German Biotech Report 2013

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German Biotech Report 2013
Assurance | Tax | Transactions | Advisory
Die globale Ernst & Young-Organisation im Überblick
Die globale Ernst & Young-Organisation ist einer der Marktführer in der Wirtschaftsprüfung,
Steuerberatung und Transaktionsberatung sowie in den Advisory Services. Ihr Ziel ist es, das
Potenzial ihrer Mitarbeiter und Mandanten zu erkennen und zu entfalten. Die 167.000 Mitarbeiter
sind durch gemeinsame Werte und einen hohen Qualitätsanspruch verbunden.
Die globale Ernst & Young-Organisation besteht aus den Mitgliedsunternehmen von Ernst & Young
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und haftet nicht für das Handeln und Unterlassen der jeweils anderen Mitgliedsunternehmen.
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„Ernst & Young“ und „wir“ beziehen sich in dieser Publikation auf alle deutschen Mitgliedsunternehmen von Ernst & Young Global Limited.
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Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Ernst & Young
Umdenken ...
... weiter denken, breiter denken
Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Impressum
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qualitativen und quantitativen Einschätzungen wurden mit
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Ernst & Young GmbH
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Theodor-Heuss-Anlage 2, 68165 Mannheim
April 2013
Layout und Produktion: magenta – Kommunikation,
Design und Neue Medien GmbH & Co. KG, Mannheim
Inhalt
Vorwort/Preface2
Perspektive4
Rollenverständnis „Biotechnologie“ erweitern
5
Umdenken – Alleinstellungsmerkmale im Therapiesektor
7
Weiter denken – Neuer Wachstumsmarkt Diagnostik und PI Technologies
15
Breiter denken – Biologisierung der Industrien und Bioökonomie
22
Durchdenken – Firmen auf solider Basis gründen
29
Zusammen denken – Präkompetitive Kollaborationen werden relevanter
35
Kennzahlen der deutschen Biotech-Industrie
38
Zahlen und Fakten im Überblick
39
Kennzahlen privater und börsennotierter Unternehmen
40
Transaktionen44
Zahlen und Fakten im Überblick
45
Umdenken für attraktivere Transaktionen
47
Allianzen deutscher Biotech-Unternehmen
48
Allianzen europäischer Biotech-Unternehmen
55
Verhandlungsposition der Tech@Companies in Allianzen
58
Neue Allianzpartner auf dem Käufermarkt
59
M&A-Transaktionen deutscher Biotech-Unternehmen
60
M&A-Transaktionen europäischer Biotech-Unternehmen
63
Firepower von Big Pharma nimmt ab
64
Finanzierung66
Zahlen und Fakten im Überblick
67
Finanzierung privater Biotech-Unternehmen
69
Finanzierung börsennotierter Biotech-Unternehmen
90
Marktkapitalisierung96
Produkte 98
Zahlen und Fakten im Überblick
99
Wirkstoffpipeline in Deutschland
100
Biomarker als lukrative Marktprodukte
106
Neugründungen mit innovativen Ideen
108
Wirkstoffpipeline in Europa
112
Orphan-Drug-Zulassungen bei EMA und FDA
113
Biotech-Standort Deutschland
114
Umdenken, weiter denken … auch eine Forderung an die Politik
115
Regionale Netzwerke und ihre internationale Anbindung
118
Danksagung125
Anhang126
Methodik und Definitionen
126
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen
128
Verzeichnis der Expertenbeiträge
130
Glossar132
Vorwort
Preface
Die aktuellen Wirtschaftsprognosen in
Deutschland sind positiv und sorgen für
bessere Stimmung und Zuversicht. Die
Grundlage hierfür schafft der Wirtschaftsstandort Deutschland mit starker Technologiebasis und darauf aufbauender Produktion von Gütern, die am Weltmarkt hoch
geschätzt sind. Dennoch gibt es auch Sorgen der Menschen, z. B. aufgrund steigender
Energiepreise, zunehmender Umweltbelastungen und deren Auswirkungen auf die
Gesundheit. In dieser Situation mahnt mancher zum „Umdenken“:
Current economic forecasts in Germany are
positive and provide more confidence again.
This is mainly driven by a strong technology
base ensuring the manufacturing of high
value products with an excellent reputation
in global markets. Nevertheless, there are
concerns as well, e. g. about the increasing
cost of energy or the growing ecological
damage with its consequences for public
health. This situation generates a need to
“Rethink”:
• Gelingt der Umstieg auf alternative Energiequellen?
• Wie kann die Umwelt besser und nachhaltig
geschützt werden, um sie für nachfolgende
Generationen zu erhalten?
• Wie kann das Gesundheitssystem die technischen Möglichkeiten nutzen und trotzdem bezahlbar bleiben?
Dr. Siegfried Bialojan
„Umdenken“ – so auch der Titel des diesjährigen BiotechnologieReports. In den letzten Jahren wurde als Konsequenz aus der
Finanzierungskrise über „Neue Spielregeln“ für die Unternehmen
der Biotech-Branche nachgedacht und darüber, wie man „Weichen
stellen“ kann, um neue Geschäftsmodelle zu etablieren. Diese Reihe
gipfelte im letztjährigen Titel „Maßgeschneidert“, der illustrierte,
dass es keine Standardmodelle mehr gibt und jedes individuelle
Unternehmen mit seinen spezifischen Stärken seinen eigenen Weg
beschreiten muss.
Warum also schon wieder „Umdenken“?
Der vorliegende 14. Ernst & Young Biotechnologie-Report versucht,
den in den letzten drei Jahren immer enger auf das individuelle
Unternehmen fokussierten Blick – auf seine USPs, seinen individuellen Businessplan, seine optimierte Finanzierungsstrategie –
wieder zu weiten, um über neue Opportunitäten in einem sich
ändernden, breiteren Umfeld vieler Industrien nachzudenken.
In den vergangenen zehn Jahren wurde der Biotechnologie sukzessive ihre eigentliche Daseinsberechtigung und Stärke – die Entwicklung und Etablierung von „Bio-Technologien“ – entzogen; sie wurde
zu sehr auf den Bereich der Therapeutikaentwicklung reduziert,
ausgerechnet einen Sektor mit extrem hohen Risiken, Kosten, langen
Zeitspannen und Konkurrenz bis zum Erfolg am Markt. Die Folgen
waren unausweichlich: Misserfolge, gescheiterte Finanzierungssysteme, schlechte Reputation und wenig Zutrauen in die Leistungsfähigkeit der Biotech-Branche insgesamt.
„Umdenken“ bedeutet, sich wieder der eigentlichen Stärken zu
besinnen. Darauf aufbauend müssen die Felder identifiziert werden,
in denen die „Bio-Technologien“ auf hohen Bedarf treffen und in
attraktiven Geschäftsmodellen ihren Anteil an der Wertschöpfung
bekommen können.
2
• How can the transition to renewable energy
sources be managed?
• How can the environment be better protected for future generations?
• How can technological innovations be
leveraged best in order to sustain health
care systems at affordable costs?
“Rethinking” is also the title of this year’s Ernst & Young German biotech report. In previous years we have
thought about “New Rules” for biotech companies in order to overcome the global financial crisis and about being “On the right
tracks” to establish new business models. Along these lines, last
year’s title “Tailor-made” indicated that standardized models are no
longer relevant but every single enterprise has to find its own way
based on its individual strengths.
Why then “Rethinking” again?
This 14th edition of the German Ernst & Young Biotech report attempts
to widen again the perspective which had been narrowed down in
previous years to more and more reflect individualized aspects –
such as USPs, individual business plans or optimized financial strategies. It is about new opportunities in a changing environment with
specific emphasis on applications in multiple industries.
During the last decade, biotechnology had been more and more
deprived of its raison d’être and actual strength – generating and
establishing new “bio-technologies” – and was essentially reduced to
drug development; an extremely risky sector associated with high
costs, long development cycles and fierce competition on the way to
market. The consequences were inevitable: failures, failed financing
strategies, bad reputation and vanishing trust in the capabilities of
the whole biotech sector.
“Rethinking” therefore refers to reconsidering actual strengths
as well as to analyzing and identifying fields with high demand for
“bio-technologies”. Fields in which, at the same time, biotech can
secure a valuable share of associated value chains and benefit from
attractive business models.
Rethinking within the therapeutic sector may mean to leverage new
technology platforms for the generation of novel compound classes
or to cover parts of pharmaceutical value chains. Rethinking may also
mean “thinking beyond” and looking into new technology fields in
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Umdenken innerhalb des Therapiesektors kann bedeuten, Technologieplattformen für innovative Produkte oder zur Abdeckung von Teilen
der Wertschöpfungskette zu definieren. Umdenken beinhaltet auch
„weiter denken“ in neue, interessante Technologiefelder, die sich
im Diagnostikbereich zum Thema Personalisierte Medizin auftun.
Und Umdenken heißt auch „breiter denken“, wenn es darum geht,
die Initiativen der Bioökonomie mit Leben zu erfüllen und „Bio-Technologien“ in Industrien einzubringen, die bisher außerhalb der
Reichweite lagen.
Unser globaler Biotechnologie-Report Beyond borders 2013, der in
enger Zusammenarbeit mit dem Life Science Center in Mannheim
erstellt wird, vertieft in diesem Jahr ebenfalls ein Thema, bei dem es
um die Wertstellung der Biotech-Leistung geht. Für den reiferen und
marktnäheren Biotech-Sektor in den USA geht es mehr darum, den
Wert der Entwicklungen genau zu belegen, um in Partnerschaften
oder bei Zulassungs- und Erstattungsbehörden zu bestehen. „How
to demonstrate value“ ist deswegen dort das Kernthema. Dies schließt
vor allem die immer stärker in den Vordergrund drängende Frage
nach dem tatsächlichen Patientennutzen und dem „Health Outcome“
ein. Die Unternehmen werden daraufhin analysiert, inwieweit sie
sich in einem „Implementation Gap“ befinden oder hier bereits auf
Höhe der Anforderungen sind.
Innovationen in der Medizintechnik fanden ihren Ursprung von jeher
schon viel näher am Patienten. Sie orientieren sich zukünftig noch
stärker am „Patient Outcome“, mit Point–of-Care-Anwendungen,
personalisierten Diagnostik-Tests und vielen neuen Health-IT-Systemen.
Unter dem Begriff „PI Technologies“, einer Abkürzung für „Patient
empowering and Information leveraging“ werden diese Trends in
unserer globalen Medizintechnikstudie Pulse of the industry herausgearbeitet.
Das Zusammenwirken aller Disziplinen der Life-Science-Industrie
zu verstehen wird zu einer unabdingbaren Kernkompetenz für die
Unterstützung beim Aufbau des patientenorientierten Gesundheitssystems der Zukunft. Die gedankliche Auseinandersetzung mit diesen Zusammenhängen, unzählige Gespräche mit allen Beteiligten
sowie ein fundiertes Wissen der Fakten schaffen eine solide Basis
für eine Beratungsexpertise, die wir unseren Kunden im gesamten
Life-Science-Bereich zur Verfügung stellen.
Mit diesem Vorausblick hoffe ich, dass Ihnen die vorliegende Studie
hilfreiche Anregungen liefert und würde mich freuen, darüber
hinaus den Dialog mit Ihnen fortsetzen zu dürfen.
„Beyond borders“
Biotechno­logy
industry report 2013
„Pulse of the industry“
Medical technology
report 2012
the diagnostics sector around the topic of personalized medicine.
Finally, rethinking also refers to “thinking more broadly” in terms
of taking the new bioeconomy paradigm into account, in which
“bio-technologies” will be leveraged much more widely in a variety
of other industries that so far have been out of reach for biotech.
Our global biotechnology report Beyond borders 2013 – which is put
together in close cooperation with the Ernst & Young Life Science
Center Mannheim – also deals with the issue of extracting value
from biotech capabilities. For the more mature and market-oriented
US biotech sector it is primarily relevant to demonstrate the value of
biotech developments to partners, regulators or reimbursement
decision makers. “How to demonstrate value” is therefore the key
theme of the report. This also includes the question of how far companies have come to address the dominating issues around demonstrating “patient benefit” and “health outcome” and whether there
still is an ”implementation gap”.
Innovations in the medical device sector have traditionally originated
closer to the patient and in cooperation with physicians. Now these
innovations are starting to focus even more on the “patient outcome”,
with point-of-care applications, personalized diagnostics and many
new IT solutions. The term “PI technologies” (Patient empowering
and Information leveraging) has been coined to describe this movement. In our global medtech study Pulse of the industry these
trends are addressed in detail.
Understanding the interaction of all disciplines in the life science
industry will become a major key competency to support the building
of a patient-oriented health system. Thinking and developing thought
leadership along these lines, numerous discussions with all stakeholders, as well as sound knowledge of the facts all together establish a solid basis for the consulting expertise we offer to our clients.
I hope the study on hand will provide you with helpful food for thoughts
and will be able to stimulate fruitful discussions. I would also be
delighted to continue our dialogue on the topics raised in this report.
Dr. Siegfried Bialojan
GSA Biotech Leader, Leiter Life Science Center
Ernst & Young Mannheim, Germany
[email protected]
For more detailed information, we have
posted an English Executive Summary with
all major charts and analyses on our web site
www.de.ey.com/biotechreport-summary
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
3
Perspektive
4
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Rollenverständnis „Biotechnologie“ erweitern
Blickfeld erweitern
In der mittlerweile über zehnjährigen Tradition der deutschen Biotechnologie-Reports
von Ernst & Young haben wir die Entwicklungsgeschichte einer jungen, aufstrebenden
Branche erfasst, analysiert und begleitet.
Ein wichtiger Aspekt dabei war und ist die
Identifizierung von richtungsweisenden
Trends und deren Untermauerung durch verlässliche Statistiken.
Dabei hatte sich nach den Anfängen der
Biotechnologie in ihrer eigentlichen Rolle
als Entwickler und Bereitsteller von „Querschnittstechnologien“ mehr und mehr eine
Fokussierung auf die Medikamentenentwicklung als Hauptbetätigungsfeld der Branche
herauskristallisiert. Allerdings bekam die
Biotech-Branche die in diesem Bereich
typischen Nachteile in vollem Ausmaß zu
spüren – hohes Ausfallrisiko, immenser
Finanzierungsbedarf und lange Entwicklungszeiten bis zum Markterfolg. Deshalb
zeichnen gegenwärtig sowohl die Finanzierungssorgen als auch ausbleibende Erfolge
bzw. konkrete Ausfälle eher ein negatives
Bild in der Außendarstellung der Branche.
