Kollege Alex Wolf

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Kollege Alex Wolf
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Kollege Globetrotter
Text
Manuel Arnu
Fotos
Manuel Arnu
Archiv Alex Wolf
Ein Wolf mit zwei Revieren
Kollege Globetrotter
Alexander Wolf, tätig bei Globetrotter
in Bonn, ist in zwei Welten zu Hause:
In den Bergen und Steppen Kasachstans,
wo er seine Kindheit verbrachte und das
Bergsteigen im Sowjet-Stil erlernte;
Und in den Wäldern und auf den Flüssen
des Rheinlands, die er am liebsten mit
seiner Familie erkundet.
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E
Es rappelt mächtig im Karton. Die große Pappbox im Lagerraum
wackelt, dann späht ein blonder Wuschelkopf mit einem Michelaus-Lönneberga-Gesicht aus der Kiste. »Mischa, was machst du
da?«, ruft Alex Wolf, 32 Jahre alt, aus dem Aufenthaltsraum.
»Mich verstecken…«, kommt es aus der Kiste zurück.
Nach der Schule war Mischas Mittagsbetreuung ausgefallen und ausnahms­
weis­e darf er die Zeit bei Papa verbringen – in der Bonner GlobetrotterFilial­e. Die Matheaufgaben hat Mischa bereits gelöst und sämtliche Bärenund Wolfsbücher in der Buchabteilung durchstöbert. Nun setzt sich der
Spiel- und Bewegungsdrang eines Siebenjährigen durch, dem sonst
langweili­g wird. Ein viel besserer Spielplatz wäre die freie Natur. Dort ist
Mischa Wolf so oft wie möglich, denn auch für Papa Alex gibt es neben
seine­r Familie kaum etwas Wichtigeres als Natur und Sport.
Spaltenbergung in der Turnhalle
In Kasachstan kam
Alex (2. von links)
zum Bergsport.
Sein Name lässt es nicht vermuten, aber Alexander Wolf kommt aus einer
anderen Welt. Er ist Russlanddeutscher, geboren in Kasachstan, dem neuntgrößten Land der Erde. Ganz weit im Osten, in Semipalatinsk wuchs er auf,
die Grenze zu China und der Mongolei war nur ein paar Hundert Kilometer
entfernt. Der ukrainische Boxer Wladimir Klitschko wurde in Semipalatinsk
geboren und in der Nähe erprobte die sowjetischen Armee Atom­waffen.
Viel mehr weiß man hierzulande nicht über Semipalatinsk.
Kasachstan ist geprägt von Steppen, Halbwüsten, Wäldern und Hügeln. Im
Süden ragt das über 7000 Meter hohe Tian-Shan-Gebirge in den Himmel.
Und obwohl die nächsten Berge über 1000 Kilometer von Semipalatinsk
entfernt sind, wurde Alexander Wolf Bergsportler. Ein Lehrer gründete den
Bergsportklub Taganai, benannt nach einem Berg im Ural. Die meisten Klub­
mitglieder waren Schüler aus Semipalatinsk, darunter auch Alex.
Bergsport in der Sowjetunion unterschied sich damals erheblich vom
Kletter­n und Bergsteigen, wie es in Westeuropa bekannt war. Bergsport
war in erster Linie Wettkampf. Schwierigkeiten und Kletterrouten waren
zweitrangig, entscheidend war das reibungslose Zusammenspiel der Seilschaft. »Es gab Aufgaben, wie die Bergung eines Verletzten. Wer es in der
schnellsten Zeit schaffte, war Sieger«, erzählt Alexander. »Spaltenbergung,
Sicherungen in Wänden bauen, Seilbrücken knüpfen und sechs Personen
mit Gepäck auf Zeit hinüberschaffen. Das konnten wir in der Steppe und in
unserer Sporthalle üben. Wir haben Seile gespannt und jede Handbewegung tausendmal trainiert, bis es im Schlaf klappte.«
Zu den Wettkämpfen ging es nach Almaty im Tian-Shan-Gebirge oder nach
Shymkent, Alexander Wolf war 13 Jahre alt. Es folgten erste Bergtouren mit
Übernachtung im Schnee. »Das war richtiges Bergsteigen, wir Jugend­­
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Kollege Globetrotter
Alex reist regelmäßig nach Kasachstan, schätzt
aber auch die Outdoor-Reviere seiner Wahlheimat.
