. Die
Angebotsfunktion steigt daher kurzfristig.
Langfrist fallen hingegen keine Fixkosten an, denn man kann ja die Einsatzmengen aller
Faktoren variieren – im Extremfall z.B. langfristig die Bude zu machen. Daher wird langfristig
immer das gleiche (bei gegebenen Faktorpreisen günstigste) Faktoreinsatzverhältnis gewählt
werden. Dann habe ich aber langfristig konstante Skalenerträge und daher verlaufen auch bei eienr
substitutionalen Produktionsfunktion Grenzkostenkurve und Angebotskurve langfristig flach
(unendlich elastisch).
Fragen zum vierten Kapitel
Verständnisfragen
1)
Welche Bedingung ist für ein Gewinnmaximum erforderlich?
2)
Warum ist die Grenzerlösfunktion gleich dem Preis?
3)
Warum ist die Grenzkostenfunktion wichtig?
4)
Was verstehen Sie unter Skalenerträgen?
Bitte zeichnen Sie steigende, sinkende und konstante Skalenerträge in ein Diagramm ein.
5)
Wie hängen Skalenerträge und Kosten zusammen?
6)
Was hat die Angebotsfunktion mit der Grenzkostenfunktion zu tun?
7)
Was geschieht mit der Angebotsfunktion, wenn die Kosten der Inputgüter sinken? Warum?
8)
Was ist der Unterschied zwischen einer substitutionalen und einer limitationalen
Produktionsfunktion?
Einführung in die VWL
4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion
S. 71
9)
Wie unterschieden sich kurz- und langfristige Angebotsfunktion?
Anwendungen
1)
Sie haben ein Fuhrunternehmen und ihre Aufträge gehen zurück. Was können Sie tun
(a) kurzfristig?
(b) langfristig?
(c) Vor dem Hintergrund dieser Antworten: Welche Kostenarten sind Fixkosten,
welche variable Kosten?
(d) Kann es langfristig Fixkosten geben? Warum? Oder warum nicht?
2)
Warum sind sinkende Skalenerträge für die kurze Frist wahrscheinlicher als für die lange Frist?
3)
Bitte erläutern Sie an Hand der Gewinnmaximierungsbedingung den Zusammenhang zwischen
Kostenfunktion und Angebotsfunktion.
Warum müssen Sie hierfür die Annahme vollständiger Konkurrenz unterstellen?
4)
Drei Firmen arbeiten mit folgenden unterschiedlichen Kostenfunktionen:
A: K(x) = 5 · x
B: K(x) = 2 · x0,5 + 14
C: K(x) = 0,5 · x2 + 5
Sind die oben aufgeführten Kostenfunktionen langfristige oder kurzfristige Kostenfunktionen?
(b) Bestimmen Sie die drei Grenzkostenfunktionen.
(c) Welche der drei Firmen produziert bei steigenden, welche bei sinkenden und welche bei
konstanten Skalenerträgen?
(d) Können Sie für alle drei Fälle die Angebotsfunktion bestimmen?
(e) Sind die Fixkosten für die Angebotsentscheidung relevant?
5)
Wenn Unternehmen zu konstanten Skalenerträgen produzieren, dann erzielen sie unter der
Preisnehmer Annahme (bei vollständiger Konkurrenz) langfristig nur einen Preis in Höhe ihrer
(Grenz- = Stückkosten). Wo ist der Gewinn geblieben?
6)
Wenn man bei vollständigem Wettbewerb nur seine Opportunitätskosten wieder raus kriegt - ist
es dann nicht unfair, die Gewinne zu besteuern? (Bitte überlegen Sie anhand der komparativen
Statik: Wer trägt wohl die Steuer?)
S. 72
4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion
Karl Betz
Exkurs: Grenzproduktivität, Lohn und Arbeitsnachfrage
Die Kurve der Grenzproduktivität der Arbeit wird Ihnen in vielen Lehrbüchern als Arbeitsnachfragekurve präsentiert - und auch in der praktischen wirtschaftspolitischen Diskussion spielt sie
eine Rolle, wenn etwa behauptet wird, die Löhne in den neuen Bundesländern müßten niedriger
sein als im Westen, weil dort die Produktivität niedriger sei.
Dieses Argument startet mit einer richtigen Überlegung und zieht dann eine falsche Konsequenz.
Zunächst zum richtigen Teil. Nehmen Sie an, Sie sind eine Unternehmerin, haben derzeit zwei
Maschinen und bis weitere geliefert werden können, dauert es einige Monate. Wie viele Arbeiter
werden Sie, wenn Sie Ihren Gewinn maximieren wollen, wohl einstellen? Nun ja, das was eine
zusätzliche Arbeiterin Ihnen einbringt, ist deren Grenzprodukt. Sie werden also zusätzliche Arbeiterinnen einstellen, solange der Wert des von diesen erzeugten Grenzproduktes (p · dx/dA) höher ist,
als als der Lohn (w), den Sie pro Arbeitseinheit zahlen müssen. Denn solange eine weitere
Arbeiterin mehr Output herstellen kann als sie selbst kostet, steigt der Gewinn der Unternehmerin.
Im Gewinnmaximum muß also gelten:
Lohn
w
= Wertgrenzprodukt
= (dx/dA) · p
oder, wenn Sie in Gütern statt in Geld rechnen:
Reallohn
w/p
= Grenzprodukt
= (dx/dA)
Der Geldlohnsatz (w) ist die Menge an Geld (€), die für eine Einheit Arbeit (z. B. eine
Stunde) gezahlt wird.
Der Reallohnsatz sagt, wie viele Güter man sich mit diesem Geld kaufen kann. Also der
Lohnsatz in € geteilt durch den Preis der Güter (w/p).
Abb. 4.6: Grenzproduktivität der Arbeit und Arbeitsnachfragefunktion
Einführung in die VWL
4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion
S. 73
Was hier gemacht wird, ist folgendes: Für einen gegebenen Kapitalbestand ist das Grenzprodukt
der Arbeit von der Menge an eingesetzter Arbeit abhängig. Lese ich diesen Grenzproduktivitätsfunktion von A nach x, bekomme ich das Grenzprodukt der Arbeit. (Durchgezogene Pfeile: der
achte Arbeiter läßt den Output um 0,25 Einheiten steigen.).
Denke ich aber daran, daß die den Gewinn maximierende Unternehmerin so lange weiter
einstellen wird, wie das Grenzprodukt der Arbeit unter dem Reallohnsatz liegt, und lese die Kurve
in umgekehrter Richtung, bilde also die Umkehrfunktion, 3 dann sagt mir der Zusammenhang, daß
die Unternehmerin zwei Arbeiter einstellen wird, wenn der Reallohnsatz 0,5 ist und 8 Arbeiter,
wenn er 0,25 beträgt. Aus der Kurve der Grenzproduktivität, einem technisch bestimmten
Zusammenhang, ist eine Arbeitsnachfragefunktion geworden.
Was diese Interpretation aber elegant unterschlägt, ist, daß dieser Zusammenhang unter der
Annahme eines konstanten Kapitalbestandes gewonnen wurde. Und mittel- bis langfristig kann ja
auch investiert werden: Werden die bestellten Maschinen geliefert, kann die Unternehmerin dem
achten Arbeiter einen Reallohnsatz von 0,56 und nicht nur von 0,25 zahlen (vgl. Tabelle).
Erhöht sich also der Kapitalbestand, so verschiebt sich die Arbeitsnachfragekurve nach oben oder anders formuliert: So lange man den Kapitaleinsatz nicht kennt, kennt man auch die
Arbeitsnachfragefunktion nicht. Damit wird sich das übernächste Kapitel beschäftigen. Hier läßt
sich erstmal feststellen:
Mit dem gleichen Recht, mit dem man sagen kann:
"Im Osten Deutschlands sind die Löhne so niedrig, weil die Produktivität der Arbeit niedriger ist
als im Westen."
kann man sagen:
"Im in den neuen Bundesländern sind die Löhne zu niedrig, ist die Arbeit zu billig. Deswegen
wird zu wenig Kapital pro Arbeiter eingesetzt. Und in Folge dessen werden die Menschen weniger
produktiv eingesetzt als im Westen."
Einkommensverteilung
Es lohnt sich, wenn ich schon mal bei der Produktionsfunktion bin, noch eine weitere
Konsequenz herauszuarbeiten, auch wenn die erst im zweiten Teil des Skripts, Makroökonomie,
richtig wichtig wird.
Also: Oben wurde gezeigt, die Entlohnung der Faktoren richtet sich nach deren Wertgrenzprodukt, oder, wenn man den Einfachheit halber beide Seiten der Gleichung durch p teilt, nach
deren Grenzprodukt.
Ich schreibe die beiden partiellen Ableitungen mal ausführlich hin.
Es ist das Grenzprodukt der Arbeit:
dx


–1
= ⋅N ⋅ A ⋅ K ⋅ A
dA
und das Grenzprodukt des Kapitals ist:
dx
=  ⋅ N ⋅ A ⋅ K  ⋅ K – 1 .
dK
Nun könnte einem auffallen, daß man den Ausdruck auch einfacher schreiben kann:
3 Sie bemerken das Muster: Volkswirtschaftslehre ist im wesentlichen Kurvenrecycling.
S. 74
4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion
Karl Betz
N ⋅ A ⋅ K  ist ja gerade die ursprüngliche Produktionsfunktion und damit gleich dem Output x.
Die reale Entlohnung pro Faktor ist gleich dessen Wertgrenzprodukt - bei der Arbeit ist dies der
Lohnsatz (also der Lohn pro Zeiteinheit), hier, weil in Gütern gerechnet wird, der Reallohnsatz w/p.
Beim Kapital sind dies die Kosten pro Zeiteinheit, also die Kosten der Kapitalleihe - und das ist der
Zins (bzw., in Gütern gerechnet, der Realzins r).
Also:
w
dx
⋅x
dx
⋅x
=
=
und r =
=
p
dA
A
dK
K
Nun ist die Lohnsumme gleich Reallohnsatz mal Beschäftigung und die Kapitalverzinsung ist
gleich Realzins mal eingesetztem Kapitalbestand. Die gesamten Kosten des Unternehmens sind also
gleich
Kosten
=
Lohnkosten
+ Kapitalkosten
=
(w/p) · A
+
r·K
+
⋅ x
⋅K
K
+
α·x
=
=
⋅x
⋅A
A
β·x
= (β + α) · x
=x
Der gesamte Output geht also für Lohn- und Kapitalkosten drauf. So weit war ich oben schon
mal.4
Zugleich sieht man, warum die Annahme konstanter Skalenerträge naheliegend ist:
Bei steigenden Skalenerträgen wäre die Summe der Exponenten größer eins. Das hieße aber, die
Summe der Faktoreinkommen wäre höher als das gesamte Produkt.
Bei sinkenden Skalenerträgen wäre die Summe der Faktoreinkommen niedriger als der Output und das widerspricht wiederum dem Ergebnis, daß im Gleichgewicht die Gewinne weg konkurriert
werden.
Daher sind nur konstante Skalenerträge mit einem Wettbewerbsgleichgewicht verträglich.5
Ferner. Was in Makro noch wichtig wird:
Was für jedes einzelne Unternehmen gilt, muß auch für die Ökonomie als ganze gelten:
Der Anteil der Löhne und der Gewinne am Volkseinkommen muß (bei vollständiger
Konkurrenz) den Exponenten von Arbeit und Kapital in der Produktionsfunktion entsprechen. Nun
ist zwar die Produktionsfunktion nicht bekannt. Aber die Einkommensverteilung, die Beschäftigung
und (die Schätzung für) den Kapitalbestand findet man beim Statistischen Bundesamt – und
darüber läßt sich dann die Produktionsfunktion schätzen.
Erneut, eine letzte Warnung vor einem Trugschluß: Daß die Einkommensverteilung zwischen
Kapital und Arbeit durch die Produktionsfunktion gegeben ist, heißt nicht, daß Gewerkschaften
sinnlos sind, weil über die Einkommen durch die Technik entschieden wird. Denn auf das gleiche β,
4 Stehen mehr als zwei Faktoren in der Produktionsfunktion gilt das Ergebnis genauso: Der Anteil der Entlohnung der
Faktoren am Produkt entspricht den Exponenten, die sie in der Funktion ausweisen. Eulers Ausschöpfungstheorem,
erstmals in der Verteilungstheorie eingesetzt von Knut Wicksell Ende des 19. Jahrhunderts.
5 Joan Robinson. Euler's Theorem and the Problem of Distribution. In: Economic Journal, September, 1934
Einführung in die VWL
4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion
S. 75
den gleichen Anteil der Löhne am Volkseinkommen, kann ich ja kommen, wenn ich niedrige Löhne
habe und viel Arbeit einsetze oder wenn ich hohe Löhne habe und wenig Arbeit einsetze. Nur daß
ich im ersten Fall dann wenig und im zweiten Fall viel Kapital einsetzen muß.
Und nochmal: Das wäre dann und nur dann eine Arbeitsnachfragefunktion, wenn die Menge an
Kapital gegeben wäre. Ist sie aber nicht. Jedenfalls nicht langfristig.
Und noch ein Problem, das im nächsten Kapitel angegangen werden wird: Das Ergebnis scheint
zu sagen, daß bei höheren Löhnen kapitalintensiver produziert wird und Arbeiterinnen durch
Maschinen ersetzt werden. Das stimmt aber so auch nicht: Wenn es mehr als ein Inputgut gibt, kann
ich K ja nur bestimmen, indem ich die mit ihren Preisen bewerteten Inputgüter addiere. (Oder wie
wollen Sie sonst 50 kw/h Strom, 20 Liter Schmieröl, 3 Maschinen und eine Tonne Stahl
zusammenzählen?) Die relativen Preise dieser Güter ändern sich aber, wenn sich der Lohnsatz
ändert – und damit ändert sich K. Mehr dazu, wie gesagt, im nächsten Kapitel.
S. 76
4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion
Karl Betz
Einführung in die VWL
5 Produktionspreismodell und fpf
S. 77
5 Produktionspreismodell und fpf
Lernziele:
Produktionspreismodell
Produktionspreisgleichung
Faktorpreisgrenze
Technikänderungen und Verschiebung der fpf
Wahl der Technik
Umhüllende = Alle r; w/p Kombinationen, die der Stand des technischen Wissens erlaubt.
Komparative Statik: Verschiebungen der fpf
5.1 Die Produktionspreisgleichung
Ein Modell, das sehr viel übersichtlicher ist als eine Cobb-Douglas-Produktionsfuktion und
trotzdem alle wichtigen Resultate herleiten läßt, ist das Produktions-Preis-Modell. Es hat die
Einschränkung, daß es ein Modell des langfristigen Gleichgewichts ist. Behält man das aber im
Kopf, führt es mit weniger Aufwand auf leichter zu interpretierende Resultate.
Nehmen Sie an, eine Ware, sage Korn, werde mit Korn und Arbeit hergestellt.
Normiert man den Output auf eine Einheit Korn (sprich: Teilt man alle Werte durch 15, wenn 15
Sack produziert werden) dann ist die Produktion beschrieben mit:
k Einheiten Korn + a Einheiten Arbeit ergeben eine Einheit Korn.1
Wie man sich denken kann, wird die Ökonomie nicht lange überleben, wenn k nicht kleiner als
eins ist, weil sonst mehr Korn ausgesät als geerntet würde und die Vorräte irgendwann erschöpft
wären.
Was uns aber, dies ist ja VWL, wirklich interessiert, sind nicht die Mengen-, sondern die Preise.
Lassen Sie mich daher in die Produktionsgleichung noch die Preise einsetzen - dann ergibt sich das
Produktions-Preis-Modell:
Der Preis für Korn sei wie üblich p. (Beachten Sie aber, daß damit der Kornoutput (= Korn nach
der Ernte) den gleichen Preis hat, wie der Korninput (= Korn bei der Aussaat). Auch dies verweist
auf die lange Frist.) Da bei der Produktion eine Einheit Korn erzeugt wird, ist der Wert des Outputs
gleich p.
Arbeit bekommt den (Geld)lohnsatz w. Da a Einheiten Arbeit eingesetzt werden, sind, um eine
Einheit Korn zu ernten, Geldlöhne in Höhe von a · w zu zahlen.
und für Kapital muß man den Preis der Kapitalleihe zahlen, also den (Real-)Zins r und außerdem
will der Verleiher vielleicht sein Kapital wieder zurück haben. Damit ist pro Einheit Korn als
Kapitalgut 1 (die Tilgung) + r (der Zins) zu zahlen. k Einheiten Korn werden eingesetzt, und der
1 Dies ist nicht die Produktionsfunktion, deswegen habe ich da kein Gleichheitszeichen hingeschrieben. Die
Produktionsfunktion wäre:
Kornoutput = min {(1/k) · Korninput; (1/a) · Arbeitsinput}
Das braucht uns aber in der Folge nicht weiter zu kümmern.
S. 78
5 Produktionspreismodell und fpf
Karl Betz
Preis von Korn ist p. Also sind die Kapitalkosten gleich k · p · (1+r). Oft wird die Verzinsung des
Kapitalvorschusses in der Produktion auch Profitrate genannt und dieser Konvention werde ich hier
auch folgen.
Da alles, was das Unternehmen an Umsatz erlöst, auch entweder als Kapital- oder als
Lohneinkommen wieder ankommen muß, läßt sich die Beziehung jetzt als Gleichung, als
Produktionspreisgleichung, schreiben:
k · p · (1+r) + a · w = p
Produktionspreisgleichung.
Wat sacht mich dat nu?
Nun: Es liegt eine Gleichung mit drei Unbekannten: p, w, r vor. Der Rest (k und a) ist durch die
gewählte Technik bestimmt.
Von diesen drei Unbekannten können läßt sich entweder eine eliminieren, wenn man die
Gleichung durch p teilt - dann stehen da nur noch die relativen Preise, nicht mehr die Geldpreise.
Und das macht ja Sinn, weil es ziemlich egal ist, ob man sein Einkommen in € oder in Cent (bzw.
wie viele von uns älteren noch: in DM) mißt. Oder man gibt einfach das von den Gewerkschaften
und Unternehmerverbänden ausgehandelte Niveau der Geldlöhne in die Gleichung und redet weiter
über absolute Preise.
Bleiben nur noch zwei Unbekannte: r und w/p. Kennen man eine dieser beiden Unbekannten,
dann kennt man p.
Einschub: Verallgemeinerung
Was sich hier so trivial anhört, ist es in Wirklichkeit nicht. Wenn man es mit mehr als einer
Ware und mehr als einem Produktionsverfahren zu tun hat, in das diese Ware direkt oder indirekt
eingeht, dann habe ich eben so viele Gleichungen, wie ich Waren habe. (Beispiel: Ich brauche
Maschinen und Kohle für die Eisenproduktion, Eisen für die Kohleproduktion und Kohle
(Energie) und Eisen für die Maschinenproduktion.)
Aus k, dem Inputkoeffizienten von Korn wird dann K, die Matrix aller Inputkoeffizienten.
Aus a, dem Arbeitskoeffizienten in der Kornproduktion, wird dann a, der Vektor aller Arbeitskoeffizienten und aus dem Preis p wird p, der Vektor aller Preise. Unter bestimmten formalen
Voraussetzungen (die Inverse von K muß existieren), erhält man:
p = (I - K ·(1+r))-1 · a · w
Was formal heißt, daß, wenn r oder w/p bekannt sind, alle Preise in der Ökonomie bestimmt
sind, ohne daß das Wort Nachfrage je aufgetaucht wäre. Die Preise der Güter werden also allein
durch die Produktionsbedingungen und die Einkommensverteilung (r bzw. w/p) festgelegt.
Inhaltlich ist das nichts anderes als das was oben schon hergeleitet wurde: Ist das Angebot
unendlich elastisch, bestimmt das Angebot den Preis und die Nachfrage die hergestellte Menge.
Und bei konstanten Skalenerträgen ist das Angebot in der langen Frist eben unendlich elastisch.
Das Produktionspreismodell hat den großen Vorteil, daß dadurch unterschiedliche
Preistheorien: Klassik (Ricardo, Marx), Neoklassik (Walras, praktisch alle Lehrbücher) und
Keynesianismus vergleichbar gemacht werden, weil man sie im gleichen Modell diskutieren
kann. Es zeigt sich dann, daß der Unterschied nicht darin besteht, daß die einen Fehler machen,
welche die späteren Theorien überwunden hätten, sondern darin, daß den drei Schulen unterschiedliche Theorien der Einkommensverteilung zu Grunde liegen. Im Rahmen dieses Skripts
kann diesem Aspekt nicht weiter nachgegangen werden. Auf meiner Homepage finden Sie aber
bei Interesse ein Papier, das hierauf eingeht.
Einführung in die VWL
5 Produktionspreismodell und fpf
S. 79
Was oben also so simpel aussieht, läßt sich zu einer ganz schön komplexen Theorie aufblasen.
Erfreulicher Weise kommt man dann aber auch auf keine wesentlich anderen Ergebnisse als in
diesem einfachen Beispiel, so daß ich mir die komplizierteren Varianten auch schenken kann.
Praktische Relevanz:
K, die Input-Output-Matrix, wurde von Leontieff entwickelt und im zweiten Weltkrieg für die
Planung der amerikanischen Kriegsproduktion eingesetzt. (Frage: Um wie viel muß ich die
Stahlproduktion erhöhen, wenn ich ein zusätzliches Schlachtschiff bauen will? Ich brauche ja
nicht nur Stahl für das Schiff selbst, sondern auch für die Werkzeuge, mit denen ich das Schiff
baue, für die Stahlerzeugung selbst und, und, und ...)
Eine Input-Output-Matrix für die Bundesrepublik können Sie bei Interesse beim Statistischen
Bundesamt herunterladen.
5.2 Die Faktorpreisgrenze (fpf)
Dem Produktionspreismodell fehlt also eine Information (r oder w/p) um die Preise zu
bestimmen. Wenn es aber auch diese Größen nicht bestimmen kann, so liefert es doch deren
Zusammenhang, denn die Gleichung läßt sich nach r oder w/p auflösen:
k · p · (1+r) + a · w = p
:p
==> k · (1+r) + a · w/p = 1
Und damit läßt sich entweder der Reallohnsatz in Abhängigkeit von der Profitrate r bestimmen:
w/p = (1/a) · [1 - k · (1+r)]
oder die Profitrate r in Abhängigkeit vom Reallohnsatz:
(1+r) = (1/k) · [1 - (a · w/p)]
Die beiden Gleichungen beschreiben jeweils die Faktorpreisgrenze (fpf - factor price frontier):
Sie sagen, welcher Reallohn maximal gezahlt werden kann, wenn eine bestimmte Profitrate
vorgegeben wird, bzw. welche Höhe die Profitrate hat, wenn ein bestimmter Reallohnsatz
vorgegeben wird.
Dabei ist es aus zwei Gründen geschickt, nach (1+r) statt nach r aufzulösen.
Der eine Grund ist inhaltlich: Niemand kann a priori sagen, daß r größer Null sein wird. Denken
Sie an Dagobert Duck: Sein Geldspeicher sichert sein Geld vor den Panzerknackern. Die
Aufbewahrung von Geld ist also eine Produktion, die sein Geld für ihn in die Zukunft transportiert.
Aber sie kostet: Die Alarmanlagen, die Wachmannschaft (wenn er die periodisch auch immer
wieder entläßt und - zu seinem Schaden - durch den unbezahlten Donald zu ersetzen versucht) ...
Durch die Lagerhaltung hat er daher am nächsten Tag weniger Geld als vorher (oder: sein r ist
kleiner als 0). Daß sein Geldbestand trotzdem wächst, liegt an anderen Aktivitäten, wie Schatzsuche
und den Unternehmen, die ihm gehören.
r kann also durchaus kleiner 0 sein. Kleiner als minus eins aber kann es nie werden, denn
niemand würde in ein Projekt investieren, bei dem er erwartet, daß er nicht nur sein Vermögen
verliert, sondern bei dem er am Ende auch noch zusätzliche Schulden hätte. (1+r) statt r in die
Gleichung zu nehmen, erspart uns deswegen eine Fallunterscheidung.
S. 80
5 Produktionspreismodell und fpf
Karl Betz
Der zweite Grund ist die Bequemlichkeit. Wie Sie gleich sehen werden, ist es so viel einfacher,
die fpf zu zeichnen.
Bei nur einem Produkt ist die Faktorpreisgrenze linear. Es genügen also zwei Punkte, um die
Kurve zu bestimmen - und die lassen sich direkt ablesen. Nehmen Sie an, das Kapital bekommt gar
nichts. Dann teilen die Arbeiter den Output unter sich auf und jeder Arbeiter bekommt (der
Reallohnsatz für (1+r) = 0 ist) 1/a Einheiten Output:
w/p = (1/a) · [1 - k · 0] = 1/a
Und umgekehrt: Wenn die Arbeiter nichts und die Kapitalistinnen alles bekommen, dann ist w/p
= 0 und deswegen ist (1+r) = 1/k:
(1+r) = (1/k) · [1 - (a · 0)] = 1/k
Nehmen Sie z.B. an, zur Herstellung einer Einheit Korn werden 0,5 Einheiten Korn und ein
viertel Arbeiter gebraucht. Dann liegt der Schnittpunkt mit der Reallohnachse bei einem Reallohn
von 4 Einheiten Korn pro Arbeitseinheit (1/0,25) und der Schnittpunkt mit der (1+r) Achse liegt bei
2 (wegen 1/0,5). Die maximale Profitrate r liegt also bei 1 oder bei 100%.
Abb. 5.1 Faktorpreisgrenze (fpf)
Die fpf erlaubt also entweder über den Reallohnsatz die Profitrate zu bestimmen, oder für eine
gegebene Profitrate den Reallohnsatz: Kenne ich die eine Größe, dann kann ich die andere ablesen
(Grafik) oder ausrechnen (Gleichung).
Einführung in die VWL
5 Produktionspreismodell und fpf
S. 81
Zweitens weist sie einen trade off aus: Höhere Reallohnsätze bedeuten eine niedrigere Profitrate
und umgekehrt, denn die fpf verläuft fallend.
„Wenn die Reallohnsätze höher sind, ist die Profitrate niedriger.“ Ok, das hätten Sie sich jetzt
vielleicht auch ohne lange Herleitung denken können. Aber es ist doch nicht schlecht, wenn in
VWL auch mal was raus kommt, das plausibel klingt.
5.3 Mehrere Techniken: fpf und Wahl der Technik
Bisher hatte ich unterstellt, es gebe nur eine einzige Technik: Eine Einheit Korn kann mit k
Einheiten Korn und a Einheiten Arbeit hergestellt werden. Was aber, wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, Korn zu produzieren - z.B. die beiden folgenden:
Technik A: 0,2 · p · (1+r) + 2,5 · w = p
Eine Einheit Korn kann mit 0,2 Einheiten Saatgut und 2,5 Einheiten Arbeit hergestellt werden.
Technik B: 0,5 · p · (1+r) + 1 · w = p
Eine Einheit Korn kann mit 0,5 Einheiten Korn und einer Einheit Arbeit hergestellt werden.
Wegen des Tricks mit (1+r) zu rechnen, muß man gar nicht erst lange rumrechnen, sondern kann
die fpfs der beiden unterschiedlichen Techniken einfach einzeichnen.
Abb. 5.2 Mehrere Techniken
S. 82
5 Produktionspreismodell und fpf
Karl Betz
Mit diesem Instrument können lassen sich nun zwei Fragen angehen:
Erstens: Wie ist der Zusammenhang von Reallohnsatz und Profitrate, wenn es ganz viele
unterschiedliche Techniken gibt? Und zweitens kann ich jetzt die Ankündigung aus Kapitel 3
einlösen und klären, welche Technik = welches Verhältnis der Inputfaktoren, ein den Gewinn
maximierendes Unternehmen wählen wird.
Zunächst zur ersten Frage. Offensichtlich stellt fpf B jetzt nur für hohe Reallohnsätze die Grenze
für die realisierbare Profitrate dar. Fällt der Reallohnsatz auf ein Niveau unter ca. 0,28 erlaubt
Technik A die höhere Profitrate. Dadurch, daß es jetzt mehrere Techniken gibt, hat sich die Menge
der für die Gesellschaft realisierbaren Reallohnsatz-Profitraten-Kombinationen erhöht. Nicht mehr
eine einzelne fpf, sondern die Umhüllende aller fpfs (also die Kurve, die man erhält, wenn man nur
die am weitesten außen liegenden Abschnitte aller fpfs betrachtet) stellt die für die Ökonomie
relevante Grenze der Beziehungen von Reallohnsatz und Profitrate dar. Diese Kurve wird dann
natürlich nicht mehr linear sein. (Weil das aber nichts substantielles am Argument ändert, solange
die Kurve nur monoton fällt, wird in späteren Kapiteln wieder mit einer einfachen linearen fpf
gearbeitet werden.)
Damit ist eigentlich auch der zweiten Punkt schon erschlagen: Im Punkt (r = 0,4 / w/p = 0,28) 2
liefern die beiden Techniken die gleiche Profitrate und den gleichen Reallohnsatz. Steigt der
Reallohnsatz etwas über 0,28, dann liefert Technik B die höhere Profitrate und wird daher gewählt.
Liegt die gleichgewichtige Profitrate einen Hauch über 40%, dann können bei Einsatz von Technik
A die höheren Reallöhne gezahlt werden und daher wird diese gewählt.3 Der Punkt (0,4; 0,28) ist
also der Punkt, an dem zwischen den beiden Techniken gewechselt (auf denglish: geswitcht) wird.
In der Literatur heißt er deswegen auch Switch-Punkt.
Und damit läßt sich auch die Frage nach dem optimalen Faktoreinsatzverhältnis beantworten:
Jedes mögliche Faktoreinsatzverhältnis läßt sich durch eine eigene Produktionsfunktion
beschreiben - und jede dieser Funktionen hat ihre eigene fpf. Trägt man diese ab und ist entweder
w/p oder r bekannt, dann kann man ablesen, welche der Techniken gewählt würde (bzw., wenn man
gerade in einem Switch-Punkt gelandet ist, welche Techniken gleich wählbar sind).4
Jetzt noch eine kleine Gemeinheit, denn ich bin Ihnen ja noch die Auflösung der Bemerkung
vom Ende des letzten Kapitels schuldig. Bisher scheint an der Aussage, höhere Löhne führten auf
die Wahl einer kapitalintensiveren Technik und Arbeit würde durch Maschinen ersetzt, wenn sie zu
teuer würde, doch nichts falsch zu sein? Schließlich wechselt man ja von Technik A auf Technik B,
wenn die Reallöhne zu sehr steigen.
Nun, ich habe ja bereits darauf hingewiesen, daß die fpf nur dann sicher eine Gerade ist, wenn
nur eine einzige Ware produziert wird. Ist dies nicht der Fall, können die fpfs auch verlaufen wie in
Abbildung 5.3 illustriert.
Bis zu einem Reallohnsatz von ungefähr 0,22 (und einer Profitrate von rund 300%) ist die
2 Ich habe die Werte einfach abgelesen. Hauen Sie mich also bitte nicht, falls die fünfte Nachkommastelle rechnerisch
nicht ganz stimmt. Ach ja: Und in der Grafik wurde 1+r bestimmt. Um auf r zu kommen, muß man davon natürlich
noch 1 abziehen.
3 Natürlich wird die Technik nicht gewählt, weil die Unternehmerinnen höhere Reallohnsätze zahlen wollen, sondern
weil sie bei den gegebenen Reallohnsätzen höhere Gewinne machen möchten. Aber die so ermöglichten Extragewinne werden wieder weg konkurriert und dadurch steigen die Löhne.
4 Das ist natürlich praktisch nicht umsetzbar: Wenn mehr als eine Ware hergestellt wird, ändert sich die
Produktionsfunktion (also die Matrix der Inputkoeffizienten und der Vektor der Arbeitsinputs) ja schon wenn man
auch nur eine einzige Zeile auswechselt. Nehmen Sie an, es gebe drei Güter und zur Herstellung jeder dieser drei
Waren gebe es 4 Verfahren. Dann hat man es schon mit 43 = 64 unterschiedlichen fpfs zu tun.
Einführung in die VWL
5 Produktionspreismodell und fpf
S. 83
gestrichelt eingezeichnete Technik A überlegen. Steigt nun der Reallohnsatz, liefert Technik B die
höhere Profitrate und wird daher gewählt. Soweit nichts Neues. Technik B scheint also die
kapitalintensivere Technik zu sein und bei steigenden Reallohnsätzen wird auf sie übergegangen.
Das Problem ist nur: Steigt der Reallohnsatz weiter, hier über 0,85, dann wird auf einmal Technik A
wieder die überlegene Wahl.
5.3: Reswitching
Welche Technik ist denn nun kapitalintensiver, A oder B? Dieses Phänomen des Reswitching
oder der Wiederkehr der Technik hat, wie schon vorne erwähnt, einen einfachen Grund. Kapital
kann ich, wenn ich mehrere Inputs habe, nur messen, wenn ich diese mit ihren (relativen) Preisen
bewerte. Diese relativen Preise ändern sich aber, wenn w/p sich ändert (und/oder eine andere
Technik gewählt wird). Daher bekommt das gleiche physische Güterbündel einen anderen Kapitalwert, wenn es bei einer anderen Einkommensverteilung (bei einer anderen w/p-r-Kombination)
hergestellt wird. Nehmen Sie z.B. an, Kapitalgüter werden besonders arbeitsintensiv hergestellt.
Dann wird bei sehr hohen Lohnsätzen Kapitalgüter intensive Produktion schlicht zu teuer.
Wenn Sie also mal wieder in der Zeitung lesen, durch hohe Löhne würden Arbeitsplätze weg
rationalisiert, dann wissen Sie jetzt, daß man das so schlicht nicht allgemein sagen kann. Und die
Ökonomen, die das dem Reporter erzählen, wissen das auch. (Die haben dieses Phänomen nämlich
auch in ihren Lehrbüchern beschrieben.) Sie erzählen das dem Reporter aber trotzdem, weil es eine
so schön einleuchtende Begründung für ihre Forderung nach Lohnzurückhaltung liefert.
S. 84
5 Produktionspreismodell und fpf
Karl Betz
5.4 Anwendungen: Komparative Statik mit der fpf
Wie ich das Marktdiagramm benutzen kann, um die Auswirkungen bestimmter Einflüsse auf die
Preise zu betrachten, so kann ich die fpf benutzen, um die Auswirkungen von exogenen
Veränderungen auf die Einkommen und auf die Einkommensverteilung zu betrachten - mit einer
kleinen Einschränkung: Eine Theorie der Einkommensverteilung können läßt sich erst entwickeln,
und das ist erst der Fall, wenn eine Theorie der Faktoreinkommen vorliegt. - Die kommt aber erst
im nächsten Kapitel - bzw. dort werden zwei unterschiedliche Theorien skizziert werden: die
übliche neoklassische und eine keynesianische. Dort wird daher das Thema: Einkommensverteilung
und fpf noch weiter zu verfolgen sein.
Hier kann erst mal nur etwas über die Grenzen gesagt werden, innerhalb derer Löhne und
Profitrate sich ändern müssen, wenn eine Entwicklung eintritt, welche die fpf verschiebt. Da die fpf
eine bestimmte Technik beschreibt, wird Sie sich immer dann verschieben, wenn entweder ein
neues Produktionsverfahren entwickelt wird, oder bisher benutzte Verfahren nicht mehr eingesetzt
werden können.
Abb. 5.4: Technischer Fortschritt im Produktionspreismodell
Da der Output auf eins normiert ist, kann eine neue Technik der bisherigen nur überlegen sein,
wenn sie pro Einheit Output entweder weniger Arbeitsinputs braucht - dann würde die fpf sich in
Richtung der w/p-Achse nach oben drehen. Oder wenn sie weniger Kapitalgüter einsetzt - dann
würde der Schnittpunkt mit der (1+r)-Achse nach außen wandern. Oder, wie im Beispiel, wenn
Einführung in die VWL
5 Produktionspreismodell und fpf
S. 85
beides gleichzeitig der Fall ist. Dann verschiebt sich die fpf (nicht notwendiger Weise: parallel)
nach außen. Eine neue Technik, deren fpf durchgängig unterhalb (der Umhüllenden der fpfs) der
bereits bekannten verläuft, würde nicht gewählt werden, denn sie würde ja niedrigere Faktoreinkommen als bisher implizieren.
Nehmen Sie an, bei der alten Technik A war die Profitrate (abgelesen) 100% und der
Reallohnsatz 0,4. Durch die neue Technik B werden jetzt weiter außen liegende ProfitratenReallohn-Kombinationen realisierbar. Da die alte Einkommensverteilung ja einen Grund hatte
(wenn Ihnen unterschiedliche Theorien auch unterschiedliche Gründe nennen werden) ist nicht
anzunehmen, daß in Folge des technischen Fortschritts die alte Profitrate oder der alte Reallohnsatz
unterschritten werden wird. Die möglichen Konsequenzen der Entwicklung der neuen Technologie
werden also von dem grauen eingezeichneten Dreieck beschrieben: Bleibt der Reallohnsatz
konstant, kann die Profitrate auf bis zu 300% wachsen. Bleibt die Profitrate konstant, kann der
Reallohnsatz auf 0,75 steigen. Oder es stellt sich irgend eine Kombination zwischen diesen
Extremen ein. Technischer Fortschritt läßt also die Faktoreinkommen steigen.
Ein zweites Beispiel: Umweltschutz. Nehmen Sie an, es wird, um die CO 2-Emissionen zu
reduzieren, eine der staatlichen Maßnahmen ergriffen, die in Kapitel 3 andiskutiert wurden. Wie
könnte man das in der fpf betrachten? Nun, wenn beim gleichen Output weniger CO 2 emittiert
werden soll, dann brauche ich offensichtlich eine andere Technik als die bisher eingesetzte. Ich
nenne die mal Technik B. Durch die staatlichen Maßnahmen alleine ändert sich aber das technische
Wissen nicht.5 Was diese also nur können, ist, den Einsatz bekannter Technologien unattraktiver
machen. Dies geht z.B. durch eine Steuer: Wenn ich einen Teil des Outputs (des Output Wertes)
weg steuere, dann bleibt weniger für die Verteilung auf die Faktoreinkommen übrig und deswegen
rutscht die fpf dieser Technik nach innen.
Wenn nun die Umweltpolitik irgend einen Effekt hat, dann doch den, daß Technik B, die bisher
gewählt worden war, nun durch eine andere (bekannte) Technik, ich nenne sie mal A, ersetzt wird.
Wurde diese andere Technik aber bisher nicht eingesetzt, dann muß das bedeuten, daß die fpf von
Technik B bisher, bei der alten Einkommensverteilung, oberhalb der jetzt zu wählenden Technik A
verläuft. Der Effekt ist damit genau der umgekehrte wie bei technischem Fortschritt: Man bewegt
sich von fpfB zu fpfA und daher müssen der Reallohnsatz und/oder die Profitrate sinken.
Fragen zum fünften Kapitel
Verständnisfragen
1)
Was bedeutet es, die Produktionspreisgleichung zu normieren?
2)
Was ist die Faktorpreisgrenze?
5 Was sich allerdings ändert, ist der technische Fortschritt. Wenn ich weiß, daß neue Technologien mit hohen
Emissionen durch eine Steuer oder durch Zertifikate teuer gemacht werden, werden Forschungs- und Entwicklungsabteilungen Emissionseinsparungen ein höheres Gewicht beimessen und deswegen mehr Ressourcen für Forschungen in diese Richtung aufwenden. An dieser Überlegung können Sie auch ermessen, wie realistisch es ist, die
Entwicklung emissionsärmerer Technologien als Argument dafür zu nehmen, auf Umweltsteuern zu verzichten.
Ohne die Steuern wird da weniger entwickelt werden.
S. 86
5 Produktionspreismodell und fpf
Karl Betz
3)
Was ist der Unterschied zwischen der Produktionspreisgleichung und der (Gleichung der) fpf?
4)
Wie sieht die Angebotsfunktion bei konstanten Skalenerträgen aus?
5)
Warum legt die Klassik einen Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit nahe?
6)
Was ist der Unterschied zwischen Nominallohnsatz (= Geldlohnsatz) und Reallohnsatz?
7)
Führt eine Geldlohnerhöhung zwingend auf einen höheren Reallohnsatz?
Anwendungen
1)
Man braucht 4 Kaninchen und 2 Einheiten Arbeit, um 10 Kaninchen zu produzieren.
(a) Bitte stellen Sie die Produktionspreisgleichung auf.
(b) Bitte bestimmen Sie die fpf graphisch und algebraisch.
2)
Bitte bleiben Sie bei der gleichen Technik und diskutieren Sie graphisch und algebraisch:
(a) Sie haben vielleicht einmal davon gehört, daß Marx (wie die gesamte Klassik) den
Lohnsatz vorgibt (Wert der Ware Arbeitskraft). Bitte bestimmen Sie: Angenommen der
Reallohnsatz ist 1 (Kaninchen). Wie hoch ist die Profitrate? Angenommen der Reallohnsatz ist 3
(Kaninchen)? Wie hoch ist die Profitrate? Warum könnte die klassische ökonomische Theorie auf
die These von einem Klassengegensatz von Kapital und Arbeit geführt haben?
(b) In der keynesianischen Theorie wird der Zinssatz vorgegeben und die Profitrate paßt sich
an den Zinssatz an. Wie hoch ist der Reallohnsatz, wenn der (reale) Zinssatz 50% beträgt? Wie hoch
ist er, wenn der Zinssatz 20% beträgt?
3)
Immer noch die gleiche Technik:
(a) Der Geldlohnsatz betrage 4€, der (reale) Zinssatz 25%. Wie verläuft die Angebotskurve?
Wie hoch ist der Reallohnsatz?
(b) Was geschieht, wenn die Geldlöhne um 10% steigen?
(c) Was geschieht mit Preis und Reallohnsatz, wenn der Zinssatz sich verdoppelt?
4)
Daniel Düsentrieb erfindet ein Verfahren, das es erlaubt, 8 Kaninchen mit 2 Kaninchen und 4
Einheiten Arbeit herzustellen.
(a) Tragen Sie bitte beide Techniken im gleichen fpf-Diagramm ein.
(b) Wann wird Daniels Technik eingesetzt? Wann die alte Technik?
Einführung in die VWL
5 Produktionspreismodell und fpf
S. 87
5)
Nach einer weiteren Verbesserung können nun 5 Kaninchen mit einem Kaninchen und 0,5
Einheiten Arbeit hergestellt werden. Tragen Sie diese Technik zusammen mit der Technik aus Frage
1 in einem Diagramm ab.
(a) Welchen Technik wird gewählt?
(b) Was erwarten Sie für die Entwicklung der Profitrate und des Reallohnsatzes beim
Übergang von der alten zur neuen Technik?
(c) Angenommen, die Profitrate bleibt unverändert bei 25 % und der Geldlohnsatz bei 4 €.
Wie verändert sich die Angebotskurve im Vergleich zu Frage (3)?
6)
Wie könnten Sie die Wirkung von Steuern im fpf-Modell diskutieren?
7)
Aus Gründen des Umweltschutzes sollen bestimmte Techniken verboten werden (oder so sehr
verteuert, daß sie nicht mehr eingesetzt werden). (Aber verbieten ist formal einfacher.)
(a) Wie bilden Sie dies im fpf-Diagramm ab? Wie wirkt die Maßnahme auf r, w/p und p?
(b) Warum kann Umweltschutz Gesetzgebung trotzdem vernünftig sein?
S. 88
5 Produktionspreismodell und fpf
Karl Betz
Einführung in die VWL
6 Faktormärkte
S. 89
6 Faktormärkte
Wie viele VWLer braucht man, um eine Glühbirne auszuwechseln?
Antwort 1: Das hängt es von der Lohnrate ab.
Antwort 2: Insgesamt wohl mindestens acht:
Einen, der annimmt, es gäbe eine Leiter,
einen, um die Glühbirne zu wechseln
und mindestens sechs, um alles andere konstant zu halten.
Antwort 3: Eigentlich aber auch keinen, denn eigentlich sollte die unsichtbare Hand des
Marktes das Helligkeitsungleichgewicht beseitigen.1
Lernziele:
Sparen und Investieren im Gleichgewicht
Ein Kapitalangebot verlangt den Verzicht auf Gegenwartskonsum.
Der Preis für ein Kapitalangebot ist der Realzinssatz.
Realzinssatz und Nominalzinssatz
Ein Kapitalangebot ist zugleich eine Arbeitsnachfrage.
Arbeitsangebot verlangt den Verzicht auf Freizeit. Der Preis ist der Reallohnsatz.
Reallohnsatz und Nominallohnsatz.
Arbeitseinsatz erfordert Kapital.
Freiwillige und unfreiwillige Arbeitslosigkeit.
Die fpf als Bindeglied zwischen Kapital- und Arbeitsmarkt.
Faktormärkte und Output
Lassen Sie mich, bevor ich mich verirre, mal wieder das Kreislaufdiagramm zu Rate ziehen.
Werden Investitionen (I) zugelassen, dann kommen nicht mehr alle neu produzierten Güter beim
Haushaltssektor an. Die Konsumgüter gehen weiter an die Haushalte, aber die Investitionsgüter
verbleiben im Unternehmenssektor.
Nach wie vor fließt der gesamte in der Produktion entstandene Wert in Form von Lohn- und
Gewinneinkommen an die Haushalte (denn es gilt ja immer noch: die Unternehmen gehören den
Haushalten). Aber die Haushalte geben nicht mehr ihr gesamtes Einkommen aus, sie können einen
Teil davon sparen.
Diese Modifikation hat zwei Aspekte. Den ersten behandelt dieses Kapitel. Der zweite markiert
den Bruch zwischen Keynes und der Neoklassik. Auf ihn gehe ich zu Beginn des Makroökonomie
Teils, im nächsten Kapitel, ein.
Daher zunächst zum ersten Aspekt: dem notwendigen Zusammenhang von S und I
Die Haushalte sparen - und sie stellen diese Ersparnis - vermittelt über das Finanzsystem - dem
Unternehmenssektor in Form von Eigenkapital (z.B. durch neue Aktien) oder Fremdkapital zur
Verfügung. Ersparnis, also eine Änderung des Nettovermögens des Haushaltssektors, ist jedoch nur
1 http://iiso-web.fb7.uni-bremen.de/verschiedenes/witziges.html
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6 Faktormärkte
Karl Betz
möglich, wenn die Unternehmen investieren. Denn nur Sachvermögen ist Reinvermögen: Forderungen und Verbindlichkeiten saldieren sich demgegenüber gegeneinander auf – und Geldvermögen ist
immer eine Forderung (vgl. Kapitel 8: Geld). Die realisierte Ersparnis und die realisierten
Investitionen müssen daher immer gleich sein – das sagt die Saldenmechanik.2
Und umgekehrt: Wenn die Unternehmen investieren, behalten sie einen Teil der neu erstellten
Güter und Dienstleistungen im Unternehmenssektor. Dieser Teil der Produktion kann von den
Haushalten nicht konsumiert werden, ihm muß also eine Reduktion des Konsums der Haushalte
gegenüberstehen.
Abb. 6.1: Erweitertes Kreislaufdiagramm: Sparen und Investieren
Das Problem ist aber nun, daß die Spar- und Investitionsentscheidungen unabhängig voneinander
getroffen werden. Über die Ersparnis entscheiden die Haushalte und über die Investitionen
entscheiden die Unternehmen. Deswegen die beiden getrennten Kästchen in der Mitte der Grafik.
Was aber stellt sicher, daß die beiden Kästen immer gleich groß sind? 3 Was bringt die Unternehmen
dazu, ausgerechnet dann mehr investieren zu wollen, wenn die Haushalte weniger von ihnen kaufen
wollen (denn wenn die Haushalte mehr sparen, geben sie ja weniger für den Kauf von
Konsumgütern aus)?
2 Geldvermögen (eine Forderung) ist nur dann Reinvermögen, wenn Sie die Bilanz ausblenden, in der die
Gegenbuchung (die Verbindlichkeit) erscheint. Fassen Sie die beiden Bilanzen zusammen (aggregieren Sie sie),
dann rechnen sie sich gegeneinander auf, saldieren sich zu Null. Die Staatsschulden sind z.B. Reinvermögen (des
Haushaltssektors), so lange man den Staat nicht im Modell hat. Ob das aber sehr klug ist, ist eine andere Frage:
Letztlich zahlen die Haushalte die Zinsen an sich selbst (weil der Staat die Zinsen aus dem Steueraufkommen zahlt).
Für die Volkswirtschaft (ohne Ausland) kürzt sich die Staatsverschuldung wieder heraus: Die Staatsbonds der
Privaten sind gleich den Verbindlichkeiten des Staats, also ist das Nettogeldvermögen wieder Null. Die
Volkswirtschaft als Ganzes kann dann höchstens noch Forderungen gegen das Ausland haben (Vermögen gleich
Sachvermögen plus Nettoauslandsforderungen). Aber für die Weltwirtschaft als Ganzes kürzt sich das dann wieder
raus.
3 Tatsächlich sind sie nicht immer gleich groß - Märkte können ja im Ungleichgewicht sein, Pläne können nicht
aufgehen. Angenommen, die Haushalte wollen sparen und die Unternehmen investieren nicht. Dann mißlingt der
Versuch der Haushalte, zu sparen. Einige Haushalte werden zwar Geldvermögen aufbauen, aber die Haushalte,
denen die Unternehmen gehören, stellen dann fest, daß ihre Firmen Verlust gemacht haben. Das Vermögen ist dann
nicht gestiegen, sondern wurde im Haushaltssektor nur umverteilt (vgl. Kapitel 8).
Einführung in die VWL
6 Faktormärkte
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Hierauf gibt es zwei radikal unterschiedliche Antworten. Die erste verfolge ich hier weiter: Die
Koordination der Pläne besorgt der Preismechanismus (über den Realzinssatz). Die zweite kommt
in den folgenden Kapiteln bei Keynes.
Zu koordinieren ist nach der Grafik jedenfalls zweierlei:
•
Das Sparangebot der Haushalte und die Nachfrage der Unternehmen nach Kapitalgütern.
Dies geschieht am Kapitalmarkt.
•
Das Arbeitsangebot der Haushalte und die Arbeitsnachfrage der Unternehmen. Dies
besorgt der der Arbeitsmarkt.
Irgendwie können diese beiden Märkte aber nicht unabhängig voneinander sein: Oben wurde
gezeigt, daß die Unternehmen das die Kosten minimierende Faktoreinsatzverhältnis wählen. Sie
entscheiden also über ihre Kapital- und Arbeitsnachfrage gleichzeitig. Kapital- und Arbeitsmarkt
müssen folglich irgendwie gleichzeitig diskutiert werden.
Den Zusammenhang zwischen den beiden Märkten bildet dann die Faktornachfrage der
Unternehmen. Deswegen werde ich zunächst die beiden Angebotsfunktionen basteln und dann auf
den Zusammenhang der Märkte eingehen.
6.1 Das Faktorangebot
Wie das Kreislaufdiagramm ausweist, haben wir uns mit zwei Gruppen von Faktorangeboten
herumzuschlagen: Dem Arbeits- und dem Sparangebot der Haushalte. Nehmen wir uns diese der
Reihen nach zur Brust.
6.1.1 Das Kapitalangebot der Haushalte
Nanu? Oben wurde doch gesagt, hier solle es um Sparen gehen? Tuts auch, indirekt:
Einzelwirtschaftlich wie gesamtwirtschaftlich erhöht man sein Vermögen, in dem man weniger als
sein Einkommen ausgibt (spart) und baut es ab, indem man mehr ausgibt als man einnimmt
(entspart). Sparen ist also die Änderung des Vermögens in einer Periode, die Differenz zwischen
laufenden Einnahmen und Ausgaben eines Haushaltes. Gebe ich weniger aus als ich einnehme, so
spare ich, gebe ich mehr aus als ich einnehme, so entspare ich, baue ich Vermögen ab.
Nun dürften Sie aus Erfahrung wissen, daß ein einzelner Haushalt durchaus entsparen kann – am
Ende einer Periode weniger Vermögen haben kann als zu Beginn.
Geht das auch für die Volkswirtschaft als ganze? Die Antwort lautet ausnahmsweise: Ja.
Kapitalgüter verschleißen mit der Zeit – teils physisch (sie nutzen sich ab oder gehen kaputt), teils
moralisch (sie veralten). Um dies zu berücksichtigen, setzt die Buchhaltung Abschreibungen an und
dies tut die VWL auch – wenn auch nicht in der gleichen Höhe, weil die buchhalterischen
Abschreibungen ja steuerlichen Überlegungen geschuldet sind. Abschreibungen fallen also mit der
Produktion an, weil in der Produktion ein Teil der Produktionsmittel verbraucht wird.
Die Gesellschaft muß daher Jahr für Jahr einen Teil der neu erzeugten Produkte als Ersatz für die
verschlissenen Produktionsmittel abzweigen, um den Kapitalbestand – und damit den Sachvermögensbestand - aufrecht zu erhalten.
Wie Sie Abb. 6.2 entnehmen können, sind etwa 15% der jährlich neu erzeugten Güter und
Dienstleistungen (des BIP) erforderlich, um abgeschriebenes Sachvermögen zu ersetzen (hellgraue
Linie). Die Nettoinvestitionen, also der jährliche Zuwachs an Sachvermögen, betragen etwas unter
5 % des BIP. (Schwarze Linie. Der gesamte Vermögenszuwachs ist höher, weil die BRD
Exportüberschüsse aufweist und daher auch noch Forderungen gegen das Ausland aufbaut.) Die
S. 92
6 Faktormärkte
Karl Betz
höheren Werte der Nettoinvestitionen zu Beginn der Neunziger sind Folge des Beitritts der DDR
zum Bundesgebiet, der öffentliche Investitionen auslöste.
Abb. 6.2: Höhe der Brutto- und Nettoinvestitionen als Anteil am BIP der BRD
30.00%
25.00%
20.00%
15.00%
10.00%
5.00%
0.00%
1990
1992
1994
1996
Brutto Inv
1998
2000
2002
Abschreibungen
2004
2006
2008
2010
Netto Inv.
Quelle: SVR; Eigene Berechnungen
Noch eine kleine Überschlagsrechnung, um die Dimensionen richtig in den Kopf zu kriegen: Das
Sachvermögen in der BRD liegt bei rund 8 Billionen € (Statistisches Bundesamt, Vermögensrechnung), das BIP bei rund 2,5 Billionen. Das Sachvermögen ist also ungefähr 3,25 mal so hoch
wie das BIP. Folglich bedeuten die Abschreibungen, daß etwas weniger als 5% des Sachvermögens
jährlich aus den neu erstellten Gütern und Dienstleistungen ersetzt werden müssen und die Höhe der
Nettoinvestitionen besagt, daß der Bestand mit etwa 1% bis 1,5% pro Jahr wächst.
Nehmen Sie nun an, alle Haushalte wollen ihr gesamtes Lohn- und Gewinneinkommen
verknuspern. Ferner unterstelle ich Gleichgewicht, d.h. die Unternehmen planen dementsprechend,
nicht mehr zu investieren. Dann steigt die Nachfrage nach Konsumgütern – und deswegen deren
Preise – und es fällt die Nachfrage nach Kapitalgütern auf Null. Entsprechend wird die Produktion
von Kapitalgütern eingestellt und die bisher in dieser Produktion eingesetzten Ressourcen werden
für die Produktion von Konsumgütern eingesetzt. Damit aber nimmt der Kapitalbestand Jahr für
Jahr um die Abschreibungen ab.
Anstatt von gewünschter Ersparnis zu sprechen (die größer oder kleiner als Null sein kann und
deswegen wieder eine Fallunterscheidung verlangen würde), ist es deswegen geschickter, vom
gewünschten Vermögen (V) zu sprechen um sich Fallunterscheidungen (positive und negative
Ersparnis, Abschreibungen als Untergrenze für negative Ersparnis) zu ersparen.
Einführung in die VWL
6 Faktormärkte
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Kapitalumbewertung und -vernichtung: Der Wohnungsleerstand in den USA
Wie Ihnen aus dem letzten Börsencrash4 noch in Erinnerung sein könnte, gibt es auch noch
andere Möglichkeiten, sein Vermögen los zu werden - aber dabei ändert sich nicht notwendigerweise das gesamtwirtschaftliche Vermögen:
Nach einem Absturz der Aktienkurse ist das Sachvermögen ja noch da. Es ändert sich nur die
Bewertung des Vermögens. Und es gehört jetzt im Zweifelsfall jemand anderem: Vermögen wird
umverteilt.
Nehmen Sie an, Sie haben Ihr Haus mit einer variabel verzinslichen Hypothek gekauft und
jetzt steigen, in Folge der Subprime Krise, die Hypothekenzinsen, weil die Banken das Risiko
höher einschätzen. Sie können die Raten der Hypothek nicht mehr zahlen und werden gepfändet.
Sie verlieren Ihr Haus - aber es ist ja nicht weg, es gehört jetzt nur jemand anderem (der Bank).
Etwas anderes ist es allerdings, wenn, wie in Folge der Hauspreiskrise in den USA,
massenhaft Häuser abgerissen werden müssen, nicht, weil sie baufällig wären, sondern weil leer
stehende Häuser kosten und es keinen Markt gibt, um diese in absehbarer Zeit zu verkaufen.
(Nun könnte man meinen, daß, wenn es gleichzeitig massenhaft Obdachlosigkeit und leer
stehende Häuser gibt, die keiner will, man mit den Häusern auch noch etwas anderes anfangen
können müßte, als sie abreißen - aber so funktioniert Marktwirtschaft nun mal nicht.)
In diesem Fall wird in der Tat Sachvermögen vernichtet. So etwas sehen die Modelle der
VWL nicht vor. Ihnen liegt die Vorstellung von Kapital als einer homogenen Paste, die aus einer
Verwendung abgesaugt und in eine andere hinein gedrückt werden kann, zu Grunde.
Praktisch bedeutet ein abrupter Strukturwandel in der Tat eine Vernichtung von Vermögenswerten, die diese Modelle jedoch nicht vorsehen.
Da nach wie vor gilt, daß das Vermögen einer Volkswirtschaft gleich dem Sachvermögen ist und
ich weiter annehme, daß nur Kapital Sachvermögen ist, ist dieser gewünschte Vermögensbestand
der Haushalte gleich dem Kapital, das sie den Unternehmen zur Verfügung stellen wollen.
Wovon hängt das geplante Vermögen ab? Zumindest vom Einkommen und vom (realen)
Zinssatz.
Einkommen:
Eine positive geplante Ersparnis (S) liegt dann vor, wenn das geplante Vermögen am Ende der
Periode höher ist, als das am Anfang der Periode.
V1gepl = V0 + Sgepl
Die Summe aus Lohn- und Gewinneinkommen sei Y (yield). Das Kreislaufdiagramm sagt nun,
daß die Ersparnis gleich dem Teil meines Einkommens ist, den ich nicht für den Konsum (C consumption) ausgebe. Dann läßt sich die Gleichung auch umschreiben zu:
V1gepl = V0 + Y1gepl - C1gepl
Das (geplante) Einkommen spielt also sicherlich eine Rolle bei der Bestimmung des
Vermögensangebots. Aber: Es ist der Lohn für mein Arbeitsangebot und das Zinseinkommen aus
meinem Kapitalangebot, meinem Vermögen. Da ich immer noch in einem Modell des vollständigen
Wettbewerbs bin, ist das Einkommen gegeben: Der Preismechanismus stellt sicher, daß ich immer
4 Ok, aus dem vorletzten (2008). Den Text hatte ich 2010 geschrieben ...
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6 Faktormärkte
Karl Betz
Vollbeschäftigung habe. Also ist das Einkommen das Vollbeschäftigungseinkommen.5 (Wie Sie sich
vielleicht denken können, werde ich diese Annahme in Zweifel ziehen, wenn ich zu Keynes
komme.)
