apoFokus - Deutsche Apotheker

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apoFokus - Deutsche Apotheker
apoFokus
apoResearch Anlageinformation
Keine Angst vor dem Staatsbankrott?
> Unterschied zu einer Privat- und Firmeninsolvenz
> Ist ein Pleite-Staat tatsächlich wirtschaftlich ruiniert?
> Auswirkungen auf die Börse und das Anlageverhalten
Ausgabe 6│2010
apoFokus
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Die Deutsche Apotheker- und Ärztebank eG, Düsseldorf, unterliegt der Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Bonn/Frankfurt.
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Nachdruck nur mit Genehmigung der Deutschen Apotheker- und Ärztebank.
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Keine Angst vor dem Staatsbankrott?
Inhalt
Einleitung
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Insolvenz von Privatpersonen und Unternehmen
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Wann ist ein Staat insolvent?
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Staatsbankrott: Auswirkungen auf die Realwirtschaft
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Staatsbankrott: Auswirkungen auf die Börse
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Zusammenfassung
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Einleitung
Einleitung
Staatsbankrott in der PIIGS–
Krise gefährlicher denn je
Historie: Staatsbankrotte
kommen häufig vor
Eine Definition fehlt
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Spätestens seit der Griechenland-Krise kursieren in verschiedensten Varianten Horrorvorstellungen möglicher Auswirkungen eines Staatsbankrotts der
Hellenen und die Ansteckungsgefahr für die anderen PIIGS-Staaten (Portugal,
Irland, Italien und Spanien). Als Ergebnis wird ein schuldeninduzierter Wirtschaftscrash befürchtet, der seinen Anfang an den globalen Kapitalmärkten
nimmt, später die Realwirtschaft ansteckt und schließlich mit dem Zerfall der
Eurozone endet. Dies würde eine erneute Fortsetzung bzw. Verschärfung der
gegenwärtigen Finanzkrise bedeuten, als ob die Welt nach Subprime-,
Banken-, Hypotheken-, Island- oder Dubaikrise und anderen Desastern nicht
schon genug erlebt hätte! Ist aber ein solches Staatsbankrott-Szenario realistisch und bedeutet es tatsächlich eine neue Krisendimension?
Bereits an dieser Stelle kann Entwarnung gegeben werden. Staatsbankrotte
bilden in der Wirtschaftsgeschichte eher die Regel als die Ausnahme. Nach
einer Studie von C. Reinhart und K. Rogoff – auf die später eingegangen wird war selbst das musterhafte Deutschland seit dem Jahr 1800 siebenmal und
insgesamt 26 Jahre lang bankrott, zuletzt nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur
Währungsreform im Jahr 1948. Danach kamen bekanntlich die fetten Jahre
des westdeutschen Wirtschaftswunders. Demnach kann ein Staatsbankrott
wohl nicht das Ende der wirtschaftlichen Existenz eines Landes oder eines
Volkes sein. Darf der Staatsbankrott andererseits verharmlost werden? Wohl
kaum. Selbst ein Laie wird zugeben, dass der Staatsbankrott als Ausdruck der
Misswirtschaft nicht einfach hingenommen werden darf. Ein Staat wird für
seine Misswirtschaft einen Preis zahlen müssen. Die EU-Wohlstandsbürger
haben heute Angst, dass dieser Preis im Falle von Griechenland zu hoch
ausfallen und die befürchtete Wiederauflage der Weltwirtschaftskrise von
1929 eintreten könnte.
Was ist konkret ein Staatsbankrott? Im Unterschied zu einer vergleichbaren
Situation bei Privatpersonen und Unternehmen gibt es hierfür keine Legaldefinition. Alternativ werden für das Phänomen Begriffe wie Konkurs, Pleite,
Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz verwendet. Es kommt dabei nicht auf die
bloße Semantik an, sondern auf den ökonomischen Hintergrund und die
Folgen für die Realwirtschaft und den Kapitalmarkt. Diese und verwandte
Fragen werden im vorliegenden Fokus behandelt.
Keine Angst vor dem Staatsbankrott?
Insolvenz von Privatpersonen und Unternehmen
Insolvenz von Privatpersonen und Unternehmen
Bankrott & Co.: Viele Begriffe bei gleichem ökonomischen
Hintergrund
Die heutigen Begriffe
stammen noch aus dem
Mittelalter
Das deutsche Wort „Bankrott“ stammt von banca rotta und bedeutet im
Italienischen so viel wie „zerbrochene“ oder „leere Bank“. Die oberitalienischen Geldwechsler hatten im hohen Mittelalter zur Markt- und Messezeit
Tische (ital. banca, daher das deutsche Wort „Bank“) aufgebaut, auf denen sie
verschiedene Fremdwährungen zum Wechsel anboten. War ein Tisch leer, so
hatte der Wechsler, ähnlich wie der Bankrotteur, kein Geld mehr.
Das Wort besitzt viele Synonyme. So ist die Zahlungsunfähigkeit selbsterklärend. Dagegen bedeuten die aus dem Lateinischen stammenden Begriffe
„Konkurs“ (concursus) und „Insolvenz“ (insolvens) sinngemäß soviel wie
„(Schuldscheine) nicht einlösen können“ bzw. „Zusammenlauf (der Gläubiger)
zur Teilung des Vermögens des Schuldners“. Im Volksmund wird häufig der
Begriff „pleite sein“ oder „ruiniert sein“ verwendet, während die Wissenschaftler, Verwaltungsleute und Juristen von „Überschuldung“ oder von „Geschäftsaufgabe“ sprechen.
Bankrott ist jemand, der
nichts besitzt oder nicht
zahlen kann!
Der gemeinsame Kern all dieser Wortschöpfungen besagt, dass hier ein Wirtschaftsakteur (Wirtschaftssubjekt) kein Geld (Vermögen) mehr besitzt, um
seine Schulden zu bezahlen oder diese aus anderen Gründen nicht bezahlen
will. Es ist demnach analytisch sinnvoll, diese beiden ersten Spuren zu verfolgen, um zu klären, wer bankrott gehen kann und welche Formen das Zahlungsunvermögen oder die Zahlungsunwilligkeit annimmt.
Welches Wirtschaftssubjekt kann insolvent werden?
Nur natürliche oder juristische
Personen können bankrott
sein
Bei Bankrotteuren unterscheidet die Rechtssprechung bislang zwischen
natürlichen und juristischen Personen. Zu der zweiten Kategorie zählen Unternehmen, Vereine, Stiftungen und andere Einrichtungen – also juristische
Personen, die im Handels- und anderen Registern eingetragen sind. Es kann
genau so gut Otto-Normal-Verbraucher als Privatperson – dann wird der
Terminus Privatinsolvenz benutzt - als auch ein großer Konzern als juristische
Person in Konkurs gehen.
Die prägnantesten Beispiele in der jüngsten Vergangenheit waren die USInvestmentbank Lehman Brothers und in Deutschland das Traditionswarenhaus Karstadt, die im September 2008 bzw. im März 2009 Insolvenz angemeldet hatten. Der obigen Logik folgend kann umgekehrt weder eine Familie
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Insolvenz von Privatpersonen und Unternehmen
noch ein Sektor Konkurs gehen, weil es sich hierbei weder um natürliche noch
um juristische Personen handelt.
Strittig ist, ob ein Staat
bankrott gehen kann!
Ob und wann ein Staat bankrott ist, darüber sind sich die Juristen im Unklaren. Es wird in diesem Fokus sowohl die wirtschaftliche als auch die juristische Seite des Staatsbankrottes behandelt.
Wann ist eine Privatperson insolvent?
Bevor das Phänomen Staatsbankrott genauer unter die Lupe genommen wird,
sollte geklärt werden, wann eine Privatperson und wann ein Unternehmen
insolvent wird.
Privatinsolvenzen sind seit der
Finanzkrise weit verbreitet
Überschuldung bedeutet noch
keine Zahlungsunfähigkeit!
Ein Privatverbraucher ist dann insolvent, wenn die bei einer Zwangsvollstreckung verwerteten Sicherheiten (z. B. Grundschulden) nach Abzug der pfändungsfreien Beträge zur Deckung der Schulden nicht ausreichen. Um das
festzustellen, muss die Privatperson einen Vermögensstatus aufstellen, der an
eine vereinfachte Unternehmensbilanz erinnert. Ist er überschuldet, wird die
rechte Seite dieser Aufstellung (Schulden oder Passiva) die linke (Vermögenswerte oder Aktiva) übersteigen. Der Privatmann kann seit 1999 in
Deutschland ein Verbraucherinsolvenzverfahren beantragen und unter Einhaltung gerichtlich vorgeschriebener Verhaltensregeln nach sechs Jahren (Wohlverhaltensperiode) von der Restschuld befreit werden.
Wie aus der obigen Darstellung hervorgeht, muss bei einer Privatinsolvenz
zuerst eine Zahlungsunfähigkeit vorliegen. Unwichtig ist dagegen, wie stark
jemand überschuldet ist, solange er seinen Schuldendienst leisten kann, also
zahlungsfähig ist. Der Tatbestand einer Überschuldung ist bei einem nicht
bilanzierenden Subjekt ohnehin schwierig nachprüfbar. Denn die Daten in
seinem Vermögensstatus werden von keinem Wirtschafsprüfer kontrolliert
und beruhen weitgehend auf Selbstauskünften. Nach welchen Regeln die
Privatperson ihre Aktiva bewertet, bleibt offen.
Wann ist ein Unternehmen insolvent?
Insolvenzrecht - ein
komplexes juristisches Feld
Wann eine deutsche Firma …
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Unternehmensinsolvenzen sind eine Haupteigenschaft der Marktwirtschaft
und resultieren daraus, dass es im Wettbewerb immer wieder Verlierer gibt. In
Baissezeiten gehen hierzulande in der Spitze über 40.000 Unternehmen
insolvent (2009), und die Insolvenzmasse beläuft sich auf mehrere Milliarden
Euro.
Zentrale Fragen des Insolvenzrechts lauten zum Beispiel: Wer darf den Insolvenzantrag stellen (Schuldner, Gläubiger)? Wann liegt eine Zahlungsunfähigkeit und wann lediglich eine Zahlungsstockung vor? Wann darf der Insolvenz-
Keine Angst vor dem Staatsbankrott?
