Der Stadtschulrat für Wien informiert

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Der Stadtschulrat für Wien informiert
I-JOURNAL
Der Stadtschulrat für Wien informiert
Juni 2014
I-JOURNAL Mai 2014
Das Bild vom Schüler James auf dem Titelblatt zeigt
Meine Perspektive - meine Welt
ein Kunstprojekt der 8. Klasse der Hans Radl Schule
mehr dazu ab Seite 68
Das Bild auf der letzten Seite zeigt
Gs[ch]ichteln
ein gruppenübergreifendes Zeichenprojekt im SPZ Hoefftgasse
mehr dazu ab Seite 62
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I-JOURNAL Mai 2014
Inhalt
Sehr geehrte Leserinnen und Leser!...........................................................................................................................................4
Liebe Leserin, lieber Leser!.........................................................................................................................................................5
Integration an der AHS?..............................................................................................................................................................6
Fragen, die WIR uns täglich stellen (müssen).............................................................................................................................9
Checkliste zur schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) .............13
Pädagogik und Liebe, Arbeit und Kunst....................................................................................................................................18
Psychotherapie und Beratung bei Menschen mit Asperger-Syndrom.......................................................................................19
Colines Welt hat tausend Rätsel...............................................................................................................................................20
Überraschend anders - Mädchen & Frauen mit Asperger.........................................................................................................22
Lehrgang „Autismus-Spektrum-Störungen: Förderung und Begleitung nach dem TEACCH Ansatz”......................................24
Diversity Management in Schulen (DiMiS) © Kaluza/Schimek.................................................................................................26
Kompetenzorientierung im Bereich der inklusiven Pädagogik – Theoretische Impulse und Erfahrungswerte..........................32
Gesellschaftliche Einstellungen zu Behinderung und Beeinträchtigung...................................................................................38
Die besondere Förderung von Kindern mit emotionalen und sozialen Problemen ..................................................................40
„EXPERIMENT DIVERSITY“ - ein Projekt zum Thema Diversität.............................................................................................44
5. Internationales Alfred Dallinger-Symposium.........................................................................................................................48
Motivate us!...............................................................................................................................................................................50
Ein neues „Therapeutisches Material“ - oder bloß ein Stückchen Stoff?..................................................................................52
E-Learning - The Scottish Way..................................................................................................................................................58
Comeniusprojekt “It‘s my life!“...................................................................................................................................................59
Copy&Paste - Wie passt Kulturelle Bildung zur Berufsvorbereitung?.......................................................................................61
Singen als Ersatzsprache – der Einsiedlerchor.........................................................................................................................65
Gs[ch]ichteln..............................................................................................................................................................................66
Meine Perspektive - meine Welt................................................................................................................................................72
MUSIKUNTERRICHT- Spaß und Förderung............................................................................................................................76
EINFACH TANZEN - Haltung einnehmen und bewahren
......................................................................................................77
Angebote des Vereins „Integration Wien”..................................................................................................................................81
Down-Syndrom Österreich - Projekt Schulbox..........................................................................................................................82
Leserbriefe................................................................................................................................................................................86
Liebe Leserin! Lieber Leser!......................................................................................................................................................87
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I-JOURNAL Mai 2014
Sehr geehrte Leserinnen und Leser!
Herzlich willkommen zur neuesten Ausgabe des I-Journals. Die Vielfalt der Artikel ist beeindruckend und
mit Stolz darf auf die verschiedenen Beiträge verwiesen werden. Sie bieten einen hervorragenden Eindruck
von der Arbeit im inklusiven sonderpädagogischen Bereich.
Neben dem I-Journal möchte ich auch auf die neueste Auflage des „Leitfadens Inklusion, Integration
und Sonderpädagogik“ aufmerksam machen. In diesem werden auf Basis der bestehenden Gesetze die
aktuellen Durchführungsformen im 17. und 18.IB vorgestellt. Die jeweils aktuelle Version finden Sie unter
www.lehrerweb.at/stadtschulrat-fuer-wien/sonderpaedagogik/17-inspektionsbezirk/integration/.
Die Schullandschaft ist vielfältig – ganz besonders im Integrations- und Inklusionsbereich. Ich halte als zuständiger Landesschulinspektor sehr viel von der Ermöglichung verschiedener schulorganisatorischer Varianten. Ganz besonders freut es mich, wenn mit September 2014 einige Schulen in Wien mehrere Schularten unter einem Dach und einer Schulleitung vereinen – ein sehr wichtiger Schritt für diese Standorte – ein
noch größerer in Hinblick auf eine inklusive Schulkultur. Diese Standorte sind: Steinbrechergasse (1220),
Leopoldsgasse (1020), Hammerfestweg (1220), Hernalser Hauptstraße (1170), Zinckgasse (1150). Diese
Erweiterung wurde gesetzlich durch eine Novelle des Schulorganisationsgesetzes ermöglicht. Übrigens:
Die Lernwerkstatt Brigittenau nützt bereits im zweiten Jahr die organisatorische Variante, eine Volksschule
mit einer Neuen Mittelschule in einem Haus zu verbinden.
Dennoch darf daraus nicht abgeleitet werden, dass das Ende der Sonderschule in Wien bevorsteht. Ich halte es hier mit Clemens Hillenbrand, der folgert: „Der Auftrag zur Etablierung eines inklusiven Bildungssystems wird nach UN-Konvention und der Begrifflichkeit der UNESCO … keinesfalls durch die Auflösung der
Förderschulen und die Aufnahme aller Schüler mit Behinderung in die Allgemeine Schule erfüllt, sondern
durch die Erfüllung der Bedürfnisse der Lernenden.“
Genau dieser Punkt interessiert mich ganz besonders. In welchem Umfeld und in welcher Organisationsform wird man den einzelnen Kindern und Jugendlichen am besten gerecht? So verschiedenartig die
Ansprüche und Bedürfnisse sind, so differenziert muss auch das Angebot sein. Es ist nicht entscheidend,
ob ein Integrationsplatz zur Verfügung gestellt wird, sondern wie dem Kind konkret pädagogisch begegnet
werden kann. Das Maß dafür ist die Entfaltung der persönlichen Selbstwirksamkeitserfahrung und die Vermeidung aller diskriminierenden Aspekte. Auf das Leitbild, nachzulesen im Leitfaden, darf an dieser Stelle
verwiesen werden.
Auf die Beiträge zum Thema Autismusspektrumsstörung in dieser Ausgabe möchte ich gesondert hinweisen. Ich gehe davon aus, dass besonders in diesem Bereich spezielle pädagogische Kenntnisse vonnöten
sind und ich werde daher die Möglichkeiten zur Professionalisierung verstärken.
Nehmen Sie es mit Immanuel Kant und sehen Sie Ihr pädagogisches Wirken im Lichte des Satzes aus der
Einleitung der kleinen Schrift „Über Pädagogik“:
„Der Mensch kann entweder bloß dressiert, abgerichtet, mechanisch unterwiesen,
oder wirklich aufgeklärt werden.“
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen angeregte Stunden.
Rupert Corazza
Landesschulinspektor für Inklusion
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I-JOURNAL Mai 2014
Liebe Leserin, lieber Leser!
In den Wiener Schulen wird hervorragende Arbeit geleistet.
Ein Satz, den ich in letzter Zeit in den Pressemeldungen der verschiedenen Tageszeitungen oft sehr vermisse. Täglich engagieren sich Menschen in unseren Schulen, um Kindern eine pädagogisch hochwertige
schulische Betreuung zu ermöglichen. Kinder, die ganz besondere Herausforderungen mitbringen, brauchen ganz besondere Lehrer/innen.
Schön, dass es sie so zahlreich gibt!
Ich konnte mich in den letzten Wochen in einigen Sonderpädagogischen Zentren von der außerordentlichen Qualität der dort geleisteten Arbeit überzeugen. Umso mehr freut es mich, über einige Personen und
Projekte, die ich kennenlernen durfte, nun in der neuesten Ausgabe des I-Journals lesen zu dürfen.
In diesem Sinne - Vor den Vorhang!
PSI Mag.a Gudrun Schützelhofer
Pflichtschulinspektorin „Sonderpädagogische Zentren für integrative Betreuung“
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I-JOURNAL Mai 2014
Integration an der AHS?
„Wie bitte? Integrationsklassen in einem Gymnasium?
Ich habe gar nicht gewusst, dass es das gibt. Geht das
denn? Und wenn ja, wie?“
Das sind zumeist die Reaktionen und Aussagen von
Menschen, denen wir erzählen, dass wir Sonderschullehrerinnen in einer Integrationsklasse im Gymnasium
sind.
Ehrlich gesagt, unsere Reaktion war ganz ähnlich, als
wir das erste Mal davon erfuhren.
In ganz Österreich gibt es gerade einmal eine Hand voll
Gymnasien, in denen Integrationsklassen geführt werden.
Kein Wunder, dass wir beide keinen Moment gezögert
haben, als uns die Stelle als Sonderschullehrerinnen im
GRG 23 Vbs, angeboten wurde. Und wir haben es seit
dem keinen Moment bereut.
Vor 17 Jahren wurde am GRG 23 Vbs die erste Integrationsklasse eröffnet. Damals lief dies erst einmal als
Schulversuch. Da dies ein großer Erfolg war und auf
großen Zuspruch traf, war zwei Jahre später die Integrationsklasse kein Schulversuch mehr, sondern fixer
Bestandteil des GRG 23 Vbs.
Zurzeit haben wir in der Unterstufe zwei Integrationsklassen (2. und 3. Klasse). Die 2. Klasse wird von Mag.
Christian Hochmeister in Zusammenarbeit mit SL Mag.
Ursula Bernauer B.Ed. geleitet, und die 3. Klasse führen in Kooperation Mag. Harald Granitzer und SL Anja
Raab, B.Ed.
Ganz besonders wichtig ist die reibungslose Zusammenarbeit zwischen den FachlehrerInnen und Sonderschulpädagoginnen. Es erfordert ein hohes Maß an Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft. Kurz gesagt,
eine der wichtigsten Voraussetzungen für qualitativen
Unterricht in Integrationsklassen ist Teamarbeit!
In den Lehrerteams beider Klassen sind momentan sowohl KollegInnen, die bereits seit vielen Jahren in Integrationsklassen unterrichten, als auch LehrerInnen,
die davor nur wenig bzw. keinerlei Erfahrung in Integrationsklassen gemacht haben, tätig. Die Möglichkeit,
dass auch „neue“ AHS-LehrerInnen ins Team kommen
können/sollen, bringt den Vorteil, dass die Scheu vor
dem „Unbekannten“ abgebaut wird und sie erfahren, wie
integrativer Unterricht geplant wird und stattfindet.
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I-JOURNAL Mai 2014
Der Unterricht wird durch die Fachlehrer erteilt, wobei
der/ die IntegrationslehrerIn schwerpunktmäßig die sonderpädagogische Förderung übernimmt.
Die Integrationsschüler können, je nach Beeinträchtigung, nach ASO-Lehrplan (Lehrplan der Allgemeinen
Sonderschule) oder nach S-Lehrplan (Lehrplan für
schwerstbehinderte Kinder) beurteilt werden. Diese Beurteilung erfolgt durch die/den dafür zuständige/n IntegrationslehrerIn.
Die übrigen Schüler der Klasse werden nach dem Lehrplan der AHS unterrichtet und beurteilt.
Einer der vielen Vorteile einer Integrationsklasse ist,
dass durch die Anwesenheit und Mitarbeit einer zweiten
Lehrperson in der Klasse, individueller und gezielter gefördert werden kann. Egal ob nun SchülerInnen mit oder
ohne sonderpädagogischem Förderbedarf.
Manchmal gibt es Situationen, in denen eine Trennung
in Schülergruppen auf Grund der sehr unterschiedlichen
Aufgabenstellung notwendig ist. Diese Trennung muss
aber nicht unbedingt eine Trennung nach behinderten
und nichtbehinderten SchülerInnen sein. Das Hauptaugenmerk liegt immer auf der Gemeinsamkeit im Unterrichtsgeschehen.
Ansonsten unterscheidet sich das Schulleben nicht sehr
von den herkömmlichen AHS-Klassen. Die Integrationskinder nehmen genauso an Schulveranstaltungen teil. In
der ersten Klasse fahren wir auf Kennenlerntage, in der
zweiten und dritten Klasse auf Schikurs und in der vierten Klasse steht, je nach jeweiligem Fach des Klassenvorstands eine Sprachreise oder Sportwoche auf dem
Programm.
Einen Schwerpunkt in den Integrationsklassen bilden
besonders soziale Aktivitäten und Projekte. Teamwork
wird groß geschrieben und die wöchentliche Klassenvorstandsstunde bietet die Möglichkeit des Austausches
und der Planung gemeinsamer Aktivitäten.
Eine weitere Besonderheit unserer Schule ist die schulische Integration blinder und sehbeeinträchtigter SchülerInnen.
Im Schuljahr 2007/2008 kam der erste blinde Schüler zu uns an die Schule. Seitdem werden regelmäßig
sehbeeinträchtigte SchülerInnen in unserem Gymnasium aufgenommen. Soweit dies möglich ist, werden sie
in eine der Integrationsklassen aufgenommen. Auch in
herkömmlichen AHS-Klassen sind SchülerInnen mit ei-
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I-JOURNAL Mai 2014
ner ausgeprägten Sehschwäche. Zwei vollblinde Schüler besuchen mittlerweile die Oberstufe, wobei einer
von beiden bereits im nächsten Schuljahr bei uns maturieren wird. Durch technische Unterstützung und
spezielle Aufbereitung des Lehrstoffs und der Unterrichtsmaterialien durch die FachlehrerInnen und Fr.
Prof. Thon (unsere Blinden- und Sehbeeinträchtigten Pädagogin), können diese SchülerInnen dem Unterricht folgen und die Anforderungen bewältigen. Außerdem werden sie in zusätzlichen Förderstunden durch
einen Fachlehrer oder die Blinden- und Sehbeeinträchtigtenlehrerin unterstützt.
Mit ein paar Fotos einiger Projekte bzw. Aktivitäten möchten wir unseren Bericht ergänzen.
SL Anja Raab B.Ed
SL Mag. Ursula Bernauer, B.Ed
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Fragen, die WIR uns täglich stellen (müssen)
Dialog zweier Sonderpädagogen, die als Integrationslehrer an der AHS Schmelz tätig sind
Inwieweit ist ein gemeinsames Leben und Lernen im Sinne eines sozialen Miteinanders möglich und organisierbar?
Silvester Katzer:
Eine grundlegende Überlegung für die Integration an AHS-Klassen ist das Weglassen eines separaten Raumes, in dem ausschließlich Kinder mit Behinderung unterrichtet werden. Wir wenden viel Zeit
auf und beobachten soziale Gefüge innerhalb der Klasse, um die zu integrierenden Kinder in immer
neuen Sitzplänen mit dem Rest der Klasse zu „durchmischen“. Der Vorteil liegt auf der Hand: Die
Klasse sieht sich selbst als Ganzes und nicht als Klasse mit zusätzlichen I-Kindern. So gestaltet sich
auch die Unterrichtstätigkeit in der Art, dass alle Kinder gemeinsam an Unterrichtsinhalten teilhaben,
jeder seinen Fähigkeiten entsprechend.
Dieses ganzheitliche Empfinden wird durch verschiedene Aktivitäten auf Klassen- oder Schulebene
gestärkt. So gibt es auf Klassenebene beispielsweise die gemeinsame Teilnahme an Lesenächten
oder Projektwochen, in denen Schülergruppen Spiele entwerfen und umsetzen oder Kurzfilme planen
und drehen. Alles geschieht, ohne einzelne Kinder aus dem sozialen Gefüge der Klasse auszugliedern. Auf Schulebene finden Aktivitäten wie gemeinsam besuchte Schikurse klassenübergreifend
statt.
Matthias Bischoff:
Um gemeinsames Leben und Lernen zu ermöglichen, braucht es vor allem eines: Den Willen dazu!
Um gemeinsames Leben und Lernen zu organisieren, müssen Angebote gesetzt werden, die ein solches ermöglichen. Als praktikable Möglichkeiten dies umzusetzen, erlebe ich als besonders wirksam,
gemeinsame Aktionen wie Kennenlerntage, Abschlusstage sowie im Laufe des Jahres Lesenächte
anzubieten. Im alltäglichen Schulleben ist auf die Wahl des Sitzplanes besonderes Augenmerk zu
legen. Um bestmögliche Integration zu gewährleisten, werden die I-Kinder, wie alle anderen Kinder
der Klasse, in die Sitzordnung einbezogen und nicht zentriert oder konzentriert in ein „Eck“ der Klasse
gesetzt.
Ebenso beziehe ich meine Integrationsarbeit in die Pausengestaltung mit ein. Gerade in dieser Zeit
ist es mir möglich, einen spielerischen Zugang zueinander mit kooperativen Spielen zu schaffen.
Dies ist ein lustbetontes Angebot, dem sich Kinder anschließen können. Eine weitere Möglichkeit
gruppendynamisch zu arbeiten, bietet sich im Fach Bewegung und Sport, in dem es mir möglich ist,
psychomotorische Einheiten einzubauen.
An meine Grenzen in der integrativen Arbeit stoße ich jedoch in der außerschulischen Freizeitgestaltung. Es ist leider nicht möglich, Kinder mit Schwerstbehinderten Lehrplan zur hausinternen Nachmittagsbetreuung anzumelden und sie müssen so das Angebot des SPZ in Anspruch nehmen. Ebenso
ist es schwierig, Einladungen zu diversen Geburtstagsfeiern von Mitschülern und Mitschülerinnen zu
organisieren.
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Welche Rolle nehmen Sonderpädagogen in der AHS-Integration ein?
Bischoff:
Der Sonderpädagoge bietet eine Konstante, sowohl menschlich als auch organisatorisch, von der
ersten bis in die vierte Klasse. Diese kontinuierliche Präsenz ist im System AHS einzigartig und wird
sowohl von Eltern und SchülerInnen geschätzt. Der Vorteil der Nähe zu den Jugendlichen ermöglicht
mir eine Begleitung von gruppendynamischen Prozessen und Entwicklungen, bietet die Chance als
Regulativ zu wirken. Problematiken werden nicht verschleppt, man steht als Ansprechperson, die alle
Kinder der Klasse gut kennt, zur Verfügung. Essentiell ist natürlich die Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung mit allen KollegInnen in allen Fächern. Neben den positiven Möglichkeiten der Position
erlebe ich aber auch täglich die Anstrengung der Unmittelbarkeit. Organisatorisch mühsam erlebe ich
die Zwischenposition zwischen dem Sonderpädagogischen Zentrum (welchem ich unterstellt bin) und
den Erfordernissen der AHS (an der ich arbeite). Zusätzlich demotivierend empfinde ich – trotz vieler
produktiver Momente – die sich von meinen KollegInnen an meinem Dienstort unterscheidenden Bezahlungs- und Anstellungsverhältnisse.
Katzer:
Wir Sonderpädagogen sind in den Klassen deutlich mehr als „nur“ das Lehrpersonal für Kinder mit
Behinderung. Wir sind immer die erste Ansprechperson für ALLE Kinder. Da wir die komplette Unterrichtszeit innerhalb der Lehrverpflichtung in unseren Klassen verbringen, reagieren wir unmittelbar
auf Probleme, Wünsche und Beschwerden von Kindern sowie von Eltern. Wir schlichten Streits,
bereden, klären und leiten gegebenenfalls auch weiter. In vielerlei Hinsicht gleicht unsere Tätigkeit
derjenigen der Klassenvorstände, mit denen wir eng zusammenarbeiten. Doch obwohl wir unseren
Dienst zu 100 Prozent in der AHS versehen und Ansprechpersonen für AHS Kinder sowie Kindern
mit Behinderung gleichermaßen sind, ist unsere Entlohnung davon nicht betroffen. AHS und Sonderschule sind in dieser Hinsicht klar getrennt.
Was bringt AHS-Integration für AHS-Kinder und für die Gesellschaft?
Katzer:
Die Integration von Kindern mit teils schwerer Behinderung in die AHS ist für viele AHS-Kinder eine
neue, manchmal von Berührungsängsten geprägte Erfahrung. Nicht alle Kinder finden den Gedanken, Kinder mit schwerer Behinderung in der eigenen Klasse zu haben, neben ihnen zu sitzen und
den Unterricht mit ihnen gemeinsam zu erleben, zu Beginn als grundsätzlich erfreulich. Doch gerade
diese Kinder sind es, denen sich, so der Lehrkörper aufmerksam darauf reagiert, besondere und
neue Perspektiven eröffnen können. In der eigenen Klasse ist ein „Scheuklappendenken“, in dem
schwere Behinderungen eventuell ausgeblendet werden, nicht möglich. Schritt für Schritt und mit viel
Einsatz der Lehrkräfte entsteht hier das vorhin beschriebene ganzheitliche Gefühl der Klasse.
Kinder, die eine AHS-Integrationsklasse absolviert haben, sehen Menschen mit Behinderung im Laufe ihres weiteren Lebens – so die Überlegung – mit anderen Augen, gehen ihnen offener entgegen
und können sie als wertvollen und natürlichen Teil der Gesellschaft sehen, sei es im täglichen, öffentlichen Umgang oder beispielsweise bei der Einstellung und Zusammenarbeit in Firmen, Betrieben etc.
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Bischoff:
AHS-Kinder in Integrationsklassen müssen sich Tag für Tag (in einem leistungsorientierten System)
mit Kindern mit schwerer Behinderung auseinandersetzen und erleben dabei eine andere Art der
Wertschätzung. Plötzlich treten andere Werte und Wichtigkeiten in den Mittelpunkt. Ein gemeinsames
Lernen und Leben wird zu einem zentralen Punkt.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Schüler einer Integrationsklasse in Zukunft in Entscheidungspositionen
in unserer Gesellschaft tätig werden, ist in keinem Integrationssystem so hoch wie in jenem der AHSIntegration. Somit werden die über vier Jahre gelernten und gelebten Werte auch in diese Positionen getragen und können dort gelebt werden. SchülerInnen erleben jeden Tag, welche Fähigkeiten
und Fertigkeiten Kinder mit schwerer Behinderung trotz ihrer Beeinträchtigung haben. Menschen mit
Behinderung sollen in Betrieben nicht als Ballast gesehen werden, den es leicht durch Abschlagszahlungen abzuwerfen gilt, sondern als Teil einer Belegschaft, der mit seinen Fähigkeiten zum Erfolg
beitragen kann.
AHS-Integration – Gesamtschule durch die Hintertür?
Bischoff:
Dem muss ich widersprechen, den Vorgaben einer Gesamtschule steht entgegen:
Die Aufnahme von Kindern mit teilweiser Lehrplanzuordnung der Allgemeinen Sonderschule (ASO
bzw. Teil ASO) scheint in diesem System nicht organisierbar. Ebenso können Kinder mit ASO-Lehrplan mit hohen Leistungssteigerungen nicht (auf den nächsthöheren) Hauptschullehrplan umgestuft
werden. Weiters: Ein Kind, dem nicht die AHS-Reife seitens der Volksschule ausdrücklich und schriftlich bescheinigt wurde, kann demzufolge dann auch nicht in eine AHS-Integrationsklasse aufgenommen werden. Um dem Bild einer Gesamtschule entsprechen zu wollen, bräuchte es Kinder aus dem
leistungsmäßigen Mittelbau, eine Durchlässigkeit des Systems ist in der AHS-Integration für mich
nicht gegeben.
Katzer:
Die Integration innerhalb der AHS bietet keine „Angriffsfläche“ für diejenigen, die vermuten, die AHS
würde sich dadurch in Richtung Gesamtschule entwickeln. Warum?
Ein Kind mit Behinderung wird in der AHS nach einem eigenen Lehrplan unterrichtet, dem Lehrplan
der Allgemeinen Sonderschule oder dem Lehrplan der Sonderschule für schwerstbehinderte Kinder.
Ein Kind, das eine AHS als Integrationsschülerin bzw. Integrationsschüler besucht, hat diese Lehrplanzuordnung ausnahmslos in jedem Schulfach. Eine Aufhebung dieser Zuordnung in einzelnen
Unterrichtsgegenständen ist nicht möglich, da nur eine Aufstufung in den Lehrplan der Hauptschule/
Kooperativen Mittelschule umzusetzen wäre. Dieser kommt in einer AHS nicht zur Anwendung.
Der zu beachtende Schwachpunkt dieses Umstandes ist jedoch der Ausschluss von denjenigen Kindern, die in nur wenigen oder einem einzelnen Unterrichtsgegenstand zum Lehrplan der Allgemeinen
Sonderschule zugeordnet sind. Diesen Kindern bleibt der Gang in die AHS-Integration verwehrt.
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Wie funktioniert gemeinsamer Unterricht von Kindern mit teils schwerer und
Kindern ohne Behinderung?
Katzer:
Um einen sinnvollen, zielführenden Unterricht für die ganze Klasse gewährleisten zu können, gibt
es in den einzelnen Integrationsklassen regelmäßige Teamsitzungen: Von Klassenvorständen und
Sonderpädagogen angeleitete Gesprächsrunden zum Austausch von Informationen über relevante
Entwicklungen innerhalb der Klassen, wie auch zur Abstimmung von Unterrichtsinhalten.
Diese Unterrichtsinhalte sind es, die wir Sonderpädagogen innerhalb der Klasse meist vielfach differenzieren müssen. Es gibt gerade unter Kindern mit Behinderung, teilweise mit unterschiedlichen
Lehrplanzuordnungen, kaum vergleichbare Entwicklungsstände. Die individuellen Fähigkeiten und
Fertigkeiten variieren mitunter so stark, dass die meiste Zeit jedes einzelne Thema im Unterricht auf
mehreren Arten und in verschiedenen Variationen gleichzeitig dargeboten werden muss. Diese mehrfache, gleichzeitige Differenzierung sich gleichender Inhalte ermöglicht ein gemeinsames Arbeiten
und Lernen aller Kinder.
Bischoff:
Lernen am gleichen Thema ist oberstes Prinzip. Stunden werden ohne Ausnahme im gemeinsamen
Klassenraum gestaltet.
Themen werden in Absprache mit der/dem jeweiligen AHS-Kollegin/en vorbereitet und mit der gesamten Klasse erarbeitet. Um das besprochene Thema zu visualisieren und in weiterer Folge zu festigen,
werden von mir die Inhalte, abgestimmt auf das jeweilige Lernniveau und den Lerntyp der Kinder mit
Sonderpädagogischem Förderbedarf, vorbereitet. Ebenfalls werden Inhalte aus AHS-Büchern bzw.
Arbeitsblättern von AHS-KollegInnen von mir differenziert aufbereitet, jedoch sehr nahe an Inhalt und
Layout gehalten, um ein Gefühl der Gleichwertigkeit zu gewährleisten. Meine Kompetenzen bringe
ich speziell zur Unterrichtserweiterung bezüglich spielerischer Zugänge und handlungsorientierter
Auseinandersetzung mit den Inhalten ein.
Silvester Katzer, 33, ist nach Abschluss der PÄDAK Wien im zweiten Berufsweg seit
neun Jahren als Sonderpädagoge tätig. Nach mehreren Integrationsklassen an Polytechnischen Schulen und Unterricht in einem Sonderpädagogischen Zentrum arbeitet er
seit 2012 als Integrationslehrer am GRG 15, Auf der Schmelz (2C).
[email protected]
Matthias Bischoff, 28, absolvierte 2011 das Lehramtsstudium für Sonderpädagogik an
der PH Wien. 2011 bis 2013 war er Integrationspädagoge an einer NMS und seit 2013
arbeitet er als Integrationspädagoge am GRG 15, Auf der Schmelz (1C).
[email protected]
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Checkliste zur schulischen Förderung von Kindern und
Jugendlichen mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS)
Die schulische Förderung von Kindern und Jugendlichen mit einer Autismus-Spektrum-Störung zeigt sich
in der Gegenwart in sehr vielfältigen Formen zwischen den Polen der Inklusion und der Separation. Der
aktuellen fachlichen Diskussion folgend, lässt sich dabei weder eine klare Präferenz für inklusive Bildungsangebote noch für die Angebote der Förderschulen unterschiedlicher Förderschwerpunkte beschreiben. Im
Vordergrund steht vielmehr die Suche nach allgemeinen Gelingensbedingungen der schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit ASS, unabhängig vom Förderort. Diese werden als begünstigende
Kontextfaktoren verstanden, die auf den konkreten Einzelfall übertragen einen Beitrag für die gelingende Gestaltung von Bildungsangeboten leisten sollen (Eckert & Sempert 2012, Schirmer 2010, Sautter,
Schwarz & Trost 2012).
Eine Systematisierung dieser Gelingensbedingungen bietet das „Rahmenmodell der schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Autismus-Spektrum-Störungen“ (Eckert & Sempert 2012), das aus
einer Analyse des deutsch- und englischsprachigen Fachdiskurses hervorgegangen ist. Es beschreibt acht
Kernbereiche, deren Berücksichtigung einen Rahmen für die adäquate Gestaltung schulischer Förderung
darstellt (Abb.1). Ausführliche Erläuterungen zu diesem Modell finden sich bei Eckert & Sempert 2012,
2013.