Zinssatz:
Wenn ich Vermögen halte, statt es auszugeben, wirft es ein Einkommen ab, den Zins. Der Vorteil
von Sparen ist, daß mein Vermögen am Ende der Periode mehr geworden ist, daß ich mir davon
mehr kaufen könnte, als heute. Wichtig ist dabei der letzte Teilsatz: Es interessiert nicht, um wie
viel sich der Geldbetrag auf meinem Kontoauszug geändert hat, sondern es interessiert, wie viel ich
mit diesem Vermögen kaufen könnte. Sprich: Entscheidend ist der reale, nicht der nominale
Zinssatz: Wenn der (nominale) Zinssatz bei 5% liegt, dann werden Sie den für weniger attraktiv
halten, wenn die Inflationsrate bei 20 % liegt, als wenn Sie konstante Preise erwarten.
Im Ansatz von Keynes, auf den ich in den nächsten
Anpassungsprozeß über Veränderungen des Einkommens.
orientierten Modellen, denen dieses Kapitel noch folgt (weil
unterstelle - vollständige Konkurrenz), ist das Einkommen
Realzinssatz - besorgen die Anpassung.
Kapiteln näher eingehe, läuft der
In den neoklassischen, angebotsich immer noch reine Preisanpasser
gegeben und die Preise - hier der
Es wurden gerade zwei Begriffe gebraucht, die noch nicht definiert sind. Lassen Sie mich dies
kurz nachtragen:
Inflationsrate: Die Inflationsrate ist ein Maß dafür, wie stark die Preise im Zeitablauf steigen.
Eine Inflationsrate von 100% (pro Jahr) bedeutet also, daß sich die Preise verdoppelt haben. Und
damit können Sie sich für den gleichen Geldbetrag nur noch halb so viel kaufen, wie vor einem Jahr
bzw. ist das gleiche Geldvermögen nur noch halb so viel wert. Allerdings läuft man hier in ein
(unvermeidbares) Problem: Die Inflationsrate beschreibt die Veränderung des Preisniveaus und das
Preisniveau ist ein Index: Es soll die Entwicklung von hunderttausenden von Einzelpreisen in einer
einzigen Zahl ausdrücken. Das bedingt einen (unvermeidbaren) Informationsverlust. Stiegen alle
Preise um den gleichen Prozentsatz, wäre das kein Problem. Praktisch aber fallen manche Preise
(denken Sie an Rechenleistung), während andere steigen (denken Sie an Konzertkarten). Ob das
ausgewiesene Preisniveau jetzt steigt oder fällt, hängt davon ab, welche Gewichtung Sie den
einzelnen Gütern in Ihrem Index geben – und diese Gewichtung ist, egal wie aufwendig sie
betrieben wird – letztlich willkürlich.6 Der Preisindex, der verfolgt, wie der Preis dieses
Güterkorbes sich über die Jahre entwickelt hat, ist also nur ein grobes Maß für die Entwicklung des
Geldwertes, aber besser kriegt man es nun mal nicht hin.7
5 Ich biete so viel Arbeit an, wie ich beim herrschenden Reallohnsatz möchte und ich biete so viel Kapitaldienste
(Vermögen) an, wie ich beim herrschenden Realzinssatz (und meinem Anfangsvermögen) möchte. Man kann, wenn
man das Produktionspreismodell benutzt, sogar noch einen Schritt weiter gehen: Das Modell liefert für jeden
Realzinssatz zugleich den Reallohnsatz – und alle relativen Preise. Wenn ich also den realen Zinssatz kenne, weiß
ich zugleich, wie hoch der Reallohnsatz ist – und daher weiß ich, wie viel ich arbeiten will. Nehmen Sie jetzt noch
die Modellannahme, daß alle Haushalte Mengenanpasser sind, also davon ausgehen, so viel an Arbeit und Kapitaldiensten absetzen zu können, wie sie (bei den jeweiligen Preisen) wollen, dann wissen Sie, wie hoch das (geplante)
Einkommen aus Löhnen und Kapitaldiensten bei jedem Zinssatz ist – und damit haben Sie alle Informationen, die
Sie brauchen, um das (gewünschte) Vermögen zu bestimmen.
6 Der Preisindex für Lebenshaltung des statistischen Bundesamtes ist die Entwicklung des Preises des Güterkorbs
eines durchschnittlichen Haushalts. Aber erstens ist auch der willkürlich – reden wir über den Güterkorb von diesem
oder von letztem Jahr – und zweitens dürfte es keinen einzigen Haushalt in der BRD geben, der wirklich genau den
durchschnittlichen Güterkorb kauft. (Wie es ja auch die 1,2-Kind-Familie nicht gibt.)
7 Muß ich genau genommen auch in diesem Abschnitt noch gar nicht: Alle Akteure kennen ja qua Modellannahme
(vollständige Information) den gesamten Preisvektor und daher die Entwicklung aller Einzelpreise. Daher könnte
jeder Haushalt sich selbst überlegen, was er für real hält.
Einführung in die VWL
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Nominalzinssatz / Realzinssatz: Den Nominalzinssatz kennen Sie: Das ist das, was ganz unten
auf Ihrem Kontoauszug steht. Nehmen Sie an, der Nominalzinssatz sei 10% und Sie legen 100 € für
ein Jahr an. In einem Jahr haben Sie dann 110 € auf dem Konto. Die Frage ist nur: Können Sie sich
nächstes Jahr mit den 110 € mehr oder weniger kaufen als mit den 100 € heute? Die Antwort ist: Es
kommt darauf an (wie sich die Preise entwickelt haben). Und die Antwort auf diese Frage gibt der
Realzinssatz.
Um die Sache einfach zu halten, unterstelle ich mal, Ihr Güterkorb bestehe aus einer Tafel
Schokolade und, Fall 1, deren Preis sei konstant geblieben (der Preisindex ist also in diesem wie im
nächsten Jahr der gleiche, sage 100) bzw. Fall 2: Der Preis ist um 20% gestiegen. Der Preisindex ist
in diesem Jahr 100 und im nächsten 120 und die Tafel Schokolade kostet nächstes Jahr 1,20€.
Im Fall 1 bekommen Sie dann für Kapital plus Zinsen in einem Jahr 110 Tafeln Schokolade und
110 Tafeln
– 1 = 0,1 = 10 vH .
Ihr Realzinssatz ist :
100 Tafeln
Im Fall 2 bekommen Sie für die 110 € nur noch 91 (2/3) Tafeln. Ihr Realzinssatz ist also negativ:
- 8(1/3)%.
Bei niedrigen Inflationsraten und Zinssätzen kann man näherungsweise8 sagen:
Realzinssatz = Nominalzinssatz minus Inflationsrate: r = i – π
Also: Im Modell des vollständigen Wettbewerbs ist das (geplante) Einkommen gegeben. (Es ist
gleich dem Einkommen bei Vollbeschäftigung.) Damit ist der reale Zinssatz die einzige
Einflußgröße für die Höhe des gewünschten Vermögens. Damit ist schon mal die Preisachse des
Diagramms geklärt - dort wird r stehen. Blöder Weise hilft diese Information aber nicht wirklich
weiter, was die Angebotsfunktion für Vermögen (oder, als Änderungsgröße: die geplante Ersparnis)
betrifft.
Argument 1: Je höher der Realzins, desto mehr Konsum kann ich mir in der Zukunft leisten,
wenn ich mich heute einschränke. Das klingt plausibel und würde heißen: Je höher der Zinssatz,
desto mehr Vermögen möchte ich. Die Kurve verläuft steigend.
Argument 2: Was aber, wenn Sie ein konkretes Sparziel haben? Als ich zur Schule ging, waren
wir uns in der Klasse weitgehend einig: Wir arbeiten bis 40, dann haben wir genug Vermögen, um
uns auf eine Südseeinsel zurück zu ziehen. Wenn Sie so ein Sparziel haben (oder für Ihre Rente
sparen) dann können Sie umso früher (bei einem umso geringeren Vermögen) aufhören zu sparen,
je höher der Zinssatz ist. Die Kurve würde fallend verlaufen.
Praktisch wird einfach unterstellt, daß die Angebotskurve steigend verläuft, allgemein herleiten
läßt es sich aber nicht.
So. Hier könnte ich jetzt aufhören und die Vermögens- (Kapital-)angebotskurve zeichnen. Aber
mit Hilfe des Produktionspreismodells läßt sich noch eine weitere Information heraus kitzeln:
Wenn ich Kapital in der Produktion einsetzen will, brauche ich ja auch Arbeit. Wenn die
Produktionspreisgleichung
k · (1+r) + a · w/p = 1
lautet, dann brauche ich pro eingesetzter Einheit Kapital a/k Arbeiter. Kenne ich also den
8 Im Beispiel sind die Werte für i und π allerdings schon so hoch, daß man sich ein ganzes Stück von der Faustformel
entfernt. Wer es gerne exakter haben möchte, den verweise ich auf Anhang 1 zu diesem Kapitel.
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6 Faktormärkte
Karl Betz
gewünschten Vermögens- (=Kapital-)bestand, dann kenne ich zugleich den dafür erforderlichen
Arbeitseinsatz – oder: die Arbeitsnachfrage bei diesem Realzinssatz. Diese muß sein:
ANE = a/k(r) · K(r)
Abb. 6.3: Realzinssatz, Kapitalangebot und Arbeitsnachfrage
Und damit ist schon mal nicht nur das gewünschte Vermögen bestimmt, sondern auch gleich die
dafür erforderliche Arbeit – also die Arbeitsnachfrage – in Abhängigkeit vom Realzinssatz.9
9 Nun ist zugegebener Maßen ANE (K(1+r)) mit ziemlicher Sicherheit keine Gerade – die Technikwahl hängt ja von r
ab und damit verändert sich auch a/k und nicht nur K, wenn sich r ändert. Das ist aber deswegen mathematisch kein
Problem, weil das r, für das ich K bestimme und das r, für das ich das jeweilige (a/k) bestimme, ja das gleiche ist.
Die beiden Werte können also simultan berechnet werden:
ANE = K(1+r) · (a/k)(1+r)
Ein härterer Einwand ist, daß das oben angesprochene reswitching auch noch nicht vom Tisch ist: a/k könnte
zeitweilig fallen, wenn r steigt und damit die Wirkung des höheren Kapitaleinsatzes auf die Arbeitsnachfrage
zeitweilig dämpfen oder umkehren. Aber immerhin ist der eine Effekt – qua Annahme – eindeutig (K steigt mit
Einführung in die VWL
6 Faktormärkte
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Bei einem hohen Realzinssatz (r2) bieten die Haushalt viel Vermögen = viele Kapitaldienste an.
Für viel Kapital (K2) braucht man aber auch viele Arbeitseinheiten: ANE2 = (a/k) · K2. Umgekehrt
wird bei einem niedrigen Zinsniveau nur wenig Kapital angeboten, und daher auch nur wenig
Arbeit gebraucht. Die Entscheidung der Haushalte, wie viel Vermögen sie halten wollen, liefert
also nicht nur die Kapitalangebots- sondern zugleich auch die Arbeitsnachfragefunktion. Wobei die
Arbeitsnachfragefunktion hier vom Realzinssatz (r) abhängt:
Abb. 6.4: Arbeitsnachfrage und Zins
6.1.2 Das Arbeitsangebot der Haushalte (AAT)
Das Arbeitsangebot der Haushalte läßt sich etwas kürzer abhandeln. Das ärgerliche an der Arbeit
besteht darin, daß man mit seiner Zeit auch etwas vernünftiges anfangen könnte - oder, auf
ökonomisch: Die Opportunitätskosten der Arbeit bestehen in der entgangenen Freizeit. Der Vorteil
von Arbeit besteht darin, daß man ein Einkommen erzielt, den Lohn, und sich damit Konsumgüter
leisten oder sein Vermögen erhöhen kann. Kriterium muß dabei wieder sein, was man sich von
seinem Lohn kaufen kann. Wichtig ist also der Reallohnsatz, also Reallohn pro Zeiteinheit. Dieser
steht auf der Preisachse. Auf der Mengenachse steht die angebotene Menge an Arbeitsleistung,
gemessen in Stunden. Dabei hat man die Wahl, entweder für jede Art von Arbeit einen eigenen
Markt auf zumachen, oder so zu tun, als seien alle Arbeitsangebote identisch, als hätten man es mit
homogener Arbeit zu tun. Ich verfolge hier den zweiten Weg.
Um es kurz zu machen: Auch hier wird unterstellt, daß die Arbeitsangebotskurve normal verläuft
- obwohl man sich andere Verläufe durchaus vorstellen kann (vgl. Anhang 2). Wenn der
steigendem r), während der andere zeitweilig in die eine und zeitweilig in die andere Richtung gehen kann. In der
Tendenz sollte sich daher der eindeutige Effekt durchsetzen: Ein höheres r bedeutet einen höheren gewünschten
Kapitalbestand und ein höherer Kapitalbestand eine höhere Arbeitsnachfrage.
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6 Faktormärkte
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Grenznutzen von Freizeit abnimmt (Ja, das war Kapitel 1, Gossensche Gesetze, aber deswegen
wurden sie vorne ja eingeführt: weil ich sie immer wieder brauche.), dann steigen meine
Opportunitätskosten pro Zeiteinheit, je länger ich arbeite. Ich habe dann ja immer weniger Freizeit
und je weniger ich habe, desto höher ist der Grenznutzen der letzten Einheit, auf die ich verzichten
müßte, wenn ich eine Stunde länger arbeiten soll. Nach dieser Logik wird also nur dann mehr
Arbeit angeboten werden, wenn höhere Reallohnsätze gezahlt werden.
Abb. 6.5: Arbeitsangebot, freiwillige und unfreiwillige Arbeitslosigkeit
In der Grafik sind zwei Geraden eingezeichnet. Zum einen das maximal mögliche Arbeitsvolumen (AMAX): Wie viel Arbeit würde geleistet, wenn die gesamte arbeitsfähige Bevölkerung so
lange arbeiten würde, wie sie physisch könnte. Zum andern die Arbeitsangebotskurve selbst: Die
Arbeitsangebotskurve gibt das Arbeitsangebot der Haushalte in Abhängigkeit vom Reallohnsatz
wieder. Punkte rechts von der Arbeitsangebotskurve bedeuten, daß die Haushalte zwar länger
arbeiten könnten, dies beim herrschenden Lohnsatz aber nicht wollen, weil ihnen ihre Freizeit mehr
wert ist. Rechts von der Arbeitsangebotskurve herrscht also freiwillige Arbeitslosigkeit. Die Punkte
auf der Arbeitsangebotskurve sind die Mengen an Arbeitsleistung, die die Haushalte gerne
verkaufen möchten. Liegt die tatsächliche Beschäftigung also links der Kurve, so arbeiten sie
weniger als sie gerne würden. Sie sind unfreiwillig arbeitslos oder unterbeschäftigt. (Um die
späteren Grafiken nicht zu überfrachten, werde ich AMAX dort nicht weiter einzeichnen.)
Freiwillige und unfreiwillige Arbeitslosigkeit
Um den abstrakten Begriffen eine ungefähre Größenordnung zu geben:
In der Bundesrepublik leben etwas über 82 Millionen Menschen. Davon sind rund 53
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Millionen im arbeitsfähigen Alter (zwischen 15 und 65) (Statistisches Bundesamt).
Angenommen, diese können maximal bis zu 50 Stunden pro Woche an 50 Wochen im Jahr
arbeiten (Urlaub ist ja auch eine Wahl von Freizeit statt Arbeitseinkommen). Dann beträgt die
maximale jährliche Arbeitsleistung (also das A MAX aus Abb. 6.5) 132 Mrd. Stunden. Die
Beschäftigung lag demgegenüber bei rund 40 Millionen Menschen, die teils Vollzeit, teils
Teilzeit gearbeitet haben. Das von diesen im Jahr 2009 geleistete Arbeitsvolumen, die Summe
aller geleisteten Arbeitsstunden von abhängig Beschäftigten und Selbstständigen, betrug 56 Mrd.
Stunden. (BA; Arbeitsmarktreport 2009, S. 14).
Beschäftigt wird nach dieser Rechnung also nur gut 40 % des maximalen Arbeitspotentials.
Wer nicht oder weniger als 50 h pro Woche arbeitet, tut dies entweder freiwillig - z.B. weil sie
lieber weiter zur Schule geht oder studiert (aber Achtung: ihr Nebenjob, auch als SHK, ihr
Ferienjob und ihr Praktikum sind im Arbeitsvolumen enthalten), weil er in Erziehungsurlaub ist
oder mehr Freizeit will, als eine 50 h Woche ihm lassen würde.
Oder sie ist unfreiwillig arbeitslos - entweder nur auf einer Teilzeitstelle, obwohl sie beim
herrschenden Lohnsatz länger arbeiten möchte, oder eben überhaupt nicht beschäftigt.
Das Problem an der Sache ist nun, daß Sie Menschen nicht in den Kopf sehen können: Wie
viele dieser Stunden freiwillig nicht geleistet werden und wie viele der Stunden nicht geleistet
werden, weil die Arbeitsanbieterinnen keinen Abnehmer finden, läßt sich nicht sicher sagen. Wer
ein neoklassisches Arbeitsmarkt Modell, wie es in diesem Kapitel entwickelt wird, im Kopf hat,
wird dazu tendieren, die Arbeitsangebotsfunktion relativ nahe an der realisierten Beschäftigung
verlaufen zu lassen - und Zahlen sind geduldig, wie Sie ausführlicher im Kapitel 11 sehen
werden, das etwas genauer auf Arbeitsmarkt und Beschäftigung eingeht.
Liefert die Arbeitsnachfragefunktion noch etwas mehr an Informationen?
Nun, es gilt das umgekehrte wie beim Kapitalangebot:
Wenn man den Realzins kennt, kennt man das Kapitalangebot - und dieses mal a/k liefert die
Arbeitsnachfrage.
Und wenn man den Reallohnsatz kennt, kennen man das Arbeitsangebot - und dieses mal k/a
liefert die Menge an Kapital, die erforderlich wäre, um diese Menge an Arbeit zu beschäftigen.
Das Arbeitsangebot hat sein Spiegelbild also in einer Kapitalnachfragefunktion: Ist der
Reallohnsatz hoch, wollen viele Menschen arbeiten - und um viele Arbeitseinheiten zu
beschäftigen, benötige ich viel Kapital. Die Nachfrage nach Kapital steigt daher mit steigendem
Reallohnsatz.
6.2 Gleichgewicht der Faktormärkte
Klasse - jetzt hängt das Arbeitsangebot vom Reallohnsatz ab und die Arbeitsnachfrage vom
Realzinssatz. Und das Kapitalangebot hängt vom Realzinssatz ab, während die Kapitalnachfrage
vom Reallohnsatz abhängt.
Wie soll man das je in ein Grafik bringen? Nun ja, man bräuchte halt etwas, das es erlaubt, den
Reallohnsatz in einen zugehörigen Realzinssatz zu übersetzen und umgekehrt. Praktischer Weise
wurde dieses Etwas gerade erst im letzten Kapitel gebastelt: Die Faktorpreisgrenze fpf.
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Die fpf beschreibt, wie dort gezeigt, einen Zusammenhang zwischen Reallohnsatz und Profitrate
- kenne ich die eine Größe, dann folgt die andere. Nun sind aber die Kosten für Kapital nichts
anderes als die Profitrate: Aus Sicht des Haushalts ist sein Gewinneinkommen der Realzins auf das
von ihm zur Verfügung gestellte Kapital und aus Sicht des Unternehmens ist der Überschuß über
die Lohnkosten, mit dem es die Kapitaldienste entlohnt, also seine Profitrate.
Zugegeben: Die Profitrate auf Eigenkapital ist in der Regel höher als die auf Fremdkapital deswegen produziert Fremdkapital ja den Leverage-Effekt (und unter anderem: die Finanzkrisen),
auf den im Geldkapitel (Kapitel 8) noch zu einzugehen sein wird. Aber dies liegt an einer
Überlegung, die noch nicht im Modell ist: Eigenkapital dient als Sicherheit für Fremdkapital und
die höhere Rendite kann als Entschädigung für diese Risikoübernahme interpretiert werden.
Hier aber argumentiere ich nach wie vor unter der Annahme, daß alle Verträge auch erfüllt (und
daher alle Kredite auch bedient) werden. Das Risiko eines Kreditausfalls besteht also - vorläufig annahmegemäß nicht. Würde diese Annahme fallen gelassen, müßte ich die gleichgewichtige
Profitrate halt als Funktion des Realzinssatzes ausdrücken. Trotzdem wären die beiden Größen
immer noch durcheinander bestimmt.
Ok. Wenn also die fpf die Profitrate (= den Realzinssatz) in den Reallohnsatz übersetzt und
umgekehrt, dann läßt sich die Nachfragekurve nach Arbeit leicht vom Realzinssatz zum
Reallohnsatz hin übersetzen und die Nachfragekurve nach Kapital vom Reallohnsatz in den
Realzinssatz.
Das nachstehende Diagramm 6.6 konstruiert diesen Zusammenhang von Arbeits- und
Kapitalmarkt. Beim Nachvollziehen der Grafik müssen Sie übrigens daran denken, daß alle Achsen
vom Ursprung weg steigende Werte aufweisen.
Kapitalangebot und Arbeitsnachfrage (konstruiert mit den durchgezogenen Pfeilen):
Starten Sie zunächst bei einem hohen Realzinssatz. Ein hoher Realzinssatz bedeutet ein hohes
Kapitalangebot (Kapitalmarktdiagramm, Erster Quadrant). Für ein hohes Kapitalangebot brauche
ich aber viel Arbeit (Q II). Und ein hoher Realzinssatz bedeutet zugleich einen niedrigen
Reallohnsatz (fpf; Q IV). Also bedeutet ein niedriger Reallohnsatz eine hohe Arbeitsnachfrage
(Arbeitsmarktdiagramm; Q III).
Start bei einem niedrigen Realzinssatz: Ein niedriger Realzinssatz bedeutet ein geringes
Kapitalangebot (Q I). Folglich brauche ich wenig Arbeit (QII). Ein niedriger Realzinssatz bedeutet
zugleich hohe Reallohnsätze (fpf; Q IV). Also bedeutet ein hoher Reallohnsatz eine geringe
Arbeitsnachfrage (Q III).
Da ich alle Funktionen als linear unterstellt habe, ergibt sich die (graue) Arbeitsnachfragefunktion durch die Verbindung der beiden Punkte.
Nun zu Arbeitsangebot und Kapitalnachfrage (gepunktete Pfeile):
Ein hoher Reallohnsatz bedeutet ein hohes Arbeitsangebot (Arbeitsmarkt; Q III). Also bräuchte
ich viel Kapital (Q II). Zugleich bedeutet ein hoher Reallohnsatz aber eine niedrige Profitrate (fpf;
Q IV). Also bedeutet eine niedrige Profitrate eine hohe Kapitalnachfrage (Kapitalmarkt; Q I).
Ein niedriger Reallohnsatz bedeutet eine geringes Arbeitsangebot (Q III). Für einen geringen
Arbeitseinsatz brauche ich aber wenig Kapital (Q II). Zugleich bedeutet ein niedriger Reallohnsatz
eine hohe Profitrate (fpf; Q IV). Also geht ein hoher Realzinssatz mit einer geringen
Kapitalnachfrage einher (Q I).
Erneut: Verbindet man die beiden so konstruierten Punkte ergibt sich die Kapitalnachfragekurve.
Einführung in die VWL
6 Faktormärkte
S. 101
Abb. 6.6: Simultanes Gleichgewicht von Arbeits- und Kapitalmarkt
Wie Sie sehen können, sind bei A*, (w/p)*, K* und r* beide Märkte, Arbeits- und Kapitalmarkt,
gleichzeitig im Gleichgewicht.
Das gleiche nochmal algebraisch statt graphisch.
Gegeben seien:
Eine Kapitalangebotsfunktion: KAT = 4 · (1+r)
Eine Arbeitsangebotsfunktion: AAT = 10 · (w/p)
Und eine Technik: 0,2 · (1+r) + 0,4 (w/p) = 1; also k = 0,2 und a = 0,4
Man kann jetzt entweder aus der Arbeitsangebotsfunktion eine Kapitalnachfragefunktion
machen, oder umgekehrt aus der Kapitalangebotsfunktion eine Arbeitsnachfragefunktion. Ich
entscheide mich hier mal für den zweiten Weg und berechne zuerst das Arbeitsmarktgleichgewicht.
Das heißt, ich muß zuerst die Arbeitsnachfrage aus dem Kapitalangebot herleiten.
S. 102
6 Faktormärkte
Karl Betz
Die Produktionsfunktion sagt mir, daß ich für 0,2 Einheiten Kapital 0,4 Einheiten Arbeit brauche
(also doppelt so viel Arbeit wie Kapital einsetzen muß):
ANE = (a/k) · KAT = 2 · 4 · (1+r) = 8 · (1+r)
Jetzt muß das 1+r in der ANE durch w/p ersetzt werden. Die fpf liefert diesen Zusammenhang,
also erstmal aus der Produktionspreisgleichung die fpf aufstellen:
0,2 · (1+r) = 1 - 0,4 (w/p) ==> (1+r) = 5 - 2 · (w/p)
Jetzt dies für 1+r in der ANE einsetzen, dann ergibt sich die Arbeitsnachfrage in Abhängigkeit von
Reallohnsatz:
ANE = 8 · [5 - 2 · (w/p)] = 40 - 16 · (w/p)
Die Arbeitsangebotsfunktion war ja vorgegeben, also läßt sich das Gleichgewicht errechnen wie bei jedem Marktgleichgewicht müssen beim Gleichgewichtslohnsatz Angebot und Nachfrage
gleich sein. Also:
Gleichgewichtsbedingung: A*: AAT != ANE
10 · (w/p)* = 40 - 16 (w/p)*
(w/p)* = 40/26
Eingesetzt ergibt sich
A* = 400/26 ≈ 15,38
K* ≈ 7,69
und 1 + r* ≈ 1,92
Und noch etwas kann man ablesen: Wenn 0,4 Arbeitseinheiten eine Einheit Output erzeugen, dann
müssen 15,38 Arbeitseinheiten 38,46 Einheiten Output herstellen.
Wie hoch ist r? Eine Überschlagsrechnung
Im Text wird mit unrealistisch hohen Profitraten gerechnet. Wie hoch ist r wohl in der Praxis?
Die Profitrate ist der Gewinn bezogen auf das eingesetzte Kapital. Für einen ersten groben
Zugang könnte man also schätzen: Profitrate = Unternehmensgewinne / Kapitalbestand.
Wie oben gesagt, liegt der Sachvermögensbestand (bewertet zu Wiederbeschaffungspreisen)
in der BRD bei rund 8 Bio. Bereinigt um Abschreibungen (BIP - Abschreibungen =
Nettonationaleinkommen) lag das Einkommen 2010 bei 2,18 Bio. und die Unternehmens- und
Vermögenseinkommen lagen bei rund 640 Mrd. (destatis).
Eine erste Schätzung könnte also lauten:
r = 0,64/8 ≈ 8%.
Allerdings muß man bei der Geschichte zweierlei bedenken:
Erstens ist im Unternehmenseinkommen auch der Lohn für Unternehmertätigkeit enthalten.
Der Sachverständigenrat für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung berechnet daher eine
bereinigte Gewinnquote, für die er (kalkulatorische) Löhne für Unternehmer und mithelfende
Familienangehörige von den Gewinnen abzieht. Er landet dann bei ungefähr einer halb so hohen
Gewinnquote - was bedeuten würde, daß auch r nur halb so hoch wäre, also bei rund 4% läge.
Andererseits ist im Sachvermögensbestand auch das Private Wohneigentum enthalten - und
die (kalkulatorischen) Erträge aus selbst genutztem Wohnraum, liegen drastisch niedriger als die
Einführung in die VWL
6 Faktormärkte
S. 103
Unternehmensrenditen. Der Anteil von Wohnbauten liegt bei etwas über 50% des
Kapitalbestandes. Zieht man diesen vom Schachvermögensbestand ab, um zum eigentlichen
Kapitaleinsatz zu kommen, so steigt das geschätzte r wieder auf eine Größenordnung von 8 %
bis 12 %.
6.3 Das BIP: die angebotsorientierte Sicht
Und mit dieser Feststellung in ich beim Übergang zur Makroökonomie angelangt. Denn das
Volkseinkommen, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) oder auch Y (yield) ist ja nichts anderes als der
Output der Produktion. Sie erinnern sich noch an die Produktionsfunktion aus dem vorletzten
Kapitel, die den Output als Funktion der Faktoreinsatzmengen beschreibt? Nun, das
Arbeitsmarktgleichgewicht liefert die Faktoreinsatzmengen - und die Faktoreinsatzmengen
eingesetzt in die Produktionsfunktion liefern den Output bzw. das BIP. Oben waren das 38,46
Einheiten.
Abb. 6.7: Arbeitsmarktgleichgewicht und Volkseinkommen
S. 104
6 Faktormärkte
Karl Betz
Graphisch läßt sich der Zusammenhang ganz einfach abbilden (Abb. 6.7): Das
Arbeitsmarktgleichgewicht ergibt die Beschäftigung und diese eingesetzt in die Produktionsfunktion liefert das Einkommen.
Das Gleichgewicht ist angebotsorientiert, denn über die Frage, ob die so hergestellten Güter auch
verkauft werden können, müssen wir nicht weiter nachdenken: Das Kapitalmarktgleichgewicht
stellt ja sicher, daß alles Einkommen, das nicht konsumiert werden soll, als Kapitalinput in der
Produktion Verwendung findet. Alles was an Konsumnachfrage der Haushalte fehlt, wird also durch
die Investitionsnachfrage der Unternehmen wett gemacht.
Vielleicht noch ein kleiner formaler Hinweis: Zwar liefert das Arbeitsmarktgleichgewicht nur
A*. Und die Produktionsfunktion ist doch darüber definiert, daß ich alle Faktoren variiere und nicht
nur einen? Sprich: Auf der Abszisse der Produktionsfunktion stehen doch Inputbündel und nicht nur
Arbeit? Schon richtig. Aber es wurde ja ein simultanes Arbeitsmarkt- und Kapitalmarktgleichgewicht abgeleitet, K und A wurden also gleichzeitig variiert. Liest man am Arbeitsmarkt also
ein doppelt so hohes gleichgewichtiges A* ab, dann impliziert das simultane Arbeits- und Kapitalmarktgleichgewicht, daß zugleich K verdoppelt wurde - falls sich nicht nicht von A* 0 zu A*1 die
eingesetzte Technik verändert hat.
Der einzige Punkt, in dem der Einwand zutrifft, ist also, daß unterwegs die Technik gewechselt
haben könnte, weil unterschiedliche A* ja mit unterschiedlichen r* zusammen gehören. Nun ja:
Auch hier, wie schon im vorangegangenen Abschnitt, kann ich die Tatsache ausnutzen, daß sich die
Technik, also a/k, in Abhängigkeit von r* bestimmt . Also auch hier gilt: Die Informationen, reichen
völlig, um Y zu auszurechnen - nur die grafische Darstellung ist eine Vereinfachung, die darüber
hinweg sieht, daß unterschiedlichen A* unterschiedliche Produktionsfunktionen zugeordnet sein
könnten.
Fragen zum sechsten Kapitel
Verständnisfragen
1)
Warum müssen Ersparnis und Investition für die Ökonomie als ganze immer gleich sein?
2)
Der Zinssatz liege bei 4%, die Inflationsrate sei 8%. Wie hoch ist der Realzinssatz?
3)
In der Produktion einer Einheit Output werden 0,2 Einheiten Kapital und 0,5 Einheiten Arbeit
eingesetzt. Angenommen der Kapitaleinsatz ist 10. Wie viel Arbeit wird nachgefragt?
4)
Wird bei einem hohen Realzinssatz viel oder wenig Arbeit nachgefragt? Diskutieren Sie die
Frage verbal und graphisch.
5)
Bedeutet ein hoher Realzinssatz einen hohen oder einen niedrigen Reallohnsatz? Warum?
6)
Wird bei einem hohen Reallohnsatz viel oder wenig Arbeit angeboten?
Einführung in die VWL
6 Faktormärkte
S. 105
7)
Wie verändert sich das Arbeitsangebot, wenn der Realzinssatz sich ändert?
8)
Wie verändert sich das Kapitalangebot, wenn der Reallohnsatz sich ändert?
9)
Eine Arbeit wird abgelehnt, weil man bei diesem niedrigen Lohn auch gleich Hartz IV beziehen
kann. Ist die so entstehende Arbeitslosigkeit freiwillig oder unfreiwillig?
Anwendungen
Für alle Fragen (1) – (6) gilt:
Gegeben sei eine Technik: 0,2 Kaninchen + 0,4 Arbeit ==> 1 K
und ein Anfangsbestand von: xo = 20 Kaninchen
1)
Bitte bestimmen Sie die Produktionspreisgleichung und die fpf.
2)
Gegeben ist die folgende Kapitalangebotskurve:
KAT = 0,2 · (1+r) · xo
a) Wie hoch ist KAT bei einem (Real)zinssatz r von 100%? Wie hoch bei 200%?
b) Wie hoch ist jeweils
ba) der Reallohnsatz
bb) der erforderliche Einsatz an Arbeit?
3)
Das Arbeitsangebot laute:
AAT = 20 · (w/p)
Nehmen Sie an, der Reallohnsatz betrage 0,5
(a) Wie hoch ist AAT, (1+r)?
Wie viel Kaninchen würden gebraucht?
(b) Nehmen Sie an, der Reallohnsatz betrage 2
Wie hoch ist AAT, (1+r)?
Wie viel Kaninchen würden gebraucht?
4)
(a) Tragen Sie KAT in das Kapitalmarktdiagramm und ANE in das Arbeitsmarktdiagramm ein.
Können Sie ANE algebraisch angeben?
(b) Tragen Sie AAT in das Arbeitsmarkt- und KNE in das Kapitalmarktdiagramm ein.
(c) Bestimmen Sie A*, r*, (w/p)* und K* grafisch und algebraisch.
S. 106
6 Faktormärkte
Karl Betz
5)
(a) Bitte bestimmen Sie, wie hoch der Output mit dem in Frage 4 hergeleiteten Faktoreinsatz ist.
(b) Bitte bestimmen Sie die (Real-)lohnsumme W und die Gewinnsumme Q.
Hinweis:
Die Summe von Löhnen und Gewinnen ist das BIP (Y). Dieses ist gleich dem
produzierten Output
6)
Der unter (5) bestimmte Output ist der neue Anfangsbestand in Periode 1 (x1).
(a) Gehen Sie zurück zu Frage 2. Was heißt das für KAT?
(b) Diskutieren Sie (nur graphisch): Wie werden sich in Periode 1 wohl:
Reallohnsatz, Beschäftigung, (1+r) und Y entwickeln?
Hinweis: Die Volkswirtschaft wächst, wenn der Output wächst.
7)
These von Hans Werner Sinn: Durch die Globalisierung ist die Nachfrage nach unqualifizierter
Arbeit gesunken. Stellen Sie dies im Arbeitsmarktdiagramm dar. Erklären Sie, was das für die
Beschäftigung, den Reallohnsatz, die freiwillige und die unfreiwillige Arbeitslosigkeit bedeutet.
Exkurs 6.1 Nominalzinssatz und Realzinssatz
Sei die Inflationsrate – also der prozentualen Anstieg des Preisniveaus – π, der Nominalzinssatz
i, der Realzinssatz r und das Anfangsvermögen V. Dann ist das Nominalvermögen im nächsten Jahr
das Anfangsvermögen mal eins plus dem Nominalzinssatz: V · (1+ i).
Was Sie sich dafür kaufen können, ist dieser Betrag geteilt durch das neue Preisniveau - oder durch
1 plus der Preissteigerungsrate / Inflationsrate π.
1  i ⋅ V
gibt also an, was aus dem Anfangsvermögen nach einem Jahr real
1  
geworden ist. Im Zähler steht das verzinste Geldvermögen in einem Jahr und im Nenner steht, wie
viel weniger Güter als vor einem Jahr Sie für eine Geldeinheit bekommen. Folglich gibt der
Ausdruck Ihnen den realen Wert Ihres Vermögens in einem Jahr an.
Der Ausdruck:
Der Realzinssatz fragt nun, um wie viel Prozent sich der reale Wert verändert hat. Oder anders:
der reale Wert Ihres Vermögens in einem Jahr ist gleich dem Anfangsvermögen V mal eins plus dem
Realzinssatz r. Also:
V ⋅ 1  r  =
1  r  =
1  i ⋅ V
oder, beide Seiten durch geteilt V
1  
1  i
1  
ausmultipliziert und nach i aufgelöst:
i=r+π+r·π
Dieser Ausdruck sagt mir: Wenn die Inflationsrate 10% ist, dann brauche ich einen
Nominalzinssatz von 21%, um einen Realzinssatz von 10% zu realisieren.
Bei hinreichend niedrigen Inflationsraten und Zinsen kann man den Produktterm vergessen (2% ·
Einführung in die VWL
6 Faktormärkte
S. 107
2% sind 0,04%), so daß sich der Ausdruck zu
i=r+π
vereinfacht.
Soll aber bestimmt werden, welchen Realzinssatz man bei gegebenem Nominalzinssatz und
gegebener Inflationsrate erhält, so muß die Gleichung nach r und nicht nach i aufgelöst werden.
Also:
r = i - π - r · π oder
r (1 + π) = i – π = r =
i − 
1  
Bei niedrigen Inflationsraten kann man den Nenner wieder vergessen, so daß sich der Ausdruck
zu
r = i – π vereinfacht.
Exkurs 6.2: Verlauf der Arbeitsangebotskurve: Backward bending labor
supply curve und multiples Gleichgewicht
Nehmen Sie an, der Lohnsatz liegt nahe Null. Dann kann man vom Arbeitseinkommen nicht
leben - und wenn man sowieso verhungert, kann man das mit der Arbeit auch gleich ganz lassen.
Bei einem sehr niedrigen Lohnsatz wird das Arbeitsangebot also wohl nahe Null liegen.
Abb. 6.E2.1: Multiple Gleichgewichte am Arbeitsmarkt
Lassen Sie nun die Löhne langsam steigen. Wird dann das Arbeitsangebot auch langsam steigen?
Eher nicht: Bei niedrigen Löhnen müssen Sie sehr lange arbeiten, um von dem Einkommen leben
zu können. Im Niedriglohnsektor herrschen daher, soweit es sich nicht um Teilzeitjobs handelt, sehr
S. 108
6 Faktormärkte
Karl Betz
lange Arbeitszeiten vor. Klar: Die wenigsten können von Luft und Liebe leben. Daher ist Freizeit
kein vollkommenes Substitut für Einkommen: Wenn ich wenig verdiene, muß ich lange arbeiten,
um von dem Geld leben zu können, egal, ob ich dazu Lust habe oder nicht.
Das heißt aber, daß man sich erst dann Freizeit leisten kann, wenn die Löhne auf einem
bestimmten Niveau angekommen sind. Erst ab diesem Lohnniveau steigt also die Nachfrage nach
Freizeit - das heißt aber im Umkehrschluß, daß ab diesem Lohnniveau das Arbeitsangebot nicht
steigt, sondern erst mal zurück geht.
Bei weiter steigenden Löhnen kann dann das Arbeitsangebot evtl. wieder steigen. Teils, weil die
Löhne jetzt den Verzicht auf Freizeit überkompensieren, teils aber auch, weil es jetzt billiger wird,
Tätigkeiten out zu sourcen, die Sie bisher selbst übernommen haben. Die Akademikerfamilie, die
eine Tagesmutter bezahlt, weil diese weniger kostet, als die beiden auf ihren Stellen verdienen
können, ist ein Beispiel dafür. Ein anderes Beispiel liefert folgende Überlegung: Nehmen Sie an, die
Zubereitung ihres Mittagessens (inkl. Geschirrspülen) kostet Sie täglich eine Stunde und für die
Zutaten geben Sie einsfuffzig aus.10 Annahme gemäß kochen Sie nicht gerne. Wenn Sie nun auf
einen Stundenlohn von, sage, 20 € (netto) kommen, werden Sie sich überlegen, ob Sie nicht lieber
die Stunde, die Sie ansonsten in der Küche gestanden hätten, an ihre Arbeit dranhängen und dafür
beim Türken essen gehen. (Dies ist beiläufig wieder mal ein Beispiel für Vorteile der Arbeitsteilung:
Das Lokal kann die Speisen mit weniger Aufwand zubereiten als Sie und daher machen Sie das,
was Sie (relativ) besser können als Kochen.11)
Das Problem ist nur, daß ein solches zunächst fallendes, dann steigendes und anschließend evtl.
wieder fallendes Arbeitsangebot multiple Gleichgewichte implizieren kann, wenn es die
Arbeitsnachfragekurve mehrfach schneidet - wie im Exkurs zu Kapitel 2 skizziert.
Und damit kann es nicht nur sein, daß Gleichgewichte am Arbeitsmarkt bei unterschiedlichen
Lohnhöhen realisierbar wären - ohne daß klar wäre, wer darüber entscheidet, welches dieser
Gleichgewichte denn nun realisiert wird. Es kann darüber hinaus sein, daß ein Gleichgewicht gar
nicht erreicht wird. Das Gleichgewicht bei (w/p0) kennen Sie vom Typ her. Es ist lokal stabil; stiegt
der Lohn etwas über (w/p0), dann wird mehr Arbeit angeboten als nachgefragt und das Überschußangebot an Arbeit läßt die Löhne wieder in Richtung (w/p 0) fallen. Fällt der Lohn etwas, dann
finden die Unternehmen nicht genügend Arbeitskräfte und müssen den Lohn wieder hoch bieten.
Die andern beiden Gleichgewichte hingegen sind instabil: Steigt der Lohn etwas über (w/p2) so
geht das Arbeitsangebot schneller zurück als die Arbeitsnachfrage. Die Löhne steigen weiter, bis
(w/p0) erreicht wird. Fällt der Lohn etwas unter (w/p1) dann wird er weiter fallen, erneut bis (w/p0)
erreicht ist. Richtig unangenehm wird es aber, wenn der Lohn unter (w/p2) fällt oder über (w/p1)
steigt. Im ersten Fall entsteht ein Überschußangebot an Arbeit und der Lohn fällt immer weiter und
gleichzeitig steigt auch das Überschußangebot immer weiter an, weil das Arbeitsangebot schneller
steigt als die Arbeitsnachfrage. Im zweiten Fall entsteht eine Überschußnachfrage nach Arbeit und
dadurch steigt der Lohn immer weiter, was wiederum die Überschußnachfrage weiter anheizt, weil
das Angebot schneller zurück geht, als die Nachfrage. Ein neues Gleichgewicht wird nicht erreicht es sei denn man versteht unter einem Gleichgewicht auch eine Situation, in der niemand mehr
arbeitet, weil die Löhne zu niedrig sind, bzw. niemand mehr eingestellt wird, weil die Löhne zu
hoch sind.
10 Das ist ungefähr der Betrag, den der ehemalige Berliner Finanzsenator Sarrazin (Sie wissen schon: diese Antwort
der SPD auf Le Pen, Koch und Haider) für ein Mittagessen vorsah, als er vorrechnete, daß man vom Hartz IV
Regelsatz locker leben kann.
11 Mehr noch ist es allerdings ein Beispiel für ungleiche Einkommensverteilung: Das Lokal (oder die Tagesmutter) ist
nur deswegen so billig, weil in diesen Sektoren Niedriglöhne gezahlt werden. Kann ich hier aber nicht
thematisieren, weil ich nur eine Art von Arbeit und damit nur ein Lohnniveau im Modell habe.
Einführung in die VWL
7 Einleitung: Makroökonomie
S. 109
7 Mikro- und Makroökonomie
Lernziele:
Der Unterschied zwischen angebots- und nachfrageorientierter Theorie
Der Unterschied zwischen Mikro- und Makroökonomie
Drei Kreislaufidentitäten
Aggregation / Partial- und Totalbetrachtung
BIP, Preisniveau und Inflationsrate
ex post und ex ante Betrachtung
Notionale und effektive Pläne und die Möglichkeit unterschiedlicher Gleichgewichte
7.1 Angebotsorientierte und nachfrageorientierte Theorie: der Unterschied in den Sichtweisen
Robinson hat u.a. zwei Probleme zu lösen: Er muß klären, in welchem Verhältnis er Fische fängt,
Kokosnüsse erntet und seine Ziegen melkt. Und er muß klären, wie viel er insgesamt produziert.
Die Antwort auf die erste Frage könnte sein, daß er einen halben Arbeitstag angelt, und je einen
viertel Arbeitstag Ziegen hütet und auf Palmen klettert. Und die Antwort auf die zweite Frage
besteht darin, wie viele Stunden sein Arbeitstag insgesamt haben soll, also wie viele Stunden seines
Tages er arbeitet und wie lange er am Strand liegt und sich die Sonne auf den Bauch scheinen läßt.
Es ist nun relativ wenig strittig, daß der Markt in der Entscheidung über die erste Frage einen
brauchbaren Job macht (von externen Effekten und Informationsproblemen wie bubbles mal abgesehen): Wird von Suppenwürfeln mehr nachgefragt als angeboten, dann steigt deren Preis. Ihre
Herstellung wird profitabler und daher werden Faktoren aus anderen Branchen abgezogen und für
die Produktion von Suppenwürfeln eingesetzt. So wird das Angebot so lange ausgeweitet, bis man
in der Suppenwürfelproduktion wieder die gleichen Gewinne macht wie in anderen Branchen auch
und damit kommt die Reallokation der Faktoren zum Stillstand. Diese Logik ar, wenn auch etwas
ausführlicher, Gegenstand der ersten sechs Kapitel.
Der Unterschied zwischen der Neoklassik (angebotsorientierte Sicht) und Keynes (nachfrageorientierte Sicht) besteht in der Antwort auf die Frage, ob der Markt einen genau so guten Job
macht, wenn es darum geht, zu klären wie viel insgesamt hergestellt werden, wie lange Robinson
also pro Tag arbeiten soll.
Die angebotsorientierte Sicht
Die Antwort der Neoklassik ist: Ja, klar: Die Märkte bestimmen, wie viel von jeden Gut
hergestellt werden soll und wenn ich das für alle Güter weiß, dann weiß ich auch wie viel insgesamt
hergestellt wird. Im sechsten Kapitel wurde ja gezeigt, wie das (neoklassische) Arbeitsmarktmodell
festlegt, wie die Arbeit und das Kapital, das die Haushalte zur Verfügung stellen, eingesetzt werden
soll und daß es dabei sicherstellt, daß alles, was (bei den Gleichgewichtspreisen) eingesetzt werden
soll, auch eingesetzt wird.
Die Logik dort war: Der Arbeitsmarkt bestimmt die (Voll-)Beschäftigung und das, was bei
Vollbeschäftigung hergestellt werden kann, ist das Volkseinkommen.
S. 110
7 Einleitung: Makroökonomie
Karl Betz
Wenn man so denkt, dann ist man schon weitgehend fertig. Makroökonomie besteht dann nur
darin, die Geschichte nochmal etwas einfacher zu erzählen, in dem man nicht von einzelnen Gütern
spricht, sondern diese (wie in Abschnitt 6.3 gemacht) zum Volkseinkommen (dem BIP) zusammen
faßt und noch auf einige Themen eingeht (Wachstum, Geld, Staat, Außenwirtschaft), die im
Mikroteil - warum auch immer - nicht behandelt worden sind.
Formal habe ich das ja eigentlich schon in Kapitel 6 gemacht: Kapital- und Arbeitsmarkt
bestimmen den Faktoreinsatz- und das, was bei der Produktion an Output erstellt wird, ist das BIP..
Schematisch läßt sich das nochmal so darstellen:
Abb. 7.1: Angebotsorientierte Theorie: Die Logik
Arbeitsangebot
Kapitalangebot
Faktormärkte
Produktionsfunktion
Output (= Gütermarktangebot)
Preisanpassungen
Endnachfrage
Das Arbeitsangebot und das Kapitalangebot bestimmen den Faktoreinsatz. Denn die
Kapitalnachfrage ist ja nichts anderes als das Arbeitsangebot auf den Kapitalmarkt übersetzt. Und
die Arbeitsnachfrage nichts anderes als das Kapitalangebot auf den Arbeitsmarkt übersetzt. Der
Faktoreinsatz entspringt also alleine Angebotsentscheidungen. Das so produzierte Güter- und
Dienstleistungsangebot wiederum findet immer eine Nachfrage in gleicher Höhe vor. Sie sehen,
warum der Ansatz "angebotsorientiert" heißt.
Das ist allerdings nicht ganz so willkürlich, wie es jetzt klingt, denn die Arbeiterinnen bieten ihre
Arbeit an, weil sie von ihrem Lohn etwas kaufen wollen und die Kapitalisten bieten Ersparnis heute
an, weil sie in Zukunft etwas von den Zinsen kaufen wollen. Insofern ist ein geplantes Angebot
Einführung in die VWL
7 Einleitung: Makroökonomie
S. 111
zugleich eine geplante Nachfrage. Nur eine Möglichkeit schließt diese Denkweise aus: Daß man
Faktorleistungen anbietet, obwohl man von seinem Einkommen gar nichts kaufen will.
Die nachfrageorientierte Sichtweise
Hier setzt die Gegenposition von Keynes an, die nachfrageorientierte Theorie. Keynes würde
darauf hinweisen, daß es einen entscheidenden Unterschied zwischen Robinson und einem
kapitalistischen Unternehmen gibt: Robinson will die Kokosnüsse, die er herstellt, behalten - VW
aber will seine Autos loswerden. In der Tradition von Keynes beschäftigt sich Makroökonomie mit
der Frage, ob denn der Marktmechanismus auch sicherstellt, daß die gesamtwirtschaftliche
Nachfrage hoch genug ist, um das gesamtwirtschaftliche Faktorangebot zu beschäftigen. Ob es also
sichergestellt ist, daß ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht, so es denn erreicht wird, mit
Vollbeschäftigung verbunden ist.
Die keynesianische Story lautet deswegen: Die Nachfrage am Markt für Güter und Dienstleistungen entscheidet darüber, wie viel verkauft werden kann. Nur was die Unternehmen erwarten,
verkaufen zu können, stellen sie auch her. Und sie stellen nur so viele Faktoren ein, wie sie
brauchen, um diesen Output zu erzeugen. Die übrigen bleiben eben, freiwillig oder nicht,
arbeitslos.
Abb. 7.2: Nachfrageorientierte Theorie: Die Logik
Endnachfrage
Güterangebot
Produktionsfunktion -1
ANE =
Beschäftigung
KNE =
Kapazitätsauslastung
Keynes liefert eine Theorie der Nachfrage. Und wenn die Nachfrage nach Gütern und
Dienstleistungen bestimmt ist, macht es für die Produzentinnen keinen Sinn, mehr als diese Mengen
herzustellen, denn sie würden ihren Output ja nicht los und würden deswegen Verluste einfahren.
S. 112
7 Einleitung: Makroökonomie
Karl Betz
Die Nachfrage bestimmt daher bei Keynes, wie viel hergestellt wird (also das BIP). Und damit wird
die Produktionsfunktion jetzt einfach "in der anderen Richtung" gelesen: Es wird nicht mehr
gefragt, "Wie viel kann ich mit x Arbeitern und z Maschinen herstellen" (Produktionsfunktion),
sondern: "Wenn ich y Güter herstellen will, wie viele Maschinen und wie viele Arbeiterinnen muß
ich dann kaufen bzw. einstellen?" (Beschäftigungsfunktion). Maschinen, die nicht gebraucht
werden, werden einfach nicht hergestellt. Deswegen gibt es keine arbeitslosen Maschinen (außer bei
plötzlichen Nachfrageeinbrüchen, das nennt sich dann unausgelastete Kapazitäten). Aber Menschen
werden halt auch geboren, wenn sie nicht gebraucht werden. Daher ist es durchaus denkbar, daß es
Arbeitslosigkeit gibt.
Um das ganze auch im Arbeitsmarkt-Diagramm darzustellen, habe ich Ihnen die keynesianische
Lösung in Rot in das neoklassische Arbeitsmarktdiagramm aus Kapitel 6, Abb. 6.7 eingetragen:
Abb. 7.3: Keynesianischer Arbeitsmarkt
Einführung in die VWL
7 Einleitung: Makroökonomie
S. 113
Lassen Sie das einfach als Ausblick mal so stehen. Ausführlicher gehe ich in Kapitel 11 und 13
(Wirtschaftspolitik) darauf ein. Wie Sie aber schon sehen können, kommt Keynes dabei zu einem
anderen Ergebnis als die Neoklassik: Wenn die Nachfrage am Gütermarkt zu gering ist, kann das
Vollbeschäftigungsgleichgewicht nicht erreicht werden: Ein Gleichgewicht bei (unfreiwilliger)
Arbeitslosigkeit ist möglich.
Allerdings müssen zwei Punkte noch geklärt werden: Erstens: Der archimedische Punkt, um das
neoklassische Modell auszuhebeln, besteht in der Antwort auf die Frage, wie die Menschen es
eigentlich anstellen können, nicht nachzufragen. Denn wenn sie nur etwas falsches nachfragen,
müßte sich das Problem doch eigentlich durch Preisanpassungen beheben lassen und wir wären
wieder in der neoklassischen Welt. Es muß also für die Einkommensverwendung eine Alternative
zur Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen geben - und diese Alternative ist Geld. Deswegen
ist Geld der Gegenstand des nächsten Kapitels. Und zweitens muß die Nachfrage, die in der Grafik
7.3 einfach nur als Pfeil eingezeichnet ist noch hergeleitet werden. Darum kümmert sich Kapitel 9.
Und so müssen wir hier als weiteres Thema noch die keynesianische Beschäftigungstheorie auf
unsere to do Liste setzen, noch einmal zum Arbeitsmarkt zurück kehren, der mit Kapitel 6 doch
eigentlich schon erschlagen war.
Ein (fauler) Kompromiss: Die neoklassische Synthese
Die neoklassische Synthese, die lange Zeit die herrschende Denkschule war, und die jetzt durch
die Krise wieder an Zulauf gewonnen hat, schlägt hier einen (faulen) Kompromiss vor: Preisanpassungen dauern. Kurzfristig funktioniert also der Marktmechanismus nicht richtig und es gilt
die Logik einer keynesianischen Welt. Langfristig aber führt der Preismechanismus wieder ins
neoklassische Gleichgewicht. Je nach sozialem Gewissen weisen dann einige Vertreter darauf hin,
daß das aber intolerabel lange dauern könne und daß der Staat daher in der Zwischenzeit etwas tun
müsse.
Neoklassische Synthese
Sehr gut kommt diese Denkweise in einem Aufsatz des Economist zur Arbeitslosigkeit in den
USA zum Ausdruck: Nach dem er die bisherige Entwicklung der Arbeitslosigkeit durchaus auf
eine zu niedrige Nachfrage zurück geführt hatte, fährt der Aufsatz fort
"The longer high levels of unemployment stretch on, the less they can be explained by weak
demand." (Economist 7.8. 2010, S. 35)
Ein Einbruch der Nachfrage kann also durchaus Arbeitslosigkeit erzeugen. Bleibt die
Nachfrage danach aber niedrig, kann die Arbeitslosigkeit nicht mehr an ihr liegen. Hört sich
unlogisch an - naja: Ist eben Folge des Glaubenssatzes: Wenn sich die Preise frei anpassen
können, entsteht immer Vollbeschäftigung. Zusammen mit der Voraussetzung: Langfristig sind
die Preise flexibel, folgt dann die Konsequenz: Wenn ich langfristig Arbeitslosigkeit habe, dann
ist die entweder freiwillig (ich habe also keine) oder irgend wer (die bösen Gewerkschaften, der
dumme Staat, der Mindestlöhne vorschreibt) verhindert die Preisanpassungen.
Daß im gleichen institutionellen Setting, also bei den gleichen Gewerkschaften und der
gleichen Gesetzgebung, zuvor eine höhere Beschäftigung möglich war, kann den überzeugten
Neoklassiker da auch nicht irritieren. (Notfalls haben sich eben die Präferenzen geändert.)
Damit keine Mißverständnisse aufkommen - ich habe nicht vor, Ihnen eine Meinung
aufzuoktroyieren. Sie haben selbstverständlich (und: selbstverständlich auch in der Klausur) das
Recht, die angebotsorientiere Sichtweise oder die neoklassische Synthese für überzeugender zu
S. 114
7 Einleitung: Makroökonomie
Karl Betz
halten als die keynesianische Position. Was ich aber erreichen möchte, ist, daß Sie erstens beide
Sichtweisen kennen und zweitens wissen, welche Annahmen Sie eigentlich treffen - und welche
Konsequenzen Sie sich einhandeln - wenn Sie sich für die eine oder die andere Sicht entscheiden.
Die Vorgehensweise dieses zweiten Teils wird also sein, zunächst zu erklären, wie Nachfrage
zum Problem werden kann. Im Anschluß wird dann ein Modell entwickelt, das es erlaubt, die
Bedingungen zu klären, unter denen die neoklassische Sicht gilt und die, unter denen die
keynesianische Sicht gilt. Und dann ist bei den Fragen nach Wachstum, Beschäftigung, Staat,
Wirtschaftspolitik und Außenwirtschaft (ok, die Themen werden wir kaum alle schaffen) jeweils zu
fragen, auf welche Folgerungen sich ergeben, wenn man die keynesianische und auf welche, wenn
man die neoklassische Variante unterstellt. Oder, um es nochmal anders zu formulieren: Welches
Ergebnis sich ergibt, wenn man unterstellt, daß die Märkte immer auf Vollbeschäftigung führen und
welches sich ergibt, wenn man diese Annahme nicht trifft.
In diesem Kapitel sind jedoch zuvor noch einige methodische Fragen zu klären und Begriffe zu
definieren.
7.2 Mikro- und Makro: Der Unterschied
Der Unterschied zwischen Mikro- und Makroökonomie ist zunächst rein methodischer Natur:
Makroökomie arbeitet mit Aggregaten - Zusammenfassungen vieler einzelner disparater Größen.
Mikroökonomie kennt nicht nur so viele Märkte wie es Güter gibt - diese Güter, und daher diese
Märkte, sind auch noch unterschieden nach unterschiedlichen Umweltzuständen, räumlicher und
zeitlicher Verfügbarkeit. (Denken Sie an den Unterschied zwischen den beiden Märkten für
Rettungsboote auf der Titanic und in Liverpool). Den Unterschied zwischen unterschiedlichen
Zeitpunkten kennt die Makroökonomie auch noch, aber ansonsten gibt es gerade mal ein Gut, Y,
den Output, der für Investitions- (I) und Konsumzwecke (C) nachgefragt werden kann. Daher ist ihr
das Allokationsproblem (werden mehr Brühwürfel oder mehr Brüllwürfel (Lautsprecher)
hergestellt) egal. Sprich: Sie unterstellt es als bereits gelöst.