Hier besteht dringender Handlungsbedarf,
um den Zweifeln an der ohne Frage immensen Bedeutung der Biotechnologie für zukünftige Innovationen zum Nutzen der Menschheit
nicht dauerhaft die Oberhand zu überlassen.
Die Ernst & Young Reports der letzten drei
Jahre hatten bereits einen „Umdenkprozess“
angemahnt und gedanklich initiiert. Dabei
haben wir vor allem Ansätze beschrieben,
aus dem Dilemma der Unterfinanzierung
herauszufinden. Ob „Neue Spielregeln“,
„Weichen stellen“ oder „Maßgeschneidert“ –
so die jeweiligen Titel der Reports: Es handelte sich dabei meist um Versuche, Alternativen aufzuzeigen, wie im oder um den
bestehenden Kernbereich der Medikamentenentwicklung Biotech-Unternehmen weiter bestehen könnten. Die resultierenden
Maßgaben umfassten im Wesentlichen immer
wieder alternative Finanzierungsquellen,
den effizienteren Umgang mit knappem
Kapital sowie modifizierte Geschäftsmodelle.
Alle Ansätze waren somit primär finanzierungsgetrieben und Ausdruck einer puren
Überlebensstrategie. Ebenfalls adressierten
wir bereits in den letzten Reports, dass diese
Strategie der reinen Überlebenssicherung
für die Biotechnologie aus volkswirtschaftlicher Sicht eine Katastrophe ist. Wenn angesichts der enormen Wachstumspotenziale
nicht entsprechende Wachstumsstrategien
in den Vordergrund rücken, drohen die vorbildlichen, immensen Forschungsförderungsprogramme aus Steuermitteln zu verpuffen
oder zumindest nicht in entsprechendem
Maße an den deutschen Fiskus zurückzufließen.
Umdenken …
… breiter denken
Darüber hinaus ist es schließlich auch an der
Zeit und ebenso wichtig, die ganze Breite
der Anwendungsfelder von Biotechnologie
jenseits der Medizin stärker in die Betrachtung einzubeziehen: „breiter denken“.
Dieser Ansatz bezieht seine Berechtigung
aus den in letzter Zeit viel diskutierten Aktivitäten zur „Biologisierung der Industrien“
und den damit verbundenen Initiativen
zur „Bioökonomie“. Darüber hinaus ist der
aktuelle Bezug noch viel authentischer
dadurch belegt, dass individuelle Unternehmen konkrete Beispiele für das Potenzial
in einer Vielzahl von neuen Bereichen und
Industriesegmenten deutlich unter Beweis
stellen.
Der Titel „Umdenken“ fordert nun noch eindringlicher dazu auf, das gesamte Thema
„Biotechnologie“ und vor allem die Rolle
einer Biotechnologiebranche mit anderen
Augen zu betrachten. Es geht nach wie vor
darum, im bestehenden Kernbereich um die
Medizin attraktivere Szenarien für nachhaltiges Wachstum zu entwickeln. Dazu gehört
ein Rückbesinnen auf die eigentlichen Stärken und die Überlegung, wie diese im aktuellen Life-Science-Umfeld am besten in erfolgreiche Unternehmungen eingebracht werden
können. Die Pharma-Industrie liefert vor allem
durch das Eingeständnis der nicht mehr ausreichenden Innovationskraft, die Tendenz
zur Öffnung der F&E-Organisationen für
externe Zusammenarbeiten sowie das klare
Bekenntnis zu mehr Outsourcing die beste
Steilvorlage für die innovativen Unternehmen
der Biotech-Branche.
… weiter denken,
Dazu gehört auch ein „weiter denken“ –
das Erkennen von neuen Einsatzfeldern,
die sich aus den Entwicklungen hin zu mehr
Patientenorientierung ergeben. Das vielbenutzte Schlagwort „Personalisierte Medizin“ hat vor allem das Gebiet der Molekulardiagnostik neu belebt und beinhaltet enormes Wertschöpfungspotenzial. Hierfür
zeichnen die Forschung und Entwicklungen
in den Biotech-Unternehmen maßgeblich
verantwortlich. Der Markt übt hier eine
deutliche „Pull“-Bewegung aus, von dem
die Biotech-Branche profitieren kann.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
5
Biotech classica – Quo vadis?
Alternativen nachzudenken, wenn die Kapitalbindung zehn Jahre überschreitet. Für
die Finanzierung von Produktentwicklungen
aus Cashflow schließlich gibt es bereits eine
Geschäftsbezeichnung: Pharma. Gründung,
Aufbau, Portfoliogenerierung und Produktentwicklungen einer klassischen BiotechFirma laufen aus einem zehnjährigen Investitionshorizont schnell heraus – wer möchte
hier schon Gründungsfinancier sein?
Dr. Timm-H. Jessen,
CEO Bionamics GmbH, Hamburg
Biotech-Spezies auf der Roten Liste?
DeveloGen, Medigene, Paion – so oder
anders hießen die Platzhirsche der 90er und
frühen 2000er Jahre. Produktfokussierte
Biotech-Firmen mit einem interessanten
Portfolio präklinischer und klinischer Wirkstoffprojekte, inhaltlich gebündelt in einer
Indikationsklammer und finanziert durch
Venture Capital. Betrachten wir heute die
Geschäftsstrategien der Biotech-Firmen,
so scheint diese Spezies ernsthaft bedroht
zu sein: Biotech classica – quo vadis?
Es war kein Komet
Es wäre zu einfach zu behaupten, der ausgebliebene große Produkterfolg sei es gewesen, der diese Spezies auf die Liste der bedrohten Arten gebracht hätte; und Erfolge
hat es in Teilen ja auch gegeben. Was sich
jedoch bis heute als schwierig erwiesen
hat, ist die Verknüpfung der erforderlichen
Produkt- und Firmenentwicklungszeiten
einerseits mit den Finanzierungshorizonten
der Investoren andererseits. Ein typischer
VC-Fonds hat bereits eine Laufzeit von
durchschnittlich zehn Jahren, der Druck hin
zu kürzeren Laufzeiten steigt jedoch. Und
selbst ein Business Angel beginnt über
6
Neue Spezies entwickeln sich
Das Kapital hat sich mittlerweile nach Alternativen umgesehen, will es denn im LifeScience-Bereich bleiben. Dadurch haben
sich andere Spezies in der Biotech-Welt nach
vorne entwickelt: Dienstleister, Diagnostikfirmen, Plattformentwickler und projektfokussierte Konstrukte dominieren das
Terrain. Alle Spezies bemühen sich um ein
Alignment der Produkt- und Geschäftsentwicklungszeiten mit dem Investitionshorizont
der Geldgeber. Knüpfen wir an die oben
genannten neuen Spezies an, so gelingt dies
beispielsweise durch das Erreichen der Profitabilität, durch die Wahl des zu entwickelnden Produkts, durch eine Entkopplung von
Technologie- und Produktentwicklung oder
durch eine zeitlich beschränkte Veredlung
eines Assets in einem Business Sweet Spot
für Medikamentenkandidaten.
Projektfokussierung als neue Maxime
Investoren halten mit ihrem Anspruch nicht
hinter dem Berg: So loben beispielsweise
TVM, Index Ventures oder Symphony Capital,
aber auch eine Reihe von Business Angels
sogenannte PFCs als Investitionsoptionen
aus, „project-focused companies“. Auch auf
der operativen Seite herrscht Kreativität:
Produkt-fokussierte Netzwerke oder Cluster
wie CI3, NEU² oder BioNTech verknüpfen
und nutzen existierende Strukturen und
Exzellenzen auf lokaler und globaler Ebene.
Das spart Infrastruktur- und Aufbauinvestitionen, erfordert ProjektmanagementQualitäten, resultiert insgesamt jedoch in
einer höheren, projektfokussierten Kapitaleffizienz für den Investor. Insbesondere der
Clusteransatz erfordert ein Umdenken aller
Beteiligten: Diskussionen auf Augenhöhe
ergeben sich aus Kompetenzgründen;
Herkunft und Größe der beteiligten Organisationen rücken dagegen mehr in den Hintergrund. IP-sharing-Modelle müssen neu
erdacht werden und die Incentivierung aller
Beteiligten muss durch den jeweils geeig-
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
neten Mix aus Publikationsfreiheit, Umsatz
und Rechten gelingen. Projektmanager
müssen Unternehmerqualitäten zeigen und
umgekehrt. Diese Konstrukte sind auf gutem
Wege, ihr Produktivitätsnachweis steht
jedoch noch aus.
Neue Beziehungen Kapital-Biotech
Treibt also das Kapital die Struktur der Biotech-Landschaft vor sich her? Das würde die
Rollen zu ungleich verteilen. Beide Lager
haben eine schmerzhafte Lernkurve hinter
sich und versuchen sich nun an Alternativen,
die für beide Parteien gewinnbringend sind.
Längere Produktentwicklungszyklen als im
Bereich der Arzneimittelentwicklung sind in
der gesamten Industrie kaum zu finden, und
wenn – wie beispielsweise in der Luftfahrt –
genießen diese Industrien in der Regel staatliche Unterstützung durch Garantien den
finanzierenden Banken gegenüber. Das zunehmende Engagement der öffentlichen
Hand in der Biotech-Industrie ist möglicherweise in diesem Kontext zu verstehen, und
dessen sinnvoller Ausbau sollte gemeinsam
erörtert werden. Eine nachhaltige Entkopplung von Finanzierungshorizont und Entwicklungszyklen gelingt im vorliegenden
Fall zudem nur durch neue Finanzmodelle
(Evergreen-Fonds, Crossfund Investments
etc.) oder durch die Industrie selbst. Das
riefe Pharma wiederum auf den Plan, die
sich Anfang 2000 bereits selbst einmal an
Biotechnologiefirmen-ähnlichen Konstrukten
versucht hatte, den indikationsfokussierten
CEDDs (Center of Excellence in Drug Discovery & Development). Diese litten jedoch
oft unter deren gesellschaftsrechtlicher
Hegemonie, unter der strategischen Abhängigkeit und den wissenschaftlichen Altlasten.
Vielleicht sind es Mischformen aus den neuen
Biotech-Spezies und den ehemaligen CEDDS
einerseits sowie den Corporate & Longterm
Investors andererseits, die Biotech classica
wieder zu einem Revival verhelfen können.
www.bionamics.de
Umdenken – Alleinstellungsmerkmale im Therapiesektor
Gute Positionierung in medizinnahen
Anwendungen
Biotechnologieunternehmen müssen vor
allem in medizinnahen Anwendungen klarer
definierte Alleinstellungsmerkmale etablieren, die ihnen attraktive Positionen neben
den dominierenden Pharma-Firmen ermöglichen. Das vielfach praktizierte Kopieren des
Pharma-Modells für die Entwicklung und
eigenständige Vermarktung von Therapeutika kann für KMU im Biotech-Sektor unter
den gegebenen Umständen nicht nachhaltig
erfolgreich sein. Sowohl der Finanzierungsbedarf als auch das Risikoprofil über die
langen Zeitschienen passen nicht auf die
vorgegebenen Modelle der Beteiligungsinvestoren.
Jedoch haben einige Biotech-Vertreter ihre
Unternehmen in diesem Bereich so interessant positioniert, dass diese unabhängig
agieren können und auch im medizinnahen
Anwendungsgebiet erfolgreich bestehen.
terhin erfolgreich für den Käufer waren. So
ist zum Beispiel die Antikörperplattform von
Cambridge Antibody Technology (CAT) –
lange eine direkte Konkurrenz zu MorphoSys –
nach der Übernahme durch AstraZeneca im
Jahr 2006 mittlerweile nicht mehr sichtbar.
Um erfolgreich zu sein, muss ein Unternehmen nicht unbedingt eine eigene Produktplattform aufweisen. Wichtig ist der Nachweis eines nachhaltigen Geschäftsmodells
mit einer soliden Technologie-Toolbox, welche
für spezifische Fragestellungen eingesetzt
werden kann: Sei es dem Innovationsdruck
im Life-Science-Umfeld mit neuen Medikamentenklassen entgegenzuwirken, Kosten
in der Medikamentenentwicklung einzusparen, die klinische Entwicklung schneller
voranzutreiben oder aber auch komplexe
Informationen schnell und einfach bereitzustellen. Je nach Ausprägung und Modell
lassen sich Technologie-Toolboxen in verschiedene Einsatzbereiche einteilen.
Alleinstellungsmerkmal und
Best Practice „Technologie-Plattform“
Die Rolle von Biotech über eindeutige Alleinstellungsmerkmale besser zu definieren
findet eine ganze Reihe von Ansatzpunkten.
Stärkere Fokussierung auf die Technologiebasis ist einer der wichtigsten. Dies entspricht auch einer Rückbesinnung auf den
eigentlichen Ursprung und die Stärke der
Bio-„Technologie“ per se. Verbunden mit
einer starken Technologie sind auch immer
das menschliche Know-how, die gesammelten Erfahrungen und das Konzept rund um
eine Technologiebasis sowie deren kontinuierliche Weiterentwicklung und Verbesserung. Stimmt das Konzept, kann rund um
die Technologiebasis ein nachhaltiges und
auch längerfristig eigenständig agierendes
Geschäft aufgebaut und weiterentwickelt
werden.