Insolvenz von Privatpersonen und Unternehmen
antrag angefochten werden? Wie ist das Vermögen des Schuldners während
der Insolvenzabwicklung zu sichern, bis ein neuer Käufer gefunden wird? Wie
ist die eventuelle Verwertung (Zerschlagung) des Bankrotteurs wirtschaftlich
„schonend“ vorzunehmen? Der obige Fragenkatalog ließe sich beliebig erweiten.
... ökonomisch insolvent
wird, …
Eine Unternehmensinsolvenz im juristischen Sinne liegt in Deutschland vor,
wenn ein Unternehmen bereits zahlungsunfähig ist, ihm eine Zahlungsunfähigkeit droht oder eine Überschuldung festgestellt wurde. Diese drei Tatbestände können unter dem Oberbegriff direkte (juristische) Insolvenz subsumiert werden. Ihnen ist gemeinsam, dass das zuständige Gericht dem Insolvenzantrag entsprechen muss, wenn er von Berechtigten gestellt wurde.
Danach erfolgt die Prüfung, die mit einer Sanierung, einem Vergleich oder der
Zerschlagung des Unternehmens enden kann. Es ist eine Definitionsfrage, ob
der juristische Insolvenzbeginn schon bei der Antragsstellung oder erst bei
der Unternehmenszerschlagung anzusetzen wäre. Ist dagegen ein Unternehmen juristisch zwar (noch) nicht insolvent, hat es aber schlechte Bilanzen,
muss ständig umschulden, die Gläubiger um Zahlungsstundungen bitten und
weist massive Zahlungsstörungen auf, wird es von Analysten als ökonomisch
insolvent eingestuft.
… bleibt eine schwierige Frage
Eine ökonomische Insolvenz kann daher als die indirekte Insolvenz oder
Insolvenz in weiterem Sinne bezeichnet werden. Die Grenzen zwischen einer
Unternehmenskrise und einer ökonomischen Insolvenz bleiben naturgemäß
fließend. Wo einige Analysten schon die ökonomische Pleite sehen, sprechen
vielleicht andere erst von ernsthaften Schwierigkeiten.
Retter in der Not – Kauf des
Ob die juristische Insolvenz eines Unternehmens für dieses mit einer Zerschlagung enden muss oder eine andere Lösung gefunden wird, bleibt offen.
Häufig finden nur ein Eigentümerwechsel und einige Personalentlassungen
statt, wie zuletzt beim Bekleidungshersteller Schiesser. Ferner berichten
Medien nicht selten vom Kauf eines „insolventen“ Unternehmens, das formal
noch keinen Gerichtsantrag gestellt hat. Die Aktienkurse eines solchen
Glückspilzes dürften nach dieser Nachricht bald in die Höhe schießen.
insolventen Unternehmens
Die Überschuldung kann aus
der Bilanz ermittelt werden, …
Wir kehren zu den juristischen Insolvenztatbeständen zurück. Da die Zahlungsunfähigkeit als der häufigste Insolvenzgrund jedem verständlich erscheint, wird in diesem Fokus nur die bilanzielle Überschuldung erläutert.
Diese zählt allein in Deutschland und nicht in den meisten anderen Ländern
zum Insolvenzgrund.
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Insolvenz von Privatpersonen und Unternehmen
… wenn die unterlassene
Abschreibung bekannt ist
Sie wurde im Finanzmarktstabilisierungsgesetz von 2008 nach der LehmanPleite festgelegt. Eine Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn das Vermögen des
Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn,
„die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend
wahrscheinlich“. Zur Feststellung der Überschuldung sollen weder die Handels- noch die Steuerbilanz herangezogen werden, sondern es muss ein spezielles Gutachten (Überschuldungsbilanz) erstellt werden, in dem auch stille
Reserven und stille Lasten berücksichtigt werden. Dennoch wird sich in der
Praxis ein solches Gutachten an der offiziellen Handelsbilanz orientieren.
Bilanztechnisch gesehen lässt sich die Überschuldung in einer einfachen
Musterbilanz wie folgt darstellen:
Überschuldung ohne Berücksichtigung stiller Reserven/Lasten
Aktiva
Anlagevermögen
Umlaufvermögen
Eigenkapitallücke
Bilanzsumme
Stille Reserven und stille
Lasten sind zu
berücksichtigen
Überschuldung führt a la long
zur Zahlungsunfähigkeit
8
Passiva
50
40
5
95
Eigenkapital
Schulden
Rückstellungen
Bilanzsumme
0
80
15
95
Ohne die Berücksichtigung der stillen Reserven (Aktivseite) und der stillen
Lasten (Passivseite) beträgt die Überschuldung, die oft Eigenkapitallücke
genannt wird, 5. Rein Formal wäre das Unternehmen insolvent, weil es über
kein Eigenkapital verfügt, es sei denn, die o. g. „Fortführung des Unternehmens“ wird laut Sanierungsplan als realistisch angesehen. Die Machtstellung
des Insolvenzverwalters, der diese wichtige Frage entscheidet, wird hiermit
ersichtlich.
Wie bei einer Privatperson gilt auch hier: Ein ökonomisch überschuldetes
Unternehmen wird juristisch erst insolvent, wenn es sich selbst anzeigt oder
angezeigt wird und das Gericht dem Antrag stattgibt. Solange es zwar wirtschaftlich angeschlagen, aber dennoch zahlungsfähig bleibt, kann es nur
hoffen, die Geschäfte weiterführen zu können. Das Unternehmen muss allerdings damit rechnen, dass, wenn es die ganze „Bilanzwahrheit“ offenlegt, die
Schuldner nervös werden und ab sofort Barzahlungen verlangen werden sowie
dass die Hausbanken die Überziehungslinien streichen könnten. Das Unternehmen wird also versuchen, bilanziell legal zu „tricksen“ und die bilanziellen
Wahlrechte großzügig nutzen. Im Notfall könnte es bis an den Rand der Legalität gehen. Wenn es andererseits seine prekäre Lage nicht offenlegt, begeht
es womöglich eine Konkursverschleppung. Überschuldungen und strafbare
Bilanzdelikte gehen ab diesem Zeitpunkt oft Hand in Hand. Die Konkursver-
Keine Angst vor dem Staatsbankrott?
Wann ist ein Staat insolvent?
schleppung ist nicht nur in Deutschland ein schwerer Straftatbestand.
Noch eine weitere Besonderheit ist vorzuheben: Während es dem Gesetzgeber egal ist, welche Eigenkapitalausstattung Nicht-Finanzinstitute ausweisen,
geht er bei Banken, Versicherungen und Fonds rigoros vor und hat strenge
Rechtsvorschriften erlassen. Hiernach haben Banken ihre Risikoaktiva (Kreditund Börsengeschäfte) mit 8 % Eigenkapital zu unterlegen. Auch die Eigenkapitalausstattung der Versicherungen orientiert sich am Risikogeschäft und
beträgt pauschal 10 % bei Sach- und etwa 4 % bei Lebensversicherungen der
jeweiligen Bilanzsummen. Werden diese Marken verletzt, gelten die Finanzinstitute zwar nicht als insolvent, aber die BAFin-Aufsicht würde eine Kapitalerhöhung verlangen und strenge Sonderkontrollen anordnen. Auf den wichtigen
Unterschied zwischen der beschriebenen Überschuldung und der Kapitalaufstockungspflicht bei Banken bis zur regulatorischen Eigenkapitalquote von
8 % muss daher genau geachtet werden.
Eigenkapitalmangel hat viele
Firmen am Neuen Markt in
den Konkurs getrieben
Wie gefährlich eine unzureichende Eigenkapitalausstattung sein kann, zeigt
folgendes Beispiel: In der Ära des Neuen Marktes arbeiteten die meisten
damaligen Startups nur mit einer dünnen Eigenkapitalausstattung oder sogar
einer Eigenkapitallücke und gingen massenweise in Konkurs, als die Zinsen
nur leicht anstiegen.
Wann ist ein Staat insolvent?
Direkte und indirekte Formen
des Staatsbankrotts
Um auseinander zu halten, ob und wann ein Staat bankrott ist, erscheint es
sinnvoll, sich der nachfolgenden Systematik zu bedienen. Dort werden neben
den zwei direkten Formen drei indirekte Insolvenzvarianten genannt, die im
Folgenden beschrieben werden:
Staatsbankrott
(Varianten)
direkte Formen
indirekte Formen
- Überschuldung
- Hyperinflation
- Zahlungsunfähigkeit bzw.
–unwilligkeit
- Währungsreform
- Zwangsmaßnahmen
- Umschuldungen
- Zwangsanleihen
- Devisenkontrollen
- Parallelwährung
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Wann ist ein Staat insolvent?
Schuldnerrechte sind beim
Staatsbankrott oft schwierig
durchzusetzen, …
… trotz internationaler
Gerichtstitel
Bei der Staatsinsolvenz ist vieles ähnlich, aber auch vieles anders als bei einer
Privat- und Unternehmensinsolvenz. Generell gilt hier, dass die Schuldner
relativ wenig Zugriffsrechte auf die Vermögenswerte eines Staates, zumal
eines ausländischen, haben. So ist es vor dem Hintergrund der Souveränität
des Einzelstaates nicht einfach, in sein Vermögen zu pfänden, wovon sich die
Gläubiger der Argentinien-Anleihen bitter überzeugen mussten.
Erstrittene Urteile vor nationalen und internationalen Gerichten helfen nicht
weiter, wenn im Lande des Gläubigers keine materielle oder finanzielle Pfändungsmasse des Schuldners vorhanden ist. Die Frage einer wirksamen Schuldeneintreibung ist dabei so alt wie die Wirtschaftsgeschichte der Menschheit
selbst. Noch im 19. Jahrhundert haben europäische Großmächte ihre Forderungen gegenüber armen Ländern der Dritten Welt nicht selten auf kriegerischem Wege eingetrieben (sog. Kanonenboot-Politik).
Gibt es einen Staatsbankrott als Folge von Überschuldung?