Während die Mikroökonomie einen Erstausstattungsvektor an Ressourcen (Bestand am Anfang
der Periode) im Modell hat (das was am Anfang der Periode an Gütern da ist und die
unterschiedlichen Arbeitsqualifikationen der Haushalte) hat die Makroökonomie eben Arbeit und
Kapital. (Sie haben in den letzten beiden Kapiteln vielleicht bemerkt, daß ich da ziemlich
herumgeeiert bin: Einerseits wollte ich die Sache übersichtlich halten, also im Prinzip in Makro
darstellen, andererseits habe ich aber immer in Fußnoten und Einschüben versucht aufzuzeigen, wie
sich das formal auch sauberer darstellen läßt.)
Der Unterschied zwischen Mikro- und Makro ist also letztlich: Makro vereinfacht brutal
(höflicher ausgedrückt eben: sie aggregiert).
Ein zweiter Unterschied wird in diesem Skript nicht virulent: Mikro leitet eigentlich die
Angebots- und Nachfragekurven aus den (bzw. richtiger: aus Annahmen über die) Präferenzen der
Haushalte her. Habe ich nicht gemacht (nur kurz hin und wieder erwähnt). Makro vereinfacht auch
hier: Entweder (ältere Modelle) werden Annahmen über Verhaltensweisen der Haushalte einfach
unterstellt und nicht hergeleitet. Oder (neue) es wird unterstellt, daß alle Haushalte sich wie ein
einziger repräsentativer Agent verhalten und aus den (anggenommenen) Präferenzen dieses
Agenten wird dessen Angebots- und Nachfrageverhalten formal aufwändig hergeleitet. Wobei das
allerdings nur Augenwischerei ist. In Wahrheit suchen die Vertreter dieses Modellansatzes erstmal
nach den Präferenzfunktionen, die ihnen dann das Angebots- und Nachfrageverhalten generieren,
das sie für ihre Modelle gerne hätten. (Eine instruktive Bemerkung von Hall ist beispielsweise, daß
eine Hauptfrage der arbeitsmarktökonomischen Forschung der letzten Jahre darin bestanden habe,
eine Präferenzfunktion der Arbeitsanbieter zu finden, die mit der gemessenen Entwicklung der
Einführung in die VWL
7 Einleitung: Makroökonomie
S. 115
Beschäftigung in den USA vereinbar sei.1) Und weil das dann letztlich bedeutet, das Gleiche zu
machen wie in den älteren Modellen, nur komplizierter, bliebe ich hier bei der einfacheren Variante.
Mit einer (wichtigen) Ausnahme: Man sollte im Hinterkopf behalten, daß Verhaltensweisen sich
ändern können.2
In vielen Lehrbüchern finden Sie die Behauptung, Makroökonomie betrachte die Wirtschaft
insgesamt (Totalmodell) und Mikroökonomie nur Ausschnitte (Partialmodell): einzelne Akteure,
Märkte oder Branchen. Diese Unterscheidung ist falsch. Mikrototalmodelle, wie die Theorie des
Allgemeinen Gleichgewichts, betrachten sehr wohl die gesamte Ökonomie. Der Punkt ist nur der,
daß die Informationsanforderungen dann so hoch werden. (Der Ökonom müßte ja z.B.
abermillionen Präferenzfunktionen kennen, die die Haushalte nicht mal selber kennen - oder
könnten Sie Ihre Präferenzfunktion über alle Güter, alle Zeitpunkte und alle Umweltzustände
anschreiben?) Die Antworten der Mikrototalmodelle können daher nur qualitativ sein: "Mal
angenommen, es gäbe vollständige Information, es gebe keine Transaktionskosten und mal
angenommen, die Präferenzen und die Produktionsfunktion gehorchen bestimmten formalen
Eigenschaften, dann hat die Lösung folgende allgemeine Eigenschaften...". Das ist nun nicht so
direkt die Antwort, die man gerne hätte, wenn man wissen will, ob die Staatsverschuldung der BRD
(a) ein Problem ist (b) wie sie abgebaut werden könnte und (c) welche Folgen das hätte und (d)
wann man am besten damit anfangen sollte.
Um auf praktisch verwertbare Aussagen zu kommen, muß man daher vereinfachen und
vereinfachen kann man
erstens in dem man aggregiert - dies, so wurde oben gesagt, ist der Unterschied zwischen Mikro
und Makro. In dem man nicht mehr von einzelnen Konsum- oder Nachfrageplänen, sondern von
"der Konsumnachfrage in der BRD" spricht, redet man über etwas, was sich statistisch erheben läßt
und für das man einen Wert (oder eine Zeitreihe) finden kann. Und für Werte kann man
Zusammenhänge (Korrelationen) und Trends (Zeitreihen) berechnen und mit denen kann man
Prognosen erstellen.3 Allerdings - und darauf komme ich in 7.4 nochmal zurück, beobachtet man da
eben keine Pläne, keine geplante Nachfragen und Angebote, sondern man konstatiert ex post, was
über den Marktprozeß herausgekommen ist.
und zweitens, in dem man den Betrachtungsbereich einschränkt, nur einen Teil der Ökonomie
betrachtet, wie ein Partialmodell dies tut. Und auch dabei macht man, wie bei der Aggregation,
bewußt etwas falsch. Klar ist, daß eine Veränderung auf einem Markt auf andere (letztlich alle)
Märkte ausstrahlt. Tabaksteuern betreffen nicht nur den Markt für Zigaretten, sondern auch den
Tabakmarkt, und damit die Landpreise (weil die Nachfrage nach Flächen für den Tabakmarkt
zurückgeht), den Markt für Tabakarbeiter und Maler (wenn die Kneipen nicht so verraucht sind,
müssen sie seltener gestrichen werden) und dies wirkt wieder auf den Tabakmarkt zurück (die
Maler haben weniger Geld für Zigaretten). eine Partialbetrachtung schneidet diese Zusammenhänge
einfach ab und unterstellt, die Rückwirkungen auf den ursprünglich betrachteten Markt seien
vernachlässigbar gering. Diese Unterstellung kann selbst dann falsch sein, wenn die Wirkungen auf
die von dem betrachteten Markt ausgehen schwach sind: Wie die Chaostheorie zeigt, muß unter1 Robert E. Hall. By How Much Does GDP Rise If the Government Buys More Output? Mskr. 2009. S. 15
2 Das ist die Lehre aus der sogenannten Lucas-Kritik. Robert Lucas hatte die älteren keynesianischen Modelle zu
Recht dafür kritisiert, daß diese unterstellten, die Politik könne versuchen, die Marktteilnehmer dauerhaft herein zu
legen, ohne daß diese ihrer Verhaltensweisen änderten. Sie könne also z.B. die Unternehmen entlasten, indem sie
durch eine etwas höhere Inflation die Realzinsen senke. In der Praxis aber, so Lucas, könnten die Marktteilnehmer
eine solche Politik durchschauen und unwirksam machen - im Beispiel, indem sie die höhere Inflation antizipieren
und gleich von vorneweg höhere Nominalzinsen fordern.
3 Die Theorie braucht man dann anschließend wieder, um zu erklären, warum die Prognose nicht eingetroffen ist.
S. 116
7 Einleitung: Makroökonomie
Karl Betz
stellt werden daß die betrachteten Prozesse nicht überlinear sind (daß sich Wirkungen nicht
aufschaukeln wie z.B. bei einer Rückkopplungsschleife oder einer Kettenreaktion.). Partialmodelle
sind aber kein Kenneichen nur der Mikroökonomie. Auch in der Makroökonomie werden sie
benutzt (z.B. im Modell der kleinen offenen Volkswirtschaft) und auch ich werde im übernächsten
Kapitel mit einem Partialmodell starten, einer Volkswirtschaft, bei der Staat und Ausland (erstmal)
weggelassen werden: Der geschlossenen Volkswirtschaft ohne Staat.
7.3 Aggregation
Der zentrale Unterschied zwischen Mikro und Makro ist also, so wurde gerade gesagt, daß
Makro mit Aggregaten arbeitet, mit der Zusammenfassung unterschiedlicher Einheiten unter einem
Sammelbegriff. Einige dieser Aggregate wurden wurden bereits früher eingeführt, lassen Sie mich
zwei wichtige trotzdem nochmal rekapitulieren.
BIP
Das BIP (Y), das Bruttoinlandsprodukt, ist die Summe der in einer Periode neu erstellten Güter
und Dienstleistungen. Es kann für Konsum- (C) oder Investitionszwecke (I) verwendet werden. Ein
Blick in das Kreislaufschema sagt, daß das dann die Güter sein müssen, die den Unternehmenssektor verlassen, entweder um von den Haushalten konsumiert oder von den Unternehmen als
Investitionsgüter wieder angeeignet zu werden. Nicht zum BIP zählen im Umkehrschluß Güter, die
innerhalb des Sektors zirkulieren, also Vorleistungen. Das ist auch klar: Zähle ich Vorleistungen mit,
dann würde ich nicht nur das Auto, sondern auch die Reifen, den Motor, das Getriebe, die
Zierleisten und die Windschutzscheibe addieren - und am Ende hätte ich das gleiche Auto zwei oder
drei mal gezählt (denn auch in die Produktion der Vorleistungen gehen ja wieder Vorleistungen ein,
in die Produktion von Zierleisten z.B. Aluminiumprofile und in deren Produktion Aluminium und
Energie und, und, und.)
Wie oben bereits erwähnt, komme ich vom Brutto- zum Nettoinlandsprodukt, wenn ich vom BIP
noch die Abschreibungen abziehe, also den Teil des Outputs, der für den Ersatz von innerhalb des
Jahres verschlissenen Anlagegütern benötigt wird.
Die Wachstumsrate ist der prozentuale Zuwachs des (realen) BIP innerhalb einer Periode (meist
eines Jahres).
Bruttoinlands- und Bruttoinländerprodukt (BNP / Sozialprodukt)
In manchen Fällen ist es wichtig, zwischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) (dem was im Inland
hergestellt wurde) und Bruttoinländerprodukt (BNP) (dem was von Inländern hergestellt wurde)
zu unterscheiden. Ein Beispiel: Das Pro-Kopf-BIP von Äquatorialguinea ist mehr als 10 mal so
hoch wie das z.B. des Tschad. Trotzdem hat der Großteil der Bevölkerung, die überwiegend in
der Landwirtschaft tätig ist, ein niedrigeres Pro-Kopf-Einkommen als im Tschad. How come?
Äquatorialguinea hat Erdölquellen und diese gehören ausländischen Konzernen. (Elf-Aquitaine)
Damit wird im Land Erdöl hergestellt und ist im BIP enthalten. Das Einkommen aber gehört den
Betreibern der Quelle und landet daher zum überwiegenden Teil im Bruttoinländerprodukt von
Frankreich (als Entlohnung von Kapitaldiensten) und nicht in dem von Äquatorialguinea. (Und
das restliche Öleinkommen, das im Bruttoinländerprodukt gezählt wird, landet bei der herrschenden Elite, sprich hier: bei der Staatsklasse.)
Zweites Beispiel: Länder mit einem hohen Auslandsvermögen also z.B. Erdöl produzierende
Länder wie Norwegen, die einen Teil ihrer Erdöleinnahmen über Souvereign Wealth Funds im
Ausland anlegen, beziehen Zinsen auf diese Forderungen. Diese Zinszahlungen werden im
Einführung in die VWL
7 Einleitung: Makroökonomie
S. 117
Ausland erwirtschaftet (zählen dort also zum BIP). Sie werden aber als Entgelt für Kapitaldienste an Norwegen gezahlt, zählen also in Norwegen zum Bruttoinländerprodukt. Daher haben
Länder mit hohem Auslandsvermögen, wie Norwegen, die Schweiz, China oder Saudi Arabien
ein höheres Bruttoinländer- als Bruttoinlandsprodukt. Das gilt auch für die BRD, macht aber
hier, obwohl in absoluten Zahlen mit rund 40 Mrd. ganz erklecklich, prozentual nicht so viel aus
(weniger als 2% des BIP), daß die Unterscheidung sehr wichtig wäre. In diesem Skript wird
daher, wie in anderen Lehrbüchern üblich, Y mit dem BIP gleichgesetzt.
Preisniveau / Inflation
Güter und Dienstleistungen kann ich nur nur addieren, wenn ich sie mit ihren Preisen bewerte.
Ihr Kassenzettel bei Aldi liefert Ihnen auch nur deswegen einen einzigen Wert (den
Rechnungsbetrag), weil Ihre Einkäufe zunächst mit den Preisen multipliziert wurden, ehe die
Beträge aufaddiert werden konnten. Deswegen steht auf Ihrem Kassenzettel ein einziger Wert,
während Ihre Einkaufsliste aus einer Auflistung von Mengen besteht. Was mir also die Statistik
liefert, ist das nominale BIP, das BIP gerechnet in laufenden Preisen. Mikro wäre das x · p, der
Vektor aller neu erstellten Güter und Dienstleistungen mal dem Vektor aller Geldpreise oder eben
Makro: P · Y, das nominale BIP, oder das BIP zu laufenden Preisen.
Nur sagt das nicht viel: P · Y kann sich geändert haben, weil P gestiegen ist (weil es Inflation
gab) oder weil Y gestiegen ist (weil mehr hergestellt wurde. die Ökonomie also gewachsen ist).
(Ihre Rechnung bei ALDI kann höher sein, weil Sie mehr gekauft haben, oder weil die Güter teurer
geworden sind.)
Das Preisniveau P ist nun ein Index, der ausdrücken soll, wie sich die Preise entwickelt haben.
Wenn P bekannt ist, und das nominale BIP (P · Y) vom statistischen Bundesamt erhoben wurde, läßt
sich dann leicht das reale Sozialprodukt errechnen:
Y = (P · Y) / P
Da das Preisniveau ein Index ist, ist die Wahl der Basis willkürlich. Mann kann z.B. die Preise
des Jahres 2000 gleich 100 setzen. Steigen dann die Preise um 2% jährlich, dann liegt das Preis niveau im Jahr 2001 bei 102 und im Jahr 2010 wäre es bei 121,9 angekommen. Wenn Sie in einer
Statistik lesen, daß diese das BIP zu konstanten Preisen mit dem Basisjahr 2000 ausweist, dann
bedeutet dies in diesem Beispiel, daß das nominale BIP des Jahres 2001 durch 102 und das des
Jahres 2010 in der Tabelle durch 121,9 geteilt wurde.
Das heißt dann aber auch daß Y für sich genommen nicht so richtig viel aussagt: Wenn Sie ein
anderes Basisjahr P nehmen, bekommen Sie einen anderen Wert für Y - Das BIP der BRD im Jahr
2010 ist, in Preisen des Jahres 2005 gerechnet, sehr viel Höher, als wenn man z.B. 1980 als
Basisjahr nimmt. Wirklich aussagekräftig sind die Werte eigentlich nur im Vergleich:Ist das BIP
2010, gemessen in Preisen von 2005, höher oder niedriger als das BIP von 2009 (ebenfalls
gemessen in Preisen von 2005). Oder anders formuliert: Ist die Wirtschaft gewachsen?
Die jährliche prozentuale Änderung des Preisniveaus wird als Inflationsrate (π) bezeichnet:
Mit g als Symbol für eine Wachstumsrate, ist die Wachstumsrate des realen BIP gleich der
Wachstumsrate des nominalen BIP minus dem Preisanstieg
gY = gPY - π 4
4 Genau genommen wäre noch die Kreuzableitung zu berücksichtigen, aber bei vernünftigen Inflations- und
Wachstumsraten ist die wieder vernachlässigbar klein.
S. 118
7 Einleitung: Makroökonomie
Karl Betz
Da das Preisniveau ein Index ist, ist in seiner Bestimmung eine unvermeidbare Willkür
involviert: Einige Beispiele:
Die Auswahl des Güterkorbes bestimmt die Gewichtung der Preisänderungen. Aber den
"richtigen" Güterkorb gibt es nicht. Selbst wenn Sie sagen: Dann nehme ich einfach alle Güter als
Gewichtung (BSP-Deflator) bleiben immer noch die Fragen offen:
- Die Güter von diesem oder die von letztem Jahr? (Das einzige, was Sie sagen können ist, daß
Sie einen höheren Preisanstieg ausweisen werden, wenn Sie mit dem Güterkorb des letzten Jahres
rechnen, als wenn Sie mit dem des laufenden Jahres rechnen. (Weil in der zweiten Variante Güter,
die relativ billiger werden, relativ mehr gekauft werden und daher mit einem höheren Gewicht in
den Güterkorb eingehen werden.)5)
- Wie behandeln Sie den Preis von Gütern, die es im letzten Jahr noch gar nicht gab?
- Wie den von Gütern, die in diesem Jahr nicht mehr hergestellt werden?
Aber dies ist eine Konsequenz des Informationsverlustes, der mit der Indexbildung einhergeht
und damit ein Preis, den man zahlen, will man nicht in einer unüberschaubaren Informationsflut
ertrinken.6 (Andererseits öffnet er eine Tür für Manipulationen: Wähle ich einen Index, der die
Inflation niedriger ansetzt als ein anderer, weise ich natürlich zugleich eine höhere Wachstumsrate
aus.7)
7.4 ex post / ex ante; notionale und effektive Pläne
Zunächst einmal ist zu unterscheiden zwischen einem geplanten (ex ante) und einem realisierten
(ex post) Marktergebnis. Wenn Sie in die VGR des statistischen Bundesamtes für das Jahr 2009
sehen, werden Sie keine unverkauften Güter finden - und das obwohl die Nachfrage dieses Jahres
doch, wie Sie überall lesen können, eingebrochen ist. Schummeln die?
Nun, die Statistik fragt, was mit den produzierten Gütern geschehen ist - und irgendwo sind die
Güter ja gelandet (oder Sie sind nicht entstanden und daher nicht gezählt worden: Es gibt keine
unverkauften Haarschnitte, nur arbeitslose Friseusen.). Wegen zu geringer Nachfrage nicht erzeugt
Güter werden nicht gezählt8 (wie auch) und Güter, die erzeugt wurden, sind eben entweder
konsumiert worden (C) oder sie sind im Unternehmenssektor verbleiben - dann zählen sie aber als
Investitionen (I), wenn auch evtl. als ungeplante Lagerinvestitionen.
5 Und wenn Sie sagen: "Dann nehme ich eben den Durchschnitt", wird die Sache auch nicht besser, denn der wurde ja
in keinem der beiden Jahre hergestellt.
6 Um nochmal das ALDI Beispiel zu bemühen: Wenn Sie nur P kennen, dann ist das, als ob Sie mit der Notiz: Ich will
23,42 ausgeben, statt mit einer Einkaufsliste in den Laden gehen.
7 So läßt sich übrigens auch Geld sparen. Die entitlements in den USA (Renten, medicare, medicaid) sind indexiert,
d.h. sie steigen mit der jährlichen Preissteigerungsrate (wie ja im Prinzip auch Hartz IV). Einer der Sparansätze ist
nun, für die Indexierung einfach eine andere (niedrigere) Inflationskennziffer zu verwenden. Wie ja auch bei Hartz
IV getrickst wurde und der Güterkorb für die Bedarfsberechnung einfach so lange geändert wurde (Stichworte:
Alkohol, Tabak) bis die gewünschte Änderung des Bedarfssatzes herauskam.
8 Man versucht aber, diese zu schätzen: Die Outputlücke ist der Versuch, die Differenz zwischen dem, was bei
normaler Auslastung des Bestandes an Produktionsfaktoren hätte erzeugt werden können und dem, was tatsächlich
hergestellt wurde, zu schätzen. Allerdings ist auch dieses Konzept nicht ganz eindeutig: Zum einen müssen Sie
"normale Auslastung" definieren und zum zweiten ist der Bestand an Produktionsfaktoren auch nur geschätzt.
Erinnern Sie sich z.B. an die Frage, wie hoch die unfreiwillige Arbeitslosigkeit einzuschätzen ist (Kapitel 6).
"Natürlich" geht man bei der Schätzung der Outputlücke dann von der Annahme aus, man habe im Durchschnitt der
letzten Jahre Vollbeschäftigung gehabt (alle gemessene Arbeitslosigkeit sei also freiwillige Arbeitslosigkeit
gewesen).
Einführung in die VWL
7 Einleitung: Makroökonomie
Es gilt also immer:
(ex post)
=
tatsächliche Produktion
=
Y
=
S. 119
(ex post)
tatsächlicher Konsum + tatsächliche Investitionen
C
+
I
Nur ist diese Gleichheit im Nachhinein (diese ex post Gleichheit) noch lange kein Gleichgewicht: Die tatsächliche Produktion kann niedriger gewesen sein als die geplante. Ein
Gleichgewicht liegt nur dann vor, wenn für die gesamte Ökonomie gilt:
(ex ante)
geplante Produktion
=
=
(ex ante)
geplanter Konsum
+ geplante Investitionen
Weicht das tatsächliche Ergebnis von den Plänen ab, werden die Akteure ihre Pläne ändern und
Preise und Mengen werden sich in der Folge bewegen - idealer Weise so lange, bis ein
Gleichgewicht in den Plänen, also ein ex ante Gleichgewicht, erreicht wurde.
notional / effektiv
Eingangs dieses Abschnitts wurde nun gesagt, nachfrageorientierte Theorie, also Keynes, kenne
auch ein Gleichgewicht bei (unfreiwilliger) Arbeitslosigkeit. Wie kann das ein Gleichgewicht sein?
Hier setzen doch einige (Arbeits-)Anbieterinnen die Mengen, die sie gerne los würden, nicht ab.
Müssen jetzt nicht Preisanpassungen ablaufen?
Die Antwort ist: Es kommt darauf an - nämlich darauf, welchen Typ von Plänen Sie unterstellen.
Der neoklassische Haushalt oder die neoklassische Unternehmerin ist Preisnehmer und Mengenanpasser. Solche Pläne nennt man notionale Pläne. Eine Akteuse, die notionale Pläne macht,
berücksichtigt Angebotsbeschränkungen nicht.
Gehen Sie z.B. in einen Laden und möchten fünf Rollen Nähseide kaufen, dann ist es Ihnen als
notionale Planerin schnurz piep egal, wenn es nur noch zwei gibt. Sie erhöhen einfach den Preis,
den Sie bieten (und fragen evtl. eine Rolle weniger nach). Mengenrestriktionen (es sind nur zwei
Rollen da) gehen nicht in ihr Kalkül ein. Irgendwann finden Sie dann auch ein Gleichgewicht wenn Sie nämlich den Preis so hoch geboten haben, daß Sie wirklich nur noch zwei wollen.
Und das gleiche gilt für Anbieterinnen: Wenn Sie einen Ferienjob suchen und die Stellen sind
alle schon besetzt, dann sagen Sie nicht: Mist, da wird nichts aus meinem Urlaub, sondern Sie
reduzieren Ihre Lohnforderung und gehen bei den gleichen Firmen, die Ihnen gerade gesagt hatten,
daß keine Stellen frei seien, wieder vorbei und fragen erneut nach Arbeit.
Es sind aber auch Pläne vorstellbar, die Angebotsbeschränkungen ins Kalkül mit einbeziehen.
Diese wurden von Clower vorgeschlagen und nennen sich effektive Pläne. Also, um in den
Beispielen zu bleiben:
Sie stellen fest, es sind nur noch zwei Rollen Garn am Lager. Sie ändern Ihren Plan: Dann kaufe
ich eben nur zwei Rollen Garn. Formal hießt dies: Sie sind rationiert: Ihre Pläne unterliegen nicht
nur einer Preis- (Sie müssen sich das Zeug leisten können), sondern auch noch einer Mengenbeschränkung: Mehr wird nicht angeboten. Entscheidend für Ihre Planung ist dann, welche der
beiden Beschränkungen bindend ist. Ist es die Mengenbeschränkung, dann haben Sie zwar nur Geld
für sechs Rollen, nehmen aber nur zwei. Ist es die Preisbeschränkung, dann sind zwar zwei Rollen
da, Sie haben aber nur Geld für eine. Wenn Akteure, wie im ersten Teil des Skripts, Preisnehmer
und Mengenanpasser sind, dann unterstelle ich, daß sie in ihren (notionalen) Plänen davon
ausgehen, daß nur die Preisbeschränkung bindend ist.
Im anderen Beispiel: Alle Arbeitsplätze sind weg. Also revidiere ich mein Arbeitsangebot auf
Null: Wenn es keine Arbeit mehr gibt, dann hat es auch keinen Zweck, daß ich weiter suche. Ich
S. 120
7 Einleitung: Makroökonomie
Karl Betz
will schon arbeiten (bin also unfreiwillig arbeitslos), sehe aber keine Chance, was zu finden.
Das gleiche nochmal an einem Beispiel, bei dem geplantes Faktoreinkommen und geplante
Güternachfrage gleichzeitig betroffen sind. Sie haben einen Kreta Urlaub für 900 € im Internet
gesehen, und um Griechenland in seiner Schuldenkrise zu helfen, würden Sie da gerne hinfahren.
Gleichzeitig haben Sie erfahren, daß Mc Donald's 6 € die Stunde für Aushilfskräfte bietet. Damit
wollen Sie den Urlaub finanzieren.
Gleichgewicht in notionalen Plänen::
Wert geplantes Angebot
= Wert geplante Nachfrage
150 h · 6 €
= Kreta Urlaub für 900 €
Jetzt erfahren Sie z.B.
- entweder Kreta ist schon ausgebucht (Ihre Nachfrage ist rationiert) - dann macht es keinen Zweck
arbeiten zu gehen.
- Oder Sie erfahren, daß alle Jobs schon weg sind. (Ihr Angebot ist rationiert.) Dann können Sie sich
den Urlaub nicht mehr leisten.
Also passen Sie ihre Pläne an, lassen das mit dem Urlaub und dem Arbeiten sein.
In effektiven Plänen:
Wert geplantes Angebot
= Wert geplante Nachfrage
0h·6€
= Urlaub auf Omas Bauernhof für 0 €
Arbeitslosigkeit ist also durchaus mit einem Gleichgewicht (in effektiven Plänen) vereinbar.
Wenn keine Jobs mehr da sind, macht es auch keinen Sinn mehr, die Löhne herunter zu bieten. Und
deswegen macht es keinen Sinn mehr, die Reise zu planen. Und umgekehrt: Wenn es keine
Ferienplätze mehr gibt, dann macht es auch keinen Sinn mehr ein Arbeitsangebot zu planen.
Beachten Sie, daß dabei die Rationierung des Angebots (der Nachfrage) auf einem Markt zur
Rationierung der Nachfrage (des Angebots) auf einem oder mehreren anderen Märkten führt. Da
Angebot und Nachfrage also gleichzeitig zurückgehen, entsteht gesamtwirtschaftlich eben kein
Überschußangebot, das Preis- und Mengenänderungen bewirken könnte.
Frank Hahn nennt ein solches Gleichgewicht in effektiven Plänen ein Erwartungsgleichgewicht
(conjectural equilibrium).
Um nochmal ein gesamtwirtschaftliches Beispiel nachzuschieben.
Nehmen Sie eine Gesellschaft ohne Vermögen, in der aller Output nur mit Arbeit als einzigem
Input erzeugt werden kann.
Das neoklassische Gleichgewicht in notionalen Plänen ist hier sicherlich denkbar:
Jeder arbeitet so lange wie erforderlich ist, um ein Einkommen zu erzielen, mit dem sie so viele
Konsumgüter kaufen kann, wie sie (bei den Preisen) gerne möchte. Und weil alle planen, ihren
Lohn auch auszugeben, kann der Output auch abgesetzt werden und Vollbeschäftigung ist möglich.
Dies wäre auch in effektiven Plänen ein denkbares Gleichgewicht. Es sind aber auch unendlich
viele andere Gleichgewichte in effektiven Plänen denkbar. Um das andere Extrembeispiel zu
nehmen:
Angenommen niemand produziert. Dann gibt es keine Arbeitsplätze, also macht es keinen Sinn,
Arbeit anzubieten. Weil nun niemand ein Einkommen hat, ist die Güternachfrage Null. Und weil die
Güternachfrage Null ist, macht es auch für niemanden Sinn, die Produktion aufzunehmen.
Die Faktormärkte sind im Gleichgewicht: (Effektives) Angebot und (effektive) Nachfrage sind
Einführung in die VWL
7 Einleitung: Makroökonomie
S. 121
Null und das gleiche gilt für die Gütermärkte.
Unfreiwillige Arbeitslosigkeit kann also durchaus mit einem Gleichgewicht verbunden sein: Ich
würde zwar gerne etwas verdienen. Aber es gibt keine Arbeitsplätze. Also suche ich nicht.
Fragen zum siebten Kapitel
Verständnisfragen
1)
Warum nennt sich Keynes' Ansatz wohl nachfrageorientiert?
2)
Warum ist Aggregation immer falsch? Warum braucht man sie trotzdem?
3)
Ist Mikroökonomie immer Partialbetrachtung?
4)
Was ist der Unterschied zwischen notionalen und effektiven Plänen?
5)
Was ist der Unterschied zwischen BIP und BNP
6)
Was ist das Preisniveau?
7)
Erläutern Sie die Konzepte "Wachstumsrate" und Inflationsrate. Was wird jeweils gemessen?
Anwendungen
1)
Nehmen Sie an, der Preis für Gitarren sei 1970 gegenüber 1969 von 100 auf 80 gefallen, der von
Bässen von 100 auf 130 gestiegen. (Um das Beispiel einfach zu halten, seien die Preise für das
übrige Equipment Null.). Bilden Sie nun den Preisindex für 1970 (mit P 1969 = 100) einmal für Deep
Purple und einmal für Lynyard Skynyard und bestimmen Sie die beiden Inflationsraten. (Falls
jemand das nicht wissen sollte: Purple haben einen Gitarristen (zu ihrer erfolgreichen Zeit meist
Ritchie Blackmoore). Skynyard haben drei. Was lernt man an Ihrer Schule eigentlich im
Musikunterricht?)
Nehmen Sie nun eine Gruppe die ihr line up geändert hatte. 1969 hatte die Gruppe einen
Gitarristen und 1970 hat sie drei (z.B. weil Gitarren ja jetzt billiger geworden sind.) Welcher
Preisindex würde die Preisentwicklung für diese Band richtig wiedergeben?
2)
Nehmen Sie an, ein Kreditnehmer und ein Kreditgeber sind sich über den für einen Kredit zu
zahlenden Nominalzinssatz einig. Später stellt sich heraus, dass die Inflation höher ist, als es die
S. 122
7 Einleitung: Makroökonomie
Karl Betz
beiden erwartet haben.
a) Ist der Realzins höher oder niedriger als erwartet?
b) Kommt es für den Kreditgeber zu einem Gewinn oder Verlust aufgrund der unerwartet
hohen Inflation? Wie sieht es für den Kreditnehmer aus?
c) In Deutschland war die Inflation im Laufe der 1970er Jahre weit höher als von den meisten
Leuten zu Beginn des Jahrzehnts erwartet. Welche Folgen hatte dies für Hausbesitzer, die in den
1960ern Hypotheken zu festgesetzten Zinssätzen aufgenommen hatten und welche für die Banken,
die das Geld verliehen hatten?
3)
In einer fiktiven Volkswirtschaft existieren nur zwei Güter: Currywurst und Pommes. Im Jahr
2007 wurden 1.000 Portionen Currywurst zum Preis von 40 Cent verkauft und 800 Portionen
Pommes für 60 Cent. Der Preis für Currywurst lag 2008 25 % höher als 2007 und die Zahl der
Portionen ging um 10 % zurück; der Preis für Pommes fiel dagegen um 15 % die Anzahl der
verkauften Portionen legte um 5 % zu.
a) Berechnen Sie das nominelle BIP für 2007 und 2008.
b) Berechnen Sie das reale BIP für 2008 mit 2007 als Basisjahr.
c) Warum wäre eine Betrachtung der nominellen Veränderungen irreführend?
4)
Betrachten Sie die folgenden Angaben zum deutschen BIP:
Jahr
Nominales BIP
(in Mrd. €)
2008 2.481,2
2009 2.397,1
CPI
(Basisjahr 2005)
106,6
107
a) Berechnen Sie die Wachstumsrate des Nominaleinkommens zwischen 2008 und 2009.
(Hinweis: Die Wachstumsrate ist die prozentuale Änderung von einer Periode zur nächsten.)
b) Berechnen Sie die Wachstumsrate des CPI zwischen 2008 und 2009.
c) Wie hoch ist das Realeinkommen im Jahr 2008 ausgefallen, gemessen in Preisen von 2005?
d) Wie hoch ist das Realeinkommen im Jahr 2009 ausgefallen, gemessen in Preisen von 2005?
e) Berechnen Sie die Wachstumsrate des Realeinkommens zwischen 2008 und 2009.
f) Welche Wachstumsrate war höher, die des nominalen oder die des realen Einkommens?
Erklären Sie Ihr Ergebnis. (Ist das immer so?)
5)
Erläutern Sie den Unterschied zwischen effektiven und notionalen Plänen am Beispiel Ihrer
Urlaubsplanung.
6)
Worin besteht der grundsätzliche Unterschied zwischen neoklassischer (angebotsorientierter)
Sichtweise und keynesianischer (nachfrageorientierter) Sichtweise? Bitte antworten Sie verbal und
graphisch.
Einführung in die VWL
8 Geld und Banken
S. 123
8 Geld und Banken
Lernziele:
Geldfunktionen
Geldmengenaggregate
Geldentstehung: Giralgeld und Zentralbankgeld
EZB und ESZB
Geldmarktzins und Refinanzierungssatz der Notenbanken.
Geldmarktzins und Kreditvergabe der Banken.
lender of last resort
Banken und Vermögensmärkte
leverage und Eigenkapitalrendite
Bankenaufsicht
Für und wider der Bankenrettung
Banken als Finanzintermediäre
Warum Geld den Verzicht auf Nachfrage erlaubt
8.1 Geldmenge
Wenn ich Sie im Unterricht frage, was Geld sei, werden Sie das für keine besonders schwere
Frage halten - Geld, das sind eben die Noten und Münzen, die Sie mit sich herumtragen. In der
VWL definiert man Geld etwas anders (sonst wär's ja keine Wissenschaft, wenn jeder die Frage
beantworten könnte): Geld ist das, was die Geldfunktionen erfüllt. Diese sind
Recheneinheit (Preise werden in Geld ausgedrückt)
Zahlungsmittel (mit Geld können Sie Güter kaufen) und
Wertaufbewahrungsmittel (mit Geld können Sie sparen)
Eine weitere, etwas seltener gebrauchte, geht auf Alfred Marshall (Credit and Commerce)
zurück: Inhalt von Schuldverträgen (medium of deferred payments): In Geld werden Forderungen
ausgedrückt und beglichen.
Wenn man von diesen Funktionen her kommt, dann können die aber nicht nur von dem Geld in
Ihrer Hosentasche sondern nahezu genauso gut von dem Geld auf Ihrem Konto (so die Bank denn
nicht gerade pleite geht, daher u.a. das "nahezu") erfüllt werden.
Aber nicht ganz so gut: Die Annahme von Schecks oder Karten kann man verweigern. (In
meinem Kaufladen an der Ecke finden Sie z.B. die Einschränkung: „Kartenzahlung erst ab 5 €
möglich“ und bei Karstadt steht an der Kasse ein Schild: „Zahlung mit EC-Karte bei Beträgen über
400 € nur gegen Vorlage des Personalausweises“.) In solchen Fällen müßten Sie evtl. erst zum
nächsten Geldautomaten, um zahlen zu können.
Also: Einlagen bei Banken funktionieren fast so gut wie Bargeld, aber nicht ganz so gut.
S. 124
8 Geld und Banken
Karl Betz
Deswegen unterscheidet die VWL unterschiedliche Geldbegriffe nach ihrer Bargeldnähe (oder
ihrem Liquiditätsgrad).1
Prominent sind vier Geldmengenaggregate, die hier kurz aufgezählt werden sollen, damit Sie
wissen wovon die Rede ist, wenn Sie in einer Statistik darüber stolpern (auswendig lernen müssen
Sie sie nicht, ich schlag die im Zweifelsfall selbst immer erst nach):
Der erste Begriff ist die Zentralbankgeldmenge - das ist das Geld das die Zentralbank
ausgegeben hat, die Summe aller Noten und Münzen. Weil ich bei der Zentralbank aber immer auch
zahlen kann, in dem ich auf meine Guthaben bei ihr zurückgreife, zählt hierzu nicht nur das
physische Geld, sondern es zählen auch die Einlagen (vor allem: der Banken) bei der Zentralbank
dazu. Diese Geldmenge werde ich in Zukunft Z nennen (Zentralbankgeldmenge). Im Juni 2010
betrug sie rund2 1,4 Bio. €
M0 ist der Bargeldumlauf, das Zentralbankgeld in Händen des Publikums
also der Teil der Zentralbankgeldmenge, der außerhalb des Bankensystems umläuft. Zu M0 gehören
die Scheine in Ihrer Hosentasche, nicht aber die Scheine im Geldautomaten. Warum das so komisch
definiert wird, habe ich als Studi auch nie verstanden, es wird im folgenden Abschnitt aber klar
werden.
Lustiger Weise sind die übrigen Geldmengendefinitionen von Land zu Land unterschiedlich. Ich
klaue hier einfach mal die Auflistung aus wiki (Zahlen aktualisiert / Quelle: Monatsberichte der
EZB):
M0 betrug im Juni 2010 in Euroland 785,6 Mrd. Euro
Für M1 bis M3 definiert die Europäische Zentralbank:
M1: M0 + Sichteinlagen der Nicht-Banken
Jun. 2010: 4.662,6 Mrd. Euro
M2: M1 plus Einlagen mit vereinbarter Laufzeit bis zu zwei Jahren und Einlagen mit
gesetzlicher Kündigungsfrist bis zu drei Monaten;
Jun. 2010: 8 293,5 Mrd. Euro
M3: M2 plus Anteile an Geldmarktfonds, Repoverbindlichkeiten, Geldmarktpapieren und
Bankschuldverschreibungen mit einer Laufzeit bis zu zwei Jahren.
Jun. 2010: 9 423,2 Mrd. Euro
Definitionen der Schweizer Nationalbank:
M0: Notenbankgeldmenge;
M1: Bargeldumlauf und Sichteinlagen;
M2: M1 plus Spareinlagen in Schweizer Franken;
M3: M2 plus Termineinlagen in Schweizer Franken.
1 Allerdings erfüllt Geld auch nicht immer alle Geldfunktionen: In dollarisierten Ökonomien, also in Ländern, in
denen neben der Landeswährung auch in großem Umfang der Dollar oder der € umläuft, werden Sie oft
Schwierigkeiten haben, mache Waren in der Landeswährung zu bekommen oder langfristige Verträge in der
Landeswährung abzuschließen. Versuchen Sie beispielsweise mal, in Zimbawe mit Simbabwe-Dollar einkaufen zu
gehen oder gar einen Mietvertrag abzuschließen ...
2 Die EZB weist Z nicht gesondert aus. Daher berechnet aus Bargeldumlauf plus Einlagen bei der EZB. Weil aber nur
kurzfristige Einlagen zu Z zählen würden und ein Teil der Verbindlichkeiten nicht nach Fristen aufgegliedert ist,
kann die Zahl um die ein- oder andere Milliarde daneben liegen.
Einführung in die VWL
8 Geld und Banken
S. 125
Die US-Zentralbank Fed definiert:
M0: alle US-Dollar-Bar-Bestände in Banknoten und Münzen,
M2: alle US-Dollar-Bar-Bestände in Banknoten und Münzen, plus die laufenden $Girokontenbestände plus alle $-Einlagenzertifikate (z. B. $-Staatsanleihen) und alle $-GeldmarktKontenbestände unter $100.000,
M3: alle US-Dollar-Bar-Bestände in Banknoten und Münzen, plus die laufenden $Girokontenbestände plus alle $-Einlagenzertifikate (z. B. $-Staatsanleihen) und alle $-GeldmarktKontenbestände unter $100.000, plus alle größeren Guthaben über $100.000 u. a. die EurodollarReserven, größere übertragbare $-Wertpapierbestände, und die Dollar-Devisenbestände der meisten
nichteuropäischen Länder. Diese Geldmenge wird von der Fed berechnet, aber seit 2006 nicht mehr
veröffentlicht.
Die Details sind also reichlich willkürlich, das Muster ist aber klar: Ein höheres M ist immer das
niedrigere Geldmengenaggregat plus einige weitere Geldanlagen, an die man etwas schwerer
rankommt.
Die Geldmenge ist vor allem im Rahmen der Quantitätstheorie des Geldes wichtig.
Diese geht davon aus, daß die Zentralbank (zusammen mit dem Bankensystem) die Geldmenge
exogen vorgibt.
Die Höhe dieser Geldmenge wiederum bestimmt, wie viel Güter die Haushalte nachfragen, denn
ein Kauf ist ja ein Tausch von Geld gegen Güter.
Eine hohe Geldmenge bedeutet dann eine hohe Nachfrage und eine hohe Nachfrage läßt die
Preise steigen. (Denn, erinnern Sie sich: Die neoklassische Theorie hat ja immer Vollbeschäftigung
– die Mengen können also nicht steigen.)
Kurzfristig mag es daher zwar Abweichungen geben, aber langfristig führt eine Verdopplung der
Geldmenge lediglich zu einer Verdopplung aller Preise. Die heutige Entwicklung der Geldmenge
würde deswegen eine gute Prognose für die zukünftige Entwicklung der Inflationsrate geben.
Quantitätstheorie des Geldes
Eine höhere der Geldmenge bedeutet langfristig nur höhere Preise. BIP und Beschäftigung
werden davon nicht beeinflußt.
(Allerdings: Der Anpassungsprozeß von einem Preisniveau auf das andere (die Inflation) kann
sehr wohl Auswirkungen haben.)
Nun ist es zwar unstrittig daß man, bei der gleichen realen Gütermenge mehr Geld braucht, wenn
die Preise höher sind. Ansonsten aber sind zwei Annahmen fragwürdig:
Erstens: liegt keine Vollbeschäftigung vor, könnte eine höhere Geldmenge auch ein höheres
reales BIP ermöglichen und
Zweitens: Die Geldmenge ist schlicht und einfach nicht exogen vorgegeben.
Und drittens: Von welcher Geldmenge ist eigentlich die Rede? Oben wurden ja schonmal vier
Aggregate aufgelistet - und die entwickeln sich nicht notwendig einheitlich.
Zu erstens kann man unterschiedlicher Meinung sein. Diese Frage verfolgen die späteren Kapitel
weiter. Zu zweitens nicht. Dazu jetzt.
S. 126
8 Geld und Banken
Karl Betz
8.2 Wie Geld entsteht
8.2.1 Wie Z entsteht
Ich beginne mit der Entstehung von Zentralbankgeld. Banken können Zentralbankgeld
bekommen, in dem sie es sich von der Zentralbank leihen. Angenommen, die Banken wollen sich
100€ von der Notenbank leihen. 20 davon wollen sie in der Kasse halten, falls irgendwelche
Kunden die Frechheit haben sollten, Einlagen abheben zu wollen und 80 € parken sie auf ihrem
Girokonto bei der Notenbank. Dann sieht das in T-Konten3 so aus:
Abb. 8.1: Entstehung von Zentralbankgeld
ESZB
0
Bank
0
0
ESZB
Ford. Bank
100
0
Bank
20
Noten
80
Einl. Bank
Z
Kasse
20
F EZB
80
100
Verb. EZB
Also: Durch die Kreditaufnahme der Bank ist Zentralbankgeld in gleicher Höhe entstanden
(rechte Seite des Kontos des ESZB bzw. linke Seite des Kontos der Bank). Das Nettovermögen ist
Null geblieben: Aus Sicht der Bank: Sie hat jetzt 100 mehr an Geldvermögen – aber sie hat zugleich
100 mehr an Schulden. Aus Sicht der Notenbank: Sie hat jetzt 100 mehr an Forderungen gegen
Banken – aber sie hat zugleich 100 mehr an Verbindlichkeiten – in Form von Einlagen der Banken
und in Form von bedruckten Zetteln (Geldscheinen), die sie den Banken gegeben hat. Die
Zentralbankgeldmenge ist also eine Verbindlichkeit der Zentralbank gegenüber dem Rest der
Ökonomie – der hier nur aus der Bank besteht.
EZB und ESZB
Die Zentralbank von €land ist im strengen Wortsinn nicht, wie man dies umgangssprachlich
benutzt, die EZB. Vielmehr wird der € vom Europäischen System der Zentralbanken emittiert.
Diesem System gehören die (derzeit: 17) nationalen Zentralbanken aller Euroländer an (also die
Bundesbank, die französische und luxemburgische Nationalbank u.s.w.) plus die EZB (mit Sitz
in Frankfurt) an. Die Geldpolitik der Gruppe wird vom Rat der EZB beschlossen. Ihm gehören
die sechs Mitglieder des Direktoriums der EZB sowie die Präsidenten der nationalen
Zentralbanken der 17 Länder des Euroraums an.
Jede dieser 18 Notenbanken hat ihre eigene Bilanz. Will man sich die Zentralbankgeldmenge
ansehen, darf man daher nicht auf die Bilanz der EZB sehen, sondern man muß sich die
aggregierte Bilanz des Eurosystems vornehmen.
Durchgeführt wird die Geldpolitik von den nationalen Zentralbanken. Die Commerzbank holt
sich bei Bedarf frisches Geld also nicht von der EZB, sondern von der Deutschen Bundesbank.
Damit ist die Geldmenge nicht exogen vorgegeben:
3 In T-Konten verbucht man nur die Veränderung der Bilanzen durch den betrachteten Vorgang. Die untere Bilanz
behauptet also nicht, die Zentralbankgeldmenge sei 100, sondern sie sagt nur, daß sie um 100 gestiegen ist.
Einführung in die VWL
8 Geld und Banken
S. 127
Erstens können die Banken Geld, das sie nicht brauchen, wieder an die Zentralbank zurück
geben. Warum sie das tun sollten?: Naja: Sie müssen ja auf ihre Schulden bei der Notenbank Zinsen
zahlen (den Refinanzierungssatz der Notenbank). Auf ihre Einlagen bei der Notenbank bekommen
die Banken zwar auch Zinsen, aber weniger als sie auf ihre Verbindlichkeiten zahlen müssen. Dies
können Sie in Abb. 8.1 überprüfen.
Tab.: 8.1: Zinssätze der EZB
In der Spalte Einlagefaszilität sehen Sie, daß die Einlagen der Banken beim ESZB derzeit mit
0,25% verzinst werden. Für ihre Kredite vom ESZB müssen die Banken aber 1%, bzw. wenn sie
sich das Geld ganz kurzfristig liehen mußten, 1,75% Zinsen zahlen. Es lohnt also für eine Bank,
wenn sie Geld, das sie gerade nicht braucht, wieder ans ESZB zurück gibt. (Was Sie in der Tabelle
auch sehen, ist, daß die EZB, im Zuge der Krisenbekämpfung, alle Zinsen deutlich abgesenkt hat.)
Umgekehrt kann eine Bank, wenn sie mehr Geld braucht, sich dieses von der nationalen
Notenbank leihen.
Zentralbankgeld entsteht also, wenn sich Banken bei der Notenbank verschulden
und es wird vernichtet, wenn Banken ihre Schulden bei der Notenbank abbauen.
Damit ist klar, daß die Zentralbankgeldmenge nicht einfach vorgegeben ist, sondern daß sie über
S. 128
8 Geld und Banken
Karl Betz
einen Markt, den Geldmarkt, geschaffen und vernichtet wird. Der Preis an diesem Markt ist der
Preis für die Geldleihe bei der Zentralbank (der Zinssatz, iZB) und die Menge ist die Zentralbankgeldmenge.
An diesem Markt sind die Banken die Nachfrager: Sie besorgen sich zusätzliches Zentralbankgeld, wenn sie mehr Kredite vergeben oder mehr Reserven auf ihre Verbindlichkeiten halten
wollen. (Bisher bestehen die Verbindlichkeiten der Banken nur aus den Einlagen der Kunden und
Verbindlichkeiten gegenüber Notenbank.)
Anbieter am Geldmarkt sind zwar auch andere Banken (die kurzfristig überschüssige Liquidität
haben) und Nichtbanken (Geldmarktanlagen (z.B. Tagesgeld) und Geldmarktfonds), aber der
entscheidende Anbieter ist die Notenbank, denn sie kann ihren Zinssatz immer durchsetzen, weil sie
bestimmt, bei welchem Zinssatz zusätzliches Geld entsteht (wenn ich mir Geld für 3% bei der
Zentralbank leihen kann, leihe ich es mit nicht für 5% bei jemand anders) und welcher Zins
mindestens verlangt wird (wenn ich für mein Geld 2 % von der Notenbank bekomme, gebe ich es
nicht jemand anderem zu 1%).
Abb. 8.2: Geldmarkt
Hinter der Nachfragekurve der Banken nach Zentralbankgeld steht dreierlei:
Erstens die geplante Kreditvergabe der Banken (hierzu gleich mehr)
Zweitens hebt das Publikum (die übrige Ökonomie) einen Teil des durch die Kreditvergabe
entstehenden (Brutto-) Geldvermögens ab. Dadurch entsteht der Bargeldumlauf. Und diese Noten
müssen die Banken sich von der Notenbank besorgen (= leihen).
Drittens wollen die Banken selbst Reserven halten, weil sie ja ihrerseits Schulden haben.
Daß der Zinssatz der Notenbank den Zinssatz am Geldmarkt bestimmt, können Sie Abb. 8.3
entnehmen, welche die Entwicklung der Zinsen am €-Geldmarkt von 2003 bis 2006 wiedergibt. Die
Notenbank gibt den Rahmen vor, innerhalb dessen das Zinsniveau sich bewegen kann und alle
Einführung in die VWL
8 Geld und Banken
S. 129
Schwankungen am Geldmarkt zentrieren um den Hauptrefinanzierungssatz der Notenbank.
Daß es überhaupt zu Abweichungen von diesem kommen kann, hat zwei Gründe: Erstens finden
die Hauptrefinanzierungsgeschäfte (zu normalen Zeiten) nicht täglich sondern nur wöchentlich oder
14 täglich statt. Wer zwischendurch Geld braucht, kriegt dieses eben nur von anderen Anbietern
oder, wenn's ganz dicke kommt, zum Spitzenrefinanzierungssatz bei der Notenbank.
Und zweitens hat zwar das Bankensystem insgesamt, haben aber nicht alle kleineren Banken
Zugang zu Notenbankkrediten – weil das Kosten verursacht. Kleinere Banken müssen sich also das
Geld für ihr Geschäft bei anderen Banken leihen.
Abb. 8.3 Zinskorridor
geklaut bei Blanchard / Illing
Was man in dieser Grafik mit einiger Überlegung auch erkennen kann, ist die Macht der
Notenbank, die es ihr erlaubt, den Wert ihres Geldes zu verteidigen: Die Notenbank verleiht
Zentralbankgeld und hat dafür Zinsen zu bekommen. Am Rückzahlungstermin hat die Notenbank
also mehr Zentralbankgeld zurück zu bekommen, als Sie je ausgegeben hat. Es ist aber nur so viel
Geld da, wie sie zuvor ausgegeben hat. Es folgt also: Die Notenbank hat mehr Geld zu bekommen,
als überhaupt da ist – und nur sie kann diese Rückzahlung ermöglichen, in dem sie der Ökonomie
das erforderliche zusätzliche Zentralbankgeld selbst zur Verfügung stellt – sei es als neuen Kredit,
oder sei es, daß sie ihre Gewinne an den Staat abführt und dieser das Geld als Staatsausgaben in den
Markt gibt.
Daran würde sich dann selbst nichts ändern, wenn dieses Geld sofort wieder bei ihr angelegt
würde, denn wie Sie der Grafik auch entnehmen können, ist der Habenzinssatz bei der Notenbank ja
niedriger als der Sollzinssatz.
8.2.2. Wie M entsteht
Wenn über M geredet wird, dann ist die Rede vom (Netto-)Geldvermögen der Nichtbanken. Hier
wird also die Zentralbank und werden die Banken zu einem Sektor zusammen gefaßt und die
Forderungen des Rests der Ökonomie, genannt Publikum, gegen diesen Sektor werden als Geld
S. 130
8 Geld und Banken
Karl Betz
definiert. (Oder genauer: der Teil dieser Forderungen, der in der jeweiligen Geldmengendefinition
enthalten ist.) Nicht in M enthalten sind also Kredite, die das Publikum einander gibt. Ihre 3Monats-Einlage bei der IKB gehört also zur Geldmenge. Die Siemensschuldverschreibung mit drei
Monaten Restlaufzeit hingegen nicht – obwohl die Forderung gegen Siemens im Zweifelsfall
sicherer ist, als die gegen die IKB.
Also wie entsteht M? Naja, halt genauso so wie Z – in dem der Rest der Ökonomie, das
Publikum – sich gegenüber den Banken verschuldet.
Abb. 8.4 Entstehung von M
ESZB + Banken
Publikum
0
0
0
ESZB + Banken
Ford.
gegen
Publikum
150
Publikum
20
Bargeldumlauf
80
Depositen
sonst. Verbindl.
gegen Publikum
50
0
M
Bargeld
Einlagen, die
zu M zählen
Ford., die nicht
zu M zählen
20
80
150
Verbindlichkeiten
gegen Banken
50
Die sonstigen Verbindlichkeiten der Banken, die oben aufgeführt wurden, können
Bankobligationen, Verbindlichkeiten gegen Geldmarktfonds oder das Eigenkapital (als
"Verbindlichkeit gegen sich selbst" sein).
M entsteht also über das Kreditangebot der Banken und die Kreditnachfrage der übrigen
Ökonomie. Dabei sind die Banken nicht, wie sie das üblicher weise in den Lehrbüchern lesen, durch
das von der Notenbank bereit gestellte Zentralbankgeld beschränkt: Wenn sie als Folge ihrer
Kreditvergabe mehr Zentralbankgeld brauchen, entweder weil das Publikum Einlagen abhebt oder
weil die Banken selber mehr Reserven halten wollen oder müssen, dann leihen sie sich dieses Geld
eben bei der Zentralbank.
Für das Kreditangebot (und damit für die Bereitstellung von M) gibt es vielmehr drei andere
Beschränkungen:
Erstens die Refinanzierungskosten der Banken bei der Notenbank. Steigt der Notenbank Zinssatz, dann wird die Geldbeschaffung für die Banken teurer. Also wird die Kreditangebotskurve der
Banken sich nach oben verschieben.
Zweitens die Risikoeinschätzung der Banken: Halten die Banken die Kreditvergabe für riskanter,
werden sie einen höheren Zinsaufschlag fordern: Das Kreditangebot sinkt, bzw. die Angebotskurve
für Kredite verschiebt sich nach oben.
Drittens die Kosten der Eigenkapitalbeschaffung: Banken müssen Eigenkapitalvorschriften
einhalten. (Aus gutem Grund, siehe 8.2.3.) Im Prinzip ist diese Eigenkapitalanforderung als
Prozentsatz der Bilanzsumme festgeschrieben.4 Wenn daher die Kreditvergabe ausgeweitet werden
4 „Im Prinzip“ erstens, weil nicht einfach alle Kredite zusammen gezählt werden, sondern diese zuvor nach Risiko
gewichtet werden. (Wobei die Banken im Zweifelsfall selbst bestimmen können, welches Risikogewicht sie
einsetzen wollen). Und „im Prinzip“ zweitens, weil alle möglichen Formen von Fremdkapital zum Eigenkapital
gezählt werden dürfen. Daher können Banken einerseits eine Eigenkapitalquote von 6% oder 8% veröffentlichen
und zugleich einen leverage von 40 haben, also 40 mal soviel an Krediten vergeben, wie sie an Eigenkapital haben.
Mit Basel 3 soll dieser Wildwuchs etwas begrenzt werden, in dem neben den Eigenkapitalvorschriften eine
Einführung in die VWL
8 Geld und Banken
S. 131
soll, müßte evtl. zusätzliches Eigenkapital eingeworben werden - und auch das kostet (bzw. ist in
einer Krise wie der letzten schlicht nicht möglich.)
Die Bargeldmenge und die höheren Geldmengenaggregate entstehen also über den Kreditmarkt –
und das ist nun die Verbindung zwischen Geld und Nachfrage: Kredite werden (unter anderem)
aufgenommen, um Investitions- oder Konsumnachfrage zu finanzieren.5
Abb. 8.5: Kreditmarkt
Um nur einige Aspekte kurz zu besprechen:
Erstens: Der Kreditzinssatz wird über dem Notenbankzins liegen. Egal ob die Kreditangebotskurve der Banken flach ist oder, wie hier, ansteigt: In deren Angebotskalkül gehen weitere Kosten,
die oben schon angesprochen wurden ein: Risiko, Reservehaltung und so weiter. Der Zinssatz der
Notenbank ist daher ein Lageparameter der Kreditangebotsfunktion, aber nicht der einzige. Wenn
die Notenbank ihren Refinanzierungssatz anhebt - und wenn sich sonst nichts tut – dann wird sich
die Kreditangebotsfunktion nach oben verschieben. Da der Kreditzins nie unter dem Notenbankzinssatz liegen kann, hat die Notenbank immer die Möglichkeit, höhere Zinsen durchzusetzen
– werden die Banken optimistischer und ihr geforderter Risikoaufschlag sinkt, dann muß sie den
Refinanzierungssatz eben etwas stärker anheben als andernfalls. Das Umgekehrte gilt aber nicht: Da
der Refinanzierungssatz nie unter Null fallen kann,6 kann es sein, daß zwar die Notenbank ihren
Refinanzierungssatz auf Null senkt, die Risikoeinschätzung der Banken aber ansteigt und das
maximale leverage ratio definiert werden soll – wogegen die Banken natürlich Sturm laufen. So wie es aussieht, mit
Erfolg: Die leverage ratio, die jetzt vorgeschlagen wurde, ist 33 (Stand Anfang September 2010).
5 Oder Kassenhaltung. Das harmlose Beispiel ist das Geld in Ihrer Hosentasche. Die letzte Krise liefert hier wieder
dramatischere Beispiele: Hier haben Firmen ihren Überziehungsrahmen bei ihrer Bank ausgeschöpft, um das Geld
dann anderswo kurzfristig anzulegen. Der Grund: Sie mußten befürchten, daß die Bank, weil in Schwierigkeiten,
ihnen in absehbarer Zeit die Kreditlinie kürzen könnte und wollten auf diesem Weg ihre Zahlungsfähigkeit
sicherstellen.
S. 132
8 Geld und Banken
Karl Betz
Zinsniveau deswegen steigt. In genau dieser Situation waren wir 2008. Allerdings nicht nur:
Zugleich reduzierten die Verluste das Eigenkapital der Banken, so daß diese Schranke der
Kreditvergabe bindend wurde. Daher griffen auch die staatlichen Kreditgarantien nicht, die die
Risikoeinschätzung der Banken senken sollten. Die Banken nahmen die Geschenke (billigere
Refinanzierung bei geringerem Risiko) zwar gerne an, konnten aber mangels Eigenkapital trotzdem
nicht mehr Kredite vergeben.7 Im Ergebnis war die Zinsspanne der Banken und (waren daher deren
Gewinne) höher, ohne daß dies die Krise gemildert hätte.
Zweitens: Einlagen sind, zwar nicht für den Markt insgesamt, wohl aber für jede einzelne Bank,
eine Alternative zur Refinanzierung bei der Zentralbank. Also setzt der Refinanzierungssatz der
Notenbank eine Obergrenze für den Einlagenzinssatz8 und beeinflußt diesen: Ein höherer
Notenbankzinssatz bedeutet einen höheren Einlagenzinssatz.