Abbildung 1:
Rahmenmodell der schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Autismus-Spektrum-Störungen
(Eckert & Sempert 2012, S.227)
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Folgend wird eine Checkliste vorgestellt, die basierend auf diesem Modell die Analyse und Reflexion vorhandener bzw. geplanter Angebote der schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit ASS
unterstützt. Mit der Formulierung und Zuordnung von je sechs bis neun inhaltlichen Aussagen zu den acht
Kernbereichen ist ein Instrument mit 60 Items entstanden, das ermöglichen soll, sich der bereits erfolgenden Umsetzung förderlicher Bedingungen bewusst zu werden und zugleich mögliche Handlungsbedarfe aufzudecken. Die einzelnen Items wurden aus der aktuellen fachlichen Diskussion abgeleitet sowie in
adaptierter Form in einer schriftlichen Befragung von Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen in der
deutschsprachigen Schweiz empirisch überprüft (Eckert & Sempert 2013).
Da die schulische Förderung von Kindern und Jugendlichen mit ASS in der Regel einer Spezifizierung sonderpädagogischer Förderung entspricht, sind die relevanten Items teils allgemein sonderpädagogisch, teils
stärker autismusspezifisch geprägt.
Als Anwendungsfelder, in denen die Checkliste im schulischen Kontext zum Einsatz kommen kann, lassen
sich sowohl der Bereich der konzeptionellen Arbeit als auch der konkrete Austausch im Schulteam, in interdisziplinären Runden oder im Gespräch mit den Eltern benennen.
Eine Berücksichtigung des jeweiligen Arbeitskontextes und seiner Besonderheiten ist bei der Nutzung der
Checkliste selbstverständlich im Blick zu behalten. Nicht jedes Item ist in diesem Sinne für jede Form der
schulischen Förderung gleich relevant.
Im Falle der Suche nach Optimierungsmöglichkeiten für die eigene schulische Praxis sollte zudem beachtet
werden, dass Anpassungen stets in adäquaten Schritten erfolgen sollten, z.B. durch die konkrete Fokussierung einzelner ausgewählter Bereiche. Die Zielsetzungen sollten dabei übersichtlich, angemessen und
realisierbar sein, weniger ist manchmal mehr.
Checkliste zur schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen
mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS)
Kategorie: Systematische Förderplanung
1.
Beim Vorliegen einer Autismus-Diagnose werden diagnostische Erkenntnisse als Grundlage für die
autismusspezifische Förderplanung genutzt.
2.
Beim Verdacht einer ASS ohne bislang vorliegende medizinische Diagnose wird eine diagnostische
Abklärung durch Fachpersonen eingeleitet.
3.
In unserer Schule wird eine autismusspezifische Förderdiagnostik durchgeführt (z.B. anhand spezifischer Instrumente wie dem PEP-R).
4.
Die Zuständigkeit für die Entwicklung einer Förderplanung, die auf den aktuellen Lernstand des Kindes zugeschnitten ist, ist geklärt.
5.
Förderpläne für Kinder mit ASS werden bei uns im Team der an der Förderung beteiligten Fachpersonen besprochen.
6.
Die Formulierung der Förderziele und -pläne erfolgt autismusspezifisch.
7.
Ausgehend vom Förderplan und den Förderzielen werden Entwicklungen des Kindes mit ASS regelmäßig überprüft und dokumentiert.
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Kategorie: Individualisierte Unterstützungsangebote
8.
In unserer Schule sind Kenntnisse über die Einsatzmöglichkeiten von Nachteilsausgleichen vorhanden.
9.
Kinder mit ASS erhalten im Bedarfsfall im Unterricht die Möglichkeit, Leistungen in individuell abgestimmter Form zu erbringen (z.B. schriftlich statt mündlich).
10. Klassen- bzw. Schulregeln werden im Bedarfsfall für Kinder mit ASS angepasst (z.B. Pausenaufenthalt im Klassenzimmer).
11. Fachpersonal (Lehrpersonen, Assistenz) wird gezielt mit Blick auf die Besonderheiten des Kindes
ausgewählt.
12. Spezifische Fördermaßnahmen (z.B. sonderpädagogische Begleitung) werden in angemessenem
Maß bereitgestellt.
13. Ergänzende Unterstützungsangebote (z.B. Assistenzstunden, Schulbegleitung) werden in angemessenem Maß bereitgestellt.
14. Kleinere Anpassungen im Schulalltag (z.B. Anpassungen des Klassenzimmers, des Stundenplans),
lassen sich unkompliziert umsetzen.
15. Bei der Entscheidung für die Aufnahme eines Kindes mit ASS an unsere Schule wird auf eine gute
Passung von den Bedürfnissen des Kindes und den Möglichkeiten der Schule geachtet.
16. Übergänge (z.B. Klassenwechsel, Schulwechsel) werden individuell, gezielt und unter Einbeziehung
des Kindes vorbereitet.
Kategorie: Strukturierte Lernumgebungen
17. Tagesstrukturen und andere zeitliche Abläufe werden visualisiert (z.B. sichtbarer Stundenplan, Tagesablauf, Time-Timer).
18. Für Lern- und Arbeitsaufträge werden den Kindern mit ASS Organisationshilfen angeboten (z.B. TaskListen, Aktivitätenpläne, Selbstkontrollen).
19. Arbeitsanweisungen und -anleitungen erfolgen kleinschrittig.
20. Es stehen reizreduzierte (lärm- und ablenkungsarme) Arbeitsplätze für die Kinder mit ASS zur Verfügung.
21. Auftretende Veränderungen des Tagesablaufs oder Arbeitsplans werden frühestmöglich kommuniziert.
22. Klarheit und Eindeutigkeit bestimmen den sprachlichen Umgang der Fachpersonen mit den Kindern
mit ASS.
23. Wiederholungen und Rituale bilden einen wichtigen Bestandteil des Unterrichts.
24. Im Unterricht bzw. in der Gruppe geltende Regeln werden eindeutig und für das Kind mit ASS verständlich kommuniziert.
Kategorie: Spezifische Lehrplananteile
25. Das Training sozialer Kompetenzen (u.a. Regelverständnis, Verstehen sozialer Situationen und Signale) bildet einen wichtigen Anteil der Förderung des Kindes mit ASS.
26. Das Training sozialer Kompetenzen findet nicht ausschließlich in der Einzelsituation sondern auch in
der Gruppe statt.
27. Die Erweiterung kommunikativer Kompetenzen (z.B. Sprachförderung, Unterstützte Kommunikation,
Gesprächsführungstraining) bildet einen wichtigen Anteil der Förderung des Kindes mit ASS.
28. Die Erweiterung kommunikativer Kompetenzen findet nicht ausschließlich in der Einzelsituation son15
I-JOURNAL Mai 2014
dern auch in der Gruppe statt.
29. Vorhandene Spezialinteressen werden in das Unterrichtsgeschehen integriert.
30. Strategien des Umgangs mit Veränderungen, Unvorgesehenem und anderen möglichen Stressoren
werden im Unterricht bzw. im Rahmen der individuellen Förderung erlernt.
31. Anteile aus den autismusspezifischen Fördermaßnahmen werden in den Lehrplan der Gesamtklasse,
-gruppe integriert.
Kategorie: Funktionaler Umgang mit Verhaltensbesonderheiten
32. Hilfreiche pädagogische Maßnahmen zur Verhaltensregulation (z.B. Verstärkersysteme) werden in
der Arbeit mit den Kindern mit ASS eingesetzt.
33. Auf Klassenebene bestehen Absprachen zwischen den Fachpersonen zum Umgang mit leichteren
Verhaltensauffälligkeiten der Kinder mit ASS (z.B. Unruhe) im Unterricht.
34. Es besteht ein individuell angepasstes Krisenkonzept zur Vermeidung von und Reaktion auf gravierende Verhaltensauffälligkeiten von Kindern mit ASS (Aggression, Verweigerung, massive Störung).
35. Angemessene Rückzugsmöglichkeiten für Kinder mit ASS stehen für den Bedarfsfall zur Verfügung.
36. Auch außerhalb der Klasse sind potentiell schwierige Situationen für Kinder mit ASS (z.B. heftige Reaktion auf Körperkontakt) bekannt.
37. Es besteht im Fachteam die Möglichkeit, schwierige Verhaltensweisen des Kindes mit ASS zu besprechen und Handlungsvorschläge zu entwickeln.
Kategorie: Kooperation mit den Eltern
38. Die Eltern des Kindes mit ASS werden in unserer Schule als Experten für ihr Kind wahrgenommen.
39. Die Eltern des Kindes mit ASS werden in kindbezogene Entscheidungen (z.B. Fördermaßnahmen,
Therapievorschläge) gleichberechtigt einbezogen.
40. Es werden regelmäßige Gespräche der beteiligten Fachpersonen und Eltern durchgeführt.
41. Den Eltern steht eine zuständige Ansprechperson zur Verfügung.
42. Bedürfnisse der Eltern nach Unterstützung werden aufgegriffen (durch Austausch, Information oder
Beratung).
43. Es besteht ein gegenseitiger Austausch von Wissen im Umgang mit dem Kind mit ASS.
Kategorie: Berücksichtigung der Peerbeziehungen
44. Der Umgang mit der Verschiedenheit ist den Kindern in unserer Schule vertraut.
45. Das Thema Stärken und Schwächen wird in der Klasse unabhängig vom Thema ASS mit den Kindern
besprochen.
46. Die Kinder, die regelmäßig mit dem Kind mit ASS in Kontakt stehen, wissen über seine Besonderheiten und Unterstützungsbedürfnisse Bescheid.
47. Den Kindern mit ASS stehen ausgewählte Kinder als Ansprechpartner zur Verfügung (z.B. PatenSystem).
48. In die Förderung sozialer Kompetenzen der Kinder mit ASS werden andere Kinder bewusst einbezogen.
49. Bei Gruppenarbeiten oder Lernpartnerschaften wird gezielt auf die Zusammensetzung der Gruppen
geachtet.
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I-JOURNAL Mai 2014
50. Das Kind mit ASS wird auf wenig strukturierte soziale Situationen im Schulalltag (z.B. Pause) vorbereitet.
51. An unserer Schule werden Trainings oder Programme eingesetzt, mit denen die Peer-Beziehungen
gezielt gefördert werden.
Kategorie: Professionalität der Fachkräfte
52. Heil-, sonderpädagogische Arbeit ist innerhalb der Schule konzeptionell verankert.
53. Im Fachteam der Schule besteht ein Basiswissen über ASS.
54. Mehrere Fachpersonen an unserer Schule verfügen über ein breites Fachwissen zum Thema ASS.
55. Bezogen auf die Förderung der Kinder mit ASS findet in unserem Fachteam ein regelmäßiger Austausch der beteiligten Fachpersonen statt.
56. Zuständigkeiten im Rahmen der Förderung des Kindes mit ASS werden innerhalb des Teams klar
abgesprochen.
57. Informationen über außerschulische Betreuungs- und Förderangebote (z.B. über Therapien, Familienentlastung) liegen im Fachteam vor.
58. Es findet eine regelmäßige Zusammenarbeit mit externen Fachleuten (z.B. Therapeuten) statt.
59. Das Fachteam zeigt sich deutlich offen für die schulische Förderung von Kindern mit ASS.
60. Ein ressourcenorientierter Blick auf alle Kinder mit einem besonderen pädagogischen Förderbedarf ist
in unserer Schule selbstverständlich.
Andreas Eckert & Waltraud Sempert
Literatur:
Eckert, A. & Sempert, W. (2012). Kinder und Jugendliche mit Autismus-Spektrum-Störungen in der Schule – Entwicklung eines Rahmenmodells der schulischen Förderung. In: Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbardisziplinen, Heft 3, S.221-233
Eckert, A. & Sempert, W. (2013). Kinder und Jugendliche mit Autismus-Spektrum-Störungen in der Schule – Ergebnisse einer Studie zur Praxis schulischer Förderung in der deutschsprachigen Schweiz. In: Empirische Sonderpädagogik,
Heft 1, S.26-41
Sautter, H., Schwarz, K. & Trost, R. (Hrsg.) (2012). Kinder und Jugendliche mit Autismus-Spektrum-Störung; Neue
Wege durch die Schule. Heilbrunn: Kohlhammer
Schirmer, Brita (2010). Schulratgeber Autismus-Spektrum-Störungen: Ein Leitfaden für LehrerInnen. München: Reinhardt
Kontakt / Zusendung der Checkliste in elektronischer Form:
Prof. Dr. Andreas Eckert, Hochschule für Heilpädagogik Zürich, [email protected]
Erstveröffentlichung in der Zeitschrift Autismus des Bundesverbandes Autismus Deutschland, Heft 2, 2013
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I-JOURNAL Mai 2014
Pädagogik und Liebe, Arbeit und Kunst
Dieses Buch ist anders. Und es rührt mich an. In erster Linie habe ich es aus
der Perspektive eines Lehrers gelesen. Und da kann ich nur sagen: Es sollte
zur Herausforderungs- und Genusslektüre für möglichst viele Lehrer/innen
und Pädagogen/Pädagoginnen werden.
Es ist die Rede vom „Klang des Neubeginns“ - ein leiser, ein intimer Klang.
Er lässt mich innehalten und wirft mich auf mich selbst zurück. Mein eigenes
Skript prägt und fordert mich. Ich höre deutlich: Selbstbildung zuerst! Privates,
das ich zurückhalten möchte, gibt es in der existenziellen Begegnung nicht bei aller notwendigen und wichtigen professionellen Distanz. Dem Du begegne ich ganz - oder eben gar nicht. Präsenz, pure Präsenz ist gefordert.
Und dann taucht Wolf auf, ein Traum von einem Mann: Musiker und frei. Er
gehört ganz selbstverständlich mit in die Geschichte. Mehr sei nicht verraten.
Und nicht zuletzt die Pädagogik: die entschiedene Orientierung am Kind. Schon die Atmosphäre beim
Ankommen auf dem Jagdberg ist von großer Bedeutung. Oft sind es Kleinigkeiten, die entscheiden. Und
gleichzeitig müssen wir als Pädagogen/Pädagoginnen groß denken (lernen): Wirkliche und bedeutsame
Alltagserfahrungen ermöglichen, wirkliche Werkstätten schaffen …
Das Team trägt. Im Team reiben und wärmen wir uns, Schulter an Schulter. Und wenn ich mit einer Situation total überfordert bin, wird mir Rückzug ermöglicht - in den Kopierraum, bei Bedarf in die Arme einer
Kollegin oder zum Direktor. Das Team trägt und fordert zugleich heraus: „Wer Team haben will, muss auch
Team sein.“
Scheitern ist auf dem Jagdberg eine reale Option, Scheitern als Lernweg. Zur Niederlage wird es erst, wenn
ich keine anderen Wege mehr zu gehen bereit bin oder gehen kann, wenn ich nichts mehr hören will vom
Du und gleichzeitig blind werde für die Potentiale der/des anderen. Zu solchen Zeiten wäre wieder das
Team gefragt. In Marion Amanns Buch finde ich, was der Titel verspricht: eine Verbindung von Pädagogik
und Liebe. Ich höre das Herzschlagen von Menschen und sehe kraftvolle Bilder in mir aufsteigen. Ich werde
verzaubert vom stillen „Glück der fünf Minuten“, der Poesie des Augenblicks, und ich atme die freie Luft
eines neuen Jagdbergs. Dank und Respekt der Autorin!
Konrad Müller
Leiter der Sonderschule Götzis
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Psychotherapie und Beratung bei Menschen mit
Asperger-Syndrom
Konzepte für eine erfolgreiche Behandlung aus Betroffenensicht
Die speziellen Voraussetzungen von Menschen mit Asperger-Syndrom bedingen, dass diese auch in einer Therapie berücksichtigt werden. Christine
Preißmann gelingt in ihrem Buch die Verbindung von umfassender Theorie
und Erfahrung. Die Autorin ist Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutin und selbst Asperger-Autistin. Sie versteht die Betroffenenseite anhand
von vielen Beispielen so zu schildern, dass ein großes Verständnis für das
psychische Leiden von Menschen mit dem Asperger-Syndrom entsteht und
zeigt zugleich wie hilfreich begleitende Therapie sein kann und wie stark sie zu
einem gelingenden Leben beitragen kann, wenn ein Mensch in ausreichendem
Maße mit seinen Sorgen wahrgenommen wird und auf der Lösungssuche für
seine Probleme unterstützt wird.
Dem Titel nach scheint es ein einschlägiges Fachbuch für TherapeutInnen zu
sein, aber wie in einer Besprechung der ersten Auflage angeführt wurde, ist
dieses nun in der dritten Auflage erschienene Buch auch für Betroffene, Eltern,
Lehrer und Betreuer von hohem Wert, da es eine große Hilfe zum Verstehen
autistischer Menschen darstellt. Die sehr oft für Menschen ohne Asperger- Syndrom nicht einsehbaren
Nöte von ihren Mitmenschen mit Syndrom sind plötzlich als Alltagssorgen sichtbar und werden damit verständlich.
Den Kernbereich des Buches stellen „Wichtige Themen in Therapie und Beratung“ dar. Folgende Bereiche werden thematisiert: Freundschaft und Beziehungen, Sexualität, Geschlechtsspezifische Beratung,
Wohnen, Schulausbildung, Arbeit und Beruf, Freizeitgestaltung, Gesundheit, Krankheit und Alter, Überforderungssituationen, Krisensituationen, Familienangehörige und sonstige Bezugspersonen und Vermittlung
weiterführender Hilfen.
Lebenswichtige Themen greift die Autorin umfassend auf, als Themen, die für alle Menschen von Belang
sind und von Menschen mit den besonderen Voraussetzungen des Asperger-Syndroms eine spezielle Lösung verlangen. Mit Beispielen belegt sie die notwendige Abarbeitung von Wünschen und Zielen bis hin zur
Trauerarbeit, wenn diese durch den Menschen mit Asperger-Syndrom nicht möglich sind.
Das Buch liest sich wie ein wohlwollender, einfühlender Beitrag zum Verständnis von Bedürfnissen von
Menschen und den Möglichkeiten von Unterstützung durch Sachkenntnis gekoppelt an Empathie.
Ein Buch zum Lesen, Wiederlesen und Verständnis erweitern. Es bereichert, weil es an Erfahrung teilnehmen lässt und zum Verstehen von oft unverständlichem Verhalten führt. Gerade dieser Aspekt macht das
Buch für all jene, die mit Menschen mit dem Asperger-Syndrom arbeiten oder zusammenleben, wertvoll.
Psychotherapie und Beratung bei Menschen mit Asperger-Syndrom
Konzepte für eine erfolgreiche Behandlung aus Betroffenensicht
Autorin: Christine Preißmann
Verlag: W. Kohlhammer Gmbh Stuttgart (2007/ 2013)
ISBN 978-3-17-022629
Besprochen hat das Buch Mag. Margarete Baltl,
Schreibtrainerin und Mentorin für SchülerInnen mit Autismus-Spektrum-Störung.
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Colines Welt hat tausend Rätsel
Der Untertitel dieses Buches heißt: „Alltags- und Lerngeschichten für Kinder und Jugendliche mit AspergerSyndrom“. Ich persönlich würde gerne ergänzen: „mit und ohne Asperger-Syndrom“.
Denn es werden darin Themen behandelt, die auch für „normale“ (bzw. neurotypische) Kinder und Jugendliche oft nicht einfach sind - wobei der große Unterschied natürlich darin besteht, dass diese Lern„Anstrengungen“ für Asperger-Kinder um ein Vielfaches größer sind als für „normale“ Kinder.
Im Mittelpunkt des Buches steht die fiktive junge Autistin Coline, die in Tagebuchform ihre Erlebnisse und
Erfahrungen in herausfordernden Situationen wiedergibt. Wir erleben dabei Coline in verschiedenen Altersstufen, von 5 (also ab dem Alter, in dem nach heutigem Wissensstand erste Anzeichen für Asperger
sichtbar werden) bis 18 Jahren, bei einem Vorstellungsgespräch. Es geht nicht nur um die klassischen einschneidenden Ereignisse in den jeweiligen Lebensabschnitten (Einschulung,
Pubertät, Jobsuche nach der Schule), sondern auch um immer wiederkehrende
gesellschaftliche Situationen (Klassenfahrten, Geburtstags- und Weihnachtsfeiern, Besuch bei Verwandten). Diese Geschichten, in denen wir Coline’s Irritation, meistens gepaart mit Ratlosigkeit, Angst oder auch Wut, erleben, sind
sehr spannend und anschaulich, oft auch sehr humorvoll und selbstironisch
erzählt. Manche dieser Geschichten machen gleichzeitig sehr nachdenklich
und schildern die Ausgrenzung, unter denen Asperger-Kinder und Jugendliche
leiden (z. B. im Kapitel „Mobbing“). Coline’s Geschichten enden jedoch nie
pessimistisch, sondern enthalten einen Ausblick auf mögliche Lösungen. Coline versinkt nicht in Selbstmitleid und Resignation, sondern lässt eine gewisse Einsicht und auch Neugierde erkennen, eine Veränderung in ihrem Leben
auszuprobieren (z.B. einen Einkaufsbummel zu machen, anstatt sich allein in
den eigenen vier Wänden mit ihrem Lieblingshobby zu beschäftigen, oder auch
einen Schulwechsel zu wagen). Vor allem: Auch wenn Coline keine Freunde
hat bzw. sich mit dem Schließen neuer Freundschaften sehr schwer tut - es gibt
immer Menschen, die sie begleiten und ihr geduldig mit Rat und Tat zur Seite stehen. Meistens die Mutter
bzw. der Großvater, in einer anderen Geschichte sind es aber auch Feuerwehrmänner, von deren Hilfsbereitschaft Coline sehr angetan ist.
Eine Geschichte, die mir persönlich besonders gut gefällt, heißt: „Popstars und Top-Models“. Sie ist sehr
humorvoll, aber gleichzeitig auch von einer großen geistigen und weltanschaulichen Tiefe. In dieser Episode ist Nicole drauf und dran, sich selbst „gegen den Strich zu bürsten“, sie will unbedingt so sein wie ihre
Klassenkameradinnen, um „beliebt“ zu werden und versucht Dinge, die ihr total fremd sind. Und das geht
gründlich schief. Aber man merkt, wie Coline ansetzt, ihren eigenen „Stil“ und vor allem ihr Selbstbewusstsein zu finden: Sie will nicht so bleiben, wie sie ist, sie will sich aber auch nicht den anderen total anpassen.
Und sie lernt, dass es völlig ok ist, die eigenen typischen Charaktereigenschaften zu behalten, und dass es
gleichzeitig möglich ist, sich auf manches Ungewohnte einzulassen (shoppen gehen, sich schminken usw.)
und dass sie bei manchen Dingen einfach mehr Zeit braucht als andere.
Diese Erlebnisberichte sind das „Herz“ des Buches. An jede dieser Geschichte schließen sich Texte an, in
denen in Frage- und Antwortform die jeweiligen angesprochenen Themen erklärt werden, verbunden mit
praktischen Verhaltenstipps, wie man mit der jeweiligen Situation am besten umgeht. Dabei geht es zum
einen um Dinge, die auch für neurotypische Kinder erklärungsbedürftig sind, für Asperger-Kinder natürlich
umso mehr (z.B., warum man betet, oder wie man mit Frusterlebnissen umgeht), zum anderen aber auch
um Themen, die neurotypische Kinder ganz automatisch lernen, die aber für Asperger-Kinder erheblich
schwieriger sind, z.B. Begrüßungsrituale, bestimmte Redewendungen, oder auch, was Lächeln bedeutet.
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I-JOURNAL Mai 2014
Offen bleibt die Frage, ob die Personen in Colins direkter Nähe (Mutter, Großvater) um ihr Asperger-Syndrom wissen. Es fehlt jeder Hinweis auf eine Diagnose von Coline. Am Ende des Kapitels „Pop-Stars und
Top-Models“ (Coline ist 14) fragt Coline ihre Mutter besorgt, ob sie (Coline) „normal“ sei; zuvor hat sie sich
selbst unter extremen Anpassungsdruck gesetzt, um so zu werden wie „die anderen“. Aus der weisen Antwort der Mutter könnte man schließen (muss aber nicht), dass sie um Colines Asperger-Syndrom weiß oder
es zumindest ahnt. Coline selber scheint es zu diesem Zeitpunkt nicht zu wissen.
Im Fortsetzungsbuch „Colines Welt hat neue Rätsel“ - ebenfalls sehr empfehlenswert - wird in ähnlicher
Weise Coline als junge studierende Erwachsene beschrieben. Dort ist Coline bereits diagnostiziert; sie
engagiert sich als Betreuerin in einem Autismus-Therapie-Zentrum und trägt sich mit dem Gedanken, sich
gegenüber ihren Mitstudent(inn)en zu „outen“.
Wahrscheinlich ist es sehr klug, dass die „Diagnose-Frage“ im 1. Buch („Colines Welt hat tausend Rätsel“)
offen gelassen wurde, denn so können sich alle Asperger-Betroffene (Noch-Nicht-Diagnostizierte, Frühund Spät-Diagnostizierte, vor allem aber Mädchen und Frauen) mit Coline identifizieren. Und gerade die
sehr lange Dauer des Nicht-Wissens um Asperger während der gesamten Kinder- und Jugendzeit trifft die
tragische Lebenswirklichkeit vieler betroffenen Mädchen und Frauen.
Ein wunderbares und sehr lebensbejahendes Buch, das viele Einsichten und Hilfestellungen, Erklärungen
sowie nützliche Praxis-Tipps bietet und vor allen Dingen Mut macht. Mit diesem Buch hat sich Coline ihren
sehnlichsten Wunsch erfüllt: Freunde zu bekommen. Und ich wünsche ihr, dass sie mit ihren beiden Büchern ganz viele neue Freunde findet, sowohl unter Autisten als auch unter „Normalen“.
Viel Glück, Coline!
Titel: „Colines Welt hat tausend Rätsel“.
Untertitel: „Alltags- und Lerngeschichten für Kinder und Jugendliche mit Asperger-Syndrom“.
Autorinnen: Nicole Schuster und Melanie Matzies-Köhler.
Kohlhammer-Verlag, ISBN 978-3-17-021957-1.
Preis: € 24,90.
Birgit Koerting
* 19.03.1969 in Frankfurt am Main, seit 1970 wohnhaft in Bad Soden am Taunus,
25 Jahre berufstätig als kaufmännische Angestellte, (3 Jahre Betriebsrätin),
seit Oktober 2013 Kirchenmusikstudium in Heidelberg
(nach Insolvenz des früheren Arbeitgebers)
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I-JOURNAL Mai 2014
Erratum: In der Ausgabe November 2013 / Seite 27 hat Frau Dr. Preißmann über ihr Buch selber berichtet - irrtümlich wurde dieser Beitrag Frau Dipl. Päd. Ursula Rief-Cerny, B.A. zugeordnet.
Koll. Ursula Rief-Cerny hat zu diesem Buch eine eigene Rezension geschrieben, die wir somit hier veröffentlichen wollen. Wir bitten, den Irrtum zu entschuldigen. (Anmerkung: Redaktion)
Überraschend anders - Mädchen & Frauen mit Asperger
Dr. Christine Preißmann
Trias Verlag, 2013
Die Autorin Dr. Christine Preißmann, Ärztin und Autistin, hat sich in ihrem neuesten Buch mit speziellen Fragestellungen von Mädchen und Frauen mit der Diagnose Asperger- Syndrom beschäftigt. Sie spannt den
Bogen von der Zeit der Kindheit über die Pubertät bis zum Leben als erwachsene Frau. Besonders widmet
sich die Autorin dem Thema der Diagnostik und des therapeutischen Angebots für autistische Mädchen und
Frauen.
Das Buch ist sehr abwechslungsreich gestaltet. Sachinformationen und Berichte von betroffenen Frauen,
deren Mütter und von Therapeutinnen wechseln sich ab und beleuchten die Problemstellungen von verschiedenen Seiten.
Die Berichte der Autistinnen (heute zwischen 17 und 45 Jahren) sind es, die beim Lesen sehr betroffen
machen. Bei allen Frauen wurden die Diagnose erst sehr spät, meist sogar erst im Erwachsenenalter gestellt. Der dadurch entstandene Leidensweg der Mitautorinnen bzw. deren Familien wird in allen Berichten
geschildert. Durch die Tatsache der späten Diagnostik fehlte es den Frauen sehr lange an entsprechendem
schulischen und therapeutischen Angebot, sowie Verständnis und Unterstützung für ihre jeweilige Lebenssituation. Die Diagnose stellte für alle Betroffenen eine wesentliche Erleichterung dar und führte zu einer
neuen Akzeptanz ihres „Andersseins“.