»Alles war so aufgeräumt, geordnet und
eng! Besonders cool fand ich Rolltreppen
und selbst öffnende Türen.«
GPS und SAP bei der Arbeit, in der Freizeit lieber JWD.
lichen haben es als Spiel gesehen, nur die Trainer waren echte Bergsteiger
und wussten, auf was sie sich einließen.« Klettergurte und Rucksäcke waren
selbst genäht, geklettert wurde mit alten Statikseilen. Und weil es keine
Sonnencreme gab, bastelten sich Alex und seine Kameraden Masken aus
Mullbinden als Schutz gegen die Höhensonne.
Zwischen 45 Grad plus und 45 Grad minus
Zwei Jahre später, 1994, nach Glasnost und Perestroika: Die Welt war im
Umbruch. Alexanders Welt ebenfalls. Er ließ Großeltern, Onkel und Tanten
in Kasachstan zurück und zog mit seinen Eltern nach Duisburg. Es war ein
gewaltiger Kontrast, von der kasachischen Steppe in eine der größten und
am dichtesten besiedelten Metropolregionen Deutschlands. In Semi­
palatins­k hatte es kalte Winter mit bis minus 45 Grad und heiße Somme­r
mit bis plus 45 Grad gegeben. In Duisburg jammerten die Leute über
Schneematsch – oder »Affenhitze«, wenn es mal über 30 Grad ging.
Dennoch war der junge Alexander beeindruckt: »Alles war so aufgeräumt,
geordnet und eng! Besonders cool fand ich Rolltreppen und selbst öffnende
Türen.« Alex, 15 Jahre alt, sprach kein Wort Deutsch. »Ich musste erst die
Sprache lernen, um kommunizieren zu können. Nach einem Jahr begann
ich, Gleichgesinnte zu suchen.« Die fand er in der Jugendabteilung des
Deutschen Alpenvereins DAV, Sektion Duisburg. »Meine Lehrerin hat mir
damals geholfen, Adressen rausgesucht, die Leute angerufen. Seit 1995 bin
ich beim DAV.«
Mit der Jugendabteilung fuhr Alexander zum Klettern, Bergsteigen und
Paddel­n. »Der DAV war für Jugendliche extrem günstig. Dank finanzieller
Unterstützung ging es für 20 Euro ins Frankenjura zum Klettern. Ich habe
nur wenige Wochenenden zu Hause verbracht, ansonsten war ich immer
auf Achse«, erzählt er. Später wurde Alex selbst Jugendleiter, organisierte
Hüttentouren mit Kindern in den Alpen, versuchte sich an Höhlen in Österreich, erkundete den skandinavischen Winter mit Ski und Pulka.
Schon als Kind hatte Alexander einen Traumberuf: Förster. Als Erwachsener
machte er sich an die Umsetzung. Seine Frau Dina studierte Geografie und
machte Alex auf einen Studiengang in Bonn aufmerksam: Agrarwissenschaften mit dem Schwerpunkt Naturschutz und Landschaftsökologie. In
Bonn fand Alex auch bald einen Nebenjob – als Aushilfe bei Globetrotter.
»Das funktionierte gut, als Studenten hatten wir auch viel Zeit für Mischa«,
erzählt Alex. »Aber mit der Diplomarbeit wurde alles anders. Ich war viel im
Labor, Dina war wieder schwanger und jemand musste ja die Familie
ernähre­n.« Alex übernahm bei Globetrotter eine volle Stelle und schloss das
Studium ab. Mit Arbeitsplätzen für Agraringenieure sah es in der Region
aller­dings nicht gut aus. Aber wegziehen kam für Alex nicht infrage, auch
nicht ein Vertreterjob für Saatgut oder Pflanzenschutzmittel, bei dem er
sein­e Familie nur an den Wochenenden zu sehen bekäme. Also beschloss
er, bei Globetrotter zu bleiben.
Im Job digital, privat analog
Ein guter Deal: Für Alexander wurde das Hobby zum Beruf und Globetrotter
bekam einen Bergsportexperten und Agraringenieur in Personal­union. »Das
ergänzt sich gut«, sagt Alexander, »mit dem Rheinland und der Eifel habe
ich mich viel beschäftigt und kann den Kunden auch Tipps für schöne
Toure­n direkt vor der Haustür geben. Das kommt sehr gut an.«
Alexander wirkt sehr ausgeglichen, in seinen klaren Augen liegt Gelassenheit. Das ist sicher auch ein Grund, warum er im Beruf – neben der Tätigkeit
im Verkauf – auch Aufgaben übernommen hat, bei
denen eine ruhige Hand und Übersicht gefragt sind:
Seit zwei Jahren ist er zusammen mit Filialleiter
Michae­l Büchel als Expert User für die SAP-Software
der Filiale zuständig. Alex überwacht den gesamte­n
Warenstrom, die Bestellungen, Umlagerungen,
Sonder­bestellungen und Reklamationen. Davo­r war
Alex schon GPS-Spezialist, ist also vertraut mit
Elektroni­k, Software und der digitalen Revolution.