Damit liegt eines einzigen Zinssatzes, der in Kapitel 6 besprochen wurde, jetzt schon ein ganzes
Bündel an Zinssätzen, die zwar alle miteinander zusammenhängen, die aber unterschiedlich hoch
sind. Diese Zinssätze lassen sich noch weiter ausdifferenzieren, wenn man bedenkt, daß es
unterschiedlich riskante und unterschiedlich langfristige Anlagen gibt, wobei ein höheres Risiko
immer und eine längere Laufzeit normalerweise höhere Zinssätze verlangt.
Bei einer längeren Laufzeit ist das deswegen nicht so eindeutig, weil da noch Zinsänderungserwartungen wichtig sind. Nehmen Sie an, Sie sind in einer Phase mit sehr hohen Zinssätzen und
Sie erwarten, daß die Zinsen in der Zukunft sinken werden. Dann sind langfristige Anlagen
attraktiv, denn nach der Rückzahlung der kurzfristigen Anlage können Sie Ihr Geld ja erwartungsgemäß nur noch zu geringeren Zinsen anlegen. Daher wird man in so einer Situation langfristige
Anlagen kurzfristigen vorziehen und daher werden auch niedriger verzinste langfristige attraktiv.
Und, letzte Anmerkung: in Kapitel 6 - wurde ein Zusammenhang zwischen Zinssatz und
Profitrate hergestellt. Da es nun mehrere Zinssätze im Modell gibt, stellt sich die Frage, welcher
davon denn nun für die Bestimmung der Profitrate wichtig ist. Da helfen wieder mal die
Opportunitätskosten weiter: Die Alternative zur Eigenfinanzierung ist die Fremdfinanzierung - und
die kann über den Kreditmarkt erfolgen. Folglich muß der Kreditzinssatz, und hier der langfristige
Zinssatz, die relevante Größe sein.
Ach, einen hab ich noch: In makroökonomischen Modellen wird (qua Aggregation) nur mit
einem Zinssatz gearbeitet - man kann das am besten mit dem "Zinsniveau" übersetzen. Das kann
aber auch zu Fehlschlüssen führen: Nehmen Sie die Privatisierung der Bildung. Hier wird gerne
argumentiert, daß der Gegenwartswert der Ausbildung die abdiskontierten zukünftigen Einkommenssteigerungen durch einen besseren Bildungsabschluß seien. Also sei es doch die beste
6 Nehmen Sie an, der Refinanzierungssatz ist -1%. Dann bekommt eine Bank, sie sich 100 € bei der Notenbank leiht,
jährlich einen € von der EZB. Was macht dann eine Bank, die ihren Profit maximierenden will? Richtig: Sie leiht
sich einfach unendlich viel und schließt das Geld in ihrem Tresor weg. Ihre Opportunitätskosten für eine
Kreditvergabe sinken dadurch aber nicht: Das Risiko eines Vermögensverlustes ändert sich ja nicht und die
Alternative zum Ausleihen bleibt das nicht-Ausleihen, das die Bank nichts kostet. Die negativen Zinsen kommen
dann also bei den Banken an, aber nicht im Rest der Ökonomie. Man könnte den Banken das Geld dann auch gleich
schenken – was in großem Umfang ja auch geschehen ist.
7 Barajas, Adolfo / Chami, Ralph / Cosimano, Thomas F. / Hakura, Dalia (2010) U.S. Bank Behavior in the Wake of
the 2007-2009 Financial Crisis. IMF WP 10/131
8 Wie kommt es dann zu den Angeboten von Festgeldzinssätzen, die über dem Refinanzierungssatz liegen? Das sind
(mal abgesehen von zeitlich und im Volumen begrenzten Lockvogelangeboten, wie die Postbank sie gerne einsetzt)
meist Angebote ausländischer Banken ohne Zugang zu Notenbankkrediten. Weil Kredite an diese Banken als riskant
eingeschätzt werden, bekommen sie am Geldmarkt - wenn überhaupt - nur mit einem Risikoaufschlag Kredit. Wer
also heute zu 2,5% größere Beträge bei einer estländischen Bank anlegt, oder wer das vor der Krise bei einer
isländischen Bank getan hat, sollte sich nicht beklagen, wenn das Risiko, für das der höhere Zinssatz entschädigt,
dann auch tatsächlich mal eintritt.
Einführung in die VWL
8 Geld und Banken
S. 133
(weil: die Markt-)Lösung, wenn Ausbildung privat finanziert werde. Man könne seine Ausbildung,
so lange sie sich lohne, dann ja über Kredit finanzieren.
Abgesehen davon, daß an dem Argument alles mögliche falsch ist (Bildung erzielt externe
Effekte, also wäre die private Nachfrage zu niedrig. Der Ausbildungserfolg ebenso wie die späteren
Berufsaussichten sind für den Einzelnen unsicherer als für den gesellschaftlichen Durchschnitt, also
ist das Risiko individuell betrachtet höher und daher wäre die Nachfrage nach Bildung zu niedrig)
werden auch zwei Argumente übersehen, die mit dem Zinssatz zusammenhängen: (a) Wenn Sie Ihre
Ausbildung aus Ihrem Vermögen (ok, aus dem Einkommen Ihrer Eltern) finanzieren können, sind
Ihre Opportunitätskosten die Vermögens- hier die Einlagenzinssätze. Wenn Sie die Ausbildung über
Kredit finanzieren, bestehen die Opportunitätskosten in den Kreditzinsen. Letztere sind aber höher
als erstere. Folglich haben arme Haushalte einen höheren Diskontierungsfaktor. Also können sie nur
weniger für Bildung zahlen. Also werden bestehende Einkommensungleichheiten zementiert. Und
(b): Die günstigsten Kreditkonditionen hat der Staat. Also diskontiert er die Erträge aus zusätzlicher
Bildung mit einem niedrigeren Zinssatz ab. Also fragt er mehr Bildung nach. Aus alle diesen
Gründen führt eine öffentliche Finanzierung von Ausbildung auf ein im Durchschnitt höheres
Bildungsniveau.
8.2.3 Zusammenfassung: Wie Geld entsteht
Zentralbankgeld entsteht, indem Banken sich bei der Zentralbank verschulden.9
Buchgeld entsteht, indem das Publikum sich bei den Banken verschuldet.
Bargeld entsteht, indem das Publikum Zentralbankgeld bei den Banken abhebt.
Die Banken sind also die Nahtstelle zwischen Publikum und Notenbank und nehmen so die
Schlüsselstellung bei der Geldversorgung der Ökonomie ein.
Man kann an dieser Zusammenfassung die Ursache für einige blinde Stellen der ökonomischen
Theorie sehen, die die letzte Krise, naja, zumindest: Zu einer Überraschung gemacht haben.
(Ermöglicht haben, wäre ein Euphemismus: Krisen brauchen nicht die Hilfe der VWL, um
auszubrechen. Auch wenn es so zugegebener Maßen leichter ging.)
Erstens: In den Lehrbüchern werden Banken und Notenbank im Verhältnis zum Publikum wie
ein Sektor behandelt. Damit wird ausgeblendeet, daß die Banken ein anderes Kalkül als die
Notenbank haben. Es liegt dann nahe, so zu tun, als ob die Geld- und Kreditversorgung der
Ökonomie immer der Logik der Notenbank folgt und so zu tun, als könne es keine Probleme in der
Interaktion zwischen Banken und Notenbank geben. Die Banken werden so quasi zum passiv
ausführenden Organ der Geldpolitik stilisiert.
Zweitens: Geldvermögen, das nicht in den Bilanzen der Banken erscheint, wird nicht als
Geldvermögen behandelt: Wenn Firmen sich z.B. gegenseitig höhere Kreditlinien bewilligen, steigt
zwar das Kreditvolumen. Es steigt aber nicht das Geldvermögen. Wenn ich mein Geld statt bei einer
Bank bei einem Hedgefonds anlege, bei dem ich diese Einlage kurzfristig abziehen kann, dann wird
das nicht als M behandelt – obwohl es natürlich für die Haushalte Geldvermögen ist. Und wenn
Banken, weil sie mit dem gleichen Eigenkapital mehr Geschäfte und daher höhere Gewinne machen
9 Zentralbankgeld entsteht auch, wenn die Zentralbank fremde Währungen ankauft. Aber erstens sind wir noch in der
Theorie der geschlossenen Volkswirtschaft. Und zweitens: Raten Sie mal, wie die fremde Währung wohl in Umlauf
gekommen ist.
S. 134
8 Geld und Banken
Karl Betz
wollen, einen Teil ihrer Kredite aus ihrer Bilanz nehmen - sei es, indem sie diese verbriefen (zu
einem Wertpapier verpacken und dieses verkaufen), sei es, in dem sie diese in conduits
(Zweckgesellschaften die ihnen zwar gehören, aber keine Bank sind) auslagern, dann sieht man das
auch nicht in M - obwohl es natürlich das Kreditvolumen betrifft.
Too interconnected to fail
Zugleich erkennt man, daß Banken systemwichtig sind: Ohne Banken funktioniert das
Geldsystem nicht und damit funktionieren keine Zahlungen und keine Kreditvergabe mehr in der
Ökonomie. In einer Krise muß also das Bankensystem um jeden Preis gerettet werden. Nicht weil
es wichtiger wäre, die Jobs von Brokern zu erhalten als die von Opelanern, sondern weil man Autos
notfalls importieren kann, Geldversorgung aber nicht.
Und es gibt noch einen zweiten Grund, der Banken von Autobauern unterscheidet: Wenn Opel
pleite geht, steigt der Absatz und steigen daher die Gewinne von Ford. Bei Banken sieht das anders
aus. Wenn eine Bank Verluste macht, dann sinkt ihr Eigenkapital. Fällt das Eigenkapital, so fällt die
die Eigenkapitalquote, also das Eigenkapital geteilt durch alle Aktiva in ihrer Bilanz. In dieser
Situation wird sie, insbesondere, wenn viele andere Banken in einer ähnlichen Lage sind,
gezwungen sein, einen Teil ihrer Aktiva zu verkaufen, um ihre Eigenkapitalquote zu erhöhen.
(Durch den Verkauf steigt natürlich nicht das Eigenkapital. Aber die Bilanzsumme geht zurück und
weil die Eigenkapitalquote gleich Eigenkapital/Bilanzsumme ist, steigt in der Folge die
Eigenkapitalquote.) Das Problem an der Sache ist nur, daß im Zweifelsfall alle anderen Banken die
gleichen oder ähnliche Wertpapiere in ihren Beständen haben. Wenn nun Bank A zu Notverkäufen
gezwungen ist, und dadurch die Kurse sinken, sinken damit zugleich die Kurse der Wertpapiere von
Bank B, C und D. Also nimmt auch deren Eigenkapital ab. Damit kann dann wiederum eine dieser
anderen Banken ins Trudeln kommen und eine Lawine entsteht.
Verschärfend kommt hinzu, daß, wenn Bank A ihre Kreditvergabe einschränkt, die Kunden
dieser Bank schwerer an Geld kommen. Diese Bankkunden haben aber ihrerseits Lieferbeziehungen
zu Kreditnehmern von Bank B, C und so weiter. Schränken sie jetzt, weil sie von Bank A keinen
Kredit mehr bekommen, ihre Bestellungen bei ihren Lieferanten ein (oder zahlen sie ihre
Rechnungen verspätet), können diese wiederum nicht mehr ihren Zahlungsverpflichtungen
gegenüber Bank B, C und D nachkommen.
Während es also VW besser geht, wenn Opel pleite geht, geht es der Deutschen Bank schlechter,
wenn die Commerzbank pleite geht.
Solange nur eine einzelne kleine Bank in Rede steht, hält das System das im Zweifelsfall aus. In
den USA gehen Jahr für Jahr Provinzbanken pleite, ohne daß das System deswegen zusammenbräche. Sobald aber größere Banken, oder Banken, die besonders viele Verbindungen zu anderen
Banken haben, in Schieflage geraten, droht ein Dominoeffekt, der die ganze Ökonomie in den
Abgrund reißt.
Dabei müssen die Banken im Prinzip nicht mal etwas falsch gemacht haben. Es genügt, wenn
Einleger glauben, einige Banken hätten Verluste gemacht deswegen und beginnen, ihre Einlagen
abzuziehen. Die einsetzende Bankpanik kann dann genau die Verluste auslösen, die den (ursprünglich unbegründeten) Verdacht der Einleger bestätigen.
Das 19. Jahrhundert war daher in Großbritannien und den USA von periodisch wiederkehrenden
Bankpaniken gekennzeichnet, die schließlich eine staatliche Stabilisierung des Bankensektors
erforderlich machten. Hier sind zwei wichtige Maßnahmen zu nennen. Erstens übernahm die
Zentralbank die Rolle des lenders of last resort. Banken konnten sich, gegen gute Sicherheiten,
jederzeit Geld von der Notenbank holen, um Einleger auszuzahlen. Damit konnten die
Wertpapierkurse nicht mehr beliebig tief abstürzen, weil man sie, statt sie zu verkaufen, bei der
Einführung in die VWL
8 Geld und Banken
S. 135
Notenbank verpfänden konnte. Und zweitens wurde, in der Folge der großen Depression, die
Einlagensicherung eingerichtet, um den Bankkunden das Motiv für einen run zu nehmen.
(Allerdings ist die Bedeutung von Einlagen für die Refinanzierung der Banken gesunken. Und so
konnte in der letzten Krise der run dann eben über die Geldmarktfonds statt über Spareinlagen
losgetreten werden.)
Es mag Ihnen ironisch vorkommen, wenn ich das 2010 schreibe. Aber wenn Sie sich die
Häufigkeit der Bankenkrisen vor und nach Einführung dieser Maßnahmen ansehen, dann sehen Sie,
daß die Stabilisierung durchaus erfolgreich war.
Abb. 8.6 Entwicklung der Reservehaltung britischer Banken
Quelle: Alessandri, Piergiorgio / Haldane, Andrew G (2009) Banking on the State (S. 25)
Nur hat sie ein Problem, den so genannten moral hazard: Wenn Sie eine Brandschutzversicherung abschließen, ist das finanzielle Risiko aus einem Brand für Sie niedriger. Also lohnt es
sich weniger, in Brandschutzmaßnahmen zu investieren. Der Rauchmelder ist noch sinnvoll. Sie
wollen ja nicht im Bett verbrennen. Die Sprenkleranlage ist es aber nicht mehr. Feuerversicherungen führen also dazu, daß Brände wahrscheinlicher werden. Die Versicherungsgesellschaften wehren sich dagegen erstens, indem sie im Versicherungsvertrag Auflagen einbauen und
S. 136
8 Geld und Banken
Karl Betz
zweitens, indem sie einen Selbstbehalt vorsehen, also nur einen Teil des Schadens übernehmen.
Wenn Banken Zugang zur Notenbank als lender of last resort haben, lohnt es sich nicht mehr
(niedrig verzinste) Liquiditätsreserven zu halten. Und wenn die Bank davon ausgehen zu können,
im Zweifelsfall auch gerettet zu werden, wenn Sie der Notenbank keine Notenbank fähigen
Sicherheiten bieten kann (die ebenfalls weniger Zinsen abwerfen als andere Aktiva), dann wird sie
auch davon weniger halten. (Abb. 8.6)
Wenn der Staat in einer Bankenkrise den Banken immer zu Hilfe kam, dann wurde es für die
Banken attraktiv, höhere Risiken einzugehen. In Sonderheit achteten die Kunden nicht mehr auf die
Sicherheit einer Bank - denn ob sie ihre Einlagen von der staatlichen Einlagenversicherung oder
von der Bank zurück bekamen, konnte ihnen ja egal sein. Das führte dazu, daß Banken immer
weniger Eigenkapital vorhielten, bzw. mit einem immer höheren leverage arbeiteten (Abb. 8.7).10
Abb. 8.7 Eigenkapitalquoten US-amerikanischer und britischer Banken
Quelle: Alessandri, Piergiorgio / Haldane, Andrew G (2009) Banking on the State (S. 24)
Die notwendige Absicherung des Systems durch den Staat machte es für die einzelne Bank also
attraktiver, riskantere und mit weniger Eigenkapital unterlegte Geschäfte einzugehen - und so das
10 Damit ist die Bagehot-Regel: Verleihe teuer gegen gute Sicherheiten auch nicht mehr anwendbar. Die Regle sollte
einen bail out durch die Zentralbank unattraktiv, weil teuer machen und so dem moral hazard vorbeugen. Aber
einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche fassen. Wenn die Banken kein Eigenkapital haben, aus dem die
Verluste aus der teuren Leihe bei der Zentralbank getragen werden könnten, wird aus "verleihe teuer" ein:
"sozialisiere die Verluste". Der "Selbstbehalt", den Versicherung zur Minderung des moral hazard einsetzen, kann
schließlich nicht höher sein als das Vermögen - und damit, bei beschränkter Haftung - als das Eigenkapital der Bank
Einführung in die VWL
8 Geld und Banken
S. 137
System wieder zu destabilisieren. Für die Profite der Banken war das gut (vgl. Abb. 8.8.), für die
Systemsicherheit aber ist es eher weniger erfreulich.
Abb. 8.8: Entwicklung der Eigenkapitalrendite britischer Banken
Quelle: Alessandri, Piergiorgio / Haldane, Andrew G (2009) Banking on the State (S. 25)
Dies erforderte dann im Gegenzug staatliche Regulierung wie z.B. Bankenaufsicht und
Mindestkapitalvorschriften. Es ist kein Zufall, daß die letzte Finanzkrise am Ende einer Periode der
Deregulierung, des Abbaus staatlicher Regulierungen, steht.
Manche Ökonomen argumentieren, das System sei erst in Folge der staatlichen Interventionen
(wegen des oben beschriebenen moral hazards) instabil geworden. Dieses Argument ist falsch.
Denn der moral hazard ja nur zur Folge, daß eine Bank weniger Vorsorge gegen ihr eigenes Risiko
trifft. Ausgangspunkt für die staatliche Regulierung war aber das Systemrisiko, das von Bankenpleiten ausgeht - und das zu reduzieren hatten Banken nie einen marktmäßigen Anlaß - es betrifft ja
nicht sie, sondern andere. (Es ist ein externer Effekt.) Die Risikopuffer einer Bank werden also ohne
Regulierung immer zu niedrig sein.
8.3 Banken trennen Sparen und Investieren
Vorteile von Finanzintermediation
In den üblichen Makrolehrbüchern hören Sie zum Thema Banken in etwa folgende Argumente.
Die Haushalte können zwar - über die Finanzmärkte - den Unternehmen Ersparnisse auch direkt zur
Verfügung stellen. Und sie tun dies ja auch über den Ankauf von Unternehmensschuldverschrei-
S. 138
8 Geld und Banken
Karl Betz
bungen. Dabei gibt es aber eine Reihe von Problemen.
Bei einer direkten Kreditvergabe vom Haushalt an ein Unternehmen muß der Haushalt die
Bonität des Kreditnehmers und die Stimmigkeit seines Businessplans abschätzen. Das Unternehmen
hat aber typischer Weise mehr Informationen über seine Ertragschancen als ein potentieller
Kreditgeber. Sonst könnte der Kreditgeber das Unternehmen ja auch gleich selbst aufmachen. Es
liegt also - vor der Kreditvergabe - wieder mal asymmetrische Information vor.
Nach der Kreditvergabe entsteht zusätzlich ein Zeitinkonsistenzproblem: Für den Kreditnehmer
kann nach der Kreditvergabe ein anderer Pläne optimal werden als vorher. Nehmen Sie an, Sie
nehmen mit dem Geschäftsplan, einen Kiosk aufzumachen, einen Kredit auf. Nach dem Sie den
Kredit erhalten haben, haben Sie zwei Optionen: Sie können entweder tatsächlich den Kiosk
aufmachen, oder Sie können das Geld in einer Lotterie einsetzen. Da Sie nicht mit eigenem, sondern
mit fremdem Geld spielen, sind ihre Verlustchancen in der Lotterie Null - falls Sie nichts gewinnen,
verliert der Kreditgeber, nicht Sie. Ihre Gewinnmöglichkeiten hingegen sind sehr hoch, denn den
Gewinn können Sie - bis auf die Kreditzinsen - alleine einstreichen. Allgemein formuliert gibt es
nach Zustandekommen des Kreditvertrages einen Anreiz, die Kreditsumme für riskantere (aber
deswegen halt auch: gewinnträchtigere) Projekte einzusetzen, als bei der Kreditaufnahme
angegeben.
Durch beide Probleme entstehen Informations- und Überwachungskosten, die für eine einzelne
Bank niedriger ausfallen als für viele einzelne Kreditnehmer. Dies erstens, weil der Prüfungsaufwand bei der Bank nur einmal anfällt, statt bei jedem einzelnen der Kreditgeber (economies of
scale). Und zweitens, weil die Bank, da sie viele ähnliche Fälle bearbeitet, spezialisierte
Abteilungen hat und weil sie z.B. als Konto führendes Institut die Zahlungsgeschichte der
Kreditnehmerin kennt (economies of scope).
Banken als Vermittler von Krediten (Finanzintermediäre) erleichtern also die Kreditvergabe von
Haushalten an Unternehmen, weil sie die Informationskosten reduzieren. Daher ist der Börsengang
für die meisten Unternehmen kostspieliger als ein Bankkredit, für ein kleines Unternehmen gar
prohibitiv teuer.11
Weiter ermöglichen Banken eine Fristentransformation: Weil zu jedem Zeitpunkt nur ein kleiner
Teil der Einlagen abgehoben wird, kann die Bank die Einlagen benutzen, um langfristige Kredite zu
vergeben. Während das Geld also in Wahrheit langfristig angelegt ist, ist es aus Sicht der Einleger
kurzfristig verfügbar. (Richtig, das war ein Grund für die Möglichkeit von runs.)
Und schließlich ermöglichen Banken eine Losgrößentransformation, indem sie viele kleine
Einlagen zu großen Krediten zusammenfassen.
Finanzintermediation, S und I
Diese Argumente sind alle richtig - nur übersehen die Lehrbücher hier eine Kleinigkeit: Sie
gelten für die Kreditvergabe der Banken. Kredite finanzieren aber nicht notwendig Nachfrage: Sie
können auch Verluste finanzieren.
Nehmen Sie für einen Augenblick an, die Unternehmen haben produziert. Nun müssen sie aber
feststellen, daß aus irgendwelchen Gründen die Nachfrage eingebrochen ist: Weder wollen die
Haushalte Konsumgüter kaufen, noch wollen Unternehmen investieren. Die Nachfrage ist also Null
und die Unternehmen können nichts von Ihrem Output verkaufen. Heißt das, daß jetzt, weil ja
11 Dies ist ein weiterer Grund, warum Bankenpleiten ein Problem sind: Wenn die Hausbank Ihres Unternehmens in
Konkurs geht, können Sie nicht eben mal schnell den Kreditgeber wechseln: Die Informationen, die Ihre Hausbank
über Ihr Unternehmen hatte, sind ja erst mal weg und die Informationskosten (sowie der zeitliche Vorlauf der
Informationsbeschaffung) würden bei einer anderen Bank von neuem anfallen.
Einführung in die VWL
8 Geld und Banken
S. 139
niemand etwas kaufen will, auch kein Kredit nachgefragt wird? Keineswegs: Die Unternehmen
sind, um produzieren zu können, Verpflichtungen eingegangen. Sie haben in der Vergangenheit
Fremdkapital aufgenommen, also müssen sie Zinsen zahlen. Sie haben Arbeiterinnen beschäftigt,
also müssen sie Löhne zahlen. Wie können sie dies ohne Umsatzerlöse? Nun ja: Entweder die
Unternehmen gehen in Konkurs oder sie brauchen Kredite.
Das Sparen der Haushalte führt hier also keineswegs dazu, daß die Zinsen sinken und daß so die
Investitionsnachfrage der Unternehmen steigt. Denn das Sparen der Haushalte erzeugt selbst eine
Kreditnachfrage der Unternehmen, weil es Verluste erzeugt. Und die Zinssätze werden in dieser
Situation sicherlich nicht sinken - denn schließlich sinkt ja die Sicherheit der Kredite, weil die Lage
der Unternehmen prekärer geworden ist. Sparen hat hier, weil ihm keine Investitionsnachfrage
gegenüberstand, nicht zu zusätzlichem Vermögen (Kapitalgüter), sondern zu einer
Vermögensumverteilung innerhalb des Haushaltssektors geführt. Aus Eigenkapital wurde
Fremdkapital. Die Eigentümer der Unternehmen haben Vermögen eingebüßt, weil der
Fremdkapitalanteil der Unternehmen gestiegen ist.
Dieser Prozeß funktioniert übrigens nicht nur in die eine Richtung. Nehmen Sie jetzt zur
Abwechslung an, die Unternehmen haben produziert, stellen nun aber fest, daß die Nachfrage (nach
Konsum- und Investitionsgütern) viel höher ist, als sie erwartet haben. Sie könnten also mehr
verkaufen als sie hergestellt haben - oder, anders formuliert: Die hohe Nachfrage läßt
Preiserhöhungen zu. Die Güter können zu einem höheren Preis verkauft werden, als ursprünglich
erwartet. Die ursprünglichen (Preis-)Erwartungen lagen aber der Kalkulation zu Grunde. Die
Unternehmerinnen stellen jetzt also fest, daß die Erlöse höher sind als erwartet. Die Kosten (erneut:
Löhne und Fremdkapitalzinsen) waren aber, jedenfalls zum Teil, vorher vertraglich fixiert. Die
Unternehmen machen so also höhere Gewinne als geplant - und diese höheren Gewinne können
(aus Sicht des Sektors insgesamt) die Investitionen finanzieren. Daß die (geplante) Ersparnis der
Haushalte niedriger ist als das geplante Investitionsvolumen, verhindert hier also keineswegs
Investitionen. Es führt lediglich dazu, daß die Investitionen durch Eigenkapital statt durch
Fremdkapital finanziert werden. Die Eigentümerinnen der Unternehmen werden reicher, die übrigen
Haushalte verlieren.
Nicht nur garantiert (geplantes) Sparen nicht notwendig eine Investition. Es ist zum Investieren
auch keine (geplante) Ersparnis erforderlich. Das geplante Sparen der Haushalte entscheidet also
nicht darüber, ob die Investitionen der Unternehmen möglich sind oder nicht. Es entscheidet
lediglich darüber, ein wie großer Anteil der Investitionen des Unternehmenssektors durch Gewinne
und ein wie großer Anteil durch Fremdkapitalaufnahme finanziert wird.
Der "Kapitalmarkt" aus Kapitel 6 ist also keineswegs mit dem Kreditmarkt identisch. Denn die
Kapitalmarktgrafik unterstellt, daß Kapital nur zu Investitionszwecken nachgefragt wird, in der
Kreditnachfragefunktion stecken aber außerdem Verluste. Für die Unternehmen ist aber der Zinssatz
des Kreditmarktes und nicht de reines fiktiven Kapitalmarktes wichtig, den es in dieser Form nur in
den Lehrbüchern gibt.
Die Gleichheit von Investitions- und Sparplänen kann also nicht über den Zinssatz hergestellt
werden. Auf dieses Ergebnis kam Keynes schon 1930 (Treatise on Money, dt. Vom Gelde). Die
Frage ist nun: Wenn nicht über den Zinssatz, über was denn sonst? Diese Frage ging Keynes in der
Allgemeinen Theorie an - und ich werde sie im nächsten Kapitel klären.
Zuvor soll aber das Thema bubbles nochmal aufgenommen werden, denn mit dem Kreditmarkt
ist ein zweiter wichtigen Auslösemechanismus für bubbles ins Spiel gekommen.
S. 140
8 Geld und Banken
Karl Betz
8.4 Bubbles, the sequel
In Kapitel 3 wurde herausgearbeitet, daß bubbles entstehen können, wenn Preisänderungen
Preisänderungserwartungen auslösen und steigende Preise so die Nachfragekurve immer weiter
nach oben verschieben. Es gibt aber noch einen zweiten Einflußfaktor, den die VWL gerne
ausblendet, weil sie in ihren Modellen vollständige Information und (deswegen) unbeschränkten
Kreditzugang unterstellt:12 Um einen Kredit aufzunehmen, braucht man (bei unvollständiger oder
asymmetrischer Information, also im "wirklichen Leben") Sicherheiten.
In einem Bubble steigt nun der Wert der Sicherheiten. Nehmen Sie an, Sie können bei Aufnahme
einer Hypothek Ihre Immobilie nur mit 80% des Wertes beleihen. Dann bedeutet die Verdopplung
der Immobilienpreise im Zuge eines bubbles, daß Sie auf die gleiche Immobilie einen doppelt so
hohen Kredit aufnehmen können. Die Nachfrage nach Immobilien steigt also nicht nur (wie in
Kapitel 3 beschrieben), weil die vorangegangenen Preisanstiege Preisänderungserwartungen
ausgelöst haben und so die Spekulation angeheizt wird. Sie steigt außerdem, weil der Wert der
Sicherheiten steigt und damit der Kreditrahmen, den die Spekulanten bei ihrer Nachfrage einsetzen
können gestiegen ist.
Auch auf Seiten der Kreditgeber entsteht eine Dynamik, die zu einer Kreditausweitung führt.
Ein höherer leverage führt, wie oben schon gezeigt zu einer höheren Eigenkapitalverzinsung.
Nehmen Sie an, eine Bank kann zu 4% verleihen. (Der Einfachheit halber unterstelle ich mal, die
Ausfallwahrscheinlichkeit sei vom Kreditzinssatz schon abgezogen.) Hat die Bank eine
Eigenkapitalquote von 100%, so ist die Eigenkapitalrendite 4%. Kann die Bank sich zu 3%
verschulden und beträgt die Eigenkapitalquote nur 10%, so liegt die Eigenkapitalrendite bereits bei
13%. Und hat sie einen leverage von 20, so liegt sie bei 22%.
Allgemein (und etwas vereinfacht13):
Eigenkapitalrendite =
Gewinn
Gewinn
Bilanzsumme
=
⋅
Eigenkapital
Bilanzsumme Eigenkapital
Nun wirkt ein leverage natürlich auch umgekehrt - je höher der leverage, desto stärker schlagen
die Verluste aufs Eigenkapital durch. Aber das stimmt eben deswegen nicht, weil die Verluste nach
unten begrenzt sind: Mehr als ihr Eigenkapital können die Aktionäre einer Bank nicht verlieren.
Nehmen Sie eine, gar nicht so unübliche, Bank mit einem leverage von 40, also einer
Eigenkapitalquote von 2,5%. Diese werfe eine Eigenkapitalrendite von 24% ab (Ackermanns
Gewinnziel).14 Lohnt es sich in dieser Situation, ein Kreditausfallrisiko von 10% einzugehen,
obwohl man an dem Kredit, so er bedient wird, nur eine Marge von 0,6% verdient?
Die Antwort ist: Aber immer. Sie erwarten dann ja, daß Sie im Durchschnitt von 10 Jahren neun
Jahre lang eine Eigenkapitalrendite von 24% erwirtschaften 15 und nur in einem zehnten Jahr eine
von -100% (Ihr Eigenkapital ist weg.)
Der Erwartungswert für die Eigenkapitalrendite ist also: 0,9 · 24 + 0,1 · (-100) = 11,6%
12 Das heißt nicht, Sie kriegen so viel Geld wie Sie gerne möchten, sondern so viel, wie Sie in Zukunft auch
zurückzahlen können. Da Ihr zukünftiges Einkommen (oder wenigsten dessen Wahrscheinlichkeitsverteilung) aber
bekannt ist (Annahme vollständiger Information), ist klar, wie viel das sein wird. Und da die Durchsetzbarkeit von
Kontrakten unterstellt wird, ist auch sicher, nicht nur daß Sie den Schuldendienst leisten können, sondern auch daß
Sie das (wenn auch: ungern) tun werden.
13 Sie müßten eigentlich noch noch den Einlagenzinssatz addieren.
14 Hört sich zu hoch an? Rechnen Sie mal nach: Bei einem leverage von 40 brauchen Sie dafür nur einen Gewinn von
25/40 ≈ 0,6% auf ihre Bilanzsumme.
15 EK-Rendite = 0,6% · (FK/EK) = 0,6% · 40 = 24%
Einführung in die VWL
8 Geld und Banken
S. 141
Lohnt sich die Sache bei einem leverage von 10 (also einer Eigenkapitalquote von 10%) immer
noch?
Der Erwartungswert für die Eigenkapitalrendite ist hier: 0,9 · 6 + 0,1 · (-100) = - 4,6 %.
Eine niedrige Eigenkapitalquote erhöht somit die Risikobereitschaft. Eine höhere Risikobereitschaft führt zu einer höheren Kreditvergabe - und diese, siehe oben, erhöht wiederum den
leverage. Ein Teufelskreis, wie Herr Kaiser sagen würde.
Im Ergebnis steigt die die Kreditvergabe und das (Brutto-)Finanzvermögen schneller an als das
Sachvermögen in der Ökonomie und schneller als das BIP. Der "leverage" der Gesamtwirtschaft
steigt an.
Abb. 8.9: Anteil der Finanzdienstleistungen am BIP der USA
geklaut bei wiki
Daß dies durchaus positive Auswirkungen auf die Profite der Banken hat, konnten sie in
Abbildung 8.8 schon für Großbritannien sehen. Abb. 8.9 und 8.10 zeigen das gleiche noch einmal
für die USA: der Anteil des Finanzsektors am BIP ist drastisch gestiegen und noch schneller ist der
Anteil der Banken an den Gewinnen gestiegen.
Wenn man sich den Zusammenhang von Risikobereitschaft, Eigenkapitalrendite und Leverage
vor Augen führt, kann man auf den Verdacht kommen, daß es kein Zufall ist, daß die Bankgewinne
ebenso vor der Weltwirtschaftskrise von 1929 ein historisches Hoch erreicht haben, wie vor der von
2007/08.
S. 142
8 Geld und Banken
Karl Betz
Abb. 8.10: Anteil der Gewinne der Finanzindustrie an allen Gewinnen in den USA
Quelle: John Bellamy Foster - The Financialization of Capital and the Crisis. In: The
Monthly Review (April 2008)
Schulden sind sicher
Nun ist das Geldvermögen im Verhältnis zum BIP (und damit, wenn man ein halbwegs konstantes Verhältnis von Kapitaleinsatz zum Output unterstellt, das Verhältnis vom Bruttogeldvermögen zum Sachvermögen) gestiegen. Und in diesem Sinne ist der leverage der Ökonomie
insgesamt gestiegen:
Aber oben wurde doch gezeigt, daß das Nettogeldvermögen (in einer geschlossenen
Volkswirtschaft) stets Null ist. Die Ökonomie ist doch bei sich selbst verschuldet. 16 Wie kann etwas,
das Null ist, wie kann Nichts, zum Problem werden?
Nun ja, das Problem ist, daß Schulden sicher sind, Forderungen aber nicht.
Als Folge des housing bubbles wurden die Hauseigentümer in den USA reicher. Mit dem
höheren Vermögen konnten sie eine höhere Verschuldung realisieren. Dieser zusätzliche Kredit
konnte weitere Spekulation, also den Erwerb weiterer Immobilien finanzieren (und so den bubble
weiter anheizen).
„Then there's systemic or compound leverage, in which one opening bit of leverage becomes the
tip of a vast inverted pyramid of debt. Suppose, for example, that a wealthy individual borrows $ 3
million from a bank, adds $1 million of his own equity and invests it into a 'fund of funds' that
invests in other hedge funds. At this point he has a leverage of four to one. Then suppose this fund
takes that $ 4 million and borrows another $ 12 million from another bank and sinks it into yet
another hedge fund. Again, the leverage is still only four 4 to one, but the initial stake of $ 4 million
16 Zugegeben, die USA haben auch eine hohe Auslandsverschuldung, insofern ist ihr Nettogeldvermögen nicht Null
sondern negativ. Aber 1929 waren die USA größter Gläubiger der Welt und das hat den Ausbruch der Finanzkrise an
der New Yorker Börse auch nicht gestört. Daher läßt sich der Mechanismus schon gut diskutieren, ehe die
Außenwirtschaft behandelt wurde. Zumal die Nettoauslandsverschuldung der USA nur auf rund 30% des BIP
geschätzt wird.
Einführung in die VWL
8 Geld und Banken
S. 143
has grown to $ 16 million. Now imagine, that this hedge fund borrows another $ 48 million ...“
(Roubini,17 p. 83f)
Oder aber den Konsum: Nehmen Sie an, Sie besitzen ein Haus, das eine Million wert ist. Sie
gehen davon aus, daß das eine hinreichende Zusatzversorgung für Ihr Alter darstellt. Nun steigt der
Wert Ihrer Immobilie auf 2 Millionen. Ok, einen Teil werden Sie als Vermögenserhöhung behalten wär nicht nötig gewesen, aber schaden kann's ja auch nix. Aber warum sollen Sie sich jetzt noch die
Weltreise verkneifen, von der Sie schon so lange geträumt haben? Ein Teil dieser Vermögenserhöhung geht also in Ihren Konsum: Auf dem Rekordstand des bubbles, im vierten Quartal 2005,
nahmen die amerikanischen Haushalte 250 Mrd. Dollar an zusätzlichen Hypotheken zu
Konsumzwecken auf ihre Immobilien auf (Roubini, p. 18).
Im Ergebnis erhöhte sich die Verschuldung der Sektoren: Zwischen 1981 und 2008
- stieg die Verschuldung der Haushalte von 48% auf 100% des BIP
(bzw. von 65% des Nettoeinkommens auf 135%)
- stieg die Verschuldung des Unternehmenssektors von 70% auf 190% des BIP
darunter die des Finanzsektors von 22 auf 117% des BIP18
Damit war die Verschuldung des privaten Sektors von 123% (? müßten 118 sein, aber ich halte
mich mal an die Quelle) auf 290% des BIP erhöht.
Im gleichen Zeitraum stieg die Nettostaatsverschuldung von 25% auf 47 %
und die Bruttostaatsverschuldung von 42%auf 70% des BIP
Lassen Sie mich diese Überlegung nochmal Schritt für Schritt durchgehen. Nehmen Sie an, Sie
haben eine Eigenkapitalquote von 25%. Das ist - im Durchschnitt der Ökonomie - zwar extrem
hoch, aber Sie sind nun mal ein vorsichtiger Mensch. Damit ist Ihre Bilanz:
Aktiva
Tom Mustermann GmbH
Immobilien
100
Passiva
25
Eigenkapital
75
Fremdkapital
Nun verdoppeln sich die Immobilienpreise. Ihre neue Bilanz ist:
Aktiva
Tom Mustermann GmbH
Immobilien
200
Passiva
125
Eigenkapital
75
Fremdkapital
Jetzt haben Sie auf einmal viel mehr Eigenkapital, als Sie für nötig halten. Ihre Eigenkapitalquote liegt jetzt bei 62,5% . Also machen Sie irgend etwas anderes damit. Angenommen, Sie
sind jeglicher Verschwendung abhold, benutzten also nichts für den Konsum, sondern erweitern Ihr
Geschäft so lange, bis sie wieder auf der - von Ihnen für sicher gehaltenen - Eigenkapitalquote von
17 Roubini, Nouriel und Mihm, Stephen (2010) Crisis Economics: A Crash Course in the Future of Finance. Penguin.
18 Roubini (2010), S. 83; für die Staatsverschuldung: siehe IMF.org WEO Database
S. 144
8 Geld und Banken
Karl Betz
25% sind. Das wäre in folgender Situation der Fall (praktisch geht der bubble natürlich weiter und
der Wert Ihrer Grundstücke steigt weiter, aber davon abstrahiere ich mal, um einen besseren
Überblick zu behalten19):
Aktiva
Tom Mustermann GmbH
Immobilien
500
Passiva
125
Eigenkapital
375
Fremdkapital
So, und jetzt platzt der Bubble, die Immobilienpreise stürzen um 50% ab und erreichen wieder
ihr Vorblasenniveau. Dann sind ist Ihre Bilanz angekommen bei:
Aktiva
Tom Mustermann GmbH
Immobilien
250
Passiva
-125
Eigenkapital
375
Fremdkapital
Sie sind überschuldet und gehen in Konkurs. 20 Natürlich pflanzt sich das fort: nicht nur Sie sind
im Konkurs, sondern auch die Gläubiger, von denen Sie sich die 375 Fremdkapital geliehen hatten,
sehen von dem Geld nur noch 250 wieder. (Und das ist noch optimistisch, weil es unterstellt, daß
die Immobilien zu den neuen Preisen überhaupt verkauft werden können. Praktisch müssen die
Banken sie erst einmal vom Markt nehmen, um einen weiteren Preisverfall zu stoppen. 21 Selbst
diese niedrigeren Vermögenswerte werden also erst mal illiquide, nicht zu realisieren, sein.)
Wenn also, z.B. nach dem Platzen eines bubbles, Forderungsausfälle eintreten, dann bleiben die
Schulden bei den Inhabern dieser Forderungen davon unberührt - und eine Firma oder ein Haushalt,
der sich bisher für vermögend hielt, ist auf einmal zu einem Nettoschuldner geworden. Für Firmen
kann das zu einem Aufgeben von Investitionsvorhaben (oder gar zur Pleite), für Haushalte zu einer
Einschränkung der Konsumausgaben führen. Die Ökonomie als ganze ist zwar nicht ärmer
geworden, aber jede einzelne Akteur schon. Die Folge ist ein Einbruch der Nachfrage der die
Produktion abstürzen läßt.
Too big to be saved
Banken, jedenfalls System wichtige Banken, das wurde in 8.2.3 erläutert, kann man nicht einfach
pleite gehen lassen. Das heißt aber, daß bei Forderungsfällen irgendwer für die Schulden der
Banken gerade stehen muß. Und jetzt raten Sie mal, wer das ist. Richtig: Im Zweifelsfall Sie.
So wird in den USA damit gerechnet, daß alleine die Abwicklung der (inzwischen staatlichen)
Hypothekenfinanzierer Fanny Mae, Freddy Mac und Ginni Mae mit einer Billion Steuergeldern zu
19 Das zu berücksichtigen hieße ja nur, daß die Spirale, deren Anfang hier geschildert wird, sich immer weiter dreht und da das in die gleiche Richtung läuft, ändert es nichts am qualitativen Ergebnis.
20 Gehe direkt dorthin, Gehe nicht über LOS, ziehe nicht 4000$ ein.
21 Vielleicht wollen Sie sich an dieser Stelle nochmal die Handelsblattartikel zu Cleveland auf der website zu Kaptiel 6
anschauen? Naja, war ja nur ein Vorschlag.
Einführung in die VWL
8 Geld und Banken
S. 145
Buche schlagen wird. (Handelsblatt 17.8.2010) (Wohl gemerkt: Ich spreche hier nicht von Ausfallbürgschaften, sondern von den tatsächlichen Verlusten.)
Mit der Rettung der HypoReal Estate wurden zwar nicht deren Aktionäre, wohl aber die
Gläubiger der Bank, zum großen Teil andere Banken und Versicherungen, gerettet: Deren
(ungesicherte) Forderungen im dreistelligen Milliardenumfang wurden durch staatliche Garantien
gesichert. Die Gewinne z.B. der Deutschen Bank waren also nur möglich, weil die Rettung der
Commerzbank und der HRE sie vor Verlusten auf ihre Kredite bewahrte.. Die Garantien für die
HRE belaufen sich mittlerweile auf 142 Mrd. € (Tagesspiegel, 12.9.2010). Und die Beteiligung des
Bundes an der Commerzbank (18 Mrd.) wurde bewußt zu einem überhöhten Kurs erworben, weil
andernfalls der Versicherungskonzern Allianz ins Trudeln geraten wäre.
Also, in Summe, auch die Finanzunternehmen, die in der Krise Gewinne erzielten, erzielten
diese auf Grund der staatlichen bail outs der Probleminstitute.
Aber, als ob diese Umverteilung vom Steuerzahler zu den Banken nicht schon ärgerlich genug
wäre: Der leverage Effekt läßt die Summen, die für die Rettung der Banken einzusetzen sind, in
Größenordnungen wachsen, die für ganze Volkswirtschaften untragbar werden können.
Daß die Pleite der isländischen Banken das ganze Land in den Ruin gerissen hat, haben Sie
sicherlich mitbekommen.
Hier einige weitere Beispiele:
Die Bilanzsumme der drei größten deutschen Banken ( Commerzbank, Deutsche Bank und
LBBW) macht alleine bereits 130% des BIP der BRD aus. (Handelsblatt, 7.9.2010)
Der bail out der First Irisch Bank kostete bisher 11,3% des BIP von Irland (Economist,
21.8.2010) - und es wird erwartet, daß die Abwicklung der Bank und die Stabilisierung des übrigen
Bankensektors die irische Regierung insgesamt 90 Mrd. € kosten könnte. (Das wären dann mal
locker etwas über 50% des BIP.) (Handelsblatt, 7.9.2010). Alleine 2010 läßt die Rettung des
Bankensektors das irische Staatsdefizit auf 32 % des BIP explodieren (Handelsblatt 1./2. 10. 2010).
Fragen zum achten Kapitel
Verständnisfragen
1)
Welche langfristigen Folgen hat eine 10%ige Erhöhung der Geldmenge gemäß der
Quantitätstheorie des Geldes?
2)
Warum ist Geldvermögen (gesamtwirtschaftlich) kein Reinvermögen.
3)
Was verstehen Sie unter dem Begriff "Lender of last Resort"?
4)
Wie setzt die Notenbank ihren "Leitzins" am Markt durch?
5)
Was ist die "leverage ratio"?
S. 146
8 Geld und Banken
Karl Betz
6)
Warum braucht man überhaupt Banken?
7)
Finanzieren Kredite notwendig Investitionen?
Anwendungen
1)
Bitte buchen Sie die folgenden Vorgänge in T-Konten durch.
a) Das Publikum nimmt einen Kredit in Höhe von 100 auf.
b) Von den so entstandenen Einlagen hebt es 20 in bar ab. Die Banken wollen ferner eine
Barreserve von 10% auf die Einlagen halten.
2)
Das Publikum hat Depositen in Höhe von 500, der Bargeldumlauf beträgt 50 und die Banken
halten Reserven von 5% auf ihre Einlagen.
a) Buchen Sie die Ausgangssituation in T-Konten, vervollständigen Sie dabei die Angaben.
b) Nehmen Sie nun an, das Publikum will, z.B. auf Grund von Gerüchten über die
Bankenstabilität, Einlagen in Höhe von 100 abheben. Was wird geschehen, wenn
ba) die Zentralbankgeldmenge unverändert bleibt (die Zentralbank kein neues Geld druckt)?
bb) die Zentralbank ihrer Rolle als lender of last resort nachkommt?
3)
Im Zuge der großen Rezession haben alle großen Notenbanken eine drastische Ausweitung der
Zentralbankgeldmenge zugelassen. War das richtig oder falsch? Diskutieren Sie und illustrieren Sie
Ihr Argument an Hand von T-Konten.
4)
Wirkt die Abführung des Notenbankgewinns an den Staat inflationär? Bitte argumentieren Sie
verbal und in T-Konten.
5)
Wie kann die Notenbank das Kreditvolumen beeinflussen?
6)
Können Sie dem Argument begegnen, wenn Ausbildung selbst bezahlt werden müsse, seien die
Resultate besser, weil die Studierenden sich mehr anstrengen würden und schneller fertig werden
wollten?
Hinweis: Das Argument für eine Kredit finanzierte Bildung unterstellt, (a) daß Sie die
Auswirkungen von Bildung auf Ihr zukünftiges Einkommen kennen und (b) daß Ihr Ziel darin
besteht, den (auf die Gegenwart abdiskontierten) Wert Ihres zukünftigen Einkommens zu
maximieren. Was unterstellt nun dieses Argument, wenn es Sinn machen soll?
7)
Nehmen Sie an, eine Bank erziele einen Zinssatz von 4% auf ihre Ausleihungen und muß 3% auf
ihre Einlagen zahlen. Sie hat ein Eigenkapital von 100 und Kredite von 1000 vergeben.
Einführung in die VWL
8 Geld und Banken
S. 147
a) Wie hoch ist die leverage ratio?
b) Wie hoch ist die Rendite auf das Eigenkapital?
c) Wie sähen die Werte bei einem Leverage von 20 aus?
d) Bei welchem Leverage wäre die Eigenkapitalrendite wohl maximal?
e) Warum braucht es, neben Lender of last Resort und Einlagenversicherung, wohl auch noch so
etwas wie eine Bankenaufsicht?
8)
Banken sind einerseits zu wichtig, als daß man sie pleite gehen lassen könnte. Andererseits sind
viele aber mittlerweile zu groß, als daß der Staat sie noch retten könnte. Diskutieren Sie.
9)
a) Die Haushalte wollen sparen, aber die Unternehmen nicht investieren. Was geschieht wohl?
b) Die Unternehmen investieren, aber die Haushalte wollen nicht sparen. Was geschieht wohl?
S. 148
8 Geld und Banken
Karl Betz
Einführung in die VWL
9 Nachfrage und Einkommen
S. 149
9 Nachfrage und Einkommen
Lernziele:
Gütermarktgleichgewicht bei Nachfrage = Angebot
Marginale Konsumneigung und marginale Sparneigung
Konzept der autonomen Nachfrage
Einkommen-Ausgaben-Modell
Herleitung des Multiplikators
Paradox of Thrift
Investitions- und Staatsausgabenmultiplikator
Unterschiedliche Wirkung von Steuern, Staatsausgaben und Transferzahlungen
Haavelmo-Theorem
Dämpfung des Multiplikators in einer offenen Volkswirtschaft
Volkswirtschaftliche Saldenbeziehungen
Lassen Sie mich das bisherige Argument kurz wiederholen:
In einer Realtauschwirtschaft ist die aggregierte Nachfrage immer so hoch wie das Angebot.
Gibt es in einer Ökonomie keinen Kredit (und daher kein Geld, denn Geld entsteht durch Kredit)
dann wird die Nachfrage immer so hoch sein, wie das Einkommen. Das geht damit los, daß ich
mein Einkommen schon in Form vom Gütern erhalte: Freitag bekommt von Robinson einen Teil der
Getreideernte.
Will ich konsumieren, tausche ich meine Lohngüter gegen andere Konsumgüter (Freitag tauscht
Getreide gegen Fisch), oder konsumiere sie direkt (Freitag macht sich Popcorn).
Will ich sparen, dann tausche ich meine Lohngüter gegen Güter zur Wertaufbewahrung. (Will
Freitag sparen, dann tauscht er sein Getreide gegen Ketten mit Kaurimuscheln.1)
Wollen die Menschen zu viel sparen, dann heißt das nur, daß von einigen Gütern mehr
nachgefragt wird als von anderen: Die Preise von Wertaufbewahrungsmitteln steigen (dadurch
werden mehr Kaurimuschel-Ketten produziert und weniger nachgefragt). Das heißt aber zugleich,
der relative Preis von Fisch (und Getreide) sinkt. Dadurch werden weniger Konsumgüter
hergestellt, weil man mit der Produktion von Getreide und Fisch jetzt weniger verdienen kann und
es werden mehr nachgefragt, weil die Güter billiger geworden sind.
Der Wert des aggregierten Angebots und der Wert der aggregierten Nachfrage (wie viel wird
hergestellt und nachgefragt?) sind also immer im Gleichgewicht (Wertsumme des Angebots =
1 Ethnologisch stimmt das so auch nicht, denn Kaurimuscheln waren, wenn sie nicht als bloßer Schmuck (und dann
nicht: als Mittel der Wertaufbewahrung) fungierten, Ausweis einer Verpflichtung zur Gegenleistung. Auch in frühen
Gesellschaften fungierten sie daher schon als Ausweis eines Kredits (und durften daher auch nicht beliebig
hergestellt werden). Im Text wird also nicht eine historische Entwicklung, sondern eine (neoklassische) Fabel
referiert.
S. 150
9 Nachfrage und Einkommen
Karl Betz
Wertsumme der Nachfrage); nur die Struktur von Angebot und Nachfrage (was genau soll
hergestellt werden?) müssen durch den Markt, durch den Preismechanismus, ins Gleichgewicht
gebracht werden.
Geld und Kredit erlauben ein Auseinanderfallen von Angebot und Nachfrage.
Natürlich kann es vorkommen sein, daß sich die Sparwünsche der Einen mit den zusätzlichen
Ausgabenplänen der Anderen decken. Zufällig kann es durchaus sein, daß manche Haushalte sparen
wollen und sich andere (Haushalte zu Konsumzwecken, Unternehmen zu Investitionszwecken) in
genau diesem Umfang verschulden wollen.
Aber das wäre eben zufällig, gilt nicht nicht zwangsläufig: Das geplante Sparen eines Haushalts
ist ein Kreditangebot – und ein Kredit kann entweder Nachfrage oder Verluste finanzieren. Steht
dem Kreditangebot eine geplante Kreditnachfrage gegenüber, gut. Das hatten wir eben. Aber das
tückische ist, daß ein Kreditangebot über Sparen sich immer seine Kreditnachfrage schafft. Plant
der Rest der Ökonomie nicht, Schulden aufzunehmen, dann entstehen durch das Sparen halt
ungeplante Schulden, Verluste.
Und weil mit diesem Kreditangebot durch die Haushalte simultan die Kreditnachfrage steigt
(weil Verluste (qua Auszahlungsüberschüsse) finanziert werden müssen), kann der Zinssatz eben
nicht der Preis sein, der Sparen und Investieren gleich groß macht.
Das war in Kapitel 6 noch nicht der Fall: Weil unterstellt wurde, daß Kredite immer Investitionen
finanzieren, konnte der Zinssatz Sparen (Kreditangebot) und Investieren (Kreditnachfrage)
koordinieren. Aber sobald zugelassen wird, daß Kredite statt einer Investition auch Verluste
finanzieren können, ist das nicht mehr der Fall. Zwar gilt immer noch, daß das Sparen einer
Volkswirtschaft gleich dem Zuwachs an Sachvermögen ist (es gilt also ex post: S = I), aber das
heißt nur, daß Sparpläne gesamtwirtschaftlich fehlschlagen müssen, wenn diesen keine
Investitionspläne gegenüberstehen. Verstärkte Sparanstrengungen führen dann eben nicht zu einem
höheren Nettovermögen, sondern zu Verlusten. Es wird nicht neues Vermögen gebildet, sondern
bestehendes Vermögen umverteilt (z.B. von den Eigentümern der Unternehmen hin zu den
Sparern). (Und umbewertet, aber das vernachlässige ich hier.)
Wenn aber nicht der Zinssatz die Pläne koordiniert, welche Größe tut es dann? Das Postulat von
Keynes war, daß dies statt dem Zinssatz das Einkommen besorgt.
Ich werde in diesem Kapitel diese Idee in ein einfaches Modell gießen, das EinkommenAusgaben-Modell. Zunächst wird es dort der Übersichtlichkeit halber nach wie vor nur Haushalte
und Unternehmen geben. In der Folge werde ich es dann um Staat und Ausland erweitern und im
letzten Schritt hole ich (in Kapitel 10) den Einfluß des Zinssatzes auf die Nachfrage wieder zurück
ins Modell. Dieser Schritt wird das IS-MP-Modell liefern, das es erlaubt, neoklassisches und
keynesianisches Denken im gleichen Modell gegenüber zu stellen.
9.1 Das Einkommen-Ausgaben-Diagramm
Das Einkommen-Ausgaben-Diagramm stellt einen Zusammenhang zwischen der (tatsächlichen,
effektiven) Nachfrage am Markt für Güter und Dienstleistungen (Y NE) und dem (tatsächlichen,
effektiven) Angebot (YAT) her. Auf keiner der beiden Achsen steht daher ein Preis, sondern beide
Achsen sind Mengenachsen. Auf der Ordinate seht die Nachfrage und auf der Abszisse steht das
Angebot. Da das gesamte produzierte Angebot den Haushalten gehört (erinnern Sie sich wieder
Einführung in die VWL
9 Nachfrage und Einkommen
S. 151
daran, daß ja die Unternehmen im Eigentum von Haushalten sind) ist das Einkommen der
Volkswirtschaft immer gleich dem produzierten Output – also kann dieser neben YAT auf der
Abszisse notiert werden, ohne daß man etwas falsch machen kann: Zwar kann die Nachfrage
kleiner als das Angebot sein, aber nie kann das Einkommen ungleich dem Angebot sein.
9.1.1 Die Gleichgewichtsbedingung
Ein Gleichgewicht besteht dann, wenn Nachfrage und Angebot gleich groß sind. Das ist genau
entlang der Winkel halbierenden (oder der 45°-Kurve) der Fall. Die 45°-Kurve beschreibt also die
Gleichgewichtsbedingung der Gesamtwirtschaft: Aggregiertes Angebot und aggregierte Nachfrage
sind gleich groß – per Saldo können die Unternehmen problemlos alles verkaufen, was sie
hergestellt haben. Nochmal: Das schließt nicht aus, daß von manchen Gütern zu viel und von
anderen zu wenig hergestellt wurde. Aber wenn dies der Fall ist, ist eben das Schrumpfen der
Schreibmaschinenindustrie2 zugleich der Boom in der PC-Industrie. Manche Unternehmen machen
Gewinn, andere machen Verluste, aber der Unternehmenssektor insgesamt macht keine (ungeplanten) Gewinne.
Ein solcher Punkt wäre z.B. Punkt A in Abb. 9.1, aber eben auch jeder andere Punkt auf der 45°Kurve. In Punkt A haben Nachfrage und Angebot den Wert 7.
Gut. Punkt A wäre also ein Gleichgewicht. Was ist mit Punkten jenseits der 45°-Kurve? Darüber
wurde in Kapitel 8.3 schon geredet:
In Punkt B wurden 5 Einheiten produziert, verkauft werden könnten aber 9. Also haben die
Unternehmen Kosten (für Zinsen und Löhne) in Höhe von 5 Einheiten, aber sie können Erlöse in
Höhe von 9 realisieren. Ihre Gewinne fallen weit höher aus als geplant. (Sie können ihre Produkte
teurer verkaufen als kalkuliert.)
Abb. 9.1 Gütermarktdiagramm mit Gleichgewichtsbedingung
2 Bevor Sie fragen: Schreibmaschinen waren keyboards mit eingebautem Drucker.
S. 152
9 Nachfrage und Einkommen
Karl Betz
In Punkt C liegt das produzierte Angebot bei 10, die Nachfrage aber beträgt nur 4 Einheiten.
Also haben die Unternehmen Kosten (für Zinsen und Löhne) für die Herstellung von 10 Einheiten,
aber nur Erlöse im Wert von 4. Egal, ob sie ihre Produkte jetzt wegwerfen (wie bei der Vernichtung
von Ernteüberschüssen), auf Lager nehmen (dann entstehen zusätzliche Lagerhaltungskosten) oder
billiger (also unter ihren kalkulierten Kosten) verkaufen: Sie machen Verluste.
In Punkt B also regen unerwartete Gewinne zu einer Ausdehnung des Angebots an. In Punkt C
hingegen führen unerwartete Verluste zu einer Einschränkung des (zukünftigen) Angebots. 3 Damit
besteht für Punkte, die nicht auf der Gleichgewichtsgeraden liegen, eine Tendenz, mit der Zeit in
Richtung Gleichgewicht (also: in Richtung 45°-Kurve) zu wandern.
Zugegeben, daß Verluste zu einer Produktionseinschränkung führen, ist zwingender (weil ein
Teil der Unternehmen schlicht pleite gehen wird), als daß unerwartete Gewinne zu einer Produktionsausweitung führen. Aber trotzdem ist es unplausibel anzunehmen, daß Unternehmen sich Jahr
ein, Jahr aus einer unerwartet hohen Nachfrage gegenübersehen, ohne daß das eine oder andere mal
auf die Idee kommt, die Gelegenheit zu ergreifen, um seinen Marktanteil auszuweiten. Sprich: Auf
die Idee kommt, mehr zu produzieren.