Wie Frau Dr. Preißmann in ihrem Buch erläutert, sind die Gründe für die späte Diagnostik vielfältig. Autistische Mädchen sind in ihrem Verhalten meist ruhiger, angepasster und kontrollierter als Buben. Sie leiden
eher still vor sich hin und ziehen sich zurück - im Gegensatz zu Buben, die in ihrem Verhalten oft aggressiv
und störend wirken. Darüber hinaus wird im Buch auf die notwendige geschlechtsspezifische Diagnostik für
Mädchen mit Autismus-Spektrum-Störung hingewiesen.
Es werden auch Bereiche behandelt, die die Schule weniger betreffen. Trotzdem führen sie für Pädagogen
zu einem besseren Verständnis für Menschen mit Asperger-Syndrom. Die Bewältigung des Alltags im Erwachsenenalter, Partnerschaft, Sexualität, Kinderwunsch, Arbeit und Beruf sind einige wichtige Aspekte,
die dabei beleuchtet werden. Schließlich werden in dem Buch auch noch autismusspezifische Therapieangebote und Selbsthilfegruppen für Mädchen und Frauen vorgestellt und erläutert.
Als Pädagogin bewegen mich vor allem die durchwegs als negativ wahrgenommenen und belastenden
Schulzeiten der Autorinnen. „Da meine Lehrer merkten, dass ich nicht dumm war, hielten sie meine schlechten Leistungen für Faulheit, was mich anfangs kränkte. Demütigend waren jedoch vor allem die Stunden, in
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I-JOURNAL Mai 2014
denen ich meine Aufsätze als abschreckendes Beispiel vorlesen musste.“ Diese Erfahrungen, die Frau Dr.
Preißmann in ihrer Schulzeit machen musste, gehören hoffentlich der Vergangenheit in unseren Schulen
an.
Es begegnen mir viele engagierte Lehrerinnen und Lehrer, die ihre Schüler/innen individuell fördern und begleiten. Ein Buch wie dieses ist sehr wichtig, um die Welt von Menschen mit Autismus-Spektrum–Störung
besser verstehen zu können.
„Ich fühlte mich eingesperrt in mir selbst. Mein Kopf ist wie eine Zellentür.
Hin und wieder ist sie angelehnt, aber meistens ist sie abgeschlossen.“
(Simone Pinke über die Herausforderungen der Pubertät für ein Mädchen mit Asperger.)
Dipl. Päd. Ursula Rief-Cerny, B.A.
Mentorin für Schüler/innen mit Autismus-Spektrum-Störung
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Lehrgang „Autismus-Spektrum-Störungen: Förderung und
Begleitung nach dem TEACCH Ansatz”
Menschen mit Autismus haben – ganz unabhängig von ihren jeweiligen intellektuellen Fähigkeiten – grundlegende Schwierigkeiten in den Bereichen des sozialen Verhaltens und der Kommunikation. Ihre Verhaltensweisen sind für andere Personen in ihrer Umgebung oft nur schwer nachvollziehbar.
Der TEACCH Ansatz (international anerkanntes und erfolgreiches Konzept, USA) wurde bereitsin den 60er
Jahren von Dr. Eric Schopler gegründet. Er basiert auf entwicklungspsychologischen und kognitiv-verhaltenstherapeutischen Konzepten und bezieht sich auf die individuelle visuelle Strukturierung des (Lern-)
Umfeldes auf unterschiedlichen Ebenen, wobei er dabei die Bedürfnisse und spezifische Wahrnehmung
des jeweiligen Menschen mit Autismus in den Mittelpunkt stellt. Als oberstes Ziel der Förderung und Begleitung gilt, die Person hinsichtlich großmöglichster Selbständigkeit und Maximierung der Lebensqualität zu
unterstützen. Das TEACCH Programm zählt zu den wenigen autismusspezifischen Methoden und ist eines
der erfolgreichsten Förderprogramme für Menschen mit ASS weltweit.
Aufbau/Schwerpunkte der Lehrgangsreihe:
Modul 1: „Autismus-Spektrum-Störungen“
Modul 2: „Der TEACCH Ansatz“
Modul 3: Informelle Förderdiagnostik
Modul 4: Förderdiagnostische Instrumente und Förderplanung
Modul 5: Schwerpunkt: Kommunikation
Modul 6: Praxis-/Reflexionstage
Modul 7: Schwerpunkt: Sozialkompetenz
Modul 8: Schwerpunkt: Umgang mit herausforderndem Verhalten
Vertiefungsmöglichkeit (nicht verpflichtend):
Modul 9: Schwerpunkt: Asperger-Syndrom
Modul 10: Schwerpunkt: Förderdiagnostische Instrumente (PEP-R/PEP-3, AAPEP/TTAP)
•
Zielgruppe
(Fach-)Personen, die Menschen mit Autismus begleiten, MitarbeiterInnen sozial/pädagogischer/therapeutischer Einrichtungen.
•
Start/ZeitlicherRahmen
Gesamtdauer: November 2014 - Mai/Juni 2016
8 Module (jeweils 2 bzw. 3Tage): insgesamt 19 Ausbildungstage
24
I-JOURNAL Mai 2014
•
Veranstaltungsort(e)
Wien und Linz
•
Teilnehmerzahl
12 bis max. 16 Personen
•
Abschluss:
Die TeilnehmerInnen erhalten ein Zertifikat der Caritas Linz und der Österreichischen Autistenhilfe Wien.
•
Hauptreferentin:
Mag.a Patricia Weibold, Dipl. Pädagogin/Sonder-Heilpädagogin, Motopädagogin, Systemischer Coach,
Zusatzqualifikation: Förderung und Begleitung nach dem TEACCH Ansatz (bei Anne Häußler, D). Langjährige Mitarbeiterin der Österreichischen Autistenhilfe Wien und des Zentrums für Entwicklungsförderung (Wiener Sozialdienste), 10-jährige Erfahrung in der Arbeit mit autistischen Menschen u.a. nach
dem TEACCH Ansatz. Internationale Projekt- und Referentinnentätigkeit.
Weitere Referentinnen:
Dr. Anne Häußler , zertifiziert als “TEACCH Certified Advanced Consultant”. Dipl. Pädagogin, Diplompsychologin (USA), 25 Jahre Erfahrung mit dem TEACCH Ansatz, 2-jährige Ausbildung in einem
TEACCH-Zentrum in North Carolina, Studium der Psychologie mit Promotion an der Universität von
North Carolina in Chapel Hil in Zusammenarbeit mit dem TEACCH Programm. Therapeutin in einem
Autismus-Zentrum in Deutschland (2,5 Jahre), danach selbständige Tätigkeit, Aufbau und konzeptionelle Leitung der nach dem TEACCH - Ansatz arbeitenden Therapie und Beratungsstelle von Team Autismus. Internationale Referentinnentätigkeit zu den Themen Autismus und TEACCH, Veröffentlichung
vieler Fachartikel und Bücher.
Mag.a Sonja Metzler, Klinische und Gesundheitspsychologin mit langjähriger klinischer Erfahrung im
Bereich Autismus-Spektrum, Mitarbeiterin der Österreichischen Autistenhilfe seit 2005 (Diagnostik, Beratung, Kriseninterventionen, Therapie, Leitung sozialer Kompetenzgruppen bei autistischen Kindern
und Erwachsenen), wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe »Autismus – Früherkennung«
des Zentrums für Wahrnehmung in St. Gallen/ Schweiz u. a. im Rahmen der laufenden Dissertation,
Projektleitung ACE (Autism Competence Exchange)/ Programm zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit Slowakei – Österreich 2007–2013
•
Anmeldungen/Informationen:
Anmeldungen sind ab Februar 2014 möglich. Nähere Informationen bezüglich Kosten, Lehrgangsinhalte und Anmeldungsmodalitäten erhalten Sie bei der Caritas Linz unter:
[email protected]
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I-JOURNAL Mai 2014
Diversity Management in Schulen (DiMiS) © Kaluza/Schimek
Heterogenität an Schulen ist Realität. Die damit verbundenen individuellen Potenziale (von Lehrer/innen,
Schüler/innen und Leitung) sind als Chance wahrzunehmen und deren Nutzung systematisch zu optimieren (vgl. Stuber 2009, S. 15), um dadurch konstruktiv auf gesellschaftliche Gegebenheiten und zukünftige
Anforderungen reagieren zu können. Darüber hinaus macht die begrenzte Verfügbarkeit von Ressourcen
auch im Bildungsbereich strategische Entscheidungen notwendig. Im Sinne von Chancengerechtigkeit und
Potenzialentfaltung braucht es daher Instrumentarien, die Schulen in der Wahrnehmung und im strategischen Umgang mit Vielfalt anleiten und unterstützen. Diversity Management ist ursprünglich ein Instrument
der Unternehmensführung aus dem Wirtschaftsbereich und bezeichnet unterschiedliche Formen des Umgangs mit Diversität in Organisationen mit dem Ziel durch einen antidiskriminierenden, anerkennenden
Umgang mit Diversität, vorhandene Potenziale als Ressource zu nutzen. Während Diversity Management
bereits seinen Weg aus dem Wirtschafts- in den Hochschulbereich gefunden hat, ist ein Transfer auf die
schulische Ebene bisher ausgeblieben. Für ein Diversity Management in Schulen (DiMiS) wurden im Rahmen unserer Dissertation im Wirtschaftsbereich bereits vorhandene Diversity Management Ansätze entsprechend der Realitäten und Ziele in Bildungsinstitutionen adaptiert und ein DiMiS-Verfahren, mit dem
Anspruch der Praktikabilität und Nützlichkeit für Schulen, entwickelt. Als pädagogisches Tool konzipiert, soll
das DiMiS-Verfahren Schulen im Prozess strategischer Maßnahmenplanung und -evaluation unterstützen.
Im folgenden Artikel werden die Bausteine des DiMiS-Verfahrens beschrieben sowie die konkrete Anwendung an Schulstandorten erläutert.
Was ist DiMiS?
Das DiMiS-Verfahren besteht aus einer Online-Erhebung und einer Diversity Scorecard. Es ist als pädagogisches Tool konzipiert. Über die Befragung von Schüler/innen der 8. Schulstufe soll ein Gesamtbild
der Schule zu vier Bereichen rückgemeldet werden. Das DiMiS-Verfahren erfasst im Rahmen der OnlineErhebung folgende pädagogische Wirkungsfelder:
•
Diversity-Environment-Index (erfasst Umwelteinschätzungen)
•
Diversity-Attitude-Index (erfasst Haltungen)
•
Schulkultur (erfasst Wahrnehmungen)
•
Selbstwirksamkeitserwartung © Jerusalem&Schwarzer (erfasst Selbsteinschätzungen)
Schulstandorte werden durch die Ergebnisse der Online-Erhebung dabei unterstützt, objektivierte Fokussierungen schulischer Diversität vorzunehmen. Auf Basis dieser evidenzbasierten Entscheidungsgrundlagen soll die Erstellung einer Diversity Scorecard zu operationalisierten Maßnahmenplanungen ermöglicht
werden.
Was wird bei DiMiS gemessen?
In der Online-Erhebung werden individuelle Einschätzungen der Schüler/innen hinsichtlich subjektiv empfundener Diskriminierungs- und Anerkennungsmomente zu folgenden Bereichen erfasst:
•
Diversity-Environment-Index: erfasst Umwelteinschätzung hinsichtlich subjektiver Wahrnehmungen
von Anerkennungs- und Diskriminierungsmomenten bezogen auf die jeweilige Diversity-Dimensionen
(21 Items)
•
Diversity-Attitude-Index: erfasst eigene Haltungen und Einstellungen der Schülerinnen und Schüler zu
Diversität in der Schule in der jeweiligen Diversity-Dimension (25 Items)
26
I-JOURNAL Mai 2014
•
Schulkultur: erfasst subjektive Wahrnehmungen zur Schulkultur (8 Items)
•
Selbstwirksamkeitserwartung: erfasst Selbsteinschätzungen zur Selbstwirksamkeitserwartung © Jerusalem&Schwarzer, d.h. dem Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten (10 Items)
•
DiMiS erfasst als Gesamtkonzept alle genannten Parameter für die Umsetzung eines konstruktiven
Umgangs mit Diversität (insgesamt 64 Items)
Der Diversity-Environment-Index und der Diversity-Attitude-Index erfassen subjektiv empfundene Diskriminierungs- bzw. Anerkennungsmomente entlang des „DiMiS - Diversity Dimensionen Rades“ © Kaluza/Schimek.
Dieses wurde in Anlehnung an die Diversity-Modelle von Gardenswartz & Rowe1 und der Universität Wien2
entwickelt.
Abbildung 1: „DiMiS - Diversity Dimensionen Rad“ © (Kaluza/Schimek)
Im Bereich der Schulkultur werden die Einschätzungen der Schüler/innen hinsichtlich einer diversitätssensiblen Schulkultur erfasst. Die Fragen zur Selbstwirksamkeitserwartung, die von Jerusalem und Schwarzer
entwickelt und breit empirisch erprobt wurden, erfassen die Einschätzungen der Schüler/innnen zu ihrem
Zutrauen in ihre eigenen Fähigkeiten. Für den Fragebogen der Online-Erhebung wurden die ausgewählten
Dimensionen an die pädagogischen Anforderungen angepasst. Die Begriffe wurden im Sinne einer altersadäquaten Verständlichkeit wie folgt geändert:
DiMiS-Dimension
Religion/Weltanschauung
Gender
Ethnie
Erstsprache
Soziale Herkunft
Physische und psychische Fähigkeiten
Bezeichnung für Schüler/innen im Fragebogen
Glaube
Geschlecht Mädchen/ Geschlecht Burschen
Herkunftsland
Muttersprache
Familie
Geistige und körperliche Fähigkeiten
Abbildung 2: „DiMiS - Diversity Dimensionen im Fragebogen © (Kaluza/Schimek)
1Vgl.: http://www.gardenswartzrowe.com/about.html
2Vgl.: http://www.univie.ac.at/diversity/dimensions.html
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Wie funktioniert DiMiS?
•
Homepage aufsuchen: www.dimis.at
•
Account anlegen: Die Konzeption des DiMiS-Verfahrens sieht vor, dass einzelne Schulstandorte durch
die Erhebung in den vierten Klassen ein Bild von der Schule erhalten, um dieses im Rahmen von Schulentwicklungsprozessen weiterverwenden zu können. Dazu muss ein Account für den Schulstandort angelegt werden und über diesen die gesamte Befragung aller 4. Klassen erfolgen, damit die Ergebnisse
zusammen ausgewertet werden. Als zweite Möglichkeiten können Lehrer/innen aber auch einen eigenen einzelnen Account
anlegen, um die Erhebung mit einer einzelnen
Klasse oder Gruppe individuell durchzuführen.
Die Anmeldung erfordert
keinerlei personen- oder
schulstandortbezogenen Daten und ist daher
gänzlich anonym. Benutzername und Kennwort können frei gewählt
Abbildung 3: DiMiS-Account anlegen
werden. Das DiMiS-Verfahren ist kostenlos.
•
Codes generieren: Nach Anlegen eines Accounts können in beliebiger Zahl selbstständig
Codes generiert, verwaltet und ausgedruckt werden. Jede/r Schüler/in erhält einen Code,
mit dem die Online-Erhebung durchgeführt werden kann. Über die Vergabe von Codes wird ebenfalls sichergestellt, dass keine personenbezogenen Daten abgefragt werden und dass die Ergebnisse nicht individuell rückverfolgt werden können.
Abbildung 4: Codes verwalten
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I-JOURNAL Mai 2014
•
Durchführung der Online-Erhebung mit Schüler/innen: Auf der Startseite www.dimis.at kann nun
von den Schüler/innen jeweils ihr eigener Code eingegeben werden und durch das Klicken auf „Umfrage
starten“ wird die anonymisierte Online-Befragung von Schüler/innen durchgeführt. Um die Anpassung
an unterschiedliche pädagogische Kontexte (Konzentration, Unterrichtsverlauf, …) zu ermöglichen, ist
es auch möglich, die Erhebung zu unterbrechen und diese mit demselben Code an einem anderen Tag
weiterzuführen.
Abbildung 5: Start Umfrage durch Schüler/innen
•
Kurzinformation: Es folgen einige Kurzinformationen (wie zum Beispiel, dass es um die Meinung von
Schüler/innen geht, dass die Befragung anonym ist usw.), dann beginnt die Online-Erhebung.
•
Bereiche der Online-Erhebung und Ablauf: Die Online-Erhebung ist gegliedert in die Bereiche des
„DiMiS-Diversity Dimensionen Rades“. Links oben ist immer ersichtlich, zu welchem Bereich Fragen
gestellt werden (z.B. Glaube) und was erfasst wird (Umwelteinschätzung). Darunter wird eine Kurzdefinition des verwendeten Begriffes (z. B. zu Glaube: das, woran du glaubst) angeführt. Die Antwortmöglichkeiten haben immer ein vierstufiges Format. Wenn ich im angeführten Beispielsatz finde, dass ich
wegen meines Glaubens ausgeschlossen werde, so kreuze ich „stimmt genau“ an. Für Schüler/innen
deren Lesekompetenzen eingeschränkt sind, gibt es die Möglichkeit, die Sätze durch Abspielen des
Vorleseprogrammes auditiv zu erfassen. Der untere Balken zeigt, wie viele Fragen bereits beantwortet
wurden. Am Ende des Fragebogens ist er vollständig hellblau.
Abbildung 6: Start Umfrage durch Schüler/innen
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I-JOURNAL Mai 2014
•
Rückmeldung der Ergebnisse der Online-Befragung: Das DiMiS-Verfahren sieht eine automatische Auswertung der Ergebnisse vor. Die Visualisierung der Häufigkeiten erfolgt in Form von
Balken. Dabei gibt es die Pole Diskriminierung und Anerkennung.
Starkes Diskriminierungsempfinden
starkes Anerkennungsempfinden
Abbildung 7: Auswertungsbalken Diskriminierung - Anerkennung
Durch Einloggen mit dem eigenen Passwort, das bei der Account-Erstellung angegeben wurde, können die Ergebnisse abgefragt werden. Die Ergebnisse sind nach den Gruppen des „DiMiS – Diversity Dimensionen Rad“ geordnet und summieren die Anzahl der Nennungen. Die Ergebnisse sind bereits umkodiert und können so wie sie ausgewertet wurden, abgelesen werden.
Abbildung 9: Auswertungsbalken Beispielfrage
Im angegebenen Beispiel zur Gruppe Glaube (Umwelteinschätzungen) haben sechs Schüler/innen eine
starke subjektive Wahrnehmung von Diskriminierung. Sie fühlen sich wegen ihres Glaubens ausgeschlossen. Zwei Schüler/innen haben die Frage mit „stimmt eher“ beantwortet. Vier Schüler/innen fühlen sich
aufgrund ihres Glaubens nicht ausgeschlossen, d.h. anerkannt.
•
Diversity Scorecard: Die Diversity Scorecard ist nach den Bereichen der Online-Erhebung strukturiert
und ermöglicht operationalisierte, strukturierte Zielsetzungen und Maßnahmenplanung anhand der Ergebnisse der Online-Erhebung und auf Basis der Interpretation der Pädagog/innen am Schulstandort.
Abbildung 10: Diversity Scorecard
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I-JOURNAL Mai 2014
•
Diversity Scorecard: Zur besseren Veranschaulichung wird ein Beispiel angeführt. Die Ergebnisse
bilden die Grundlage Dimension sowie Items auszuwählen, auf die der pädagogische Fokus gelegt
werden soll. Der Ist-Wert stellt die erfassten Ergebnisse dar, der Soll-Wert gibt die gewünschte Zielrichtung an. Danach werden ein Ziel sowie entsprechende Initiativen formuliert.
Abbildung 11: Diversity Scorecard – Sheet Diversity Attitude (Haltungen) – fiktives Beispiel
Welche Ziele verfolgt DiMiS?
•
Durch ein antidiskriminierendes pädagogisches Konzept soll die Potenzialentfaltung der Schüler/innen begünstigt werden.
•
Durch die gemeinsame Umsetzung einer diversitätssensiblen Schulkultur am Schulstandort soll der
Prozess, breite Chancengerechtigkeit umzusetzen, unterstützt werden.
•
Durch anerkennende Maßnahmen sollen die soziale Basis der Selbstachtung und die Entfaltung einer
möglichst hohen Selbstwirksamkeitserwartung von Schüler/innen gefördert werden.
•
Durch eine strukturierte Rückmeldung der Ergebnisse soll eine fokussierte Perspektive auf subjektiv empfundene Wahrnehmungen von Diskriminierung oder Anerkennung entlang diversitätsrelevanter
Handlungsfelder bewirkt werden.
•
Durch die Ergebnisse der Befragung sollen strategische Maßnahmenplanungen in Schulentwicklungsprozessen ermöglicht werden.
Prof. Mag. Bernhard Schimek
Pädagogische Hochschule Wien
Prof. Mag.a Claudia Kaluza
Pädagogische Hochschule Wien
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I-JOURNAL Mai 2014
Kompetenzorientierung im Bereich der inklusiven
Pädagogik – Theoretische Impulse und Erfahrungswerte
Kompetenzen, Kompetenzentwicklung oder Kompetenzorientierung sind die Schlagwörter des pädagogischen Zeitgeistes. Mit Bezug auf Eiko Jürgens (1994) sind regelmäßig stattfindende didaktische Neuorientierungen gang und gäbe, wobei sich die jeweils vorherrschenden Paradigmen wie ein Pendel im
Spannungsfeld zwischen offenen und geschlossenen Unterrichtsformen bewegen. Mit der Kompetenzorientierung haben wir uns vom zuletzt beworbenen Konzept des Offenen Unterrichts, der sich – zumindest
seinen theoretischen Entwürfen nach – durch ein enormes Freiheitspotenzial im Bereich der inhaltlichen,
zeitlichen und räumlichen Dimension von Lernen und Lehren charakterisiert (vgl. z.B. Ramseger 1992), wieder ein wenig in Richtung geschlossener Unterrichtsformen bewegt. Die Bezeichnung „Geschlossenheit“
bezieht sich in diesem Zusammenhang auf klare Strukturen bzw. transparente Zielsetzungen im Unterricht,
die auf der Planungs- und Steuerungsverantwortung der Lehrkraft basieren. Diese Entwicklung sowie die
Möglichkeiten des kompetenzorientierten Unterrichts im Bereich der Differenzierung und Individualisierung
werden – wie der folgende Beitrag darstellen will – den Ansprüchen an ein inklusives Bildungsmodell gerecht.
Kompetenzen im Wandel der Zeit
Die Entfaltung von Kompetenzen steht grundsätzlich schon immer im Zentrum schulischer Bemühungen.
Verfolgt man die didaktischen Entwürfe der letzten Jahrzehnte, könnte man irrtümlicherweise meinen, es
handle sich im Fall der Kompetenzorientierung um einen „alten pädagogischen Hut“, der lediglich mit neuen Begrifflichkeiten geschmückt worden ist. Handlungs- respektive kompetenzorientierte Elemente in den
Unterricht zu implementieren, war nicht nur das Ziel des Offenen Unterrichts. Auch das nun bereits zwanzig
Jahre alte Konzept zur Ausbildung einer fächerübergreifenden Methodenkompetenz von Klippert (2010) erinnert sehr an den gegenwärtigen Trend. Der ideologische Ursprung der Kompetenzorientierung lässt sich
jedoch viel weiter zurückverfolgen.
Die Intention, die Handlungskompetenz der Jugendlichen unter Berücksichtigung ihrer individuellen Möglichkeiten zu entwickeln, rekurriert auf die Entwürfe der klassischen reformpädagogischen Bewegungen.
Deren Forderung, den Schwerpunkt von Schule von der rein kognitiven Ebene auf die Handlungsebene zu
verlagern (vgl. Flitner 2001), ist in den letzten Jahrzehnten verstärkt in bildungspolitische Entwürfe eingeflossen – allerdings zum Leidwesen der Pädagogik als „theoretische“ Wissenschaft, die diese Entwicklung
stets mit Argusaugen verfolgt hat und vor einer über Hand nehmenden Ökonomisierung des Bildungsbegriffs warnt (vgl. Heitger 1984; Felten 2001).
Kompetenzen im Schatten der Schlüsselqualifikationsdebatte?
Spätestens seit der auf bildungswissenschaftlicher Ebene geführten Debatte zur Ausbildung von Schlüsselqualifikationen ist jedem einsichtig geworden, dass Schule nicht allein dem Selbstzweck des Individuums
dient (vgl. Mertens 1974; Bohl 2001). Wie Helmut Fend (1976) das „Problem“ von Schule als Institution
skizziert, liegt ihr primärer Auftrag im Erhalt bzw. in der Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Stärke einer
Gesellschaft. Auf Grund dieser gesellschaftspolitisch wohl notwendigen Aufgabe tendiert sie dazu, mehr
den jeweiligen ökonomischen Erfordernissen als traditionellen Bildungsidealen à la Humboldt oder Kant
nachzukommen. Diese Interpretation des Bildungsbegriffes als Ausbildung ist von den systematischen Pädagoginnen und Pädagogen immer wieder kritisiert worden. Proponentinnen und Proponenten dieser Richtung idealisieren Bildung als Möglichkeit zur Selbstverwirklichung des Individuums und wollen diese nur
ungern zu „verwertbarem Humankapital“ degradieren lassen (vgl. Heitger 2002; Ruhloff 2002; Lenz 2013).
Um nicht ins gleiche Fahrwasser der Kritik zu gelangen, ist im Fall der Kompetenzorientierung nicht nur
der kognitive Wert, sondern auch die Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung der Heranwachsenden
herauszustreichen.
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I-JOURNAL Mai 2014
Kompetenzorientierung als Bindeglied zwischen verschiedenen Bildungsbegriffen
Mit der Kompetenzorientierung liegt nun ein Konzept am Tisch, das eine Kombination beider Interpretationen von „Bildung“ erlaubt und damit einen Synergieeffekt erzielen kann. Im Zuge des Unterrichts sollen zum
einen Kompetenzen gefördert werden, die den Jugendlichen das Überleben in ihrer Gesellschaft ermöglichen. Zum anderen werden auch Kompetenzen entwickelt, welche die Kinder zur Reflexions- bzw. Kritikfähigkeit – die Maximen des klassischen Bildungsbegriffs – heranführen. Das ist einer jener Vorzüge des
kompetenzentwickelnden Unterrichts, der ihn möglicherweise von früheren handlungsorientierten Ansätzen
unterscheidet. Wie aber auch in all den vorangegangenen Entwürfen liegt der Teufel im Detail – sprich, wie
die tatsächliche Umsetzung respektive Schwerpunktsetzung durch die Lehrkraft gelingt.
Kompetenzen als soziales Regulativ
Es gibt kaum einen Artikel zu dieser Thematik, der auf Weinerts (2001) Definition verzichten kann. Seiner
Auffassung zufolge sind Kompetenzen „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösung in variablen
Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.“
Der kompetenzorientierte Unterricht zielt somit auf die Selbstregulation des Lernprozesses, da er die Lernenden zur eigenständigen Problemlösung motivieren soll. Den Schülerinnen und Schülern wird bewusst
gemacht, dass sie für ihren Lernerfolg selbst Verantwortung übernehmen müssen. Auf diese Weise werden
sie auf ihre gesellschaftliche Teilhabe vorbereitet.
Kompetenzen als universale Fähigkeiten
aus: http://www.studienseminar-koblenz.de/inhalte/lehrlern-modell-nawi.htm
Kompetenzen sind – so wie Klipperts Ansatz – inhaltlich gesehen kontextunabhängig. Sie werden als Ergebnis des individuellen Lernprozesses in der Auseinandersetzung mit
der Umwelt entwickelt. Die Basis bilden kognitive Inhalte, die
den jeweiligen Gegenständen entstammen und mit denen
die Lernenden in strukturierten Lernszenarien arbeiten.
Ähnlich dem Prinzip einer Lernwerkstatt werden Aufgabenstellungen konstruiert, mit deren Hilfe die Schülerinnen und
Schüler lernen, sich Wissen anzueignen bzw. dieses zu verarbeiten. Im Sinne eines nachhaltigen Lernprozesses ist
schließlich Ziel des Unterrichts, die erworbenen Fähigkeiten
auf andere Bereiche zu transferieren und die entwickelten
Kompetenzen universal einzusetzen. Bedeutend ist dabei
der Aspekt des Wollens. Dem Kompetenzgedanken wird
erst dann gänzlich Rechnung getragen, wenn das Handeln
aus freiem Willen erfolgt (vgl. https://www.bifie.at/node/49).