Ein Staat stellt keine Bilanz
auf, obgleich …
... seine Schulden bekannt
und seine Aktiva bezifferbar
sind
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Wie kann die Überschuldung eines Staates festgestellt werden? Irrtümlicherweise wird der Staatsaushalt häufig mit der „Bilanz“ eines Staates verwechselt. Der Staatshaushalt stellt aber eher eine Gewinn- und Verlustrechnung
oder noch besser eine Liquiditätsrechnung dar. Kein Staat veröffentlicht eine
Bilanz oder einen Vermögensstatus. Selbst wenn das der Fall wäre, kann ein
Staat weder vor einem internationalen Gericht wegen Delikten wie Überschuldung oder Schuldenhöhe angeklagt noch von einer Kreditaufnahme auf den
internationalen Kapitalmärkten ausgesperrt werden. Es sei denn, dass er
irgendwelche Verträge verletzt hat, z. B. die sog. Konvergenzkriterien der EU.
Dann sehen internationale Verträge Sanktionen vor. Ob diese gegen den
Regelbrecher auch verhängt werden, ist eine andere Frage.
Trotz fehlender offizieller Rechnungslegung ließen sich das Staatsvermögen
und die Staatsschulden dennoch quantifizieren. Solche Rechenwerke werden
von wenigen Analysten sporadisch erstellt. Auch wenn jeder Staat Sachaktiva
in Form von Land- und Wasserflächen, Rohstoffen, Produktionseigentum und
Finanzaktiva wie Aktien, Beteiligungen an in- und ausländischen Unternehmen, Währungsreserven und Gold besitzt, bleibt die Höhe des Staatsvermögens aufgrund fehlender Statistiken und strittiger Bewertungsmethoden ein
schwer lösbares Problem. Denkt man an die seit 30 Jahren ungelöste Harmonisierung der unternehmerischen Rechnungslegung (IFRS), kann vermutet
werden, dass die Erstellung von Staatsbilanzen noch um ein Vielfaches problematischer wäre.
Keine Angst vor dem Staatsbankrott?
Wann ist ein Staat insolvent?
Staats- versus Volksvermögen
Staats- und Volksvermögen ist zudem bei weitem nicht das gleiche. Erinnert
sei in diesem Zusammenhang an die kommunistischen Systeme des ehemaligen Ostblocks, in denen dem Staat oder der breiter gefassten „sozialistischen
Gesellschaft“ das ganze Landesvermögen gehörte. Aber auch in westlichen
Industriestaaten ist der Begriff des Staatsvermögens wohl bekannt. Bei chronisch knappen Kassen werden in irregulären Zeitabständen große Teile der
Staatsfirmen oder die hoheitlichen Rechte privatisiert (UMTS–Lizenzen bei der
Telekom).
Verbreitetes Phänomen:
Der Staat einerseits und seine Bürger andererseits können unterschiedlich
vermögend sein. Nicht erst seit gestern wird verschiedentlich von „reichen
Bürgern“ und dem „armen Staat“ gesprochen. Die Diskussion um die angemessene Höhe der Staatsquote – die als die Höhe des Staatshaushalts in
Relation zum BIP definiert wird - gehört in die Kategorie strittiger Ansichten
über die optimale Rolle eines Staates in der Gesellschaft und sorgt in westlichen Demokratien seit Jahrzehnten für politischen Zündstoff.
Armer Staat, reiche Bürger
Eine Entschuldung durch das
Steuerdiktat stößt an Grenzen
Leistungsverweigerung setzt
die Besteuerungsobergrenze
Schuldenstand zum BIP ein
guter (Krisen)Frühindikator?
Selbst wenn die Schulden in einer solchen fiktiven Staatsbilanz überwiegen
sollten, hätte dieser Umstand noch keine Klärung der Insolvenzfrage bedeutet. Denn anders als ein Unternehmen im Wettbewerb, das seinen Umsatz und
Gewinn nicht bestimmen kann, ist es einem Staat - Außenwirtschaftbeziehungen sollen hier der Einfachheit halber nicht berücksichtigt werden - jederzeit
möglich, die benötigten Einnahmen durch Steuern zu erheben und diese
Lücke zu schließen. Er könnte sich via Steuererhöhung somit ebenfalls praktisch peu a peu von allen seinen Schulden befreien. Die Diskussion über den
Staatsbankrott wäre dann überflüssig.
Wenn der Staat davor zurückschreckt, so liegt es an der Furcht vor einer
wirtschaftlichen Demotivierung seiner Bürger. Untersuchungen machen deutlich, dass das Steueraufkommen mit steigendem Steuersatz sinken wird, weil
die hohen Belastungen jeden wirtschaftlichen Elan ersticken. Es entsteht
einfach zu wenig Einkommen bei den Bürgern und den Unternehmen, das mit
dem erhöhten Steuersatz zu besteuern wäre.
Der Vorteil einer Staatsbilanz liegt in seiner Warnfunktion, der sich anbahnenden Zahlungsunfähigkeit. Die sie ankündigenden Frühindikatoren sind ein
wertvolles Instrument in den Händen der Wirtschaftspolitiker. Die maximale
Verschuldung des Staates ist z. B. ein gutes Maß für einen solchen. Dabei
kommt es nur auf die relativen Größen an. Denn eine hohe absolute Staatsverschuldung in einem reichen Land, wie in den USA, stellt für diese Weltwirtschaftsmacht noch keinen Überschuldungstatbestand dar. Weil es keine
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Wann ist ein Staat insolvent?
Staatsbilanz gibt, aus der die relativen Schuldenzahlen abzulesen sind, müssen sich die besorgten Volkswirte etwas anders einfallen lassen. Besonders
beliebt ist hier der Vergleich der Gesamtverschuldung zum BIP, der allerdings
eine Einkommens- und keine Vermögensgröße darstellt. Unter den OECDLändern ist nach diesem Kriterium erstaunlicherweise gerade Japan mit 227 %
der am meisten „bankrottgefährdete“ Staat. Am anderen Ende der Verschuldungsskala rangiert China mit 21 %.
Beispiel Japan: Hohe
Inlandsschulden, aber riesige
Auslandsforderungen
Zu beachten ist hier, dass die japanische Bevölkerung mit 500 Mrd. USD der
größte Finanzierer der US-Staatsschulden ist. Die These vom „armen“ Staat
und „reichen“ Bürgern dürfte im Falle Japan gut aufgehen.
Erwartete Staatsschulden in % des BIP in 2010 und 2011
227 234
119120
93 97
84 89
78 85
77 80
65 73
China
Spanien
Deutschland
Großbritannien
Frankreich
USA
Italien
Japan
21 21
Quelle: FAZ
Schlechte Ratings als Strafe
für Verschuldungsexzesse
Der Schuldendienst in % der
Staatsausgaben beschreibt
gut die Zahlungsfähigkeit
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Ein hoch verschuldeter Staat wird durch schlechte Ratingnoten ökonomisch
bestraft, ohne in seinen hoheitlichen Rechten eingeschränkt zu werden. Als
schlechter Schuldner hat er es am Kapitalmarkt nicht leicht, er zahlt wesentlich höhere Zinsen. Ein Quasi-Bankrotteur braucht andererseits starken Druck,
um Reformen durchzuführen und wirtschaftlich zu gesunden. Ein ökonomischer Druck zum Sparen und Schuldenabbau ist in der Regel viel wirksamer
als der politische. Dennoch ist es nicht ungefährlich, den Schuldner mit höheren „Zinsen“ sanieren zu wollen.
Die Kennzahl Schuldenhöhe in Relation zum BIP darf nicht isoliert gesehen
werden und ist um weitere Indikatoren zu ergänzen. Die wichtigste Ergänzungskennzahl ist hier der Schuldendienst in Prozent der Staatsausgaben, die
noch beschrieben wird. Denn die Schuldenhöhe allein sagt nicht viel darüber
aus, wie leicht bzw. wie schwer es einem Staat fällt, den Schuldendienst zu
leisten.
Keine Angst vor dem Staatsbankrott?
Wann ist ein Staat insolvent?
Der klassische Staatsbankrott: Die Zahlungsunfähigkeit
Staatsbankrott häufig auf die
Zahlungsunfähigkeit reduziert
Der klassische Staatsbankrott wird meistens als die förmliche Erklärung einer
Regierung definiert, fällige Forderungen nicht mehr oder nur teilweise erfüllen
zu können. Gleiche Wirkung hat die Einstellung der Zahlungen, ohne eine
Erklärung abgegeben zu haben.
Es kommt dabei nicht nur darauf an, ob die Zahlungsaussetzung aus Unfähigkeit (leere Kassen) oder Unwillen (politischer Machtwechsel) resultiert und ob
darüber hinaus eine Überschuldung vorliegt. Es kann der seltene Fall eintreten, dass ein vermögender Staat insolvent wird, weil er seine Aktiva nicht
veräußern kann oder darf (Embargo des Auslandes bei Auslandschulden,
gesetzliche Verbote im Inland). Dieser Staat käme somit nicht an die benötigte Liquidität, um den Schuldendienst leisten zu können. Ein solcher Fall könnte beim Iran eintreten. Dieses Szenario hätte negative Auswirkungen auf die
Exportwirtschaft. Die Zeche für einen möglichen embargobedingten Ausfall,
z. B. der deutschen Exporteurforderungen, zahlen dann einmal mehr – wie in
Zeiten des Kalten Krieges im Handel mit dem Ostblock - die heimischen
Steuerzahler.
Zahlungsunwilligkeit der
Herrschenden seit eh und je
weit verbreitet
Zahlungsunfähigkeit kann
auch vorgetäuscht werden
Geld zu verleihen war schon immer sowohl ökonomisch als auch politisch ein
riskantes Geschäft. Seit Menschengedenken entledigten sich unzählige zahlungsunwillige und –unfähige Kaiser, Fürsten und Könige ihrer privaten Schulden – die in dieser Zeit mit den Staatschulden gleichzusetzen waren - indem
sie ganz einfach ihre Geldgeber töteten, einkerkerten oder infolge falscher
Anschuldigungen erbarmungslos enteigneten.
Heute sind die Methoden der Zahlungsunwilligkeit feiner und geräuschloser,
dafür aber auch raffinierter geworden. Selten, wenngleich an den Kapitalmärkten anzutreffen, ist z. B. der Rückkauf eigener Schulden. In einem solchen Fall kauft ein offiziell zahlungsunfähiger Staat seine eigenen Schulden –
häufig über Strohmänner - billiger zurück, oft deutlich unter dem Nominalwert. Der Staat entschuldet sich damit sukzessive.