Sie sehen hier, daß das mikroökonomische Ergebnis, daß die Unternehmen (bei vollständiger
Konkurrenz) im Gleichgewicht weder Gewinne noch Verluste machen, 4 makroökonomisch wieder
auftaucht in der Bedingung, daß sich in der Ökonomie ein Gütermarktgleichgewicht einstellt.
Gut. Es ist jetzt klar, daß ein Gleichgewicht besteht, wenn die Nachfrage gleich dem Angebot ist.
Und der Unterschied zwischen Keynes und der Neoklassik besteht in der Annahme von Keynes,
daß die (effektive) Nachfrage nicht automatisch so hoch ist, wie das (notionale) Angebot bei
Vollbeschäftigung wäre. Was als nächstes kommen muß, ist eine Erklärung der Nachfrage.
9.1.2 Nachfrage und Gütermarktgleichgewicht
Ich werde jetzt langsam eine Komponente der Nachfrage nach der anderen einführen. Zunächst
wird nur Konsumnachfrage (C) zugelassen, dann erlaube ich Investitionen (I), Staatsnachfrage (G)
und Steuern (T), um zum Schluß schon mal kurz nach der Auslandsnachfrage (Exporte (EX) und
Importe (IM)) zu sehen.. Dabei werde ich bis zum Ende dieses Kapitels nur einen einzigen
Einflußfaktor thematisieren: Die Nachfrage ist entweder (vorläufig) unerklärt, oder sie hängt vom
laufenden Einkommen (Y, dem BIP) ab.
Somit ist das Einkommen endogen, wird innerhalb des Modells erklärt, während andere
Einflußfaktoren als exogen behandelt werden, also dem Modell von außen vorgegeben werden.
9.1.2.1 Konsumnachfrage
In ausführlicheren Lehrbüchern finden Sie einen Überblick über unterschiedliche Konsumtheorien: absolute, relative und permanente Einkommenshypothese, habitat persistence Hypothese.
Auf diese wird hier nicht eingegangen. Entscheidend ist hier nur, daß der Konsum – neben allen
weiteren Einkommensfaktoren, die auch auf ihn wirken mögen – auch vom laufenden Einkommen
abhängt.5 Damit ist die Konsumnachfrage als effektive Nachfrage modelliert - was immer sonst
3 In den meisten Lehrbüchern werden Sie lesen, daß die Angleichungen bei konstanten Preisen über Lagerbestandsänderungen erfolgen. Ich folge hier der Argumentation bei Keynes (Vom Gelde, (1930)), die schließlich in die
Allgemeine Theorie des Geldes, des Zinses und der Beschäftigung mündete (Keynes (1936)).
4 Ja, ja. Kapitel 4 ist halt schon arg lang her.
5 Damit wird die Lebenseinkommenshypothese von Friedman verworfen. Diese unterstellt, daß der Konsum einzig
Einführung in die VWL
9 Nachfrage und Einkommen
S. 153
noch in den Nachfrageplan eingehen mag, jedenfalls geht auch das laufende Einkommen mit ein.
In der einfachsten Fassung wird unterstellt, daß Haushalte einen bestimmten festen Sockelbetrag
Co plus eine feste Quote (c) ihres laufenden Einkommens ausgeben wollen. Oder anders formuliert:
Co ist der Teil der Nachfrage, der von anderen Einflußfaktoren als dem Einkommen abhängt und
c · Y ist der vom Einkommen abhängige Teil der Konsumnachfrage.
c wird auch marginale Konsumquote genannt: Wie viel von einem zusätzliche verdienten € gebe
ich für Konsumnachfrage aus? Damit ist klar, daß der plausible Wertebereich für c zwischen Null
und eins liegen sollte: Von einem zusätzlichen € kann ich entweder alles ausgeben (c = 1), nichts
ausgeben (alles sparen: c = 0) oder einen Teil sparen und einen Teil ausgeben (0 < c < 1). Das heißt
nicht, daß Sie nie Schulden machen. Z.B. kann Co durchaus größer sein als Ihr Einkommen. Aber
es heißt, daß Sie weniger neue Schulden machen werden, wenn Ihr Einkommen steigt.
Da der Konsum zunächst die einzige Nachfrage im Modell ist, liegen auch schon genug
Informationen vor, um das Gleichgewichtseinkommen zu bestimmen.
Gleichgewicht herrscht bei
Y (= YAT) = YNE
Die Nachfrage ist gleich der Konsumnachfrage
YNE = C
Und die Konsumnachfrage wird erklärt mit der Konsumfunktion:
C = Co + c · Y
Damit bestimmt sich das Gleichgewichtseinkommen, wenn man die Konsumfunktion in die
Gleichgewichtsbedingung einsetzt und für das Gleichgewicht (Y = YNE) löst:
YNE = Co + c · Y und Y = YNE ==>
Y = Co + c · Y ==>
Y - c · Y = Co ==>
Y · (1 - c) = Co ==>
Y=
1
⋅ C0
1– c
Der erste Term auf der rechten Seite ist der Multiplikator.6 Er bestimmt, um wie viel sich das
Einkommen ändert, wenn sich die autonome Nachfrage, also der Teil der Nachfrage, der nicht vom
Einkommen abhängt, um eine Einheit ändert. Der zweite Term ist die autonome Nachfrage. Damit
ist die Grundform des Multiplikator Modells:
Einkommen = Multiplikator · autonome Nachfrage
Graphisch sieht das wie folgt aus:
In Abb. 9.2 können Sie sehen, daß die Kurve der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zunächst
vom Vermögen abhängt, das seinerseits der (abdiskontierte) erwarte Einkommensstrom der Zukunft ist. Wer
entlassen wird, würde nach dieser Hypothese seinen Konsum überhaupt nicht einschränken, sondern einfach (auf
Kredit) weiter wie bisher konsumieren, bis sie eine neue Stelle findet. Das laufende Einkommen hätte daher
überhaupt keinen Einfluß auf die Nachfrage.
6 Da ich zu faul bin, immer den Formeleditor aufzurufen (und weil der Multiplikator auch mal ein etwas
umfangreicherer Ausdruck sein kann), kürze ich ihn in der Folge gelegentlich auch mit μ ab.
S. 154
9 Nachfrage und Einkommen
Karl Betz
oberhalb und dann unterhalb der 45°-Geraden verläuft. Wie in Teil 9.1.1 gezeigt, entstehen in
diesem Bereich Extragewinne, die zu einer Ausweitung der Produktion anregen. Damit wandert
man im Diagramm nach rechts und dabei baut sich die Diskrepanz zwischen Angebot und
Nachfrage ab. Rechts des Schnittpunkts verläuft YNE unterhalb der 45°-Kurve. Hier, so wurde
gesagt, werden die Unternehmen ihr Zeug nicht los, machen Verluste und schränken die Produktion
ein. Frau wandert also wieder nach links, in Richtung auf den Gleichgewichtspunkt Y.
Abb. 9.2 Einkommen-Ausgabenmodell, nur Konsumnachfrage
Wichtig, um den Unterschied zum neoklassischen Modell zu verstehen, ist, daß das Gütermarktgleichgewicht hier alleine durch die Nachfrage bestimmt wird. Wie viele Menschen arbeiten wollen,
spielt überhaupt keine Geige: Es wird so viel Arbeit nachgefragt, wie erforderlich ist, um Y
Einheiten Output herzustellen und der Rest wird nicht gebraucht, ist unfreiwillig arbeitslos. 7 Ich
werde in den folgenden Kapiteln noch ausführlicher darauf herumreiten, will aber an dieser Stelle
schon mal unterstreichen, daß hiermit die prinzipielle Weichenstellung vorgenommen wurde: Wenn
das Einkommen durch die effektive Nachfrage bestimmt wird, hat die Beschäftigung nichts mehr mit
dem Arbeitsmarkt zu tun.
9.1.2.2 Sparen
Da die Haushalte das Einkommen, das sie nicht ausgeben, sparen, ist die Ersparnis S gleich dem
Einkommen minus der Konsumnachfrage.
Es gilt: Die Summe aus marginaler Konsumneigung (c) und marginaler Sparneigung (s) muß
7 Natürlich darf das Arbeitsangebot nicht niedriger als die Arbeitsnachfrage sein. Andernfalls bieten die Unternehmen
die Löhne hoch, die steigenden Lohnkosten bewirken steigende Preise und diese wiederum steigende Löhne. Im
Falle einer solchen Lohn-Preis-Spirale muß die Geldpolitik zur Inflationsbekämpfung eingreifen. Hierzu im
nächsten Kapitel.
Einführung in die VWL
9 Nachfrage und Einkommen
S. 155
gleich eins sein: c + s = 1. Das, was ich von einem zusätzlichen € Einkommen nicht ausgebe, spare
ich. Der elementare Multiplikator [1/(1-c)] läßt sich daher auch einfacher schreiben, als (1/s).
Damit ist die Ersparnis der Haushalte gleich der einkommensabhängigen Ersparnis minus dem,
was sie unabhängig vom Einkommen ausgeben, dem autonomen Konsum, Co:
S = s · Y - Co
Da (ohne Investitionen, Staat und Ausland) das gleichgewichtige Einkommen gleich (1/s) · Co
ist folgt:
S = s · Y – Co und deswegen, weil gilt: Y = (1/s) · Co:
S = s · (1/s) · Co - Co = 0
Klar: Wenn kein Sachvermögen gebildet wird, kann (gesamtwirtschaftlich) auch nicht gespart
werden.
Im Ungleichgewicht bedeutet dies: Wenn die Haushalte trotzdem versuchen zu sparen, machen
die Unternehmen Verluste. Der geplanten Ersparnis eines Teils der Haushalte, stehen dann
ungeplante Verluste gegenüber. Ein Teil der Haushalte spart, und ein anderer Teil, die
Unternehmenseigentümer, hat Vermögensverluste, entspart also ungeplant.
Was bedeutet es im Gleichgewicht? Nun, der Wunsch, mehr zu sparen, bedeutet entweder ein
niedrigeres Co (das wäre eine Verschiebung der YNE-Kurve nach unten) und/oder eine höhere
marginale Sparneigung s (= ein niedrigeres c). Nun ist c aber der Steigungsparameter der Y NEKurve. Ein Anstieg der marginalen Sparneigung läßt die Kurve also flacher werden. (Abb. 9.3)
Abb. 9.3 Änderung der marginalen Konsum-/ bzw. Sparneigung
Gestartet wird im Gleichgewicht in Punkt eins. Nun wollen die Haushalte mehr sparen. Die
marginale Sparquote (s) steigt = die marginale Konsumquote (c) sinkt. Dadurch wird Y NE flacher.
S. 156
9 Nachfrage und Einkommen
Karl Betz
Wenn die Unternehmen so viel produziert haben wie zuvor – weil die Haushalte ihnen nichts von
ihren geänderten Absichten gesagt haben – landet man zunächst in Punkt zwei. Hier sind die
Unternehmen in der Verlustzone. Daher schränken sie nunmehr ihr Angebot ein, bis die Ökonomie
(bei Y1) wieder bei einem neuen Gleichgewicht angekommen ist (Punkt 3). Hier ist das Einkommen
so weit gesunken, daß die Haushalte es sich nicht mehr leisten können, weiterhin zu sparen. (Oder,
wenn Investitionen zugelassen weren: Es ist so weit gesunken, daß die Haushalte es sich nicht mehr
leisten können, mehr sparen zu wollen, als die Unternehmen investieren wollen.)8
Damit schneidet die Nachfragekurve den Gleichgewichtslokus bereits früher - bei einem
niedrigeren Einkommen: Da Y, das gleichgewichtige BIP, die Höhe annimmt, bei der die
einkommensabhängige Ersparnis gleich den autonomen (nicht vom Einkommen abhängenden)
Ausgaben ist, genügt jetzt ein geringeres Einkommen, um dieses Gleichgewicht zu erreichen. Als
Folge ihrer gesteigerten Sparanstrengungen ist die Gesellschaft ärmer geworden. Dieses Ergebnis
ist auch bekannt als paradox of thrift (Sparparadoxon.)
Sparparadoxon: Wenn sich an der Bereitschaft zu Investitionen nichts ändert, wird eine
Gesellschaft durch größere Sparanstrengungen ärmer.
Bitte machen Sie sich klar, daß das Ergebnis nicht der Annahme geschuldet ist, daß bisher nur
Konsumnachfrage zugelassen ist. Es ist völlig wurscht, ob an der Ordinate Co oder aut (für
autonome Nachfrage) steht. Das Sparparadoxon folgt also aus der allgemeinen Form:
Y = µ · aut
9.2 Erweiterung: Investitionen
Die Erweiterungen des Modells in diesem Kapitel bestehen darin, entweder die autonome
Nachfrage um weitere Komponenten zu ergänzen und/oder Einflüsse auf den Multiplikator zu
untersuchen. Letzteres geschieht im Anhang1 zu dem Kapitel.
Im Kern kann ich es mir in den folgenden Abschnitten leicht machen: Letztlich bedeutet das
Zulassen von Investitions-, Staats- und Auslandsnachfrage ja nur, daß die autonome Nachfrage um
weitere Komponenten ergänzt werden muß. Man muß also neben Co noch weitere Buchstaben mit
dem Multiplikator mal nehmen.
An der Steigung der Geraden hat sich nichts geändert. (Sie ist immer noch gleich dem
Multiplikator, also hier wahlweise gleich (1/(1-c)) oder gleich (1/s)). Investitionen sind somit vorläufig - einfach eine weitere autonome Nachfrage - eine Verschiebung der YNE-Kurve nach oben
(Abb. 9.4).
Das Einkommen erhöht sich durch den Multiplikator so weit, daß es eine Höhe erreicht, bei der
die Haushalte so viel Sparen wollen, wie die Unternehmen investieren wollen.
8 Der Versuch der Haushalte, z.B. in den USA, nach der Krise ihre Schulden abzubauen, drückt daher das Wachstum
dort genau so, wie der Aufbau der Schulden zuvor das Wachstum angeheizt hatte. Im Vorgriff auf Kapitel 12: Dies
wird dadurch abgefedert, daß durch das staatliche Haushaltsdefizit von über 10 % des BIP ein Teil der gesunkenen
Haushaltsnachfrage durch Staatsnachfrage ersetzt wird. Die Haushalte entschulden sich so zwar (etwas. Vor allem
entschuldete sich der Finanzsektor) und die Konjunktur bricht weniger ein, als andernfalls. Aber die Schulden
verschwinden nicht. Sie werden jetzt zu Staatsschulden. (Und aus der Finanzkrise wird eine Staatsschuldenkrise.)
Einführung in die VWL
9 Nachfrage und Einkommen
S. 157
Abb. 9.4: Investitionsnachfrage
Was Ihnen an der Abbildung auffallen könnte, ist, daß sich die Investitionsnachfrage um zwei
Einheiten erhöht hat, das gleichgewichtige BIP hingegen um drei - die gesamte Nachfrage und
daher das gesamte Einkommen ist also um mehr gestiegen als um die zusätzliche Investitionsnachfrage.
Wieso das?
9.3 Der Multiplikatorprozeß
Zunächst einmal formal:
Das gleichgewichtige Einkommen ist, soviel ist bereits bekannt, gleich Multiplikator mal
autonomer Nachfrage.
Y = µ · aut
Was ich gerade gemacht habe, ist, ich habe die Investitionen geändert: Zuerst wurden sie nicht
betrachtet, jetzt habe ich sie im Modell zugelassen. Die autonome Nachfrage ist also (um d I)
gestiegen. Und jetzt wird gefragt: "Was passiert mit dem Einkommen?". Das ist die Frage: "Wie
ändert sich das Einkommen, wenn sich die autonome Nachfrage ändert?" Das heißt aber nichts
anderes, als nach der ersten Ableitung der Multiplikatorgleichung zu fragen, nach d Y/(d aut). Da
die autonome Nachfrage keinen Einfluß auf µ hat, ist die erste Ableitung der Gleichung einfach
gleich µ:
d Y
=  ↔ d Y =  ⋅ d aut
d aut
Die Änderung des Einkommens ist also gleich dem Multiplikator mal der Änderung der
S. 158
9 Nachfrage und Einkommen
Karl Betz
autonomen Nachfrage. Da µ = 1/s ist (bzw. = 1/(1-c)) und s zwischen 0 und 1 liegen sollte, 9 ist der
Multiplikator größer als eins und das Einkommen verändert sich daher um mehr als den Betrag der
autonomen Nachfrage.
Nochmal anschaulicher.
Angenommen, eine Brauerei bestellt eine neue Abfüllanlage mit einem Wert von 100.
Erstrundeneffekt: d aut = 100
Um diese Abfüllanlage herzustellen, müssen von der Maschinenfabrik zusätzliche Arbeiter
eingestellt werden und diese erzielen ein Einkommen von 100. (Ok, ein Teil des Einkommens geht
in die Gewinne, aber ich nehme vorerst mal an, die Bezieher von Gewinneinkommen fragen genau
so nach, wie die Arbeiterinnen.)
Zweite Runde:
Arbeiterinnen geben ihr Einkommen im wesentlichen für Bier aus. Sage, sie geben von jedem
zusätzlichen €uro 80 c für Bier aus und sparen 20 Cent. ==> Die vom Einkommen abhängige
Nachfrage steigt um 0,8 · 100 = 80, oder um c · d aut.
Um dieses Bier herzustellen, müssen aber zusätzliche Brauereiarbeiterinnen eingestellt werden.
Und deren Einkommen ist gleich der zusätzlichen Biernachfrage, also gleich 80. Daraus folgt für
die
Dritte Runde:
Die neu eingestellten Brauereiarbeiterinnen geben von ihrem Einkommen 0,8 · 80 = 64 für
zusätzliches Bier aus.
Um diese zusätzliche Biernachfrage zu befriedigen, müssen jetzt aber weitere Arbeiter eingestellt
werden, die nun ein Einkommen von 64 erzielen.
....
Anstatt die Geschichte jetzt für den Rest des Buches weiter zu erzählen, will ich den Vorgang
lieber formalisieren: Es ist der Gesamteffekt
erste Runde
+ zweite Runde
+ dritte Runde
+...
+ n-te Runde ...
d aut
+ c · d aut
+ c · c · d aut
+...
+ cn · d aut
100
+
+
64
51,2
+
2
+....
oder =d aut · (1
+
80
c
c
...
+ cn ·+ ...)
Dieser Ausdruck ist aber die Gleichung einer unendlichen geometrischen Reihe und diese
1
konvergiert für 0 < c < 1 gegen
, den Multiplikatorausdruck, der oben schon hergeleitet
1–c
wurde.
Damit ist der Investitionsmultiplikator:
d Y = µ · d I = [1/(1-c)] · d I
9 Es gibt allerdings Ausnahmen: Der Unternehmer Max Grundig antwortete in den 50ern einmal in einem Interview
auf die Frage, was er tun würde, wenn er eine Million im Lotto gewänne, mit: "Noch härter sparen." Hier würde s
also über eins liegen. (Der Lottogewinn ist zwar kein Einkommen, sondern eine Vermögensänderung, aber auf die
Million erhält man ja Zinseinkünfte.) (Diese Anekdote erzählte Prof. Riese gerne in seinen Vorlesungen. Ich zitiere
aus dem Gedächtnis.)
Einführung in die VWL
9 Nachfrage und Einkommen
S. 159
Anmerkungen zum Multiplikator
Zwei Punkte, die Sie im Kopf behalten sollten:
Erstens: Die Multiplikatorwirkung braucht Zeit.
Eine unendliche Reihe ist ziemlich lang. Es kann also durchaus sein, daß die Wirkungen einer
zusätzlichen autonomen Nachfrage in diesem Jahr teilweise ins nächste Jahr fallen. Staatliche
Konjunkturprogramme wirken daher nicht nur in dem Jahr, in dem die Ausgaben getätigt
werden. Vielmehr wird durch die zeitliche Verzögerung die Wirkung im ersten Jahr schwächer
und dafür wirkt das Programm auch ins Folgejahr hinein. Die gesamte Multiplikatorwirkung
erfassen Sie also nur, wenn Sie die Effekte über einen längeren Zeitraum addieren.
Zweitens: Der Multiplikator kann natürlich auch rückwärts ablaufen.
Läßt man die Zeitverzögerung mal außen vor, unterstellt s = c = 0,5 und nimmt an, daß 2010
die Investitionen um 100 steigen, um 2011 wieder auf ihr Ausgangsniveau zu fallen. Was ist die
Folge?
2010: d I = + 100 ==> d Y = (1/0,5) · 100 = + 200
Im Jahr 2010 steigt das Einkommen durch die zusätzliche autonome Investitionsnachfrage
also um 200 Einheiten.
2011: Jetzt ist I wieder auf seinem Ausgangsniveau: d I ist also – 100. Denn 2011 wird um
100 weniger investiert als 2010. Also:
d I = - 100 ==> d Y = (1/0,5) · (-100) = - 200
Die Investitionsnachfrage ist - gegenüber dem Vorjahr - um 100 zurückgegangen und
deswegen ist das Einkommen um 200 gefallen. Und damit ist das Einkommen wieder auf dem
Niveau von 2009.
Dies ist der Grund dafür, warum Erholungen nach einer Krise zunächst recht schnell
verlaufen: In der Krise bauen die Unternehmen ihre Lagerbestände ab und mit Auslaufen der
Krise werden die Lagerbestände wieder auf das Vor-Krisen-Niveau aufgestockt. Im Beginn des
Aufschwungs gehen, selbst wenn die Unternehmen ihre Produktionskapazitäten gar nicht
gegenüber der Zeit vor der Krise erweitern wollen, von der Aufstockung der Läger expansive
Impulse aus. Das wäre sogar dann der Fall, wenn die Unternehmen mit den neuen, niedrigeren
Lagerbeständen zufrieden wären - denn zuvor haben sie die Läger ja abgebaut (d I < 0) und jetzt
bestellen sie, um die neuen Bestände nicht noch weiter schrumpfen zu lassen, wieder so viel, wie
vor der Krise (d I > 0).
Damit wird u.a. erklärt, wieso der Aufschwung in den USA in ersten beiden Quartalen 2010
relativ stark war, während ihm in den Folgequartalen, als die Läger wieder aufgefüllt waren, die
Puste ausging.
9.4 Staat
Der Staat tätigt Staatsnachfrage (G) und erhebt Steuern, um diese zu finanzieren. Zusätzliche
Staatsnachfrage ist einfach zusätzliche autonome Nachfrage, da unterstellt wird, daß die
Staatsnachfrage nicht vom Einkommen abhängt. Der Staatsausgabenmultiplikator ist also einfach
dY=µ·dG
Insofern nichts Neues. Neu ist lediglich die Wirkung der Steuern, auf die im folgenden
S. 160
9 Nachfrage und Einkommen
Karl Betz
einzugehen ist. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Steuern, die vom Einkommen abhängen - wie
z.B. Einkommenssteuern oder auch Umsatzsteuern – und Steuern, die unabhängig vom Einkommen
zu zahlen sind (z.B. sogenannte Kopfsteuern), wie dies z.B. (näherungsweise) beim Zuzahlungsbetrag für die Krankenversicherung der Fall ist. Da Kopfsteuern formal einfacher zu behandeln
sind, unterstelle ich sie für den Hauptteil. Bei vom Einkommen abhängigen Steuern ändert sich der
Multiplikator. Wer sich dafür interessiert, den verweise ich auf den Anhang 9.1
Ich komme in Kapitel 12 zur Wirtschaftspolitik ausführlicher auf die Wirkung der
Staatsausgaben und Steuern auf den Wirtschaftsprozeß zurück. Hier soll zunächst nur skizziert
werden, wie sie sich in das Einkommen-Ausgaben-Modell integrieren lassen.
Der Staat erhebe einen festen, von Einkommen unabhängigen Steuerbetrag T von jedem Bürger.
Damit modifiziert sich das Modell wie folgt:
(1) Y = C + I + G
Steuern bedeuten, daß Ihnen nur noch Ihr Einkommen nach Steuern für Konsumzwecke zur
Verfügung steht. In diesem Fall ist noch zu beachten, daß die private Nachfrage nicht vom Brutto-,
sondern nur vom Nettoeinkommen (synonym: vom verfügbaren Einkommen YVerf) abhängig sein
kann.
(2) C = Co + c · YVerf
Das verfügbare Einkommen ist das Einkommen minus der Steuern:
(3) YVerf = Y – T
(3) in (2) ergibt:
(4) C = Co + c · (Y – T)
Und (4) eingesetzt in (1) liefert als neues Gleichgewicht:
Y = [1/(1 – c)] · (Co + I + G – c · T)
Damit sind die Multiplikatoren:
Staatsausgabenmultiplikator:
dY=µ·dG
Steigt die Staatsnachfrage, so steigt das Volkseinkommen um die zusätzliche staatliche
Nachfrage mal dem Multiplikator.
Steuermultiplikator:
d Y = µ · (– c) · d T
Erhöht der Staat die Steuern, so geht die Nachfrage zurück, denn die Haushalte haben ja weniger
Einkommen, aus dem sie nachfragen könnten. Allerdings geht es um weniger als Multiplikator mal
Steuererhöhung zurück: Die Haushalte hätten ja nur einen Teil (c) dieses Einkommens zur
Nachfrage verwandt.
Letztlich, wenn man bedenkt, daß eine staatliche Transferzahlung (z.B. Rente, Steuergutschein)
nichts anderes als eine Steuer mit negativem Vorzeichen ist (der Staat nimmt kein Geld ein, sondern
er gibt welches weg), liefert dies, mit Tr für Transfers, auch gleich den
Transfermultiplikator:
d Y = µ · c · d Tr
Auch Transferzahlungen lassen die Nachfrage und daher das Volkseinkommen steigen – aber wie
Einführung in die VWL
9 Nachfrage und Einkommen
S. 161
beim Steuer Multiplikator gilt: Weil die Haushalte einen Teil des Einkommens sparen, das sie vom
Staat bekommen, ändert sich Y um weniger als bei direkter staatlicher Nachfrage.
Es folgt also:
Das Volkseinkommen fällt, wenn die Steuern erhöht werden.
Es steigt, wenn der Staat mehr nachfragt, wenn er die Steuern senkt oder wenn er Transfereinkommen (Renten, BAFöG, Arbeitslosengeld ...) zahlt.
Es steigt aber bei zusätzlichen Staatsausgaben stärker (µ · dG) als bei zusätzlichen
Transferzahlungen (µ · c · dTr) oder bei Steuersenkungen (µ · c · (– dT) in gleicher Höhe.
Steuerfinanzierte Staatsausgaben
Interessant ist, daß der Steuermultiplikator einen anderen Wert als der Staatsausgabenmultiplikator hat. Gibt der Staat mehr aus, so steigt das Einkommen um
d Y = µ · d G.
Erhebt er mehr Steuern, so geht die Nachfrage zurück um:
d Y = µ · (- c) · d T
Warum das so ist, ist klar: Die Haushalte geben von jedem €, den sie mehr einnehmen c € mehr
aus (und sparen den Rest). Sinkt ihr verfügbares Einkommen nun (weil der Staat Steuern erhebt)
um einen €, schränken sie ihren Konsum nicht um einen € ein, sondern um weniger, um c € (und sie
reduzieren ihr Sparen um s €).
Angenommen nun, der Staat erhebt Steuern, um zusätzliche Staatsausgaben zu tätigen. Es
wirken also zweierlei Einflüsse gleichzeitig auf Y ein:
dY= µ·dG
höhere Staatsnachfrage
Y steigt
+
µ · (- c) · d T
+
höhere Steuern
Y sinkt
Dann ist der Gesamteffekt:
d Y = µ · (d G + ( - c · d T))
Ist die Veränderung der Staatsausgaben gleich der Veränderung der Steuern (ist also dG = dT),
benutzt also der Staat zusätzliche Steuern voll zur Tätigung zusätzlicher Staatsnachfrage dann läßt
sich auch G für T (oder, wenn man das mehr mag, T für G) einsetzen und schreiben:
d Y = µ · (d G - c · d G)) ==> d Y = µ · (1 - c ) · d G
Dieser Effekt gilt (in einer geschlossenen Volkswirtschaft) immer: Das Volkseinkommen steigt
um Multiplikator mal (1-c) mal den zusätzlichen steuerfinanzierten Staatsausgaben.
Wie kommt es zu diesem Effekt? Der Staat nimmt den Haushalten Einkommen weg. Die Y NEKurve verschiebt sich in der Folge um c · dT nach unten. Und der Staat gibt das komplette
Steueraufkommen aus - also verschiebt sich die Kurve um dG wieder nach oben. Der Effekt ist aber
nicht Null: Die Haushalte hätten ja nur einen Teil des Geldes, das ihnen weg gesteuert worden wäre,
zur Nachfrage verwandt. Der Staat gibt hingegen alles aus. Also ist die Verschiebung der Kurve
nach oben durch die Staatsausgaben stärker als die Verschiebung nach unten durch die Steuern. So
lange die Haushalte in ihrer Konsumnachfrage auf eine Steueränderung nicht anders reagieren, als
auf eine gleich hohe Änderung des Bruttoeinkommens, muß der Effekt also insgesamt positiv sein.
S. 162
9 Nachfrage und Einkommen
Karl Betz
Abb. 9.5: Die Wirkung steuerfinanzierter Staatsausgaben
Wenn man es nur mit dem einfachen Multiplikator zu tun hat (µ = 1/(1-c)), läßt sich ferner auch
genau sagen, um wie viel das Einkommen steigen wird:
d Y=
1
dY
⋅1 – c  ⋅ d G = d G →
=1
1–c
d G
Das Einkommen steigt also genau um den Betrag der zusätzlichen steuerfinanzierten Staatsausgaben. Oder: Der Multiplikator für steuerfinanzierte Staatsausgaben ist eins. (HaavelmoTheorem)
Das heißt im Kern: Zusätzliche staatliche Leistungen kosten die Ökonomie nichts, wenn sie über
Steuern finanziert werden. Da drängen sich doch zwei Fragen auf: Erstens: Ist das nicht VoodooÖkonomie (Robert Barro): Zusätzliches Einkommen entsteht einfach so aus dem Nichts? Und
zweitens: Wenn das so einfach ist, warum tun wir's dann nicht (in größerem Umfang)? Wenn
zusätzliche Kindergärten und bessere Schulen nichts kosten, warum richten wir sie dann nicht
einfach ein?
Die Antwort auf Frage eins ist simpel: Wenn die Nachfrage die Produktion bestimmt und falls
die Gesellschaft eigentlich mehr produzieren könnte (weil Produktionsinputs ungenutzt herumliegen, wie dies bei Arbeitslosigkeit der Fall ist) dann kostet zusätzlicher Output in der Tat die
Gesellschaft als ganze nichts. Sie verzichtet nicht auf andere Güter, sondern lediglich auf
Arbetislosigkeit.
Die Antwort auf die Frage zwei beruht auf dem Unterschied zwischen einzel- und gesamtwirtschaftlicher Betrachtungsweise. Die Gesellschaft als ganze kostet der zusätzliche Output in der
Tat nichts. Den einzelnen Steuerzahler aber schon: Durch die Steuern wird sein Einkommen ja
umverteilt: Mein Nettoeinkommen sinkt und das Einkommen der bisher arbeitslosen Kindergärtnerin steigt. Es entstehen zwar zusätzliche öffentliche Leistungen (bessere Kinderbetreuung).
Und diese machen das zusätzliche Einkommen aus. Aber das ist dem einzelnen Steuerzahler egal.
Z.B. weil er keine Kinder hat, ihre Kinder bereits einen Kindergartenplatz haben oder aus dem
Kindergartenalter schon raus sind. Oder weil er den gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang nicht
Einführung in die VWL
9 Nachfrage und Einkommen
S. 163
sieht und sich daher zwar über die zusätzlichen Kindergartenplätze freut, aber trotzdem weiter
F.D.P. wählt.10
9.5 Ausland
Ich werde das Ausland im Kapitel zur offenen Volkswirtschaft noch etwas sauberer behandeln.
Für diesen Abschnitt belasse ich es mal bei der einfachen Feststellung:
Das Ausland fragt Güter im Inland nach – Exporte. (EX)
Und es liefert Güter ans Inland – Importe. (IM)
Und die Differenz zwischen Exporten und Importen sind die Nettoexporte (NX).11
Exporte sind eine Nachfrage des Auslands im Inland. Bei Importen fließt umgekehrt inländische
Nachfrage ins Ausland ab. Der Saldo der Leistungsbilanz, NX, sagt ihnen also, ob durch den
Außenhandel die Nachfrage im Inland größer oder kleiner geworden ist. Ist NX größer Null, dann
exportiert ein Land mehr als es importiert. Die Nachfrage im Inland ist also höher, als sie ohne
Außenhandel wäre. Ist NX kleiner als 0, hat ein Land ein Leistungsbilanzdefizit, dann fließt per
Saldo Nachfrage ins Ausland ab.12
Exporte sind abhängig von Einkommen im Ausland und dem realen Wechselkurs. Das
Einkommen im Ausland ist für das Inland exogen – und der Wechselkurs kommt erst in Kapitel 13.
Also kann ich die Exporte für die Zwecke dieses Kapitels erstmal als exogen vorgeben.
Bei Importen ist das etwas anders – zwar hängen auch die vom realen effektiven Wechselkurs ab,
der erst noch kommt. Aber sie hängen darüber hinaus auch vom Einkommen ab: Wenn Sie mehr
verdienen, können Sie mehr kaufen – und ein Teil von dem, was Sie zusätzlich kaufen, werden eben
auch Importgüter sein.
Eigentlich müßten ich bei der Herleitung des Multiplikators jetzt wieder mal zwischen Kopf- und
Einkommenssteuern unterscheiden. Aber ich mache es mir einfach und beschränke mich auf Kopfsteuern. Das, was hier zu zeigen ist, ist im Prinzip auch in der komplizierteren Variante nicht anders.
(1) Y = C + I + G + EX – IM
Die Nachfrage ist gleich der Konsumnachfrage, der Investitionsnachfrage, der Staatsnachfrage
plus der Exportnachfrage minus den Importen.
(2) C = Co + c · YVerf
Die Bestimmungsgleichung für das verfügbare Einkommen ist schon bekannt:
10 Der Unterschied zur Marktlösung besteht darin, daß, wenn Sie für einen Kindergartenplatz bezahlen müssen, Sie
den Eindruck haben, daß Sie für Ihre Leistung eine Gegenleistung bekommen. Da der Rechtsanspruch auf einen
Kindergartenplatz aber nichts mit der Höhe Ihrer Steuerzahlung zu tun hat, ist dieser Zusammenhang in Ihrer
Wahrnehmung zerschnitten. Hinzu kommt, daß öffentliche Kindergärten allen Einkommensschichten offen stehen
müssen - das bedeutet aber, daß Eltern mit hohem Einkommen solche mit niedrigem Einkommen subventionieren
müssen. Wie aus Kapitel 3 bekannt ist, produziert Bildung Externalitäten. Insofern ist das kein Nullsummenspiel
und auch die besser verdienenden Haushalte profitieren noch von der verbesserten Betreuung der Kinder ärmerer
Haushalte. Aber spätestens an dieser Stelle wird der Zusammenhang nicht mehr wahrgenommen.
11 Es ist am vernünftigsten, hier nicht auf den Handels-, sondern auf den Leistungsbilanzsaldo zu schauen. Aber das
versichere ich an dieser Stelle mal wieder nur und vertröste Sie im übrigen auf Kapitel 13.
12 Allerdings kann es sein, daß der Außenhandel die Nachfrage anregt, in dem er auf Co oder c wirkt. Es ist z.B.
denkbar, daß durch den Außenhandel die Produktvielfalt steigt und daher konsumieren gegenüber sparen attraktiver
wird. In diesem Falle könnte durch internationalen Handel bei allen Handelspartnern die Nachfrage steigen. Diese
Überlegung – die ich auch nicht aus der Literatur kenne – wird hier aber nicht weiter verfolgt.
S. 164
9 Nachfrage und Einkommen
Karl Betz
(3) YVerf = Y – T
Und damit ist die Gleichung für die Konsumnachfrage wieder
(4) C = Co + c · [Y – T]
Das was importiert wird, muß von der Nachfrage abgezogen werden, weil es Nachfrage ist, die
ins Ausland abfließt.13 Also fehlt noch eine Bestimmungsgleichung für die Importnachfrage. Die
Importnachfrage setzt sich zusammen aus den importierten Konsumgütern
mC · C
den importierten Investitionsgütern
mI · I
und dem Importanteil der Staatsnachfrage:
mG · G
wobei ich m mal mit jeweils mit einem Index versehe, weil die Importanteile ja unterschiedlich
sein können: Bei einem Arbeitsbeschaffungsprogramm wird mG z.B. sehr klein sein, weil nur
Inländer (registrierte Arbeitslose) eingestellt werden können und in einem Land mit sehr viel
Maschinenbauindustrie wie der BRD dürfte mI niedriger als mC sein, während es in den
Niederlanden umgekehrt sein dürfte. Es ist damit die Importnachfrage:
IM = mC · C + mI · I + mG · G
Mit der expliziten Konsumnachfrage aus (4) ergibt sich als Bestimmungsgleichung für die
Importnachfrage:
(5) IM = mC · [Co + c · (Y – T)] + mI · I + mG · G
Mit (5) eingesetzt für IM und sowie (4) eingesetzt für C wird Gleichung (1) zu:
Y = Co + c · (Y – T) + G + I + EX – {mC · [Co + c · (Y – T)] + mI · I + mG · G}
Ausklammern und neu gruppieren führt schließlich auf
(6) Y = [1/(1 – c · (1 - mC)] · [(1-mC) · Co + (1-mI) · I + (1-mG) · G - (1 - mC) · c · T + EX]
Die autonome Nachfrage wirkt somit schwächer auf das BIP als zuvor.
(a) Der Multiplikator sinkt. Dadurch, die marginale Konsumneigung im Nenner wird mit eins
minus der Importneigung mC multipliziert (also mit einer Zahl kleiner eins). Damit ist der Ausdruck
c · (1 - mC), kleiner als c. Der Nenner wird größer und dadurch sinkt der Wert des Multiplikators.
(b) Der Multiplikand wird kleiner: Änderungen der autonomen Nachfrage müssen um den
Importanteil korrigiert werden. Eine Erhöhung der autonomen Nachfrage (abgesehen von EX) geht
daher mit einem geringeren Wert in die Bestimmung des Volkseinkommens ein.
Der Multiplikator einer offenen Volkswirtschaft ist also kleiner als der einer geschlossenen.
Allerdings kann man es sich für einen Sonderfall wieder einfacher machen: Der Multiplikator ist
in einer offenen Volkswirtschaft ja deswegen kleiner, weil ein Teil des zusätzlichen Einkommens in
die Importe geht. Bei den Nettoexporten sind die Importe aber bereits heraus gerechnet. Daher kann
13 Und importierte Vorleistungen oder Investitionsgüter? Naja, soweit die Vorleistungen in die Konsumgüterproduktion
eingehen sind sie ja mit der Haushaltsnachfrage schon erfaßt. Bei importierten Investitionsgütern wären die Importe
halt von der Investitionsnachfrage abzuziehen. Aber die Unterscheidung schenke ich mir.
Einführung in die VWL
9 Nachfrage und Einkommen
S. 165
man in diesem Sonderfall den Multiplikator der geschlossenen Volkswirtschaft verwenden:
dY = [1/(1 – c)] · dNX.
Eine Erhöhung der Nettoexporte verschiebt also die Y NE genau so nach oben, wie eine Erhöhung
des autonomen Konsums, der Investitionen oder der Staatsnachfrage.
9.7 Saldenbeziehungen
Was ist eigentlich mittlerweile, nach all den Erweiterungen, aus dem Kreislaufschema
geworden? Da inzwischen mit Staat und Ausland zwei weitere Pole hinzugekommen sind, habe ich
die Güter und Leistungsströme rausgeworfen, damit man überhaupt noch etwas sieht. Was übrig
geblieben ist, sind die Geldflüsse und die Kredit- bzw. Finanzierungsbeziehungen. Die gestrichelten
Linien stellen in der Grafik die Zahlungen dar:
Pol Haushalte: Die Haushalte beziehen Lohn- und Gewinneinkommen.
HH: Y = W + Q.
Verteilungsgleichung
(Die Haushalte beziehen zwar auch Zinseinkommen, wenn sie staatliche Wertpapiere halten. Und
sie beziehen, falls ein Land Forderungen gegen das Ausland hat, Zinseinkommen aus dem Ausland.
Um aber die Grafik nicht komplett zu zukleistern, lassen Sie mich die Zinszahlungen aus dem
Ausland unter Exporte (von Kapitaldiensten ans Ausland) erfassen. Und die Verzinsung der
Staatsschulden führt eben dazu, daß der Haushaltssektor per Saldo weniger an den Staat zu zahlen
hat, weil den Steuerzahlungen der Haushalte an den Staat Zinszahlungen des Staates an die
Haushalte gegenüber stehen. Ich berücksichtige das also mal einfach als niedrigeres T.14)
Die Haushalte können dieses Einkommen benutzen, um entweder im Inland nachzufragen (C) zu
im Ausland nachzufragen (IM), Steuern zu zahlen (T) oder Sparen:
Y = C + S + T + IM
Einkommensverfügung
Und bei den Haushalten kann nur das Einkommen ankommen, das die Unternehmen aus ihren
Verkäufen (an die Haushalte: C; an sich selbst: I, an das Ausland: EX, an den Staat: G) erlöst haben.
Pol Unternehmen:
Y = C + G + I + EX
Nachfrage (= Einkommensverwendung)
Die dünnen durchgezogenen Pfeile wiederum geben die Finanzierungsbeziehungen wieder: Das
Sparen der Haushalte kann Investitionen, das Budgetdefizit oder aber die Verschuldung des
Auslands finanzieren.
Und jetzt kommt die Gemeinheit: Weil wir in einem Kreislaufsystem sind, muß das alles
miteinander zusammenhängen. Es muß gelten (wenn Sie die Einkommensverfügungs- und
-verwendungsgleichung gleichsetzen):
Einkommensverfügung: C + S + T + IM = Y = C + G + I + EX
Einkommensverwendung
==> S + T + IM = C + G + I + EX.
oder: S = I + (G – T) + (EX – IM)
14 Falls das Semester eher fertig sein sollte als das Skript, sei hier schon mal angemerkt: Da die laufenden
Zinszahlungen des Staates immer aus den laufenden Steuern erfolgen müssen, bedeutet Staatsverschuldung nicht,
daß zukünftige Generationen für die heutigen Schulden bezahlen müssen, sondern sie bedeutet, daß ein Teil der
zukünftigen Generation (die Steuerzahler) einem anderen Teil der zukünftigen Generation (den Erben der heutigen
Staatsgläubiger) Geld zu geben hat. Die Generation als ganze betrachtet zahlt die Zinsen also an sich selbst.
S. 166
9 Nachfrage und Einkommen
Karl Betz
Abb. 9.6: Kreislaufdiagramm einer offenen Volkswirtschaft mit Staat
Also:
Ersparnis der Haushalte gleich
Investitionen
+ Budgetdefizit (Staatsausgaben minus Steuereinnahmen (G – T))
+ Nettoexporte (Zunahme der Forderungen gegen das Ausland (EX – IM)).
Ist ja auch irgendwie klar: S, das ist (mal abgesehen vom Eigenkapital, da halten Sie quasi
Forderungen gegen sich selbst) der Zuwachs der Forderungen des Haushaltssektors. Forderungen
sind aber immer Forderungen gegen irgend wen: Sie können keine Forderungen haben, wenn nicht
irgend jemand anders Schulden (Verbindlichkeiten) hat. Und Ihre Forderungen können nicht
wachsen, ohne daß bei jemand anderem die Schulden wachsen.
Einführung in die VWL
9 Nachfrage und Einkommen
S. 167
Aus der Sicht des Haushaltssektors kann dieser „irgend jemand anders“ aber nur entweder der
Unternehmenssektor, der Staat oder das Ausland sein.
Was passiert, wenn diese „irgend jemand Anderse“ keine Lust haben, neue Schulden aufzubauen,
war Gegenstand des ganzen bisherigen Kapitels: Dann muß eben das Einkommen so stark sinken,
daß den Haushalten die Lust am Sparen vergeht.
Wenn das vermieden werden soll, dann hilft nur noch:
1. Entweder müssen die Investitionen steigen (bloß: warum sollten sie, wenn die Haushalte mehr
sparen, also weniger nachfragen, wollen)
2. der Staat muß höhere Schulden machen oder
3. die Exportüberschüsse müssen steigen (das Ausland muß höhere Schulden machen).
Das vertrackte an der derzeitigen weltwirtschaftlichen Lage ist nun,
– Praktisch alle entwickelten Länder müßten ihre Staatsverschuldung senken (der Staat macht
also schon mal keine Schulden),
– Die Nettoexporte bieten keinen Ausweg (weil nicht alle Länder gleichzeitig mehr ex- als
importieren können: Wo sollte das Zeug denn hin?)
– Und in vielen Ländern (u.a. USA, Großbritannien) sind auch noch die Haushalte überschuldet, müßten also dringend sparen, um ihren Verschuldungsgrad zu reduzieren.
Sicherlich: Es gibt einen Ausweg: Wenn die Investitionen anziehen, könnte man die Schulden
schadensfrei im Unternehmenssektor unterbringen (als Fremdkapital, das zusätzliche Investitionen
finanziert). Aber erneut: Wenn die Haushalte ihre Konsumnachfrage einschränken, weil sie sparen
müssen. Wenn der Staat seine Nachfrage einschränken muß, weil er sein Defizit abbauen muß. Und
wenn das Ausland per Saldo auch keine Lust hat, mehr zu kaufen als es an das Inland verkaufen
kann – warum zum Teufel sollten dann die Investitionen anziehen?
Bleiben drei Möglichkeiten:
- Entweder muß ein niedriges Einkommen dem privaten Sektor die Lust zum Sparen austreiben.
- oder die Schulden müssen auf andere Art vernichtet werden – und diese andere Art nennt sich
Insolvenz. Beides keine besonders guten Aussichten fürs Wachstum ...
oder schließlich: weginflationieren. Der Verschuldungsgrad ist: Schulden (gemessen in €) geteilt
durch Einkommen (in €). Steigen die Preise, dann steigt das nominale Einkommen und daher
sinken die Schulden in % des BIP. Allerdings sollte man sich hiervon nicht zu viel erhoffen: Steigt
die Inflation, werden gleichzeitig die Zinsen steigen. Wird bei Schulden eine Refinanzierung fällig,
muß diese dann zu höheren Zinssätzen erfolgen und damit ist der Effekt der Entschuldung durch
Inflation wieder gestoppt. Da ein großer Teil der Schulden keine allzu lange Laufzeit hat (die
Staatsverschuldung vieler Länder hat z.B. eine mittlere Laufzeit von vier Jahren) ist die Wirkung
des Effekts begrenzt, wenn die Inflationsraten niedrig sind - und hohe Inflationsraten sind wieder
ein Problem fürs Wachstum.
Eine Möglichkeit gäbe es allerdings: Den in Abschnitt 9.4 beschriebenen Haavelmo Effekt:
Steuererhöhungen, vorzugsweise auf hohe Einkommen (vgl. Exkurs 9.3) reduzieren das Defizit.
und ihre dämpfende Wirkung auf die Nachfrage könnte abgeschwächt werden, in dem man einen
Teil der Steuererhöhung für staatliche Nachfrage nutzt. Gegeben eine Grundhaltung der
Wirtschaftspolitik. die Steuern eher senken als erhöhen will, ist es aber extrem unwahrscheinlich,
daß dieser Weg eingeschlagen wird.
S. 168
9 Nachfrage und Einkommen
Karl Betz
Fragen zum neunten Kapitel
Verständnisfragen
1)
Warum / durch welchen Prozeß / tendiert der Gütermarkt zum Gleichgewicht YAT = YNE?
2)
Warum liegt die marginale Konsumquote zwischen Null und Eins?
3)
Leiten Sie den einfachen Multiplikator her.
4)
Wie läuft der Multiplikatorprozeß ab?
5)
Kann es im keynesianischen Modell unfreiwillige Arbeitslosigkeit geben?
6)
Was verstehen Sie unter dem Haavelmo-Effekt?
7)
Welche Größe gleicht im keynesianischen Modell I und S aus? Welche im neoklassischen?
8)
Ist das Gleichgewicht im keynesianischen Modell ein Gleichgewicht in effektiven oder in
notionalen Plänen? Argumentieren Sie.
Anwendungen
1)
Warum kann in einer Tauschwirtschaft die (geplante) aggregierte Nachfrage nicht niedriger sein
als das aggregierte Angebot? Warum ist das in einer Geldwirtschaft aber sehr wohl denkbar? Bitte
argumentieren Sie verbal.
2)
Erläutern Sie das Sparpardoxon verbal und graphisch.
3)
In einer Ökonomie (geschlossene Volkswirtschaft ohne Staat) sei die marginale Konsumneigung
0,75, der autonome Konsum sei 60 und die Investitionen 40.
a) Bitte leiten Sie den Multiplikator allgemein her.
b) Wie hoch ist das Einkommen?
c) Angenommen das Arbeitsangebot in dieser Ökonomie ist 30 und die Arbeitsproduktivität
betrage 20. Wie hoch sind Beschäftigung und Arbeitslosigkeit?
Einführung in die VWL
9 Nachfrage und Einkommen
S. 169
4)
Für die folgenden Teilaufgaben gelte: die Arbeitsproduktivität ist 10 und das Arbeitsangebot ist:
AAT = 5 + 3 · (w/p)
a)
Die Ökonomie funktioniert neoklassisch und die (notionale) Arbeitsnachfragefunktion lautet ANE
= 20 - 2 · (w/p). Wie hoch sind Reallohnsatz, Beschäftigung und BIP? Wie hoch ist die Lohnsumme
W? Wie hoch sind die Gewinne Q?
b)
Die Ökonomie funktioniere keynesianisch. Die marginale Konsumneigung sei 0,8, der autonome
Konsum sei 15 und die Investitionen sind 10.
a) Wie hoch ist das BIP und die Beschäftigung?
b) Welchen Reallohnsatz müssen die Unternehmen mindestens zahlen? Welchen können sie
höchsten zahlen? Warum?
c) Nehmen Sie an, der Gleichgewichtslohnsatz aus Teilfrage a) habe sich eingestellt. Wie hoch ist
die unfreiwillige Arbeitslosigkeit?
d) Was würde sich, im Vergleich zu Teilfrage c) ändern, wenn die Arbeiter bereit wären, ihre
Reallöhne zu senken (und dies auch gelänge)?
5)
Die Konsolidierung der Staatsverschuldung (der Abbau der jährlichen Neuverschuldung) seht
nach der großen Rezession hoch auf der Agenda der meisten OECD Staaten. Vor dem Hintergrund
eines nachfrageorientierten Modells: Würden Sie eher empfehlen, die Steuern zu erhöhen oder die
Staatsausgaben abzubauen? Argumentieren Sie verbal und graphisch oder algebraisch.
6)
Robert Reich argumentiert, daß die steigende Einkommensungleichheit in den USA nicht nur zur
Krise geführt habe, sondern auch permanent die Wachstumsaussichten eintrübe. Können Sie dem
Argument (aus keynesianischer Sicht) folgen? Argumentieren Sie verbal und graphisch oder
algebraisch.
7)
a) Angenommen die Investitionen sind gegeben und in einer Volkswirtschaft soll die
Staatsverschuldung abgebaut werden und die Haushalte wollen ebenfalls ihre Verschuldung
reduzieren. Wie kann das saldenmechanisch aufgehen?
b) Derzeit stehen praktisch alle entwickelten Ökonomien vor der gleichen Aufgabe: Staaten und
Haushalte müssen ihre Verschuldung abbauen. Kann das funktionieren?
Exkurse zum neunten Kapitel
Exkurs 9.1 Übersicht Multiplikatoren
Hinweis: Für die Klausur müssen Sie nicht den ganzen Ramsch auswendig lernen. Es genügt.
wenn Sie
– den einfachen Multiplikator herleiten können und damit zeigen, daß Sie das Prinzip
S. 170
9 Nachfrage und Einkommen
Karl Betz
verstanden haben.
– und über den Zusammenhang Multiplikator mal autonome Nachfrage das Volkseinkommen
(bzw., bei Änderungen der autonomen Nachfrage: die Änderung des Volkseinkommens)
bestimmen können.
Falls für eine Frage mal eine andere Formel notwendig sein sollte, würde sie in der
Aufgabenstellung angegeben werden.
Tab. 9.1: Übersicht Multiplikatoren
Grundform:
dY =
Investitionsmultiplikator
Multiplikator
mal Multiplikand
(= autonome
Nachfrage(änderung))
1/(1-c) oder (1/s)
dI
Staatsausgabenmultiplikator
“
dG
Steuermultiplikator
“
- c · dT
Transfermultiplikator
“
c · dTr
Außenhandelsmultiplikator
“
d NX
Einkommensabhängige Steuern
1/[1 – c · (1 -t)]
wie oben
offene Volkswirtschaft; Kopfsteuern
1/[1 – c · (1-mC)]
(1-mC) dCo) + (1-mI) · dI + ...
Ferner: dEX
offene Volkswirtschaft: vom
Einkommen abhängige Steuern
1/[1 – c · (1-mC) · (1 - t)]
wie oben. Ferner: dNX
Exkurs 9.2 Vom Einkommen abhängige Steuern
Der Staat erhebe einen festen prozentualen Steuersatz (t = tax rate) vom Einkommen. t = 0,2
bedeutet, daß bei einem Einkommen von 2000 € eine Steuerzahlung von 400 € fällig ist. Damit ist
das verfügbare Einkommen (das Nettoeinkommen) gleich dem Bruttoeinkommen mal (1 – t).
Damit modifiziert sich das Modell wie folgt:
(1) Y = C + I + G
(2) C = Co + c · YVerf
(3) YVerf = Y (1 – t)
(3) in (2) ergibt:
(4) C = Co + c · Y (1 – t)
Und (4) eingesetzt in (1) liefert als neues Gleichgewicht:
Y = {1/[(1 – c · (1 – t )]} · (Co + I + G)
An der autonomen Nachfrage ändert sich nichts. Aber der der Multiplikator selbst ändert sich.
Einführung in die VWL
9 Nachfrage und Einkommen
S. 171
Da (1 – t) zwischen 0 und 1 liegt, ist c mal (1 – t) kleiner als als c. Der Nenner ist also größer als
beim einfachen Multiplikator und damit ist der Wert des Multiplikators bei Steuern, die vom
Einkommen abhängen, niedriger.
Wenn man also die Staatsausgaben anhebt, steigt das Volkseinkommen bei Steuern, die vom
Einkommen abhängen, um weniger, als bei Kopfsteuern. Sie brauchen deswegen aber nicht alles,
was Sie sich in 9.4 gemerkt haben, wieder zu vergessen. Der Effekt liegt im Prinzip an folgendem:
Wenn man jetzt die Staatsausgaben erhöht, steigen eben gleichzeitig die Steuereinnahmen – der
Staat spart auf einmal (die zusätzlichen Steuereinnahmen) und daher führt die Staatsausgabenerhöhung zu einem geringeren Einkommenszuwachs aber auch zugleich zu einem geringeren
Defizit. Um bei Einkommens abhängigen Steuern den gleichen Effekt auf Y zu erzielen, müssen Sie
Ihre Staatsausgaben eben so erhöhen, daß das gleiche Defizit entsteht, wie dies bei Kopfsteuern der
Fall wäre (also wenn das Steueraufkommen nicht steigen würde). Das heißt: Sie müssen die
zusätzlich anfallenden Steuereinnahmen gleich wieder ausgeben. Tun Sie dies, dann neutralisieren
Sie den dämpfenden Effekt gerade und Sie landen wieder beim gleichen Multiplikator wie in 9.4:
d Y = [1/(1-c)] · d(G – T)
Sprich: Man kann bei einkommensabhängigen Steuern locker mit den gleichen Multiplikatoren
wie in 9.4 arbeiten; Man muß dann halt nur das komplette Defizit und nicht nur die Staatsnachfrage
variieren.
Exkurs 9.3 Einkommensverteilung, Multiplikator und BIP
Änderungen der Konsumneigung (oder, was auf das Gleiche hinauskommt, der marginalen
Sparneigung), so wurde in 9.1.2.1 gezeigt, verändert die Höhe des Multiplikators und daher,
gegeben die einkommensunabhängige Nachfrage, das Volkseinkommen. Nehmen Sie an, die
autonome Nachfrage betrage 100. Dann führt (beim elementaren Multiplikator) eine marginale
Konsumneigung von 0,5 auf ein Einkommen von 200 und eine von 0,8 auf ein Einkommen von
500.
Bei einer höheren marginalen Konsumneigung ist also ein höheres Volkseinkommen möglich.
Gibt es Möglichkeiten, die marginale Konsumneigung zu beeinflussen? Nun, man könnte sagen:
Eine haben Sie bereits kennen gelernt: den Haavelmo-Effekt. Der Staat gibt alles Steuereinkommen
aus. Also hat er eine „marginale Konsumneigung“15 von 1. Die Steuern erhebt er bei den Haushalten
mit einer marginalen Konsumneigung kleiner eins, Das Einkommen steigt, weil er mehr von diesem
Geld ausgibt, als die Haushalte ausgegeben hätten. Eine höhere Staatsquote bedeutet also, daß die
Ökonomie insgesamt eine höhere Quote ihres Einkommens verknuspert – also eine höhere
Konsumneigung aufweist.
Ein weiterer wichtiger Einflußfaktor, der Gegenstand dieses Anhangs sein soll, ist die
Einkommensverteilung.
Das Volkseinkommen ist die Summe aus Löhnen (W – Wages) und Gewinnen (Q – Quasirents).
Y=W+Q
Teilt man die beiden Seiten der Gleichung durch Y, so läßt sich die Einkommensverteilung auch
beschreiben über die Anteile der Löhne und Gewinne am Volkseinkommen:
15 Bitte nehmen Sie das nur allegorísch. Es ist formal falsch, dem Staat oder, allgemeiner, einer Institution
„Neigungen“ zu zu schreiben. Aber diese Einschränkung ändert nichts am Effekt.
S. 172
Y = W + Q ==> 1 =
9 Nachfrage und Einkommen
Karl Betz
Q W

Y
Y
Ich schreibe jetzt mal die Nachfragen der Bezieher von Gewinn- und Lohneinkommen getrennt
an. wobei die Indices Q und W daran erinnern sollen, um wen es gerade geht:
CQ = C0,Q + cQ · (Q/Y) · Y
CW = C0,W + cW · (W/Y) · Y = C0,W + cW · [1 - (Q/Y)] · Y
Der letzte Term bedarf vielleicht noch der Erläuterung: Die Gewinneinkommensbezieher fragen
aus ihrem Einkommen nach – also aus dem Gewinneinkommen Q. Das aber ist gleich dem
Volkseinkommen mal dem Anteil der Gewinne an Y ( Q = (Q/Y) ·Y). Das Gleiche gilt für die
Lohneinkommen. Weil die beiden Anteile sich zu eins ergänzen, kann man statt W/Y auch
schreiben: 1 – Q/Y. Faßt man die beiden Gleichungen nun wieder zur gesamten Konsumnachfrage
zusammen, so erhält man:
C = C0,Q + C0,W + {cQ · (Q/Y) + cW · [1 - (Q/Y)]} · Y
Verglichen mit der einfachen Konsumnachfragegleichung ergeben die ersten beiden Summanden
den autonomen Konsum und der Klammerausdruck liefert die gesamtwirtschaftliche marginale
Konsumneigung. Es ist also:
c = cQ · (Q/Y) + cW · [1 – (Q/Y)]]
Die marginale Konsumneigung in der Ökonomie wird damit umso näher an der marginalen
Konsumneigung der Gewinneinkommensbezieher liegen, je höher der Anteil der Gewinne am
Volkseinkommen ist – und sie wird umso näher an der der Lohneinkommensbezieher liegen, je
niedriger der Anteil der Gewinne am Volkseinkommen ist.