Kompetenzen als Möglichkeit zur Operationalisierung der Bildungsziele
Wie einleitend erwähnt worden ist, vermag ein kompetenzorientierter Unterricht transparente Strukturen zu
schaffen. Die Grundlage dafür bildet die kompetenzorientierte Jahresplanung, in der Lernziele operationalisierbar formuliert werden. Statt lediglich Themen oder Lehrinhalte anzuführen, werden „Ich kann – Ziele“
gesteckt, welche die Schüler nach der Auseinandersetzung mit einem Themengebiet erreicht haben sollten
und überprüfbar sind. Die Zielsetzungen beziehen sich jedoch nicht nur auf die Reproduktionsfähigkeit von
erlerntem Wissen, sondern auch auf die im Zuge der Bearbeitung entwickelten Kompetenzen. Dabei lassen
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I-JOURNAL Mai 2014
sich sowohl das Abstraktionsniveau der kognitiven Inhalte, als auch der Schwierigkeitsgrad der jeweiligen
kompetenzentwickelnden Aufgabenstellung (Informationen entnehmen, Schlüsselwörter markieren, Kategorien tabellarisieren, Inhalte visualisieren, interpretieren, reflektieren, präsentieren etc.) in Abhängigkeit
zu den Möglichkeiten und Bedürfnissen der Kinder differenzieren. Das impliziert im Grunde, dass für jedes
Kind ein individueller Kompetenzplan gelten muss. Doch wie lässt sich nun ein solches didaktisches Modell
in der Praxis umsetzen?
Umsetzungsversuch eines kompetenzorientierten Unterrichtsmodells in einer
Wiener Integrationsklasse
Die WMS Kölblgasse – „Campus Landstraße“ im 1.Wiener Inspektionsbezirk hat
sich vor zwei Jahren dem Bildungskonzept
„Kompetenz Lernen®“ von Dr. Michael Lemberger verschrieben. Meine Kollegin Barbara Lauter und ich, seit nunmehr fünf Jahren
das Kernteam der einzigen Integrationsklasse am Standort, waren von Beginn an in
diesen Entwicklungsprozess miteingebunden, der von zahlreichen Fortbildungen der
Pädagogischen Hochschule Wien begleitet
worden ist. Derzeit führen wir die erste, nach
diesem Modell geführte Integrationsklasse
im zweiten Jahr. Die Bandbreite unserer
Schülerklientel reicht vom partiell hochbegabten Kind bis hin zu Kindern mit erhöhtem
sonderpädagogischen Förderbedarf.
Wie auch in anderen Integrationsklassen stellte sich bei uns die Frage, wie man angesichts dieser Heterogenität an Bedürfnissen und Potenzialen dem inklusiven Prinzip effizient gerecht werden könnte, ohne
dabei selbst an die Grenzen der Machbarkeit zu stoßen.
Bereits im vorangegangenen Durchgang haben wir begonnen, ein adäquates Konzept zur Differenzierung
des Unterrichts in Integrationsklassen zu entwickeln. Lembergers Ansätze haben uns schließlich inspiriert,
den Schwerpunkt der Unterrichtsdurchführung auf die von uns gemeinsam entwickelten „Arbeitspläne Inklusive Kompetenz“ (Eigenkreation) zu setzen. Dieses auf Eigenverantwortung basierende System erlaubt
uns, den Unterricht völlig zu individualisieren, da jedes Kind selbstständig in seinem Bereich arbeitet. Ein
positiver Nebeneffekt dieses Systems ist, dass in ruhigen Arbeitsphasen Zeit für notwendige Schülerinnenund Schülergespräche bleibt. Im herkömmlichen Unterricht erweist sich das Eingehen auf private Krisensituationen als äußerst schwierig, da für andere Kinder oft schwer zu bewältigende Leerläufe entstehen.
Das Levelsystem der „Arbeitspläne Inklusive Kompetenz“
Die Kinder erhalten in den von uns unterrichteten Gegenständen regelmäßig Arbeitspläne, deren Inhalte
und Aufgabenstellungen in drei unterschiedliche Anspruchniveaus („Level“) differenziert sind. Level 1 umfasst dabei den Basisstoff, der von allen Kindern zu bewältigen ist, also auch von jenen, die einen sonderpädagogischen Förderbedarf in einem, zwei oder auch allen Gegenständen haben. Zusätzlich gibt es noch
ergänzende Arbeitspläne für Schülerinnen und Schüler mit erhöhtem Förderbedarf. Auf Level 2 wird das
Basiswissen erweitert.
Sowohl das Anspruchsniveau der Inhalte also auch jenes der zur Erarbeitung notwendigen Kompetenzen
werden gesteigert. Level 3 regt die Kinder an, sich selbstständig mit Inhalten zu beschäftigen, die vorwiegend dem Erweiterungsbereich zuzuordnen sind. Hier sind komplexere Kompetenzen wie beispielsweise
das Einbeziehen neuer Medien, Recherchen in der Fachliteratur oder Präsentationstechniken zum Vorstel-
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I-JOURNAL Mai 2014
len des Lernzuwachses gefragt. Für unser inklusives Verständnis ist wesentlich, dass alle Schülerinnen und
Schüler Zugang zu allen drei Level haben.
„Weniger ist mehr“
Gemäß Lembergers Modell „Kompetenz Lernen®“
und auch seinen Empfehlungen in den Seminaren ist
es nicht vorrangig, möglichst viel Lernstoff durchzubringen, sondern eine beispielhafte Auswahl zu treffen und genügend Zeit für die Auseinandersetzung
einzuplanen.
Die Grundidee liegt darin, dass im Zuge der Bearbeitung der jeweiligen Themengebiete Kompetenzen
erworben werden, die auch auf andere Stoffgebiete
übertragbar sind. Diese quantitative Reduktion soll
sich positiv auf die Qualität bzw. Nachhaltigkeit des
Lernprozesses auswirken.
Unsere Arbeitspläne folgen diesem theoretischen
Ansatz, da sie die jeweiligen Themengebiete aus
verschiedenen Blickwinkeln bearbeiten und mehrere Wiederholungsphasen beinhalten. Entscheidend
für unser Verständnis von Inklusion ist, dass für alle
Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Mindestziele festgesetzt werden, die sich nicht ausschließlich
am Grad des mit Bescheid festgestellten Förderbedarfs orientieren. In einem Lernklima gelebter Diversität sollte jedes kindliche Leistungsverhalten stets
vor dem Hintergrund seines Lebensumfelds beurteilt
werden.
Beitrag zur Lesekompetenz
Die Arbeit mit den Arbeitsplänen leistet einen wertvollen Beitrag zur Leseförderung,
da sie auf Eigenständigkeit und Selbstverantwortung basiert. Nach einem allgemeinen Einstieg in ein neues Themengebiet
sind die Jugendlichen dazu angehalten,
sich selbstständig einen Überblick durch
das Erschließen von Informationstexten zu
verschaffen. Ziel ist, dass sich die Kinder
sowohl die Aufgabenstellungen als auch
das dafür notwendige Textmaterial in Eigenregie durchlesen. Geeignete Aufgabenstellungen, wie beispielsweise das Markieren
und Herausschreiben von Schlüsselbegriffen sollen diesen Arbeitsschritt begleiten
und erleichtern. Zugegebenermaßen erfordert es eine konsequente Vorgehensweise, bis sich die Schülerinnen und Schüler
an dieses System gewöhnen und ihre Bequemlichkeit überwinden konnten.
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Projektschwerpunkte „Soziales Lernen“ und „Gesundheits- und Verbraucherbildung“
Mit Beginn des neuen Bildungsmodells werden alle Klassen in der verbindlichen Übung „Humanität – Individualität
– Teamwork (HIT)“ unterrichtet. Dieser Gegenstand ist, basierend auf den Grundsätzen der psychoanalytischen Pädagogik, vom ersten Jahrgangsteam für unseren Standort
entworfen worden. In diesen Stunden werden Kompetenzen
wie Teamfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Selbsteinschätzung,
aber auch Reflexionsvermögen und analytisches Denken in
sozialen Kontexten gefördert.
Ferner finden in der Integrationsklasse regelmäßig Projekttage statt, die der Gesundheits- und Verbraucherbildung
gewidmet sind. Die Inhalte fördern die Entwicklung von notwendigen „Lebenskompetenzen“ in den Bereichen gesunde Ernährung und Lebensführung, Hygiene, Umgang mit
Ressourcen und Wirtschaftlichkeit. Die theoretischen Inhalte werden von praktischen Beispielen ergänzt, was den Jugendlichen naturgemäß den meisten Spaß bereitet.
Fazit
Rückblickend auf die vergangenen eineinhalb Jahre ist zu resümieren, dass sich dieses Modell sehr bewährt hat. Der Vorbereitungsaufwand ist und wird auch in den nächsten Jahren enorm sein, doch die Mühen werden durch zahlreiche Erfolgserlebnisse belohnt. Am angenehmsten wird von allen Beteiligten die
stressfreie und entspannte Atmosphäre während der Unterrichtszeit empfunden. Ist das Modell erst einmal
eingeführt, „läuft der Laden wie von selbst“. Die Kinder äußern von sich aus, dass sie die eigenständige Arbeit schätzen. Erst kürzlich vertraute mir ein Mädchen in diesem Zusammenhang an, dass sie die Beschäftigung mit den Plänen nutzt, um zur Ruhe zu kommen bzw. sich von ihren privaten Sorgen abzulenken.
Ideal ist natürlich, wenn die Integrationsklasse von einem kleinen Lehrerinnen- bzw. Lehrerteam betreut
wird. Dadurch, dass ich als Klassenvorstand 16 Stunden in der Klasse mit meiner Teamkollegin unterrichte,
wird ein themenzentriertes Arbeiten auch unabhängig von Stundentafel und Pausenglocke ermöglicht.
Ein kompetenzorientierter Unterricht kann, wie dieses Beispiel aus der Praxis zeigt, vieles für die Umsetzung des Inklusionsgedankens leisten, wobei aus unserer Sicht der soziale Aspekt besonders hervorzuheben ist. In diesem Sinne ist es unerlässlich, dass jede pädagogische Beziehung von einem Höchstmaß
an gegenseitiger Akzeptanz und Wertschätzung getragen wird. Jeder am Unterrichtsgeschehen Beteiligte
– und das schließt selbstverständlich uns Pädagoginnen und Pädagogen mit ein – bringt unterschiedliche
Erfahrungen, Bedürfnisse und Fähigkeiten ein, die unterschiedliche Ausgangsbedingungen für den individuellen Lernprozess schaffen. Kompetenzorientierung bedeutet somit auch, sich an bereits vorhandenen
Kompetenzen zu orientieren und die Diversität einer Lerngruppe nicht nur als Grundlage für die Unterrichtsplanung, sondern auch als Chance für zusätzliche Lernerfolge im Bereich der sozialen Kompetenzen zu
sehen.
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Literatur:
Bohl, T. (2001): Prüfen und Bewerten im Offenen Unterricht. Neuwied: Luchterhand.
Felten, M. (Hg.) (2001): Neue Mythen in der Pädagogik. Warum eine gute Schule nicht nur Spaß machen
kann, 2. Aufl. Donauwörth: Auer.
Fend, H. (1976): Schulsystem und Gesellschaft. In: Speck, J. (Hg.): Problemgeschichte der neueren Pädagogik, Band 1. Stuttgart: Kohlhammer, S. 108 – 149.
Flitner, A. (2001): Reform der Erziehung. Impulse des 20. Jahrhunderts. Weinheim und Basel: Beltz.
Klippert, H. (2010): Methoden-Training. Übungsbausteine für den Unterricht, 19. Auflage. Weinheim und
Basel: Beltz (Erstauflage 1994).
Jürgens, E. (1994): Erprobte Wochenplan- und Freiarbeitsideen in der Sekundarstufe I: Praxisberichte über
effektives Lernen im Offenen Unterricht. Heinsbach: Agentur Dieck.
Lenz, W. (2013): Bildung. Eine Streitschrift. Abschied vom lebenslänglichen Lernen. Löcker.
Mertens, D. (1974): Schlüsselqualifikationen. Thesen zur Schulung einer modernen Gesellschaft. In: Mitteilungen, 7. Jg., Heft 1, S. 36 – 43.
Heitger, M. (1984): Der Begriff der Bildung unter den institutionellen Bedingungen von Schule. In: ders.
(Hg.): Umgang mit der Schulkritik. Münstersche Gespräche zu Themen der wissenschaftlichen Pädagogik,
Heft 1. Münster: Aschendorff, S. 32 – 47.
Heitger, M. (2002): Bildung in der Ausbildung – eine Illusion? In: ders. (Hg.): Wozu Schule? Innsbruck: Tyrolia, S. 59 – 75.
Ramseger, J. (1992): Offener Unterricht in Erprobung. Erfahrungen mit einem didaktischen Modell, 3. Aufl.
Weinheim: Juventa.
Ruhloff, J. (2002): Lernfabrik oder Bildungsschule: In Heitger, M. (Hg.): Wozu Schule? Innsbruck: Tyrolia,
S. 44 – 58.
Weinert, F.E. (2001): Vergleichende Leistungsmessung in Schulen – eine umstrittene Selbstverständlichkeit. In: F.E. Weinert (Hrsg.): Leistungsmessung in Schulen. Weinheim und Basel: Beltz.
Das Lehr-Lern-Modell: Ein Lehr-Lern-Modell für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht. In:
http://www.studienseminar-koblenz.de/inhalte/lehr-lern-modell-nawi.htm (Zugriff am 20.2.2014).
Kompetenzen und Modelle: In: https://www.bifie.at/node/49 (Zugriff am 15.2.2014).
Dipl.Päd. Mag. Bernhard Thiel, BEd, MEd, MPOS
Lehrer an der WMS 3, Kölblgasse 23
Praxislehrer der Pädagogischen Hochschule Wien
Tätigkeit in der Lehrerinnen- bzw. Lehrerfortbildung
Schulbuchautor, zahlreiche wissenschaftliche Publikationen
Bildungs- und Gesundheitswissenschafter, Psychoanalytischer Pädagoge
Dipl.Pädn. Barbara Lauter
Integrationslehrerin an der WMS 3, Kölblgasse 23
Lehrerin des SPZ 3, Petrusgasse 10
Betreuung von Studierenden der PH Wien
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I-JOURNAL Mai 2014
Gesellschaftliche Einstellungen zu Behinderung
und Beeinträchtigung
Es existiert eine Vielzahl von Ergebnissen unterschiedlicher Disziplinen aus der Einstellungsforschung,
sowie entsprechende Modelle und Konzepte dazu.
In unserer Gesellschaft nehmen die Aspekte Leistungsfähigkeit, Intelligenz, körperliche Integrität und
ästhetische Kriterien einen hohen Stellenwert ein, Abweichungen davon werden vielfach als wert- und
normbedrohend eingestuft. Die Mehrheit der Menschen bevorzugt mit großer Wahrscheinlichkeit Vereinfachungen, Kategorisierungen, Generalisierungen und Zuordnungen. Welche Funktionen, Leistungen und
Verhaltensweisen in der jeweiligen Gesellschaft als besonders wichtig gelten, hat große Auswirkungen auf
die Bewertung einer Person.
Wird eine Person einer bestimmten Kategorie zugeordnet und davon eine bestimmte Eigenschaft vereinfacht und verallgemeinernd abgeleitet, spricht man von einem Stereotyp. Beim Vorurteil kommt es zu einer
negativen Bewertung dieser Kategorie (z. B. „SchülerInnen aus dem Land XX sind aggressiv und lernunwillig“). Bis nach 1990 fand – als exemplarisches Beispiel unter vielen – an vielen Pädagogischen Hochschulen im Lehramt für Sonderschulen die Publikation von Franz Holzinger („Sonderpädagogik“) Verwendung.
In diesem Lehrbuch finden sich defektorientierte Zuschreibungen, Abwertungen, Vorurteile und Klischees.
Er erwähnt u. a. ein Diagnoseinstrument, das es ermöglichen würde eine „Neuropathie“ bei Heranwachsenden zu prognostizieren, wenn mindestens zwei „Schlechtpunkte“ (z.B. Tätowierungen, schlechter Umgang,
Arbeitsunbeständigkeit u.s.w.) vorhanden wären. Des Weiteren: „Der Freßtrieb ist oft nicht spezifiziert, geistig Behinderte essen alles, was sie erreichen können, auch Gras, Kot, Würmer u.a.m.“ (S. 178).
Eine besondere Form stellt die Stigmatisierung dar. Im Gegensatz zum Vorurteil bezieht sich ein Stigma
auf ein bestimmtes Merkmal und ist konkreter. Neben einer sofortigen (z.B. Mobilitätsbeeinträchtigung)
oder in bestimmten Situationen erkennbaren „Sichtbarkeit“ gibt es auch solche, die nur zufällig bekannt
werden (z.B. Armut, Schulversagen, Vorstrafen, Spielsucht etc.). Dieses Stigma formt die Vorstellung über
das betreffende Individuum, wobei es in der Regel zur Zuschreibung weiterer negativer Eigenschaften,
Defizite oder Abwertungen kommt. Somit wird nicht nur ein von der jeweiligen Norm abweichendes Merkmal, Verhalten, eine Eigenschaft u.s.w. negativ bewertet, mögliche Fehlleistungen, Alltagsprobleme oder
Schwierigkeiten (z.B. in der Schule) werden mit dem Stigma in Verbindung gebracht, positive Leistungen
und vorhandene Fähigkeiten gelten dann oft als Zufall oder werden negiert.
Stigmatisierte versuchen daher nach Möglichkeit ihr Merkmal zu verbergen, zu korrigieren oder zu kompensieren. Manchmal übernehmen sie ganz oder teilweise die Zuschreibungen („ich bin wirklich schlecht und
kann nichts leisten…“), auch in Form einer „selbsterfüllenden Prophezeiung“ mit sämtlichen belastenden
Auswirkungen auf das Selbstbild und das Selbstkonzept. Auch Institutionen können ein Stigma erschaffen und „erhalten“, wenn z.B. noch vor einigen Jahrzehnten ein störendes oder „asoziales“ Verhalten bei
Heranwachsenden zu einer Heimunterbringung geführt hatte und dort vom untergebrachten Kind eine bestimmte Rolle (Aggressivität, Deliquenz, Lernunwilligkeit) förmlich erwartet und teilweise auch von Betroffenen übernommen wurde.
Unterschiedliche Studien kommen zum Ergebnis, wonach in den meisten Gesellschaften relativ stabile und
konstante Grundannahmen gegenüber „Abweichungen“ bestehen, die häufig irrational und emotional geprägt sind. Generell ist es schwierig und langwierig manifeste gesellschaftliche Einstellungen zu verändern
(So bezeichnete z.B. der prominente Pädiater Andreas Rett die schulische Integration noch jahrelang nach
der Einführung als „Ideologie-Mist, von Behindertenromantikern geschaffen“ [mündlich g. d. Verf.]).
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I-JOURNAL Mai 2014
Die Entwicklungspsychologie geht davon aus, dass sich zwischen dem dritten und dem vierten Lebensjahr
individuelle Wertvorstellungen und Einstellungen bilden, die sich ungefähr mit acht Jahren – überwiegend
durch elterliche Vorbilder – festigen. Weltbilder und Einstellungsmuster bei Kleinkindern entstehen durch
Sozialisationsinhalte und –praktiken. In Märchen sind z.B. Bösewichte meist alt, hässlich, entstellt, einfältig und verschlagen; positive Identifikationsfiguren hingegen attraktiv, fleißig, aktiv, klug und trotz mancher schlechter Voraussetzungen (arm, elternlos, ausgesetzt) am Ende erfolgreich. Im frühen Kleinkindalter zeigt die Mehrheit der Heranwachsenden einen unbefangenen Umgang bezüglich allen Formen
des „Anders-Sein“ mit (nach GOFFMAN) „originären“ und authentischen Reaktionen, Interaktionsformen
und Kontaktaufnahmeversuchen. Somit kann abgeleitet werden, dass frühe Interventionen bezüglich einer Einstellungsänderung höhere Erfolgsaussichten haben werden, bzw. Konzepte besonders erfolgreich
sein können, wenn bestimmte negative Vorstellungen noch nicht gefestigt sind. Ein direkter Kontakt oder
auch Begegnungen in Alltagssituationen können positive Auswirkungen auf Einstellungen, den Abbau von
Ängsten und Vorbehalten sowie generell eine kritische Haltung gegenüber inhumanen, ausgrenzenden
und abwertenden Tendenzen bewirken, wobei allerdings auch mögliche tatsächlich vorhandene Probleme,
Missstände oder negative Aspekte nicht negiert werden sollen.
Nach Forschungsergebnissen zur Kontakthypothese ist jedoch nicht die Häufigkeit von Kontakten relevant,
sondern eine vorhandene positive Grundeinstellung und die Freiwilligkeit der Anbahnung. Durch den täglichen Umgang mit der vorhandenen Vielfalt menschlicher Ausdrucksformen, wie z. B. durch integrative oder
inklusive Maßnahmen im Alltag (Schule, Arbeitsplatz) könnte die Akzeptanz sowie eine positive und tolerante Einstellung (in weiterer Folge auch gegenüber Randgruppen, Minderheiten, andere Kulturen u.s.w.)
gefördert werden – die mittels aussondernden Maßnahmen nur bedingt möglich erscheint – und längerfristig einen Wertewandel bewirken, wo der Mensch nicht mehr nur nach Kosten-Nutzen-Kriterien, Bildungsabschluss, Erfolg, Status, Einkommen, Vitalität etc. klassifiziert und bewertet wird. Manche Entwicklungen
der letzten Jahre geben Anlass zur Hoffnung, andere eher zur Sorge…
MMag. Dr. Ferdinand Holub, MEd. MSc. BA.,
ist Stützlehrer in Wien und Lehrbeauftragter an Universitäten.
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I-JOURNAL Mai 2014
Die besondere Förderung von Kindern
mit emotionalen und sozialen Problemen
steht im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion
Ein neues Modell einer Vorschul-Kleinklasse setzt deswegen bereits vor der Einschulung in die erste Klasse ein spezielles Angebot. Auf verschiedenste Bedürfnisse der Kinder wird im Rahmen einer einjährigen
individuellen Förderung eingegangen. Damit diese Erfahrungen auch nachhaltig im Regelschulsystem wirken, werden diese Kinder auch innerhalb der ersten Klasse speziell betreut.
1.Einleitung
Die UNO hat die Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention in Österreich überprüft und eine Liste
mit Empfehlungen erstellt. Kritisiert wurde etwa die mangelnde Inklusion im Bildungsbereich. So steige
die Zahl der Kinder in Sonderschulen und es werde zu wenig getan, um die inklusive Bildung von Kindern mit Förderbedarf aufgrund unterschiedlicher körperlicher, geistiger oder emotional-sozialer Beeinträchtigungen voranzutreiben1.
So werden auch Kinder mit dem Förderbedarf „emotionale und soziale Entwicklung“ durch segregative
Beschulung gefördert. Und diese Art der Förderung - mit ihrem spezifischen Blick auf die besondere
Lebenslage und Lebensgeschichte dieser Kinder - hat auch in Zeiten verstärkter Inklusionsforderungen
ihre Berechtigung nicht verloren. Ein spezielles Angebot erfüllt vielmehr das Recht dieser Kinder auf
individuelle Förderung. Nur sollte in diesen Fällen der Forderung nachgekommen werden, diese Art
der Beschulung so kurz wie möglich zu halten. So hat sich unter anderem gezeigt, dass eine längere
separate Beschulung nicht nur dem besonderen Förderbedarf und Bildungsanspruch der SchülerInnen
gerecht wird, sondern auch zusätzliche Verhaltensprobleme schaffen kann. So kann in einer Klasse das
Zusammentreffen von SchülerInnen mit einer hohen sozialen Belastung abweichend soziales Verhalten
verstärken2 und derart der Entwicklung eines positiven Selbstkonzepts entgegenwirken. Organisationsformen von kleineren und intensiv unterstützten Gruppen (für kürzere oder mittelfristige Zeiträume) können jedoch dann als inklusive Maßnahme angesehen werden,
• wenn sie eine hohe Durchlässigkeit zum Regelschulwesen anstreben
• und das Ziel verfolgen, manifeste Probleme des Lernens und Verhaltens bei Kindern durch frühzeitige
Förderung zu verhindern.
Diesem Ziel einer inklusiven Schulentwicklung folgt auch das neu erstellte Konzept einer Mosaikklasse
für den Vorschulbereich.
2.Grundidee
Kinder, bei denen angenommen werden kann, dass sie sich aufgrund emotionaler und sozialer Defizite
in der Großgruppe einer ersten Klasse nicht zurechtfinden, können für die Dauer eines Jahres in eine
Vorschul-Mosaikklasse (Kleingruppe) aufgenommen werden. Ziel ist es, dass sich diese Kinder trotz ihrer sozialen und emotionalen Beeinträchtigungen geborgen fühlen, und der Einstieg in die erste Klasse
einer Großklasse vorbereitet wird. Die (Re)integration in eine Regelschulklasse (1. Klasse) soll nach
Ablauf eines Jahres erfolgen. Durch die intensive Betreuung in einer Vorschul-Kleingruppe sollen Entwicklungsschritte im sozial-emotionalen Bereich angestoßen werden. So soll ein intensives Beziehungsangebot diesen Kindern ermöglichen, ihre Umwelt angemessen wahrzunehmen, adäquate Verhaltensweisen zu entwickeln und ein positiv gestärktes Selbstwertgefühl aufzubauen. Manifeste Probleme des
Lernens und Verhaltens sollen innerhalb dieser frühzeitigen Entwicklungsarbeit wahrgenommen und in
1
2
http://www.bizeps.or.at/downloads/CRPD-C-AUT-CO-1_de.pdf, Seite 7
Ellinger, S./Stein, R. (2012): Effekte inklusiver Beschulung: Forschungsstand im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung.
In: Empirische Sonderpädagogik 2/2012.
www.psychologie-aktuell.com/index.php?id=256&tx_ttnews[tt_news]=2560&tx_ttnews[backPid]=255&cHash=e90ca1e0ec
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I-JOURNAL Mai 2014
ihrer Bedeutung verstanden werden. Dieser psychoanalytisch-pädagogische Verstehenszugang ermöglicht das Erleben von tragfähigen Beziehungen und soll die SchülerInnen schließlich dazu befähigen,
vermehrt aus eigener Kraft bestehende Konflikte und Spannungen zu bewältigen. Diese Befähigung soll
dazu beitragen, dass weitere segregative Maßnahmen innerhalb der Schullaufbahn dieser SchülerInnen
vermieden werden. Eine Pädagogin/ein Pädagoge mit psychagogischer Zusatzqualifikation (ambulantes
Team des REZ3) soll die Kinder in diesem Prozess unterstützen und insbesondere im ersten Schuljahr
der neuen Klasse individuell begleiten und betreuen.
3.Organisation des Unterrichts
• LehrerInnen
Zwei PsychagogInnen (Pädagoginnen mit psychoanalytisch-pädagogischer Qualifikation) unterrichten im Team. Beide PädagogInnen unterrichten im Ausmaß einer vollen Lehrverpflichtung.
• Gruppengröße/Gruppenzusammensetzung
Zu Schulbeginn startet eine homogene Gruppe von sechs Kindern (Schulanfänger). Es werden nur
SchülerInnen aufgenommen, die zumindest eine durchschnittlich kognitive Begabung aufweisen.
Eine ausgewogene Geschlechterzusammensetzung (2-3 Mädchen, 2-3 Buben) ist zu berücksichtigen.
• Curriculum
Es wird nach dem Lehrplan der Vorschule gearbeitet. Der Unterricht bietet Möglichkeiten, Situationen
und Gefühle der SchülerInnen zu thematisieren und einen angemessenen Umgang damit zu erarbeiten. Die SchülerInnen erleben durch den Unterrichtsalltag Situationen, die dazu beitragen, veränderte
Interaktions- und Kommunikationsfähigkeiten aufzubauen und somit eine Stabilisierung des Sozialverhaltens zu ermöglichen.
• Didaktik
Die didaktische Ausrichtung folgt den Grundsätzen einer reformpädagogischen Lern- und Beziehungskultur. Individualisierte Unterrichtsformen sowie Module aus den Bereichen Motopädagogik,
Kunstpädagogik sowie Erlebnispädagogik sind wesentliche Bestandteile dieses Unterrichtsangebots.
4. Organisation der Aufnahme
• Diagnostik
Eine verpflichtende entwicklungsdiagnostische Abklärung (psychologisch, neurologisch, ergotherapeutisch) soll bei den aufzunehmenden SchülerInnen bereits zu Schulbeginn vorliegen.
• Elternmitarbeit
Die Eltern verpflichten sich zur regelmäßigen Zusammenarbeit mit der Schule. Insbesondere sind
regelmäßige Gesprächstermine mit den KlassenlehrerInnen des REZ vorgesehen.
• Stammschule
Mit der Stammschule wird ein regelmäßig stattfindender Kontakt vereinbart. KlassenlehrerInnen und
AnsprechpartnerInnen des REZ berichten unter anderem über Entwicklungsfortschritte der betreuten
SchülerInnen.
3 Die Abkürzung REZ steht für Rudolf Ekstein Zentrum. Es ist ein überregionales, sonderpädagogisches Zentrum für Integrative Betreuungsformen in Wien.
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5.
Psychoanalytisch-pädagogischer Verstehenszugang
• Psychoanalytisch-pädagogische Grundsätze
Insbesondere wird danach gefragt, (1) wie es zu verstehen ist, dass Kinder bestimmte Verhaltensweisen als Ausdruck innerpsychischen Geschehens zeigen und (2) wie auf Grundlage dieser Erkenntnisse die bestmöglichen Entwicklungschancen angebahnt werden können.