Plattformen, die zur Generierung von neuen
Wirkstoffklassen herangezogen werden,
sind ein Beispiel hierfür. Sie stehen im Mittelpunkt von Allianzen, die für die Anbieter
interessante Konditionen bieten(siehe hierzu die Erläuterungen im Kapitel „Transaktionen“). Demgegenüber zeigte sich in der Vergangenheit, dass solche Technologieplattformen nach erfolgreicher Übernahme und
Integration in einen Großkonzern selten wei-
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
7
Perspektive
1. Toolbox „Tech@Translation“ als
Treiber der Innovationseffizienz
Im Zusammenhang mit dem enormen Innovationsdruck des Life-Science-Umfelds muss
die Translation von innovativen Ideen aus
der Akademie auf die kommerzielle Schiene
besser funktionieren. Innovationseffizienz
ist das Stichwort. Kernpunkt ist die frühestmögliche Kombination von exzellenten Forschungsideen mit den besten Technologien
zum Zwecke einer schnellstmöglichen Abklärung der Tragfähigkeit akademischer
Theorien. Hierbei spielen viele Aspekte eine
Rolle, die Biotech im Vergleich zu großen
und schwerfälligen Pharma-R&D-Organisationen Vorteile zubilligen und somit als
Alleinstellungsmerkmale dienen:
•F
orschungs-„Mindset“ und eine Bereitschaft für „Open Innovation“
•E
xpertise bezüglich enger und proaktiver
Interaktion mit akademischen Instituten
•A
gilität und Kreativität, speziell auch im
Umgang mit komplexen biologischen Systemen
•K
now-how für die frühe kommerzielle Entwicklung von Produkten
•L
ink zu den in der Wertschöpfungskette
eher später einsteigenden Pharma-Firmen
Genau diese Komponenten waren die Erfolgsfaktoren für zwei herausragende Kollaborationen, die Evotec mit den Eliteuniversitäten Harvard und Yale auf den Weg
gebracht hat. Über die Zielsetzung der Zusammenarbeit mit Harvard wurde bereits
im letzten Biotechnologie-Report berichtet.
Werner Lanthaler, CEO von Evotec, hatte in
seinem Artikel den Aspekt der „Innovationseffizienz“ dargelegt. Zum damaligen Zeit-
punkt war die Initiative gerade gestartet
und somit der Erfolg nur theoretisch vorgezeichnet. Umso beeindruckender der tatsächliche Beleg für die erfolgreiche Umsetzung dieses Ansatzes: 2012 konnte Evotec
Ergebnisse der Zusammenarbeit mit Harvard
bereits nach 18 Monaten in eine lukrative
Allianz mit Johnson & Johnson (J&J) einbringen. J&J kaufte sich in das Kollaborationsprogramm zwischen Evotec und der
Harvard-Gruppe um Prof. Doug Melton ein,
welches ein Portfolio von regenerativen
Diabetes-Therapien beinhaltet. Mit einem
Volumen von 300 Millionen US-Dollar an
erfolgsabhängigen Meilensteinzahlungen
ist der Deal gemessen an dem noch sehr
frühen Stadium bemerkenswert. Anfang des
Jahres folgte gleich eine weitere, ähnlich
gelagerte Allianz mit der Yale University.
Inhaltlich werden dort innovative Ansätze in
den Gebieten ZNS, Onkologie sowie metabolische und immunologische Erkrankungen
gemeinsam bearbeitet. Auch hierbei steht
die enge Verknüpfung von Evotecs DrugDiscovery-Plattform mit der erstklassischen
Forschung der Yale University im Zentrum
der Zusammenarbeit.
Zwar gibt es durchaus Bestrebungen einiger
Pharma-Unternehmen, ebenfalls früh und
direkt mit akademischen Institutionen zu
interagieren, allerdings sind hier größere
Hürden zu überwinden bis das „Open Innovation Paradigm“ auch bei den Großen
verinnerlicht wird. Hier können BiotechUnternehmen mit entsprechendem Technologieangebot deutlich punkten.
Die effizientere Translation von Forschungsergebnissen in die kommerzielle Nutzung
war auch Triebfeder für die Gründung des
Lead Discovery Center (LDC). Im Gegensatz zu der zuvor beschrieben Initiative, die
aus einer bereits etablierten kommerziellen
Plattform auf die Akademie zuging, entstand
das LDC als kommerzielles Unternehmen
aus einer Ausgliederung der Max-PlanckGesellschaft. Erklärtes Ziel ist es, durch die
enge Kollaboration von Wissenschaftlern
mit dem Drug-Discovery-Apparat des LDC
schnellstmöglich Ideen auf ihre Produktund Anwendungstauglichkeit zu prüfen. Die
Validität des Ansatzes und die Attraktivität
dieses Modells werden weiter bestätigt durch
sein Finanzierungsmodell: Neben der MaxPlanck-Gesellschaft selbst konnte das LDC
signifikante Fördermittel als einer der Gewinner des BMBF BioPharma-Wettbewerbs
einnehmen. Außerdem konnten die Dortmunder Fördermittel im Rahmen des EUProgramms FP7 einwerben und Mittel aus
der Marie Curie Stiftung sowie der Michael
J. Fox Foundation heben. Zielsetzung ist
dennoch, das als kommerzielles Unternehmen gegründete LDC nach Ablauf von zehn
Jahren vollständig aus eigenen Erträgen
zu finanzieren. Auch hier zeigen sich erste
Erfolge. Im Jahr 2011 schloss das LDC
einen Lizenzvertrag mit Bayer zur weiteren
Entwicklung eines neuen Onkologie-Wirkstoffes. Weitere Vereinbarungen laufen mit
Merck KGaA in Darmstadt. Im Zuge der
stärkeren Internationalisierung und globalen
Wahrnehmung der „Translation“ als wesentlichen Innovationstreiber hat sich das LDC
mittlerweile in einen Verbund von weiteren
international führenden TechnologietransferEinrichtungen integriert (Artikel von Bert
Klebl auf S. 10).
Tech@Translation als Treiber der Innovationseffizienz
Target-Identifikation und
Bewertung
Akademie
Screening
Hit- und
LeadIdentifikation
LeadOptimierung
Präklinik
Tech@Translation
Klinische
Phasen
Zulassung
und
Vermarktung
Pharma
Quelle: Ernst & Young, 2013
8
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Zwei zurück und eins nach vorn! – A New Deal for Innovation
Dr. Werner Lanthaler,
CEO Evotec AG, Hamburg
Baustopp auf der Baustelle?
Sie kennen vielleicht das Phänomen: Ein
junges Paar ist motiviert von der Idee, ein
Haus zu bauen; der tolle Architekt ist schnell
bestellt, der Plan ist rasch diskutiert, eingereicht, genehmigt und schon geht’s los. Doch
bereits nach kurzer Zeit ereilt das junge Paar
erst die Ernüchterung und anschließend
das böse Erwachen. Zunächst werden zwar
nur Extras wie der Swimmingpool oder die
Sauna von der Bauzeichnung gestrichen;
doch trotz Reorganisation und Sparstift wird
schnell klar, dass das Projekt mehr kostet, als
man geplant hat und der Hausbau darüber
hinaus um einiges länger dauert, als die angespannten eigenen Finanzen und die Bank
es zulassen. Baustopp auf der Baustelle –
wer will das schon! Nun gilt es, sich von den
alten Mustern zu befreien; ein Ansatz, der
sich auch auf viele Unternehmen in der Gesundheitsindustrie übertragen lässt.
Das Problem: Aufgrund von
„Erfolglosigkeit“ zurück zum Start
Neben dem Beklagen von Finanzierungslücke und mangelndem Innovationsgeist in
Europa scheint es, dass wir ein fundamentales analytisches und ökonomisches Problem
über die letzten Jahrzehnte hinweg ignoriert
haben. Neue Produkte erfordern größere
Innovationsleistungen, als man geglaubt hat,
kosten signifikant mehr und dauern wesentlich länger, als finanzierungswillige Unternehmen ihren Investoren immer wieder ein-
reden wollten. Die Tufts University beschreibt
im Jahr 2011 in einer Studie, dass die Biotechnologie die Kosten im Durchschnitt um
250 Prozent unterschätzt hat. Auch die Entwicklungsdauer von neuen Produkten war
durchschnittlich vier Jahre länger als ursprünglich angenommen. Und das sind die
Analyseergebnisse der erfolgreichen Projekte!
Trotz Milliardeninvestitionen in vielen Innovationsbereichen ist kaum Produktfortschritt
festzustellen. Zudem gab es in den letzten fünf
Jahren signifikante Rückschläge. Am deutlichsten wurde das wohl erst kürzlich von der
FDA selbst illustriert, als sie alle Innovationsspieler direkt und sehr deutlich dazu aufforderte, in der Alzheimerforschung in Zukunft
viel stärker zusammenzuarbeiten. Der Grund
für diesen Schritt ist für uns alle alarmierend,
denn die parallel laufenden spätphasigen
Ansätze, die der Behörde vorliegen, deuten
darauf hin, dass sie die Krankheit weder
lindern noch deren Ursache aufklären und
behandeln können. Die Order kommt also
sogar von der regulativen Instanz: Alle gemeinsam „stop loss“ und zurück zum Start!
Dieses Muster gilt leider nicht nur für Alzheimer, sondern auch für Diabetes, Krebs, HIV
etc. Generell sind Krankheiten in den letzten
Jahren zwar deutlich besser diagnostizierbar, aber leider kaum besser behandelbar
geworden. Gesellschaftspolitisch langfristig
effiziente Mittelverwendung bedeutet demnach eine nachhaltige Ursachenanalyse und
-bekämpfung und nicht nur Symptomerkennung und -linderung.
Die Komplikation: Zu viele wollen die
Illusion zu lange am Leben lassen
Die Diskussion darüber, was die akademische
Welt, Biotech- und Pharma-Unternehmen
versprochen haben und was tatsächlich gehalten wurde, wird immer wieder vermieden.
Doch wenn über Jahre nicht die gewünschten
Erfolge erzielt werden, leidet irgendwann
die Glaubwürdigkeit. Insbesondere in Branchen, in denen Anschlussfinanzierungen
sehr stark auf ebenjener Glaubwürdigkeit
basieren, ist ein vermindertes Vertrauen
gleichzusetzen mit einem geplatzten Scheck.
Der Schweinezyklus der notwendigen Finanzierungen treibt die Spirale von mehr und
mehr Versprechen jedoch immer weiter an,
auch ohne dass tatsächlich kommerziell
fassbare Endprodukte und Resultate erkennbar werden. Dies bedeutet allerdings nicht,
dass die ganze Branche die Asymmetrie von
„Versprechen und Halten“ absichtlich ver-
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
größert hätte. Im Gegenteil, die Wissenschaftsleistung und Managementanstrengungen sind deutlich besser als je zuvor,
doch leider ist die Lücke zwischen Finanzierungsmöglichkeit und Finanzierungsnotwendigkeit immer größer geworden. Es ist
keine Schande, dies einzugestehen, denn es
spiegelt die Komplexität der Biologie und
vieler Krankheitsbilder wider. Die Spirale von
immer größeren Versprechen zu stoppen, ist
aber der Beginn einer konstruktiven Kooperation zwischen allen Innovationsspielern.
Die Lösung: Gemeinsam statt einsam und
voll motiviert zurück zum Start
Zu erkennen, dass man bei vielen Indikationen
leider keine erfolgsversprechenden Phase-IIund Phase-III-Ansätze mehr hat und keine
weitere Wirkstoffpipeline vorhanden ist, sollte
uns heute nicht frustrieren. Ganz im Gegenteil, es sollte uns motivieren, noch einmal ganz
von vorne anzufangen. Zu erkennen, dass
sich die klassischen Finanzierungsquellen in
den nächsten Jahren weiter dramatisch ändern werden, sollte uns die Illusionen der
Produktversprechen nicht weiter aufbauen
lassen. Ganz im Gegenteil, je rascher wir anfangen, diese Versprechen abzubauen, umso
besser. Industrie und Akademia haben sehr
viel gelernt, und dieses Wissen gemeinsam zu
nutzen sollte auch viel bessere neue Ansätze
schaffen. Genau hier wird das neue vielversprechende Potenzial für VC, BA, Förderungsgeber und Lizenzdeals liegen. Wo sind die oft
beschworenen kooperativen Ansätze, die
Konsortien von Forschungsinstitutionen gemeinsam mit Biotech- und Pharma-Unternehmen? Theoretisch geistern diese Konstrukte ja schon lange durch die einschlägigen
Magazine und Sonntagsreden von PharmaManagern und erste Ansätze gibt es auch
schon, aber es sind noch viel zu wenige.
Evotec hat hier gemeinsam mit Harvard, Yale
und Janssen ihre ersten signifikanten Allianzen schon geschmiedet und auch veröffentlicht. Für alle Beteiligten gilt: Es ist äußerst
motivierend, dass man endlich tatsächlich
an der Ursache und nicht nur an den Symptomen forscht. Noch nie war es so klar wie
heute, dass nur, wenn wir gemeinsam zum
Start zurück gehen werden, wir vielleicht
heute in zehn Jahren Alzheimer, Aids, Krebs,
Diabetes und viele andere Krankheiten tatsächlich besiegt und dabei alle ein Bombengeschäft gemacht haben werden.
www.evotec.com
9
Lead Discovery Center: Skipping Biotech – Verzichtet Pharma
in Zukunft auf Biotech?
offen und wird nur durch die Technologiebreite (niedermolekulare und peptidbasierte
Wirkstoffe) am LDC oder die Finanzkraft
einer interessierten Partei begrenzt. Durch
Fördermaßnahmen des Landes NRW, des
BMBF und der EU ist das LDC auch für Akademiker außerhalb der MPG zugänglich.
Derzeit kommt bereits etwa die Hälfte der
Projektfinanzierungen am LDC aus NichtMPG-Quellen. Das unterstreicht die Werthaltigkeit und den Bedarf für dieses neue
Modell.
Dr. Bert Klebl,
CEO / CSO Lead Discovery Center GmbH,
Dortmund
Brücke zwischen Akademie und Pharma
Das Lead Discovery Center wurde 2008 von
der Max-Planck-Innovation GmbH (MI) gegründet, um biomedizinische Innovationen
aus dem MPG-Umfeld effizienter in die pharmazeutische Anwendung zu überführen.
Es werden innovative Projekte durchgeführt,
deren Grundlage meist die Forschungsergebnisse von MPG-Wissenschaftlern sind. Die
einzelnen Projektvorschläge werden im Lauf
ihrer Inkubation am LDC als neue Therapieansätze mit hohem medizinischen Bedarf
(de)validiert und in enger Kooperation mit
MPG-Wissenschaftlern und u. U. weiteren
Partnern durchgeführt. Nach erfolgreicher
Inkubation am LDC werden die Projekte vermarktet bzw. verpartnert. Bei Vermarktung /
Lizenzierung profitieren alle beteiligten
Partner am Vermarktungserfolg („geteilter
Vermarktungserfolg“).