Nehmen Sie nun an, die marginale Konsumneigung aus niedrigen Einkommen sei höher als die
aus hohen Einkommen. Und Gewinneinkommen gehen in aller Regel an die Bezieher hoher
Einkommen, wie Sie leicht verifizieren können, wenn Sie sich einmal den Anteil der reichen
Haushalte am Aktien- und sonstigen Finanzvermögen ansehen. (Ich gebe Ihnen die Anteile für die
USA, weil ich die gerade bei der Hand habe. Die für die BRD ist in der Tendenz auch nicht anders.)
Aus diesen Überlegungen folgt, daß die marginale Konsumquote der Ökonomie umso höher ist,
je höher der Anteil der Löhne am Volkseinkommen ist.
Eine gleichmäßigere Einkommensverteilung erlaubt also eine höhere Nachfrage und daher ein
höheres Volkseinkommen.
Einführung in die VWL
9 Nachfrage und Einkommen
S. 173
Vermögensverteilung in den USA :
Quelle: Wealth, Income, and Power. By G. William Domhoff
Wie Sie der Grafik entnehmen können, gehörten im Jahr 2007 dem reichsten Prozent der
Einwohner der USA 62% aller Aktien und 61% aller Finanzanlagen. Zum Ausgleich hatten dafür
die 90% ärmsten Einwohner 73% der Schulden.
Exkurs 9.4: Y oder d Y?
Praktisch hat die keynesianische Theorie nur als Konjunkturtheorie überlebt: Der Multiplikator
beschreibt, was bei einem plötzlichen Einbruch der Nachfrage passiert. Mittel- bis langfristig
bringen flexible Preise das aber wieder in Ordnung und dann ist man zurück im (neoklassischen
Vollbeschäftigungs-) Gleichgewicht.
Machen Sie sich aber bitte klar, daß das Modell selbst eine solche Interpretation nicht nahe legt:
Es liefert über
Y = µ · aut
ebenso das Volkseinkommen, wie es über
S. 174
9 Nachfrage und Einkommen
Karl Betz
dY = µ · d aut
Änderungen auf Grund von Nachfrageschocks beschreiben kann.16
Tatsächlich ist zumindest bei Keynes selbst die Interpretation als Konjunkturmodell gründlich
daneben. Wie oben gezeigt, liegen bei Keynes Abweichungen vom Gleichgewicht gerade nicht auf
der 45°-Geraden. Konjunkturphänomene spielen sich bei ihm (in „Vom Gelde“) links oder rechts
vom Gleichgewichtslokus ab. Und der Preismechanismus, der neoklassisch zurück zur Vollbeschäftigung führt, der Ausgleich von Investitions- und Sparplänen über den Zinssatz, wird von
Keynes gerade bestritten. Im nächsten Kapitel werde ich ein Modell vorstellen, das es erlaubt, beide
Ansätze – Keynes und die Neoklassik – im gleichen formalen Rahmen zu diskutieren.
Welche der beiden Varianten Sie für plausibler halten ist Ihnen überlassen - ich vergebe keine
Gesinnungsnoten. Allerdings müssen Sie, wenn Sie argumentieren, schon konsistent im gleichen
Modell bleiben: Unterstellen, die Ökonomie wachse nach der Logik der neoklassischen Theorie und
gleichzeitig unterstellen, wir hätten seit Jahrzehnten unfreiwillige Arbeitslosigkeit geht logisch nicht
zusammen.
16 Einverstanden: Die lineare Konsumfunktion kann natürlich nur als lineare Approximation einer komplizierteren
Funktion verstanden werden, die daher nur in einem engen Bereich um das beobachtete Einkommensniveau
zutreffen wird. Aber das war bei den Nachfrage- und Angebotskurven im Mikroteil auch nicht anders und hat da
auch niemanden gestört. Jau, wenn große Einkommensänderungen betrachtet werden, wird c = c(Y) statt einer
konstanten marginalen Konsumquote unterstellt werden müssen. Na und?
Einführung in die VWL
10 IS-MP
S. 175
10 Das IS-MP-Modell
Lernziele:
Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals
Auch der Zinssatz beeinflußt die Nachfrage: Die IS-Kurve
Multiplikator und Verschiebung der IS-Kurve
Geldpolitik und MP-Kurve:
Taylor-Regel; NAIRU-Gleichgewicht
IS-MP-Gleichgewicht: Simultane Bestimmung von Zinssatz und Einkommen.
Komparative Statik im IS-MP-Modell
Neoklassische Schließung: Geldpolitik kann Vollbeschäftigungszinssatz setzen.
Probleme der neoklassischen Schließung: Liquiditätsfalle und Nachfragemangel
Keynesianische Schließung: Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung
Bisher war die Nachfrage als nur vom Einkommen abhängig modelliert worden. Mit dem ISMP-Modell wird ein zweiter Einflußfaktor zugelassen: Nicht nur das Einkommen sondern auch der
Zinssatz wirkt auf die Nachfrage.
Eigentlich kannten ist dieser Einfluß auf die Nachfrage schon in Kapitel 6 thematisiert worden:
Die Bereitschaft zu sparen war dort vom Zinssatz abhängig. Aber eben einzig vom Zinssatz, weil
dort das Einkommen (auf Grund der Vollbeschäftigungsannahme: das Vollbeschäftigungseinkommen) schon fest stand, bevor die Sparentscheidung getroffen wurde. Das Neue an Keynes
war, daß auch das Einkommen auf die Nachfrage (und daher: auf das Sparen) wirkte und daß das
Einkommen dadurch endogen bestimmt wurde. Wichtig hieran ist, daß auch das Einkommen
variabel ist, nicht etwa, daß nur das Einkommen variabel ist. Weil dies der neue Effekt war, war es
sinnvoll, sich in Kapitel 9 erstmal auf diesen zu konzentrieren.
In diesem Kapitel wird nun der Zinssatz als Einflußfaktor auf die Nachfrage wieder in das
Modell zurück geholt. Dies geschieht in Abschnitt 10.1. Allerdings muß dann erklärt werden, wie
sich der Zinssatz eigentlich bestimmt. Das tut Abschnitt 10.2 mit der MP-Kurve. Da die Geldpolitik
eine entscheidende Einflußgröße für das Zinsniveau ist (MP steht für monetary policy), wird sie
bereits in diesem Abschnitt (und nicht erst im Kapitel zur Wirtschaftspolitik) zu diskutieren sein.
In Abschnitt 10.3 geht es dann darum, wie im IS-MP-Modell der gleichgewichtige Zinssatz und
das gleichgewichtige Einkommen gleichzeitig bestimmt werden.
In fast allen anderen Lehrbüchern werden Sie an dieser Stelle ein anderes Modell finden, das ISLM-Modell. Dieses hat mit dem IS-MP-Modell (wie die Namen schon sagen) die IS-Kurve, also
die zinselastische Nachfrage, gemein. Es arbeitet aber mit einer exogen vorgegebenen Geldmenge.
Und wie in Kapitel 8 gezeigt wurde, ist die Geldmenge keineswegs exogen sondern endogen. Daher
wird hier dem Vorschlag von Romer (Romer 2000; Romer 1999 (2006)) gefolgt, den Zinssatz zu
bestimmen und die Geldmenge sich endogen anpassen zu lassen. Damit wird das herrschende ASAD-Modell, das z.B. bei Mankiw den Kern der Makroökonomie ausmacht, obsolet.
Ein weiterer Vorteil des IS-MP-Modells gegenüber IS-LM besteht darin, daß sowohl die
Geldpolitik (MP-Kurve) als auch die IS-Kurve den realen Zinssatz als Argument haben. Im IS-LM-
S. 176
10 IS-MP
Karl Betz
Modell ist demgegenüber für die IS-Kurve der reale und für die LM-Kurve der nominale Zinssatz
wichtig, so da das Modell eigentlich nur unter der Zusatzannahme funktioniert, daß die
Inflationsrate Null ist.
Das Modell hat aber noch einen weiteren Vorteil - und den sieht Romer nicht: Es erlaubt den
Vergleich zwischen einer keynesianischen und einer neoklassischen Schließung.
Gegen Ende des Kapitels werden Sie sehen, daß dieses Modell, je nach dem, welche Annahmen
Sie über die Zinsbestimmung treffen, es erlaubt, sowohl ein (neoklassisches) Vollbeschäftigungsgleichgewicht als auch ein keynesianisches Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung zu diskutieren.
Als Wasserscheide zwischen den Theorien wird die Antwort auf die Frage identifiziert werden, ob
es in der Macht der Zentralbank steht, immer den Zinssatz durchzusetzen, der zu Vollbeschäftigung
führt. Dabei wird eine kleine Erweiterung des Romer-Modells im Exkurs zeigen, daß die
neoklassische Lösung nur einen Sonderfall darstellt - sie ist nur dann möglich, wenn die Akteure
auch das komplette Einkommen bei Vollbeschäftigung zur Nachfrage verwenden wollen. Andernfalls hat das Modell entweder überhaupt kein Gleichgewicht. Oder das Zinsniveau (die Lage der
MP-Kurve) muß anderweitig - z.B. über die Vermögensmärkte - bestimmt werden, so daß man in
einem Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung landet.
10.1 Zinselastische Nachfrage: Die IS-Kurve
Die übliche Motivation für eine zinselastische Nachfragekurve argumentiert mit der Kurve der
„Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals“. Das Argument läuft wie folgt: Zu jedem Zeitpunkt gibt es
Unternehmen, die eine Reihe von möglichen Investitionsprojekten in der Schublade haben. Wie Sie
aus Investition und Finanzierung wissen, kann ich, wenn ich erwarteten zukünftigen Erträge (K t)
und die gegenwärtigen Kosten der Projekte (K0) kenne, deren internen Zinssatz (oder: deren
erwartete Ertragsrate) bestimmen.
Angenommen, von einem Projekt werde erwartet, daß es einen einmaligen Erlös von 1200 in
zwei Jahren (Kt) liefern wird und es durchzuführen koste heute 1000 (K 0). Dann ist die erwartete
Ertragsrate (rE) des Projekts:
K0 = (Kt) / (1 + rE)2 <==> (1+rE)2 = Kt/K0 <==> rE =

2
Kt
–1
Ko
Für die Werte aus dem Beispiel wäre die erwartete Ertragsrate: rE ≈ 9,54%
Ich lasse mal für einen Augenblick Unsicherheit außer acht (oder unterstelle, daß ein Abschlag
dafür in die angesetzten Rückflüsse einkalkuliert war). Dann bedeutet dieses Ergebnis, daß das
Projekt bei Refinanzierungskosten von 9% durchgeführt würde, bei Refinanzierungskosten von 10
% hingegen nicht.1
In einer Volkswirtschaft wird es nun eine ganze Reihe von solchen Schubladen-Projekten geben,
von denen jedes einen anderen internen Zinsfuß aufweist. Läßt man jetzt den Marktzinssatz in
Gedanken sinken, dann wird ein Projekt nach dem anderen rentabel und durchgeführt werden. Mit
abnehmendem Marktzinssatz wird also das Investitionsvolumen ansteigen, weil immer mehr
Projekte rentabel werden und in Angriff genommen werden. Ich unterstelle mal, daß die erwarteten
1 Diese Sichtweise ist noch etwas zu simplizistisch, um für eine Prognose zu taugen: Es kommt hier auch auf die
Erwartungen zur Zinsentwicklung an. Wenn Sie erwarten, daß die Kreditzinsen weiter sinken, sind auch 9% kein
attraktives Angebot. Sinkende Zinssätze könnten daher (im Unterschied zu niedrigen Zinssätzen), durchaus zum
Aufschieben von Investitionsnachfrage führen, wenn sie die Erwartung noch weiter sinkender Zinssätze
hervorrufen.
Einführung in die VWL
10 IS-MP
S. 177
Zinssätze der Projekte und das zugehörige Investitionsvolumen in der nachfolgenden Kurve (der
„Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals“) abgetragen seien:
Abb. 10.1: Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals
Nach den Erwartungen, die dieser Kurve zu Grunde liegen, wären bei einem Zinssatz von 10%
Investitionsprojekte mit einem Volumen von rund 600 profitabel, bei einem Zinssatz von 5%
werden weitere Projekte (mit einem Volumen von 300) attraktiv, so daß nun Projekte mit einem
Volumen von rund 900 realisiert werden können.
Bei einem niedrigeren Zinsniveau ist damit die (Investitions-)Nachfrage höher als bei einem
höheren.2
Setzen Sie diese Überlegung nun in Diagramm 10.2 ein:
Das obere Diagramm in Abbildung 10.2 ist das aus Kapitel 9 bekannte Einkommen-Ausgaben2 Es mag sein, daß die Investitionen langfristig gar nicht so stark auf den Zinssatz reagieren – das mag eher
konjunkturell relevant sein als daß es langfristig wichtig ist: Vorziehen oder Aufschieben von Investitionsnachfrage.
Denn wenn man erwartet, nicht mehr verkaufen zu können, wird man zu keinem (positiven) Zinssatz mehr
investieren. Und, wie in Kapitel 5 gezeigt: Ein höherer Zinssatz würde in gesamtwirtschaftlicher Betrachtung zu
niedrigeren Reallohnsätzen führen. Damit werden die (erwarteten) Ertragsraten der Investitionsprojekte endogen
und können nicht einfach so exogen vorgegeben werden. Aber erstens zählen Wohnungsbauinvestitionen in der
VGR ebenfalls zur Investitionsnachfrage – und privater Wohnungsbau ist bei gegebenem Einkommen bestimmt
zinsabhängig – und zweitens erledigt eine zinselastische Konsumnachfrage den Job genau so gut. Eine solche unter stellt z.B. die neoklassische Sparfunktion und in Anhang 9.3 zum letzten Kapitel wurde gezeigt, daß sich ein Effekt
in die gleiche Richtung auf die marginale Konsumquote einstellen sollte, wenn man ein dauerhaft niedrigeres
Zinsniveau erreicht (weil dann die Lohnquote und daher die marginale Konsumquote steigen sollte). Obwohl die
Begründung einer zinselastischen Nachfrage über die Investitionsnachfrage daher Einwänden ausgesetzt sein kann,
schadet es nicht, bei der üblichen Darstellung der Lehrbücher zu bleiben und im Hinterkopf zu behalten, daß sich die
(positive) Zinselastizität der Nachfrage notfalls auch anders begründen läßt.
S. 178
10 IS-MP
Karl Betz
Modell. Hier ist das Niveau der autonomen Nachfrage3 nun unterschiedlich:
für einen Zinssatz von 10% beläuft sie sich auf
(Co + G + NX) + 600
und für einen Zinssatz von 5% auf
(Co + G + NX) + 900.
(Im Diagramm habe ich (Co + G + NX) = 0 unterstellt, damit der Platz nicht zu eng wird.)
Abb. 10.2: Die Herleitung der IS-Kurve
Das bedeutet, daß man es im Einkommen-Ausgaben-Modell mit zwei unterschiedlichen
Nachfragekurve zu tun hat: Eine Änderung des Zinssatzes verschiebt die Kurve und daher führen
unterschiedliche Zinssätze auf unterschiedliche gleichgewichtige Einkommensniveaus: Beträgt der
3 Zur Sicherheit sei nochmal daran erinnert: „autonom“ heißt nicht exogen, unerklärt, sondern nur: nicht vom
Einkommen abhängige Nachfrage. Der Teil der Nachfrage, der durch den Zinssatz – und nicht durch das
Einkommen – erklärt wird, gehört daher zur autonomen Nachfrage.
Einführung in die VWL
10 IS-MP
S. 179
Zinssatz 10%, so stellt sich das niedrigere, beträgt er 5%, so stellt sich das höhere Einkommen ein.
Wenn der Zinssatz von 10% auf 5% fällt, dann steigen die Investitionen um 300, also steigt Y um
Multiplikator mal 300.
Im unteren Diagramm wird der Zusammenhang zwischen Einkommen und Zinssatz explizit
gemacht: Bei einem Zinssatz von 10% beträgt das Einkommen Y 10, und bei einem Zinssatz von 5%
beträgt es Y5. Die Kurve, die sich ergibt, wenn man alle denkbaren gleichgewichtigen ZinsEinkommens-Kombinationen abträgt, nennt sich IS-Kurve. Es ist die Kurve aller Gütermarktgleichgewichte bei unterschiedlichen Zinssätzen. Und sie heißt IS-Kurve, weil in diesen Gütermarktgleichgewichten eben Investitionen (I) und Sparen (S) gleich groß sind.
(Machen Sie sich klar: Daß das so ist, ist sichergestellt, weil hinter ihr ja ein GütermarktGleichgewicht steht, weil der Gütermarkt im Schnittpunkt von 45°-Kurve und Nachfragekurve ist.
Das heißt aber: Es gilt: S = I (+NX, im Falle der offenen Volkswirtschaft.))
Beachten Sie bitte, daß die IS-Kurve aus den Werten des Einkommen-Ausgaben-Modells
abgeleitet wurde. Alles über das Einkommen-Ausgaben-Modell gesagte bleibt daher erhalten. In
Sonderheit ändert sich auch nichts an den Multiplikatoren. Die einzige Änderung gegenüber Kapitel
9 besteht darin, daß diese jetzt nicht mehr direkt das Einkommen liefern, sondern nur die Lage
(bzw. die Verschiebung) der IS-Kurve bestimmen.
Algebraisch habe ich, um die IS-Kurve zu erhalten, nicht mehr gemacht, als das EinkommenAusgaben-Modell um eine zinselastische Investitionsnachfrage ergänzt:
Bisheriges Einkommen-Ausgaben-Modell (bei Kopfsteuern und exogenen Nettoexporten) :
(1) Y = C + I + G + NX
(2) C = Co + c · YVerf
(3) YVerf = Y – T
(4) G = Go
(5) NX = NXo
Was jetzt hinzu kommt, ist, daß die Annahme exogener Investitionen durch eine zinsabhängige
Investitionsnachfrage ersetzt wird:
(6) I = Io – b · r
Die Investitionen hängen also ab von einem unerklärten Teil (in dem könnten z.B.
Ersatzinvestitionen stecken oder die erwartete Absatzentwicklung) und dem Realzinssatz - wobei
ein höherer Realzinssatz eine geringere Investitionsnachfrage hervorruft.
Um alles wieder zusammen zu wurschteln: (3) in (2) ergibt:
(7) C = Co + c · (Y - T)
Und wenn man in Gleichung (1) Gleichung (7) für C einsetzt, Gleichung (6) für I sowie (4) und
(5) für G und NX einsetzt, erhält man:
(8) Y = Co + c · (Y – T) + Go + Io – b · r + NXo
Aufgelöst nach Y und ein wenig umsortiert folgt die Gleichung der IS-Kurve:
(9) IS: Y = [1/(1 – c )]
·
[(Co + I + Go - c · T + NX)
–
b·r]
Multiplikator mal [exogene autonome Nachfrage plus zinsabhängige Nachfrage]
Wie schon bemerkt, ist nicht zwingend allein die Investitionsnachfrage zinsabhängig – wenn Sie
S. 180
10 IS-MP
Karl Betz
sich daran erinnern, wie viele Firmen in der letzten Krise mit günstigen Finanzierungsbedingungen
geworben haben (Autowerbung, 0%-Finanzierung bei Metro ...), dann sollte man vermuten, daß sie
auch die Konsumnachfrage für zinsabhängig gehalten haben. Aber warum noch einen weiteren
Buchstaben in die IS-Kurve einführen, wenn der Effekt schon über die zinsabhängige
Investitionsnachfrage eingefangen ist? (Klar, bei empirischen Prognosen müßte man sich das schon
ansehen, aber hier kenne ich die Parameter und die Funktionen ja eh nicht und Analyse ist nur
qualitativ.) Die Konstante (Io) ist zunächst einfach mal wieder der Tatsache geschuldet, daß ich, um
die Sache einfach zu halten, mit linearen Funktionen arbeite.
Die Auswirkung einer Zinsänderung auf das Einkommen ist folglich:
dY/dr = Multiplikator · (- b) <==> d Y = Multiplikator · (- b) · dr
Andererseits könnte man Io und Co aber auch inhaltliche Interpretationen geben:
Co könnte als Konsumklima interpretiert werden - Sie haben vielleicht schon mal vom
"Konsumklimaindex" gehört, der die Ausgabenbereitschaft der Konsumenten mißt? In Co könnte
man seine Änderung thematisieren.
Io könnte als Investitionsbereitschaft (bei Joan Robinson und Kaldor: "animal spirits")
interpretiert werden: Ein höheres Vertrauen in die zukünftige Konjunkturentwicklung (und damit
die zukünftigen Absatzchancen für die eigenen Produkte) erhöht die Bereitschaft zur Investition.
Dadurch verschiebt sich die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals. (Es gibt zwar keinen
Investitionsklimaindex, aber einen Index der Auftragseingänge oder z.B. den Ifo-Geschäftsklimaindex)
Eine Veränderung einer der beiden oder beider Größen würde dann im Modell durch eine
Verschiebung der IS-Kurve widergespiegelt - nach links, wenn die Bereitschaft gesunken ist, nach
rechts, wenn sie gestiegen ist.
10.2 Geld, Banken und Zinsen: Die MP-Kurve
Was jetzt fehlt, ist eine weitere Kurve, die irgendwie eine Zusammenhang zwischen Zinssätzen
und Einkommen liefert – und wie Sie sich denken können: Es wäre gut, wenn die Kurve nicht
gerade fallend verläuft.
Um einen ersten Eindruck zu bekommen, folge ich hier mal dem einfachsten Vorschlag von
Romer. Später arbeite ich dann die Komplikationen ab, die sich dabei ergeben und diskutiere die
Einflußfaktoren auf Lage und Verlauf der Kurve etwas ausführlicher.
10.2.1 Die Grundidee
In Kapitel 8 haben Sie gelernt, daß Geld durch Kredit entsteht. Da die Banken sich bei der
Notenbank refinanzieren können, ist der Refinanzierungszinssatz (der Leitzins) der Notenbank (rZB)
identisch mit den marginalen Refinanzierungskosten der Banken. Diesen Zins muß ein Kredit also
schon mal auf jeden Fall abwerfen, damit die Banken den Kredit vergeben.
Abgesehen davon haben die Banken aber auch noch Kosten der Kreditvergabe (z.B.
Kreditwürdigkeitsprüfung), sie tragen ein Kreditausfallrisiko und sie tragen ein Zinsänderungsrisiko: Der Großteil der Refinanzierung bei der Notenbank erfolgt kurzfristig (für ein bis
zwei Wochen) und Investitionen müssen langfristig refinanziert werden. Wenn die Bank einen
Kredit für 5 Jahre vergeben hat und der Notenbankzinssatz nach einem halben Jahr von 1% auf 5%
ansteigt, weil sich inzwischen die Konjunktur wieder stabilisiert hat, sähe die Bank ziemlich alt aus,
Einführung in die VWL
10 IS-MP
S. 181
wenn sie den Investitionskredit zu 1% vergeben hätte.
Ich nehme für den einfachsten Fall mal an, die Banken schlügen eine konstante Marge (z) auf
den Zinssatz der Notenbank auf, wenn sie einen Kredit vergeben.
Dann ist das Zinsniveau:
r = rZB + z
und die Notenbank kann, über die Veränderung ihres Leitzinssatzes, das Zinsniveau festlegen.
Deswegen MP-Kurve: von der Geldpolitik (Monetary-Policy) festgelegter Zinssatz. Bringt man
diese Idee mit dem IS-Modell zusammen, dann hat man die Grundidee: In dem sie das Zinsniveau
festlegt, bestimmt die Geldpolitik die Höhe des Volkseinkommens.
Abb. 10.3: IS-MP: Der einfachste Fall
Zugegeben, der * bei r* ist reichlich geprahlt. Bisher habe ich den (realen) Zinssatz ja einfach
nur exogen vorgegeben, statt die MP-Kurve herzuleiten. Und ob r ZB ein realer oder ein nominaler
Zinssatz ist, muß auch erst noch geklärt werden. (z hingegen stellt kein Problem dar: falls r ZB ein
realer Zinssatz ist, wurde die Inflationsrate ja schon dort abgezogen.) Über die damit verbundenen
Fragen mache ich mich gleich her. Aber lassen Sie mich erst mal festhalten: Gegeben die MPKurve sind das gleichgewichtige Zinsniveau und das gleichgewichtige Volkseinkommen
bestimmt.
S. 182
10 IS-MP
Karl Betz
10.2.2 Lage und Verlauf der MP-Kurve
Ich bleibe hier erst einmal bei der Motivation, die Romer selbst gibt. In späteren Abschnitten
wird auf diese Aspekte aber noch etwas einzugehen sein. Wie sich in empirischen Untersuchungen
gezeigt hat, läßt sich die Zinspolitik der Notenbank über zwei Einflußfaktoren beschreiben:
Die Notenbank erhöht den Refinanzierungssatz, wenn die Inflationsrate höher als ihre
Zielinflationsrate (πT) ist (mit T für target) und sie senkt ihn, wenn sie darunter liegt.
Und die Zentralbank erhöht ihren Zinssatz wenn die Volkswirtschaft zu überhitzen droht (wenn
also das Einkommen über ihrem Zielwert liegt) und sie senkt ihn, wenn die Nachfrage einbricht
(wenn also das Einkommen unter ihrem Zielwert (YT) liegt).4
Damit läßt sich, und diese Vermutung haben empirische Studien belegt, die Zinspolitik der
Notenbanken beschreiben mit:
rZB = rZB* + α · (Y - YT) + β · (πT - π)
die sogenannte Taylor-Regel, benannt nach dem Ökonomen, der sie zuerst vorschlug. 5 Wie man
sieht, können sich nationale Notenbanken z.B. darin unterscheiden, wie stark sie auf Abweichungen
vom BIP- und vom Inflationsziel reagieren oder welche Zielvorgaben sie haben (die EZB z.B.
definiert Preisniveaustabilität als ein π von unter, aber nahe bei 2%).
π steht nicht auf einer der Achsen des r-Y-Diagramms. Eine Veränderung von (πT - π) muß daher
als eine Verschiebung der MP-Kurve abgebildet werden: Steigt die laufende (oder: erwartete:
Notenbanken benutzen Prognose-Modelle zur Formulierung ihrer Politik) Inflationsrate so
verschiebt sich MP nach oben. Fällt sie, so verschiebt MP sich nach unten. Gegeben das
Inflationsziel ist π also ein Lageparameter der MP-Kurve.
Y steht auf der Abszisse. Also handelt es sich bei α um einen Steigungsparameter. Auf ein zu
niedriges Y reagiert die Notenbank mit niedrigeren, auf ein zu hohes mit höheren Zinssätzen.
Realer oder nominaler Notenbankzinssatz? Kurzfristig setzt die Notenbank natürlich einen
nominalen Leitzinssatz. In den Beschlüssen des ESZB-Rats wird ein Leitzins von z.B. 1,5%
festgesetzt. Nicht ein Leitzinssatz von Inflationsrate plus 1,5%. Langfristig muß die Notenbank
aber, wenn die Inflation zu hoch ist, den Zinssatz weiter anheben, so daß die Politik sich letztlich
eben doch am Realzinssatz ausrichten muß.
Die MP-Kurve läßt sich daher formulieren als:
MP: r = rZB + z = rZB* + α · (Y - YT) + β · (πT - π) + z
Wie Sie noch sehen werden, ist z nicht ganz unwichtig, denn der Risikoaufschlag der Banken
kann variieren. Da das aber hier noch nicht thematisiert werden kann, lasse ich den, um die
Gleichung zu vereinfachen, erstmal weg. Es bleibt dann:
MP: r = rZB* + α · (Y - YT) + β · (πT - π)
4 YT ist natürlich das Vollbeschäftigungseinkommen. Y - Y T wird daher auch als Outputlücke (outputgap) bezeichnet:
Wie stark weicht die gegenwärtige Produktion von der Produktion ab, die bei Vollbeschäftigung möglich wäre. Oder
wie groß ist die Lücke (der Abstand zwischen laufendem Einkommen und Vollbeschäftigungseinkommen). diese
Lücke kann positiv oder negativ sein. In der Hochkonjunktur (hatte es in der BRD schon länger nicht mehr, aber in
China gibt es sowas noch) fahren die Unternehmen Sonderschichten und überschreiten ihre normale
Kapazitätsauslastung. Die hohe Nachfrage erlaubt steigende Preise. Umgekehrt wird in der Krise weniger hergestellt
als eigentlich geplant und die Outputlücke übt einen Druck auf die Preisentwicklung aus.
5 Aus Gründen, die im weiteren Verlauf noch deutlich werden, steht in der Taylor-Regel statt Y oft auch die
Arbeitslosenquote.
Einführung in die VWL
10 IS-MP
S. 183
Das Dilemma der Geldpolitik im Jahr 2011
Wie Sie im Jahr 2011 immer wieder den Zeitungen entnehmen können, stehen die Notenbank
derzeit vor einem Problem:
Einerseits ist das Wachstum in den meisten OECD-Ländern schwach, also müßten die Zinsen
eigentlich weiter gesenkt werden. (Und der Finanzsektor immer noch angeschlagen, so daß die
Banken keine höheren Zinssätze vertragen. aber das ist ein Politikfehler, weil die Regierungen,
vor allem in Kontinentaleuropa, eine Rekapitalisierung der Banken vermeiden wollen. Denn dies
würde in vielen Fällen entweder eine Verstaatlichung bedeuten, die ideologisch abgelehnt wird,
oder man müßte den Bankeigentümern das Geld direkt schenken - was bei den Wählern nicht so
richtige Begeisterungstürme auslösen dürfte.)
Andererseits aber liegt die Inflationsrate (über steigende Rohstoffpreise) deutlich über der
Zielinflationsrate, so daß der Notenbankzinssatz eigentlich erhöht werden müßte. Hier liegt also
eine Situation vor, in der die Geldpolitik alleine nicht mehr weiter kommt.
Abb. 10.4: Verlauf der MP-Kurve gemäß der Taylor-Regel
In Abbildung 10.4 sind 2 MP-Kurven abgetragen, welche unterschiedlichen Inflationsraten
entsprechen. Beide weisen eine positive Steigung auf. Die höhere MP-Kurve entspricht einer
stärkeren Abweichung von der Zielinflationsrate der Notenbank (π2 > π ≥ πT) , auf die diese mit
S. 184
10 IS-MP
Karl Betz
einem höheren Realzinssatz reagiert. Die explizite Berücksichtigung der Zinsmarge der Banken (z)
schenke ich mir hier und in der Folge, um die Grafiken nicht zu überfrachten.
10.3 Das IS-MP-Gleichgewicht
Nun geht ein höheres Volkseinkommen mit einem höheren Kreditvolumen einher: Um mehr zu
produzieren, müssen die Unternehmen mehr Kapitalgüter einsetzen und mehr Arbeit beschäftigen.
Daher benötigen sie mehr Finanzmittel, um Investitionen und Lohnzahlungen zu finanzieren. Eine
Ausweitung des Kreditvolumens kann aber (bei einem gegebenen Bestand an anderen Anlageformen) nur dann ohne Inflationsgefahr gelingen, wenn die Notenbank etwas höhere Zinsen
durchsetzt. Damit ist zu erwarten, daß die MP-Kurve leicht ansteigend verläuft. Also z.B.:
Der Zins ist rZB + dem Zinsaufschlag der Banken:
r = rZB + z
Für den Rest dieses Skripts werde ich die MP-Kurve etwas weiter vereinfachen: π ist ja sowieso
nur Lageparameter, also kann man den von der Inflationsrate abhängigen Teil der Taylor-Regel auch
weglassen. (Sie müssen nur daran denken, daß die MP-Kurve sich verschiebt, wenn die
Inflationsrate sich ändert.)
Das gleiche gilt für den Risikoaufschlag der Banken. Der ist zweifellos sehr wichtig und wird
gerade in Finanzkrisen zum treibenden Einfluß. Aber das sauber zu behandeln, geht über den
Rahmen dieses Skripts hinaus. Auch hier: Sie müssen daran denken, daß die MP-Kurve sich
verschieben wird, wenn die Banken ihren Risikoaufschlag erhöhen - und daran, daß er eine untere
Grenze für die Kurve bildet, denn unter Null kann der Nominalzinssatz der Notenbank nicht fallen
und daher kann r nicht unter z minus Inflationsrate fallen, egal, wie stark die Konjunktur auch
einbricht.
Wie oben gezeigt, muß die Zentralbank bei steigendem Kreditvolumen für einen steigenden Zins
sorgen, also steigt r für ein steigendes Y:
Zusammengezogen ergibt sich so als vereinfachte Gleichung der MP-Kurve:
MP: r = r0 + β · Y
wobei der Wert der Konstanten wieder den Einfluß der hier nicht thematisierten Faktoren, z, r*,
π und π widerspiegelt. Normalerweise wird die MP-Kurve nicht linear verlaufen: Ab einem
bestimmten Outputgap wird die Notenbank ihren Zinssatz auf Null fahren. Vom Ursprung bis zu
diesem Y wird die MP-Kurve flach (unendlich elastisch) verlaufen und erst ab diesem Punkt wird
sie ansteigen. Für die algebraische Lösung bleibe ich aber der Einfachheit halber bei einer linearen
Spezifikation, während ich, wenn das Modell nur graphisch diskutiert wird, die Kurve so
einzeichnen werde, wie sie nach dieser Vorüberlegung plausibel ist.
T
Damit bestimmt sich das Gleichgewicht des IS-MP-Modells graphisch als Schnittpunkt von IS
und MP Kurve. Das Modell bestimmt also simultan den Realzinssatz sowie das Einkommen, wie in
Abbildung 10.5 illustriert. . Ein wichtiger Unterschied zum neoklassischen Modell ist aber, daß hier
das Einkommen, das sich im Gleichgewicht einstellt, nicht zwingend das Vollbeschäftigungseinkommen sein muß. Zwar wird YT, das Einkommensniveau, das die Notenbank für normal hält, in
der neoklassischen Variante des MP-Modells das Vollbeschäftigungseinkommen sein. Es wird aber
nur mit einer einigen der im Prinzip unendlich vielen möglichen MP-Kurven erreicht werden. Um
dieses Einkommen zu erreichen muß die Notenbank versuchen, die MP-Kurve so lange zu
verschieben (im Beispiel: Sie muß r0 so lange variieren) bis die IS-Kurve bei YT (im
Vollbeschäftigungspunkt) geschnitten wird.
Einführung in die VWL
10 IS-MP
S. 185
Abb. 10.5: IS-MP-Gleichgewicht
In Abbildung 5 sehen Sie, daß mit der IS- und der MP Kurve das Gleichgewichtseinkommen und
der gleichgewichtige Realzinssatz bestimmt sind. Y* liegt hier aber unterhalb von YT. Es liegt also
eine Outputlücke (Y - YT < 0) vor, es wird weniger als das Vollbeschäftigungseinkommen
hergestellt. Um YT zu erreichen, müßte die Notenbank versuchen, die MP-Kurve zu verschieben
(und die gestrichelte Kurve zu erreichen), Sie müßte also r0 ändern. In dem in der Graphik
angedeuteten Fall geht das wohl auch, es ist ja noch Luft nach unten. Es sei hier aber nochmal
darauf hingewiesen, daß auch der Zinsaufschlag der Banken in r steckt. Der Kreditzinssatz kann
also durch die Notenbank nicht beliebig weit abgesenkt werden.
Algebraisch wird das Gleichgewicht über das Gleichsetzen von der Gleichungen von IS und MPKurve bestimmt. Beispiel:
Nehmen Sie an, eine Ökonomie weise eine autonome Konsumnachfrage von 50, eine marginale
Konsumneigung von 0,5 und autonome Investitionen von 80 auf. Wenn der Zinssatz um einen
Prozentpunkt steigt, mögen die Investitionen um das 200fache dessen zurückgehen. Der Staat tätigt
Staatsausgaben von 30 und erhebe Kopfsteuern in gleicher Höhe. Die Nettoexporte seien exogen
und gleich Null.
Die Geldpolitik hält einen Realzinssatz von mindestens 2% für erforderlich (r 0). Sie reagiert
außerdem auf das Einkommen, in dem sie den Zinssatz für jede Einheit von Y um 0,01
Prozentpunkte erhöht (β = 0,01).
Damit ist die MP Kurve schon gegeben:
S. 186
10 IS-MP
Karl Betz
MP: r = 2% + 0,01% · Y
Die IS-Kurve muß man erst noch herleiten:
Y = C + I + G + NX
C = 50 + 0,5 · (YVerf)
YVerf = Y - T
G = T = 30
I = 80 - 200 · r
NX = 0
Also:
IS: Y = (1/0,5) · [50 + 30 + 80 - 15 - 200 · r]
Und, für das Gleichgewicht:
IS = MP
Am einfachsten ist es, zunächst r in der IS-Kurve über die MP-Gleichung auszudrücken:
Y* = (1/0,5) · [50 + 30 + 80 - 15 - 200 · (2%+ 0,01% · Y)]
Y * = 2 · [50 + 30 + 80 - 15 - 4 - 2 · Y)] = 282 - 0,04 Y
Y* · (1 + 0,04) = 282 =
Y* = 271,5
Eingesetzt in die Gleichung der MP-Kurve liefert das Gleichgewichtseinkommen den
Gleichgewichtszinssatz:
r* = 2% + 0,01% · 271,5 = 4,715 %
10.4 Komparative Statik im IS-MP-Modell
Der Unterschied zwischen dem Einkommen-Ausgaben-Modell des letzten Kapitels und dem ISMP-Modell besteht nun im wesentlichen darin, daß eine Erhöhung der autonomen Nachfrage zwar
die IS-Kurve nach wie vor um Multiplikator mal autonome Nachfrage nach rechts verschiebt.
Aber dieser Effekt wird von der Zinspolitik gedämpft: Weil die Notenbank eine Einkommenserhöhung nur zu steigenden Zinssätzen zulassen kann, geht zugleich die zinsabhängige Nachfrage
zurück. (Dieser Rückgang muß aber schwächer sein als der ursprüngliche Multiplikatoreffekt, denn
der Zins muß ja nur steigen, wenn und insofern das Einkommen ansteigt.) Grundsätzlich gibt es
zwei Fälle zu unterscheiden.
Verschiebung IS
Die IS-Kurve verschiebt sich, wenn sich die autonome Nachfrage ändert. Nehmen sie z.B. an die
Finanzkrise löst einen Einbruch in der Investitionsbereitschaft aus. Ein solcher Vorgang würde im
Modell durch niedrigere autonome Investitionen abgebildet. In diesem Fall verschiebt sich die ISKurve (um Multiplikator mal dI) nach innen. Die Zinsen sinken und das BIP geht (um etwas
weniger als µ · dI) zurück (weil die sinkenden Zinsen den Effekt des Nachfragerückgangs
dämpfen). Abbildung 10.6.
Einführung in die VWL
10 IS-MP
S. 187
Der gleiche Effekt träte ein, wenn sich andere autonome Ausgaben änderten - die IS-Kurve
verschiebt sich nach innen, wenn sie fallen und nach außen, wenn sie steigen. Z.B. könnte der Staat
versuchen, den Nachfrage-Effekt der gesunkenen Investitionen auszugleichen, in dem er die
staatliche Nachfrage erhöht. d G würde die IS-Kurve dann wieder nach rechts verschieben.
Abb. 10.6. Verschiebung der IS-Kurve
Eine solche Rechtsverschiebung erhöht die Zinsen (und Y). Dies wiederum dämpft die
Investitionsnachfrage. Dieser Effekt wird crowding-out genannt: Die höhere staatliche Nachfrage
geht (zum Teil) zu Lasten der Investitionsnachfrage.
Verschiebung MP
Anfang der 80er reagierte der damalige Notenbankpräsident der USA, Paul Volkerts, auf
steigende Inflationsraten mit einer drastischen Anhebung der Federal Funds Rate, des Leitzinssatzes
der FED.
In Abbildung 10.7 sehen Sie die Federal Funds Rate, die Inflationsrate in den USA und als
Näherung für den Realzinssatz. (So ganz stimmt das nicht, weil erstens die Federal Funds Rate ein
Zins für sehr kurzfristige Kredite (Übernachtgeld) und die Inflationsrate eine jährliche Rate ist und
zweitens das eigentlich entscheidende die erwartete Inflationsrate wäre. Aber die Richtung des
Arguments stimmt schon.)
S. 188
10 IS-MP
Karl Betz
Abb. 10.7 Inflationsrate und Geldpolitik in den USA
Volkerts Recession
20
15
10
5
0
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
2005
2010
-5
i
π
r
Daten: FED, OECD; Eigene Berechnungen
Abb. 10.8: Volkerts Recession: Verschiebung MP
Die graue Linie gibt die jährlichen Inflationsraten in den USA wieder. Die gestrichelte Linie ist
der Leitzinssatz der FED. Sie sehen, daß die FED bis etwa 1980 mit ihrem Nominalzins der
Inflationsrate (graue Kurve) folgte - und so den Realzinssatz (schwarze Kurve) am Geldmarkt
ziemlich konstant bei nahe Null hielt. Anfang der 80iger hob Volkerts den Nominalzinssatz dann
drastisch - und stärker als den Inflationsanstieg - anhob. Im Ergebnis stieg der Realzinssatz und dies
Einführung in die VWL
10 IS-MP
S. 189
erzwang einen Rückgang der Inflationsrate. Und des BIP. Deswegen heißt diese Periode auch
Volkerts Recession, weil die Geldpolitik hier die (bis dahin) schwerste Rezession seit dem zweiten
Weltkrieg einleitete, um die Inflation in den Griff zu bekommen.
Im IS-MP-Diagramm bedeutet Volkerts' Maßnahme eine Verschiebung der MP-Kurve nach oben
(der Realzinssatz steigt für mehrere Jahre von Null auf 5%) und daher, bei gegebener IS-Kurve,
10.5 IS-MP und Arbeitsmarkt: Zwei Schließungen
Wie schon eingangs erwähnt, besteht der Charme des IS-MP-Modells darin, daß es sowohl eine
neoklassische (angebotsorientierte) als eine keynesianische (nachfrageorientierte) Lösung zuläßt.
Der Unterschied der beiden Schließungen besteht einfach in der Antwort auf die Frage, auf welchen
Märkten der Zinssatz bestimmt wird. Beide Varianten sollen im folgenden skizziert werden. Dabei
starte ich mit der üblichen, neoklassischen Lösung. Die keynesianische Lösung skizziere ich im
Hauptteil nur kurz. Der Exkurs geht ausführlicher auf die Argumente gegen die angebotsorientierte
Lösung ein und stellt ausführlicher einen keynesianischen Gegenvorschlag dar. Dies geschieht
deswegen im Exkurs, weil diese Abschnitte nur Diskussionsbeiträge von mir sind und sie daher
nicht prüfungsrelevant sein können.
Zuvor aber muß das Diagramm etwas erweitert werden, um den Arbeitsmarkt einzubeziehen.
Den Zusammenhang zwischen Y und A bildet wieder die die Produktionsfunktion (oder die
Beschäftigungsfunktion, je nach dem in welche Richtung Sie das Diagramm lesen). Das führt auf
ein Diagramm mit drei Graphen: IS-MP (r und Y), Beschäftigungsfunktion (Y und A) und
Arbeitsmarkt ((w/P) und A.
Um diese in eine Grafik zu bringen, muß man einen Teil der Diagramme spiegeln: Die
Produktionsfunktion an der Abszisse und das Arbeitsmarkt Diagramm an Abszisse und Ordinate.
Weil das ein wenig ungewohnt ist, hier zuerst die Idee im Überblick:
Abb. 10.9: Schema Totalmodell
S. 190
10 IS-MP
Karl Betz
Da die Achsen gespiegelt wurden, steigen jetzt alle Werte vom Ursprung aus an: A wird also,
wenn man im Diagramm nach unten geht größer, nicht etwa negativ. Und w/P steigt ebenfalls, wenn
Sie sich von Ursprung entfernen. Entsprechend dürfen alle Größen nur positive Werte annehmen
können. Für w/P, A und Y ist das auch klar (was soll eine negative Arbeiterin sein?) nur bei r könnte
es Schwierigkeiten geben, weil, wie Sie in Abb. 10.7 sehen, der Realzins durchaus auch einmal
negativ werden kann. Deshalb (und weil ich das für den Exkurs eh brauche) habe ich die Skalierung
der Zinsachse geändert und schreibe jetzt 1+r statt r. Kleiner als Null kann 1+r wieder nicht werden,
weil das bedeuteten würde, daß die Bank von ihrem Kredit nicht nur nichts wieder sieht, sondern
einem Kreditnehmer noch etwas dafür bezahlen muß, damit er das Geld überhaupt mit nimmt.
Die neue Darstellung der Beschäftigungsfunktion sollte Ihnen keine großen Schwierigkeiten
bereiten. Aber das der Arbeitsmarkt jetzt zweifach gespiegelt ist, ist es erfahrungsgemäß etwas
schwer, den Überblick zu behalten. Daher stelle ich in Abb. 10.10 die beiden Darstellungen
nochmal nebeneinander. Um die Orientierung zu erleichtern, trage ich hier und im folgenden die
Arbeitsangebotsfunktion in Rot und die (neoklassische) Arbeitsnachfragefunktion in Grün ab.
Abb. 10.10 Schema Arbeitsmarkt
10.5.1 IS-MP: Die angebotsorientierte Variante
Wie Sie in Diagramm 10.11 erkennen können, bestimmt der Arbeitsmarkt wieder die
gleichgewichtige Beschäftigung und damit den Vollbeschäftigungsoutput, also Y*. Die Notenbank
kann nun die Geldpolitik wählen, bei der sich der Realzinssatz einstellt, der den
Vollbeschäftigungsoutput auch zuläßt. Sie wählt also eine MP-Kurve, die durch Y* läuft. Ihr Y T ist
also der Vollbeschäftigungsoutput. Wie oben schon besprochen, ergibt sich die positive Steigung der
Kurve dabei, weil sie auf eine Überhitzung (Y > YT) mit einer Zinserhöhung und auf einen
Konjunktureinbruch mit einer Zinssenkung reagiert.
Einführung in die VWL
10 IS-MP
S. 191
Abb. 10.11 Angebotsorientiertes IS-MP-Gleichgewicht
Aber wird die Notenbank dies auch tun? Lassen Sie mich, um diese Frage zu klären, mal
überprüfen, was geschieht, wenn Sie es nicht tut.
Im folgenden Diagramm wählt die Notenbank einmal eine (für Vollbeschäftigung zu hohe) MPKurve (MP1) und einmal eine zu niedrig gelegene (MP2). Technisch würde man davon sprechen,
daß sie im ersten Fall eine restriktive und im zweiten Falle eine expansive Geldpolitik betreibt.
Betrachten Sie nun zwei unterschiedliche Geldpolitiken, ausgedrückt durch MP 1 und MP2 (Abb.
10.12).
Bei MP1 liegt das Y* des IS-MP-Gleichgewichts unter dem Vollbeschäftigungseinkommen.
Daher entsteht Arbeitslosigkeit (ÜA = Überschußangebot (an Arbeit)). Diese Arbeitslosigkeit übt
nun Druck auf die Löhne aus. Aber am wirklichen Arbeitsmarkt werden keine Reallohnsätze
festgelegt, sondern Geldlöhne. Die Höhe des Reallohnsatzes ist erst bestimmt, wenn auch das
Preisniveau bekannt ist. Was also geschehen wird ist, daß die Geldlöhne fallen. Fallende Geldöhne
S. 192
10 IS-MP
Karl Betz
aber bedeuteten sinkende (nominale) Lohnstückkosten. Daher werden die Unternehmen billiger
anbieten (zumal die (nominale) Nachfrage auch weiter zurückgeht, wenn die Nominallöhne sinken).
Abb. 10.12 Zinspolitik der Notenbank und Arbeitsmarkt
Unterhalb des Vollbeschäftigungseinkommens entsteht also ein Druck auf Geldlöhne und Preise
und es bildet sich eine Deflationsspirale heraus: Fallende Geldlöhne führen zu fallenden Preisen,
dadurch steigen die Reallöhne wieder, was wiederum weiter fallende Geldlohnsätze ermöglicht.
Dieser Deflationsprozeß würde sich mit der Zeit sogar noch beschleunigen, wenn die fallender
Preise zur Erwartung auch in der Zukunft weiter fallender Preise führt, denn dann könnten die
Arbeiter ihre Geldlohnforderungen noch stärker absenken.
OK. Liegt also MP zu hoch, dann entsteht Deflation. Die Abweichung der Inflationsrate von der
Zielinflation ist aber ein Lageparameter der MP-Kurve. Die Notenbank wird also die MP-Kurve
absenken.
Wie sieht es umgekehrt aus, bei MP2? Hier führt der niedrige Zinssatz zu einer Nachfrage, die
höher ist als der Vollbeschäftigungsoutput. Die Unternehmen wollen mehr Beschäftigte einstellen,
finden aber zum gleichgewichtigen Reallohnsatz keine weiteren Arbeitsanbieterinnen. Folglich
versuchen sie sich gegenseitig Beschäftigte abzuwerben. Und sie müssen, um das zu tun höhere
Löhne bieten. Aber erneut ist der Lohnsatz, von dem hier nur die Rede sein kann, der
Nominallohnsatz. Durch das steigende Niveau der Geldlöhne steigen nun bei den Unternehmen die
Einführung in die VWL
10 IS-MP
S. 193
Lohnstückkosten. Diese höheren Kosten geben sie in den Preisen weiter - und sie können das ja
auch tun, gegeben die hohe Nachfrage. Steigende Geldlöhne führen aber zu steigenden Presien und damit ist der Reallohnsatz wieder da, wo er vorher war und die nächste Runde der Lohn-PreisLohn-Spirale wird losgetreten. Und wie im Falle der Deflation: Wenn die steigenden Preise erstmal
zu Inflationserwartungen führt, beschleunigt sich der Prozeß und die Inflationsrate steigt immer
weiter.
Liegt also MP zu niedrig, dann entsteht (sich beschleunigende) die Inflation und die Notenbank
wird gezwungen, MP anzuheben.
Beides können Sie in Abbildung 10.7 sehr schön sehen: durch den niedrigen Realzinssatz in den
70ern beschleunigte sich der Preisanstieg (der lokale Gipfel Mitte der 70er ist der Ölpreiserhöhung
durch die OPEC geschuldet), bis die Notenbank schließlich unter Volkerts die (reale) Federal Funds
Rate drastisch anhob. Die nun entstehende Arbeitslosigkeit bremste erstens den Inflationsprozeß
direkt und zweitens führten die sinkenden Inflationsraten zu sinkenden Inflationserwartungen. Die
FED konnte in der Folge wieder auf ein niedrigeres Realzinsniveau zurückgehen - wenn auch nicht
auf die leicht negativen Raten der 70er, Der Realzinssatz schwankte in der Folge mit leicht
abnehmendem Trend um rund 2,5% und bei diesem Niveau bleib die Inflationsrate im Angestrebten
Zielkorridor von 2 bis 3%. Erst nach dem Platzen des Internet Bubble und nach 9/11 senkte die
FED ihr Zinsniveau wieder ab (und den Finanzmärkten beim Zusammenkehren der Scherben zu
helfen).
Die Notenbank muß daher den Zinssatz setzen, bei dem weder Lohndeflation noch Lohninflation
entsteht. Das ist dann aber die Situation, bei der auf dem Arbeitsmarkt weder ein Angebots- noch
ein Nachfrageüberschuß herrscht - und das ist im Marktdiagramm nichts anders als der
Vollbeschäftigungspunkt.
In der Literatur wird dieses Beschäftigungsniveau auch NRU (Natural Rate of Unemployment)
NAIRU (Non-Accelerating-Inflation-Rate of Unemployment) genannt, also die Arbeitslosenquote,
bei der die Inflation sich nicht beschleunigt, oder NAWRU (Non-Accelerating-Wageinflation-Rate
of Unemployment), die Arbeitslosenquote, bei der die Lohninflation sich nicht beschleunigt
genannt. Wie Sie dem Modell aber entnehmen können ist dies nichts anderes als der
Vollbeschäftigungspunkt. Mal abgesehen von kleineren Friktionen kann es hier nur noch freiwillige
Arbeitslosigkeit geben.
Pointiert könnte man sagen: Im neoklassischen (angebotsorientierten) Modell bestimmt sich der
Zins auf dem Arbeitsmarkt.
Diese Logik reflektiert auch eine zweite oft gebrauchte Variante der Taylor-Regel, in der nicht
die Outputlücke, sondern die Arbeitslosenquote in der Reaktionsfunktion der Notenbank steht:
MP: r = rZB* + α · (Y - YT) + β · (u* - u)
Hier würde die Notenbank den Zinssatz senken, wenn die Arbeitslosenquote über der von ihr
angestrebten liegt und ihn erhöhen, wenn die Arbeitslosigkeit dieses Niveau unterschreitet. Abb.
10.11 verdeutlicht, daß diese Zielarbeitslosigkeit im Prinzip Vollbeschäftigung sein muß.
Beiläufig erklärt das Modell auch ein anderes Postulat aus der Literatur: Es ist eigentlich gar
nicht notwendig, daß die Notenbank überhaupt auf den Output oder die Beschäftigung schaut. Wenn
sie nur auf die Entwicklung der Inflationsrate schaut, verschiebt sie die MP-Kurve automatisch in
den Vollbeschäftigungspunkt. Aber natürlich ist eine Beachtung auch des Outputs oder der
Beschäftigung einer reinen Orientierung an der Inflationsrate schon überlegen, weil so schneller auf
Schocks reagiert werden kann und man nicht erst wartet, bis sie sich in Inflations- oder
Deflationsspiralen übersetzt haben, die zu brechen dann teuer werden oder sehr schwierig sein
kann.
S. 194
10 IS-MP
Karl Betz
Und noch eine letzte Erkenntnis sollten Sie mitnehmen: Preisstabilität kann die Notenbank nicht
umsonst herstellen: Inflationsbekämpfung bedeutet immer ein bewußtes Erzeugen höherer
Arbeitslosigkeit durch die Geldpolitik, um die Dynamik des Lohnanstiegs zu stoppen: Die
Geldpolitik erhöht die Realzinsen. Dadurch bricht die Nachfrage ein. Dies läßt Arbeitslosigkeit
entstehen und diese wiederum dämpft die Lohnentwicklung.
10.5.2 Die nachfrageorientierte Schließung
Die nachfrageorientierte Variante postuliert, daß das Vollbeschäftigungsgleichgewicht nicht
erreicht wird. Im Kontext dieses Modells muß das bedeuten, daß die Notenbank die MP-Kurve
nicht erreicht, die Vollbeschäftigung herstellt.
Hierfür kann es mehrere Begründungen geben: Erstens kann die Notenbank einfach einen
falschen Zinssatz setzen und so an der Arbeitslosigkeit "schuld" sein. Diese Begründung hört man
gar nicht so selten in postkeynesianischen Kreisen.
Zweitens kann es ein, daß die Notenbank mit ihren Möglichkeiten am Ende der Fahnenstange
angekommen ist - unter Null kann der (nominale) Notenbankzinssatz eben nicht sinken. Weil in
dieser Situation in der Regel auch keine Inflation besteht, bestimmt die Zinsmarge der Banken die
Untergrenze des realen Kreditzinssatzes (also der MP-Kurve) - und der kann einfach zu hoch sein.
Darüber hinaus sind noch zwei methodische Einwände möglich: Drittens: Ein (notionales)
Gleichgewicht mag gar nicht existieren und Viertens: Die Notenbank darf sich nicht am
Arbeitsmarkt, sondern muß sich an den Vermögensmärkten orientieren. Da diese beiden Einwände
aber nicht von der Literatur abgedeckt sind, verweise ich deren Diskussion in den Exkurs zu diesem
Kapitel und beschränke mich im hier auf die Diskussion von Fall zwei - der als Liquiditätsfalle
bekannt ist.
Liquiditätsfalle
In der Liquiditätsfalle ist das Instrumentarium der Zentralbank erschöpft: Sie kann den
Marktzinssatz nicht weit genug absenken denn schließlich kann der (nominale) Leitzinssatz nicht
unter Null fallen und für die Nachfrage ist der höhere Kreditzinssatz und nicht der Leitzinssatz der
Notenbank entscheidend.
In einer Krise senkt nun zwar die Notenbank den Leitzinssatz, gleichzeitig aber
a) steigt der Risikoaufschlag der Banken und
b) sinkt der langfristige Zinssatz um weniger als der Leitzinssatz - denn die Verleiher können ja
damit rechnen, daß nach der Krise der Leitzinssatz wieder steigen wird. Für die Banken macht das
die Refinanzierung in der Zukunft teurer und für private Anleger würden in der Zukunft höhere
Zinsen Kursverluste bedeuten. (Denn steigende Zinsen bedeuten fallende Kurse.)
Daraus folgt eine Asymmetrie der Geldpolitik: Zwar kann die Notenbank den Realzinssatz
immer erhöhen; sie kann ihn aber im Zweifelsfall nicht senken.
Liquiditätsfalle: Zwei Beispiele
Der Fall Japans
Die japanische Notenbank hat ihren Leitzinssatz seit Mitte der 90er Jahre auf Null gesetzt.
Ein Nominalzinssatz unter 0 bewirkt nichts mehr - denn dann könnten sich die Banken ja einfach
Geld von der Notenbank leihen, es sofort wieder bei ihr anlegen und sich so ein risikoloses
Einführung in die VWL
10 IS-MP
S. 195
Zinseinkommen sichern. Ausleihen würden sie es deswegen noch lange nicht.
Da der für das Einkommen entscheidende Realzinssatz aber Nominalzins minus Inflationsrate
ist, und in Japan bei einem Leitzinssatz von Null in etlichen Jahren Deflation herrschte, blieb der
Realzinssatz positiv.
Im Ergebnis erlebt Japan seit Beginn der neunziger eine Stagnationsphase von mehr als einem
Jahrzehnt (Japans "verlorenes Jahrzehnt") - die erst Mitte der Nuller zu Ende ging - nur damit
das Elend dann mit dem Einsetzen der weltweiten Finanzkrise dann wieder von vorne losging.
Der Fall der USA
Ein Sinken des Leitzinssatzes reicht evtl. nicht, um die Kreditzinssätze zu senken. Dies
können Sie am Beispiel der letzten Krise sehr gut sehen:
Mit Ausbruch der Krise stieg der Risikoaufschlag für riskante Unternehmensanleihen relativ
zu den als sicher eingestuften Staatsanleihen. Dieser Anstieg des Risikoaufschlags war jedenfalls zwischen Mitte 2008 und Ende 2009 - höher, als der Rückgang der Zinssätze der
Staatsanleihen. Obwohl die FED mit Ausbruch der Krise ihren Leitzinssatz auf praktisch Null
reduzierte, blieben die Zinssätze am Bondmarkt hoch - und liegen auch Ende 2010 noch über
dem Niveau vor der Krise.