• Entwicklung individueller entwicklungsdiagnostischer Förderpläne
Durch das Anlegen förderdiagnostischer Profile (nach Wilfried Datler)4 sollen insbesondere begründete Überlegungen angestellt werden, welche Veränderungen im Bereich der psychischen Struktur
des Kindes wünschenswert sind und wodurch und durch wen diese Veränderungen angestoßen werden können.
• Psychagogische Betreuung im Einzelsetting
Im Bedarfsfall kann diese im Rudolf Ekstein Zentrum im Umfang von ein bis zwei Wochenstunden (für
die Dauer des Vorschuljahres) angeboten werden.
• Reflexion
Regelmäßig stattfindende Reflexionsgruppen (zum Beispiel Supervision, Work Discussion Seminare5
oder Intervisionsgruppen innerhalb des REZ leisten einen wesentlichen Beitrag, um differenzierte
Verstehenszugänge zur aktuellen Problemlage der SchülerInnen zu entwickeln.
6.Regelmäßiger Kontakt mit Unterstützungssystemen
Die Schulleitung des REZ sowie KlassenlehrerInnen und zuständige Personen des „Mosaikteams“, der
„ambulanten und psychagogischen Betreuung“ initiieren und halten Kontakt mit Kliniken, Ambulatorien,
Instituten für Erziehungshilfe, Jugendämtern und anderen Betreuungseinrichtungen.
7.(Re)integration - Einschulung in eine erste Klasse einer Volksschule
• Kontakt zur Stammschule
Die Stammschule hat Einblick in Entwicklungsfortschritte des Kindes. Die KlassenlehrerInnen des
REZ informieren Stammschule (Schulleitung, Psychagogin/Psychagoge und zukünftige Lehrkraft)
über Erkenntnisse des förderdiagnostischen Profils. Das Kennenlernen der zukünftigen Lehrkraft in
der Regelschule wäre aus der Sicht des Kindes wünschenswert.
• Ambulantes Team des REZ begleitet/betreut in der ersten Klasse der Regelschule
Eine Pädagogin mit psychagogischer Zusatzqualifikation unterstützt das Kind individuell im Schulalltag des ersten Schuljahres. Dauer und Umfang der Betreuung werden individuell festgesetzt.
4 In der Auseinandersetzung mit Einzelfallmaterialien aus der Schulpraxis kommen die Lehrkräfte des REZ zu integrations- und heilpädagogischen förderdiagnostischen Einschätzungen und entwickeln einen Hilfeplan in dessen Zentrum die Unterstützung der Entwicklung der psychischen Strukturen der Kinder steht. www.postgraduatecenter.at/fileadmin/user_upload/ref_weiter/Curricula/Curriculum_Int._von_Kindern_und_Jugendlichen_Mitteilungsblatt.pdf, Seite 17).
5 Im Zentrum der Besprechungen eines Work Discussion Seminars steht die Frage, wie die unbewusste Dynamik verstanden werden kann, die
in den geschilderten Interaktionen zum Ausdruck kommt. Die Seminarteilnehmer befassen sich mit der Frage, wie der Verfasser des Protokolls,
aber auch die darin erwähnten Personen die geschilderte Situation erlebt haben könnten und welchen Einfluss dieses Erleben auf die Entstehung
und Entwicklung dieser Situation gehabt haben mag (vgl. Datler 2004 119).
Datler, W. (2004): Die heilpädagogische Beziehung als Gegenstand der Reflexion und Ort der Veränderung. Über das Ringen um Verstehen, die
Erarbeitung von Handlungsspielräumen und das Konzept der „work paper discussion“. In: Kannewischer, S. u.a. (Hrsg.): Verhalten als subjektivsinnhafte Ausdrucksform. Klinkhardt: Bad Heilbrunn, 116-126
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I-JOURNAL Mai 2014
In Gesprächen mit der Lehrkraft der ersten Klasse werden die Entwicklung des Kindes und das Veränderungspotential bestehender Problemlagen eingeschätzt.
• Fortsetzung der psychagogischen Betreuung an der Stammschule
Dauer und Umfang werden individuell festgesetzt.
8.Resümee
Es besteht Übereinkunft, dass die schrittweise Verwirklichung der Inklusionsforderung ein zentrales gesellschaftliches Ziel ist. Die Umsetzung des Inklusionsanspruches lässt auch im Bereich der Integration
von Kindern mit emotionalen und sozialen Problemen Modellprojekte entstehen. Ob es nun wie in diesem
vorgestellten Modell um eine einjährige frühzeitige, individuelle Vorschul-Förderung mit anschließender
professioneller Begleitung in die erste Klasse geht oder andere integrationspädagogische Bemühungen
verwirklicht werden, so gilt doch in allen Fällen:
• Inklusion ist eine institutionelle Herausforderung. Sie ist dann möglich, wenn es eine prinzipielle Bereitschaft und Offenheit dazu gibt, das heißt alle Beteiligten müssen sie wollen.
• Inklusion kann auch über den Weg eines zeitlich begrenzten segregativen Angebots erfolgen. Nicht
in allen Fällen führen inklusive Settings dazu, dass sich betroffene Kinder als „dazugehörig“ erleben.
• Spezielle Maßnahmen und Unterstützungssysteme erfordern finanzielle Ressourcen.
• Eine zunehmende Professionalisierung der Lehrkräfte ist unverzichtbar6. Denn: problematisches Verhalten lässt sich mit gutgemeinten pädagogischen Bemühungen oder Intuition allein nicht verändern,
pädagogisches Alltagswissen reicht nicht aus, um die Persönlichkeitsentwicklung schwieriger Kinder
voranzutreiben. Die Idee einer Inklusion stoppt jedoch an dem Punkt, an dem Lehrkräfte die Grenzen
ihrer Belastbarkeit erreichen.
Regine Prinz, Dipl.-Päd., HObln, MEd, MA (Psychagogik)
Rudolf-Ekstein-Zentrum, Wien
Barbara Peyrl, Dipl.-Päd., Vln, MA (Psychagogik)
Rudolf-Ekstein-Zentrum, Wien
6 So findet im Herbst 2014 zum zweiten Mal ein dreijähriger Universitätslehrgang für 25 TeilnehmerInnen statt. Er bietet LehrerInnen die Möglichkeit ein umfassendes, wissenschaftlich fundiertes Wissen im Bereich der schulischen Integration von Kindern und Jugendlichen mit emotionalen und sozialen Problemen zu erwerben. Dies beinhaltet sowohl die theoriegeleitete Erfassung und Reflexion schulpädagogischer Erfahrungen
sowie die Weiterentwicklung praxisleitender Konzepte. Zum Anmeldeverfahren: www.postgraduatecenter.at/lehrgaenge/bildung-soziales/integration-von-kindern-und-jugendlichen/
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I-JOURNAL Mai 2014
„EXPERIMENT DIVERSITY“
ein Projekt zum Thema Diversität
Das Projekt basiert auf der Idee, dass in jeder Gesellschaft das Interesse und die Neugierde besteht, sich
mit anderen Kulturen und Ländern auszutauschen. Auf diesen Grundpfeilern soll ein Fundament für Diversität für zukünftige Generationen aufgebaut werden. Durch das Aufzeigen von
Gleichheiten und Unterschieden sollen Toleranz, Wissen und eine positive Einstellung über Unterschiedlichkeiten gestärkt werden. Die Projektteams verbinden
sich, um gemeinsam Diversität zu feiern, und nicht nur, um sie aufzudecken. Durch
virtuelle Meetings und reale Besuche bleiben SchülerInnen und LehrerInnen in permanenten Kontakt. Dadurch sollen sowohl SchülerInnen als auch LehrerInnen das
Wesen der europäischen und nationalen Werte und Einstellungen begreifen.
Motto: „Experiment Diversity - do it, live it, love it!”
Projektträger:
ACES (Academy of Central European Schools) wurde 2006 gegründet und
ist eine Initiative der Erste Foundation in Kooperation mit dem Interkulturellen Zentrum und Vceli Dom. Die Kommunikation und Zusammenarbeit
von jungen Menschen in Zentral- und Südosteuropa wird unterstützt und
gefördert. Die Schließung neuer Freundschaften über Grenzen hinaus und die aktive Teilnahme von SchülerInnen und LehrerInnen an internationalen Schulprojekten zählen zu den Hauptanliegen von ACES.
Partnerländer:
15 zentral- und südosteuropäische Länder sind involviert:
Albanien, Österreich, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Ungarn, Kosovo, Makedonien, Moldawien, Montenegro, Rumänien, Serbien, Slowakei und Slowenien.
Alle Schulen dieser Länder sind eingeladen, Teil der ACES-Aktivitäten zu sein, eine Partnerschule zu finden
und ihre gemeinsamen Projekte einzureichen. Das Alter der SchülerInnen darf zwischen 12 und 17 liegen.
Die besten Einreichungen erhalten eine Nominierung und Projektgeld.
Jedes Jahr gibt es einige Veranstaltungen, bei denen sich alle teilnehmenden Schulen austauschen können. Dieses Jahr fand die sogenannte Kick-off-Veranstaltung in Bukarest, Rumänien statt. Bei diesem
Event treffen sich auch die Projektpartnerschulen das erste Mal und können ihr Projekt für das Schuljahr
2013/14 besprechen und gemeinsam ausarbeiten. Während des Jahres muss es einen jeweiligen Besuch
im Land der Partnerschule geben. Am Ende des Projektjahres findet die ACES-academy statt. Bei dieser
Abschlussveranstaltung werden alle Projekte vorgestellt und die besten ausgezeichnet.
Projektthema 2013/14:
“I and the others: Discovering diversity around and within me”
(http://www.aces.or.at)
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I-JOURNAL Mai 2014
Projektpartner:
Die Partnerschule kommt aus Buzau, Rumänien
und ist eine art vocational school für Kinder und
Jugendliche von 6-19 Jahren: Margareta Sterian,
Liceul de Arta.
Schwerpunkte: Musik, Zeichnen, Architektur und
Schauspiel
Das Alter der SchülerInnen, die in diesem Projekt
involviert sind, beträgt zwischen 14 und 16 Jahren.
(http://liceuldeartabuzau.ro/)
Das Sonderpädagogische Zentrum Holzhausergasse in Wien ist eine Schule für SchülerInnen
mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Unter
anderem gibt es SchülerInnen mit Lernschwierigkeiten,
Autismusspektrumstörung,
DownSyndrom, sozial-emotionale und andere Beeinträchtigungen. Das Alter der Jugendlichen, die
bei diesem Projekt mitmachen, liegt zwischen
15 und 18 Jahren. Für diese SchülerInnen gibt
es den Berufsvorbereitungslehrgang Jobfit, der
jungen Menschen mit Handicap die Möglichkeit
bietet, die Schwelle zwischen Schule und Berufsleben bewusst zu erleben und mitzugestalten.
Den Schwerpunkt im Lehrgang bildet das Training von berufsrelevanten Selbst- und Sozialkompetenzen, die in jeder Form der Arbeit und Beschäftigung von grundlegender Bedeutung sind.
(http://www.holzhausergasse.at)
Projektbeschreibung
Der Projektzeitraum ist von Oktober 2013 bis April 2014.
Folgende Probleme in der Gesellschaft werden aufgegriffen:
1. Kulturelle Vorurteile zwischen Ländern
2. Mangel von Kommunikation und Verständnis
3. Fehlendes Bewusstsein über die positiven Seiten von Migration, Globalisierung und Kulturaustausch
Das Projekt strebt an, diese Probleme im Bewusstsein der SchülerInnen aufzugreifen, um anderen Kulturen und Ländern mit Respekt zu begegnen. Außerdem soll ein neues Bewusstsein geschaffen werden, um
die Vielfalt in der Gesellschaft zu erhalten und schätzen zu lernen.
Das Projekt ist wie ein Experiment aufgebaut. Der Ausgangspunkt dieses Experiments startet vom Vorurteil, dass wir unterschiedlich sind, solange wir in verschiedenen Plätzen leben, verschiedene Sprachen
sprechen und unterschiedliche Kulturen haben.
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I-JOURNAL Mai 2014
Folgende Experimentstufen sind angedacht:
•
Sich von außen selbst betrachten (sich selbst und unsere Realität reflektieren)
•
Die Welt, in der wir leben, verstehen (wir leben in einer ineinandergreifenden Welt)
•
Sich mit anderen Realitäten vertraut machen („Die Angst vor dem Fremden“ abbauen)
•
Unterschiede positiv wahrnehmen (Unterschiede als Vorteile und als Chance sehen lernen)
•
Positive Einstellungen befürworten (Solidarität zeigen lernen)
Die SchülerInnen nehmen gemeinsam an verschiedenen Aktivitäten teil, wie zum Beispiel Präsentationen
machen, Spiele spielen, traditionelles Essen kochen, Broschüren gestalten, Filme aufnehmen … . Alle
Aktivitäten und Produkte werden gesammelt und in verschiedenen Zeitschriften und Webseiten veröffentlicht (eTwinning-Projekt, Facebook-Gruppe…). Am Ende des Projekts werden sich die SchülerInnen über
die Wichtigkeit von kulturellen Unterschieden bewusst sein und wissen, wie man gemeinsam lernt und
lebt. Dieses Projekt wird den SchülerInnen mehr Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und die Fähigkeit zur
Selbstreflexion geben. Vielseitigkeit von Kultur, sowohl Gleichheiten als auch Unterschiede, soll den SchülerInnen Inspiration geben und ihre Kreativität anregen.
Ein Hauptfokus des Projekts ist es, kulturelle Unterschiede in Europa zu erkunden und den Mechanismus
von Vorurteilen zu durchbrechen. Mit Toleranz, Respekt und Offenheit sollen SchülerInnen in Zukunft anderen gegenübertreten.
Es geht darum, Diversität in einer Gruppe zu erleben. Die SchülerInnen sollen über andere Menschen
etwas lernen, als BürgerInnen eines Landes, ihre Mentalität, ihre Denkweise, ihren Lebensstil, ihre Kultur,
ihre Kunst, ihre Traditionen und Bräuche. Durch das Lernen über andere Kulturen soll das Wissen über die
eigene Kultur gestärkt werden, wie nach dem Leitsatz: „Wir verstehen unsere Kultur nur, wenn wir auch andere Kulturen kennen, weil unsere eigene Kultur in anderen Kulturen reflektiert wird wie in einem Spiegel.“
Alle Projektbeteiligten sollen ihre Identität stärken, das Wissen über Diversität bereichern und ihre Einstellung „den anderen“ gegenüber reflektieren lernen.
Die Projektaktivitäten sind so erstellt, dass sie für SchülerInnen beider Schulen erreichbare und spannende
Herausforderungen darstellen. Durch verschiedene kreative Prozesse soll es gelingen, die SchülerInnen
zu sensibilisieren und einen positiven Zugang zum Thema Diversität zu schaffen.
Da die gemeinsame Sprache der Partnerschulen Englisch ist und SchülerInnen mit sonderpädagogischem
Förderbedarf oft große Schwierigkeiten bei der Verwendung von Englisch haben, stehen nonverbale Kommunikation und künstlerischer Austausch im Vordergrund.
Die Produkte des Projekts werden neben den Broschüren und den CDs, T-Shirts, Taschen und Portfolios
sein, die in Zusammenarbeit der beiden Schulen entstehen werden.
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I-JOURNAL Mai 2014
Die Ergebnisse sollen folgende sein:
Für SchülerInnen:
•
SchülerInnen sollen ermutigt werden über soziale Netzwerke über Grenzen hinaus zu kommunizieren, auch nach dem Projektende.
•
Alle SchülerInnen und deren Familien sollen in jede Phase des Experimentes involviert sein, um
andere Kulturen kennen zu lernen.
•
SchülerInnen sollen eine zweite oder dritte Sprache lernen und weiterentwickeln.
•
SchülerInnen sollen Toleranz, Akzeptanz und Respekt gegenüber „dem Anderen“ weiterentwickeln
und stärken.
Für LehrerInnen:
•
LehrerInnen sollen weitere Lehr- und Lernmethoden kennenlernen.
•
LehrerInnen sollen die globale Dimension von Lernen vertiefen.
Für die Schulen:
•
Schulen sollen internationale Partnerschaften bilden.
•
Schulen sollen ihre Expertenmeinungen austauschen können.
Für die Partnerschaft:
•
Es soll ein Traum für ein besseres Europa in der Zukunft definiert werden und die Wichtigkeit von
Diversität herausgearbeitet werden.
•
Es sollen authentische Konzepte vorgeschlagen werden, um kulturelle Kommunikation, Problemlösungsstrategien und diplomatische Fähigkeiten zu fördern.
Die Partnerschulen halten den Kontakt über das Internet: E-Mail und Facebook-Gruppe. Beide Partner werden systematisch arbeiten und immer alle Prozesse verfolgen. Alle neuen Aktivitäten und Produkte werden
auf Facebook veröffentlicht, damit alle SchülerInnen und LehrerInnen immer auf dem neuesten Stand des
Projektes sind.
Besuche
Die beiden Besuche fanden bereits statt. Im November war die Wiener Schule in Buzau, Rumänien und im
Dezember war die rumänische Schule in Wien, Österreich.
Bei diesen Treffen kamen sich die SchülerInnen näher und verbrachten unglaubliche Tage in den jeweils
anderen Ländern. Die Offenheit und Herzlichkeit der beiden Schulen war für alle Beteiligten eine große
Bereicherung.
Adressen:
Sonderpädagogisches Zentrum
Holzhausergasse 5-7
1020 Wien/AT
Tel: +43 1 216 51 24
E-mail: [email protected]
http://www.holzhausergasse.at
Projektkoordination: Tanja Zaussinger
Liceul de Arte „Margareta Sterian”
Str. Bucegi, nr. 6
cod 120208, Buzău, Romania
Tel. 0238/720012,
Fax 0238/722418
E-mail: [email protected]
http://liceuldeartabuzau.ro/
Projektkoordination: Carmen Neagu
Mag.a Tanja Zaussinger, B.Ed.
studierte Pädagogik an der Universität Wien und
machte in weiterer Folge berufsbegleitend das Lehramt für Sonderschule.
Seit 2010 unterrichtet sie am Sonderpädagogischen Zentrum Holzhausergasse.
Außerdem hat sie die Ausbildung zur EDV-Trainerin und zur Suchtberaterin.
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I-JOURNAL Mai 2014
5. Internationales Alfred Dallinger-Symposium
Vom 20. - 21. Jänner 2014 fand im Bildungszentrum der Arbeiterkammer (AK) Wien das 5. Internationale Dallinger Symposium
statt. Dieses wird von der Arbeiterkammer Wien mit Partnern organisiert. Es sind diese der Stadtschulrat für Wien, die Pädagogische
Hochschule Wien, die Gewerkschaft der Privatangestellten und der
Österreichische Gewerkschaftsbund.
Den Namen hat das Alfred Dallinger – Symposium im Gedenken an Alfred Dallinger (geb. 1926, gest.1989),
der von 1980 bis zu seinem Tod die Funktion als Bundesminister für Soziales innehatte. Vorbildlich war er
sowohl als Visionär, aber auch erfolgreich in der konkreten Umsetzung von Maßnahmen, die die soziale,
berufliche und persönliche Situation von Bürgerinnen und Bürgern in unterschiedlichen Bereichen verbesserte.
Heuer fand das Symposium zum fünften Mal statt. Das Symposium hat, neben dem internationalen Anspruch, zum Ziel, Themen unter gewerkschaftlichem-pädagogischem-politischem Aspekt zu beleuchten.
Das Thema des diesjährigen Symposiums war „Gemeinsam lernen-Vielfalt leben“ und galt auch als Fortbildungsveranstaltung für LehrerInnen.
Das Strukturkonzept dieses Symposiums beinhaltete Eröffnung und Begrüßung durch RepräsentantInnen
von Bildungseinrichtungen und der Arbeiterkammer, Vorträge von ExpertInnen, die verschiedene Aspekte
des Themenkomplexes beleuchteten, Workshops, in denen in kleinerer Runde Präsentationen und Diskussionen stattfanden, Präsentation von Good Practice Beispielen so wie Zeit für informellen Austausch in
nicht verplanten Zeitschienen.
Folgende Vorträge wurden angeboten:
• Inklusion und Schulentwicklung: Jürgen Oelkers, Universität Zürich
• Die inklusive Schule - Motive, Konzept, Bildungspolitik: Hans Wocken, Universität Hamburg
• Umgang mit Vielfalt im Bildungswesen - Die Pädagogische Hochschule Heidelberg und ihr
Heidelberger Profil: Anneliese Wellensiek, PH Heidelberg
• Integrationsversagen - Migrantenkinder als Objekt der Bildungspolitik: Frank-Olaf Radke,
Goethe Universität Frankfurt
Die Titel der Vorträge machen deutlich, mit welchen Bereichen innerhalb des Themenfeldes „Inklusion“ sich
die Vortragenden auseinandersetzten. Detailliertere Beschreibungen würden hier zu weit führen, es kann
aber gesagt werden, dass alle Vortragenden es für notwendig halten, das Konzept der Inklusiven Bildung
voranzutreiben.
Allerdings gibt es Rahmenbedingungen, ohne die dieses nicht umgesetzt werden kann, erschwerend sind
die Behäbigkeit, mit der Umdenken einsetzt, die Langsamkeit, mit der Reformen angegangen werden. Auch
gesellschaftliche und politische Haltungen und Umstände stehen „echter“ Inklusion oft im Weg. Chancengleichheit ist, wie wir z.B. beim Thema „Vererbung von Bildung und Chancen“ wahrnehmen, durchaus nicht
Realität, wenn gleich immer wieder das Recht darauf betont wird.
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I-JOURNAL Mai 2014
In den Workshops wurden unterschiedliche Aspekte zum Thema „Inklusion“ präsentiert und diskutiert, hier
sollen zur Übersicht nur die Workshop Titel aufgelistet werden:
1.
Integration/Inklusion in allgemeinbildenden Schulen: eine Erfolgsbilanz
2.
Integration/Inklusion in berufsbildenden Schulen
3.
Von der Integration zur Inklusion: Aspekte der inklusiven Berufsbildung-Chancen und Hürden
4.
Beziehung ist nicht alles in der Schule, aber ohne Beziehung ist alles nichts!
5.
Genderintegrität und Mündigkeit im Schulalltag
6.
Entrepreneurship Education zur Chancenstärkung und Begabungsförderung
7.
Interkulturelle Kompetenz im Schulalltag entwickeln
8.
In Vielfalt lässt sich‘s leben! Die lernende Schule in einer vielfältigen Umwelt-Beteiligung,
Kooperation und Unterstützung als Bedingung und Chance
9. Lehrkräfte mit Migrationshintergrund: Bildungspolitische Erwartungen und individuelle
Umgangsweisen
10. Diversity Management in Schulen-Chancengerechtigkeit, Anerkennung und Antidiskriminierung
Den offiziellen Abschluss des Symposiums bildeten die Präsentationen von Good Practice Beispielen gelingender bzw. auf den Weg gebrachter Inklusion in Kindergärten und Schulen, von der Volksschule über
Sonderpädagogische Zentren bis hin zu allgemeinbildenden so wie berufsbildenden mittleren und höheren
Schulen.
Die große TeilnehmerInnenzahl am Symposium, so wie die angeregten Gespräche in den Pausen und
auch beim Buffet und auch das große Interesse an den Workshops haben einmal mehr gezeigt, dass das
Thema ein hoch aktuelles ist, mit dem sich viele Personen aus dem Bildungs- und Sozialbereich, so wie
Erziehungsberechtigte, Fördergeber und andere, auseinandersetzen.
Einmal mehr wurde deutlich, dass Inklusion, die ja bedeutet, allen Menschen die Teilhabe an allen Lebensbereichen zu ermöglichen, ein großes gemeinsames Ziel ist. Genau so deutlich wurde aber auch, wie zäh
und mühsam die Annäherung an dieses Ziel sein kann, aber ebenso, wie mit viel Überzeugung, Kreativität
und Wollen Inklusion zumindest in einigen Teilbereichen schon sehr gut gelingt.
Veranstaltungen wie das „Dallinger Symposium“ haben große Bedeutung und den Veranstaltern sei gedankt, dass sie dieses einmal mehr zu einem gesellschaftspolitisch so relevanten Thema organisiert haben. Besonders verwiesen werden soll auf die hohe Qualität des Symposiums, für viele Teilnehmerinnen
erweiterte sich das Wissen über Inklusion, der Blickwinkel und die Motivation in dieser Richtung (weiter) zu
arbeiten, um dem Ziel der Teilhabe aller Menschen in allen Lebensbereichen näher zu kommen.
Sehr detaillierte Informationen über das Dallinger Symposium, die Vorträge, Workshops und Good Practice
Beschreibungen so wie Fotos finden Sie unter:
http://alfred-dallinger-symposium.at
Judith Stender
Stadtschulrat für Wien, Integrationsberatungsstelle
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I-JOURNAL Mai 2014
Motivate us!
Comenius Projekt SPZ 10, Quellenstraße 52
Das SPZ 10 Quellenstraße bewarb sich intensiv um die Teilnahme an einem multinationalen Projekt der
Europäischen Union, dessen Beginn im September 2013 war.
Der vorbereitende Besuch der Schulrepräsentanten aus Belgien, Dänemark, Deutschland, Nordirland fand
im Jänner 2013 an unserem SPZ in Wien statt.
Dieser Besuch einer europäischen Delegation war sowohl für SchülerInnen wie auch LehrerInnen angenehm aufregend. Die SchülerInnen am SPZ erkannten, dass Englisch tatsächlich außerhalb der Schule
gesprochen wird, und für die LehrerInnen gab es einen hoch interessanten Austausch mit den anderen
europäischen Kollegen und Kolleginnen, die vereinzelt Comenius Projekte bereits erfolgreich durchgeführt
hatten.
Wir sind sehr glücklich darüber, dass im September unser geplantes Projekt „Motivate us“ mit unseren
Partnern aus diesen Ländern starten konnte. Die Dauer des Projektes beträgt zwei Jahre. Wir sehen dieses
europäische Engagement als zusätzliche Professionalisierung unseres sehr gut qualifizierten, engagierten
Teams.
Das Thema des Projektes ist die Umsetzung der „21 Century Skills“ an der Sonderschule. Diese Fähigkeiten sollen besonders durch die Motivation aller Beteiligten umgesetzt werden und die SchülerInnen so zum
lebenslangen Lernen anleiten.
Um diese Ziel erreichen zu können, orientieren wir uns an den Untersuchungen von Robert J. Marzano,
John Hattie und Partnership 21. Die Ideen dieser Modelle sollen uns dabei helfen, unsere Arbeit zu evaluieren, zu reflektieren und zu organisieren. Unsere Umsetzungen werden auch anderen Schulen auf unserer
Homepage zur Verfügung gestellt (www.motivate-us.at).
Das Kick-off Treffen fand in Heide, in Deutschland statt. Das
Hauptthema unseres Besuches war Soziales Lernen. Im Zuge dieses Themas wurde das Programm „Faustlos“ vorgestellt. Das Programm hat zum Ziel, sozial-emotionale Fähigkeiten zu erlangen,
Empathie zu trainieren und Problemlösungsstrategien zu erlernen.
Die Vorstellung erfolgte in theoretischer wie auch in praktischer
Hinsicht und hinterließ einen positiven Gesamteindruck.
Die KollegInnen kamen von diesem Besuch mit vielen Wünschen
und neuen Ideen nach Hause, was für das ganze Team sehr bereichernd war. Der Wunsch nach einem Schulschaf und Kleintierhaltung musste jedoch leider von der Direktion abgelehnt werden.
Der anregende Austausch von Ideen und Erfahrungen im Arbeitsfeld Schule mit den KollegInnen aus den
teilnehmenden Ländern hat unseren Horizont erweitert und uns für die auf uns wartenden Aufgaben hoch
motiviert.
Vereinbart wurde, dass zwischen den Besuchen an jeder Schule das Gesehene ausprobiert wird und individuell an die Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe der Schule angepasst wird.
Eine Evaluation der erarbeiteten Inhalte und deren Umsetzung finden jeweils zu Beginn des nächsten Treffens statt.
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I-JOURNAL Mai 2014
Bei winterlichen Verhältnissen fanden wir uns in Kopenhagen wieder.
Der Fokus dieses Treffens lag auf der Gestaltung der Lernumgebung. Als Beispiel für gelungene Gestaltung der Lernumgebung sahen wir eine Schule für Kinder mit Austismusspektrumstörung. Weiters wurde uns ein Projekt, das auch für dänische Verhältnisse außergewöhnlich ist, vorgestellt. Die Besonderheit ist, dass an den Prozessen der Planung einer Gesamtschule gemeinsam mit den ArchitektInnen alle
SchulpartnerInnen aktiv beteiligt waren. Resultat dieser
Zusammenarbeit ist ein hochmoderner, großzügiger, offener und doch angenehm gestalteter Schulbau - offen
zugängliche Küchen für alle Klassen, Smartboards für
jede Klasse, Laptops für jede SchülerIn und als Besonderheit ein Trockenschrank für nasse Kleidung.