Erfolgreiche Kollaborationen
Im Jahr 2010 konnte eine neue Leitstruktur in der Onkologie (Wirksamkeitsnachweis
im Tiermodell) nominiert werden, welche
2011 exklusiv an die Bayer Healthcare AG
für über 135 Millionen Euro inklusive Meilensteinzahlungen lizenziert wurde. Auch 2010
wurde ein Kooperationsvertrag mit der Firma
Merck Serono zur anteiligen Finanzierung
eines Projektes zusammen mit Mitteln aus
dem BioPharma-Programm des BMBF geschlossen, der bei Erfolg in einen Lizenzvertrag mündet. Zudem wurden in den letzten
beiden Jahren Partnerschaften mit BiotechFirmen, z. B. der HMNC GmbH aus München,
geschlossen. Weitere Kooperationen und
Lizenzierungen an Pharma- und BiotechPartner, wie jüngst mit AstraZeneca, unterstreichen die Flexibilität des Geschäftsmodells, zeigen aber auch die gute Akzeptanz
im Markt.
Finanzierung
Die MPG hat mit dem LDC einen mehrjährigen Rahmenvertrag geschlossen, der die
Finanzierung von Forschungsprojekten aus
den verschiedenen Max-Planck-Instituten
ermöglicht und vor kurzem bis Mitte 2018
verlängert wurde. Zudem finanziert sich das
LDC vermehrt aus Einnahmen von Lizenzoder Kooperationsverträgen, welche in die
pharmakologische Forschung reinvestiert
werden. Die Möglichkeit, mit dem LDC zu
arbeiten ist, für alle (Akademie, Biotechund Pharma-Industrie, Investoren etc.)
Skipping Biotech?
Nein! Das LDC hat sich zwar in einer Nische
breitgemacht, die eigentlich für BiotechUnternehmen angedacht war: nämlich das
Risiko aus hochinnovativen Projektideen der
pharmazeutischen Wirkstoffforschung zu
nehmen. Leider fehlt seit mehreren Jahren
die Finanzierungsgrundlage in Kontinentaleuropa, um eine vitale rote Biotech-Industrie
zu erhalten. Zudem ziehen sich auch viele
Pharma-Firmen aus dem frühen Wirkstoffforschungsbereich zurück. Als Kunden haben
sie jedoch weiterhin Bedarf an neuen, validierten Therapiekonzepten. Die Finanzierungslast wird also vermehrt auf die öffentliche
Hand verlagert. Genau dieser Trend wird
durch die Realisierung des LDC-Konzeptes
bestätigt. Trotzdem kann eine Organisation
wie das LDC nur einen Teil der präklinischen
Kosten tragen. LDC-ähnliche Inkubatoren
können das Risiko von neuen Forschungshypothesen reduzieren, jedoch nicht flächen-
10
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
deckend die gesamte pharmazeutische Forschung bedienen. Daher kann es nicht das
Ansinnen solcher Inkubatoren sein, die Biotech-Branche zu verdrängen. Ganz im Gegenteil sind diese eine ideale Brutstätte für
neue Unternehmen oder können bestehende
Biotechs effizient mit Projekten befeuern.
Unternehmen und Zentren wie das LDC dürfen deshalb als Stärkung einer nachhaltigen
Biotech-Szene verstanden werden. Universitäten und Institute bleiben die Quellen der
Innovationen. Direkte, strategische Partnerschaften zwischen akademischen Einrichtungen und der Pharma-Industrie werden in
Zukunft im präkompetitiven Bereich möglich
sein, aber darüber hinaus aufgrund zu unterschiedlicher Zielsetzungen problematisch
bleiben.
Ausblick
Translationale Zentren und Inkubatoren für
die Wirkstoffforschung werden ihren Platz in
der pharmazeutischen Wertschöpfungskette
behalten und festigen. Sie dienen als erster
Filter, um das große Risiko aus neuen therapeutischen Hypothesen zu nehmen. Aufgrund
ihrer zentralen Organisation können sie aus
dem Gesamtpool der wissenschaftlichen
Hypothesen die vielversprechenden herausfiltern und für Biotech- und Pharma-Firmen
interessant machen. Eine zentrale Organisationsstruktur ist aufgrund der Filterfunktion
wichtig. Es macht keinen Sinn, wenn jede
Universität ihr „eigenes“ LDC gründet und
unterhält. Allgemein ist auch ein Umdenken
von Seiten der Investoren notwendig. Der
präklinische Wirkstoffmarkt lebt, es können
lukrative Geschäfte realisiert werden. Allein
die Dauer und Erwartung an Investitionen
muss neu überdacht werden. Wird der Investitionszeitraum zu kurz gewählt, bleibt die
Mehrzahl von interessanten Projekten auf
der Strecke. Erste Modelle, die eine nachhaltigere forschende Biotech-Szene unterstützen sind in Reichweite, z. B. „Corporate
Ventures“, Investitionen direkt aus Pharma,
alternative Investitionsmodelle durch Business
Angels oder Projektinvestitionen bzw. neuartige Fondsstrukturen. Die präklinische
Pharma-Forschung wird weiterhin ein lukrativer Markt bleiben. Einzig die Qualität der
Produkte muss stimmen. Investitionen
machen nur Sinn, wenn sie ausreichen, um
diese Qualitätsanforderungen zu erfüllen.
www.lead-discovery.de
Perspektive
2. Toolbox „Tech@Process“ als Teil
der Pharma-Wertschöpfungskette
Mit der weiter zunehmenden Tendenz zum
Outsourcing von Teilen des Wertschöpfungsprozesses „Pharma“ gestalten sich Technologieplattformen, die ganze Abschnitte der
Pharma-Wertschöpfungskette abdecken,
immer attraktiver. Initial werden diese zwar
meist in Form von Dienstleistungen eingekauft, wobei in diesem Modell den Anbietern
selbst kein Anteil an der Wertschöpfung
zusteht. Im Zuge einer stärkeren Integration
von signifikanten Abschnitten der Wertschöpfungskette unter einem Service-Anbieter
kann dieser jedoch zusehends bessere Deals
aushandeln – bis hin zu erfolgsabhängigen
Zahlungen im weiteren Verlauf der Entwicklung.
Wiederum präsentiert sich Evotec für diese
Nutzung seiner Technologie-Toolbox als
Paradebeispiel in Deutschland. Ausgehend
von der ursprünglichen Kernkompetenz
im High-throughput Screening haben die
Hamburger inzwischen durch sukzessive
Akquisitionen (u. a. OAI Oxford Asymmetry
International , Renovis, Summit / Zebrafish,
RSIPL, DeveloGen, Kinaxo, Cell Culture Service) die Integration weiterer Kompetenzen
(breite Testpalette, Tiermodelle, chemische
Technologien zur Leitstrukturoptimierung
etc.) vorangetrieben. Die inzwischen etablierte „Drug Discovery Engine“ nutzen sehr
viele großen PharmaFirmen (u. a. Bayer,
Boehringer Ingelheim, Cubist, Genentech,
Novartis, Ono, Roche, Shionogi, UCB, Vifor).
Entsprechende Deals haben Evotec inzwischen einen steten Zufluss von ErfolgsMeilensteinzahlungen eröffnet und außerdem die finanzielle Basis geschaffen, auch
eigene Entwicklungsprogramme zu bestreiten.
Ähnlich erfolgreich wie prominent und
ebenfalls mit entsprechender Deal-Erfolgsbilanz kann das belgische Biotech-Unternehmen Galapagos aufwarten. Mit seinen
Plattformen BioFocus®, Argenta DiscoveryTM
und Fidelta® – ebenso über mehrere Zukäufe
(u. a. BioFocus, Inpharmatica, Sareum,
Argenta Discovery, ProSkelia) unter einem
Dach vereinigt – bietet das Unternehmen
u. a. Biologie (Target Discovery und Screening), Medizinalchemie, Substanzbanken
sowie ADME / PK-Services an. Entsprechend
wurden ebenfalls lukrative Allianzen mit
Pharma-Unternehmen geschlossen (u. a.
Roche, GSK, Servier). 2012 kam ein weiterer Deal mit Abbott hinzu, der allein über
ein Gesamtvolumen an Erfolgszahlungen
von über einer Milliarde US-Dollar ging und
damit unter den Top-3-Allianzen in Europa
und weltweit platziert ist.
Weitere deutsche Beispiele sind 4SC Discovery und im engeren Sinne auch Phenex
Pharmaceuticals. Die Ende 2011 gegründete
4SC Discovery mit Kernkompetenzen
ursprünglich im Bereich Computational
Chemistry hat mittlerweile eine breitere
Drug-Discovery-Maschinerie etabliert.
Phenex Pharmaceuticals bietet dagegen ein
sehr spezielles Prozessangebot mit einer
Discovery-Plattform zur Identifizierung von
Substanzen mit Wirkung auf Kernrezeptoren. Auch diese beiden Vertreter konnten
aktuell im letzten Jahr mit lukrativen
Deals aufwarten, die den Erfolg mittels des
Alleinstellungsmerkmals „Tech@Process“
bestätigen (Phenex / Janssen Pharmaceuticals, 4SC Discovery / BioNTech).
Neben Plattformen, die im weiteren oder
engeren Rahmen im Bereich Drug Discovery
ansetzen, sind auch an anderen Stellen der
Pharma-Wertschöpfungskette sinnvolle und
tatsächlich genutzte Eingriffsmöglichkeiten
für Biotech vorhanden: beispielsweise im
Bereich „Drug Delivery“, wo ebenfalls Technologien und Innovationen eine wichtige
Rolle spielen. Unternehmen wie Rodos
BioTarget und Soluventis sind dabei typische
Vertreter, die ihre Technologien für PharmaPartnerschaften anbieten.
Tech@Process als Teil der Pharma-Wertschöpfungskette
Target-Identifikation und
Bewertung
Screening
Hit- und
LeadIdentifikation
LeadOptimierung
Präklinik
Klinische
Phasen
Zulassung
und
Vermarktung
Pharma
Target-Identifikation und
Bewertung
Screening
Hit- und
LeadIdentifikation
LeadOptimierung
Präklinik
Tech@Process
Quelle: Ernst & Young, 2013
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
11
Perspektive
Multiple Product Opportunities
Tech@MPO
(Antikörper, RNAi, Peptide etc.)
Tech@MPO zur kontinuierlichen Generierung von Produkten
Target-Identifikation und
Bewertung
Screening
Hit- und
LeadIdentifikation
LeadOptimierung
Klinische
Phasen
Präklinik
Zulassung
und
Vermarktung
Produkt 1
Produkt 2
Produkt 3
Produkt ...
Quelle: Ernst & Young, 2013
3. Toolbox „Tech@MPO“ zur kontinuierlichen Generierung von Produkten
Die am weitesten entwickelten sowie möglicherweise attraktivsten und lukrativsten
Technologieplattformen sind solche zur
kontinuierlichen Generierung von innovativen Produkten (MPO – „Multiple Product
Opportunities“). Dieses Feld ist ebenso
prädestiniert, Alleinstellungsmerkmale für
Biotech abzuleiten. Gerade in Deutschland
ist dieses Modell exzellent besetzt und kann
deswegen der gesamten Branche positiven
Aufschwung ermöglichen. Nach wie vor
dominieren hier Antikörperplattformen in
unterschiedlichen Ausprägungen. Daneben
geht es um DNA / RNA-basierte Wirkstoffe,
Zelltherapien, Vakzine etc.
Beispiele für solche Plattformen wurden
bereits im letzten Report aufgezählt und
auch mit den jeweiligen Unternehmen belegt (MorphoSys, Pieris etc.). Auffallend
für dieses Segment ist ihre zunehmende
Dominanz auf der Liste der Allianzen. Auf
deutscher Seite stechen dabei Unternehmen wie MorphoSys (mehrere Transaktionen, Hauptdeal mit Novartis), Pieris (Deals
mit Sanofi, Allergan, Daiichi Sankyo), CureVac (Deal mit Sanofi Pasteur) oder NOXXON
Pharma (Deals mit Pfizer, Eli Lilly) heraus.
Im europäischen Umfeld zeigt sich die zunehmende Bedeutung der MPO-Plattformen
noch deutlicher in der Auflistung der TopBiotech-Allianzen 2012 (siehe Kapitel
„Transaktionen“). Von den Top-6-Allianzen
basieren allein vier auf Tech@MPO-Plattformen, die hochvolumige Transaktionen
unter Dach und Fach bringen konnten; unter
anderem Molecular Partners (Schweiz,
1.463-Millionen-Euro-Deal mit Allergan),
Genmab (Dänemark, 1.135-Millionen-USDollar-Deal mit J&J), Symphogen (Dänemark, 495-Millionen-Euro-Deal mit Merck
KGaA) und Ablynx (Belgien, 457-MillionenUS-Dollar-Deal mit Merck & Co.).
Tech@MPO-Plattformen müssen sich nicht
nur auf innovative Scaffolds beziehen. Eine
weitere Möglichkeit der nachhaltigen Generierung von Wirkstoffen liefern sie mittels
Modifizierung und Optimierung von Wirkstoffmolekülen. Hierzu zählen beispielsweise
Plattformen zur Glykosylierung, wie sie von
Glycotope durch gezielte gentechnische
Manipulation der entsprechenden Stoffwechselwege („Glycoengineering“) dargestellt werden oder von Cevec über die Nutzung entsprechender (humaner) Zelllinien
zur Expression von Humanzuckerstrukturen. Ebenso findet sich hier der Ansatz
der XL-protein, die mittels „PASylierung®“
die Plasmahalbwertszeit von pharmazeutischen Proteinen verändert.
Die erfolgreiche Vermarktung dieser Plattformen zeigt sich auch hier an Deals mit
Partnern, für die diese Technologien wertvoll in der Verbesserung oder im Life-CycleManagement bestehender Pipeline-Assets
sind. Ferner bedient dieses Modell das an
Bedeutung zunehmende Feld der Biosimilars
und Biobetters und ermöglicht mittelfristig
auch eigene Produktentwicklungen.