Wie oft gibt es eigentlich den Staatsbankrott wegen Zahlungsunfähigkeit?
Was sagt dazu die Empirie? Über Staatsbankrotte existieren seit Jahrhunderten Statistiken. Auf der folgenden Seite wird die Arbeit von C. Reinhard und
K. Rogoff zitiert, die zwölf Staaten untersuchten, von denen sieben analysiert
werden.
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Wann ist ein Staat insolvent?
Staatspleiten in Europa von 1800 bis 2000
(Dauer der Pleiten in Jahren insgesamt, in Klammern Zahl der Pleiten)
35
(7)
26
(7)
Deutschland
47
(8)
Österreich
73
(1)
Spanien
74
(7)
Italien
Griechenland
Jahren
78
(5)
Ungarn
Europa in den letzten 200
103
(5)
Russland
Staatspleiten quer durch ganz
Quelle: C. Reinhart, K. Rogoff
Nach der Staatspleite ist vor
der Staatspleite
Die obige Studie belegt, dass Staatspleiten in Europa in den letzten 200
Jahren keine Seltenheit waren. Je nach Staat waren die Dauer und die Häufigkeit der Pleiten unterschiedlich.
> Bei 40 Pleiten insgesamt war jeder der 7 zitierten Staaten im Durchschnitt
fast sechsmal bankrott. Spanien war mit 8 Staatsbankroten hierbei führend.
> Die Dauer der Gesamtpleite aller Staaten betrug 370 Jahre, also dauerte
sie pro Land im Durchschnitt 53 Jahre. Bei diesem Unterscheidungskriterium dominierte Griechenland mit 103 „Pleite“- Jahren. Die Hellenen waren demnach in der Periode 1800-2000 im Durchschnitt jedes zweite Jahr
bankrott.
Die lange Geschichte der
Staatspleiten
Staatsbankrott in vielen
Ländern ein Dauerzustand
14
Auch früher, so z. B. in Frankreich vor dem Ausbruch der Revolution 1789
oder in Spanien unter König Phillip II (1556-1598), der 90 % der Staatseinnahmen für das Militär ausgab, waren Staatspleiten an der Tagesordnung. Der
Leser braucht nicht so weit zurückblicken. In den letzten 20 Jahren waren
zahlreiche große und/oder bekannte Länder wie Indonesien (1997), Thailand
(1997), Südkorea (1997), Russland (1998), Türkei (1999), Argentinien (2001),
Brasilien (2002), Ungarn (2008) und Island (2009) bankrott.
In vielen Entwicklungsländern ist das Phänomen des Staatsbankrotts in der
heutigen Zeit ein Dauerthema. Viele afrikanische Staaten befinden sich seit
Jahrzehnten am Rande einer permanenten „Staatspleite“ und könnten ohne
Entwicklungshilfe und/oder die Kredite von internationalen Organisationen
gar nicht überleben.
Keine Angst vor dem Staatsbankrott?
Wann ist ein Staat insolvent?
Too big to fail! - Staatskrisen
enden oft mit Vergleichen
Staatsbankrott wird oft über
einen höheren Zins
eingepreist
Nichtsdestotrotz finden sich immer genügend freiwillige Geldgeber, die das
riskante Unternehmen Staatsfinanzierung eingehen. Warum das so ist, könnte
folgende Erklärung belegen: Anders als bei den Privatinsolvenzen enden
Staatskonkurse häufig mit Vergleichen. Too big to fail! – lautet dazu die passende Begründung. Die internationalen Kreditmärkte haben Angst vor einer
Kettenreaktion bei den Zahlungsausfällen. Staatspleiten und Pleiten von
Großbanken haben viele Ähnlichkeiten und vermutlich die gleiche Auswirkung.
Zudem preisen wahrscheinlich die Kreditgeber einen Staatsbankrott im höheren Zinssatz ein. Anhand eines einfachen Zahlenbeispiels kann demonstriert
werden, dass bereits bei einem Mehrzins von 2,5 % ein deutscher Anleger, der
in Anleihen (ausfallgefährdeter) Schwellenländer investiert, aber dabei breit
streut, selbst bei einer 10 %igen Ausfallquote noch besser darsteht, als wenn
er Bundesanleihen kauft, die heute gerade 2,5 % p. a. abwerfen. Ein Totalverlust einer von 10 Depotanleihen kann mehr als wettgemacht werden.
Beispiel: Alternativanlagen
Bundesanleihe
10 Anleihen aus Schwellenländern
(Volumen 100.000 Euro)
(Volumen jeweils 10.000 Euro)
-
Laufzeit:
-
Zins:
10 Jahre
-
Laufzeit:
10 Jahre
2,5 % p. a.
-
Zins:
5 % p. a.
Ertrag nach 10 Jahren
Ertrag nach 10 Jahren
-
Kapital:
100.000 Euro
-
Kapital*:
-
Zinseszins:
34.391 Euro
-
Zinseszins:
-
Gesamt:
134.391 Euro
-
Gesamt:
Renditevorsprung
90.000 Euro
62.889 Euro
152.889 Euro
19,4 %
* 1 Anleihe fällt am Ende der Laufzeit
voll aus
Welche Kennzahl zeigt eine drohende Zahlungsunfähigkeit
eines Staates am zuverlässigsten an?
Vermögend heißt nicht immer
ertragsstark zu sein
Die in der Grafik auf Seite 12 dargestellte Relation (Kennzahl) Staatsschuld
in Prozent des BIP hätte die potenzielle „Bankrottgefahr“ eines stark verschuldeten Staates angezeigt, wäre sie hinreichend aussagekräftig. Das ist
aber nicht der Fall. Denn hier wird nicht gefragt, ob es einem Staat einfach
oder schwer fällt, seinen Schuldendienst zu leisten. Ganz ähnlich ist es bei
einem substanzstarken Konzern mit einer hohen Eigenkapitalquote, der große
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Wann ist ein Staat insolvent?
Liquiditätsprobleme hat. Ist sein Vermögen langfristig gebunden, kommt er
nicht so schnell an die flüssigen Mittel heran.
Guter Frühindikator:
Belastung durch den
Schuldendienst, aber
lückenhafte Statistiken
Die Kennzahl Anteil des Schuldendienstes an den Gesamtausgaben des Staates würde eine gute Ergänzung sein. Ist dieser Anteil extrem hoch (wie z. B.
bei der Ukraine mit 50 %), erstickt der Krisenstaat sprichwörtlich unter seiner
Schuldenlast und hat kaum noch Spielraum für die Wahrnehmung seiner
eigentlichen und sozialen Aufgaben.
Es gibt leider nur für wenige Staaten statistische Reihen zur Höhe ihres
Schuldendienstes. Auch wenn sie vorlägen, bliebe die Frage zu kritischen
Grenzwerten offen. Der hoch verschuldete japanische Staat muss gerade 4 %
seiner Einnahmen für Zinsen und Tilgung seiner Staatsschulden ausgeben.
Diese Belastung dürfte er wohl besser verkraften als die zitierte Ukraine.
Exporteinnahmen bestimmen
die Schuldendienstfähigkeit
Spread-Aufschlag guter
Frühindikator für drohende
Zahlungskrisen
Für stark im Ausland oder in harter ausländischer Währung verschuldete
Staaten kann das Verhältnis Schuldenbestand oder Schuldendienst zu den
Exporteinnahmen herangezogen werden.
Die Belastung durch den Schuldendienst fließt neben der Höhe des Schuldenbestandes in Prozent vom BIP ebenfalls in die Noten der Ratingagenturen ein.
Wie gut oder schlecht der Kapitalmarkt die aktuelle Bonität eines Staates
einstuft, lässt sich am sog. CDS-Spread ablesen, der als Zinsaufschlag
(“Mehrzins“) für dessen Anleihen definiert wird. Auch hier gibt es kaum Faustregeln, ab welcher Höhe ein Staat am Vorabend einer Insolvenz steht. Griechenland zahlte für seine 10jährigen Anleihen zeitweise einen Zinsaufschlag
(Spread) von 10 % p. a. und mehr. Solche Belastung kann sich ein Schuldner
nur kurzfristig leisten.
Wie kann durch eine Inflation der Staatsbankrott abgewendet
werden?
Formen des indirekten und
direkten Staatsbankrotts
Schuldentilgung durch kalte
Progression und Wertverlust
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Wie ausgeführt, zählen die Überschuldung und die Zahlungsunfähigkeit zu den
direkten Erscheinungsformen des Staatsbankrots. Ein Staat kann aber ebenso
gut indirekte „Bankrottsymptome“ zeigen. In der Fachsprache wird dann vom
aufgeschobenen Staatsbankrott gesprochen. Im Folgenden werden die drei
wichtigsten Fälle der indirekten Bankrottvarianten, die Hyperinflation, die
Währungsreform und eine Auswahl von geld- und fiskalpolitischen Zwangsmaßnahmen zur Bankrottabwehr vorgestellt.
Zuerst wird die Hyperinflation analysiert.
Ein Staat kann seine Schuldenlast drücken oder sich ihrer entledigen, indem
er die Inflation anheizt. Dies wird ihm besonders dann gelingen, wenn seine
Keine Angst vor dem Staatsbankrott?
Wann ist ein Staat insolvent?
Zentralbank nicht unabhängig ist. Die Inflation hat für den Staatshaushalt zwei
wichtige Schulden entlastende Effekte:
> Die nominellen Staatsschulden werden real immer weniger wert und sind
leichter zu tilgen. Vertragliche langfristige Zahlungen (Tarifverträge,
Staatsbestellungen) sind zudem leichter zu erfüllen.
> Der Staat nimmt auf der anderen Seite überproportional mehr ein. Durch
die Inflation steigen nominell die Einkommen der Bürger, die dadurch ungewollt in die höheren Einkommensteuerklassen (sog. kalte Progression)
gelangen.