Im Mai findet unser nächstes Treffen in Irland statt mit
dem Schwerpunkt auf Informations- und Kommunikationstechnologie und deren Einsatz im sprachheilpädagogischen Bereich.
Im September treffen wir einander hier Wien. Wir freuen uns auf die kommenden Treffen und auf den regen
Austausch von Ideen und Erfahrungen im Rahmen des
Projektthemas!
Dipl.Päd. Dir. Katharine Ostermann
Dipl.Päd. Susanne Bauer, BA
Mag. Marlene Fetz, Bakk.phil.
Sonderpädagoginnen am SPZ 10, Quellenstraße 52
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I-JOURNAL Mai 2014
Ein neues „Therapeutisches Material“
oder bloß ein Stückchen Stoff?
Das Projekt zum Thema „raumSchläuche – schlauchRäume“ begleitet die ILB
schon seit einigen Jahren.
Immer wieder mach ich mir Gedanken
darüber, wie mit den raumSchläuchen
gearbeitet werden kann und werde von
den Ideen der SchülerInnen überrascht.
Das Material: dehnbarer Stoff aus Lycra,
Nähseide und womöglich eine Overlocknähmaschine für dehnbare Nähte - und
schon kann es losgehen.
Kinder haben so viel Phantasie, Vorstellungsvermögen und räumliches Denken!
Wenn wir Erwachsenen das zulassen, erleben wir oft Überraschungen.
Die lustigsten Gebilde entstehen und geben den SchülerInnen die Möglichkeit darin zu verschwinden, sich
unsichtbar zu machen, „sich“ zu öffnen, andere einzuladen, oder manchmal einfach allein zu sein.
Habe ich Sie neugierig gemacht?
Dann erlauben Sie mir ein paar Worte zur Entstehung des Projekts:
Raumschläuche schaffen bessere Lernwelten
Projektidee
•
Architektinnen DI Renate Stuefer und DI Alexandra Schilder von der TU Wien, Film Karin Macher
•
OBLin für Werkerziehung Gabriele Reithofer und Dipl. Pädin Waltraud Pröstler von der Integrativen
Lernwerkstatt Brigittenau
Kurze Darstellung der Ausgangssituation und der Ziele
Unsere SchülerInnen haben auf Grund von SCHWERPUNKT WERKEN wöchentlich 100 Minuten Werkunterricht. Das Projekt sollte ungefähr ein Semester lang dauern, und sowohl im Werkunterricht als auch
fächerübergreifend in der Stammgruppe C (1. - 4. Schulstufe) stattfinden.
raum SCHLÄUCHE- schlauch RÄUME waren unser Thema:
„Ich verändere den Raum, der mich umgibt – mit meinem Körper!“
Die Raumschläuche sollten aus dehnbaren Stoffen sein, und natürlich von den Kindern entworfen und
hergestellt werden. Ungewöhnliche neue Räume für die Schule wurden von den Kindern entwickelt. Diese
Räume haben Qualitäten und Eigenschaften, die es bisher in der Schule noch nicht gab. Es entstanden
Hüllmaterialien für verschiedenste Rauminszenierungen. Die nötige Ausstattung an Nähmaschinen und
Overlockmaschinen war vorhanden, und so konnte es sehr bald losgehen.
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I-JOURNAL Mai 2014
Ablauf - 4 Workshop-Phasen im Projekt:
1.RAUMentwürfe:
„Bewegte Ideen“ zeichnend, diskutierten und entwickelten Kleingruppen Raumschläuche: Den „blauen Kürbis“, den „laufenden
Donut“, den „Känguruhbeutelschlauch“, die „rosa Golatsche“ und
den „für-uns-alle-Riesenschlauch“.
Material wurde ausgewählt - „Der dehnt sich, fühlt sich an wie
Seide und riecht nach Gummi!“ - Schnitte von den Kindern gezeichnet und am eigenen Körper überprüft, Stoffe zugeschnitten,
Teile aneinander gesteckt und dann mit der Overlock zusammengenäht.
Lara: „Du musst ja nicht in einer Reißverschlussecke sitzen.“
Julia: „Aber Notausgang ist in einer Reißverschlussecke.“
Lara: „Ei, ja!“
Florine: „Ich sitz’ neben dem Notausgang. Immer!“
Lara: „Glaubst du wirklich, der Raumschlauch fängt auf einmal an
zu brennen?“
Florine: „Nein, aber dort finde ich es am besten – außerdem kann
ich dort rausschauen.“
2. RAUMexperimente im Klassenzimmer:
„Private Sphären sind Klasse“ - Wir spielen mit dem Raum im Raum. Gemeinsam wurde der Klassenraum
untersucht, durchsucht, beobachtet und erforscht. Durch das Bespielen mit weichen, raumbildenden Elementen und dem eigenen Körper wurde der harte Klassenraum mit seinen Abläufen und Funktionen hinterfragt, interpretiert, verstärkt oder auch negiert. – Neue Raumstrukturen veränderten bestehende. Wir waren
auf der Suche nach Privatem und deren Schnittstellen zum Umraum.
3. RAUMexperimente im Außenraum:
„Klasse Räume werden öffentlich“ - Die Kinder verorteten als Raumträger ihre Klasse neu. Sie luden neugierige Besucher zu Gesprächen und Picknick in ihre Räume ein und reicherten ihre Schläuche mit Erlebnissen und Fundstücken an. So haben die Kinder für sich Räume entwickelt, erweitert und sich einen
öffentlichen Platz angeeignet.
4. RAUMexperimente im Modell:
„Rückblenden und Visionen“ - Mit dem Versuch, einen kindlichen Zugang zu finden, entstanden diese Modelle im Anschluss an die sinnlichen 1:1 Experimente und Erfahrungen der ersten drei Phasen – ähnlich
dem Erlebnisaufsatz, der dem Erlebnis folgt.
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I-JOURNAL Mai 2014
Laurenz: „Ich finde es sehr toll, dass man einen Stoff so
dehnbar machen kann. Da drinnen ist es wie im Himmel.“
Josef: „Im ersten Raumschlauch war es ziemlich eng
und ich hatte viel Spaß. Mich hat es gewundert, wie viele
Kinder in einen Raumschlauch passen.“
Leonie: „Ich fand mich im grauen ein bisschen eingequetscht, im Großen zum Aufhängen habe ich mich sehr
gut gefühlt. Ich fand es sehr lustig!“
Franz: „Ich habe mich auch wie in einem Himmelbett gefühlt. Es war lustig und toll.“
Nachhaltigkeit und pädagogische Dominoeffekte:
Am Beginn des Projektes konnte niemand ahnen, wie viele Kreise es einmal ziehen würde. Die Ausstellungen zum Thema „ Fliegendes Klassenzimmer“ in mehreren Bundesländern, der Film, das Buch, all das
bekam eine eigene Dynamik. Ein wunderbarer Dominoeffekt, der österreichweit und international zu vielen
eigenwilligen raumSchläuchen geführt hat!
Im Juni 2013 erhielten wir einen Architekturpreis des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst:
„Award für bessere Lernwelten“ Anerkennung Baukulturvermittlung
http://www.bmukk.gv.at/ministerium/vp/2013/20130527.xml
54
I-JOURNAL Mai 2014
Im Rahmen des Comenius Regioprojekts zum Thema „ Augenmerkkinder“ mit Schulen aus Berlin-Pankow, dem Rudolf-Ekstein Zentrum und
der ILB in Wien versuchten Erwachsene in einem Workshop, sich mit
dem Thema auseinanderzusetzen.
Eine wunderbare Rückmeldung:
Im EU Projekt haben wir die Arbeit von Gabi Reithofer mit den „Raumschläuchen“ kennengelernt: Eine herrliche Erfahrungswelt von Selbstwirksamkeit, Gestaltungsmöglichkeiten, Raumerfahrungen wie Innenund Außenwelt, Begrenzung/Ausblick, ... Da nähen schon 1. Klassler
an der Nähmaschine, auch die „Schwierigen“!
http://www.augenmerkkinder.eu/
Was ich besonders erwähnen möchte, ist ...
... dass einige Kinder auch eigene Raumschläuche für zu
Hause herstellen wollten. Eltern erzählten, dass sie ihre Kinder meistens im Raumschlauch ruhend vorfinden können, oft
wild tobend mit Freunden, oft ganz still und besonnen.
Die Mutter eines am Projekt beteiligten Kindes arbeitet
in einem Kindergarten. Sie war so begeistert, dass sie
auch im Kindergarten Raumschläuche hergestellt hat.
Noch heute werden die Raumschläuche ausgeborgt und im Unterricht verwendet.
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I-JOURNAL Mai 2014
Weitere mir wichtige Anmerkungen:
Mit den Raumschläuchen entsteht ein wunderbar raumgreifendes Werkstück, bei dem es in der Herstellung
und im fertigen Zustand ums hautnah Spüren, aktiv Formen, lustvoll Experimentieren geht. Pädagogik und
Architektur wirken da gemeinsam!
Besonders Kinder mit autistischer Wahrnehmung erleben wir im Umgang mit den Raumschläuchen oft total
entspannt. Durch das Hineinschlüpfen in einen Schlauch spüren manche erstmals ihre körperlichen Grenzen. Kinder mit auffälligem Verhalten arbeiten gerne umhüllt in „ihrem Raum“, wie sie den Raumschlauch
bezeichnen.
Besteht die Möglichkeit, die Schläuche mit den Kindern gemeinsam herzustellen, haben sie natürlich noch
mehr Wirkung.
Alle Kinder der ILB werden im Bereich Sinnes- und Sozialschulung besonders gefördert. Seit 15 Jahren
haben wir „Schwerpunkt Werken“, das bedeutet, dass alle Kinder sowohl im „wöchentlichen“ textilen und
technischen Werkunterricht, als auch in Ateliers, kreativ sein dürfen. „Werkclub“ und „Kunstatelier“ sind
zusätzliche Angebote an unserer Schule.
Das Besondere daran ist die Besetzung mit WerklehrerInnen, (Andrea Schügerl und mir) sowie jeweils zwei
SonderpädagogInnen (Jennifer Vorhemus und Naima Kilz oder Philipp Wuscher und Ingrid Passweg).
So ist es möglich, eine große Gruppe zu betreuen sowie im Zuge der „INKLUSION“ auch Kinder mit autistischer Wahrnehmung, Kinder mit Down Syndrom oder einfach besonders „betreuungsintensive“ Kinder
teilhaben zu lassen.
Die SchülerInnen erarbeiten ihre Werkstücke hauptsächlich nach eigenen Ideen – „Freies Werken!“
Nahezu alle Kinder nähen ab der 1. Schulstufe an der Nähmaschine.
Für viele Integrationskinder ist dieses Werkzeug
„Nähmaschine“ ein kleines Wundermittel. Kinder
mit auffälligem Verhalten
werden ruhiger und lernen durch ganz genaue
Regeln, mit dem Gerät
umzugehen. Unsere Erfahrungen und zahlreiche
Berichte und Fotos bestätigen diesen Erfolg!
Gabriele Reithofer
OBLin für Werkerziehung an der Integrativen Lernwerkstatt Brigittenau seit 1998,
also seit Bestehen der ILB & Lehrbeauftragte für textiles Werken/APS an der PH Wien
[email protected]
PS: Danke an die Architektinnen der TU Wien Renate Stuefer und Alexandra Schilder!
Zum Projekt gehört der Film „raumSchläuche – schlauchRäume“ von Karin Macher und das Buch „Räume
bilden“ von Renate Stuefer und Antje Lehn.
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I-JOURNAL Mai 2014
NACHTRAG:
Am 1. Mai 2014 wurde uns im Rahmen einer sehr feierlichen Preisverleihung im Radio Kulturhaus, für unser gemeinsames Projekt „raumSchläuche – schlauchRäume“ der 2. Platz der SOZIALMARIE im Wert von
10.000 Euro verliehen.
Weiterführende Links:
http://sozialmarie.org/preistrager
http://derstandard.at/1397522146970/Der-laufende-Donut-und-die-rosa-Golatsche-in-Wien
http://tvthek.orf.at/program/Wien-heute/70018/Wien-heute/7862562/Wien-heute-1Mai/7863596
57
I-JOURNAL Mai 2014
E-Learning –
The Scottish Way
Stuart Simpson
(‘The Forgotten Middle’)
I know that the topic of this issue of
the ‘Perspektive’ is eLearning. So
I should really be writing about the
use of the modern technologies in
Scottish schools. But I would like
to do something a little bit different.
Recently, I read an article in my favourite newspaper: ‘The Scotsman’,
which I read online every day (so it’s
a kind of eLearning); it was all about
an ‘environmental’ learning project
in a very underprivileged region of
Central Scotland called North Lanarkshire. So you see my article IS about
eLearning, not Electronic but Environmental.
North Lanarkshire was one of the
most productive coal-mining regions
in Scotland. But that was a long time
ago when the Scottish economy was
dominated by heavy industry underpinned by shipbuilding in Glasgow
(North Lanarkshire is on Glasgow’s
doorstep), coal mining and steel
industries. “North Lanarkshire was
once a thriving industrial region, but
the decline of mining and other heavy
industry meant that the area has
struggled economically and socially.
Opportunities for young people were
limited and over time this led to widespread apathy and low aspirations
among many of the underprivileged
young people in the area.”
This situation really worried the North
Lanarkshire Board of Education, so
in 1997, it launched an environmental project together with the Scottish
NGO ‘The Outward Bound Trust’
aimed at raising the prospects of these
young people. The project consisted
of an annual five-day residential outdoors adventure course at the Trust’s
Loch Eil Centre near Fort William and
Ben Nevis in the Scottish Highlands.
Every year in the cold winter months
of November and December, 25% per
cent of all 14-year-olds from every
school (including the SEN schools)
in the region are sent on the course.
This means that around 850 pupils
a year, and more than 15,000 young
people since the project started have
taken part.
The target group for this project is
what might be termed ‘the forgotten
middle’, that is those pupils identified
as having unrealised potential who
need to move forward, to get help with
confidence and to raise their aspirations, so they may find a way to do
their best and improve their performance at school.
When reading the Scotsman article,
I was wondering to myself whether
there is also a ‘forgotten middle’ in
Vienna. Let’s look at the definition
again: “pupils identified as having
unrealised potential who need to
move forward, to get help with confidence and to raise their aspirations,
so they may find a way to do their
best and improve their performance
at school”. Does it ring a bell? Do you
know any pupils that would fit this
description? Are you teaching some
of the ‘forgotten middle’? I am sure
you are. So what can we do? Maybe,
a five-day residential outdoors adventure course in the Scottish Highlands?
That would be fabulous. I would be
willing to organise it – you bet. But I do
not think that is very realistic. Maybe
we can think of something else? However, honestly, I do not really think that
it matters what the project is about. It
is all about what can we do for the ‘forgotten middle’?
In a wider context, society has much
to do with the ‘forgotten middle’? A
conservative worldview doesn’t really
seem to care too much about the
middle; it only cares for its ‘own’. Let’s
call them the ‘ever-present top’.
And since we were just dreaming
about the Scottish Highlands, a tiny
example that breaks my heart: about
half of Scotland is owned by just 500
people. Statistically, this means that
each of these 500 ‘ever-present top’
owns 78,5 km2 and the rest of the
5,316,100 people in Scotland ‘own’
0,007km2 each. Now somehow that
doesn’t seem very fair, does it?
And what about Austria? Who does it
belong to?
Of course, it is not just about owning
land but it is a good example to show
the prevalent inequality between the
‘forgotten middle’ and the ‘ever-present top’.
So eLearning is a good topic: Electronic learning and Environmental
learning, and now let’s add another
type of learning: Equality learning.
Good luck!
Schon erschienen in “Perspektive” (Zeitung des Zentralvereins der Wiener LehrerInnen) N1.1/2014
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I-JOURNAL Mai 2014
Comeniusprojekt “It’s my life!“
Beim Eröffnungsseminar in Alden Biesen zum Thema „International cooperation between schools for children and youngsters with special needs“ fanden sich DirektorInnen und SonderschullehrerInnen aus Belgien, Holland, Dänemark, Finnland, Rumänien und Österreich im gemeinsamen Thema „Was brauchen
Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen in Vorbereitung auf das Erwachsensein?“
Der Titel “It‘s my life!“ entstand und beinhaltet neben den fachlichen Kompetenzen, die unsere Schülerinnen
und Schüler im Laufe ihrer Schulzeit erwerben müssen auch und vor allem die Persönlichkeitsentwicklung.
Das gemeinsame Bestreben musste sein: Alle eigenen Bemühungen, die bereits in diese Richtung gingen,
zu vertiefen und sich Anregungen aus anderen Ländern und Schulsystemen dafür zu holen.
Das gemeinsame Ziel für die Projektlaufzeit und weit darüber hinaus: Jugendlichen mit SPF eine stabile
Brücke ins „echte Leben“ geben zu können, ihnen Erfahrungen und verschiedene Möglichkeiten in der Gesellschafft zu offerieren und sie zu einem erfolgreichen und selbstbestimmten Leben zu befähigen.
Gemeinsam fand man eine Einigung auf die wichtigsten Aspekte und machte sie zu den Themen der
Meetings, die in den nächsten zwei Jahren folgen würden: „kick-off-meeting“ zur Sondierung in Dänemark,
„social and emotional skills“ in Österreich, „self-esteem“ in Finnland, „stepping out to the community“ in Holland, „interaction with the community“ in Belgien und ein Abschlusstreffen in Rumänien, wo das Endprodukt
„a suitcase for life“ finalisiert werden sollte.
Als betroffene SchülerInnen-Gruppe wurden die Jugendlichen der letzten beiden Schulstufen jedes Landes
gewählt.
Als organisatorische Schwierigkeit stellte sich heraus, dass Rumänien den Zuschlag für das Projekt nicht
bekam und ausschied. Daher entschieden wir uns beim kick-off-meeting, das letzte Treffen dort abzuhalten, wo unser Projekt mit dem ersten meeting auch begann – in Dänemark.
Das Konzept des Projektes war, dass bei jedem Treffen ein
neues Thema behandelt und das vorhergegangene evaluiert
wird. Erfolgsmethoden standen im Vordergrund. Das bedeutet,
dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer präsentierten, was
ihre Schule zum jeweiligen Thema leistet. Ziel war, dass ein
möglichst großer Austausch von „best practice“ auf Basis eines
breiten, internationalen Wissens entsteht.
Auch neue Produkte und Arbeitsmaterialien entstanden, mit
denen sowohl wir, als auch Kolleginnen und Kollegen aus den
Partnerländern noch heute arbeiten. Ein Beispiel dafür sind die
Kompetenzsterne, die Kollegin Weissgärber und ich zu den
Themen „Emotionale Kompetenzen“, „Soziale Kompetenzen“
und „Arbeitshaltung“ entworfen haben.
Ein Beispiel dessen, was wir aufgegriffen und angepasst übernommen haben, ist das Ampelsystem aus der dänischen Partnerschule.
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I-JOURNAL Mai 2014
Dänemark
Österreich
Wir präsentierten neben Ideen, Arbeitsmaterialien und Spielen bei jedem Treffen auch unsere jeweiligen
Schulen und sprachen mit Schülerinnen und Schülern, sowie Lehrerinnen und Lehrern der jeweiligen Häuser über unsere Länder und konkret das Arbeiten an der jeweiligen Schule. Gemeinsamkeiten und Unterschiede wurden in diesem Setting besprochen und diskutiert.
Unsere Schule bereitete das Projektthema im Unterricht mit den Kindern und Jugendlichen auf, doch erst die Präsentationstische und die
Gespräche mit unseren Gästen, machten das Projekt für unsere Schülerinnen und Schüler richtig greifbar.
Unser Endprodukt – unser „suitcase for life“ – ist eine Website geworden, wo wir alle bewährten und neuen Arbeitsmaterialien, sowie Präsentationen gesammelt haben. Zusätzlich bekommt man Infos über
die Partnerschulen und deren
Schulsysteme, sowie bildhafte Eindrücke der meetings
und Vieles mehr.
Das Comeniusteam der Franklinstraße nimmt aus diesem Projekt
eine Menge praktischer Erfahrungen, neues Wissen, aber auch
Selbsterfahrung und neue Kontakte mit.
Mag. Katharina Duchkowitsch, B.Ed
Sonderschullehrerin am SPZ 21
Koordinatorin des Comeniusprojekts
“It‘s my life“ in Österreich
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I-JOURNAL Mai 2014
Copy&Paste
Wie passt Kulturelle Bildung zur Berufsvorbereitung?
1 Der Standort
Die Schule Holzhausergasse hat zwei Schwerpunkte: „Berufsvorbereitung“ und „Kulturelle Bildung“, diese werden in drei Programmen umgesetzt:
•
Kompetenzkatalog „Fokus Kompetenz“:
Um den am Arbeitsmarkt benachteiligten Jugendlichen eine Chance zu bieten, wurde das
Unterrichtsangebot am gesamten Standort durch ein verstärktes Training von Schlüssel
qualifikationen erweitert.
•
Berufsvorbereitungslehrgang „JobFit“:
„JobFit“ kann für die Dauer von ein bis drei Jahren besucht werden, und hat die optimale Berufswahlförderung mit angeschlossener Jobvermittlung als Ziel. Der Lehrgang besteht aus sieben
Klassen, die modulhaft als eine Gruppe geführt werden, wobei kognitive Einheiten, Übungsfirmen, Betriebspraktika und Seminare die Grundstruktur bilden.
•
Kulturelle Bildungsschiene:
Die „arts education holzhausergasse“1 ist eine schulstandortumfassende Maßnahme zur Ent
wicklung eines neuen Lernzugangs für Schüler/innen. Der Schwerpunkt liegt am künstlerischen
Aspekt. Die theoretische Grundlage dazu bildet die „Road Map for Arts Education“ , welche
Kreativität als wichtigen Faktor für Innovation und die Lösung zukünftiger Herausforderungen
beschreibt.
2 Das Projekt
Copy&Paste sollte die Programme „Berufsvorbereitung“ und „Arts Education“ verbinden. Beides lief bislang erfolgreich nebeneinander, es
gab aber keine Verknüpfungsprojekte zwischen
dem „praktischen“ Part „Berufsorientierung und
–findung“ und dem Teil „kulturelle Bildung“.
Im Frühjahr 2012 wurde der Plan entwickelt,
erste Verknüpfungen systematisch auszubauen,
indem an der Schule ein „Museumsraum“ nachgestellt werden sollte. Handwerklich Erlerntes
als auch bildnerische Erfahrungen der Schüler/
innen sollten in dieses Projekt einfließen. Im
Zuge der Nachgestaltung könnte die Gesamtkomplexität eines Museumsbetriebes näher gebracht werden.
Das MUSA2 ist die Sammlung zeitgenössischer Kunst der Kulturabteilung der Stadt Wien. Diese Institution umfasst den Präsentationsbereich für Themenausstellungen aus der Sammlung, die „Startgalerie“
und die „Artothek“. Da bei „Copy&Paste“ das Kopieren der Kunstwerke und der Ausstellungsumgebung
im Vordergrund stehen sollte, bot das MUSA auf Grund seiner räumlichen Anlage eine übersichtliche,
kopierbare Vorlage zum Abschauen.
1
2
„Arts Education – Building Creative Capacities for the 21st Century“ Weltkonferenz 2006 in Lissabon
„Museum Startgalerie Artothek“, Wien 1., Felderstraße 6-8, http://www.musa.at [27.02.2013]
61
I-JOURNAL Mai 2014
3Ziele
Das Projekt wurde von meinem Kollegen und
mir geleitet und durchgeführt. Wir teilten es in
einen praktisch-handwerklichen und in einen
künstlerisch-ästhetischen Fachbereich auf.
Aus Sicht dieser Bereiche ergaben sich die
Zielstellungen:
1. Sensibilisierung der SchülerInnen für Kreativität im Sinne einer Problem-
lösungskompetenz.
2. Anwenden des handwerklich Erlernten beim „Abschauen“ und „Nachbauen“.
3. Erhöhen des Antriebs der Schüler/innen über Impulse der Partnerinstitution.
Das Hauptziel der Lehrerebene resultierte
aus Überlegungen zur dritten Zielsetzung auf
Schüler/innenebene.
4. Die Lehrer agieren im Projekt als Begleiter.
4 Rückblick 2012/13
Die Kooperation mit dem MUSA umfasste drei
Ausstellungszyklen. Die erste Ausstellung
„Space affairs“ diente als Einstieg in das Museumsprojekt und beinhaltete das Kennenlernen der Räumlichkeiten sowie der beteiligten
Personen.
Bei den Umbauarbeiten zur darauf folgenden
Ausstellung „disturbances“ erlebten die Schüler/innen die Veränderung der Ordnung und
des Charakters der Räumlichkeiten live mit. So
konnten sie erstmals eine Ausstellung von der
Planung bis zur fertigen Montage beobachten.
Die Jugendlichen waren von Beginn an vom
Werk „Somewhere Else I“ von Justine Blau begeistert. Das Objekt bestand aus unzähligen
aufgesteckten Fotografien, die wiederum eine
neue Landschaft ergaben. Dieses Sujet wurde
von den Schüler/innen weiterentwickelt und
als Gruppenarbeit realisiert.
Den dritten Ausstellungszyklus bespielte die
Künstlergruppe „monochrom“. Die aktionistischen Objekte hatten Themen der politischen
und gesellschaftlichen Gegenwart zum Inhalt und persiflierten diese. Damit waren die
Jugendlichen inhaltlich mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen konfrontiert.
62
I-JOURNAL Mai 2014
4.1Evaluation
Das Bobachtungstagebuch bestand aus den Erkenntnissen der „Reflexionsfragen“ an die
Schüler/innen und den „Ad-hoc-Reflexionen“ mit dem Kollegen. Nach jedem Seminartag stellten
die Lehrer den Jugendlichen in der Gruppe vier Fragen. Die Antworten wurden durchgesprochen,
etwaige konkrete Probleme wurden ausdiskutiert. Das Beobachtungstagebuch beinhaltete die
Rückschlüsse aus den Reflexionsgesprächen und den „Ad-hoc-Reflexionen“, mit dem zweiten
Kollegen.
Diese Gespräche behandelten folgende Punkte:
•
besondere Beobachtungen, Veränderungen von einzelnen Schüler/innen
•
Erkenntnisse für den Kooperationspartner MUSA
•
Reflexion der Antworten auf die vier Schüler/innenfragen
Den Abschluss dieser „Ad-hoc-Reflexion“ bildeten die „Genderfragen“, die genderbezogene „Language Awareness“. Im konkreten Fall wurden unter uns beiden Lehrern Situationen durchgesprochen, in denen wir auf „Genderfallen“ gegenseitig aufmerksam geworden sind.
4.2Ergebnisse
Den Abschluss eines Seminartages bildeten eine „Objektbetrachtung“ und eine „Reflexionsrunde“
im Sesselkreis. Beim intensiven Arbeiten am eigenen Objekt passierte es sehr häufig, dass die Jugendlichen nur mehr den Blick auf ihr eigenes Werk richteten und für die Betrachtung der Arbeiten
der Kolleg/innen keine Zeit blieb. Bei der „Objektbetrachtung“ standen nacheinander die Werke
jedes/jeder Einzelnen im Vordergrund, die Gruppe konnte Fragen stellen. Jeder Arbeit wurde „Betrachtungszeit“ gegeben, im Anschluss daran kam es zur Fragenrunde.
1.
„Welche Arbeiten haben Sie heute getätigt“?
2.
„Ich habe gesehen, Sie haben folgende Aufgabe …. getan. Erklären Sie bitte der Gruppe, was Sie getan haben!“
3.
„Welche Arbeiten müssen Sie das nächste Mal durchführen?“
4.
„Wie war die Zeiteinteilung? Brauchen Sie mehr oder weniger Zeit zum Nachdenken?“
Im Projekt stand die Reproduktion der Kunstwerke, deren Präsentation und die Reflexion der Originale im Vordergrund. Die eigentlichen Ziele der einzelnen Jugendlichen waren sehr individuell und
bildeten sozusagen eine „Metaebene“. Die Arbeit an dieser „Metaebene“ wurde durch eine offene
Arbeitsatmosphäre gefördert. Diese Faktoren prägten unsere Rolle als Lehrer, es entwickelte sich
ein Klima des Arbeitens auf einer gleichen gemeinsamen Ebene und des gegenseitigen Respekts.
Die Jugendlichen sahen uns als Ansprechpartner in der Planung ihres Projekts und als Experten
bei technischen Problemen. Wir arbeiteten mit ihnen mit Fokus auf die „Metaebene“, und konnten
ihnen Begleitung zum beruflichen Reifeprozess bieten.