Obwohl also die FED einen (nominalen) Zinssatz von 0,2% (Federal Funds Rate) am Markt
durchsetzt, bleibt der Realzinssatz am Kreditmarkt über dem Vor-Krisen-Niveau. Es ist der
Geldpolitik somit unter Umständen nicht möglich, die MP-Kurve weit genug abzusenken, um
den Vollbeschäftigungspunkt zu erreichen.
Abb. 10.13: Zinsspreads in den USA
Quelle: Economist 23. 10. 2010
Hinzu kommt in beiden Fällen ein weiterer Einfluß: Da die Banken in der Krise Verluste
eingefahren hatten, kamen sie in Konflikt mit den Eigenkapitalanforderungen. Nun kann man in
einer Krise kein neues Eigenkapital beschaffen - und damit kann die Eigenkapitalquote nur
erhöht werden, in dem man seine Kreditvergabe einschränkt. Die Banken fuhren ihre
S. 196
10 IS-MP
Karl Betz
Kreditvergabe daher auch unabhängig vom Leitzinssatz zurück.6
Gleichgewicht bei Arbeitslosigkeit
Wenn man diese Idee im IS-MP-Diagramm abträgt, dann kommt man zu einem Diagramm
ähnlich Abbildung 10.14.
Abb. 10.14 Keynesianisches IS-MP-Gleichgewicht
Die MP-Kurve schneidet IS bei einen Einkommen, das unter dem Vollbeschäftigungseinkommen
liegt. Die Unternehmerinnen wiederum stellen nicht mehr Arbeit ein, als sie benötigen, um diesen
6 Kreditrestriktion können Sie nicht unbedingt an höheren Zinssätzen sehen. Wie Stiglitz und Weiss herausgearbeitet
haben, kann es für Banken Sinn machen, ihre Kreditvergabe einzuschränken, ohne ihre Zinsen zu erhöhen. Der
Grund: Wenn die Banken die Zinsen herauf setzen, scheiden die Kreditnachfrager als erste aus, die den Kredit am
wenigsten dringend benötigen - das aber waren die besten Risiken. Je höher der Zinssatz, desto schlechter ist die
daher Rückzahlungsfähigkeit der verbleibenden Kreditnachfrager. Diese adverse Selektion macht es für Banken
unter Umständen attraktiv, ihr Kreditangebot bei gegebenen Zinssätzen zu beschränken und so einen Pool von
Kreditnachfragern zu haben, die im Durchschnitt ein geringeres Ausfallrisiko aufweisen.
Einführung in die VWL
10 IS-MP
S. 197
Output herzustellen. Es wird also nicht mehr als A* Arbeit eingestellt - und wer dann bei dem
herrschenden Reallohnsatz keine Arbeit findet, ist eben unfreiwillig arbeitslos.
Das keynesianische Arbeitsmarktdiagramm sieht also etwas anders aus als das neoklassische und weil es ungewohnt ist, stelle ich es in Abbildung 10.16 nochmal in der gewohnten Form dar.
An der Arbeitsangebotsfunktion ändert sich nichts – warum auch? Das geplante Arbeitsangebot
entspringt der Wahl zwischen Freizeit und Einkommen und an den Präferenzen der Haushalte hat
sich nichts geändert.
Der entscheidende Unterschied findet sich bei der Arbeitsnachfragekurve.
Bisher reflektierte die Arbeitsnachfragekurve der Unternehmen deren notionale Arbeitsnachfrage: Wie viel Lohn kann ich maximal zahlen, wenn ich
- r % an Kapitalzinsen zahlen muß und
- ich alles was ich produziere auch verkaufen kann.
Der erste Teil der Überlegung bleibt natürlich erhalten – auch bei Keynes wollen die
Unternehmer nicht mehr Faktorentgelte zahlen, als sie an Verkaufserlösen wieder reinkriegen, sie
wollen also auch dann keinen Verlust machen, wenn sie alles verkaufen könnten, was sie herstellen
können.
Abb. 10.15: Keynesianischer Arbeitsmarkt
Aber der zweite Teil ändert sich, denn mit dem Übergang zu Keynes werden ja notionale durch
S. 198
10 IS-MP
Karl Betz
effektive Pläne ersetzt. Die damit hat das Kalkül der Unternehmerin zwei Restriktionen:
Erstens: Ich will meine Produkte nicht zu höheren Kosten als dem Marktpreis herstellen. Dieses
Kalkül ist mit dem neoklassischen identisch. Und deswegen ist die neoklassische Arbeitsnachfragefunktion in Diagramm 10.15 auch noch (hellgrüne, gepunktete Kurve) abgetragen. Aber sie bildet
nur noch eine Restriktion der Arbeitsnachfrage ab: Die Unternehmen wollen keine Verluste machen.
Hinzu kommt eine zweite Restriktion durch die effektive Nachfrage: Die Unternehmen wollen
nicht mehr herstellen, als sie erwarten, zu die Kosten deckenden Preisen auch verkaufen zu können.
Und sie stellen nicht mehr Leute ein, als sie brauchen, um diesen diese Output herzustellen. Diese
zweite Restriktion ist gestrichelt dargestellt: gegeben die Arbeitsproduktivität λ und die erwartete
Nachfrage Y* wird maximal (Y*/λ) Arbeit nachgefragt.
Damit hat die keynesianische Arbeitsnachfragefunktion (schwarze Kurve) zwei Abschnitte: Der
erste (obere) deckt sich mit der in Schaubild 10.16 punktiert abgetragenen neoklassischen
Arbeitsnachfragefunktion. Der zweite, untere aber reflektiert die Mengenrestriktion am Gütermarkt:
Mehr (als Y*) kann (zu Kosten deckenden Preisen) nicht abgesetzt werden. Daher brauche ich auch
nicht mehr als (Y*/λ) Arbeit (mit λ als Arbeitsproduktivität Y/A).
Die jeweils weiter innen verlaufende Restriktion ist bindend: Sind die Löhne zu hoch, muß ich
weniger anbieten, weil ich sonst meine Kapitalkosten nicht zahlen kann (neoklassischer Abschnitt)
und sind die Absatzerwartungen niedriger als der Vollbeschäftigungsoutput, brauche ich weniger
Beschäftigte (keynesianischer Abschnitt). Die (geknickte) keynesianische Arbeitsnachfragefunktion,
die sich anhand dieser Überlegungen ergibt, habe ich der besseren Übersichtlichkeit halber neben
den beiden Teilfunktionen abgetragen.
Wie Sie der Abbildung auch entnehmen können, ist hier zwar die Beschäftigung (über Y/λ), nicht
aber der Reallohnsatz bestimmt. Die Unternehmen könnten maximal w/P max zahlen – sonst machen
sie Verlust – und sie müssen mindestens w/Pmin zahlen, sonst kriegen sie nicht genug Leute. Welcher
Reallohnsatz sich letztlich innerhalb dieser Grenzen einstellt, bleibt unerklärt. (Vergleichen Sie aber
bitte bei Interesse den Exkurs, in dem auch ein gleichgewichtiger Reallohnsatz bei
Unterbeschäftigung hergeleitet wird)
Warum können nun nicht einfach, wie in der neoklassischen Variante, die Löhne sinken? Nun ja,
können könnten Sie schon, nur helfen würde das nix: Wie oben schon bemerkt kann man am
Arbeitsmarkt nur Geldlöhne aushandeln - und fallende Geldlohnsätze bewirken fallende Preise.
Diese Dynamik würde das Problem aber nur verschärfen: durch die Deflation (die fallenden Preise)
steigend die Realzinssätze nur weiter und die MP-Kurve verschiebt sich nach oben, statt nach unten.
Die Beschäftigung fällt statt zu steigen.
Dies wurde erfolgreich in der Großen Depression getestet: Zwar fielen die Geldlöhne angesichts
steigender Arbeitslosenzahlen, aber die Preise fielen noch schneller (weil die Unternehmen nicht
nur sinkende nominale Lohnkosten hatten, sondern überdies auch noch ein Überschußangebot am
Gütermarkt bestand, das dazu zwang, mit Verlust zu verkaufen) und eine Deflation ist schwerer zu
bekämpfen als eine Inflation: Denn erhöhen kann die Notenbank den Zins zwar immer, aber nach
unten gibt es eben das Problem mit der unteren Schranke eines Nominalzinssatzes von Null.
Aus genau diesem Grund war die größte Sorge der Notenbanken in der großen Rezession auch
die Deflationsgefahr. Ein wesentliches Motiv der unkonventionellen Geldpolitik, des quantitative
easing, war es, Inflationserwartungen zu erzeugen. Denn es hatte sich in der Ökonomie bereits erste
Deflationserwartungen gebildet - was sich z.B. am Zinsunterschied für normale und für an der
Inflation indexierte Wertpapiere ablesen ließ. An der Inflation indexierte Papiere bieten neben dem
nominalen Zinssatz auf den Nennwert des Wertpapiers noch einen Ausgleich für die
Preissteigerungsrate, sie bieten also einen realen Zinssatz (wenn die Regierung da über die
Einführung in die VWL
10 IS-MP
S. 199
Berechnung der Inflationsrate auch noch etwas tricksen kann). Bei normalen Preissteigerungserwartungen müßte dieser Ausgleich den Anlegern etwas wert sein. Bei gleichem Zins auf den
Nennwert ist daher der Kurs der indexierten Papiere höher. Nach der Lehmanns-Pleite drehte sich
diese Relation jedoch um: Die Anleger erwarteten offensichtlich sinkende und nicht steigende
Preise.
Daß die Geldlöhne also nach unten starr sind - daß Gewerkschaften sich gegen Lohnsenkungen
wehren - ist deswegen keine Funktionsstörung des Arbeitsmarktes, sondern gerade ein notwendiger
Stabilisierungsfaktor in einer Geldwirtschaft. (Allerdings kann der für die Nettoexporte auch ganz
schön lästig werden. Aber dazu im Kapitel zur Außenwirtschaft.)
Fragen zum zehnten Kapitel
Verständnisfragen
1)
Angenommen die Notenbank erhöht die Zinsen. Wie wirkt das auf die IS-Kurve?
2)
Wie muß die Notenbank nach der Taylor-Regel reagieren, wenn (a) die Inflationsrate steigt? (b)
das Einkommen einbricht?
3)
Warum steigt Y im IS-MP-Modell um weniger als d aut mal Multiplikator?
4)
Warum führt eine zu expansive Geldpolitik (angebotsorientiert) zu Inflation?
5)
Was verstehen Sie unter der NAIRU-Arbeitslosenrate?
6)
Welche MP-Kurve muß die Geldpolitik letztlich (angebotsorientiert) wählen?
7)
Kennt das keynesianische Gleichgewicht unfreiwillige Arbeitslosigkeit? Bitte begründen Sie.
Anwendungen
1)
In einer geschlossenen Volkswirtschaft ohne Staat (G = 0, T = 0, NX = 0) sei die autonome
Konsumnachfrage gleich 100, die marginale Konsumneigung sei 0,75 und die Investitionsnachfrage
sei beschrieben mit I = 50 - 80 · r. Bitte stellen Sie die Gleichung der IS-Kurve auf und tragen Sie
diese in ein r-Y-Diagramm ein.
2)
Nehmen Sie nun an, in der unter 1) beschriebenen Volkswirtschaft werden Staatsausgaben in
Höhe von 50 getätigt und es werden (Kopf-)Steuern in gleicher Höhe erhoben. Bitte erläutern Sie
verbal, graphisch und algebraisch: um wie viel verschiebt sich die IS-Kurve?
S. 200
10 IS-MP
Karl Betz
3)
Wie würde sich eine Änderung der marginalen Konsumneigung auf die IS-Kurve auswirken?
4)
In einer Volkswirtschaft betrage der Gewinnaufschlag der Banken 4%-Punkte, und die
Notenbank setze ihren Zinssatz nach der Regel:
rZB = 3% + 0,02 · (Y - YT) + 2 · (πT - π)
Das Inflationsziel der Notenbank liege bei 2% und das Outputziel bei 2000. Die gegenwärtige
Inflationsrate betrage 4% und das tatsächliche Einkommen liegt bei 1900.
a) Bitte berechnen Sie den Zinssatz, den die Notenbank wahrscheinlich vorgeben wird.
b) Bitte zeichnen Sie die MP-Kurve in ein r-Y-Diagramm ein.
5)
In Großbritannien ist die derzeitige Position, daß die Notenbank einen niedrigeren Zinssatz
zulassen kann, weil die Regierung das Budget über eine Senkung der Staatsausgaben konsolidieren
will. Bitte stellen Sie das Argument im IS-MP-Diagramm dar.
6)
In den 70er Jahren versuchte die SPD geführte Regierung, die Arbeitslosigkeit über staatliche
Konjunkturprogramme abzubauen. Gleichzeitig versuchte die Bundesbank, die Inflation über hohe
Zinssätze zu bekämpfen. Bitte stellen Sie dies im IS-MP-Diagramm dar.
7)
Stellen Sie keynesianische unfreiwillige Arbeitslosigkeit im IS-MP-Diagramm graphisch dar und
erläutern Sie.
8)
Suchen Sie im Internet (sinnvoller Weise auf webseiten der Gewerkschaften) nach
Begründungen für die Lohnforderungen der Gewerkschaften. Spielt die (erwartete) Inflationsrate
eine Rolle?
Exkurs zum 10. Kapitel:
Neoklassisches vs. keynesianisches Gleichgewicht
Nun darf man das Argument der Liquiditätsfalle auch nicht überbewerten. Es zieht sicherlich in
schweren Krisen. Aber normalerweise liegt der Leitzinssatz der Zentralbanken ja deutlich über Null
Prozent. Die Notenbanken hätten zu normalen Zeiten also durchaus Spielraum, diesen weiter
abzusenken, wenn sie dies für die Erreichung von Vollbeschäftigung für erforderlich hielten. Aus
diese Grund ist dieses Argument auch noch mit der neoklassischen Synthese vereinbar: Die
Liquiditätsfalle ist ein Phänomen der Krise, normalerweise funktioniert die Ökonomie neoklassisch.
Das zweite Argument ist methodischer und damit grundsätzlicher Natur und hat zwei
Teilaspekte:
Ersten weist Abbildung 1.8 zwar die Möglichkeit eines Gleichgewichts bei Vollbeschäftigung
aus - aber gilt dies eigentlich für jede beliebige IS-Kurve? Falls nicht würde man bestreiten, daß das
neoklassische Gleichgewicht in jedem Falle existiert.
Und zweitens kann man der Auffassung sein, daß der gleichgewichtige Zinssatz sich am
Vermögensmarkt und nicht am Arbeitsmarkt bestimmt. In diesem Falle wäre die Notenbank nicht in
Einführung in die VWL
10 IS-MP
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der Lage, die MP-Kurve mit Blick auf die Vollbeschäftigung festzulegen. Dieser Idee wird im
zweiten Teil des Exkurses nachgegangen.
Zunächst aber muß ich das Diagramm noch ein wenig erweitern, um mein Argument machen zu
können.
In dem bisherigen drei-Quadranten-Schema ist ja eigentlich noch Platz: Der Quadraten links
oben ist bisher ungenutzt - und er weist die Achsen (w/P) und (1+r) auf. Den Zusammenhang
zwischen diesen beiden Größen hat nun Kapitel 5 schon herausgearbeitet: Die Faktorpreisgrenze,
auf der ich dann in der Folge immer wieder herumgeritten bin.
Abb. 10.E.1: fpf im IS-MP-Modell
Abbildung 10.E.1 liefert gegenüber dem angebotsorientierten Gleichgewicht aus Abb. 10.11
wenig neues: Der Arbeitsmarkt liefert den gleichgewichtigen Reallohnsatz und die MP-Kurve muß
die IS-Kurve an der Stelle schneiden, an der ersten das Vollbeschäftigungseinkommen erzielt wird
und an der sich zweitens die Profitrate einstellt, die, gegeben die Technik und daher die fpf, mit dem
Reallohnsatz bei Vollbeschäftigung - (w/P)* - kompatibel ist.
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Karl Betz
Exkurs 10.1: Das neoklassische Gleichgewicht: Ein Sonderfall
Allerdings ergibt sich so ein kleines Problem: Nichts in der Herleitung der IS-Kurve aus dem
Einkommen-Ausgaben-Modell garantiert, daß die IS-Kurve auch durch diesen Punkt verlaufen
wird.
Oberhalb von IS0 kann die IS-Kurve zwar schlecht verlaufen. Denn das würde heißen, daß die
Akteure planen, bei Vollbeschäftigung mehr nachzufragen als sie anbieten - daß sie also planen, bei
Vollbeschäftigung mehr auszugeben als sie einnehmen, daß die Volkswirtschaft insgesamt mehr
Güter verbraucht, als sie herstellt und so ihre Budgetrestriktion verletzt. Das beißt sich mit der
Annahme, daß Güter nur durch Kauf und Verkauf (oder durch Tausch) übertragen werden können.
Wenn ich plane, etwas zu kaufen, muß ich auch planen, es zu bezahlen.7
Abb. 10.E.2: "Falscher" Verlauf der IS-Kurve
Die Haushalte können also zwar nicht planen, dauerhaft mehr auszugeben als sie einnehmen –
die IS-Kurve kann also nicht oberhalb von (r*, Y*) verlaufen. Aber sie können eben planen, nicht
alles auszugeben, was sie verdienen. Keynesianische Ökonomie bedeutet, daß die Möglichkeit
7 Die Menschen würden in diesem Fall planen, Schulden zu machen und diese nie zurück zu zahlen.
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zugelassen wird, daß die Nachfrage bei Vollbeschäftigung nicht ausreicht, um alle bei dieser
Beschäftigung produzierten Güter und Dienstleistungen auch abzusetzen. Ist der autonome
Konsum, sind die autonomen Investitionen oder ist die marginale Konsumneigung oder die
Zinselastizität der Investitionen niedriger als in IS0 unterstellt, dann verläuft die IS-Kurve unterhalb
von IS0.
Übersetzt in das IS-MP-Modell läuft dies auf die Frage hinaus: Was passiert eigentlich, wenn die
IS-Kurve nicht durch den Punkt (r*, Y*) verläuft? Dieser Fall ist in Abb. 10.E.2 dargestellt. Hier ist
die IS-Kurve, die ein angebotsorientiertes Gleichgewicht erlauben würde (IS 0), dünn eingetragen,
während eine IS-Kurve, IS1, bei die Akteure planen, bei Vollbeschäftigung weniger als ihr gesamtes
Einkommen nachzufragen unterhalb abgetragen wurde.
Bei dieser IS-Kurve kann die Zentralbank offensichtlich keinen "richtigen" Realzinssatz setzen.
Orientiert sie sich an dem Reallohnsatz, der bei Vollbeschäftigung herrschen würde, dann startet
sie bei (w/P)*, geht zur fpf und legt die MP-Kurve so, daß diese die IS-Kurve bei dem
entsprechenden Realzinssatz schneidet. Nur ist bei diesem Realzinssatz die Nachfrage nicht
ausreichend, um den Vollbeschäftigungsoutput auch abzusetzen - und daher landet man im Punkt 1 der keynesianischen Arbeitsnachfragefunktion mit entsprechender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit.
Diese Überlegung ist mit den durchgezogenen Pfeilen dargestellt.
Orientiert sich die Notenbank statt dessen am Vollbeschäftigungseinkommen und wählt eine MPKurve, bei der die Nachfrage Vollbeschäftigung erlauben würde (gestrichelte Kurve), dann landet
sie schließlich in Punkt 2: Die Profitrate, die sich so einstellt, schöpft, zusammen mit dem
Reallohnsatz des Gleichgewichts das Einkommen nicht aus, das der Faktorpreisgrenze entsprechen
würde. Bei (w/P)* machen die Unternehmen daher Gewinne, die über ihre Kapitalkosten
hinausgehen. Dies reizt weitere Unternehmen zum Markteintritt an - mit dem Ergebnis, daß nun
wieder mehr hergestellt wird, als verkauft werden kann.
Es erweist sich also, daß das neoklassische Gleichgewicht einen Sonderfall beschreibt. Es ist
dann und nur dann richtig, wenn Haushalte und Unternehmen notionale Pläne bilden und wenn sie
dabei planen, zumindest bei Vollbeschäftigung im Aggregat genau so viel auszugeben, wie sie
einnehmen.
Im allgemeinen Fall kann jedenfalls die Geldpolitik alleine das Vollbeschäftigungsgleichgewicht
nicht herstellen und hat eigentlich nur die Wahl einen Zinssatz zu wählen, der gemessen am
Vollbeschäftigungsziel, irgendwo zwischen zwei falschen Alternativen liegt.
Dies macht die These vieler Postkeynesianer verständlich, daß die Ökonomie gar kein
Gleichgewicht aufweise. Und es bestätigt die Forderung der Postkeynesianer nach höherer
staatlicher Nachfrage. Denn mit einer Veränderung von G könnte die IS 1-Kurve ja in Richtung IS0
verschoben werden. Allerdings ist hier gleich Wasser in den Wein zu gießen: Weil es sich nicht um
nur eine vorübergehend, konjunkturell bedingt zu niedrige Nachfrage handelt, müßten diese
zusätzlichen Staatsausgaben nachhaltig finanziert werden. Das aber heißt, man müßte über den
Haavelmo-Effekt reden, über steuerfinanzierte Staatsausgaben. Und höhere Steuern stoßen wieder
irgendwann an eine Akzeptanzschwelle.
Es ist aber noch eine weitere Schließung des Modells möglich, die wieder auf ein Gleichgewicht
führt: eine monetär-keynesianische Schließung.
Exkurs 10.2: Eine monetär-keynesianische Schließung
Die zweite Möglichkeit, das neoklassische Gleichgewicht zu kritisieren, besteht darin, zu
postulieren, daß die Geldpolitik sich gar nicht an Arbeitsmarkt und Vollbeschäftigung orientieren
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Karl Betz
kann, sondern daß sie gezwungen ist, sich mit ihrer Zinspolitik am Gleichgewicht der Kredit und
Vermögensmärkte zu auszurichten. Formal würde das bedeuten, daß die MP-Kurve dem IS-MPModell von einem weiteren Markt - den Kredit- und Vermögensmärkten - vorgeben würde.
Diese Variante will ich nun noch kurz skizzieren. Hierbei ist im ersten Schritt zu klären, wie der
gleichgewichtige Realzinssatz auf den Vermögensmärkten bestimmt werden kann und in einem
zweiten Schritt ist dieser dann ins IS-MP-Modell zu integrieren.
Exkurs 10.2.1 Vermögensmarkt und Zinssatz
Das Ziel der Zentralbank ist die Verteidigung des Geldwertes. Dabei definiert z.B. die EZB
Geldwertstabilität als eine „Preissteigerungsrate unter, aber nahe bei 2%“.
Inflation läßt sich in erster Näherung begreifen als die Folge eines Überschußangebotes von
Geldvermögen. Haben Sie mehr Geld als Sie halten wollen, versuchen Sie, es auszugeben.
Wie schon in Kapitel 1 festgestellt, ist das einzelwirtschaftlich kein Problem. Gesamtwirtschaftlich besteht die Schwierigkeit aber darin, daß das Geld, das Sie ausgeben, anschließend
jemand anders hat. Und wenn insgesamt zu viel Geld in Umlauf ist, will die es auch nicht behalten.
Gesamtwirtschaftlich gibt es, auch das wiederhole ich hier nur, letztlich nur zwei Möglichkeiten,
Geld los zu werden: Geld, das die ökonomischen Akteure nicht wollen, können sie nur entweder
entwerten – das wäre Inflation – oder vernichten. Und Geld vernichten bedeutet: Es an die
Notenbank zurück geben.
Will die Notenbank eine Inflation vermeiden, muß sie daher dafür sorgen, daß zusätzliches
Geldvermögen entweder gar nicht erst entsteht oder aber, daß die Akteure in der Ökonomie es
halten wollen.
Der reale Zinssatz der Notenbank beeinflußt nun beide Marktseiten gleichzeitig:
•
Das Angebot an Geldvermögen, also das Volumen an Bargeld und Forderungen, das
durch die Kreditvergabe entsteht
•
und die Bereitschaft, Geldvermögen zu halten, also die Nachfrage nach Geldvermögen,
Geldvermögensangebot: Bei hohen Realzinsen ist die Kreditnachfrage niedrig: Ein (reales)
hohes Zinsniveau bedeutet ein niedriges (reales) Kreditvolumen. Geldvermögen aber entsteht durch
die Kreditvergabe. Folglich entsteht ein niedriges Angebot an (realem) Geldvermögen. Erhöht nun
Notenbank ihren Refinanzierungssatz, so steigen die Refinanzierungskosten und daher (bei
gegebenem z) die Marktzinsen. Also muß gelten: Das Angebot an realem Geldvermögen ist eine
fallende Funktion im Zinssatz der Notenbank.
Geldvermögensnachfrage: Die Gegenbuchung zu Verbindlichkeiten sind Forderungen. Sowohl
Forderungen wie Verbindlichkeiten können unterschiedliche Fristigkeiten aufweisen. Stellen Sie
sich nun eine Ökonomie vor, in der es keine Banken oder anderen Finanzintermediäre gibt, und in
der die Unternehmen sich direkt bei den Haushalten verschulden, um Kapital und Umlaufvermögen
zu finanzieren: Die Unternehmen haben hier Verbindlichkeiten und die Haushalte Forderungen mit
unterschiedlicher Fristigkeit. Da Geld nur über die Verschuldung bei der Notenbank in Umlauf
kommen kann, stehen dem Geldumlauf in der folgenden Übersicht (Abb. 10.E.3: Geldvermögen
und Verbindlichkeiten in einer einfachen Ökonomie) Forderungen der Notenbank (gegen die
Unternehmen) gegenüber. (Die Notenbankbilanz habe ich nicht eingetragen.) Als Abkürzungen
benutze ich: V für Verbindlichkeiten und F für Forderungen. Insbesondere sind V ZB
Verbindlichkeiten gegenüber der Zentralbank.
In diesem einfachen Kontext muß das Geldvermögen der Haushalte die gleiche Fristenstruktur
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aufweisen, wie die Verbindlichkeiten des Unternehmenssektors, denn es geht ja um die gleichen
Titel, bei denen die Haushalte eben die Gläubiger und die Unternehmen die Schuldner sind. Was Sie
der Abbildung aber bereits entnehmen können, ist, daß die gleiche Geldmenge mit einem ganz
unterschiedlichen Kreditvolumen (und damit mit einer unterschiedlichen Höhe des Geldvermögens)
zusammengehen kann: Sind die Haushalte eher daran interessiert, Bargeld zu halten, muß der Anteil
der Geldmenge (M0) steigen und die Unternehmen müßten sich, wenn sie ein gegebenes
Finanzierungsvolumen benötigen, verstärkt bei der Notenbank refinanzieren.
Wollen die Haushalte ihr Vermögen eher kurzfristig halten, müssen die Unternehmen (neben den
Verbindlichkeiten bei der Notenbank) mehr kurzfristige Kredite beim Haushaltssektor aufnehmen.
Und soweit schließlich die Haushalte bereit sind, sich langfristig zu engagieren, können die
Unternehmen ihren Finanzierungsbedarf über die Ausgabe von Bonds (und Aktien) decken.8
Abb. 10.E.3 Geldvermögen und Verbindlichkeiten in einer einfachen Ökonomie
In diesem einfachsten Fall würden die Unternehmen sich bei der Zentralbank verschulden, um an
Geld zu kommen, zum Beispiel, um ihre Löhne zu zahlen. Darüber hinausgehendes Fremdkapital
können sie nur erhalten, wenn sie entweder Kredite bei den Haushalten aufnehmen oder an diese
Schuldverschreibungen (Bonds) verkaufen.
Der wichtige Punkt ist nun: Der Finanzierung des Unternehmenssektors – also dem Kreditvolumen – steht Geldvermögen des Haushaltssektors (Bargeld, verbriefte und unverbriefte Forderungen) in gleicher Höhe gegenüber. Also müssen die Haushalte das Geldvermögen, das durch
die Kreditvergabe entsteht, auch halten wollen.
8 Allerdings ist der Trick bei der Sache, daß Bonds zwar langfristige Anlagen sind. Der einzelne Haushalt aber kann
sie, weil sie handelbar sind, durchaus nur für einen Teil der Laufzeit halten und dann am Wertpapiermarkt
verkaufen. Nur trägt er dann neben dem Risiko, daß das Unternehmen pleite gehen könnte, auch noch ein Kursänderungsrisiko: Die Kurse von Bonds können gerade dann im Keller sein, wenn sie dringend verkaufen muß.
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Karl Betz
Setzt die Notenbank nun einen niedrigen Zinssatz, dann
a) Entsteht viel Notenbankgeld und
b) Bieten die Unternehmen nur niedrige Zinsen für Kredite und Bonds.
Also wird die Haltung von Geldvermögen für die Haushalte unattraktiv.
Das wiederum heißt, daß die Haushalte sich andere Vermögensanlageformen als Geldvermögen
suchen könnten – und dies kann einen Inflationsprozeß anstoßen. Für die erste Intuition möge
folgende Überlegung genügen. Angenommen, die Notenbank setzt ihren Zinssatz unter dem
Gleichgewichtszinssatz an. Dann kommt über die Kreditaufnahme der Unternehmen mehr Geld in
Umlauf, als die Haushalte halten wollen. Also versuchen diese, ihr Vermögen in anderen
Anlageformen anzulegen. Sie bieten so die Preise z.B. von Rohstoffen hoch. Das Problem ist nun,
daß es dabei nicht bei einem einmaligen Anstieg des Preisniveaus bleibt: Weil die Preise der Inputs
(Rohstoffe, aber auch: mit diesen Rohstoffen produzierte andere Inputgüter) gestiegen sind, brauchen die Unternehmen ein höheres nominales Kreditvolumen, um die gleichen realen Investitionen
tätigen zu können. Die Geldmenge steigt in der zweiten Runde also weiter und es entsteht ein
Inflationsprozeß, ein Prozeß Periode für Periode weiter steigender Preise. Der würde zwar
wahrscheinlich irgendwann auslaufen – wenn genug weitere Rohstoffe produziert worden sind.
Aber die Preise können nicht beliebig steigen, ohne daß irgendwann auch die Geldlöhne reagieren.
Und das stößt dann die Preis-Lohn-Preis-Spirale an, die von sich aus eben nicht ausläuft.
Abb. 10.E.4: Geldvermögensangebot und -nachfrage und Notenbankzinssatz
Einführung in die VWL
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S. 207
Bei hohen Zinsen hingegen ist es für die Haushalte interessanter, Geldvermögen zu halten:
Geldvermögen, das sind ja nicht nur die Noten und Münzen in Ihrer Tasche. Das sind auch verzinsliche Einlagen bei Banken, staatliche Wertpapiere, Unternehmensbonds etc. (vgl. Abb. 10.4). 9
Und wenn die Refinanzierung bei der Notenbank teurer ist, sind die Unternehmen auch bereit, den
Haushalten höhere Zinsen für Kredite und Bonds zu bieten. Um ein höheres Kreditvolumen im
Haushaltssektor unterzubringen, sind also höhere Zinssätze erforderlich oder anders formuliert: Die
Nachfrage nach Geldvermögen steigt mit steigendem Realzinssatz.
Da zugleich, wie bereits gezeigt, das Kreditvolumen – und daher das Angebot an Geldvermögen
– mit steigendem Zinssatz fällt, bestimmt der Vermögensmarkt den gleichgewichtigen Zinssatz.
Ein letzter Punkt bleibt noch zu klären – der Leitzins, den die Notenbank festlegt, ist doch ein
nominaler Zinssatz – zur Zeit z.B. 1%. Wieso steht dann ein realer Zinssatz im Diagramm?
Die Frage beantwortet sich, wenn man sich die Vermögensanlage Alternativen der Haushalte
(oder auch das Kalkül der Unternehmen bei der Kreditaufnahme) ansieht. Ein Zinssatz von 10% ist
hoch, wenn Sie konstante Preise erwarten. Erwarten Sie aber eine Preissteigerungsrate von 100%,
dann werden Sie zu 10% so viele Kredite aufnehmen wie sie nur irgend können – Sie brauchen ja
dann gar nicht zu produzieren, sondern können das Geld einfach in Grundstücken oder Rohstoffen
anlegen. Nach einem Jahr tilgen Sie den Kredit dann, in dem Sie die Hälfte (na gut, 55%, die Zinsen
müssen Sie ja auch noch zahlen) der Rohstoffe / Grundstücke verkaufen und Sie haben einen satten
Gewinn von 45% der Kreditsumme gemacht.
Relevant für Ihr Kalkül muß also neben dem nominalen Zinssatz auch die (erwartete)
Inflationsrate sein und damit ist der Zinssatz, der das Marktgleichgewicht herstellen kann
r = Nominalzinssatz – (erwarteter) Inflationsrate = Realzinssatz10
Die Antwort also so formulieren: Um den Geldwert zu stabilisieren, muß die Notenbank ein
Realzinsniveau durchsetzen, bei dem die Haushalte das durch die Kreditvergabe entstehende
Geldvermögen auch halten wollen.11
Exkurs 10.2.2 Zurück zu IS-MP
Die Vermögensmärkte geben also den gleichgewichtigen Refinanzierungsatz der Notenbank vor
und dieser, zusammen mit der Zinsmarge der Banken, bestimmt den Gleichgewichtigen
Realzinssatz und so die Lage der MP-Kurve.
Damit wird ein totales Gleichgewicht im IS-MP-Modell wieder thematisierbar - allerdings
9 In Kapitel 8 erscheint nur ein Teil dieses Geldvermögens in den Geldmengen-Aggregaten M 0 – M3, weil erstens
Geldvermögen dort nach der Fristigkeit klassifiziert wird und die Laufzeit von Unternehmensbonds zu lang ist, als
daß diese dort erfaßt werden könnten und weil zweitens das Geldvermögen des Publikums erfaßt wird – Forderungen des Publikums untereinander (direkte Forderungen von Haushalten an Unternehmen) saldieren sich dann
raus. Ein je größerer Teil des Kreditvolumens z.B. über Unternehmensanleihen abgewickelt wird, desto weniger
davon wird in M3 ausgewiesen. Daher gibt es mittlerweile (wieder) die Position, daß es für die Entwicklung des
Geldwertes wichtiger wäre, auf das Kreditvolumen zu achten als auf die Geldmenge.
10 Wie oben schon erwähnt: Das ist die vereinfachte Näherungsformel, die bei niedrigen Inflationsraten gilt.
11 Allerdings beinhaltet diese Formulierung noch eine Ambiguität: Was ist (in einer offenen Volkswirtschaft) eigentlich
der Geldwert? Das (reziproke) Preisniveau oder der Wechselkurs? Und wenn es der Wechselkurs ist – der gegenüber
welcher Währung? Meines Erachtens ist die Antwort auf diese Frage: „Es kommt darauf an.“ Ist ein Land in hohem
Ausmaß in Fremdwährung verschuldet, so ist dies bestimmt der Wechselkurs: Wenn die Währung eines solchen
Landes abwertet, löst das nämlich eine Pleitewelle aus. Rede ich umgekehrt von einem Gläubigerland, so dürfte das
Preisniveau wichtiger sein – obwohl ein Gläubigerland wie die Schweiz sich auch überlegen könnte, daß durch eine
Aufwertung ja der Wert seiner Forderungen steigt und es sich so reicher machen kann, ohne mehr produzieren zu
müssen.
S. 208
10 IS-MP
Karl Betz
diesmal eben, abgesehen vom neoklassischen Sonderfall, ein keynesianisches Gleichgewicht bei
unfreiwilliger Arbeitslosigkeit: Der Gleichgewichtsoutput liegt im Schnittpunkt von IS- und MPKurve und über die Beschäftigungsfunktion bestimmt sich die effektive Nachfrage.
Der Unterschied zur nachfrageorientierten Schließung in Kapitel 10.5.2 besteht hier zum ersten
darin, daß der für Vollbeschäftigung zu hohe Zinssatz nicht mehr als Politikfehler vorgegeben
werden muß, sondern daß er als Ausfluß einer richtigen Geldpolitik - einer Geldpolitik, die eben das
Vermögensmarktgleichgewicht exekutiert - hergeleitet wurde.
Abb. 10.E.5 Ein geldkeynesianisches totales Gleichgewicht
Und noch ein weiterer Unterschied stellt sich ein: Der Reallohnsatz liegt nicht mehr irgendwo
zwischen einem Mindest- und einem Höchstsatz, wie noch in 10.5.2, sondern er ist eindeutig
bestimmt als der Reallohnsatz auf den die Faktorpreisgrenze führt, gegeben dieses Niveau der
Realzinsen.
Unfreiwillige Arbeitslosigkeit ist dann einfach die Differenz zwischen dem Arbeitsangebot bei
diesem Reallohnsatz und der effektiven Arbeitsnachfrage.
Wie oben schon bemerkt: Zwar würden auch Menschen für weniger als diesen Reallohnsatz
arbeiten wollen, aber am Arbeitsmarkt bestimmt werden können eben nur Geldlohnsätze. In Folge
der Arbeitslosigkeit sinkende Löhne würden daher nur das Preisniveau senken ohne die
Reallohnsätze niedriger werden zu lassen.
Eine letzte Anmerkung noch zu z. An diesem Punkt könnte man die Krisentheorie von Hyman
Minski in das Modell einbauen: Eine längere Phase ruhigerer Konjunkturentwicklung senkt die
Risikoeinschätzung der Banken und daher den geforderten Aufschlag z. Dadurch verschiebt sich die
MP-Kurve nach unten. (Gedämpft wird das allerdings dadurch, daß sich gleichzeitig die Kurve des
Geldvermögensangebots nach außen verschiebt - bei den gleichen Refinanzierungskosten wird jetzt
ja mehr Kredit angeboten, entsteht also mehr Geldvermögen - und die Notenbank deswegen r ZB
Einführung in die VWL
10 IS-MP
S. 209
anheben muß.) Die Volkswirtschaft kommt in einen Kreditboom (mit dem auch bubbles
einhergehen, die den boom weiter verstärken).
Allerdings ist das Risiko eines Kreditausfalls objektiv nicht verschwunden, es wird nur als
geringer eingeschätzt. In Wahrheit ist es sogar gestiegen: Weil jetzt das Kreditvolumen schneller
wächst als das BIP, steigt der Verschuldungsgrad der Volkswirtschaft. Und wenn die Schulden
schneller wachsen als das Einkommen, steigt die Wahrscheinlichkeit von Pleiten.
Irgendwann führt diese höhere Wahrscheinlichkeit von Pleiten zu Zahlungsausfällen - und damit
steigt bei den Banken die geforderte Marge, was das Kreditvolumen schrumpfen läßt, die Zahl der
Pleiten weiter erhöht und die geforderte Marge weiter in die Höhe treibt.
Im IS-MP-Modell schnellt damit die MP-Kurve in die Höhe, und Produktion und Beschäftigung
brechen ein. (Hier weiter zu lesen und die Reallöhne über die fpf zu bestimmen würde keinen Sinn
machen: Die Unternehmen verdienen in der Krise ihre Kapitalkosten ja gerade nicht-)
Viele Ökonomen sind der Ansicht, daß genau dieser Ablauf die Logik der großen Rezession
wiedergibt.
S. 210
10 IS-MP
Karl Betz
Einführung in die VWL
11 Wachstum und Konjunktur
S. 211
11 Wachstum und Konjunktur
Lernziele:
Wachstumstheorie untersucht den Trend der Einkommensentwicklung.
Produktionsfunktion und Produktionsfaktoren
Konjunkturtheorie untersucht Abweichungen von diesem Trend.
Angebotsorientierte Wachstumstheorie: Einflußfaktoren auf die Arbeitsproduktivität.
Nachfrageorientierte Wachstumstheorie: Beschäftigung
Konjunktur: Schwankungen der Nachfrage
Hysterese
Pfadabhängigkeit der Einkommensentwicklung
Der zentrale Gegenstand sowohl der Konjunktur- als auch der Wachstumstheorie ist die
Entwicklung des Volkseinkommens, des BIP. Das Kernthema ist die Wachstumsrate: Um wie viel
Prozent wächst das reale BIP pro Jahr.
Dabei bezeichnet Wachstum den längerfristigen Trend in der Einkommensentwicklung, während
die Konjunktur Abweichungen von diesem Trend bezeichnet.
In der angebotsorientierten Theorie bestimmt die Entwicklung der Produktionsmöglichkeiten die
langfristige Entwicklung des Einkommens. Daher steht in ihrem Zentrum die Produktionsfunktion.
Die Nachfrage erklärt (allenfalls) die Konjunktur, die Schwankungen um diesen Trend.
Nachfrageorientiert bestimmt die Entwicklung der Nachfrage hingegen sowohl lang- als
kurzfristig die Einkommensentwicklung. Die Produktionsfunktion hingegen erklärt nur die
Arbeitsproduktivität: Faktoren die nicht gebraucht werden, werden entweder einfach nicht
hergestellt (Kapital) oder sie werden in der Produktion nicht eingesetzt (Arbeitslosigkeit) und
stehen daher auch nicht in der Produktionsfunktion.
Während Konjunktur- und Wachstumstheorie (dieses Kapitel) die Entwicklung des Einkommens
zu erklären suchen, versucht die Theorie der Konjunktur- und Wachstumspolitik Möglichkeiten für
die Wirtschaftspolitik aufzuzeigen, wie diese Entwicklung sich beeinflussen läßt.
Grundsätzlich gibt es hier zwei Positionen: Die eine, die bis zur großen Rezession überwiegend
vorherrschte (und mit dem Namen Milton Friedman verbunden ist), geht davon aus, daß die
kurzfristigen Abweichungen den Trend nicht beeinflussen. Daß die Konjunkturentwicklung also
zwar um den langfristigen Wachstumstrend schwankt, der Trend aber von diesen Schwankungen
unberührt bleibt. Die andere geht davon aus, daß der Trend sehr wohl beeinflußt wird. Ich komme
auf diese Differenz in Abschnitt 11.4 zurück.
11.1 Zur Abgrenzung von Wachstum und Konjunktur
Bevor ich in die Theorie einsteige, will ich kurz die Phänomene illustrieren, die diese erklären
soll. Zunächst daher ein Blick auf die Entwicklung des Realeinkommens in Deutschland seit 1949.
S. 212
10 Wachstum und Konjunktur
Karl Betz
Das Realeinkommen hat sich seit 1949 mehr als versiebenfacht (BIP in Preisen von 2000: 1949:
293 Mrd; im Jahr 2008: 2270 Mrd €. In laufenden Preisen betrug das BIP 2008 2,491 Mrd.).
Wie schon in Kapitel 7 gesagt: Um von nominalen BIP (dem BIP zu laufenden Preisen) zum
realen BIP zu kommen, muß man deflationieren, also im Prinzip das Preisniveau von 1949 gleich
100% setzen, den Preisindex für alle Folgejahre berechnen und dann das nominale BIP durch den
Preisindex des jeweiligen Jahres teilen. Und wie ebenfalls schon gesagt, stecken in dieser
Preisbereinigung eine ganze Menge Unschärfen, die umso größer werden, je länger der zeitraum ist,
den man betrachtet. An der Tendenz, die die obige Zeitreihe der Entwicklung des BIP beschreibt,
wird dieser Sachverhalt nichts ändern. Aber es macht keinen Sinn, die letzten Nachkommastellen zu
ernst zu nehmen.
Ein Störfaktor ist übrigens aus den Zahlen bereits heraus gerechnet: Die Änderungen des
Gebietsstandes - also die Eingliederung zuerst des Saarlandes, dann West-Berlins und schließlich
der DDR. Allerdings hat auch dies wieder einen Preis: Die Zahlen der DDR-Statistik, die jetzt
notwendig in diesem Aggregat enthalten sind, wurden früher in der Bundesrepublik als geschönt
kritisiert.
Abb. 11.1: Reales BIP in Deutschland 1950 - 2009
2500
2000
1500
1000
500
0
1949
1959
1969
1979
1989
1999
2009
Quellen: Maddison; SVR 2008; Statistisches Bundesamt (2009); 2009 = geschätzt;
Zwei weitere Informationen können Sie der Grafik noch entnehmen. Erstens: Normaler Weise ist
das BIP Jahr für Jahr gewachsen. Nur in den Jahren 1975, 1982, 1990, 1993 und 2003 gab es einen
leichten Rückgang, jeweils um rund ein halbes Prozent. 1990 ist der Einbruch zwar stärker (knapp
3%), aber hier liegt ein Sondereffekt vor: Während die Wirtschaft im Osten zusammenbrach,
verzeichneten die Westländer einen Einheitsboom. Es kommt hier also der Strukturbruch im
Beitrittsgebiet, nicht aber die Wachstumsdynamik zum Tragen. Und schließlich sehen Sie, daß der
letzte Wirtschaftseinbruch drastisch aus dem bisherigen Wachstumsverlauf herausspringt. Das BIP
ist 2009 um ca. 5% geschrumpft1 und auf den Stand von vor drei Jahren zurück geworfen worden.
1 Die Statistiken werden noch mehrere Jahre lang nachträglich revidiert, weil einem Teil der Angaben zunächst
Schätzungen zu Grunde liegen. Eine Revision der Daten ist kann bis zu vier Jahre lang erfolgen. Daher werden die
Einführung in die VWL
11 Wachstum und Konjunktur
S. 213
Ein in der Nachkriegsgeschichte der BRD einmaliger Einbruch.
Die Wachstumsrate (g - growth rate) mißt die Veränderung einer Größe in Prozent pro
Zeiteinheit. Die Wachstumsrate des BIP im Jahr 2009 ist also z.B:
gY = [(BIP2009 - BIP2008)/BIP2008] * 100
Eine zweite Information können Sie vielleicht erst auf den zweiten Blick sehen: Die
Wachstumsraten sind mit der Zeit zurück gegangen: Eine kontinuierliche Wachstumsrate wäre
durch einen exponentiellen Verlauf, also eine immer steiler werdende Kurve, gekennzeichnet. Der
Verlauf für Deutschland ist eher linear, also müssen die Zuwachsraten mit der Zeit gesunken sein.
Lassen Sie mich aber, bevor ich diese Frage etwas weiter verfolge, noch kurz eine weitere
Korrektur vornehmen. Die Wachstumsrate des BIP alleine ist ja noch wenig aussagekräftig: Wenn
die Bevölkerung ebenso schnell wächst wie das Einkommen, ändert sich am Einkommen der
Menschen überhaupt nichts. Für viele Fragen wird daher nicht das BIP, sondern die Entwicklung
des Einkommens pro Einwohner, das Pro-Kopf-Einkommen, die angemessene Maßzahl sein.
Abb. 11.2: Wachstumsraten des BIP in Deutschland 1951 - 2009
12.00%
10.00%
8.00%
6.00%
4.00%
2.00%
2008
2005
2002
1999
1996
1993
1990
1987
1984
1981
1978
1975
1972
1969
1966
1963
1960
1957
1954
-2.00%
1951
0.00%
-4.00%
-6.00%
Bis 1991: alte BRD; ab 1992 Deutschland gesamt.
Quellen: Bis 1970: Bundesbank; 1971 - 2007 SVR (2008); 2008: destatis; 2009: Prognosen. Eigene
Berechnungen
Das Pro-Kopf-Einkommen (PKE oder PCI - per capita income) ist das BIP geteilt durch
die Anzahl der Einwohner. Damit beeinflussen zwei Faktoren die Entwicklung des PKE:
endgültigen Daten für 2009 erst im Jahre 2013 vorliegen. (Statistisches Bundesamt: Volkswirtschaftliche
Gesamtrechnungen Revisionsbedarf des Bruttoinlandsprodukts)
S. 214
10 Wachstum und Konjunktur
Karl Betz
Durch das Wirtschaftswachstum (gY) steigt es und durch das Bevölkerungswachstum (gB)
fällt es, weil das Einkommen auf mehr Köpfe verteilt wird. Das Wachstum des PKE ist
daher:
gPKE = gY - gB
Um auf den gleichen Anstieg des PKE zu führen, muß gY daher in einem Land mit
hohem Bevölkerungszuwachs höher sein als z.B. in der BRD mit ihrer in der Zukunft
schrumpfenden Bevölkerung. Das relativiert z.B. den Unterschied in den Wachstumsraten
der BRD und der USA mit ihrer wachsenden Bevölkerung.
Da die Bevölkerung der Bundesrepublik bisher gewachsen ist, hat sich das PKE langsamer
entwickelt als das BIP. Es ist seit 1950 auf rund das 5-fache gestiegen (Maddison).
Um auf die Schwankungen des Wachstums zurück zu kommen: Zwar sieht der Trend relativ
gleichmäßig aus, aber wenn frau genauer hinsieht, weist er doch Zacken, kleine Ausschläge,
Abweichungen von der Trendentwicklung auf. Diese bezeichnen die Konjunkturzyklen. In
Abbildung 11.2, die statt des BIP selbst dessen Wachstumsraten ausweist, werden diese Ausschläge
deutlicher sichtbar:
Traditionell ist der Gegenstand der Wachstumstheorie die Erklärung des Trends, also der
durchschnittlichen Wachstumsrate, während Gegenstand der Konjunkturtheorie die Erklärung der
Abweichungen von diesem Trend also das auf und ab der Wachstumsraten ist.
Es liegt dabei nahe, zu erklären, daß die Wachstumsdynamik wichtiger als die Konjunktur sei.
Denn was ist entscheidender: Wachstumsschwankungen von einigen Prozent innerhalb eines
Konjunkturzyklus oder die Verfünffachung des Pro-Kopf-Einkommens innerhalb von 60 Jahren?
Allerdings, und darauf wird noch zurück zu kommen sein, unterstellt diese Position, daß vom
Konjunkturverlauf kein Einfluß auf die Wachstumsraten ausgeht.
Im folgenden soll zunächst die Wachstumstheorie, also die Erklärung des Trends und danach die
Konjunkturtheorie, also die Erklärung der Schwankungen, betrachtet werden.
11.2 Wachstumstheorie
11.2.1 Der definitorische Rahmen
Um seine Gedanken zu sortieren, ist es mitunter ganz hilfreich, mit Identitäten zu starten, also
Beziehungen, die immer und unabhängig von der Theorie erfüllt sein müssen.
Ich fange hier mal an mit der Feststellung, daß Y, das BIP, der reale Output gleich Y ist.
Y=Y
Diese Beziehung sollte auch dann nicht falsch werden, wenn man eine Seite der Gleichung mit 1
mal nimmt - und 1 kann z.B. als A/A geschrieben werden:
Y = Y · (A/A)
Dieser Ausdruck läßt sich umformen zu:
Y = (Y/A) · A
Und auf einmal sagt die Sache etwas aus: Das BIP ist gleich dem Arbeitseinsatz mal dem Output
pro Arbeitseinheit - der (durchschnittlichen) Arbeitsproduktivität. Ich nenne die mal λ:
Einführung in die VWL
11 Wachstum und Konjunktur
S. 215
Y= λ·A
Diese Beziehung läßt folgende Lesarten zu:
YAT = λ · A*
angebotsorientiert: Wenn ich die Beschäftigung kenne (Sie erinnern sich: Der
Arbeitsmarkt führt zu Vollbeschäftigung), dann bestimmt die Arbeitsproduktivität das Einkommen.
ANE = Y*/λ
nachfrageorientiert: Wenn ich die Nachfrage kenne, gibt die Arbeitsproduktivität mir die Beschäftigung. (Und die Arbeitslosigkeit ist dann AAT - ANE.)
Dies sind die Diagramme 6.10 und 10.8 in Kurzfassung: Mal (angebotsorientiert) geht's vom
Arbeitsmarktgleichgewicht (A*) über die Produktionsfunktion zum Output. Mal (nachfrageorientiert) geht's vom Gütermarktgleichgewicht (Y*) über die Produktionsfunktion (bzw. die
Beschäftigungsfunktion, aber das ist ja nur die Umkehrfunktion der Produktionsfunktion, also die
Produktionsfunktion in der anderen Richtung gelesen) zur Beschäftigungsfunktion.
(Zumindest) kurzfristig funktioniert auch noch eine dritte Lesart:
λ = Y/A
Das ist das, was in der BRD in der letzten Krise geschehen ist: Die Unternehmen haben - dank
der Ausweitung der Regelungen für Kurzarbeitergeld - die Beschäftigung nicht im gleichen Umfang
abgebaut, wie die Nachfrage eingebrochen ist - nicht zuletzt, weil sie (wie sich herausstellte: zu
Recht) hofften, daß die Exportnachfrage schnell wieder anziehen würde und dann Gewehr bei Fuß
stehen wollten und sofort ihre Produktion wieder anspringen lassen wollten. A ist also weniger stark
eingebrochen als Y und als Reflex ist die durchschnittliche Produktivität eingebrochen. In den USA
praktizierten die Firmen das Gegenteil: Sie bauten die Belegschaften stärker ab als ihren Output (die
steigende Arbeitslosigkeit war ja ein gutes Mittel, eine höhere Produktivität zu erzwingen) und
entsprechend ist die Produktivität in den USA in der Krise gestiegen.
Tatsächlich gibt es auch eine langfristige Verbindung, aber auf diese (Verdoorns Gesetz) komme
ich im Abschnitt zur keynesianischen Wachstumstheorie zurück.
Wenn man den Ausdruck in Wachstumsraten übersetzt und nach der Zeit ableitet, dann werden
aus Produkten Summen (und aus Exponenten multiplikative Faktoren).2 Es ist dann also, wieder mit
g für die Wachstumsrate, also die prozentuale Änderung pro Zeiteinheit:
gY = gA + gλ
angebotsorientiert: gY = gA + gλ Die Wachstumsrate des BIP ist gleich der Wachstumsrate der
Beschäftigung plus der Zuwachsrate der Arbeitsproduktivität (oder auch: dem technischen
Fortschritt).
nachfrageorientiert: gA = gY - gλ Wachstumsrate des BIP minus Wachstumsrate des technischen
Fortschritts (der Arbeitsproduktivität) gleich Veränderung der Beschäftigung in Prozent.
Wenn man also behauptet, durch technischen Fortschritt steige der Wohlstand (das Einkommen
pro Kopf), dann denkt man angebotsorientiert: Weil sich A nicht ändert, ist die Wachstumsrate
gleich der Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität.
Die oft geäußerte Befürchtung, der Gesellschaft könne die Arbeit ausgehen (technischer
Fortschritt vernichte Arbeitsplätze), muß implizit unterstellen, daß das BIP langsamer wächst als die
Produktivität - die Idee funktioniert also, wenn überhaupt, höchstens nachfrageorientiert.
Mit den beiden Lesarten von Y = λ · A sind die beiden Wachstumstheorien im Prinzip auch schon
abgehandelt. Alles was noch bleibt, ist ein wenig mehr ins Detail zu gehen.
2 Das Spielchen kennen Sie schon. Ich hatte den Trick auch schon beim Realzinssatz (r = i - π) und bei der
Wachstumsrate des BIP (gY = gPY - π) ausgenutzt. Scheinbar lohnt es sich, sich das Schema zu merken.
S. 216
10 Wachstum und Konjunktur
Karl Betz
11.2.2 Nochmal zur Produktionsfunktion
Der Output (das BIP) einer Ökonomie kann nicht dauerhaft schneller wachsen als ihre
Produktionsmöglichkeiten. Wenn Sie an Kapitel 4, die Produktionsfunktion, zurück denken, dann
werden die Produktionsmöglichkeiten einer Volkswirtschaft beschrieben über
- ihre Ausstattung mit Produktionsfaktoren (Produktionsinputs) und
- die konkrete Produktionsfunktion, die die Technik beschreibt und damit festlegt, wie viel
Output diese Produktionsfaktoren erzeugen können.
In Kapitel 4 hatte ich, wie auch die ältere Wachstumstheorie, nur zwei Produktionsinputs
betrachtet: Arbeit und Kapital. Die neuere Wachstumstheorie ist hier etwas ausführlicher. Hier ist
Y = τ · PF(A, K, H, NR)
Der Output hängt (positiv) ab von
τ - dem technischen Wissen, also dem Wissen über Produktionsverfahren. Technischer Fortschritt
läßt sich als Verbesserung des technischen Wissens abbilden und ermöglicht mit der gleichen
Menge an Inputs mehr Output herzustellen. In dem Produktionspreismodell von Kapitel 5 würde
sich z.B. eine Steigerung von τ einstellen, wenn Daniel Düsentrieb ein neues Verfahren entdeckt,
bei dem die gleiche Menge an Kaninchen mit weniger Kaninchen und/oder Arbeit hergestellt
werden kann.
Und er hängt ab von der Menge an verfügbaren Inputfaktoren
A - der Menge der eingesetzten Arbeit, gemessen in Stunden.
H - dem Humankapital, also dem Qualifikationsniveau der eingesetzten Arbeiterinnen. Dies läßt
sich über die Ausbildung ("Investitionen in Humankapital") beeinflussen.
K - dem Kapitalbestand
NR - dem Bestand an natürlichen Ressourcen (Boden, Rohstoffe, Umweltbedingungen ... )
Dabei bedarf der Unterschied zwischen H und A noch der Erklärung: Während A mißt, wie viele
Arbeitsstunden eingesetzt werden, mißt H, wie qualifiziert diese Arbeit ist, sprich wie viel von dem
technischen Wissen τ sich die Arbeiterinnen angeeignet haben. A mißt also quasi, wie viele
Studierende an der FH Kurse besuchen, τ mißt das in den Büchern der Bibliothek aufgezeichnete
Wissen und H mißt, wie viel von diesem Wissen die Studierenden sich angeeignet haben.
Wird unterstellt, daß die Produktionsfuktion linearhomogen ist, so kann man die Arbeit in der
Funktion auch ausklammern:
(Y/A) = τ · PF[(A/A), (K/A), (H/A), (NR/A)]
==> λ = (Y/A) = τ · PF[1, (K/A), (H/A), (NR/A)]
Die Arbeitsproduktivität, also der Output pro Arbeitseinheit, hängt also positiv ab vom
technischen Wissen, der durchschnittlichen Qualifikation, also der Ausstattung mit Humankapital,
dem Kapitaleinsatz pro Arbeitseinheit und der Ausstattung mit natürlichen Ressourcen pro
Arbeitseinheit. Sie kann daher erhöht werden, wenn der Kapitaleinsatz pro Arbeitseinheit wächst,
wenn die Ausbildung verbessert wird (also die Humankapitalausstattung pro Arbeitseinheit steigt),
oder, weniger naheliegend, wenn sich die Ausstattung mit natürlichen Ressourcen ändert.
(Allerdings bedeuten zunehmende Umweltbelastung und Bevölkerungswachstum, daß die
Ausstattung mit NR pro Arbeitseinheit zurückgeht. Oder andersherum: Höhere Umweltstandards
bedeuten, daß weniger natürliche Ressourcen in der Produktion verbraucht werden dürfen (z.B.
weniger CO2 emittiert werden darf). Dieser Effekt ist dann wieder nicht so uninteressant.) Und
Einführung in die VWL
11 Wachstum und Konjunktur
S. 217
schließlich kann sich, durch Wissenschaft und Forschung, der Bestand an technischem Wissen
erhöhen.
Arbeitsproduktivität und pro-Kopf-Einkommen.
Manchmal erzählen Ihnen die Lehrbücher, diese Faktoren würden zu einem wachsenden proKopf-Einkommen (und nicht nur zu steigender Arbeitsproduktivität) führen. Das stimmt
allerdings nur dann, wenn das Verhältnis von Beschäftigung zu gesamter Bevölkerung als
konstant unterstellt wird. (Was die Autoren auch tun. Sie sagen es Ihnen nur nicht.)