Es gibt viele Wege, wie die Inflation durch die staatliche Wirtschaftpolitik
verursacht wird. Dem Staat ist es möglich, die Preissteigerung bewusst oder
unbewusst herbeizuführen, wobei sie im zweiten Fall als Nebeneffekt einer
verfehlten wirtschaftspolitischen Maßnahme auftaucht. Die Unterschiede
werden anhand von drei Beispielen gezeigt:
Unsolide Finanzpolitik immer
ein starker Inflationstreiber
Inflationsanheizung durch die
Politik des „billigen Geldes“…
…und Abwertung der eigenen
Währung (Inflationsimport)
Beginnen wir mit der „quasi bewussten“ Inflationsverursachung, wenn der
Staat durch eine unsolide Finanzpolitik (Schuldenmachen) die Preissteigerung
billigend in Kauf nimmt. Kein Staat wird das offiziell zugeben, durch eine
falsche Wirtschaftspolitik wird aber dennoch Inflation entstehen. Werden die
Gehälter der Staatsbediensteten und die Altersrenten ohne Rücksicht auf die
Einnahmenseite und die Produktivitätsfortschritte in der Wirtschaft erhöht,
fließen diese „nicht real gedeckten“ Geldströme in den Konsum. Völlig andere
Auswirkungen ergeben sich, wenn die Neuverschuldung investiv und nicht
konsumtiv verwendet wird, um langfristiges Wachstum zu generieren. Deswegen versuchen internationale Finanzorganisationen (IWF, Weltbank) den
Entwicklungsländern Kredite nur für Investitionsprojekte zu gewähren, was
allerdings häufig an einer effektiven Verwendungskontrolle scheitert.
Die beiden folgenden Fälle zeigen, wie der Staat die Inflation „unbewusst“
anheizt. Einmal geschieht dies durch die Politik des billigen Geldes, die zum
überproportionalen Anstieg der Geldmenge (M3) und zu großzügigen Kreditausreichungen führt. Die Kaufkraft der Massenkonsumenten steigt in diesem
Fall schneller als die Gütermenge (BIP-Wachstum). Ein Staat befindet sich
allerdings im Dilemma, wenn er durch die Politik des billigen Geldes die Konjunktur ankurbeln will. Ob die erhöhte Geldmenge inflationswirksam oder
Konjunktur stützend wirkt, kann häufig erst später festgestellt werden.
Das zweite Beispiel einer „unbewusst“ angeheizten Inflation: In Ländern mit
festen Wechselkursen kann eine Abwertung der eigenen Währung die Inflation
ungewollt „importieren“. Dieses Phänomen wird ebenso bei variablen Wech17
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Wann ist ein Staat insolvent?
selkursen beobachtet, wenn z. B. ein erstarkter US-Dollar plötzlich die Ölrechnung der Abnehmer verteuert. Auch hier gibt es ein konjunkturpolitisches
Dilemma. Bei einer Abwertung seiner Währung gerät nämlich der Staat häufig
in eine Inflationsfalle, wenn er die Konjunktur über die Stimulierung die Exportwirtschaft ankurbelt. Folgendes wird bei einem konjunkturell wünschenswerten Exportüberschuss leider häufig übersehen: Die Waren gehen aus dem
Land, das Geld kommt ins Land. Geld kann man aber nicht essen – wie einst
ein Indianerhäuptling treffend bemerkte. Ein Land mit hohen Exportüberschüssen, das wie Deutschland hohe Devisenreserven besitzt, wird auf der
anderen Seite der Inflationsgefahr ausgesetzt.
Wann zeigt die Inflation bei Verminderung der Staatsschulden
Wirkung?
Entschuldung erst bei höheren
Inflationsraten spürbar
Auch in Industriestaaten ist
die Hyperinflation keine
Seltenheit
Damit sich die Inflation auf die Minderung der Staatsverschuldung merklich
auswirkt, müssten die Preissteigerungsraten signifikant ausfallen und heute in
den hoch verschuldeten Industrieländern mit einem Schuldenstand von 100 %
des BIP mindestens bei 10 % p. a. liegen. Von diesen Marken sind diese
Länder noch weit entfernt.
Eine Hyperinflation – so wie in Deutschland 1923 und 1924 oder in Argentinien in 1990 und 1991 – mit mehreren tausend Prozent jährlich wären damit
für die Staatsschulden zwar eine Ideallösung, wenn es da nicht die extremen
negativen sozioökonomischen Nebenwirkungen gäbe. Die Hyperinflation
kommt meistens nach Kriegswirren vor, wenn die Wirtschaftgrundlagen physisch zerstört sind.
Die große Schuldenbefreiung durch die Währungsreform
Was ist eine Währungsreform?
Die Währungsreform besteht in der gesetzlichen Änderung der alten in eine
neue Währung zu einem staatlich festgelegten Umrechnungskurs, der in der
Regel unterschiedlich für das Bargeld, die Bankguthaben und die Verbindlichkeiten ist. So wurde in der westdeutschen Währungsreform von 1948 das
Bankguthaben in Relation 10:1, Verbindlichkeiten aus wiederkehrenden
Leistungen (Löhne, Mieten) dagegen 1:1 umgetauscht und für den Bargeldbestand sowie Reichsmarkanleihen gab es überhaupt keine Umtauschansprüche.
Hauptziel der Währungs-
Bei jeder Währungsreform, die offiziell den Anspruch erhebt, gerecht zu sein,
gilt folgender Grundsatz: Am stärksten sind die Bevölkerungsschichten zu
treffen, die ihr Geldvermögen am wenigsten für die laufende Lebensführung
benötigen (Großsparer, anlegende Unternehmen). Diese Schichten werden
reform: rigorose Kaufkraftabschöpfung
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Keine Angst vor dem Staatsbankrott?
Wann ist ein Staat insolvent?
durch die Währungsreform de facto enteignet. Durch die Währungsreform soll
das Geld knapp und der Geldüberhang abgeschöpft werden. Aus einer Geldmenge von145 Mrd. alten Reichsmark wurden nach der Währungsreform in
1948 gerade 4,4 Mrd. neue DM. Das sind etwa 3 % des Altbestandes!
Regel: Schuldner profitieren,
Gläubiger verlieren
Bei einer Währungsreform profitieren alle Schuldner, nicht nur der Staat.
Verlierer sind dementsprechend die Gläubiger.
Wann wird eine Währungsreform unausweichlich?
Die Wirtschaftgeschichte lehrt, dass diese Extremhandlung eines Staates fast
ausnahmslos einer fortschreitenden Hyperinflation folgt. Sie wird durchgeführt, wenn die Wirtschaftspolitik die Lohn-Preis-Spirale mit konventionellen
Mitteln nicht mehr in den Griff bekommt und zu drakonischen Mitteln greifen
muss.
Die Gefahr einer Hyperinflation und Währungsreform
ist klein, weil …
… die Liquidität nur marginal
in die Realsphäre durchsickert
Die Geldpolitik hat die
Liquiditätssteuerung im Griff
Besteht für die Weltwirtschaft in der heutigen Finanzkrise eine solche Gefahr?
Wenngleich diese Frage viele Zeitgenossen beunruhigt, ist sie nichtsdestotrotz zu verneinen. Zwar trifft es zu, dass die Notenbanken heute das marode
globale Finanzsystem mit Liquidität fluten. Pessimisten sprechen in diesem
Zusammenhang von einer neuen Finanzblase.
Diese Liquidität verbleibt aber weitestgehend im Bankensystem selbst. Sie
gelangt kaum in die Realwirtschaft und kann damit die dortige Kaufkraft nicht
erhöhen. Was ist der Grund für dieses abschirmende Verhalten der Banken?
Diese sichern sich in Krisenzeiten ab und verleihen kaum Geld, weil sie bei
Zahlungsausfällen vom Geldmarkt - auf dem „Liquidität“ gehandelt wird unabhängig bleiben wollen. Falls Banken also überschüssige Liquidität haben,
parken sie diese lieber zu Niedrigzinsen bei der EZB, als dass sie sich langfristig in Krediten binden. Somit besteht kurzfristig keine Gefahr einer Inflation,
geschweige denn einer Hyperinflation. Daher dürfte die stark kritisierte Kreditklemme doch noch ihre positive Seite haben, werden einige Volkswirte
bemerken.
Es ist ebenso nicht zu erwarten, dass, wenn der Bankensektor saniert wird,
die Liquidität sofort in die Realwirtschaft abfließt. Der beunruhigte Verbraucher sollte sich eins merken: So wie die Notenbanken die Geldmenge schöpfen können, so können sie diese zwecks der Verteuerung der Refinanzierung
und durch andere geldpolitische Maßnahmen abschöpfen. Notenbanken
können Geld schaffen und Geld vernichten und betreiben diese Steuerungspolitik seit Jahrzehnten mit Erfolg.
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Wann ist ein Staat insolvent?
Wachsen M3 und BIP gleich
stark, entsteht keine Inflation!
Die oben beschriebene Lage kann plastisch mit Hilfe von zwei Ballons illustriert werden. Die Geldpolitik erhöht oder vermindert je nach Konjunkturlage
die Liquidität (Geldmenge M3) des Bankensystems im Finanzwirtschaft-Ballon.
Diese Liquidität fließt weiter in den Realwirtschaft-Ballon herein, wenn die
Versorgung der Realwirtschaft wegen des hohen BIP- Wachstums zu niedrig
ist. Oder sie fließt heraus, wenn sie zu hoch ist. Eine inflationsfreie Versorgung der Wirtschaft mit Liquidität liegt nach dem Grundsatz der Volkswirtschaftslehre dann vor, wenn die Wachstumsraten von BIP und M3 gleich
ausfallen. Nur wenn die Geldmenge M3 auf Dauer stärker steigt, besteht
Inflationsgefahr.
Es gibt darüber hinaus noch den oben beschriebenen Weg, wie eine Inflation
trotz hoher Geldmengenzufuhr verhindert wird. Solange wie in der gegenwärtigen Finanzkrise die Liquidität aus dem Finanzwirtschaft-Ballon aus welchem
Grund auch immer (Kreditklemme?) in den Realsektor nicht entweichen kann,
wird sie keine Preissteigerung verursachen können.
Liquiditätsversorgung durch
Zentralbank
Finanzwirtschaft
(M3)
Realwirtschaft
(BIP)
Kreditklemme
Ohne (Hyper-)Inflation gibt es
keine Gefahr einer Währungsreform!