5 Ausblick 2013/14
Inhaltlich wird an die erfolgreiche Kooperation des Vorjahrs angeknüpft. Der Schwerpunkt dieses Projektjahres soll in der Anwendung und Adaptierung von „richtigem Feedback-Geben“ liegen. Die Untersuchungsfrage fokussiert den Lernprozess und prüft Fragen zur Möglichkeit der Selbstregulierung im
Lernen. Die Entwicklung des Feedbackprogramms erfolgt mit Hilfe der Literatur „Lernen sichtbar machen“ (Hattie, Beywl, Zierer, 2013, Scheider Verlag, deutschsprachige Ausgabe von „Visible Learning“)
63
I-JOURNAL Mai 2014
Nach jedem Unterrichtsblock werden der Gruppe Fragen (angelehnt an die sechs Aspekte des Feedbacks nach Hattie und Timperley) als Feedback gestellt.
•
Selbstbeurteilung
•
Selbstzuschreibungen von Erfolg und Scheitern
•
Vertrauen in die Richtigkeit der eigenen Lösung
•
Sich Hilfe holen
Der Erhebungsprozess erfolgte über die Führung des Beobachtungstagebuchs. Dieses beinhaltete die
Rückschlüsse aus den Reflexionsgesprächen.
6Referenzen
Das Projekt wird durch das bmukk über die Initiative IMST3 begleitet, evaluiert und gefördert. Zusätzlich
wurde „Copy&Paste“ im Schuljahr 2012/13 durch das Programm „culture connected“4 ausgezeichnet.
7Organisation
Wilfried Swoboda ist Künstler, Kunstvermittler und Sonderpädagoge und leitet die „arts education“ am SPZ
Holzhausergasse.
Martin Bretterbauer
ist Sonderpädagoge, Coach bei Jobfit und bei diesem Seminar verantwortlich für die
Beschaffung der Materialien.
Sonderpädagogisches Zentrum 2
Allgemeine Sonderschule
Holzhausergasse 5-7
1020 Wien
http://www.holzhausergasse.at
3
4
http://www.imst.ac.at [23.04.2013]
http://www.culture-connected.at [23.04.2013]
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I-JOURNAL Mai 2014
Singen als Ersatzsprache – der Einsiedlerchor
VS 5, Einsiedlergase 7
Die Kinder aus unserer Schule setzen sich zu 98 Prozent aus Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache aus bildungsfernem Milieu zusammen. In allen Klassen und daher auch im Schulchor findet man
meist 16 unterschiedliche Sprachen. Zusätzlich werden in mehreren Klassen I-Kinder unterrichtet. In dieser Situation wird Musik quasi als Ersatzsprache genützt.
Das meist gut ausgeprägte Rhythmusgefühl der Kinder wird
als Ausgangspunkt gewählt. Durch verschiedene Sprachrhythmusübungen, verstärkt durch Körper- und Rhythmusinstrumente, wird versucht, das Hören der neuen Sprache
zu schärfen und die Scheu vor dem Sprechen der neuen
Sprache zu nehmen.
Durch spielerische Arbeit an der Stimmtechnik (lustbetonte
Einsingübungen) wird die Stimme als Instrument bewusst
gemacht.
Diese Arbeit bietet die Möglichkeit, dass neben dem Erwerb
der deutschen Sprache auch musikalische und gesangspädagogische Ziele verfolgt werden können.
Die Zusammenarbeit mit der Musikuniversität (Lehrveranstaltung: „Musikpädagogische Übungen“) bietet die
Möglichkeit, die Kinder in Kleinstgruppen und Einzelarbeit
stimmlich zu unterrichten. Die stimmliche Förderung der Integrationskinder findet ausschließlich in Zusammenarbeit
mit der Sonderpädagogin statt. Oft werden hier erstaunliche Leistungen erzielt – bis hin zum Solosingen. Das führt
zu einer großen Akzeptanz und Bewunderung dieser Kinder innerhalb der jeweiligen Gruppen.
Durch die vorbereitende Arbeit in den Klassen und durch
die Anwesenheit der Sonderpädagogin bei Auftritten ist ein
Mitwirken aller Kinder bei Chorauftritten, sowie Wettbewerben (z.B. Landesjugendsingen 2013 mit ausgezeichneter
Bewertung) möglich.
Die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt uns, dass dies eine wunderbare Gelegenheit zur Integration
bietet. Der verstärkte musikalische Unterricht im Team wirkt sich vielfach positiv aus, besonders im sozialen Bereich. Die Kinder entwickeln durch die intensive Arbeit an ihrer Stimme und durch die Vielfalt an gesanglichen Erfahrungen ein hohes Körperbewusstsein, besser differenzierte Hörgewohnheiten und einen
kritischeren Umgang mit Musik.
Die Schüler verlassen nach Abschluss der vierten Klasse die
Schule mit einem Liedgut von mindestens fünfzig Liedern aus
unterschiedlichsten Musikrichtungen und Ländern. Das Mitwirken im Schulchor erfüllt die Kinder mit Stolz, kompensiert
Defizite und führt zu einer langjährigen Verbundenheit mit der
Schule.
Vobl. Eva Reicher-Kutrowatz, Sobl Brigitta Scheed
Vobl. Martina Bruckner, Vl Andrea Radelmacher
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I-JOURNAL Mai 2014
Gs[ch]ichteln
Begegnung – Partizipation – Kreativität
ein gruppenübergreifendes Zeichenprojekt
im SPZ Hoefftgasse
Projektidee: Claudia Täubler, MA
„Ein Kind ist kein Gefäß, das gefüllt, sondern ein Feuer, das entzündet werden will.“
Francois Rabelais
Um neue Anregungen für den Zeichenunterricht zu bekommen, bestellte ich das Buch „Das Zeichenlaboratorium für experimentierfreudige mixed-media-Künstler“ von Carla Sonheim. Darin stellt die Künstlerin
ihr eigenes Projekt „Faces I´ve seen“ vor. Sie malte 1000 Aquarelle im Format von 7x7cm und stellte diese in einer Ausstellung aus. Das Buch enthält zahlreiche kreative Umsetzungsmöglichkeiten zum Thema
Gesichter. Ich war von der Idee und den vielfältigen Techniken an das Thema Gesichter heranzugehen
begeistert, und begann an einem Wochenende selbst Gesichter zu malen, zu zeichnen, zu kleben […]Ich
hatte Feuer gefangen[...] und überlegte mir dieses Thema in einem generations- und gruppenübergreifenden Zeichenprojekt an der Schule umzusetzen.
Unsere SchülerInnen werden in Kleingruppen von zwei LehrerInnen beschult. Alle Gruppen werden als
Mehrstufenklassen geführt. Das Ziel ist die Reintegration unserer SchülerInnen in eine Großklasse. Gruppenübergreifende Angebote am Standort können durch eine Erweiterung der SchülerInnenanzahl auf die
weiterführende Schule vorbereiten.
Von meinem Zeichenwochenende „entzündet“ begann ich KollegInnen am SPZ die Projektidee vorzustellen
und schlussendlich nahmen vier Volksschulgruppen und vier Hauptschulgruppen teil. Eine Teilnahmebedingung war, dass sowohl SchülerInnen als auch LehrerInnen gemeinsam am Thema arbeiten. Einladungen
ergingen ebenso an alle MitarbeiterInnen am Schulstandort, sowie an Gäste jeglichen Alters (BeratungslehrerIn, SprachheillehrerIn, ReligionslehrerInnen, Schulwart, Direktorin, Raumpflegerin und BesucherInnen, wie ehemalige KollegInnen, die sich schon im Ruhestand befinden …) „[…] echt? Die machen auch mit. Cool! […]“ (Sophia, Schülerin)
Dadurch wurde eine neue, sowohl generationen- als auch gruppenübergreifende Kommunikation ermöglicht, sowie Eigen- und Fremdverantwortung geschult. Während der Projektdurchführung ging weder ein
Bild verloren noch wurde eines zerstört.
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I-JOURNAL Mai 2014
Partizipation:
Ein grundsätzliches Ziel dieses Zeichenprojektes war es, Kinder
und Jugendliche an der Gestaltung aktiv teilnehmen zu lassen. Mitreden, mitgestalten und mitbestimmen zu können trägt sowohl zur
Stärkung von demokratischen Strukturen als auch zur Stärkung eigener Kompetenzen bei. In diesem Projekt sollte ein Raum geschaffen werden um entsprechende Beteiligungsmöglichkeiten erleben
und erproben zu können. Bei der Umsetzung zeigte sich deutlich
Kreativität, Phantasie, Spontanität und Begeisterungsfähigkeit.
Ernst gemeinte Partizipation von Kindern beginnt in den Köpfen
von Erwachsenen. Über entsprechende Beteiligungsmöglichkeiten
können gestalterische Handlungsmöglichkeiten erfahren und soziale Kompetenzen erworben werden. Dies konnte im gemeinsamen
Handeln, Planen und Mitentscheiden im Verlaufe des Projektes erlebt werden. Kinder zu beteiligen heißt auch sie zu aktivieren. Dies
kann auch „unbequem“ werden, wenn aktiv Mitwirkende die Möglichkeit nützen, Wünsche und Bedürfnisse zu äußern.
Hannes, Schüler […] das ist mir zu kindisch, hast du nichts anderes? […]
Die Kinder und Jugendlichen sollten erfahren, dass aktives Mittun zu Veränderungen führen kann und ihr
Engagement gefördert und wertgeschätzt wird.
[…] ich hab da was im Internet gefunden, kannst du das brauchen? […] (Tobias, Schüler)
Durch ihre Beteiligung fand eine Identifikation sowohl mit der Gruppe der TeilnehmerInnen als auch mit
dem entstehenden Produkt statt.
Prozessbegleitung: Sichtbar machen des Prozesses durch das Anbringen der einzelnen Bilder auf
Pinnwänden
Als wesentlicher Bestandteil des Projektes stellten sich die Pinnwände heraus, an denen die einzelnen
Bilder nach Fertigstellung aneinandergereiht wurden.
In den ersten Einheiten sammelten wir die entstandenen Bilder noch
an der Tafel und befestigten sie mit Magneten. Doch die Menge ließ
uns über eine andere Art der Präsentation nachdenken. Schnell war
klar, dass die Bilder nicht in einer Lade verschwinden und erst wieder für die Ausstellung aufbereitet werden sollten. So kamen wir auf
die Idee mit den Pinnwänden, die uns unser Schulwart dankenswerter Weise sofort zur Verfügung stellte.
zwischen den TeilnehmerInnen statt.
Die TeilnehmerInnen hatten somit jederzeit die Möglichkeit die Bilder zu betrachten und sich auszutauschen. Dafür wurde unser Klassenraum als „offene Werkstatt“ vorübergehend neu konzeptioniert.
Es kamen sowohl Kinder als auch Erwachsene regelmäßig vorbei
und betrachteten die entstandenen Werke. Die ausgestellten Bilder
auf den Pinnwänden dienten nicht nur als Anregung für das eigene weitere Schaffen, sie waren auch hinsichtlich der Transparenz
des Projektverlaufes, als auch der Veranschaulichung der kreativen
Entwicklungen der TeilnehmerInnen dienlich. Vor den Pinnwänden
fanden anregende Gespräche und Wertschätzungen der Arbeiten
[…] die Pinnwände sind eine tolle Idee, da kann man den Verlauf gut verfolgen und die Bilder verschwinden
nicht in einer Schublade. Da ist man ganz anders dabei […] (Frau Huber, Lehrerin)
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I-JOURNAL Mai 2014
Projektdurchführung:
Andreas, Schüler „[…] 1000 Stück, wie willst du das schaffen? […]“
Das Zeichenprojekt wurde im SPZ Hoefftgasse in einem Zeitraum
von ca. 4 Monaten gruppenübergreifend durchgeführt.
Dadurch sollte eine Möglichkeit geschaffen werden, dass SchülerInnen und LehrerInnen zusammenarbeiten, die sich aus dem herkömmlichen Tagesablauf nicht vertraut waren. Ein weiterer Aspekt
war die Steigerung der Kreativität durch Anregungen aus vielen
Richtungen, weit über den gewohnten Klassenraum hinaus. Die
Wertschätzungen der Arbeiten und gegenseitigen Anregungen fanden sowohl gruppenübergreifend zwischen den SchülerInnen, als
auch generationsübergreifend zwischen Erwachsenen und SchülerInnen statt. Die Förderung der Innovationsbereitschaft erfolgte
durch ein Zusammenspiel von Erfahrungen und neuen Herangehensweisen an das Thema.
[…] mein Bild ist ja ganz nett, aber es ist viel zu brav. Die Bilder von
den Kindern sind viel lustiger und frecher. Das nächste mach ich
anders […] (Frau Maier, Lehrerin)
Im Schaffensprozess kam es zu einer Verknüpfung unterschiedlicher Kompetenzen und Stärken von allen
Mitwirkenden in verschiedenen Bereichen wie Kreativität, Flexibilität, Dynamik, Offenheit, Lernbereitschaft
und Erfahrungsaustausch. Dadurch lernten alle Neues dazu. In der gemeinsamen Arbeit an einem Thema
konnte dieser Austausch automatisch stattfinden.
[…] jedes Bild ist einzigartig und das Interessante daran war, dass man den Unterschied zwischen einem
Bild eines Erwachsenen und dem eines Kindes nicht unterscheiden konnte […] (Frau Geber, Lehrerin))
Kreative Umsetzung:
Unsere Bilder haben die Größe von 9 x 9cm und einen Rahmen von
10 x 10cm. Die Art der Technik wollte ich den Kindern durch eine
vorbereitete Malumgebung frei wählen lassen. Die entstandenen
Kunstwerke der TeilnehmerInnen wurden während der gesamten
Projektdauer auf eigens dafür aufgestellten Pinnwänden gesammelt.
Als kreative Unterstützung lagen unterschiedliche Beispiele, z.B.
Gesichter in Comicform, als Anschauungsmaterial bereit. Die Umsetzung in Form von Comics ermöglichte den Kindern und KollegInnen einen einfacheren und angstfreieren Einstieg in das Thema.
„Alles ist erlaubt“ nahm den Stress, ein naturgetreues Portrait malen
zu müssen. Zusätzliche Beispiele von KünstlerInnen und Kinderbüchern ergänzten das Angebot.
Sowohl das Schmökern in den Anschauungsmaterialien, welche im
Laufe der Zeit von den SchülerInnen und KollegInnen selbst erweitert wurden, als auch das Betrachten der entstandenen Bilder vor
der Pinnwand waren fixer Startpunkt für das Weiterarbeiten.
[…] die J. hat den Hintergrund mehrfärbig gestaltet, das schaut echt cool aus, darf ich das auch so machen
[…] (Ludwig, Schüler)
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I-JOURNAL Mai 2014
Gemeinsam Ängste überwinden:
[…] als uns das Projekt vorgestellt wurde, überkam
mich die Panik, da ich nicht besonders gut im Zeichnen von Köpfen oder Gesichtern bin. Während der ersten Stunde hab ich mich etwas ängstlich an die Arbeit
gemacht und hatte unerwartet ein Erfolgserlebnis […]
(Frau Schwarz, Lehrerin)
Spannend zu beobachten war die erste Reaktion der
Erwachsenen, die oftmals vor dem Thema Gesicht zurückschreckten. Auch sie begegneten dem Thema anfangs zurückhaltend. Gelegentlich erteilt man seinen
SchülerInnen Aufträge, bei denen man vielleicht selbst
nicht sattelfest agieren würde. In dieser Aufgabenstellung erlebten sowohl Erwachsene als auch SchülerInnen Ängste der Aufgabe nicht gerecht zu werden und
Feedback der anderen TeilnehmerInnen zu bekommen. In diesem Fall von den eigenen SchülerInnen.
Durch die gemeinsame Teilnahme von Erwachsenen und SchülerInnen unterschiedlicher Altersgruppen
veränderte sich auch die Interaktionen zwischen SchülerInnen und LehrerInnen. Rückmeldungen und
Wertschätzung der Arbeiten erfolgten aus einem gemeinsamen Tun heraus und nicht ausschließlich aus
der LehrerInnen/SchülerInnenrolle. Daraus resultierten neue Begegnungen und Gespräche über den Austausch der entstandenen Bilder.
Vom „Ich zum Wir und wieder zurück“ - ein Gemeinschaftsgefühl entsteht:
Individuelle Kunstwerke fügen sich zu einem Gesamtbild zusammen
[…] Wenn man vor den Pinnwänden steht, erlebt man
eine unglaubliche Vielfalt und Buntheit, so als Gesamtwerk, und dann wandert der Blick von einem Bild zum
nächsten und man verliert sich in den Einzelkunstwerken [...] (Frau Silber, Lehrerin)
Durch die Möglichkeit ein individuelles Bild nach dem
anderen aneinander zu reihen, entstand langsam ein
immer größeres Gesamtbild. Die Kinder begannen
die Bilder zu zählen und das Wachsen des Gesamtbildes zu beobachten. Auf einer Pinnwand fanden
77 Bilder Platz, nach Weihnachten hatten wir 5 Tafeln gefüllt. Die Kinder achteten auch bei der Anordnung der Bilder sorgfältig darauf, dass keine Bilder mit
demselben Farbhintergrund nebeneinander hingen.
Die Arbeiten entstanden nicht ausschließlich in unserem Gruppenraum, hier sollte lediglich eine Impulssetzung stattfinden und Techniken und Herangehensweisen zum Thema Gesichter vorgestellt werden. Im Entstehen der ersten Bilder durch das gemeinsame Schaffen in unserem Gruppenraum konnte den KünstlerInnen Stütze und Sicherheit gegeben werden. Einige SchülerInnen brachten auch Bilder mit, die entweder
in ihren Klassen oder auch zu Hause entstanden sind. Somit ist es auch gelungen einige TeilnehmerInnen
anzuregen, selbständig am Thema Gesichter weiterzuarbeiten und in das Gesamtbild einzuarbeiten.
Die einzelnen Zeichentermine mit den KollegInnen und ihren SchülerInnen wurden flexibel festgelegt. Dies
setzt Flexibilität sowohl im Kollegenteam als auch bei meinen SchülerInnen voraus. Meine Gruppe war
in der Lage „ihren“ Gruppenraum für dieses Projekt zu öffnen und Gäste über einen längeren Zeitraum
69
I-JOURNAL Mai 2014
sehr höflich zu empfangen. Gleichzeitig fühlten sie sich für das Projekt besonders verantwortlich. Sie waren auch aktiv als MultiplikatorInnen beim Vorstellen der Aufgaben eingesetzt und unterstützten mich auf
großartige Weise. Besonderer Dank ergeht an meine Teamkollegin Bettina Martinschitz für ihre kreative
Unterstützung. Letztendlich entstanden in 4 Monaten knapp 500 Bilder. Ohne die zahlreiche Teilnahme
und kreative Mitgestaltung der KollegInnen und SchülerInnen wäre dieses Projekt nicht möglich gewesen.
Präsentation: Die Bilder sollen in einer Ausstellung präsentiert werden
Das Projekt wurde allen TeilnehmerInnen von Anfang
an mit dem Ziel einer Ausstellung vorgestellt. Somit war
vom Start weg an klar, der Schaffensraum geht über
den Klassenraum hinaus. Es stand allen TeilnehmerInnen frei, ihre Kunstwerke mit dem Vornamen zu signieren und sich somit als KünstlerIn des Bildes offiziell
zu deklarieren. Vor allem bei den älteren SchülerInnen
war zu bemerken, dass es einen Unterschied macht,
ob die Zeichnung „nur für den Zeichenunterricht“ angefertigt wird, oder, wie hier, einer breiteren Öffentlichkeit
gezeigt werden soll. Bezüglich der Ausstellung wurden
viele Fragen von den Kindern gestellt. Eine hat mich
besonders berührt.
Markus (Schüler): „Du willst ja eine Ausstellung machen? Wer geht denn dann zu der Ausstellung hin?
Gehen dann wieder nur die Lehrer?“
Ich: „Wie ist das denn normalerweise bei einer Ausstellung?“
Markus (Schüler): „Na die, die gemalt haben.“
Ich: „Okay, und wer wäre das in diesem Fall?“.
Markus (Schüler).: „Na wir alle…“
Ich: „Würdest du hingehen?“
Markus (Schüler): „Eh klar. (und grinst) Gibt’s dann
auch ein Buffet?“
Ich: „Schau ma mal (und grinse ebenfalls) Ich denke
schon.“
Ausblick:
Bei einer Feedback Befragung im Anschluss an das Projekt wurde der Wunsch nach einer Fortsetzung
dieses Angebotes geäußert. Da die SchülerInnen während des Projektes aktiv Wünsche und Vorschläge
einbringen durften, freute es mich sehr, dass der Gedanke mitgestalten zu können sich auch in den Rückmeldungen wiederfand. Als nächstes Thema wurden Tiere vorgeschlagen.
Dipl.-Päd. Claudia Täubler, MA
Sonderpädagogin im SPZ Hoefftgasse
[email protected]
Freue mich über Rückmeldungen.
70
I-JOURNAL Mai 2014
Zeichenanleitung:
Material:
• Bleistift, Buntstifte, schwarze Faserstifte, Schere, Uhu, Radiergummi, Spitzer
• Weißes Papier 9cm x 9cm, buntes Kartonpapier 10cm x 10cm
Suche dir ein Motiv aus.
Zeichne das Gesicht mit Bleistift auf ein Blatt im
Format: 9cm x 9cm
Ziehe das Gesicht mit dicken schwarzen Stiften
nach
Bemale das Gesicht mit Buntstiften.
(Lyrastifte bringen tolle Farbergebnisse)
Nun wird das Gesicht ausgeschnitten.
Schneide nicht exakt auf der schwarzen Linie.
Lass einen kleinen weißen Rand.
Suche dir einen färbigen Karton (10cm x 10cm)
deiner Wahl und klebe dein Gesicht auf.
Du kannst auch mehrere Farben verwenden.
71
I-JOURNAL Mai 2014
Meine Perspektive - meine Welt
Kunstunterricht in der 8. Klasse der Hans Radl Schule
www.hansradlschule.a7/hrs13
Keine Frage: Meine SchülerInnen sind großartig. Sie sind weltoffen und interessiert am Leben. Sie
tragen ihre körperlichen Einschränkungen mit Würde und finden immer wieder individuelle Wege
ihre Ziele zu erreichen. Gemeinsam sind wir nun schon einige Jahre daran, ihren ganz persönlichen Platz im Leben zu entdecken und zu erobern. Was den Unterricht in Mathematik, Deutsch,
Geschichte usw. betrifft, müssen wir uns nicht verstecken. Nur: Der Kunstunterricht brachte mich
des Öfteren zum Verzweifeln ...
In der Oberstufe der Hans Radl Schule für körperbehinderte Kinder stellte mich der Kunstunterricht immer
wieder vor unlösbare Aufgaben. Zwei meiner SchülerInnen sind nicht in der Lage, einen Stift selbständig zu
halten, einer sieht fast nicht, was er zeichnet. Viele können auf Bewegungserfahrungen nicht zurückgreifen,
es fehlen Vorstellung und Selbstgefühl. Darüber hinaus ist die Begeisterung von 14 -15 jährigen Burschen
überschaubar, wenn die Ergebnisse ihres Schaffens nicht das ausdrücken können, was ihnen innerlich vor
Augen steht. Zu allem Überfluss gehört Zeichnen nicht zu meinen größten Talenten, wie die grinsenden
Gesichter zu meinen Tafelbildern unzweifelhaft verraten.
Überraschend fand eine neue Kollegin in unser Team. Aleksandra Erakovic ist Künstlerin und unterstützt an
zwei Vormittagen unseren Unterricht. Ihr experimenteller und ungehemmter Zugang zu Kunst und Design
brach schnell das Eis. Immer wieder hielt sie die SchülerInnen an, ihre Arbeit zu reflektieren und sich der
eigenen Gefühle und Gedanken bewusst zu werden. Durch kreativen Einsatz von Materialien und Techniken waren bald die ersten Erfolge zu bestaunen.
Das Zusammenspiel zwischen den vertrauten LehrerInnen (Dipl.Päd. Ulrike Torossian und ich) - die für
einen sicheren Raum und ein angstfreies Klima sorgten - und den künstlerischen Impulsen von Aleksandra
Erakovic setzte eine überraschende Dynamik frei.
Zusammenhänge zwischen Unterrichtsfächern wurden greifbar. So verknüpften sich Musik und Bildende Kunst und wir entwickelten ein eigenes Material über Musikgeschichte. Schüler hielten Referate nicht
länger über Haustiere, sondern über J.S. Bach oder Van Gogh. An der Tafel stellten manche Schüler ihre
Werke vor, die zuvor nie vor einer Gruppe sprechen konnten. Als die einzelnen Puzzlesteine zusammen
kamen, wurde der sonst stiefmütterliche Kunstunterricht zu einem „Highlight“.
Einige unserer Werke zieren nun einen Gang im Gebäude des Wiener Stadtschulrates (siehe Fotos auf
den folgenden Seiten). Sie geben persönliche Eindrücke wieder, wie unsere SchülerInnen ihre Stadt wahrnehmen. Großformatige Fotografien wurden mit unterschiedlichen Techniken bearbeitet. Sie geben das
wieder, was Kunstunterricht im Idealfall vermitteln kann: Eine Perspektive für die Welt, die mich umgibt.
Aleksandra Erakovic-Pavlicevic
ist graphische Designerin, diplomierte Malerin,
Kunstpädagogin, diplomierte ganzheitliche Kunsttherapeutin und
Doktorandin auf der Angewandten Wien.
Sie ist Mutter zweier Kinder und wohnt in Wien.
http://www.galeriestudio38.at/9715
Dipl.-Päd. Martin Schober
Jahrgang 1969, verheiratet, Vater von drei Söhnen,
1990 als Zivildiener an der Hans Radl Schule für körperbehinderte Kinder gelandet und
seitdem mit Leidenschaft als Lehrer dort tätig.
Moto- und Erlebnispädagoge, IT-Regionalbetreuer,
Teamlehrer mit Dipl.-Päd. Ulrike Torossian
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I-JOURNAL Mai 2014
Schüler Patrick, 14 Jahre
Schüler Andreas, 14 Jahre
Schüler Muharrem, 14 Jahre
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I-JOURNAL Mai 2014
Schüler Andreas, 14 Jahre
Schüler Antigon, 14 Jahre
Schüler Muharrem, 14 Jahre
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I-JOURNAL Mai 2014
Schüler Antigon, 14 Jahre
Schüler Patrick, 14 Jahre
Schülerin Alona, 14 Jahre
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I-JOURNAL Mai 2014
MUSIKUNTERRICHT- Spaß und Förderung
Seit dem Schuljahr 2012/13 nimmt auch unsere Schule, das SPZ Franklinstraße, am ELEMU- Pilotprojekt
teil.
ELEMU bedeutet Elementares Musizieren in Gruppen in unterschiedlichen Ausprägungen.
Mit ELEMU soll noch mehr Kindern ein Erstkontakt mit der Welt der Musik angeboten und Lust auf Musik
gemacht werden.
Im Rahmen dieses Projektes und der Kooperation zwischen dem Stadtschulrat und der Musikschule Wien,
besuchen uns jede Woche eine junge, engagierte Musiklehrerin und ein ebensolcher Musiklehrer, die gemeinsam mit den Sonderschullehrern und Sonderschullehrerinnen drei Musikeinheiten an unserem Standort gestalten. Diese Einheiten sind sehr unterschiedlich gestaltet und bieten den Schülern und Schülerinnen
die Möglichkeit, Musik in ihrer unterschiedlichsten Form kennen zu lernen.
Gerade unsere Schüler und Schülerinnen machen in diesen Stunden ganz neue Erfahrungen und erleben
einen gänzlich neuen Zugang zur Musik.
Das ELEMU-Projekt wird von Jahr zu Jahr weitergeführt und aufgebaut. Die Bandbreite erstreckt sich vom
eigenen Körper, der als Musikinstrument verwendet wird, dem Einsatz der Stimme, dem genauen Hören bis
hin zum Kennenlernen unterschiedlichster Musikinstrumente.
Im Rahmen dieses elementaren Musizierens mit den Instrumenten, kommt auch die Notenlehre zum Zug.
Auf spielerische Art und Weise und mit vielen Übungen und Wiederholungen werden die einzelnen Noten
und Notenwerte sowie deren Pausen erarbeitet und gefestigt.
Lieder, die dann mit verschiedenen Instrumenten, wie zum Beispiel den Klangbausteinen, Trommeln, Rasseln begleitet werden, bilden den Höhepunkt dieser neuen Erfahrung für die Schüler und Schülerinnen.
Unterschiedliche Tänze und Bewegungserfahrungen runden das Erfahrungsspektrum der gemeinsamen
Stunden ab.
Das Projekt bereichert nicht nur den Unterricht der einzelnen Klassen und der gesamten Schule, sondern
sucht auch musikalische Talente und unterstützt sie. Alle am ELEMU-Programm Mitwirkenden sammeln
neue Erfahrungen und lernen miteinander und voneinander.