12
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Perspektive
Alleinstellungsmerkmal und
Best Practice „Tech@Disease“
Alleinstellungsmerkmal und Best
Practice „Therapeutikaentwicklung“
Nicht exakt der Definition einer Technologieplattform entsprechend, dennoch aber
mit einigen Charakteristika übereinstimmend, stellen sich Know-how-Plattformen
um konkrete Therapiegebiete dar. Das
Alleinstellungsmerkmal für die damit beschäftigten Biotech-Unternehmen ist im
weitesten Sinne die „Neue Biologie“, die im
spezifischen Wissensschatz in einem definierten Gebiet bzw. um relevante Wirkstoffklassen begründet ist. Auch dieser Ansatz
befähigt Unternehmen zur nachhaltigen Generierung von Wirkstoffen. Zudem werden
die Entwicklungsrisiken auf ein breiteres
Portfolio verteilt und ebenfalls attraktive
Allianzen abgeschlossen.
Das Modell der Therapeutikaentwickler hat
sich in den letzten Jahren für Biotech-Unternehmen als zusehends schwierig erwiesen.
Zu lange Zeitschienen mit enormem Finanzierungsbedarf passen nicht zu den Investitionsstrategien der Beteiligungsfonds.
Darüber hinaus existieren zu hohe Risiken,
die dadurch noch gesteigert werden, dass
Biotech-Start-ups in der Regel nur sehr
schmale Portfolios an Produkten verfolgen
können und damit die Risikostreuung weiter
limitiert ist. Insofern werden nur wenige
Firmen dieses Modell in reiner Form fahren
können.
Das herausragende Beispiel des letzten
Jahres stellt AiCuris mit einer Plattform zur
Identifizierung von Antiinfektiva und dem
Know-how zur Entwicklung dieser Wirkstoffe dar. Die in Fachkreisen bestaunte
Allianz mit Merck & Co. sticht vor allem
durch die ungewöhnlich hohe Upfront-Zahlung (110 Mio. €) hervor. Allerdings ist
für dieses Modell im Unterschied zu den
zuvor beschriebenen Technologieplattformen ein wesentliches Erfolgskriterium
die Finanzierung bis zum Erreichen eines
für die Verpartnerung interessanten Assetoder Portfoliostatus. Insofern ist hier der
Zugang zu Kapital mit entsprechender Risikoakzeptanz vorauszusetzen. Im Falle von
AiCuris wird dies sowohl durch die Historie
als Ausgründung von Bayer als auch durch
die finanzielle Unterstützung durch das
Family Office der Brüder Strüngmann entscheidend getragen.
Solche, die es dennoch versuchen, sollten
gewisse Anforderungen erfüllen:
• Fokussierung auf klare Nischenindikationen (z. B. Rare Diseases) mit den Vorteilen kleinerer klinischer Studien, kürzerer
Time-to-Market und niedrigerer Kosten
• Definition eines Fünf-Jahres-Businessplans
bis zum Exit durch Auswahl geeigneter Indikationen („ultra-targeted“), optimierter
kürzerer Prozesse, enger Stratifizierung,
möglicherweise mit der Option, die Phase III
in eigener Regie durchzuführen
• Zugang zu besonderen Investoren (z. B.
Family Offices Hopp / Strüngmann)
Auch diese Kategorie von Firmen sticht aus
der Auflistung der lukrativsten Allianzen
europäischer Biotech-Unternehmen deutlich
hervor: Neben AiCuris befinden sich dort
ThromboGenics (Belgien, Augenerkrankungen, 375-Millionen-Euro-Deal mit Alcon / Novartis), AC Immune (Schweiz, Alzheimer,
400-Millionen-Schweizer-Franken-Deal mit
Genentech) und Savira (Österreich, Influenza, 240-Millionen-Euro-Deal mit Roche).
Gerade die letzte Option kennzeichnet einige der deutschen Biotech-Firmen, die im
reinen Therapeutika-Modell agieren. Apogenix
in Heidelberg konnte durch die Unterstützung
der dievini Hopp BioTech holding eine gut
durchdachte klinische Phase-II-Studie in der
schwierigen Indikation „Malignes Melanom“
erfolgreich durchführen. Weder strategische Partner noch VC-Investoren waren
bereit, den Hochrisiko-Einproduktansatz in
einer früheren Phase zu finanzieren.
CureVac in Tübingen betritt mit einem neuen
Ansatz (RNA-Vakzine) Neuland. Die anstehende Phase-II-Studie birgt somit ebenfalls
hohes Risiko und konnte nur durch eine
„Alles oder nichts“-Entscheidung weiter
vorangebracht werden. Noch riskanter sind
Ansätze, wie sie von BioNTech in Mainz verfolgt werden. Das Unternehmen setzt auf
neuartige Verfahren der individualisierten
Immuntherapie durch Tumorvakzine. Im Erfolgsfall sind hier Durchbruchsinnovationen
zu erwarten, die vor allem der individuellen
medizinischen Behandlung von Krebspatienten zugutekommen würden. Allerdings ist
kaum vorstellbar, dass diese Ansätze ohne
die Hauptinvestoren Thomas und Andreas
Strüngmann eine Chance der Finanzierung
gehabt hätten.
Diese Beispiele belegen einerseits, wie wichtig
solche Investoren insbesondere für Hochrisikoprojekte und die damit verbundenen
Innovationschancen sind. Andererseits ist
rein statistisch – gerade auch für derartige
Hochrisikoprojekte – zu erwarten, dass Fehlschläge auftreten – wie während des letzten
Jahres mit SYGNIS Pharma, Agennix, WILEX
und Curacyte aus dem Hopp-Portfolio –
die dann wiederum zu Negativschlagzeilen
führen.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
13
Perspektive
Unternehmenszuordnung zu Therapieassoziierten Plattformen
Übersicht der deutschen
Tech@Companies im
Therapiesektor
n = 188
Im Therapiesektor der deutschen BiotechBranche ergibt sich eine Aufteilung, deren
größtes Einzelsegment zwar immer noch
überwiegend die auf individuelle Wirkstoffe
fokussierten Firmen sind (43 %), zusammengenommen bilden die Technologieplattformen aber bereits die Mehrheit (57 %).
1 %
10 %
16 %
43 %
30 %
Therapeutikaentwicklung
Tech@Process
Tech@MPO
Tech@Disease
Tech@Translation
Quelle: Ernst & Young, 2013
Mit einem Anteil von 30 Prozent liegen
Tech@Process-Firmen an zweiter Stelle,
die sich den Outsourcing-Trend von Teilen
der Wertschöpfungskette durch mehr oder
minder breite Positionierung zunutze machen. Darin spiegelt sich inbesondere die
Service-Orientierung der deutschen Biotech-Szene wider. Tech@MPO-Plattformen
zur nachhaltigen Produktion bestimmter
Wirkstoffklassen (z. B. Antikörper) nehmen
immerhin 16 Prozent ein. Die breit aufgestellten Tech@Disease-Plattformen sind mit
insgesamt zehn Unternehmen unterrepräsentiert. Ausschließlich auf die Prototypen
Evotec und LDC beschränkt stellt sich das
Tech@Translation-Segment noch sehr klein
dar. Die erfolgreiche Umsetzung des Ansatzes
in beachtliche Deals – wie weiter oben oder
im Kapitel „Transaktionen“, beschrieben –
lässt aber auch für diese Ausrichtung einige
Möglichkeiten erhoffen.
Es wird zukünftig interessant zu beobachten
sein, ob und wie sich bei anhaltenden Finanzierungsengpässen dieses Bild verschieben
wird – hin zu Modellen mit weniger Risiko und
breiteren Geschäftsmöglichkeiten basierend
auf vielfältigen Technologie-Toolboxen.
14
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Erfolgsmessung
Allen zuvor beschriebenen inhaltlichen Aufstellungsvarianten für Biotech-Unternehmen
ist als Messparameter für die Erfolgsbeurteilung das Abschließen lukrativer Deals gemein.
Unabhängig vom jeweiligen Geschäftsmodell
(Service, Lizenzpartnerschaft, Co-Development etc.) wird das Qualitätssiegel dadurch
verliehen, dass der Kunde (in aller Regel
Pharma) bereit ist, dafür zu bezahlen. Insofern ist die Referenzliste der vorhandenen
Kunden in jedem Fall der beste Beweis für
die Funktionalität der Plattform bzw. der
Wirksamkeit der Produkte.
Aus den meisten gezeigten Beispielen ist
ebenso ablesbar, dass diese Ansätze es
ermöglichen, auf Dauer die eigene ProduktWertschöpfungskette aufzubauen – und
zwar mit abgefederten Risiken über den
Weg der Grundfinanzierung aus bestehenden Allianzen.
Weiter denken – Neuer Wachstumsmarkt Diagnostik und PI Technologies
Disruptive Innovation „PI Technologies“
Während der globale Diagnostikmarkt insgesamt derzeit eher über Umsatzrückgänge
und pessimistische Wachstumsprognosen
klagt, ist ein Segment hier eindeutig ausgenommen: In-vitro- und Molekulardiagnostik.
Aktuell werden in diesem Teilmarkt weltweit
52,4 Milliarden US-Dollar umgesetzt. Mit
sehr steilen Wachstumsprognosen für die
kommenden Jahre – einem vorhergesagten
CAGR von sieben Prozent zwischen 2012
und 2017 – schaut dieser Teilbereich sehr
optimistisch in die Zukunft.
Diese Entwicklung ist wiederum sehr eng
mit den Umwälzungen des gesamten LifeScience-Sektors verknüpft, vor allem mit
der stärkeren Fokussierung der Life-ScienceIndustrie auf den Patienten. „Personalized
Medicine“, „Patient Stratification“ und
„Companion Diagnostics“ – die Kernelemente dieser Entwicklung – beinhalten bereits Diagnostik als inhärenten Teil ihrer
Vorgehensweise.
Auch hier stehen wiederum Technologien
im Zentrum. Die enormen Fortschritte in
der technischen Bewältigung und Nutzbarmachung von Big Data haben mittlerweile
einen Stand erreicht, der es ermöglicht,
individuelle Patientengenome zu analysieren und damit dem einzelnen Patienten eine
auf ihn abgestimmte, individuelle Behandlung zuzuführen. Ermöglicht wird dies durch
Entwicklungen im Bereich von Next-Generation-Sequencing-Ansätzen, die Speicherung
von Expressionsdaten und Mutationsanalysen
auf DNA Microarrays sowie das Nutzen verschiedener Omix-Datenbanken (Proteom,
Metabolom etc.).
Nicht ganz so neu, aber dennoch mit Wachstumspotenzial und ebenfalls stärkerer Patientenfokussierung (Point of Care, Disease
Monitoring, Home Monitoring) ist auch die
schon fast „klassische“ Molekulardiagnostik
wieder attraktiv positioniert.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
All diese immer stärker auf den individuellen
Patientennutzen ausgerichteten technischen
Entwicklungen generieren große Mengen
an Daten, über deren Verwendung immer
mehr von Patienten selbst entschieden wird
(„Patient Empowering“). Allerdings können
aus der Flut der Daten nur deshalb sinnvolle
Aussagen entstehen, weil ebenso hochinnovative IT-Lösungen entwickelt wurden, die
nicht nur Daten speichern sondern in der
Lage sind, Big Data in sinnvolle Informationen und Patienten-relevantes Wissen umzusetzen („Information Leveraging“). Aus
der Symbiose dieser beiden Treiber – „Patient Empowering / Big Data“ und „Information Leveraging“ – ist gerade im Bereich
der Diagnostik ein neues Paradigma entstanden, das unter dem Begriff „PI Technologies“ die Kernbegriffe vereint.
Für Biotech-Unternehmen – neben IT- und
Medizintechnikfirmen – entstehen hier neue
Geschäftsfelder, die die biotechnischen
Fähigkeiten als Grundvoraussetzung benötigen. Insofern lassen sich auch in diesen
Bereichen Alleinstellungsmerkmale definieren, an denen Biotech-Unternehmen Best
Practice präsentieren können.
15
Perspektive
Alleinstellungsmerkmal und
Best Practice „Tech@BigData“
Die Verarbeitung großer Datenmengen im
Bereich von Terabytes, Petabytes und Exabytes ist ein wachsender Trend und eine
ökonomische Chance für viele Industrien.
Im Biotech-Universum stehen hier neben
Informationen, die bei klinischen und präklinischen Studien erhoben werden, in erster Linie genetische Sequenzdaten, welche
durch Sequenzierverfahren der zweiten
und dritten Generation (Next Generation
Sequencing, NGS) immer effizienter generiert werden können. Allein in Deutschland
existiert eine ganze Reihe von BiotechFirmen, die aufgrund ihrer technologischen
Kernkompetenz das Thema „Big Data“Handling im Fokus haben.
Generierung und Interpretation von
NGS-Daten
Den nachfolgenden Firmen ist gemeinsam,
dass sie mit Hochdurchsatz-Sequenzierungstechnologien Daten erzeugen, die beispielsweise in der Forschung für die Aufklärung
von Krankheitsphänomenen ebenso genutzt
werden wie als Marker in der Diagnostik:
• Alacris Theranostics, Berlin
• CeGaT, Tübingen
• GATC Biotech, Konstanz
• Genovoxx, Lübeck
• GENterprise, Mainz
• IMGM Laboratories, Martinsried
• SEQLAB, Göttingen
• Sequiserve, Vaterstetten
Die Genannten verfolgen primär ein ServiceGeschäftsmodell und unterliegen dabei
dem Druck, mit der rasanten technischen
Entwicklung Schritt zu halten. Der Druck
wird noch verstärkt durch die kontinuierlich
fallenden Preise für Sequenzierleistungen,
die im direkten Verhältnis zur immer weiter
steigenden Sequenziergeschwindigkeit stehen. Hieraus generiert sich aber gleichzeitig
auch ihre erfolgreiche Positionierung als
Dienstleister. Keiner der Kunden aus der
akademischen Forschung, die oft den Löwenanteil der Kunden ausmachen, oder der
Life-Science-Industrie wäre heute in der
Lage, mit dieser Dynamik Schritt zu halten.
16
Die meisten der genannten Anbieter von
Hochdurchsatz-Sequenzierungen nutzen
jedoch Technologien in Lizenz, die primär
von wenigen Technologiefirmen entwickelt
wurden. Insofern liegen die Erfolgsfaktoren
vor allem in:
• einem stabilen Lizenzvertrag oder eigener,
starker IP
• einer perfekten Organisation
• der kürzesten Zeit zum Abarbeiten von
Kundenaufträgen
• der bestmöglichen Qualität
• dem günstigsten Preis
Messparameter ist damit der Umfang der Kundenliste und die Zufriedenheit der Kunden.