Priva­t hat er es allerdings lieber analog: »Blogs,
Faceboo­k, Digital­fotografie, das ist nichts für mich. Da
vertrödelt man so viel Zeit am Computer. Die verbringe ich lieber draußen mit der Familie.«
Die Kinder stehen dabei im Mittelpunkt: »Die beiden
saugen viel davon auf, was ich ihnen unterwegs zeige
und erzähle. Mischa kennt sich schon gut aus mit
essbare­n und nützlichen Dingen im Wald und auch
auf dem Acker.« Mischa ist seit dem ersten Lebensjahr
mit auf Tour, im Kanu, beim Wandern, Radfahren oder
Klettern. Mittlerweile teilen Vater und Sohn viele
Leidenschafte­n : die Kletterhalle, im Herbst Pilze
sammel­n, Angeln und im Zelt übernachten. Alexander
lacht: »Mein Plan war von Anfang an, mir meine
eigene­n Tourenbegleiter zu erziehen.«
Das scheint ganz von allein zu klappen. Alexander erzählt stolz eine Angelstory vom Rhein: Er musste kurz
zum Auto. Als er zurückkam, hantierte Mischa
hektisc­h herum – aha, der Sohnemann hat wohl keine
Geduld, dachte Alexander. Aber dann entdeckte er,
dass an der Kinderangel aus dem Globetrotter-­
Sortiment eine stattliche Barbe baumelte. »Mischas
erster Fisch – wir waren beide mächtig aufgeregt!«
Wer mit kleinen Kindern auf Achse ist, erlebt nicht nur
glückliche Momente. Bei einer Reise nach Kasachstan
bekam Mischa, damals erst ein Jahr alt, auf dem
Rückwe­g hohes Fieber. »Wir hatten Flugtickets, aber
die Plätze waren noch mal verkauft worden, in
Russlan­d und Kasachstan keine Seltenheit«, erinnert
sich Alex. »Wir saßen in einer fremden Stadt, kannten
niemanden und wussten nicht, wie wir nach Hause
kommen sollten. Mischa ging es wirklich schlecht.
Aber dann erklärten sich andere Eltern bereit, ihre
größeren Kinder im Flieger auf den Schoß zu nehmen
– sechs Stunden lang! Wir bekamen deren Plätze und
flogen heim. Mischa wurde im Krankenhaus sofort an
Ohr und Kopf operiert.«
Träume in der Warteschleife
Trotz dieses Schreckens würde Alexander niemals auf
Reisen und Touren mit den Kindern verzichten, denn
die gemeinsamen Erlebnisse halten die Famili­e
zusamme­n, da ist er sich sicher. Alexander träumt von
einer Reitwanderung in Skandinavien oder einer
Wohn­mobiltour bis ans Nordkap. »Man kann fast alles
machen, solange man auf die Kinder eingeht und die
eigene­n Erwartungen runterschraubt.«
Was empfiehlt Alexander anderen Outdoor-Eltern
noch? »Statt viel Geld für Kinderwagen und Buggys
auszugeben, kann man sich einen Chariot-Transporter
anschaffen, der ist Kinderwagen, Fahrradanhänger,
Skipulka und Jogger in einem. Da haben Kinder und
Eltern ihren Spaß.« Und für die Motivation der Kleinen
ginge nichts über Bücher: »In unseren Buchsortiment
haben wir locker 50 Titel, die auch Kinder faszinieren:
über Knotenkunde, Angeln, Baumhausbau,
Orientierun­g und ›Die 100 gefährlichsten Dinge und
wie man sie überlebt‹, haha.« Immer im Gepäck der
Wolfs sind zudem die Sams-Bücher von Paul Maar.
Eines Tages werden die Kinder eigene Wege gehen.
Was macht Alex dann? »Kein Problem«, lacht er,
»dann werde ich anfangen, die Träume zu ver­­
wirkliche­n, die momentan in der Warteschleife sind:
mit dem Fahrrad bis zum Schwarzen Meer radeln oder
mit dem Kajak den Irtysch hinunterpaddeln.«
Irtysch? Nie gehört. »Das ist ein Nebenfluss des Ob,
der auch durch Kasachstan fließt. Er ist 4000
Kilomete­r lang.«
Es ist schön, dass Alexander Wolf jetzt in zwei Welten
zu Hause ist.
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Mit Mischa und Alexandra: Die gemeinsamen Erlebnisse, sagt Alex, halten die Famili­e zusammen.