Zum Schluss bleibt daher festzuhalten: Wenn – wie dargestellt – keine Inflations-, geschweige denn eine Hyperinflationsgefahr besteht, ist auch die Diskussion um die Währungsreform obsolet. Für den Privathaushalt kann Entwarnung gegeben werden.
Maßnahmen der Staaten zur Bankrottverhinderung
„Tricks“ erlauben oft, einen
Staatsbankrott zu vertuschen
Im Laufe der Jahrtausende haben Staaten Taktiken ausgearbeitet, die einen
Bankrott verhindern oder aufschieben. Wendet ein Staat diese an, kann er
nach der getroffenen Definition als bankrott bezeichnet werden. Welche
Taktiken sind es im Einzelnen?
Im Unterschied zu der beschriebenen Zahlungsunfähigkeit sind die im folgenden beschriebenen Methoden subtiler und optisch weniger abschreckend,
allerdings für die Bürger nicht ganz freiwillig. Ein quasi bankrotter Staat, der
sich ihrer bedient, erscheint nicht so stark im negativen Rampenlicht der
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Keine Angst vor dem Staatsbankrott?
Wann ist ein Staat insolvent?
Weltöffentlichkeit und wird nicht augenblicklich von den Ratingagenturen
massiv herunter gestuft. Damit bekommt er oft noch die Möglichkeit, sich
eine Zeit weiter zu verschulden.
Diese häufig eingesetzten Zwangsmaßnahmen waren und sind nicht nur in
(planwirtschaftlich orientierten) Diktaturen, sondern ebenso in westlichen
Demokratien hinreichend bekannt. Denn die staatliche Finanznot kennt keine
ideologischen oder regionalen Schranken.
Ein Staatsbankrott „verpufft“,
wenn IWF-Hilfe in Aussicht ist!
Nachfolgend die vier bekanntesten Taktiken:
> Die Staaten schulden alte Auslandsschulden in neue um
Seit der Gründung des Internationalen Währungsfonds (IWF) 1945 melden
Pleite-Staaten formal Insolvenzen wegen Zahlungsunfähigkeit an und warten darauf, dass der IWF sie mit neuen Krediten „da rausholt“. So werden
aus alten Auslandsschulden neue Auslandsschulden. Die Umschuldung
führt nur in den seltensten Fällen zum Erfolg, falls der Staat sich tatsächlich wirtschaftlich erholt. Häufiger muss letztendlich aber zum Schuldennachlass gegriffen werden. Bis die neuen Kreditverträge mit ungewissen
Konditionen unter Dach und Fach sind, herrscht in der Wirtschaft und an
den Kapitalmärkten Ungewissheit. Obwohl es irgendwann erfahrungsgemäß trotz allem ein Happy End gibt, bei politisch opportunen Staaten geht
es mit den Hilfen schneller voran, ist diese Wartezeit dennoch kein Schrecken ohne Ende! Leider ist nach der Bewilligung der Außenhilfe der Bankrott nur aufgeschoben, falls der Schuldner die IWF-Auflagen nicht einhält.
Für einige Länder gab es bislang schon mehrere Rettungsaktionen.
Schuldenbefreiung durch die
Renationalisierung der
Gläubiger(-banken)
> Der Staat beteiligt die Schuldner als „Investoren“ an seinen Projekten,
was auf eine Zwangsfinanzierung hinausläuft
Diese Methode kann er nur bei Inlandsgläubigern anwenden. Das häufigste Instrument ist die in Kriegszeiten oder anderen Notsituationen sehr populäre Zwangsanleihe. Hier werden die Bürger zwar formal nicht enteignet.
Indirekt bilden solche Maßnahmen allerdings häufig die Vorstufe einer Hyperinflation. Auch kann der Staat seine größten Gläubiger, wenn es Unternehmen sind, wie häufig im Falle von Banken, nationalisieren. Argentinien
hat z. B. erst 2009 die in inländischen Staatsanleihen stark investierten
Pensionsfonds verstaatlicht und damit seine eigenen Schulden zum Nulltarif zurückerworben.
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Staatsbankrott: Auswirkungen auf die Realwirtschaft
Devisenkontrolle sichert den
Auslandsschuldendienst
> Der Staat monopolisiert weite Bereiche der Finanzwirtschaft und setzt die
Marktgesetze außer Kraft
Gemeint sind hier vor allem die massiven Störungen im Devisenverkehr
(unrealistische Wechselkurse, Devisenkontrollen, Zweckverwendungen),
die zum Ziel haben, eine Kapitalflucht zu verhindern, um die Auslandsschulden bedienen zu können. Zu Zeiten des Goldstandards, als das Umlaufgeld gegen dieses Edelmetall bis zum Ersten Weltkrieg zum festen Umtauschverhältnis gewechselt werden konnte, wurden einfach hoheitlich die
Umtauschparitäten verschlechtert. Zu diesem Mittel griffen bereits die alten Römer im Ersten Punischen Krieg (3. Jahrhundert v. Chr.) gegen die
Karthager, als sie diese Parität mit einem Schlag auf ein Sechstel abwerteten. Kriege zu finanzieren, war schon immer teuer!
Schlechtes Geld oft als
Zahlungsmittel verordnet
> Der Staat führt eine Parallelwährung als neues gesetzliches Zahlungsmittel ein
Wenn der Staat eine Parallelwährung einführt, die von der Bevölkerung als
minderwertiges Zahlungsmittel nicht akzeptiert wird, dann bezahlt er mit
ihr meistens seine eigenen Schulden. Diese Währung kann andererseits
als „schlechtes Geld“ nicht einfach verdrängt werden, weil sie unter Strafandrohung als gleichberechtigtes Zahlungsmittel akzeptiert werden muss.
Die bekanntesten Surrogate dieser Art waren die sog. Assignate aus der
Zeit der französischen Revolution. Auch in der Moderne wurden in Krisenzeiten Schuldenbonds in vielen Staaten eingeführt (so in Argentinien). Die
Parallelwährung erspart zunächst eine Währungsreform und soll die eigene Bevölkerung psychologisch aufbauen, indem sie zum Ausdruck bringt,
dass die Krisen lediglich vorläufigen Charakter haben.
Staatsbankrott: Auswirkungen auf die Realwirtschaft
Staatsbankrott, oder wie sich
die Geschichte wiederholt!
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Der bedrohliche Begriff „Staatsbankrott“ verlor seinen ersten Schrecken,
nachdem gezeigt wurde, dass er häufig vorkommt. Beruhigend war darüber
hinaus zu erfahren, dass bankrotte Staaten im Unterschied zu Privatpersonen
und Firmen nicht ökonomisch ruiniert sind (ökonomisch zerschlagen werden
können), weil die Gläubiger das Staatsvermögen aufgrund der staatlichen
Hoheitsrechte nur selten pfänden werden. Daher müssen wohl oder übel auch der internationalen Zusammenarbeit wegen - die Schulden irgendwann
erlassen werden. Jeder Staat bekommt in der Regel eine Chance, ein Unternehmen nicht unbedingt.
Keine Angst vor dem Staatsbankrott?
Staatsbankrott: Auswirkungen auf die Realwirtschaft
Die obige Prozedur wiederholt sich in der beschriebenen Form schon seit
Jahrtausenden, weil im Endeffekt die Gläubiger ihre Gelder inklusive einer
akzeptablen Verzinsung über die höheren Zinsen hereinholen. Das Kreditgeschäft lohnt sich demnach. Das wurde im vorherigen Zahlenbeispiel mit zehn
hochverzinslichen Anleihen aus Schwellenländern und einer 10 %igen Ausfallquote gezeigt.
Staatschulden werden primär
von Finanzinstituten gehalten
Staatspleiten werfen langen
Fragenkatalog auf
Wenn alles so relativ glimpflich abläuft, bleibt zu fragen, ob ein Staatsbankrott
überhaupt gefährlich ist, ob er verharmlost werden darf und es dabei keine
gravierenden realwirtschaftlichen Negativauswirkungen, außer dem Vermögensverlust der Gläubiger, gibt? Vielleicht ist doch die aktuelle Aufregung um
die Hilfe für PIIGS & Co. völlig überzogen, zumal der Großteil der (verbrieften)
Staatschulden von den als „reich“ angesehenen Banken, Versicherungen und
Fonds und gerade nicht den „armen“ Kleinanlegern gehalten wird?
Die Antwort fällt nicht eindeutig aus. Theorien über die realwirtschaftlichen
Auswirkungen von Staatspleiten gibt es en masse. Die Problematik umfasst
viele Teilfragen, die im Einzelnen zu prüfen wären. Hierzu eine kleine Auswahl
solcher ungeklärter Sachverhalte: Kommt die Wirtschaft des Pleite-Landes
zum Erliegen? Wie stark sind die direkten Gläubiger des Staates betroffen?
Wie reagieren die Auslandsinvestoren, wie die Währungen? Werden bestimmte Sektoren oder Bevölkerungsgruppen, wie Banken oder Rentner, besonders
stark belastet? Gibt es Gewinner eines Staatsbankrottes? Erzeugt ein Staatsbankrott Kettenreaktionen (Domino-Effekt)? Wann und wie kommt der Niedergangsprozess zum Stillstand?
In dieser Studie können aus Platzgründen keine Einzelfragen behandelt werden. Exemplarisch wird daher die Kernfrage untersucht, ob und wie ein
Staatsbankrott eine Wirtschaftkrise im betroffenen Land auslöst. Der Leser
wird hier auf eine Vielzahl zu beachtender Sonderfaktoren, Standardauswirkungen und Szenarien aufmerksam gemacht. Eine generelle Antwort kann ihm
auch in diesem Fall nicht gegeben werden. Wie sonst auch im Wirtschaftsleben kommt es beim Staatsbankrott auf die Besonderheiten des Falles an.