Darüber hinaus gibt es weitere Alleinstellungsmerkmale:
• das „Portfolio“ an etablierten einlizenzierten Plattformen
• die Breite der angebotenen Services
• die geschäftliche Weiterentwicklungen aus
dem Service- in ein Produkt-Modell
IMGM Laboratories stellt in seinem Angebot
die breite technische Plattform besonders
heraus. Die Partner im Technologiebereich
lesen sich wie das „Who is Who?“ der DNAAnalytik-Branche: Agilent Technologies,
Affymetrix, Roche, Life Technologies,
Fluidigm.
GATC Biotech hat inzwischen ein breites
Portfolio an Anwendungen allein im NextGeneration-Sequencing-Bereich aufgebaut,
welches von der Sequenzierung ganzer
Patientengenome über die Untersuchung
von Transkriptomen, Metabolomen und
Regulomen reicht. IMGM Laboratories verbreitert sein Service-Angebot durch namhafte Partner. So sind sie als „Preferred
Supplier“ in Partnerschaften mit Agilent
Technologies, Affymetrix und SIRION
Biotech (siRNA-Analysen) eingebunden.
Interessant auch das Unternehmen GENterprise, das neben dem Sequenzier-„Vollservice“-Angebot eine preisgünstigere „light“Version in einem Tochterunternehmen
(StarSEQ®) anbietet, wo Kunden mit vorliegender Kompetenz in der Datenanalyse
lediglich die Rohdaten in Auftrag geben
können.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Darüber hinaus sind einige der o. a. Unternehmen nun auch dazu übergegangen, Produkte in Form von Tests für den Diagnostikmarkt herzustellen, die auf Sequenzierdaten
beruhen. GATC Biotech hat diesen Schritt
durch die Ausgründung von LifeCodexx vollzogen. Der Inhalt dieses Unternehmens besteht
in der Vermarktung von Tests (PrenaTest®)
zur pränatalen Bestimmung von fetalen
Chromosomenaberrationen (Trisomien 13,
18, 21). Ähnlich aufgestellt ist CeGaT. Neben
neuesten NGS-Technologien für die Abarbeitung von Kundenaufträgen aus Akademie,
Pharma- und Diagnostikindustrie hat das
Unternehmen für eine ganze Liste von Krankheiten sogenannte „Diagnostik-Panels“
erstellt, die auf DNA-Ebene typische Mutationen detektieren und somit hilfreich in der
eindeutigen Zuordnung von Krankheiten
sind.
Auf Seiten der tatsächlichen Technologieentwickler hebt sich als unbestrittener Star
Illumina mit Hauptsitz in San Diego am Himmel der Sequenziertechnologie hervor.
Nicht von ungefähr hatte Roche 2012 hartnäckig und dennoch letztlich erfolglos versucht, Illumina für 6,7 Milliarden US-Dollar
zu übernehmen und damit das Technologieportfolio des weltweit führenden Diagnostikunternehmens perfekt zu ergänzen. Ein
Zeichen dafür, wie attraktiv Technologieanbieter auf dem Gebiet der Sequenzierung
gerade für die Diagnostikindustrie geworden
sind.
Perspektive
Bioinformatische Anwendungen zur
Bewältigung von Big Data
Bioinformatische Anwendungen sind bei der
Interpretation von „Big Data“ geradezu unverzichtbar. Die genetische Information der
entzifferten DNA-Sequenzen wird erst durch
die entsprechende Interpretation werthaltig.
In der deutschen Biotech-Industrie stellen
Bioinformatik-Firmen eine durchaus sichtbare Größe von ca. 20 Unternehmen dar.
Diese lassen sich weiterhin in drei Gruppen
unterteilen:
Das Tandem CeGaT und Genomatix veranschaulicht diese Symbiose deutlich. Sequenzierer und Bioinformatiker entschlüsseln
gemeinsam Sequenzdaten und setzen sie in
entsprechenden Tests um (s. o.). In diesem
Zusammenhang wurden beide Unternehmen
im letzten Jahr mit prominenten Preisen
bedacht und gewannen gemeinsam die
„Clarity Challenge“, einen Wettbewerb des
Boston Children’s Hospital zur Identifizierung von Krankheiten auf Basis von Sequenzdaten.
1. Bioinformatik zur Interpretation großer
NGS-Datenmengen
Die erste Kategorie der NGS-assoziierten
Firmen legt ihren Fokus enger auf den Bereich großer Sequenzdatenmengen. Sie entwickeln bioinformatische Methoden für die
Analyse genetischer Variationen und Mutationen, für funktionelle Annotationen sowie
zur Detektion genetischer Krankheiten.
Beispiele dieses Segments sind:
• AptaIT, München
• BIOBASE, Wolfenbüttel
• Biomax Informatics, Martinsried
• geneXplain, Wolfenbüttel
• Genomatix, München
• MicroDiscovery, Berlin
2. Bioinformatik zur Integration von
Daten aus unterschiedlichen Quellen
(„Life Science Knowledge Management“)
Das Thema „Big Data“ geht heute bereits weit
über Sequenzierdaten hinaus und schließt
sehr viel umfassender die Integration von
Informationsdatensätzen aus unterschiedlichsten Quellen (Proteomics-Daten, klinische
Parameter, Patientendaten etc.) ein. Hier
haben sich Technologien im Bereich der
Bioinformatik entwickelt, die hochkomplexe
Daten in sinnvolle Information und nutzbares Wissen umsetzen, so z. B.:
• Biomax Informatics, Planegg
• BMI Biomedical Informatics, Heidelberg
• geneXplain, Wolfenbüttel
• Metalife, Winden
Einige der genannten Firmen kommen
ursprünglich aus dem Bereich der Gene
Arrays, in dem genetische Information aus
dem Abgleich von Sequenzen mit vorgegebenen Sequenzmustern auf Arrays zu interpretieren waren. Die neue Generation der
Primärdatenquelle ist eindeutig aber Next
Generation Sequencing. Somit musste sich
auch die Welt der Bioinformatik weiterdrehen, deren Hauptkunden neben akademischen Institutionen auch Sequenzierfirmen sind.
3. Bioinformatik für in silico-Forschung
Zur dritten Gruppe zählen einige Unternehmen, die im Umfeld von virtuellen Modellierungen innerhalb des Forschungs- und
Entwicklungsprozesses tätig sind, wie beispielsweise:
• BioSolveIT, Sankt Augustin
• Insilico Biotechnology, Stuttgart
• molConcept, Berlin
• quantiom bioinformatics, Weingarten
• XAPIEN, Heidelberg
Bei diesen stehen vor allem Methoden zum
„Molecular Drug Design“ im Fokus der
Geschäftstätigkeit. Sie entsprechen damit
eher der klassischen Herangehensweise von
Bioinformatik, basierend auf Strukturdaten
von Target-Wirkstoffinteraktionen. Aufgrund
dieser Positionierung sind die Firmen stärker
mit kommerziellen Partnern verbunden,
die Therapeutika entwickeln und weniger mit
Unternehmen im Bereich Diagnostik.
Diese Aufzählung zeigt bereits die Überlappung zur vorherigen Kategorie und gleichzeitig ein Stück des zukünftigen Weges zur
Bewältigung von großen Datenmengen und
deren Übersetzung in brauchbares Wissen.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
17
Perspektive
Alleinstellungsmerkmal und Best
Practice „Tech@CompanionDiagnostics“
Die mit Abstand attraktivste Perspektive im
Diagnostiksektor haben im gegenwärtigen
Life-Science-Umfeld die Unternehmen, die
sich um die Kernthemen Personalisierte
Medizin und „Patient Outcome“ positioniert
haben.
Unter dem Stichwort Tech@CompanionDiagnostics sind Ansätze zusammengefasst,
die vor allem in der Stratifizierung (d. h. der
Vorauslese und Zuordnung) von Patienten
für bestimmte Behandlungen eingesetzt
werden. Die Anwendung von Companion
Diagnostics beginnt bereits in der Medikamentenentwicklung in Form von SurrogatBiomarkern (d. h. Mess- und Ergebnisparametern in klinischen Studien) und setzt sich
fort in der dedizierten Indikationsstellung
für Medikamente am Markt bis hin zum
Monitoring von Therapien.
Neben der logischen Rationale für eine prosperierende Zukunft des Tech@CompanionDiagnostics-Bereichs belegen bereits auch
eindeutige Zahlen diesen Trend. Der US-Markt
der personalisierten Medizin – also Therapien
mit evidenzbasierter Zuordnung zu individuellen Patienten(gruppen) – steht mit
aktuell ca. 28 Milliarden US-Dollar Jahresumsatz noch am Anfang (mit einer beachtlichen Wachstumsdynamik und Prognosen
auf über 40 Milliarden US-Dollar Umsatz im
Jahr 2015; Kalorama Information). Diese
Dynamik ist allerdings erst in den letzten
Jahren entstanden. Pharma-Firmen haben
langsam begriffen, dass nach dem „Auslaufmodell Blockbuster“ auch trotz eines durch
Patientenstratifizierung segmentierten
Marktes bei richtiger Strategie gutes Geld
zu verdienen ist. Es hat in der Tat über
15 Jahre gedauert, bis nach dem ersten
Meilenstein Herceptin® mittlerweile nur
ca. 20 Wirkstoffe in Verbindung mit einem
stratifizierenden Test auf den Markt kamen
(Details siehe Kapitel „Produkte“).
entsprechendem Target-Profil zu behandeln.
Zunehmend werden auch die Stimmen der
Pharma-Ökonomie sowie die der Kostenträger vernommen.
Der Blick in die aktuelle Medikamentenentwicklung zeigt aber eindeutig, welchen Stellenwert die Stratifizierung inzwischen einnimmt. Während in weiter fortgeschrittenen
klinischen Phasen erst 30 Prozent der Medikamente parallel mit einem Stratifizierungsmarker entwickelt werden, trifft dies bereits
für rund 50 Prozent in der Phase I zu und in
noch stärkerem Ausmaß (60 %) für präklinische Programme.
Der Markt für Companion-Diagnostics-Tests
selbst ist derzeit mit 1,3 Milliarden US-Dollar
noch klein. Ähnlich der Wachstumsprognose
für die parallel entwickelten Medikamente
wächst auch dieses Segment mit großer
Dynamik (ca. 26 %) und verspricht Umsätze
im Bereich von 3,5 Milliarden US-Dollar
bis 2015 (Visiongain-Studie). Diese Zahlen
könnten sicherlich deutlich übertroffen werden, wenn die Preisgestaltung für Companion
Diagnostics entsprechend ihrem Wert für
den Patientennutzen beurteilt würde und
nicht – wie nach wie vor üblich – im Niedrigpreissegment der Routine-Diagnostika. Hier
allerdings sind wichtige Fragen zu klären,
etwa wie die für Arzneimittel eingeführte
Kosten-Nutzen-Beurteilung und daran geknüpfte Erstattung auf Diagnostika übertragen werden kann.
Treiber für die Entwicklung von Companion
Diagnostics ist sicherlich nicht die späte
Erkenntnis bei den Pharma-Firmen, sondern vor allem der Druck der Zulassungsbehörden. Den Behörden geht es v. a. um
die Patientensicherheit und sie fordern bei
Vorliegen von evaluierten Stratifizierungsmarkern natürlich ein, nur Patienten mit
Die Attraktivität des Companion-Diagnostics-Segmentes aus Sicht der Diagnostikbranche bezieht sich vor allem auf die wachsende Bedeutung dieser Sparte als Partner
von Pharma-Firmen. Darin steckt ebenso
die Hoffnung, auch hinsichtlich der Preisgestaltung zukünftig näher an die „Valuebased“-Betrachtung der Pharma-Produkte
zu kommen.
Rx-CDx-Modell: Entwicklung eines Companion Diagnostics
Therapeutikaentwicklung
Rx
Drug Discovery
Präklinik
Phase I
Phase II
Phase III
Zulassung
Medikament
Klinische Validierung
CDx
BiomarkerIdentifikation
BiomarkerValidierung +
Standardisierung
Biomarker-Validierung
Entwicklung
eines
Assays
Prototyp
Analytisch-technische
Validierung
Phase I
Sensitivität +
Spezifität
Phase II
PPV + NPV*
Zulassung
Klinisch
validierter
Test
Optimierung der
technischen Plattform
* PPV = positiver Vorhersagewert, NPV = negativer Vorhersagewert
18
Phase III
Klinischer Nutzennachweis
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Quelle: Ernst & Young, 2013
Perspektive
Die Tests selbst beziehen dabei die folgenden Parameter als Stratifizierungskriterien
mit ein:
•W
irksamkeit – Vorhandensein des Targets,
Mutationen im Target oder in assoziierten
Pathway-Komponenten
•S
icherheit – Verträglichkeitshinweise basierend auf Wechselwirkung mit anderen
Stoffwechselwegen
• Metabolisierung – Abbaudynamik aufgrund
genetisch determinierter individueller
Enzymausstattung
Die beschriebenen Einsatzgebiete der Tests
und vor allem die zunehmend wichtigere
Aufgabe der klinischen Validierung von Biomarkern verlagern die Schwerpunkte der
Diagnostikentwicklung:
•E
inerseits treten Companion Diagnostics –
wie der Name schon andeutet – nicht nur
im Markt als „Begleiter“ der Medikamente
auf, sondern auch ihre Entwicklung erfolgt
in enger Koordination weitgehend parallel
zur Medikamentenentwicklung. Die fast
unabhängige Vorgehensweise – wie noch
zu Herceptin-Zeiten – dürfte damit der Vergangenheit angehören.
• In diesem Zusammenhang werden zukünftig häufiger One-to-one-Partnerschaften
zwischen Diagnostik- und Pharma-Unternehmen für die parallele Entwicklung von
Medikament (Rx) und Diagnostikum (Dx)
die Regel sein; es ist deshalb vermutlich
auch nicht mehr mit einem so harten Konkurrenzkampf zwischen CDx-Anbietern für
den gleichen Test zu rechnen.