Wenn aber
a) der Anteil der arbeitsfähigen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung sich ändert
(Stichwort: demographischer Wandel) und/oder wenn
b) die Arbeitslosigkeit steigt (also der Anteil der Beschäftigten an der arbeitsfähigen
Bevölkerung sinkt)
dann muß man erstmal genauer hinsehen (z.B. nach der Entwicklung der Nachfrage fragen),
wenn man wissen will, ob Änderungen von λ in der Summe wirklich auf ein höheres Pro-KopfEinkommen hinauslaufen oder nur auf eine geringere Beschäftigung.
K/A und Produktionspreismodell
In Kapitel 5 wurde ja gesagt,
(a) daß, wenn die Profitrate bekannt ist, auch die Wahl der Technik, und mithin K/A, festliegt
(b) und daß, auf Grund des Problems der Wiederkehr der Technik, auch nicht gesagt werden
kann, daß ein niedrigerer Zinssatz mit einem höheren Kapitaleinsatz verbunden sei.
Wird dieser Zusammenhang hier obsolet? Nicht unbedingt. Eine reichere Ökonomie weist ja
auch eine bessere Infrastruktur auf - und eine bessere Infrastruktur eröffnet neue Produktionsmöglichkeiten. Denken Sie z.B. an die Einschränkung, die Sie bei der Technikwahl haben, wenn
Sie keine - oder keine zuverlässige - Stromversorgung haben, wie dies in vielen
Entwicklungsländern der Fall ist.
Erfaßt man die Infrastrukturinvestitionen mit unter K, dann eröffnet eine bessere Ausstattung
mit Infrastruktur neue Produktionsmöglichkeiten und schaltet damit quasi eine neue Technik im
Diagramm der Faktorpreisgrenze frei.
Geht man nun davon aus, daß die Infrastrukturprojekte, die den höchsten Grenzertrag liefern
zuerst gebaut werden,3 dann kommt man auf das Ergebnis, daß eine weitere Erhöhung von K,
gegeben τ, A, H und NR, abnehmende Erträge liefert. Wachstumsdynamik, und das ist auch das
Ergebnis der neoklassischen Wachstumstheorie, kann dann nicht über die Kapitalvermehrung
alleine erklärt werden.
11.2.3 Angebotsorientierte Wachstumstheorie
Bei Harrod und Domar geschah Wachstum über Kapitalakkumulation: In dem der Kapitalbestand
stieg, stieg zu gleich die Beschäftigung und damit der Output. Am Kapitaleinsatz pro Arbeiter und
3 Ok, wie der Streit um Stuttgart 21 gezeigt hat, ist das für die deutsche Verkehrspolitik nicht so sicher.
S. 218
10 Wachstum und Konjunktur
Karl Betz
damit an der Arbeitsproduktivität änderte sich - jedenfalls innerhalb des Modell endogen - nichts.
Wachstum bedeutete einfach eine Erhöhung aller Produktionsinputs: Eine Erhöhung der
Beschäftigung war möglich, weil man entweder (Harrod) Arbeitslosigkeit unterstellte, oder weil
(Lewis) Wachstum das Wachstum eines modernen Sektors war, der unterbeschäftigte Arbeit aus den
traditionellen Sektoren (Landwirtschaft) absorbieren konnte.4 Letzterer Ansatz war vor allem in der
Entwicklungstheorie und in Modernisierungstheorien (Rostow) sehr prominent.
Trotz der Annahme von Arbeitslosigkeit ist der Ansatz insofern angebotsorientiert, als er
unterstellte, daß durch Ersparnis Kapital gebildet wird, dieses zusätzliche Kapital eine höhere
Produktion in der Zukunft erlaubt und es kein Problem gibt, diese zusätzliche Produktion auch
abzusetzen.
Also, mit 0 und 1 als Zeitindices für heute und morgen:
S0 ==> I0 ==> K1 ==> YAT1 ==> YNE1.
Die Ersparnis heute wird heute zu Investitionen und die heutigen Investitionen werden in der
Zukunft kapazitätswirksam. Dadurch kann im nächsten Jahr mehr hergestellt werden und deswegen
steigt das Volkseinkommen im nächsten Jahr.
In allen neueren angebotsorientierten Ansätzen ist nun Vollbeschäftigung unterstellt. Das heißt
mehr oder weniger,5 daß A* gegeben ist. Der technische Fortschritt und das Humankapital wurden
in den älteren Wachstumsmodellen nicht thematisiert. NR lasse ich mal weg, weil es eh nicht zu
beeinflussen ist. Dann landet man beim Solow-Wachstums-Modell:
Y = τ · PF(A, K)
Da A vorgegeben ist (Vollbeschäftigung6) (Solow spricht vorsichtiger von einer konstanten
Beschäftigungsquote - aber warum sollte diese konstant sein, wenn nicht weil Arbeitslosigkeit
ausgeschlossen wurde?) und der technische Fortschritt als exogen unterstellt wird, kann Y nur noch
über eine Erhöhung von K wachsen. Denken Sie jetzt wieder zurück an Kapitel 4 und Sie können
zweierlei sehen.
a) Durch das steigende K steigt die Arbeitsproduktivität - damit wächst einmal das Volkseinkommen. Zugleich steigen aber auch die Lohnsätze, weil das Grenzprodukt der Arbeit ja vom
Kapitaleinsatz pro Arbeiter abhängt - oder, schlichter formuliert: weil eine höhere Produktivität
höhere Löhne erlaubt.
b) Wenn die Produktionsfunktion konstante Skalenerträge aufweist - wenn also die Verdopplung
aller Inputs zu einer Verdopplung des Outputs führt - dann muß eine partielle Faktorvariation (nur K
wird erhöht, A bleibt fix) sinkende Grenzerträge aufweisen. Je weiter der Kapitalstock wächst, desto
niedriger ist der Grenzertrag - zusätzliche Investitionen lohnen sich also immer weniger - bis man
an den Punkt kommt, an dem sie sich nicht mehr lohnen.
Dauerhaftes Wachstum kann daher im Solow-Modell nur Modell exogen erklärt werden:
4 Genau genommen haben wir es auch hier mit Arbeitslosigkeit zu tun - wenn man die Arbeitslosen auch nicht sieht:
Die Landbevölkerung erzielt ein niedrigeres Einkommen und würde gerne in die Industrie wechseln, findet dort aber
keine Arbeitsplätze. Auf Grund der Arbeitslosigkeit in den Städten bleibt sie auf dem Land (Harris/Todaro), wo die
Versorgung innerhalb der Familie funktionell an die Stelle der Arbeitslosenversicherung tritt.
5 In Wahrheit heißt es das nicht ganz - in Kapitel 6 bedeutet ja eine wachsende Erstausstattung steigende Löhne und
steigende Löhne erlauben ein höheres Vollbeschäftigungsgleichgewicht. Den gleichen Effekt hätte auch eine
steigende Arbeitsproduktivität durch technischen Fortschritt. Aber in den Solow-Wachstums-Modellen ist A als
gegeben unterstellt und so ist das Argument einfacher darzustellen.
6 Solow spricht vorsichtiger von einer konstanten Beschäftigungsquote - aber warum sollte diese konstant sein, wenn
nicht weil Arbeitslosigkeit ausgeschlossen wurde.
Einführung in die VWL
11 Wachstum und Konjunktur
S. 219
Es wächst entweder die Bevölkerung, und damit A, oder es wächst die Produktivität und damit τ.
Neue Wachstumstheorie
Die neue, endogene Wachstumstheorie ist im Prinzip ein erweitertes Solow-Modell, das zu
erklären sucht, wie sich die Produktivität entwickelt, statt deren Entwicklung als gegeben zu
unterstellen. Hier gibt es zwei (sich ergänzende) Stränge.
Die Humankapitaltheorie (Lucas) erklärt die Entwicklung des Humankapitals: Nehmen Sie an,
ein unqualifizierter Arbeiter kann mit einem Hammer arbeiten, während ein qualifizierter Arbeiter
mit zwei Hämmern gleichzeitig hämmern kann (jetzt fragen Sie mich aber bitte nicht, wer die Nägel
hält). Dann wirkt eine Steigerung des Humankapitals im Kern ganz genauso auf das BIP Wachstum,
wie eine Steigerung von A (bei Solow): Die gleiche Anzahl Menschen kann jetzt doppelt so viele
Kapitalgüter einsetzen. Eine Ökonomie mit höher qualifizierter Bevölkerung kann daher einen
höheren Kapitalstock und ein höheres Pro-Kopf-Einkommen erreichen.
Die Akkumulation von Humankapital nun läßt sich endogen erklären: Höhere Produktivität, also
höheres H, erlaubt höhere Löhne. Eine höhere Produktivität läßt sich durch eine längere Ausbildung
erreichen. Das Problem allerdings ist, daß eine längere Ausbildung auch kostet. Damit landet man
in einem Maximierungsproblem: Ohne Ausbildung erreicht frau einen niedrigen Stundenlohnsatz.
Durch die Ausbildung steigt der (erwartete) Stundenlohn. Gegen zu rechnen sind allerdings die
direkten Kosten der Ausbildung und die indirekten Kosten: Für die Zeit der Ausbildung entgeht
Ihnen ja Lohn. Im Extrem: Wenn Sie studieren, bis Sie 67 sind, sind sie zwar evtl. qualifiziert wie
Hund, gehen aber sofort danach in (Sozial-)Rente, sodaß Ihr erwartetes Einkommen null ist.
Der erwartete Vorteil einer Ausbildung steigt also mit der Ausbildungsdauer zunächst an und
wird dann ab einer bestimmten Ausbildungsdauer wieder abnehmen. Dies ist nicht nur einzelsondern auch gesamtwirtschaftlich so: In der Zeit, in der das Humankapital gebildet wird, wird
nicht gearbeitet. Eine hohe Humankapitalbildung erhöht also H, senkt aber zugleich A.
Endogener technischer Fortschritt. Modelle im Anschluß an Romer versuchen, die Entwicklung
technischen Wissens endogen zu erklären. Direkt z.B. darüber, daß die Möglichkeit, Patente zu
erlangen, Forschung anregen, weil es sich finanziell lohnt in F+E zu investieren. Technischer
Fortschritt weist aber zugleich (Wissens-)externalitäten auf, so daß ein hoher Bestand an
technischem Wissen (gemessen z.B. durch die Zahl der Patente) seinerseits weiteren technischen
Fortschritt erleichtert.
Schließlich gibt es eine Reihe von Versuchen, Wachstum mit institutionellen Rahmenbedingungen zu erklären (Korruption, Rechtssicherheit etc.).
Wachstumsprognosen
Langfristige Wachstumsprognosen liefert nur die angebotsorientierte Theorie. Das kann man
sehr kompliziert machen, aber im Kern laufen diese Prognosen alle darauf hinaus, den bisherigen
Trend der Entwicklung der Arbeitsproduktivität fortzuschreiben und sich die Bevölkerungsentwicklung (die geschätzte zukünftige demographische Entwicklung) vom statistischen
Bundesamt zu holen. Da die meisten Menschen, die in zwanzig Jahren arbeiten können, alle
heute schon geboren sind, kann man die arbeitsfähige Bevölkerung in zwanzig Jahren recht
genau voraus schätzen. (OK, man braucht noch Annahmen über Zu- und Abwanderung.) Dann
unterstellt man entweder noch, daß der gleiche Prozentsatz der arbeitsfähigen Bevölkerung wie
heute auch beschäftigt ist (und bedenkt, daß die Lebensarbeitszeit zunimmt. Erhöhung des
Renteneintrittsalters.). Nehmen Sie an, die geschätzte Arbeitsbevölkerung in der BRD sei in 20
S. 220
10 Wachstum und Konjunktur
Karl Betz
Jahren nur noch 90% der heutigen und schreiben Sie das bisherige Wachstum der
Arbeitsproduktivität von, sage 1,5% fort, dann kommen Sie auf die Prognose, daß das BIP in 20
Jahren rund 20% höher sein wird als heute:
gY =
gA
+
20% =
(-)10% +
gλ
30%
(Das mal wieder mal nur die Näherung. Genau gerechnet: Bei einem jährlichen Zuwachs von
1,5% wächst die Arbeitsproduktivität in 20 Jahren um 34,69% und das BIP daher um 21,2%,
aber Sie sehen, daß die Faustformel bei nicht zu hohen Zahlen ganz gut funktioniert.)
Eine nachfrageorientierte Langfristprognose wäre hingegen Scharlatanerie - ich kann Ihnen
nicht sagen, wie hoch die marginale Konsumneigung in 20 Jahren ist.
11.2.4 Nachfrageorientierte Wachstumstheorie
Machen Sie sich zunächst klar, daß die im angebotsorientieren Abschnitt diskutierte
Produktionsfunktion nur die Arbeitsproduktivität (Y/A) bestimmt, nicht aber den Output (Y). Stehe
A* für Vollbeschäftigung und u für die Arbeitslosenquote (U/A*), dann ist Y:
A* (1-u) (Y/A) = (1-u) · τ · PF[1, (K/A), (H/A), (NR/A)]
Für u größer Null wäre Wachstum also möglich, indem die Beschäftigung erhöht wird – eine
Möglichkeit, welche die neoklassischen Wachstums-Modelle ausschließen, in dem sie unterstellen,
daß der Marktprozeß immer auf Vollbeschäftigung führt.
Beschäftigung wird im allgemeinen nur im Rahmen von Konjunkturtheorie untersucht. Damit
wird in der Wachstumstheorie seit Solow üblicherweise Vollbeschäftigung unterstellt. Eine
Ausnahme bilden aber Kalecki, Kaldor und Robinson, die eine keynesianische Wachstumstheorie
versuchen. Bei diesen Ansätzen führen positive Absatzerwartungen in der Zukunft zu Investitionen
heute. Und diese Investitionsnachfrage generiert die Ersparnis, welche sie finanziert: Entweder in
dem sie (über den Multiplikator) das Einkommen und daher, bei gegebener Sparneigung, die
geplante (ex ante) Ersparnis erhöht und/oder, in dem sie (als Überschußnachfrage) die Gewinne
erzeugt, die die Investitionen finanzieren (ungeplante, ex post Ersparnis)
E[YNE1] ==> I0 (==> Y0) ==> S0 ==> K1 ==> YAT1 .
Die erwartete Nachfrage von morgen führt also zu Investitionen heute. Investitionen heute
führen (als autonome Nachfrage, über den Multiplikator) zu zusätzlicher Nachfrage heute und daher
zu einer höheren Beschäftigung (und einem höheren Einkommen) heute. Wenn diese steigende
Nachfrage nun zur Erwartung in Zukunft weiter steigender Nachfrage führt, regt sie in der Zukunft
weitere Investitionen an und ermöglicht so einen Wachstumsprozeß.
Technischer Fortschritt wird hier zumindest zum Teil endogen erklärt: Wachstum erzeugt
technischen Fortschritt (Verdoorns Gesetz). Teils, weil eine höhere Investitionsquote bedeutet, daß
der Maschinenpark im Durchschnitt jünger ist (und damit mehr von der neuesten Technik in ihm
inkorporiert ist (Vintage-Modelle)), teils weil von den Herstellern von Kapitalgütern Forschungsund Entwicklungsinvestitionen als rentabler eingeschätzt werden, wenn sie erwarten mehr von den
neu entwickelten Maschinen verkaufen zu können.
Das Problem des Ansatzes besteht aber darin, daß die Absatz- bzw. Gewinnerwartungen,
("animal spirits") die den ganzen Prozeß anstoßen, letztlich unerklärt bleiben
Einführung in die VWL
11 Wachstum und Konjunktur
S. 221
Nachfrage- vs. angebotsorientierte Wachstumstheorie:
Beschäftigung und Produktionsmöglichkeiten
Der Punkt ist, daß die angebotsorientierte Wachstumstheorie nur erklärt, wie viel bei
Vollbeschäftigung hergestellt werden könnte. Und um wie viel der Output in der Zukunft wachsen
könnte, wenn Jahr für Jahr Vollbeschäftigung herrschen würde. Erst durch die Zusatzannahme, daß
der Markt auch immer für Vollbeschäftigung sorgt, wird die neoklassische Wachstumstheorie damit
außer einer Theorie des Vollbeschäftigungsoutputs zu einer Theorie des BIP-Wachstums.
Sie können sich das an der Produktionsfunktion klar machen: Die neoklassische
Wachstumstheorie thematisiert λ und damit den maximal möglichen Output.
Die keynesianischen Wachstumstheorie verweist nun aber darauf, daß erstmal geklärt werden
müßte, ob dieser maximal mögliche Output überhaupt verkauft werden kann. Ist das nicht der Fall,
würde weniger produziert als eigentlich möglich.
Erstens beschränkt also die Nachfrage die Ausnutzung der Produktionsmöglichkeiten. Hierzu
komme ich im Abschnitt Konjunktur.
Zweitens aber bedeutet eine geringere Nachfrage auch, daß in der Folgeperiode ein geringerer
Faktorbestand vorhanden ist:
Ein Einbruch der Investitionen heute bedeutet einen geringeren Kapitalbestand morgen.
Länger andauernde Arbeitslosigkeit bedeutet Dequalifizierung und kann ferner dazu führen, daß
Arbeitsanbieter sich entmutigt vom Arbeitsmarkt zurück ziehen. Der erste Effekt senkt H und der
zweite Effekt reduziert A.
Ferner bedeuten Krisen Gewinneinbrüche und Pleiten. Pleiten aber vernichten Kapital und
Gewinneinbrüche können dazu führen, daß auf Grund von Finanzierungsengpässen F+E Ausgaben
reduziert werden.
11.3 Konjunktur
Der Begriff Konjunktur beschreibt die Abweichung des Wachstums in einem ''Jahr vom
langfristigen Trend. Im allgemeinen wird der Konjunkturzyklus in eine Abfolge von Aufschwung
(mit ansteigendem Einkommen) und Abschwung (mit abnehmendem Einkommen) wobei sich diese
Phasen noch feiner unterteilen lassen in Aufschwung (die Wachstumsraten nehmen zu), Boom
(nicht: Boon) (das Einkommen nimmt weiter zu, aber mit abnehmender Zuwachsrate), Rezession
(das Einkommen sinkt) und Depression (der Rückgang des Einkommens klingt aus).
Technisch wird von einer Rezession (vom National Bureau of Economic Research) dann
gesprochen, wenn das Einkommen in zwei Quartalen in Folge sinkt.
Im wesentlichen sind sich angebots- und nachfrageorientierte Theorie darin einig, daß der
Konjunkturzyklus sich durch mehr oder minder regelmäßige Abweichungen der Nachfrage vom
langfristigen Trend ergibt7 - der Unterschied, das wurde oben schon herausgestellt, besteht eben in
7 Eine Ausnahme bildet die Real Business Cycle Theorie des extremen Teils der angebotsorientierten Ökonomen.
Diese postuliert, daß die Ökonomie sich immer im Vollbeschäftigungsgleichgewicht befindet, daß dieses selbst aber
schwanken kann: Durch technologische Innovationen wächst der Output, die Arbeitsproduktivität und der Lohnsatz.
Die Arbeitsanbieter können also, bei technischen Innovationen, in der Zukunft höhere Löhne erwarten. Der seinen
Nutzen maximierende Arbeitsanbieter wird sich nun überlegen, daß in der Zukunft die Löhne höher sein werden.
Dann ist es geschickt, seine Freizeit vorzuziehen und seine Arbeit erst wieder anzubieten, wenn die Löhne gestiegen
sind. Deswegen schwankt die Beschäftigung - nicht weil unfreiwillige Arbeitslosigkeit entstanden wäre, sondern
weil die Arbeiterinnen ihr Arbeitsangebot senken und ihren Urlaub vorziehen. Eine Theorie, die die
S. 222
10 Wachstum und Konjunktur
Karl Betz
der Frage, was diesen langfristigen Trend bestimmt - die Entwicklung der Angebotsbedingungen
(angebotsorientierte Theorie) oder die Trendentwicklung der Nachfrage (nachfrageorientierte
Theorie).
Da aber der Konjunkturprozeß über die Nachfrage erklärt wird, wurde seine formale Behandlung
schon in den Kapitel 9 und 10 erledigt. Es handelt sich einfach um Schwankungen der Nachfrage,
die sich, über den Multiplikatorprozeß, in Schwankungen des Einkommens übersetzen.
Abb. 11.3: Konjunkturzyklus
Die Illustration klaue ich einfach mal aus Wagner weil ich sie auch nicht sauberer hinkriege.
Was einzig noch zu klären wäre ist,
(a) wieso der Absturz gebremst wird - warum also die Volkswirtschaft nicht immer weiter
schrumpft, wenn sie einmal in die Krise geraten ist, und wieso der Aufschwung schließlich ausläuft
und wieder in einen Abschwung mündet.
(b) wieso diese Schwankungen periodisch immer wieder auftreten.
Zu beiden Fragestellungen gibt es eine Vielzahl von Antworten - Schmölders (Konjunkturtheorie) hat z.B. schon in den 50ern über 100 Konjunkturtheorien gezählt.
Eine mögliche Antwort auf (a) habe ich vorn schon einmal erwähnt: Auf einen Nachfrageeinbruch reagieren die Unternehmen zunächst mit einem Abbau ihrer Läger. Irgendwann sind die
aber einmal leer und damit nehmen die Bestellungen wieder zu. Damit erholt sich die Nachfrage
etwas und dies regt zum Aufstocken der Läger an. Irgendwann sind die aber voll und ...
Was (b) betrifft, so geht diese Frage über den Stoff einer Einführung hinaus. Um aber die
Weltwirtschaftskrise damit erklären will, daß sich viele Arbeiter in den dreißiger Jahren ein paar Jahre unbezahlten
Urlaub genommen haben, ist aber, mit Verlaub, nicht ernst zu nehmen, egal wie formal elegant sie formuliert wird.
Einführung in die VWL
11 Wachstum und Konjunktur
S. 223
Richtung der Antwort anzudeuten: Formal muß man eine Ökonomie so modellieren, daß
Veränderungen in früheren Perioden in die heutige Nachfrage einfließen. Nehmen sie z.B. an, Sie
entschließen sich erst dann in eine teurere Wohnung umzuziehen, wenn Ihr Einkommen schon seit
einiger Zeit höher ist (oder wenn bei der neuen Stelle die Probezeit abgelaufen ist). Dann fließen
Einkommensänderungen früherer Perioden in Ihre heutige Nachfrage ein, Ereignisse in der
Vergangenheit wirken in der Gegenwart fort. Die Ökonomie "erinnert" sich dann an frühere
Schocks und diese wirken in der Zukunft weiter.
Abb. 11.4: Konjunkturzyklus in der BRD
Konjunkturzyklus in der BRD
(Abweichung von Trendwachstum in %-Punkten )
0.06
0.04
0.02
0
1950
1960
1970
1980
1990
2000
2010
2020
-0.02
-0.04
-0.06
-0.08
Datenquellen: Penn World Tables, SVR, WEO. Eigene Berechnungen.
Anderseits sollte man das mit den Zyklen auch nicht zu wörtlich nehmen. Ich habe in Abb. 11.4
die Abweichungen der Wachstumsraten in der BRD von ihrem siebenjährigen Durchschnitt abgetragen, wobei ich den 7-jährigen Durchschnitt mal als grobe Approximation des Trends nehme. Was
einem hier auffällt, ist erstens: Die grobe Idee stimmt schon, es wechseln sich Auf- und
Abschwünge ab. So richtig stetig sind die Schwankungen aber nicht wirklich: Erstens sind die
Amplituden nicht alle gleich lang und zweitens sind die Ausschläge unterschiedlich stark.
Insbesondere von Mitte der 90er bis Mitte der 00er konnte man den Eindruck haben, daß die
Ausschläge stark gedämpft waren. Die Ökonomen feierten dies als "Ende des Konjunkturzyklus",
als "Great Moderation". Endlich hatte die Wirtschaftspolitik gelernt, wie man Konjunkturausschläge
vermeiden konnte: durch eine kluge Geldpolitik und einen weitgehenden Verzicht auf staatliche
Eingriffe und Fiskalpolitik. Was dann kam, wissen Sie ....
11.4 Hysterese oder: Hat die Konjunktur einen Einfluß auf das Wachstum?
Wenn der Zyklus wirklich so verläuft, wie in Abb. 11.3 dann sind die Wirtschaftsschwankungen
zwar unangenehm für die Betroffenen - z.B. weil die Arbeiterinnen in manchen Jahren weniger
arbeiten als geplant und in anderen ungeplante Überstunden machen müssen.
S. 224
10 Wachstum und Konjunktur
Karl Betz
Aber wirklich dramatisch sind sie in diesem Fall für die Volkswirtschaft nicht, denn das, was
durch das unterschiedliche Wachstum in der Krise an Output verloren geht, wird ja durch das
überdurchschnittliche Wachstum im Boom wieder aufgeholt.
Es gäbe also wenig Grund für eine wirtschaftspolitische Intervention zur Krisenbekämpfung. Ja,
diese könnte , in den Augen angebotsorientierter Ökonomen, sogar schädlich sein, wenn sie z.B. die
Preisflexibilität aushöhlt (Arbeitslosengeld verringert die Bereitschaft der entlassenen Arbeiterinnen, Lohnsenkungen hinzunehmen) oder Ressourcen in falschen Verwendungen bindet (die
Subventionierung der Kohleindustrie im Ruhrgebiet verhindert die Entlassung von Kumpels und die
Softwareindustrie findet deswegen nicht genügend Systementwickler).
Aber man kann auch den Verdacht haben, daß krisenhafte Einbrüche nicht immer weiser
aufgeholt werden: Nachfrageorientiert z.B. weil der Einbruch des Einkommens in einer Krise
vorsichtiger bei der zukünftigen Investitions- und Konsumnachfrage macht. Aber auch
angebotsorientiert ist das nicht so ganz klar.
Um diese Möglichkeit zu illustrieren, gehe ich nochmal zurück zur angebotsorientierten
Wachstumstheorie.
Y = τ · PF(A, K, H, NR)
heißt ja: das Einkommen heute hängt u.a. ab vom Kapitalbestand, dem Bestand an Humankapital
und der Beschäftigung heute.
Kapitalbestand: Der Kapitalbestand heute wird bestimmt durch den Kapitalbestand gestern plus
die Investitionen gestern. Angebotsorientiert sind aber die Investitionen gestern die Ersparnis von
gestern - und die hängt von Einkommen von gestern ab. Durch die Krise war aber das Einkommen
gestern niedriger als andernfalls: die Investitionen waren niedriger. Ferner wurde durch die Krise
Kapital vernichtet (Konkurse). Also ist in Folge einer Krise der Kapitalstock heute niedriger als er
andernfalls wäre.
Humankapital: Menschen, die in einer Krise entlassen werden, verlieren mit der Zeit ihre
Qualifikationen - oder ihre Qualifikationen veralten durch technischen Fortschritt. Daher senkt eine
Krise - insbesondere eine länger anhaltende, die die Langzeitarbeitslosigkeit erhöht, den Bestand an
Humankapital.
Beschäftigung: In einer Krise, in Sonderheit in einer länger anhaltenden Krise, ziehen sich
Menschen aus dem Arbeitsmarkt zurück weil sie keine Chance auf einen Job mehr für sich sehen.
Das bisschen Abbau an Arbeitslosenquote, das die USA 2010/11 sah (knapp einen Prozentpunkt)
war nicht einem Aufbau der Beschäftigung geschuldet - der konnte gerade mal knapp den
Bevölkerungszuwachs kompensieren - sondern der Tatsache, daß sich Menschen entmutigt aus dem
Erwerbsleben zurück zogen. Im neoklassischen Arbeitsmarktdiagramm bedeuten diese Effekte
zusammengenommen, daß sowohl das Arbeitsangebot (Rückzug aus dem Arbeitsmarkt) als auch
die Arbeitsnachfrage (geringerer Kapitalbestand) niedriger ist, als diese ohne die Krise gewesen
wären.
Aus all diesen Gründen ist der Outpuot im Jahr nach der Krise niedriger, als er es ohne die Krise
gewesen wäre.
Dieser geringere Output bestimmt aber die Investitionen heute (erneut: angebotsorientiert: weil
das Einkommen die Ersparnis beeinflußt) - und damit das Einkommen morgen. So kann die
Einkommensentwicklung zu einer Funktion ihrer eigenen früheren Entwicklung werden - auf
Fachchinesisch: die Einkommensentwicklung wird pfadabhängig oder auch hysteretisch.
Abbildung 11.5. faßt die denkbaren Zusammenhänge von Konjunktur und Wachstum erstmal
schematisch zusammen. Dabei gibt die blaue Gerade den Wachstumstrend an und die rote Kurve die
Einführung in die VWL
11 Wachstum und Konjunktur
S. 225
tatsächliche BIP-Entwicklung im Konjunkturprozeß. Machen Sie sich zur Interpretation der
Grafiken klar, daß der Verlust an BIP durch eine Krise oder der Gewinn durch eine Hochkonjunktur
gleich der Fläche zwischen der roten und der blauen Kurve ist.
Abb. 11.5: Konjunktur und Trendentwicklung
Variante A ist die oben beschriebene: Der Output liegt im Konjunkturzyklus mal über, mal unter
dem Trend. Was in der Krise verloren wird, wird in der Konjunktur wieder zurückgewonnen, so daß
Konjunkturausschläge auf die Dauer das Einkommen nicht senken. Sie könnten also höchsten dann
ein Problem darstellen, wenn die Akteure risikoavers sind und daher die mit Einkommensschwankungen verbundene Unsicherheit als nachteilig empfinden.
Variante B ist eine Variante, die Brad de Long postuliert hat: Zwar kehrt die Einkommensentwicklung immer wieder zum Trend zurück. Sie erreicht ihn aber nur in der Hochkonjunktur.
Wachstumseinbrüche führen daher immer wieder zu Einkommenseinbrüchen und diese werden
nicht durch den darauf folgenden Aufschwung wieder aufgeholt.
Die oben skizzierte Möglichkeit der Hysterese stellt Variante C dar. Durch eine Krise
(zumindest: durch eine schwere Krise) bricht das Einkommen ein. Zwar wird die
Trendwachstumsrate schließlich wieder erreicht - aber dieses Wachstum startet jetzt bei einem
niedrigeren Niveau als dies ohne Krise der Fall gewesen wäre. Die Lücke zwischen möglicher und
tatsächlicher Entwicklung schließt sich nicht, der Einkommensverlust durch die Krise ist dauerhaft.
Einkommensentwicklung nach der Great Recession
In den beiden nachstehenden Graphen ist die reale Einkommensentwicklung in der
Bundesrepublik und in den USA abgetragen. Die blaue Linie schreibt die durchschnittliche
Wachstumsrate von 2000 - 2006 fort, während die orange Kurve die tatsächliche BIPEntwicklung beschreibt (die Krise begann in den USA 2007, in der BRD zeitverzögert erst 2008,
daher schneiden sich die Kurven in der Grafik für die BRD). Die Daten stammen von der WEO
Database des IMF - wobei die Daten für die Jahre ab 2011 Schätzwerte sind. Damit sind die
Grafiken (in dieser Auflage des Skripts) noch dem Einwand ausgesetzt, daß der Großteil der
Daten nur die Erwartung des IMF reflektiert, daß die Krise länger andauernde Konsequenzen für
den Output haben werde. Dem kann man aber entgegenhalten, daß sich die Prognosen des IMF
für 2011 derzeit (September 2011) bereits als zu optimistisch erwiesen haben und die
Schätzungen für 2012 ebenfalls nach unten revidiert werden.
Wie man sieht scheint in beiden Fällen Szenario c) das plausiblere: Zwar kehrt die Ökonomie
S. 226
10 Wachstum und Konjunktur
Karl Betz
zur Trendwachstumsrate zurück, nicht aber zur alten Trendgerade (b) und schon gar nicht wird
der Outputverlust der Krise aufgeholt (a): Der Outputverlust ist dauerhaft.
Abb. 11.6 Trend und Konjunktur: BRD / USA und Japan
Es ist zwar richtig, wenn Sie in der Zeitung lesen, die Bundesrepublik habe mittlerweile den
Outputeinbruch durch die Krise wieder aufgeholt. Aber das heißt nur, daß das Einkommen Ende
2011 wieder auf dem Niveau von 2008 angekommen ist. Drei Jahre durchschnittlichen
Wachstums seit 2008 statt einer Krise hätten bedeutet, daß der Output heute 4,5% höher wäre ...
Besonders dramatisch ist die lange Depression Japans seit Anfang der 90er (untere Grafik).
Hinter dem Output, der sich durch die Fortschreibung der 5%igen Wachstumsraten der 80er und
frühen 90er ergeben hätte, ist das Einkommen um rund 50% zurückgeblieben. Selbst wenn man
konzidiert, daß der Wachstumstrend sich sowieso abgeflacht hätte (alternde Bevölkerung, ) bleibt
das Ergebnis dramatisch: Die beiden unteren Kurven gehen davon aus, daß das mögliche
Trendwachstum 1993 auf 3% bzw. 2% eingebrochen wäre (3% wären in Japan damals als Krise
interpretiert worden.) Selbst dann bleibt es bei einem drastischen Outputverlust durch die lange
Stagnation.
Einführung in die VWL
11 Wachstum und Konjunktur
S. 227
Eine Position, die eher auf Variante (b) hinausläuft, vertritt z.B. Mark Thoma:8
"... historically we’ve always recovered from recessions. Eventually. But as you can also see
from the Great Depression, recovery has not always been immediate ...I am confident that we’ll
return to trend this time as well, the question is how long it will take us to get there."
Und als Beleg für seine Position legt er eine lange Zeitreihe vor, die zeigen soll, daß der USOutput auch nach der großen Depression von 1929 wieder zur Trendlinie zurückgekehrt ist (Abb.
11.7). Allerdings irritiert ein wenig, daß der Trend sich hier - ohne nähere Erklärung - unterwegs
ändert:
Im logarithmischen Maßstab würde eine konstante Wachstumsrate als Gerade abgebildet. Daher
habe ich in seinen Originalgraphen noch (gestrichelt) eine Trendgerade hineingelegt, welche die
Wachstumsrate der Anfangsjahre fort zeichnet.
Abb. 11.7: Rückkehr zum Trend?
Im Vergleich wird deutlich, daß der Trend in Thomas Schaubild in den 20ern abflacht. (Und dies
sowohl im Vergleich zum Trend von 1870 bis 1900 als auch zum Trend der Nachkriegsjahre, wenn
die Gerade durch den Zeitabschnitt von 1950 bis 1970 oder von 1950 bis heute legen würde.) Was
hier offensichtlich gemacht wurde, ist, den Trend - z.B. mit einem HP-Filter - aus der tatsächlichen
Entwicklung des BIP herauszurechnen. Wenn man das so macht, kehrt aber nicht der Output zum
8 http://moneywatch.bnet.com/economic-news/blog/maximum-utility/does-this-ease-your-worries-us-gdp-from-18702008/1332/
S. 228
10 Wachstum und Konjunktur
Karl Betz
Trend zurück, sondern der Trend zum Output. Das wäre dann jedoch nicht (b) sondern (c).
Fragen zum elften Kapitel
Verständnisfragen
1)
Wie kann man eine Wachstumsprognose erstellen?
2)
Viele Entwicklungsländer haben ein höheres Bevölkerungswachstum als z.B. die BRD. Warum
müssen sie auch höhere Wachstumsraten haben?
3)
Welche Rolle spielen Humankapital und technischer Fortschritt in der angebotsorientierten
Wachstumstheorie? Was bewirken sie nachfrageorientiert?
4)
Wie ist eine Rezession definiert?
5)
Warum sollte man etwas gegen Konjunktureinbrüche tun?
6)
Kann die Arbeitslosigkeit zurück gehen, obwohl die Beschäftigung gar nicht steigt?
Anwendungen
1)
Die Bevölkerung wachse mit einer Rate von 2%, die Arbeitsproduktivität wachse jährlich um
3%.
a) Angenommen die Beschäftigung bleibt konstant - um wie viel wächst das pro-KopfEinkommen?
b) Angenommen, die Beschäftigung wächst mit der gleichen Rate wie die Bevölkerung. Um wie
viel wächst das pro-Kopf-Einkommen?
c) Das Arbeitsangebot wachse mit der gleiche Rate wie die Bevölkerung, die Nachfrage steige
aber nur um 1%. Um wie viel wächst das pro-Kopf-Einkommen? Um wie viele Prozentpunkte
steigt die Arbeitslosenquote?
2)
Warum sind langfristige Wachstumsprognosen angebotsorientiert leichter zu erstellen als
nachfrageorientiert?
Einführung in die VWL
11 Wachstum und Konjunktur
S. 229
3)
In der nachstehenden Tabelle ist die Entwicklung des BIP der Bundesrepublik für einige Quartale
angegeben (Quelle: destatis: VGR-Revision 2011):
Bitte beantworten Sie folgende Fragen
a) In welchen Quartalen war die BRD in einer Rezession?
b) Wurde der Outputverlust durch die Rezession wieder aufgeholt?
c) Wenn Sie sich das Diagramm des Konjunkturzyklus ansehen - wo befand sich die BRD im
zweiten Quartal 2011?
d) Angenommen, die Konjunktur verläuft so, wie das Schaubild (Abb. 11.3) es idealtypisch
unterstellt. Was erwarten Sie für die nächste Zeit?
Tabelle 10.1 BIP-Entwicklung (2006-2011; Quartalszahlen, indexiert)
Jahr Quartal
2006 1 .Vj
2.Vj
3.Vj
4.Vj
2007 1 .Vj
2.Vj
3.Vj
4.Vj
2008 1 .Vj
2.Vj
3.Vj
4.Vj
2009 1 .Vj
2.Vj
3.Vj
4.Vj
201 0 1 .Vj
2.Vj
3.Vj
4.Vj
201 1 1 .Vj
2.Vj
BIP
saison- und
kalenderbereinigt
2005=100
1 01 .76
1 03.30
1 04.29
1 05.56
1 06.25
1 06.87
1 07.80
1 08.07
1 09.23
1 08.81
1 08.38
1 06.03
1 01 .78
1 02.1 0
1 02.93
1 03.68
1 04.21
1 06.24
1 07.08
1 07.59
1 09.04
1 09.1 7
S. 230
10 Wachstum und Konjunktur
Karl Betz
4)
Viele Staaten bauen derzeit ihre Budgetdefizite ab. Welche Wirkungen könnte dies auf die
Konjunktur haben?
5)
Kann die Konjunkturentwicklung das Wachstum beeinflussen?
Einführung in die VWL
12 Antworten auf die Anwendungsfragen
S. 231
12 Antworten auf die Anwendungsfragen
Dieser Abschnitt gibt nur Lösungshinweise, denn ansonsten besteht die Gefahr, daß die
Lösungen nur zur Kenntnis genommen werden, statt daß Sie die Aufgaben selbst bearbeiten.
Kapitel 1
1)
Sie müssen die Nutzeneinschätzung (60 €) und die Opportunitätskosten vergleichen.
(a) Opportunitätskosten = 85 € - nicht fahren.
(b) (c) Opportunitätskosten = 55 € - fahren. (Hinweis: Wichtig ist der Nettonutzen aus dem Job, also
Lohn minus Ekel.)
2)
1050
3)
Andernfalls ließen sich die Gewinne ja (durch Kostensenkungen) weiter steigern.
4)
Überlegen Sie: Wird wegen der längeren Öffnungszeiten wohl mehr gekauft? Beim einzelnen
Laden? In der Volkswirtschaft insgesamt? Was geschieht mit den Kosten?
5)
(d)
Geld
10
8
6
6
4
4
2
2
2
-
-
-
Bier
-
1
2
-
3
2
4
2
-
5
3
1
Korn
-
-
-
1
-
1
-
1
2
-
1
2
S. 232
x Antworten auf die Anwendungsfragen
Karl Betz
6)
3 Geisterbahn, 1 Riesenrad, 3 Achterbahn
Hinweis: Sie müssen ausrechnen, wie viel Nutzen ein weiterer € stiftet. Achtung: Die Attraktionen
kosten nicht alle gleich viel.
Regeln: Wahl zwischen Alternativen, Opportunitätskosten, Wahl der Alternative, die man für die
beste hält, Marginalkalkül
7)
Opportunitätskosten: Selbst wenn Sie zum Mittagessen eingeladen wurden: Sie können in dieser
Zeit nichts anderes tun. Bspl: Ihre Freundin lädt Sie ins Kino ein. (Natürlich zeitgleich zum WMEndspiel ...)
8)
Zunächst mal könnte er eine von den anderen Ratsmitgliedern abweichende Theorie haben und
daher zu anderen Diagnosen und Empfehlungen kommen.
Nicht selten sind bei abweichenden Meinungen unterschiedliche Interessen im Spiel - so sind einige
Sachverständige zu Rentenfragen Auftragnehmer der Versicherungsindustrie und viele Institute
werden von Interessengruppen bezahlt (abgesehen von Böckler / IMK (Gewerkschaften) praktisch
alle von der Industrie: Das IW Köln wird vom Bundesverband der Industrie finanziert, die Stiftung
Neue Soziale Marktwirtschaft gehört zum Bertelsmann Konzern, andere leben von Aufträgen aus
der Industrie ...). Aber das heißt nicht unbedingt, daß die betreffenden Ökonomen lügen: Die
Auftraggeber sorgen halt dafür, daß die Ökonomen eingestellt werden, deren Position ihnen paßt.
Kapitel 2
Allgemeiner Hinweis zu den Dimensionen. Man kann entweder mit "realistischen" Zahlen
rechnen, oder man wählt die Dimensionen einfach so, daß man mit kleinen Werten rechnen kann.
Beispiel: x = 50 Millionen Streichhölzer.
1)
a) 20.
b) Die Produktivität ist gestiegen, aber die Beschäftigung gefallen. Wenn sich die Einkommensverteilung nicht geändert hat, liegen die Löhne jetzt bei 120 und und die Gewinne bei 30.
2)
p* = 3; x* = 1
3)
Streichhölzer: Unendlich elastisch (jedenfalls: sehr flach). Grundstücke: vollständig unelastisch.
(Arbeits-) Angebotsfunktion für SHK-Tätigkeiten an der FH? elastisch. Die Angebotsfunktionen der
Studienbücher? Unendlich elastisch. Die Angebotsfunktion für das Skript zu diesem Kurs?
Unendlich elastisch bei einem Preis von Null.
Allgemeiner Hinweis: Wenn Sie einen andren Verlauf annehmen, ist das völlig in Ordnung, so
lange Sie diesen plausibel begründen.
4)
Ja. CO2 entsteht durch den Verbrauch von Benzin. Sie müssen sich also die Nachfragekurve
ansehen. Wenn sich außer dem Preis nichts ändert, bewegen Sie sich auf der Kurve.
Einführung in die VWL
12 Antworten auf die Anwendungsfragen
S. 233
5)
a) p* = 0,4; Milch* = 1,9
b) ÜAT = 2,5 - 1,5 = 1
c) Es entsteht ein Druck auf die Preise. Entweder bildet sich ein Schwarzmarkt oder die
Bauern müssen einen Teil der Milch weg kippen.
d) Der Staat muß die Milch zu 1 · 0,5 € aufkaufen (und vernichten).
e) Überlegen Sie selbst.
Kapitel 3
1)
Der Preis und die Menge sinken.
2)
(a) Verschiebung der NE. Preis und Menge sinken.
(b) Verschiebung der NE nach Kartoffeln. Preis und Menge sinken.
(c) Die Rohstoffe für die Wodka Herstellung werden billiger. Das Angebot an Wodka steigt. Der
Preis sinkt weiter, die Menge steigt wieder etwas.
(d) Orangensaft, Tomatensaft, Tomaten, Gewächshäuser, Glasproduktion ...
3)
(a) x* = 12; p* = 2
(b) p* = 2,7; x* = 17,6
Hinweis: Hintergrundinformation: Zwerge tragen Zipfelmützen (Quelle: Schneewittchen). Und
sie sind geizig: Normalweise würden sie keine neuen Klamotten nachfragen (Quelle: Tolkien, Der
kleine Hobbit). Sie sehen also: Als Ökonom reicht es nicht, zu rechnen. Sie müssen sich mit -ihrem
Untersuchungsgegenstand schon auskennen. Die 7 Zwerge fragen – egal zu welchem Preis –
zusammen 7 Mützen nach. Diese 7 müssen Sie bei der NE addieren. Eigentlich müßten Sie die NE
bei 7 nach oben abknicken lassen, denn egal wie hoch der Preis auch ist, 7 werden immer verkauft.
Die Funktionen laufen aber so, daß der Schnittpunkt weiter im elastischen Bereich der NE liegt.
4)
(a) p* = 20.000; x* = 15.000
(b) p* = 20250; x* = 15375. Von den 1000€ finanzieren 250 € höhere Preise. Den Nachfragern
bleibt von der Subvention ein Vorteil in Höhe von 750 €.
(c) Neuwagen: Ein Teil der Nachfrage wird vorgezogen werden – im Folgejahr ist die Nachfrage
geringer als ohne Subvention. Am Gebrauchtwagenmarkt bricht die Nachfrage im Jahr der
Subvention ein. (Im Fall der ´Verschrottungsprämie bricht dort außerdem für längere Zeit das
Angebot ein.)
5)
(a) p* = 4000; x* = 600
(b) Die neue Menge ist gegeben. Sie müssen also die Differenz zwischen Nachfrage- und
Angebotspreis bei dieser Menge bestimmen: t = 900. (bb) Nein.
(c) 540 Zertifikate. Marktpreis: 900.
S. 234
x Antworten auf die Anwendungsfragen
Karl Betz
6)
Sie müssen im Hinterkopf haben, daß eine elastischere Kurve eine geringere Steigung hat
(flacher verläuft). Und Sie sollen daran denken, daß der Vergleich im Ausgangsgleichgewicht
startet. Die neue Kurve muß also durch den ursprünglichen Gleichgewichtspunkt verlaufen.
Sie sollten dann auf das Ergebnis kommen, daß die unelastischere Marktseite den größeren
Anteil der Steuerlast trägt.
(a) Im ersten Fall die Nachfrager, im zweiten die Anbieter.
(b) Die unelastischere Marktseite wird von der Steuer stärker getroffen.
7)
Der Schlüssel zur Antwort besteht in der Überlegung, daß Ihre Zahlungsbereitschaft für die erste
Pizza höher ist als für die zweite, dritte und so weiter. Da die Steuer nur auf die erste Pizza gezahlt
werden muß, geht sie in die Überlegung, ob ich auch noch eine zweite will nicht mehr ein. Daher
wird die Nachfragekurve in der Nähe des alten Gleichgewichtspunktes nicht berührt sein und am
Marktergebnis ändert sich nichts.
8)
Die Kurve des gesellschaftlichen Nutzens verläuft oberhalb der privaten NE. Folglich würde
vom Markt weniger Bildung bereitgestellt, als gesellschaftlich wünschenswert.
Studiengebühren erhöhen die Kosten der Bildung und senken daher die bereitgestellte Menge.
9)
Der Wert des Papiers ist nach einer Woche: mit 95 % iger Wahrscheinlichkeit 106 und mit 5%
Wahrscheinlichkeit Null. Damit ist der Erwartungswert: 100,7 und sie erwarten eine Verzinsung von
0,7% pro Woche. Das sind rund 44% pro Jahr.
Durch die Steuer sinkt der erwartete Wert in einer Woche auf 99,7.
Kapitel 4
3)
G' = E' – K' = 0 ==> K'(x) = p. Die Angebotsfunktion ist die Gewinnmaximierungsbedingung
aufgelöst nach x. (Also die Umkehrfunktion der Grenzkostenfunktion).
Bei unvollständiger Konkurrenz hinge auch der Preis von der Menge ab. Wegen p = p(x) würde
die Erlösfunktion zu E = p(x) · x und damit verändert sich die Gewinnmaximierungsbedingung zu:
p – x · (dp/dx) = K'(x)
4)
A: GK = 5
konstante SE Langfristig
p=5
B: GK = 1/(√x)
steigende SE Kurzfristig
nein, (natürliches) Monopol
C: GK = x
Fallende SE
x=p
Kurzfristig
Fixkosten sind irrelevant – fallen beim Ableiten raus.
5)
Der steckt in den (Opportunitäts-)Kosten
6)
Einführung in die VWL
12 Antworten auf die Anwendungsfragen
S. 235
Überlegen Sie mal: Fallen langfristig überhaupt (Rein-)Gewinne an? Und wenn nur die
Opportunitätskosten in der Angebotskurve stecken: Was wir wohl passieren, wenn man versucht,
darauf eine Steuer zu erheben? Wer trägt also wohl die Steuer?
Kapitel 5
1)
Denken Sie ans Normieren. Die fpf kriegen Sie, in dem Sie die Pp-Gleichung durch p teilen und
umformen.
2)
a) w/p = 1 ==> r = 1 (100%); w/p = 3 ==> r = 0
b) r = 0,5 ==> w/p = 2; r = 0,2 ==> w/p = 2,6
3)
a) XAT: p = 1,6; w/p = 2,5
b) p = 1,76; w/p = 2,5
c) p = 2; w/p = 2
4)
Die neue Technik ist ab einem (1+r) > 2 (= für einen Reallohnsatz unter 1) überlegen.
5)
(a) Die neue Technik ist durchgängig überlegen.
(b) Es sind drei Ergebnisse möglich: Entweder steigt nur r oder es steigt nur w/p oder es steigt
beides. Den möglichen Bereich finden Sie, in dem Sie von der alten Verteilung waagrecht und
senkrecht das Lot auf die neue fpf fällen.
(c) xAT: p ≈ 0,53
6)
Ziehen Sie einfach die Steuern vom Output ab und berechnen Sie die fpf neu. Sie verschiebt sich
nach innen.
7)
a) Eine Verbot macht nur Sinn, wenn die Technik auch eingesetzt wird. Eingesetzt wird sie nur,
wenn ihre fpf auf der Umhüllenden liegt und sie beim aktuellen (1+r) überlegen ist. Durch das
Verbot rückt die Umhüllende nach innen und folglich sinken r und /oder w/p.
b) Gleiche Antwort wie in Kapitel 3.
Kapitel 6
Verständnisfragen
2) 4%; 3) 25
S. 236
x Antworten auf die Anwendungsfragen
Karl Betz
Anwendungen
Für Fragen dieses Typs gilt: Sie haben AAT und KAT. Da AAT vom Reallohn abhängt und KAT vom
Realzinssatz, müssen Sie die beiden Größen ineinander überführen können.. Sie brauchen deswegen
erst einmal die Faktorpreisgrenze.
1)
Hier ist die Produktionspreisgleichung:
0,2 · p · (1+r) + 0,4 · w = p
Die fpf erhalten Sie, in dem Sie die beiden Seiten der Produktionspreisgleichung durch p teilen
und nach (1+r) oder nach (w/p) auflösen.
(1 + r) = 5 · [1 - 0,4 · (w/p)] = 5 - 2 ·(w/p)
bzw.
(w/p) = 2,5 · [1 - 0,2 · (1 + r)] = 2,5 - 0,5 ·(1 + r)
Jetzt kommt es darauf an, ob Sie das Kapitalmarkt- oder das Arbeitsmarktgleichgewicht ausrechnen sollen. Sollen sie das Kapitalmarktgleichgewicht bestimmen, müssen Sie aus der A AT die KNE
bestimmen. Wollen Sie das Arbeitsmarktgleichgewicht, müssen Sie aus der KAT eine ANE machen.
2)
Mache aus der KAT eine ANE:
r = 100 ==> KAT = 8; ANE = 16; w/p = 1,5
r = 200 ==> KAT = 16; ANE = 32; w/p = 1
Allgemein:
ANE = 2 · KAT = 2 ·[0,2 · (1 + r) · 20] = 4 · (1+r) = 4 · [5 - 2 ·(w/p)] = 20 - 4 · (w/p)
3)
Mache aus der AAT eine KNE:
(w/p) = 0,5 ==>
AAT = 10; KNE = 5; (1+r) = 4 {oder 400%; r = 3 (300%)}
(w/p) = 1 ==>
AAT = 20; KNE = 10; (1+r) = 3
Allgemein:
KNE = 0,5 · AAT = 10 · (w/p) = 10 · [2,5 - 0,5 ·(1 + r)] = 25 - 5 · (1+r)
Jetzt müssen Sie halt die Marktgleichgewichte ausrechnen. Das können Sie schon seit Kapitel 2.
Nur ist am Arbeitsmarkt die Menge jetzt halt A und der Preis (w/p) und am Kapitalmarkt ist die
Menge K und der Preis (1+r).
4)
A* = 100/6; w/p* = 5/6; K* = 50/6; (1+r)* = 20/6
5)
Y = x1 = 250/6; W = 500/36; Q = 1000/36
6)
250/6 > 20; ==> Y ist gewachsen: In der neuen Periode ist der Anfangsbestand höher. Daher
wird das Kapitalangebot (und daher die Arbeitsnachfrage) höher sein. Der Reallohnsatz, die
Beschäftigung und Y werden steigen, (1+r) wird sinken.
Einführung in die VWL
12 Antworten auf die Anwendungsfragen
S. 237
7)
Die Beschäftigung und der Reallohnsatz sinken. Die freiwillige Arbeitslosigkeit steigt an, die
unfreiwillige Arbeitslosigkeit ist nach wie vor Null.
Kapitel 7
1)
a) PDP: 105; PLS = 92,5; πDP = 5%; πLS = -7,5% b) Keiner der beiden.
2)
Bei Bedarf sehen Sie bitte nochmal in Kapitel 6.1.1 nach.
3)
a) 88000; 87840; b) 85131 c) vgl. Abschnitt 7.3
4)
a) gPY = -3,39%; b) π = 0,38%; c) 2317,58 d) 2240,28 e) gY = -3,75% f) Überlegen Sie: Was
wäre, wenn die Preise gefallen wären (π < 0)?
5)
Schauen Sie sich bei Bedarf nochmal Abschnitt 7.4 an.
6)
Vgl. Abschnitt 7.1
Kapitel 8
1)
mit D für Depositen, Kr für Kredit, V für Verbindlichkeiten und Res für Reserven:
a)
Bank
100 Kr
b)
Zentralbank
28 KrBank
20 Bargeld
8 D Bank
100 D
Bank
8 Res
28 VZB
100 KrPub
80 D
Publikum
100 D
100 V
Publikum
20 Bargeld
100 Vbank
80 D
2)
a)
Zentralbank
72,5 KrBank 50 Bargeld
22,5 D Bank
Bank
22,5 Res
500 KrP
72,5 VZB
450 D
Publikum
50 Bar
500 V
450 D
ba) Das geht hier schlicht nicht: soviel Zentralbankgeld ist ja nicht da: Das System bricht
zusammen. Soll weniger abgehoben werden, müßten die Banken ihre Kredite reduzieren. Damit
würden zugleich die Depositen sinken. Und damit würden Reserven frei, die als Bargeld ans
Publikum gegeben werden können.
S. 238
bb)
x Antworten auf die Anwendungsfragen
Zentralbank
167,5 KrBank 150 Bargeld
17,5 D Bank
Bank
17,5 Res
167,5 VZB
500 KrPub
350 D
Karl Betz
Publikum
150 Bar
500 V
350 D
3)
Hinweis für die Diskussion: Lender of last Resort: Die Nachfrage des Publikums nach
Zentralbankgeld (und der Banken nach Reservehaltung) war gestiegen. Durch diese Ausweitung
von Z stieg M nicht an.
4)
Im ersten Schritt gibt die Notenbank Z an den Staat.
- Der Staat gibt es aus, es landet bei den Banken.
- Die Banken müssen es (Zins auf die Notenbankkredite) wieder an die Notenbank zurückgeben.
- Weder Z noch M sind durch den Vorgang gewachsen.
(Voraussetzung ist natürlich, daß es sich um Gewinne und nicht um Bestandsumbewertungen (Gold,
Devisen) handelt. Daher werden letztere im ESZB auch nicht ausgeschüttet, sondern in den
Ausgleichsposten aus Neubewertungen eingestellt.)
5)
vgl. 8.2.2
6)
vgl. Ende 8.2.2
7)
a) 10; b) 10%; c) 20%; d) ∞; e) Sollte klar geworden sein.
8)
vgl. 8.2.3
9)
vgl. 8.3
Kapitel 9
1)
Vgl. die Einleitung zu Kapitel 9
2)
Vgl. 9.1.2.2
3)
a) Vgl. Skript. b) 400 c) Beschäftigung: 20; Arbeitslosigkeit 10
4)
a) A* = 14; (w/P)* = 42; Y* = 140; w = 42; Q = 98
Einführung in die VWL
12 Antworten auf die Anwendungsfragen
S. 239
b) (w/P)min = 2,5 (einsetzen von A* in AAT); (w/P)max = 3,75 (einsetzen von A* in ANE). Unter 2,5
bekommen die Unternehmen nicht genug Arbeitskräfte, über 3,75 würden Sie Verluste machen.
c) 1,5 d) An der Beschäftigung würde sich nichts ändern. Nur die Gewinne würden steigen.
5)
Die Steuern. Falls Sie was anderes haben, schlagen Sie nochmal in 9.4 nach.
6)
Falls Sie Schwierigkeiten haben, schlagen Sie bitte nochmal in 9.1.2.2 und im Exkurs 9.3 nach.
7)
a) NX muß steigen. b) Nicht vor der Erfindung des WARP-Antriebs.
Kapitel 10
1)
IS: Y = [1/(1-c)] · (Co + Io - b · i) = 4 · (150 - 80 · r) = 600 - 320 · r
2)
Um 50 Einheiten nach außen.
3)
Hinweis: Die IS-Kurve in 1) ist eine Gerade. Wenn sie also nicht auf die Antwort kommen, dann
rechnen Sie in 1) die y-Werte für zwei unterschiedliche Realzinssätze aus - sage 0,05 und 0,1 - und
zeichnen Sie die Kurve in ein Diagramm. Wiederholen Sie dies einmal für einen kleineren und
einmal für einen größeren Wert von c. Die Antwort können Sie dann im Diagramm ablesen.
4)
a) rZB = 4% +3% + 0,02% · (Y - YT) + 2 · (πT - π) =einsetzen=>
rZB = 4% + 3% + 0,02% · (-100) + 2 · (2%) = 9%
b) einfach noch für ein weiteres Y berechnen und die Kurve durch die beiden Punkte legen.
5)
Die Senkung des Budgetdefizits verschiebt die IS-Kurve nach links. Deswegen landet man auf
der gleichen MP-Kurve bei einem niedrigeren Zinssatz.
6)
Formal: Die Bundesbank verschob die MP Kurve nach oben und die Regierung die IS-Kurve
nach rechts. Die Regierung wollte die Arbeitslosigkeit bekämpfen und die Bundesbank wollte sie
erzeugen, um die Inflation zu bekämpfen. Die Bundesbank hat gewonnen.
7)
Vgl. 10.4.2
8)
Arbeitsauftrag. Keine Musterlösung.
S. 240
x Antworten auf die Anwendungsfragen
Karl Betz
Kapitel 11
1)
a) 1%; b) 3%; c) -1% und 1 Prozent Punkt.
2)
Vgl. Abschnitt 11.2.3
3)
a) 2008.II bis 2009.I; b) vgl.11.4 c) Boom, Ende des Aufschwungs; d) Beginnender Abschwung
4)
G sinkt (oder T steigt). Staatliche Nachfrage geht zurück: Wachstum wird gedämpft.
5)
vgl. 11.4