Die Auswirkungen eines von der Zahlungsunfähigkeit ausgehende Staatsbankrotts werden irgendwo zwischen folgenden beiden Extremen liegen:
Auswirkung auf Realsphäre
von der Wirtschaftsmacht des
Staates abhängig
> Best-Case-Szenario
In diesem Fall dürfte ein Staatsbankrott keine oder nur geringe realwirtschaftliche Auswirkungen zeigen. Jeder Staat muss wie ein großes Wirtschaftssubjekt gesehen werden. „Groß“ ist dabei relativ. In einigen Entwicklungsländern ist die ökonomische Macht lokaler Konzerne durchaus
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Staatsbankrott: Auswirkungen auf die Realwirtschaft
größer als die des Staates. Anders verhält es sich in Ländern mit ausgeprägtem Staatskapitalismus (China). Dort ist der Staat unangefochten das
mächtigste Wirtschaftssubjekt. Die (relative) Wirtschaftsmacht eines Staates kann sowohl an seinem Vermögen als auch an seiner Ertragskraft
(Haushaltshöhe im Vergleich zum BIP) gemessen werden. Wie bei den Folgen einer großen Konzerninsolvenz kommt es beim Staatskonkurs darauf
an, wie stark dieser mit der übrigen Wirtschaft vernetzt ist.
Vermögensverluste weniger,
Einkommensverluste mehr
konjunkturrelevant
Neben der Stärke eines
Staatsbankrotts ist dessen
Dauer wichtig
Reale Staatsbankrotte können
glimpflich wie in Russland
ausfallen oder …
… in einer jahrelangen
Depression wie in Argentinien
enden
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In der Ökonomie gilt folgender Grundsatz: Vermögensverluste erweisen
sich, anders, als Einkommensverluste, weniger konjunkturrelevant. Daher
werden ein hoher Vermögens- und ein kleiner Einkommensverlust nicht
zur Konjunkturbaisse führen. Denn ein Einkommensrückgang hemmt stark
den Massenkonsum, der Vermögensverlust primär nur die Nachfrage der
Oberschicht nach Luxusgütern – so die Mehrheitsmeinung der Ökonomen.
Wenn ein substanz- und gleichzeitig einkommensschwacher Staat dazu
noch kaum Auslandsschulden hat, wird dessen Zahlungsinsolvenz nicht
sehr starke Auswirkungen auf die Konjunktur des untersuchten Landes
haben.
Wie bei einem Vulkanausbruch wird neben der Stärke des Staatsbankrotes wohl auch dessen Dauer bedeutsam sein. Wie lange diese wiederum
währt, hängt vom Geschick der Wirtschaftspolitik ab, in der drei Sanierungsziele erreicht werden müssen: rigoroses Sparen, angemessene Abwertung der Inlandswährung, ausreichender Zugang zu Auslandskrediten.
So dauerte die Russlandskrise 1997 - 1998, bei der alle drei Faktoren gut
klappten, knapp zwei Jahre. Der BIP-Rückgang wurde schon 1999 aufgeholt. Das Land hat sich binnen von zehn Jahren vom zahlungsunfähigen
Schuldner zum bedeutenden Gläubiger entwickelt. Die rasche Überwindung der Krise beim östlichen Riesen bedeutete nicht, dass danach der
Wohlstand ausgebrochen ist, sondern dass das Land schnell zur Normalität der Vorkrisenzeit zurückgefunden hat.
> Worst–Case–Szenario
Dagegen ist in Ländern mit hohen Auslandsschulden und/oder in denen
der Staat als Wirtschaftssubjekt dominiert die Auswirkung eines Konkursfalles viel gravierender. Es kann zur gefährlichen Kettenreaktionen aufgrund des Ausfalls der Staatsnachfrage kommen. Hohe Steuerausfälle,
steigende Arbeitslosigkeit sowie Defizite in den öffentlichen Rentenkassen
sind die weiteren Folgen. Der Wechselkurs der Inlandswährung bricht
massiv ein, was den Abzug von Auslandskapital zur Folge hat und die Ka-
Keine Angst vor dem Staatsbankrott?
Staatsbankrott: Auswirkungen auf die Börse
pitalflucht der Inländer animiert. Die durch den Währungsverfall verbilligten Exporte halten zwar das Abdriften der Wirtschaft für eine Zeit auf. Sie
sind aber auf Dauer nicht im Stande, den breiten Konjunktureinbruch auszugleichen, weil sie ebenfalls die Importe verteuern. Zudem schützt sich
der Staat meistens durch unrealistische Wechselkurse (Koppelung an eine
Hartwährung, z. B. den US-Dollar, und strenge Devisenkontrollen) und verschlimmert die Lage, weil er die Bildung eines Schwarzmarktes, Korruption und Schattenwirtschaft provoziert. Die Leistungsbilanzdefizite nehmen
infolge dessen extrem schnell zu. Eine Hyperinflation bricht aus und führt
zur Verarmung breiter Bevölkerungsschichten. Die eskalierende Staatskrise führt letztendlich zu sozialen Unruhen. Ohne neue Auslandskredite und
einen teilweisen Schuldenverzicht gibt es so schnell keinen Ausweg. Als
Beispiel für die negative Variante des Staatsbankrotts kann Argentinien in
der Zeit 1998 bis 2001 dienen, die je nach definitorischer Abgrenzung bis
heute andauert.
Fazit: Kein Staatsbankrott ist
realwirtschaftlich „umsonst“!
Die dargestellten Varianten eines Staatsbankrotts haben eine Gemeinsamkeit:
Ohne makroökonomische Blessuren gibt es keine Rettung: Schmerzliche
Einkommensverluste, Rückgang der Staatsleistungen, Inflation, hohe Zinsen,
Arbeitslosigkeit und Verfall der Inlandswährung müssen hingenommen werden! Auch Interdependenzen sind zu beachten. Das alte Sprichwort „Was war
zuerst, die Henne oder das Ei?“, sprich der Staatsbankrott oder die Realkrise,
kann hier nicht geklärt werden.
Staatsbankrott: Auswirkungen auf die Börse
Der Staatsbankrott kommt für
die Börse nie überraschend!
Ähnlich wie in der Realwirtschaft ruft der Staatsbankrott auch bei den Börsianern kein Schreckenspotenzial hervor. Die Börse antizipiert nach gängiger
Meinung schlechte Meldungen schon Monate im Voraus. Das, was die Börse
nicht weiß, macht sie nicht heiß! Beim Staatsbankrott wird es nicht anders
sein, zumal den Kapitalmarktexperten hier zahlreiche Frühindikatoren zur
Verfügung stehen. Es ist insofern nicht schwierig, einen Staatsbankrott - oder
vielmehr die Abwendung des gleichen durch die Staatengemeinschaft - vorauszusagen. Wenn er nicht gerade durch Manipulation der nationalen Statistiken (Griechenland) vertuscht wird, kündigt er sich für jedermann förmlich an.
Gibt es dennoch Aspekte, die von Börsianern beachtet werden sollten? Auf
drei klassische Fälle lohnt es sich hinzuweisen.
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apoFokus
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Staatsbankrott: Auswirkungen auf die Börse
Kurzfristige Börsengewinne …
> Der Zeitpunkt und das Ausmaß der Hilfspakete internationaler Organisationen (IWF, Weltbank, EU) bleiben weiter eine Unbekannte
Die in dieser Hinsicht etwas „unberechenbaren“ Rettungshilfen rufen kurzfristige Trader – primär am Rentenmarkt – auf den Plan, wie der Fall Griechenland dokumentierte. Professionelle Großspekulanten wetten auf den
Ausfall von Staatsanleihen und verdienen dabei Milliarden, wenn diese
Wette eintritt oder die Lage sich verschärft. Umgekehrt erleiden sie auch
Verluste, wenn die Fonds Anleihen verkaufen, um ihre Anleger vor weiteren Kursverlusten zu schützen. Für den Privatanleger sind die spekulativen
Finanzprodukte, mit denen hier gewettet werden kann (z. B. die Kreditausfallversicherungen (CDS)), ungeeignet.
am Rentenmarkt und ...
> Der Zinsaufschlag für Staatsanleihen fällt (steigt) in kurzer Zeit drastisch,
was enorme Kursgewinne (Kursverluste) impliziert
Die sog. Spreads, die den Mehrzins für das Ausfallrisiko gefährdeter
Staatsschulden am internationalen Anleihemarkt oder – anders ausgedrückt - den Preis einer Kreditausfallversicherung darstellen, erreichen in
Krisenzeiten astronomische Höhen. Sie überschreiten oftmals 1.000 Basispunkte (10 %) und mehr. Die Anleihenkurse fallen massiv. So war es im
Falle Griechenlands Anfang April 2010, oder im Falle Argentiniens Ende
2001. Wenn sich die Hilfen später konkretisieren, gehen die Spreads wieder stark zurück und die Anleihenkurse steigen. Institutionelle Anleger, die
starke Nerven haben, können diese Kurzfristtrends nutzen und auf Kursänderungen der Anleihen mit spekulieren.
… im Währungsbereich bei
„geretteten“ Staaten möglich
> Nach der gewährten Hilfe festigt sich in der Regel die Währung des vormaligen Bankrott-Kandidaten
Die Kapitalanlagen eines durch die internationalen Währungsinstitute „geretteten“ Staates werden verstärkt nachgefragt, was den Kurs seiner Währung stimuliert. Davon profitieren sowohl die Direktanleger in diesen Währungen als auch die Halter von Wertpapieren (Aktien, Staats- und Unternehmensanleihen) in dieser Währung. Als überzeugendes Beispiel können
hier die Osteuropa-Fonds der EU-Beitrittskandidaten dienen, die 2009
starke Kursgewinne verzeichnet haben. Dennoch ist Vorsicht geboten! Es
wäre leichtsinnig, allein auf den immerhin unsicheren Währungseffekt zu
setzen, ohne die fundamentalen Daten zu studieren. Der Aktienkursrückgang eines Unternehmens wegen schlechter Geschäftszahlen wird oft den
positiven Währungseffekt überkompensieren.
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Keine Angst vor dem Staatsbankrott?
Staatsbankrott: Auswirkungen auf die Börse
Nicht immer ist ein Happy End
selbstverständlich!