Dipl.-Päd. Sabrina Flechl-Böhm
Sonderschullehrerin am SPZ Franklinstraße
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I-JOURNAL Mai 2014
EINFACH TANZEN - Haltung einnehmen und bewahren
In den Lehrplänen für APS und AHS ist unter dem Allgemeinen Bildungsziel festgehalten, dass die Schülerinnen und Schüler im Prozess zur Entwicklung einer
selbständigen Urteilsbildung, einer kritischen Reflexion und einer sozial orientierten
Lebensgestaltung zu unterstützen sind.1 Der folgende Beitrag zeigt einen bewegten Ansatz, wie PädagogInnen SchülerInnen anleiten können, eine salutogene Haltung zu fördern, die die Kinder und Jugendlichen körperlich aufrichten und geistig
wachsam sein lässt.
Tanz bewegt
Einleitung
PädagogInnen arbeiten im herausfordernden Umfeld einer vielfältigen Schullandschaft, in der sie SchülerInnen bildend – im Sinne von Wissen erweitern und Menschenbilder entwickeln – beim Heranwachsen
begleiten und unterstützen. Die SchülerInnen erleben in der Schule unterschiedliche Unterrichtsmodelle
und erwerben so Wissen und Fertigkeiten für das Leben außerhalb der Schule. Die Methoden sind zahlreich und es ist unter anderem das pädagogische Geschick der Lehrenden, die SchülerInnen im Unterricht
zu motivieren und Lernen zu fördern. August Aichhorn, Begründer der psychoanalytischen Pädagogik, hat
vor fast 100 Jahren geschrieben: „Je intuitiver der Erzieher den Zögling erfasst und je künstlerischer er
arbeitet, desto Erfolgreicheres wird er leisten. Er bedarf dazu allerdings Hilfsmittel und Techniken, die er
hernehmen wird, wo sie zu bekommen sind.“2 Erfolgreich zu arbeiten meint, dass Kinder und Jugendliche
sich gesund entwickeln dürfen, also körperlich und geistig eine lebensbejahende Haltung erwerben. Es gibt
eine Vielzahl an kreativen und künstlerischen Hilfsmitteln, um körperliche und geistige Haltungen in Bewegung zu bringen und in Folge eine Veränderung zu provozieren. Als eine Möglichkeit bietet sich der Tanz
an. Die Körperhaltung wird aufgerichtet, der Blickwinkel und somit die Wahrnehmung verändern sich und
Einstellungen können dieser Neuerung folgen. Vice versa gilt auch, dass geistige Beweglichkeit und innere
Aufrichtigkeit die äußere Haltung beeinflussen. Im folgenden Artikel wird ein Forschungsprojekt dargelegt,
in der Jugendliche über einen Zeitraum von zwölf Monaten mittels tänzerischer Ansätze und zwei Kommunikationsmodellen in ihren Haltungen gestärkt und aufgerichtet wurden.
Salutogene Haltungen über Tanz und Kommunikation erlangen
Die Tanztherapeutin Petra Klein schreibt dem Tanz eine gesundheitsfördernde Wirkung zu: „Der Tanz in
seiner lebenssteigernden und ausdrucksfördernden Funktion hat eine grundlegende Wichtigkeit im pädagogisch-prophylaktischen Bereich. Es bräuchte nicht zu derart massiven Störungen zu kommen, wenn in
den Bereichen von Vorschule und Kindergarten, den verschiedensten Schulformen, der Rehabilitation und
generell in allen Bereichen der Pädagogik der Tanz einen ihm angemessenen Stellenwert hätte.“3 In der österreichischen Tradition hat sich der Paartanz etabliert. Doch Tanz hat viele Gesichter. Er zeigt sich in einer
großen Vielfalt, berührt TänzerInnen und ZuschauerInnen in gleichem Maße und versetzt die Menschen in
Bewegung. Auf der ganzen Welt wird getanzt, je nach Kulturkreis erhielt der Tanz unterschiedliche Aufmerksamkeit. Der Tanz kann unter anderem als Kunstform, als Sportdisziplin, als Amüsement, als gesellschaftliches Ereignis oder als Therapieform angesehen werden. Tanz ist Kommunikation über Bewegung – mit
1 Vgl. Volksschul-Lehrplan 2012, Lehrplan AHS und HS 2000, Lehrplan Neue Mittelschule 2012, S.1.
2 Aichhorn, 1925, S. 30.
3 Klein, 1998, S. 74.
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I-JOURNAL Mai 2014
sich selbst, mit den anderen TänzerInnen. Dem Tanz ist immanent, dass sich der Mensch in Bewegung
setzt. Doch auch im Menschen setzt sich beim Tanzen etwas in Bewegung. Die Tanztherapeutin Martina
Peter-Bolaender beschreibt, dass Personen beim Tanzen eine bestimmte Körperhaltung einnehmen, die
sich auf das Empfinden im Inneren überträgt. Rückwirkend kann dieses Empfinden wieder die Körperhaltung ändern. Dieses wechselseitige Bedingen kann im Tanz spielerisch und kreativ erfahren und erlebt
werden. Der Mensch setzt sich in seiner Ganzheit in Bewegung und aus seiner/ihrer Haltung in Beziehung
zu anderen. Haltungen sich selbst gegenüber beeinflussen die Kommunikation und den sozialen Umgang
in der Gruppe. Nicht das Reden über Bewegung und Veränderung, sondern es im Tanz den Körper erfahren
lassen und dann im alltäglichen Umgang eine Veränderung zuzulassen, ohne dies willentlich zu steuern, ist
eine wichtige Funktion des Tanzes. Sowohl Einstellungen (innere Haltungen) als auch körperliche Haltungen werden bewegt und verändert.4
Forschungsansatz und Forschungsfeld
Als Forschungsansatz wurde die Aktionsforschung mit der teilnehmenden strukturierten und freien Beobachtung gewählt. Ich war somit Teil der Gruppe und dokumentierte meine Beobachtungen mittels eines
Beobachtungsplans und eines Forschungstagebuchs. Nach der Genehmigung durch die Direktion und den
zuständigen BSI wurde das Projekt 2011/12 über einen Zeitraum von zwölf Monaten mit zwei Klassen (38
SchülerInnen) der Sekundarstufe I in der SKÖ Hernals durchgeführt.
Tanz ist im Neuen Lehrplan der HS 2000 und im Lehrplan der Neuen Mittelschule 2012 im Musikunterricht
und im Sportunterricht implementiert. In der WMS bietet das Fach Lerncoaching einen geeigneten Rahmen, um an der SchülerInnenpersönlichkeit zu arbeiten. Somit wurde mit Tanz primär im Musikunterricht
und in den Lerncoachstunden gearbeitet. Als ausgebildete Lerncoach legte ich einen zweiten Schwerpunkt
auf die Kommunikation. Zwei Kommuniukationsmodelle wurden während der Projektphase mit den SchülerInnen geübt. Aus der Fülle an tänzerischen Möglichkeiten wurden fünf Schwerpunkte ausgewählt, um
die SchülerInnen tänzerisch eine salutogene Haltung erleben bzw. entwickeln zu lassen.
• Der Freie Tanz und das Tanztheater dienen dem Erleben der eigenen Bewegungen und Grenzen.
Die Jugendlichen schlüpfen in Rollen, um sich tänzerisch auszudrücken bzw. lassen sie ihre Körper
möglichst frei zu Musik bewegen.
• Über das Erlernen von Kreistänzen aus aller Welt wird zum einen die Klassengemeinschaft über die
Kreisform gestärkt und zum anderen ein respektvoller Umgang mit unterschiedlichen kulturellen Gegebenheiten im Tanz geübt.
• Der Paartanz5 wird als spielerisches Aufeinandertreffen zweier TänzerInnen angeboten, um gemeinsam Bewegungen zu probieren bzw. sich gegenseitig zu Bewegungserfahrungen zu animieren.
• Die Tanzchoreographie wird genutzt, um intensiv und diszipliniert an der Erarbeitung einer Aufführung zu arbeiten.
4
5
freiTANZ theaterTANZ
kreisTANZ
paarTANZ choreoTANZ
Vgl. Frick-Baer / Peter-Bolaender, 2008, S. 45ff.
Gemeint ist hier nicht der klassische Paartanz aus den Tanzschulen, sondern das Aufeinandertreffen zweier Menschen im tänzerischen Tun.
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I-JOURNAL Mai 2014
In allen fünf Bereichen wurde ständig spielerisch an der Körperhaltung und der inneren Haltung gearbeitet.
Veränderungen können still vor sich gehen, aber auch kommuniziert werden. Zwei Kommunikationsmodelle wurden als salutogene Methoden gewählt, um die Jugendlichen in ihrer Gesprächshaltung positiv zu
unterstützen.
• Um Erlebten im tänzerischen Tun in einem wertschätzenden Rahmen Ausdruck geben zu können,
bietet sich das Kommunikationsmodell des Dialogs nach David Bohm6 an. Das Wort Dialog stammt
vom griechischen Wort „dialogos“ ab und heißt übersetzt „durch den Wortsinn“.7 Im Gegensatz zur Diskussion, bei der Meinungen ausgetauscht bzw. hin und her gespielt werden und jedeR mit seiner/ihrer
Meinung gewinnen möchte, ist im Dialog das Miteinander-Reden im Vordergrund und der Gewinn liegt
bei allen. Die TeilnehmerInnen sitzen im Kreis, benutzen ein Sprechsymbol, das in der Mitte neben einer Kerze liegt und zum Reden geholt wird, sprechen aus dem Herzen, bleiben möglichst bei sich und
hören ohne zu urteilen zu.
Allerdings wollen die meisten Menschen lieber diskutieren als kommunizieren. Sie diskutieren und identifizieren sich mit ihren Annahmen und Meinungen, was häufig zu Konflikten führt. Auch Jugendliche diskutieren gerne und wollen ihren Standpunkt durchsetzen.
• Und so wurde als zweites Kommunikationsmodell die „Provokative Intervention“ herangezogen. Um
im provokativen Stil zu intervenieren, bedarf es einer vertrauensvollen Beziehung zwischen den Beteiligten. Diese wurde parallel zu den Gesprächen über das Tanzen gefördert. Die ehrliche Wertschätzung zum Gegenüber bildet die Basis für diese Kommunikation und wird über viel Humor und einen
Guten Draht (= wirkliches Hinhören)8 entwickelt. Es ist entweder ein liebevolles „auf die Schaufel
nehmen“ des Gegenübers, wodurch dieseR zum Lachen veranlasst wird. Oder man reagiert völlig
anders als das Gegenüber erwartet, bringt dieseN somit kurz aus der Fassung und kann ein anderes
Verhalten provozieren (im Sinne von bewirken).
Ergebnisse
Alle SchülerInnen konnten im Laufe des Beobachtungszeitraums zumindest mit einem der fünf Tanzbereiche positiv erreicht werden, was zu einer Änderung ihrer Körperhaltung und/oder inneren Haltung führte.
• Bei fast der Hälfte der Kinder (17 von 38 SchülerInnen) wurde ein Aufrichten der Körperhaltung beobachtet und sie korrigieren diese bis dato auch während des Unterrichts immer wieder.
• Das Bewegungsrepertoire der SchülerInnen hat sich deutlich erweitert und neue Bewegungsmuster
werden rascher erfasst. Neue Denkmuster zuzulassen fiel den Kindern in der Kommunikation äußerst
schwer. Ich denke im Nachhinein, dass sie dafür noch etwas zu jung waren. Im Tanz war es ihnen
leichter möglich auch ungewohnte und fremde Bewegungen zu erproben und damit zu spielen, was
ja, ob des Zusammenspiels der äußeren und inneren Haltung, dann doch auch unbewusst auf das
Denken wirkt.
• Durch das gemeinsame Tanzen und das achtsame Kommunizieren wurde die Klassengemeinschaft
gestärkt und zwischenmenschliche Barrieren konnten kurzfristig fallen. SchülerInnen, die im Unterrichtsalltag wenig Kontakt miteinander pflegten, trafen sich tänzerisch, kommunizierten über die Bewegung und fanden so Zugang zueinander. Kindern, denen es generell schwer fällt, sich auf Neues einzulassen, beobachteten das Geschehen über einen längeren Zeitraum, klickten sich irgendwann ein und
integrierten sich problemlos. Sie hatten die Freiheit, jederzeit auszusteigen und stille Beobachter zu
sein, ohne die anderen zu stören. Das Beobachten hörte nach drei Monaten auf und alle SchülerInnen
beteiligten sich ständig.
• Die Kommunikationsmodelle unterstützten die achtsame Kommunikation, müssen allerdings ständig
geübt werden, da die SchülerInnen immer wieder in die Diskussion kippen und punkten wollen. Ein
6 Für den schulischen Kontext wurde das Modell von Bohm vereinfacht und als wahrhaftes, achtsames Gespräch eingeführt.
7 Vgl. Bohm, 2008, S. 32.
8 Vgl. Höfner / Schachtner, 2010, S. 65.
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I-JOURNAL Mai 2014
Drittel der SchülerInnen spricht langsamer, deutlicher und gibt damit dem Gesagten mehr Bedeutung.
Die SchülerInnen richten sich beim Sprechen auch auf.
• Die zahlreichen tänzerischen Übungen, das Provozieren anderer Verhaltensmuster und der gute Draht
in den Gesprächen wurden oft von herzhaftem Lachen begleitet und führten zu einer humorvolleren
Klassensituation.
Im Zuge der großen Vielfalt an tänzerischen und verbalen Bewegungserfahrungen hat sich das Aktionsund Reaktionsrepertoire der SchülerInnen stark erweitert, sodass bei 33 von 38 Kindern eine salutogene
Haltung gefördert werden konnte. Die Haltungsänderungen können nach wie vor auch in den Pausen bzw.
in anderen Unterrichtgegenständen beobachtet werden.
Tanz ist nur eine von vielen kreativen und künstlerischen Methoden, um SchülerInnen in ihren Haltungen
zu stärken. Nicht alle Jugendlichen wurden nachhaltig erreicht, denn Tanz ist eine dynamische Bewegung,
die im Hier und Jetzt aus dem Menschen heraus drängt. Für manche waren es nur kurze Momente des
Eintauchens in eine andere Welt. Wer weiß, was sich daraus noch entwickeln wird!
Literatur:
Aichhorn, August: Die verwahrloste Jugend. Wien: Internationaler Psychoanalytischer Verlag 1925
Bohm, David: Der Dialog. Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen. 5. Aufl., Stuttgart: Klett-Cotta,
2008
Frick-Baer, Gabriele / Peter-Bolaender, Martina: Bewegte Imagination in Tanz und Tanztherapie. Düsseldorf: Affenkönig 2008
Höfner, Eleonore / Schachtner, Hans-Ulrich: Das wäre doch gelacht! Humor und Provokation in der Therapie, 7. Aufl., Hamburg: Rowolth Taschenbuch 2010
Klein, Petra: Tanztherapie. Ein Weg zum Ganzheitlichen Sein. 3. Aufl., Kiel: Dieter Balsies 2007
URL:
Volksschul-Lehrplan 2012:
http://www.bmukk.gv.at/medienpool/14043/lp_vs_erster_teil.pdf [21.3.2014]
Neuer Lehrplan Hauptschule 2000:
http://www.bmukk.gv.at/schulen/unterricht/lp/Hauptschulen_HS_Lehrplan1590.xml [21.3.2014]
Lehrpläne der AHS-Unterstufe 2000:
http://www.bmukk.gv.at/schulen/unterricht/lp/lp_ahs_unterstufe.xml [21.3.2014]
Lehrplan der Neuen Mittelschule 2012:
http://www.bmukk.gv.at/schulen/unterricht/lp/lp_nms.xml [21.3.2014]
Abbildungen:
Alle Bilder gemalt von Doris Gillinger
Doris Gillinger, MA
geb. 1967, Mutter von 2 Kindern
Lehramt für Mathematik, Biologie, Bewegung und Sport
Integrative Tanzpädagogin (AGB Dr. Weiser)
Studium der Provokativpädagogik
Tätigkeitsbereiche als Pädagogin und Tanzpädagogin: SKÖ 17, Hernalser Hauptstr. 220
KPH Krems in der Aus-, Fort- und Weiterbildung, FS Gaming
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I-JOURNAL Mai 2014
Der Elternverein ‚Gemeinsam Leben – Gemeinsam Lernen – Integration Wien‘ arbeitet seit den
1980er Jahren für die Gleichberechtigung und selbstverständliche Teilhabe von
Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen.
Der Verein ist Träger von folgenden Angeboten:
Die Beratungsstelle für (Vor-)Schulische Integration bietet persönliche Beratung und Begleitung für
Eltern von Kindern mit Behinderung in den Bereichen Kindergarten, Pflichtschule, Nachmittagsbetreuung und Freizeit.






Information, Beratung, Unterstützung
Begleitung zu Gesprächen
Elternveranstaltungen
Teilnahme an Elternabenden, pädagogischen Konferenzen u.a
Vernetzung und Kooperation
Elternvertretung
Kontakt: 01/789 26 42 DW 12
[email protected]
Das Elternnetzwerk bietet Vernetzung und Beratung für Eltern/Angehörige von Jugendlichen mit
Behinderung am Übergang Schule – Beruf.
 Information, Beratung, Begleitung
 Elternabende, Infoveranstaltungen
 Unterstützung bei der Planung individueller Wege in die
Arbeitswelt – Unterstützungskreise
 Vernetzung und Kooperation
 Elternvertretung
Kontakt: 01/789 26 42 DW 19
[email protected]
Gefördert vom:
Unsere Assistentinnen und Assistenten begleiten und unterstützen junge Menschen mit
Behinderung zwischen 15 und 30 Jahren in ihrer Freizeit.
Die Freizeitassistenz begleitet für ein paar Stunden, einen Tag oder am Wochenende, je nach
Wunsch. Zusätzlich werden Gruppenaktivitäten angeboten.
Kontakt: 01/789 26 42 DW 11
[email protected]
Weitere Angebote des Vereins
Ambulante Wohnbegleitung, Vereinszeitung ‚iwi – integration wien informiert‘
Kontakt & Adresse: 1150 Wien, Tannhäuserplatz 2/,Tel: 01/789 26 42, Fax: 01/789 26 42 – 18,
E-Mail: [email protected], www.integrationwien.at
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I-JOURNAL Mai 2014
Down-Syndrom Österreich - Projekt Schulbox
Down-Syndrom Österreich
Projekt Schulbox
Ziel:
Die Schulbox sollen alle Kinder mit Down-Syndrom bei Ihrer Einschulung ihren Pädagogen überreichen
können. Das Informationsmaterial soll die Pädagogen bei ihrer Arbeit mit Kindern mit Down Syndrom
von Beginn an unterstützen. Die Unterlagen geben Auskunft über geeignete und erfolgreich
eingesetzte Lernmethoden für Kinder mit Down-Syndrom.
Inhalt der Schulbox:
Kinder und Jugendliche mit Down-Syndrom in der Schule
Diese Broschüre informiert über gesundheitliche und körperliche
sowie Lern- und Verhaltensaspekte, die bei Kindern und Jugendlichen
mit Down-Syndrom auftreten können und beschreibt, welche
Auswirkungen diese auf den Schulalltag haben. Beispiele und
Anregungen zeigen praxisnah auf, wie Unterricht und Schule gestaltet
werden kann, damit Schülerinnen und Schüler mit Down-Syndrom sich
wohl fühlen und bestmögliche Lernerfolge erzielen können.
Eine Broschüre für Lehrerkräfte und andere Fachkräfte aller
Schulformen, für Eltern und alle, die mit Kindern und Jugendlichen mit
Down-Syndrom im Schulalter leben und arbeiten.
Das Down-Syndrom – Begabte Kinder im Unterricht
Kinder mit Down-Syndrom gelten in der öffentlichen Meinung als
eingeschränkt bildungsfähig. Doch sind alle höheren psychischen Systeme wie z.B. das Empfinden, Wahrnehmen, Erinnern und Denken - nicht
angeboren, sondern entwickeln sich im sozialen Umgang. Dem menschlichen
Gehirn ist es möglich, funktionelle Systeme zu bilden. Das ist eine biologische
Tatsache. Die Kinder unterscheiden sich in Bezug auf das Chromosom 21, aber
nicht in Bezug auf die Fähigkeit ihres Gehirns, in Abhängigkeit ihres kulturellen
Umfelds stabile funktionelle Hirnsysteme zu bilden. Es ist unsere Kultur, die sie
sprachlos macht.
Autorin: Christel Manske
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I-JOURNAL Mai 2014
Handbuch für Lehrer von Kindern mit Down-Syndrom
Dieses Buch beinhaltet Erfahrungen aus jahrelanger Praxis beim Unterrichten
von Kindern mit Down-Syndrom in Regelschulen und bietet Theorie, Tipps und
Anregungen für Lehrer.
Rechenmethode: Yes, we can
Das Handbuch „Yes, we can!" lässt Mathematik zum Spielerlebnis
werden. Neben zahlreichen Übungsvorschlägen aus dem Bereich der
Basisfertigkeiten sind alle Schritte zur Erlangung von
Rechenkompetenzen genau erklärt. Die Kapitel „Lebenspraxis, Geld,
Uhrzeit, Wiegen und Messen" schaffen einen intensiven Alltagsbezug.
Das Buch ist für Eltern und Fachleute verfasst. Es hat einen Umfang von
145 Seiten, alle Übungs- und Spielanregungen sind durch Fotos
veranschaulicht.
Rechenprofi: Übungsbuch für den Zahlenraum 10
Dieses übersichtlich gestaltete Rechenbuch, erarbeitet den
Zahlenraum 10 mit der „Yes, we can“ Rechnmethode. Alle
Rechenübungen sind nach dem Prinzip „von links nach rechts“
aufgebaut. Die liebevollen Zeichnungen, in Kombination mit Fotos,
Gedichten und Liedern, sprechen die Kinder besonders an.
Lehrer und Eltern finden auf jeder Seite wertvolle Tipps, um die
Motivation des kleinen Rechenprofis hoch zu halten und die
Mathematik auch im Alltag lebendig werden zu lassen.
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I-JOURNAL Mai 2014
Kinder mit Down-Syndrom lernen lesen
Das zentrale Anliegen dieses Buches ist es, Kindern mit Down-Syndrom lesen
zu lehren.
Bevor die besonderen Techniken, Anleitungen und Vorgehensweisen
beschrieben werden, wird in diesem ausgezeichneten Band erklärt, wie
Lernen im Allgemeinen und bei Kindern mit Down-Syndrom im Besonderen
vor sich geht. Ein Buch für die Praxis.
Down-Syndrom Vorturteile und Antworten
Die Autorin – selbst Mutter eines Kindes mit DS, trägt hier die
verbreitetsten Vorurteile und merkwürdige Vorbehalte gegenüber
Menschen mit DS zusammen und gibt ganz persönliche Antworten darauf.
Dieses nett illustrierte Buch bringt uns auf unterhaltsame Weise das
Thema DS näher und eignet sich auch gut für den Einsatz in der Schule.
Down-Syndrom – Was bedeutet das?
Infofolder: Seit 1996 gehört diese ausgezeichnete Aufklärungsbroschüre
zu unseren beliebtesten und meistverkauften Broschüren. Ursprünglich
für Eltern konzipiert, ist die Broschüre auch hervorragend dazu geeignet,
Schüler, Lehrer und Studenten zu informieren.
Es ist uns wichtig, dass diese Broschüre viele Leser findet, dass viele
Menschen, auch diejenigen, die selbst nicht direkt betroffen sind, etwas
erfahren über die Besonderheiten, die Schwierigkeiten aber auch über
die Kompetenzen und die Lebensfreude der Menschen mit DownSyndrom.
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I-JOURNAL Mai 2014
Infofolder:
Yes, we can – Rechenkoffer
Down-Syndrom Österreich
Down-Syndrom Ambulanz Wien
Down-Syndrom Kompetenzzentrum Leoben
Literaturfolder des Deutschen Down Syndrom Info Centers ?
Ausgabe der Zeitschrift Leben Lachen Lernen
Das gesamte Material wird in einer stabilen Box verpackt.
Längerfristiges Ziel von DSÖ ist es, die Schulbox im Ausbildungsprozess der PädagogInnen
unterzubringen um Grundschullehrerinnen und –lehrer bereits während ihres Studiums mit
dem Thema Down Syndrom vertraut zu machen.
Kinder mit Down Syndrom haben besondere Fähigkeiten, die ihnen ein Lernen, wenngleich
meist abseits der herkömmlichen Lehrmethoden, erleichtern. Pädagogen, die über die
kognitiven Besonderheiten von Kindern mit Down Syndrom bescheid wissen bzw.
Lehrmethoden kennen, die sich im Unterricht von Kindern mit Down Syndrom bewährt
haben, haben weniger Probleme bei der Inklusion von Kindern mit Down Syndrom im
Unterricht.
Die in der Box enthaltene Literatur soll nicht nur den Unterricht von Kindern mit Down
Syndrom erleichtern sondern das Schulpersonal auch bei der Aufklärung und Information
der Schulgemeinschaft über das Down Syndrom unterstützen.
Es wäre begrüßenswert, wenn sich die DSÖ Schulbox in Zukunft an jeder österreichischen
Volksschule finden würde, an der Kinder mit Down Syndrom unterrichtet werden.
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I-JOURNAL Mai 2014
Leserbriefe
Liebes Redaktionsteam des Integrations Journals!
Seit einiger Zeit zähle auch ich zu den interessierten Leserinnen des Integrations Journals. Die immer sehr
ansprechend gestalteten und vielfältigen Berichte bereichern sowohl meine privaten Perspektiven als auch
meine berufliche Sichtweise.
Die letzte Ausgabe des I-Journals hat mich sehr bewegt. Die Artikel hinsichtlich der Pensionierung von
Richard Felsleitner waren geprägt von gegenseitiger Wertschätzung und Anerkennung der erfolgten Arbeit und des immensen Engagements aller Beteiligten. Ich möchte daher diese Gelegenheit nützen und
mich ebenfalls bei Richard Felsleitner (im Nachhinein) und bei allen (noch) Aktiven für die konstruktive
und freundliche Zusammenarbeit bedanken, sofern uns unsere beruflichen Realitäten zusammengebracht
haben und künftig zusammenbringen werden.
Mit den besten Grüße,
Martina Plohovits
Maga (FH) Martina Plohovits
Leiterin Abteilung Bildung, Beratung, Assistenz
FONDS SOZIALES WIEN
Fachbereich Behindertenarbeit, Mobilität und Beratung
Abteilung Bildung, Beratung, Assistenz
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I-JOURNAL Mai 2014
Liebe Leserin! Lieber Leser!
Wir freuen uns, Ihnen die neueste Ausgabe des I-Journals präsentieren zu dürfen.
Unser herzlicher Dank gilt auch diesmal wieder allen Autorinnen und Autoren, ohne deren Beiträge es uns
nicht möglich wäre, dieses Journal herauszugeben. Die Qualität und die Vielfalt der Artikel sind immer
wieder beeindruckend und bringen sehr deutlich auch die Vielfältigkeit der Arbeit mit den uns anvertrauten
Kindern zum Ausdruck.
Wir planen, die nächste Ausgabe im Dezember 2014 erscheinen zu lassen und freuen uns über Ihre Beiträge. Die Auswahl der Artikel, die publiziert werden, trifft das Redaktionsteam.
Vorgaben zum Verfassen von Beiträgen:
• Jeder Artikel enthält eine Überschrift und
• den Namen (eventuell ein Foto) der Autorin/des Autors mit kurzer biographischer Angabe
• Fotos, die im Beitrag verwendet werden, müssen auch im jpg-Format extra mitgeschickt und eindeutig benannt werden. Unbedingt das Einverständnis der Erziehungsberechtigten, sowie der
darauf abgebildeten Personen zur Veröffentlichung der Fotos einholen und auch den Namen des
Fotografen angeben.
• Artikel als Word-Dokument (Standard, 11pt, Arial) schicken.
• Geschlechtergerechte Formulierungen verwenden, wie es in der Broschüre des bmbf (vormals
bm:ukk, vormals bm:bwk) erläutert wird: www.bmukk.gv.at/medienpool/15104/2002_22_beilage.pdf Jede Autorin/Jeder Autor ist dafür eigenverantwortlich.
Die Beiträge senden Sie bitte per Email an:
Brigitte Mörwald: [email protected]
Abgabeschluss für Beiträge:
20.10.2014 ... gerne auch früher :-)
Online finden Sie unser Journal unter der Internetadresse:
www.lehrerweb.at
Wir freuen uns auf Ihre Mitarbeit!
Das Redaktionsteam:
Brigitte Mörwald
(Redaktion)
Mag. Judith Stender
(Redaktion)
Gerda Kargl
(Redaktion, Layout)
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Renate Dirnberger, MA
(Lektorat)
Herausgegeben von der Integrationsberatungsstelle
im Stadtschulrat für Wien
Verantwortliche Herausgeberinnen:
Brigitte Mörwald, Mag. Judith Stender, Renate Dirnberger, MA, Gerda Kargl
Für den Inhalt verantwortlich:
Alle Autorinnen und Autoren sind eigenverantwortlich für den Inhalt der Artikel und die Genderformulierung.
Layout: Gerda Kargl
Druck: Eigendruck