•W
eiterhin ist die Dx-Wertschöpfungskette
zweigeteilt, mit einem Standbein in der
„Biologie“ zur Identifizierung und Validierung von krankheitsrelevanten Biomarkern
sowie dem traditionellen Schwerpunkt der
Diagnostikindustrie auf der technischen
Testentwicklung mit Fokus auf Selektivität,
Spezifität und Sensitivität der Messung.
In diesem Markt sind bereits auch etliche
Biotech-Unternehmen in Deutschland zu
finden, vor allem solche, die ihre Ergebnisse
aus systembiologischen Ansätzen oder
durch Sequenzierungstechnologien in
Richtung Biomarker umsetzen. Beispiele
hierfür sind:
•A
lacris Theranostics, Berlin
•C
BC Comprehensive Biomarker Center,
Heidelberg
• CorTAG, Dortmund
• Epigenomics, Berlin
• Epivios, Düsseldorf
• GeneWake, Neuried
• humatrix, Frankfurt/Main
• Immungenetics, Rostock
• Indivumed, Hamburg
• Inostics, Hamburg
• oncgnostics, Jena
• PAREQ, Düsseldorf
• Signature Diagnostics, Potsdam
• Sividon Diagnostics, Köln
• TARGOS Molecular Pathology, Kassel
Kernkompetenzen für die Biomarker- und
Companion-Diagnostics-Unternehmen sind
ihre biotechnologische Aufstellung, wobei
vor allem die Sequenzier-, Array- und andere
Hochdurchsatztechnologien entscheidend
sind. Darüber hinaus spielt der Zugang zu
Biobanken eine immer größere Rolle und
nicht zuletzt die Kompetenz, identifizierte
Biomarker klinisch zu validieren. Letzteres
kann den Aufwand für die Biomarker-Entwicklung deutlich ausweiten. Wenn es darum
geht, die Aussagekraft der Tests bei individuellen Patienten nachzuweisen, kommt
dieser Aufwand unter Umständen der klinischen Medikamentenentwicklung nahe, was
erneut die Frage der Preise und der Erstattung aufbringt.
Biotech-Unternehmen können in diesem
„Setting“ klare Positionen besetzen und
haben Perspektiven für lukrative Geschäftsmodelle. Indem sie die biologienahen Kompetenzen der CDx-Entwicklung besetzen,
interagieren sie – wie bereits gewohnt –
eng mit Therapeutikaentwicklern. Darüber
hinaus gewinnen sie andere Partner im Bereich Diagnostik für die technische Entwicklung von Tests und deren Vermarktung.
Ein gutes Beispiel liefert Qiagen, das seine
Schwerpunkte stark auf den Bereich „Companion Diagnostics“ verlagert. In diesem
Prozess wurden einerseits eine ganze Reihe
von Allianzen mit Biotech-Firmen geschlossen, um Zugang zu validierten Biomarkern
zu erhalten (z. B. Insight Genetics, Drug
Response Dx, Personal Genome Diagnostics,
Pathway Diagnostics, Lepu Medical). Darüber hinaus wurden zu diesem Zweck auch
zwei Unternehmen (DxS und Ipsogen)
übernommen. Auf der anderen Seite hat
Qiagen mittlerweile für die gemeinsame
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Vermarktung der Diagnostik-Tests mit den
entsprechenden Medikamenten zahlreiche
Allianzen mit Pharma-Firmen etabliert
(z. B. Boehringer Ingelheim, AstraZeneca,
BMS, Eli Lilly / ImClone, Pfizer).
Ein deutsches Best-Practice-Beispiel bezüglich der Umsetzung seines Biotech-Know-how
im Feld „Companion Diagnostics“ liefert das
Berliner Unternehmen Alacris Theranostics.
Das Unternehmen hat sich auf die Entwicklung neuer Verfahren in der personalisierten
Medizin für Krebspatienten spezialisiert:
insbesondere in den Bereichen der Entwicklung von neuen Ansätzen der Diagnose,
Behandlung und Stratifizierung. Alacris verfolgt dabei einen systembiologischen Ansatz.
Der Einsatz von Transkriptom- und GenomInformationen, kinetischen Signaltransduktionsdaten sowie von Informationen aus
Mutations- und Medikamentendatenbanken
erzeugt ein „Virtuelles Patientenmodell“.
Dieses kann die Wirkung der medikamentösen und optimierten kombinatorischen
Behandlung vorhersagen und so die Stratifizierung von Krebspatienten und Verfahren
in der personalisierten Medizin unterstützen.
Ein zweiter großer Vorteil des ModCellTMSystems ist die Bildung von virtuellen klinischen Studien. Solche Studien erlauben die
In-silico-Analyse bekannter Medikamente
oder von Medikamenten, die noch in echten
klinischen Studien getestet werden müssen.
Dadurch können In-silico-Patientengruppen
oder genetische Profile und Krankheiten
identifiziert werden und so durch bestimmte
Medikamente gezielt behandelt werden.
Mit diesem Ansatz hat es das Unternehmen
inzwischen geschafft, sich international
zu positionieren. Eine Vereinbarung mit
GlaxoSmithKline (GSK) erlaubt dem PharmaUnternehmen die Nutzung von Alacris‘ proprietärem ModCellTM-System zur Medikamentenstratifizierung auf Basis von Daten
aus den Frühphasen der Krebsforschung.
GSK wird seine präklinischen biologischen
Daten aus einem Wirkstoffforschungsprojekt
im Bereich der Onkologie zur Verfügung
stellen und Alacris wird sein proprietäres
biologisches Modellsystem einsetzen, um
den Effekt eines Inhibitors in seinem „Virtuelle klinische Studien“-System zu charakterisieren. Außerdem wird der Technologieansatz durch das strategische Investment
von Qiagen geadelt, die sich Zugang zu
neuen Biomarkern erhoffen, um ihre Mole-
19
Perspektive
kulardiagnostik-Sparte weiter auszubauen.
Dieses Beispiel zeigt eindrucksvoll, dass
dieses Modell einer Biotech-Unternehmung
sowohl in direkten Partnerschaften mit
Pharma als auch mit großen Diagnostikfirmen interagieren kann. Die Mitgliedschaft
in mehreren wissenschaftlich-kommerziellen
Koalitionen untermauert die Position zusätzlich, z. B. die Personalized Medicine
Coalition (PMC), 2004 gegründet, mit dem
Ziel, die Entwicklung der personalisierten
Medizin voranzutreiben. Ferner auch die
ESPT (European Society for Pharmacogenomics and Theranostics), die sowohl an
allen Aspekten der Pharmakogenomik
interessiert ist, als auch an allen Ansätzen
zur Verbesserung der Bereitstellung von
Medikamenten für den richtigen Patienten
mit der richtigen Dosierung zum richtigen
Zeitpunkt. Alacris ist auch Partner des
OncoTrack-Projekts der Innovative Medicine
Initiative (IMI), einer öffentlich-privaten
Partnerschaft zwischen der Europäischen
Union und der European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations
(EFPIA). Innerhalb des Projekts sollen neue
Wege in der Diagnose und Behandlung von
Darmkrebs beschritten werden, indem durch
neue Methoden systematisch Biomarker der
nächsten Generation entwickelt werden.
Weitere Beispiele in ähnlicher Richtung –
wenngleich in ihrer Entwicklung erst am
Anfang – stellen Signature Diagnostics und
das CBC Comprehensive Biomarker Center
dar. Beide sind stark in DNA-Technologien
aufgestellt und wenden diese speziell für die
Identifizierung von Biomarkern an. Insgesamt operieren die genannten Unternehmen
vorwiegend noch in einem Service-Modell.
Die Chancen, sich als Partner für Pharmaoder größere Diagnostikunternehmen zu
etablieren, sind aber definitiv gegeben.
Gleichzeitig zeigen sich auch VC-Investoren
zusehends interessiert an diesem Modell,
wie getätigte Investments bestätigen. In
Deutschland erhielten die beiden Start-upUnternehmen Epivios und oncgnostics jeweils Gründungsfinanzierungen aus dem
High-Tech Gründerfonds und von lokalen
weiteren Investoren. Beide sind im Segment
der Biomarker-Identifikation und -Entwicklung tätig.
Schließlich bietet dieses Szenario auch die
Möglichkeit, auf Basis biotechnologischer
Wurzeln vollintegrierte Companion-Diagnostics-Unternehmen aufzubauen. Ein Beispiel
hierfür ist Agendia in den Niederlanden.
Nicht nur die 65-Millionen-US-Dollar-Finanzierungsrunde der auf onkologische Biomarker
fokussierten Biotech-Firma, sondern auch
der in dieser Runde dominierende strategische Investor Debiopharm dokumentieren
die Attraktivität für Investoren und gleichermaßen für Strategen.
20
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Perspektive
Alleinstellungsmerkmal und
Best Practice „Disease Detection &
Monitoring“
Eher die klassische Schiene der Molekulardiagnostik verfolgt ein dritter Ast von Diagnostikfirmen mit Tests zum Nachweis von
krankheitsrelevanten Faktoren, wie zum Beispiel Infektionserregern, Stoffwechselprodukten oder Blutwerten. Das von Seiten Biotech hier einzubringende Know-how bezieht
sich sowohl auf die Biologie der Targets als
auch auf die Technologie zu deren Nachweis.
Als absolut wichtigste Technologiebasis
steht hier die PCR im Zentrum der meisten
Anwendungen. Weniger ausgeprägt ist die
Nutzung von Gene Arrays. Beispiele für
Unternehmen, die mit PCR-Technologien
operieren, sind:
•A
mplexDiagnostics (Infektionen)
•A
nDiaTec (Infektionen, Thrombosen,
Stoffwechsel)
•A
ttomol (Infektionen)
•B
iotype Diagnostics (Dermatologie,
Hämatologie, Onkologie)
•C
arpegen (Paradontose)
Die Anwendungen zielen meist auf verschiedene Krankheitsfelder, allen voran bei
Infektionserkrankungen zum spezifischen
Nachweis von Erregern und deren zielgerichteter Behandlung. Ein weiteres an Bedeutung zunehmendes Feld hat sich im
Bereich der genetischen Testung in Bezug
auf Vaterschaften oder genetische Dispositionen und Krankheitsanlagen etabliert
(bj-diagnostik, DelphiTest, GENOLYTIC,
Galantos Pharma, humatrix, ID-Labor etc.).
Die Unternehmen in der Kategorie der
Krankheitsdetektion entscheiden den Wettbewerb am Markt mit weitgehend übereinstimmenden kompetitiven Faktoren:
•Z
eit des Tests bis zum Vorliegen des
Ergebnisses
•Z
uverlässigkeit des Ergebnisses
•T
estformate und Probendurchsatz
(z. B. Multiparameteranalysen)
• Leichte Standardisierbarkeit der Testverfahren
• Therapeutischer Mehrwert (z. B. gezielte
Therapie, schnellerer Therapiebeginn,
Dosierungshilfe)
Im Zuge der Abwendung der Venture-CapitalInvestoren von langwierigen und risikoreichen
Therapeutikaentwicklungen kam gerade
diese Sparte der Diagnostikunternehmen
„en vogue“, was sich an einigen Finanzierungsrunden der letzten Jahre zeigt:
• Curetis erhält 15,6 Millionen Euro von
einem Konsortium mit CD Venture, Forbion
Capital Partners, Roche Venture Fund
(Oktober 2011)
• Biocartis in der Schweiz erhält insgesamt
105,5 Millionen Euro von einem Konsortium vornehmlich aus Strategen (November
2011 und Folgefinanzierung im Dezember
2012)
• Lophius Biosciences erhält 1,4 Millionen
Euro von Bayern Kapital, S-Refit und HTGF
(Juli 2011)
• Sividion Diagnostics erhält VC-Kapital von
Creathor Venture, KfW und Rheinland VC
(August 2011)
• AyoxxA Biosystems erhält insgesamt
3 Millionen Euro VC-Kapital von privaten
Investoren zusammen mit Wellington Partners, HTGF, KfW und NRW.Bank (September 2012, Januar 2013)
Dennoch überwiegen in den Geschäftsmodellen noch Dienstleistungsangebote vor
der Herstellung und dem Vertrieb von
Test-Produkten.
Insgesamt gesehen kann für alle Teilsegmente der Diagnostikindustrie der zunehmende Einfluss von Biotechnologie konstatiert werden und die dort positionierten
Unternehmen können interessante Geschäftsmöglichkeiten finden. Wenngleich
sie sich, zumindest ad hoc, noch meist in
Abhängigkeit als „Zulieferer“ in Partnerschaften mit oder Kundenbeziehungen zu
großen Unternehmen (Pharma und Diagnostik) befinden, so stellen sich aufgrund
der kürzeren Entwicklungszeiten, der niedrigeren Risiken und Zulassungshürden die
Chancen auf eigenständige Positionierung
optimistischer dar.
Verteilung von Biotech-Firmen auf
Diagnostik-Kategorien
Eine Zuordnung der im Diagnostikbereich
tätigen Biotech-Unternehmen in Deutschland zu den hier beschriebenen Untersegmenten der Diagnostik zeigt, dass bereits
eine beachtliche Zahl an Biotech-Firmen im
Bereich „Companion Diagnostics“ Fuß gefasst hat (22 %) und ebenfalls das Segment
der Unternehmen, die sich dem Thema „Big
Data“ widmen (33 %).
Dennoch ist die Mehrzahl (45 %) nach wie
vor mit individuellen Testsystemen befasst,
dem eher klassischen Sektor der Diagnostikbranche.
Übersicht der deutschen
Tech@Companies im
Diagnostiksektor
n = 91
22 %
45 %
33 %
Disease Detection & Monitoring
Tech@BigData
Tech@CompanionDiagnostics
Quelle: Ernst & Young, 2013
Die derzeit aktive Diskussion über die Bewertung von Companion-Diagnostics-Produkten im Vergleich zu Medikamenten wird
die Attraktivität dieses Sektors weiterhin
steigern.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
21
Breiter denken – Biologisierung der Industrien und Bioökonomie
Die Breite des Biotech-Spektrums
Wenn von Biotechnologie und vor allem der
Biotech-Branche die Rede ist – zugegebenermaßen auch in den Ernst & Young Reports –
bezieht sich dies meist auf die medizinnahen
Bereiche. Jedoch wirken die Potenziale der
Biotechnologie deutlich breiter.