Anlegertipp: Staatsanleihen in
der Verschuldungskrise
meiden …
Zwar bedeutet der beschriebene Schuldenerlass oder ein anderes Rettungspaket für das betroffene Land grundsätzlich einen ökonomischen Neuanfang,
aber eine Konjunkturhausse ist damit noch keineswegs automatisch eingeläutet. Nicht in allen Fällen gab es bei einem Staatsbankrott ein glimpfliches
Happy End. Diese Aussage lässt sich an der Entwicklung der repräsentativen
Aktienindizes der Pleite-Staaten belegen. Wenn die Hilfspakete des IWF & Co.
nicht zünden, bleibt die Börse schwach. Denn wirtschaftliche Rezessionen
sind auch Baissezeiten an der Börse.
Abschließend ist zu fragen, wie der Privatanleger mit dem Phänomen Staatsbankrott umzugehen hat. Zwei Punkte sind hier hervorzuheben:
> Staatsanleihen sind als Finanzprodukt zu meiden
Das Adressenausfallrisiko eines Staates, das im Fordergrund bei Bankrott
gefährdeten Staaten steht, wird damit umgangen. Als Orientierung in der
Bonitätseinstufung könnten die Ratings herangezogen werden. Es ist zwar
richtig, dass die Urteile der Ratingagenturen zuletzt wegen „ihrer Milde“
bezweifelt wurden. Heute ist aber eher das Gegenteil der Fall: die Agenturen haben daraus gelernt und beurteilen eher „zu streng“. Wenn also der
Anleger statt der riskanten Staatsanleihen heute Unternehmensanleihen
mit guten Ratings ins Depot nimmt, ist er auf der sicheren Seite.
… und inflationsgeschützte
Anlagen vorziehen
> Aufgrund der von Staatspleiten ausgehenden Inflationsgefahren sind
inflationsgeschützte Anlagen überlegenswert
Hier steht die Frage im Vordergrund, wie sich der Anleger vor der Inflation
schützen kann, die durch den Staatsbankrott oder durch die Angst um
denselben hervorgerufen wird. Es gibt zahlreiche Assetklassen, die einen
solchen Schutz gewährleisten (vg. apoFokus 5/2010). Zu nennen sind hier
in erster Linie die inflationsindexierten Anleihen („Linker“), Immobilien und
Rohstoffe, darunter insbesondere Gold. Bei Aktien ist dagegen Vorsicht
geboten. Hier kommen vor allem die Titel in Frage, die aufgrund ihrer monopolistischen Stellung Preissteigerungen leicht an die Verbraucher überwälzen können oder die Dinge des täglichen Bedarfs produzieren.
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apoFokus
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Zusammenfassung
Zusammenfassung
> Für Analysezwecke erscheint es sinnvoll, den Staatsbankrott mit dem
Bankrott einer Privatperson oder eines Unternehmens zu vergleichen. Als
Synonyme für den Bankrott werden häufig Begriffe wie Zahlungsunfähigkeit, Insolvenz, Konkurs – oder umgangssprachlich – Pleite verwendet. Sie
haben alle die gleiche ökonomische Bedeutung.
> Ferner ist zwischen einem formal-juristischen und dem ökonomischen
Bankrottbegriff zu unterscheiden. Während der erste einen Rechtszustand
darstellt und auf Antrag in der gerichtlichen Insolvenz mündet, bedeutet
der zweite ein wie auch immer definiertes ökonomische „Aus“. Beide Varianten sind nicht zwangsläufig voneinander abhängig. So kann ein Bankrotteur im juristischen Sinne unbehelligt wirtschaftlich fortbestehen und umgekehrt, ein ökonomischer Pleitier weigert sich, einen Insolvenzantrag bei
Gericht anzumelden.
> Juristisch gesehen sind bei Privatpersonen und bei Unternehmen die
Überschuldung und die Zahlungsunfähigkeit Insolvenzgründe. Eine juristische Definition des Staatsbankrotts gibt es dagegen nicht. Die Überschuldung eines Staates wäre zudem „bilanztechnisch“ nicht messbar, weil dieser keine eigene aufstellt.
> Ökonomische Staatsinsolvenzen aufgrund von Zahlungsunfähigkeit
und/oder -unwilligkeit sind demgegenüber sehr zahlreich und so alt wie
die Staaten selbst. Auch in der neusten Zeit kommen sie häufig vor (Argentinien, Indonesien, Island, Russland, Südkorea, Thailand, Türkei, Ukraine, Ungarn).
> Die ökonomische Insolvenz eines Staates kann neben der Zahlungsunfähigkeit viele Formen annehmen. Häufig sind es die Hyperinflation, die
Währungsreform und – was besonders für die Entwicklungsländer und einige diktatorisch geführte Staaten typisch ist – verschiedene geld- und
fiskalpolitischen Zwangsmaßnahmen (Zwangssparen, Devisenkontrollen,
Verstaatlichungen), derer sich die bedrängten Regierungen bedienen.
> In einer Hyperinflation gelingt es dem Staat problemlos, seine Altschulden
zu tilgen bzw. zu bedienen, da die Steuereinnahmen inflationsbedingt exorbitant stark ansteigen. Kann der Staat, der sich freut, auf diese Weise
seine Schulden einfach loszuwerden, andererseits die Geldschöpfung
– z. B. als Folge einer ungebremsten Lohn-Preis-Spirale – nicht zum Stoppen bringen, bleibt ihm als ultima ratio nur die Währungsreform übrig. Die
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Keine Angst vor dem Staatsbankrott?
Zusammenfassung
alten Geldbestände werden dann abrupt durch einen neuen Umtauschkurs
(z. B. 100:1) entwertet. Die Schuldner – so auch der Staat - sind die Gewinner, die Gläubiger die Verlierer der Währungsreform.
> Eine Hyperinflation mit anschließender Währungsreform als Folge ist in
der aktuellen Finanzkrise sehr unwahrscheinlich, weil die zur Banken- und
Staatenrettung eingesetzte Liquidität im Kreislauf des Bankensektors verbleibt. Diese Liquidität dringt nicht nach außen und ist damit nicht inflationswirksam. Es ist vielmehr umgekehrt: Selbst „bescheidene“ Inflationsraten von 1 % bis 2 % p. a. werden derzeit nur in wenigen Industrieländern
erwartet. Vereinzelnd geht sogar die Angst einer Deflation mit fallenden
Preisen à la Japan um.
> Bei einem Staatsbankrott wegen Zahlungsunfähigkeit wird eine Übertragung der negativen Folgen in die Realwirtschaft befürchtet. Das ist nur
zum Teil richtig. Denn es wird dabei übersehen, dass lediglich extrem hohe Forderungsausfälle, wie bei einem bankrotten Großunternehmen, die
Ansteckung gefährlich macht. Ein Staat, der als Wirtschaftssubjekt im Inund Ausland aber nicht bedeutsam ist, kann durch seine Insolvenz nicht
viel „Unheil“ anrichten.
> Bisher gab es nach jedem Bankrott immer einen wirtschaftlichen Neuanfang für die geretteten Staaten. Kein Staat ist aufgrund einer ökonomischen Insolvenz untergegangen, sehr wohl aber durch verlorene Kriege,
feindliche Annexionen oder politische Willenserklärungen seiner Bürger
(vgl. Sowjetunion).
> Heute scheint sich im Unternehmens- und noch mehr im Bankenbereich
die unbeschriebene Regel des Rettungszwanges wegen „Too big, to fail!“
durchgesetzt zu haben. Deswegen werden Staaten und Banken aus Angst
vor Kettenreaktionen und Präzedenzfällen mit Hilfspaketen gerettet.
> Tatsächlich halfen die internationalen Finanzinstitutionen (IWF, Weltbank)
allen gefährdeten Staaten bislang mit ausreichenden Stabilisierungskrediten. Diese supranationalen Institute refinanzieren sich ihrerseits auf dem
globalen Kapitalmarkt, auf dem es gewöhnlich genügend Anlage suchendes Kapital gibt. Heute sind es z. B. die OPEC-Länder und deren Staatsfonds.
> In Extremfällen kann der Bankrott eines Staates sogar heilsam wirken und
den Weg für einen ökonomischen Erfolg ebnen, was der Fall Russlands
(bankrott in 1998, heute einer der größten Gläubiger weltweit) eindrucks29
apoFokus
apoResearch Anlageinformation
Zusammenfassung
voll belegt. Auch die Asien-Krise Ende der 90er Jahre verhalf den Staaten
der Region (Südkorea, Indonesien, Thailand) zu einem fulminanten Wirtschaftserfolg.
> Für die Kapitalmärkte stellen Staatsbankrotte in der Regel keine crashartigen Überraschungen dar. So werden Staatskrisen von den Börsen schon
lange im Voraus an vielen Frühindikatoren, so zum Beispiel am drastischen Währungsverfall, erkannt und in den Kursen antizipiert.
> Generell sollte der Anleger in Zeiten der globalen Verschuldung, in denen
verstärkt Staatspleiten drohen, Staatsanleihen meiden und Substanzwerte
(Value-Aktien, inflationsindexierte Anleihen, Immobilien, Rohstoffe, Gold)
vorziehen.
> Im Unterschied zu Bankrotten von Einzelstaaten oder Einzelregionen
fehlen Erfahrungen für den Fall eines „Weltbankrotts“, der sich bis dato
noch nicht ereignete. Was passiert mit der EU, wenn alle PIIGS-Staaten
zahlungsunfähig werden? Andererseits kann es rein logisch keinen „globalen Bankrott“ geben, weil jedem Schuldner auf der Welt ein Gläubiger gegenüberstehen muss.
> Der Staatsbankrott avancierte in den letzten Monaten zu einem viel diskutierten Thema. Die Ausarbeitung von notwendigen Verhaltensregeln auf
der EU-Ebene steht auf der Agenda des nächsten Regierungsgipfels. Besonders Deutschland macht sich für verbindliche Regeln stark. Vorläufer
gibt es schon. Bereits 1956 haben Gläubiger im sog. Pariser Club Verhaltensregeln ausgearbeitet, wie mit säumigen Kreditnehmern aus Schwellenländern zu verfahren ist.
> Andererseits wird das Thema peinlich gemieden. Ein Staatsbankrott wurde
z. B. in dem umstrittenen Stresstests der Großbanken, welcher das Verlustausmaß einer ungünstigen Börsenentwicklung beziffern soll, nicht simuliert.
Studie abgeschlossen 11. August 2010
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Verfasser: Dr. Viktor Heese
Keine Angst vor dem Staatsbankrott?
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