Unter dem Stichwort „Biologisierung von
Industrien“ hat sich auch in der öffentlichen
Wahrnehmung ein weit breiteres Spektrum
an Chancen eröffnet. Den „Bio-Technologien“
wird technisch dabei einiges zugetraut.
Experten aus Industrie und Wissenschaft
schätzen, dass bereits 2030 ein Drittel der
weltweiten industriellen Produktion aus biotechnologischen Prozessen stammen wird.
Bioprozesse sind nachhaltig und ressourcenschonend. Die entsprechenden Katalysatoren werden kostengünstig auf der Grundlage nachwachsender Rohstoffe generiert
und arbeiten unter milden Reaktionsbedingungen. In der Erkenntnis, dass diese technischen Möglichkeiten auch kommerziell
großes Potenzial haben können, ergab sich
der Begriff „Bioökonomie“.
legungen zumindest etwas zurück. Selbst
große Chemie-Unternehmen, die das Thema
„industrielle Biotechnologie“ bislang allenfalls in individuellen Fällen – und fast nur dann,
wenn deutliche Kostenvorteile gegenüber
Chemie-Prozessen vorlagen – einsetzten,
sind zum Umdenken bereit. Sie erkennen
dabei auch die technischen Fortschritte an,
die nicht mehr nur etablierte chemische
Prozesse ersetzen (z. B. Aminosäuren-,
Vitaminsynthese), sondern völlig neue
Produktklassen mit entsprechend neuen
Eigenschaften erschließen.
Nun gilt es, die wirkliche Bedeutung dieses
Technologiezweiges anhand einer breiteren
Palette von Anwendungsfeldern zu verdeutlichen und in diesen auch attraktive Geschäftspotenziale aufzuzeigen. Beispiele aus
der Biotech-Industrie und aktuelle konkrete
Entwicklungen, die Biologisierung auch
kommerziell im Rahmen einer echten Industrialisierung umzusetzen, unterstreichen
die Bedeutung der Bioökonomie-Initiative.
Die Zusammenstellung der Zielmärkte vermittelt einen guten Eindruck über die Möglichkeiten und Chancen, die sich für die Unternehmen der industriellen Biotechnologie
ergeben:
• Chemie-Industrie (Feinchemie, spezielle
chemische Reaktionen)
• Pharma-Industrie (Grundstoffe, Zwischenprodukte, APIs)
• Medizintechnik-Industrie (Tissue Engineering, biofunktionalisierte Implantate)
• Lebensmittel-Industrie (Lebensmittelzusätze, Lebensmittelverarbeitung)
• Futtermittel-Industrie (Enzyme, Futtermittelverarbeitung)
• Life-Science-Industrie (Forschungsenzyme)
• Verbrauchsgüter-Industrie (Waschmittelenzyme, Fleckenentfernerenzyme)
• Kraftstoff-Industrie (Bio-Raffinerie)
• Textil-Industrie (Lederbehandlung)
• Papier-Industrie (Zellstofflyse)
• Kosmetik-Industrie (biogene Inhaltsstoffe)
Biologisierung der Industrien
Als Treiber für die Biologisierungsbewegung
gelten vor allem:
• Technische Fortschritte in der Biotechnologie selbst
• Vereinfachung hochkomplexer chemischer
Verfahren durch einfachere biologische
Systeme
• Kosteneinsparung im Vergleich zu chemischen Prozessen
• Energieeinsparung im Vergleich zu chemischen Prozessen
• Gestiegene Bedenken gegen eine weiterhin
zu sorglose Ausbeutung der limitierten fossilen Brennstoffe als Basis für Verbrauchsgüter aller Art
• Gestiegenes Bewusstsein für den Umweltschutz (z. B. CO2-Emission)
Gegenüber den letztgenannten Argumenten
(Rohstoff-Ressourcen, Umweltschutz) treten
die vormals stärker kostengetriebenen Über-
KraftstoffIndustrie
VerbrauchsgüterIndustrie
MedizintechnikIndustrie
PapierIndustrie
PharmaIndustrie
Biotechnologie
LebensmittelIndustrie
ChemieIndustrie
FuttermittelIndustrie
KosmetikIndustrie
TextilIndustrie
Quelle: Ernst & Young, 2013
22
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Perspektive
Biotech „re-loaded“
Im Zusammenhang mit dieser breiteren
Betrachtung von Möglichkeiten sollte auch
die Definition der Biotech-Branche generell
neu überdacht werden. Als ein Segment
mit 400 oder 500 Unternehmen wird sie nie
ihr wahres Potenzial zeigen können, wenn
dazu nur die wirtschaftlichen Verhältnisse
dieser Kerngruppe von Unternehmen als Maß
herangezogen wird. Noch problematischer
gestaltet sich dies, wenn heute erfolgreiche
Entwicklungen der Biotechnologie durch
Aufkauf bei großen Unternehmen landen
und selten selbst an den Markt gebracht
werden. Nachhaltige, selbständige Unternehmen mit Entwicklungsmöglichkeiten bis
hin zu einem weltweit führenden Unternehmen sind kaum realistisch, wenn statt Börsengang und Wachstum in Eigenregie „Trade
Sale“ und damit Eliminierung des Unternehmens als weit wahrscheinlicher gelten.
Die Bedeutung der Biotechnologie sollte nicht
nur am Wert der Biotechnologie-Unternehmen an sich bemessen werden. Die Größe
und Zukunftsperspektiven der durch die
Biotechnologie in Zukunft stärker geprägten
Märkte muss künftig in die Bewertung mit
einbezogen werden.
Für die Pharma-Industrie – immerhin ein
knapp 900 Milliarden US-Dollar schwerer
Markt – wurde dies bereits ausführlich dokumentiert. Ohne Biotechnologie ist Innovation
hier kaum mehr vorstellbar. Allein die Rolle
der Biotech-Unternehmen ist nach wie vor
schwierig. Nur wenige sehr erfolgreiche
Unternehmen haben es tatsächlich geschafft,
eigene Produkte an den Markt zu bringen
und somit die entsprechende Wertschöpfung für sich in Anspruch zu nehmen; das
Gros partizipiert allenfalls teilweise über
Lizenzeinnahmen aus Allianzen oder kann
über Dienstleistungen indirekt am großen
Wertschöpfungstopf der Pharma-Industrie
teilhaben.
Die Frage danach, wie dies in den weiteren
Zukunftsmärkten – Ernährung, Energie,
Chemie, Kosmetik etc. – aussehen wird, lässt
sich leider aufgrund der kleineren Zahl von
Unternehmen, die die Felder außerhalb des
Gesundheitsmarktes bedienen, statistisch
kaum erörtern. Die Beschreibung von Best
Practice, wie sie bereits im letztjährigen
Report unter dem Titel „Maßgeschneidert“
angestoßen worden war, soll dennoch die
Wichtigkeit dieser Bestrebungen belegen.
Individuelle Erfolge zählen und dienen als
Rollenmodell für eine differenziertere Branchenentwicklung.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Industrialisierung der Biotechnologie
Das Blickfeld zu erweitern beinhaltet auch
einen weiteren Aspekt: Die zunehmende
Reife der „Bio-Technologien“ bedingt den
Eintritt in die nächste Phase der Entwicklung. Die bisher vor allem aus einem F&EBlickwinkel als Experimentierfeld wahrgenommene Branche bewegt sich sichtbar in
Richtung einer Industrialisierung. Anhand
von Technologieplattformen, wie denen von
MorphSys oder Evotec im medizinischen
Bereich, wurde dies im letzten Jahr bereits
adressiert. Aktuelle Entwicklungen, z. B. die
Neuausrichtung der BRAIN, zeigen dies nun
auch im Bereich der industriellen Biotechnologie auf. In diesem Zusammenhang zeigt sich
definitiv ein Weg zum nachhaltigen Erfolg.
Evotec und MorphoSys haben sich mittlerweile erfolgreich zu profitablen Unternehmen
gemausert, die gewichtige Partnerschaften
mit den großen Playern im Pharma-Bereich
aufweisen und über diesen Weg auch zu
eigenen Marktprodukten gelangen. Auch
für Unternehmen wie BRAIN zeichnen sich
Perspektiven ab, ihr biotechnisches Potenzial
in eigene Markterfolge umzusetzen.
23
Perspektive
Technologieplattformen für die
Biologisierung der Industrien
Naturstoffplattformen
In der logischen Reihenfolge einer Auflistung
von Plattformen um die Biokonversion stehen
die Naturstoffisolierer am Anfang. Unternehmen wie AnalytiCon Discovery bauen ihr
Geschäft auf Basis der Isolierung, Aufreinigung und chemischen Charakterisierung von
Naturstoffen auf. Weiterentwickelt dienen
diese dann als Grund- und Wirkstoffe in der
Lebensmittel-, Chemie- und Pharma-Industrie.
Biokonversionsplattformen
Die Kerntechnologieplattform der industriellen Biotechnologie stellt sich in untenstehender Abbildung am besten dar. Im Zentrum
steht die Biokonversion als zentrale Plattform für die Stoffumwandlung. Die Spezifität
der Prozesse und somit auch die Alleinstellung der Unternehmen beruht auf unterschiedlichen Substraten als Ausgangsstoffe,
spezifischen Katalysatoren und schließlich
dem unterschiedlichen Produktportfolio.
Kernpunkt jedoch bildet vornehmlich das
konkrete Know-how im Bereich der Katalysatoren. Sie steuern und determinieren die Biokonversion hinsichtlich Substratverwendung,
der spezifischen enzymatischen Reaktionen
und bzgl. des Produkt-Outputs.
Die Biokatalysatoren sind Mikroorganismen
oder bestimmte Enzyme aus diesen, die
einerseits in der natürlichen Vielfalt, andererseits heute bereits in einer fast beliebigen
Zahl durch genetische Manipulation gezielt
auf bestimmte enzymatische Leistungen
getrimmt bzw. selektioniert sind. Insofern
spielt heute die Expertise im Bereich der
mikrobiellen Genomforschung und dort vor
allem die Entschlüsselung und physische
Nutzung von Metagenomen (genetische
Basis der Stoffwechselwege) eine entscheidende Rolle.
• c-LEcta, Leipzig
• Cyano Biotech, Berlin
• Cysal, Münster
• DIREVO Industrial Biotechnology, Köln
• Enzymicals, Greifswald
• evocatal, Düsseldorf
• W42 Industrial Biotechnology, Marl
Die zentrale Bedeutung der Biokatalysatoren
ist auch in der Aufstellung der deutschen
Biotech-Unternehmen im Sektor „industrielle
Biotechnologie“ reflektiert. Die meisten sind
in der Tat spezialisiert auf die Identifizierung
oder das gezielte Genetic Engineering, um
mit neuen Enzymfunktionen ein breites Spektrum von Anwenderindustrien zu beliefern.
Allein die Vielfalt der unterschiedlichen
Enzymspezifikationen zusammen mit den
Einsatzfeldern macht den Begriff „Biologisierung von Industrien“ mehr als plausibel.
Zwischen den genannten Unternehmen gibt
es allerdings unterschiedliche Gewichtungen
in der Zielsetzung. Eine Gruppe stellt beispielsweise das Thema der Biomasse-Konversion und der Nutzung nachwachsender Rohstoffe in den Mittelpunkt (d. h. die Substratseite, z. B. aevotis, DIREVO Industrial Biotechnology). Insbesondere getrieben durch
die sich verbreiternden technischen Möglichkeiten, den Bedarf und die billigen Ausgangsstoffe wird dieser Bereich sicherlich an
Bedeutung zunehmen. Allerdings wird es
in diesem Umfeld auch darauf ankommen,
in der Diskussion der nachwachsenden Rohstoffe nicht weiter in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion zu stehen. Vielmehr
sollte die Verwendung von pflanzlichen Abfallprodukten in den Vordergrund rücken.
Biotech-Unternehmen in Deutschland mit
Fokus auf Biokatalysatoren sind u. a.:
• aevotis, Potsdam
• ASA Spezialenzyme, Wolfenbüttel
• BRAIN, Zwingenberg
Nach wie vor ist der größere Teil der Firmen
stärker an den Endprodukten und damit an
den Kundenmärkten orientiert. Sie richten
ihre Entwicklungsaktivitäten konkret an den
Wünschen der Kunden aus. Ein weiteres
Biokonversion als zentrale Plattform für die Stoffumwandlung
• Verfahrensparameter
• Verfahrensentwicklung
• Optimierung + Technologietransfer in die Produktion
Biokatalysatoren
Substrate
Produkt
Biokonversion
•A
uswahl des Rohstoffes + Analyse
der geeigneten Substrate
•A
ufreinigung des Substrats
•V
erfügbarkeit des Substrats für
industrielle Produktion
• Identifikation
• Isolation + Charakterisierung
• Expressionssystem
• Stammentwicklung
• Übertragung Labor auf Großanlage
•A
nalytik
•C
harakterisierung
•M
ustermengen
•A
ufreinigung
•A
nwendung
•V
ermarktungskonzept
Quelle: Ernst & Young, aevotis GmbH, 2013
24
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Perspektive
Differenzierungskriterium ergibt sich hierbei aus dem Vertiefungsgrad der Biokatalysatoren-Forschung. Während klassische Vertreter mit Naturisolaten arbeiten und dann
vor allem über das Screening auf neue Eigenschaften setzen (z. B. ASA Spezialenzyme),
nutzen modernere Ansätze vor allem die
Genominformationen zum gezielten gentechnischen Design maßgeschneiderter neuer
Enzymfunktionen (z. B. BRAIN, c-LEcta,
evocatal). Schließlich determiniert die Breite
der adressierten Zielmärkte (s. o.) die Wettbewerbsposition von Unternehmen.
Spezialisierte und hierfür eigens entwickelte
Mikroorganismen können in einer Allianz mit
RWE CO2-haltige Rauchgase aus Braunkohlenkraftwerken direkt als „Futter“ verwerten
und selbst bei einer Temperatur von 60 Grad
Celsius wachsen. Ziel der Forschungsallianz
ist es, Kohlendioxid mit Mikroorganismen in
Biomasse oder direkt zu Wertstoffen umzuwandeln (neue Biomaterialien, Biokunst-
stoffe und chemische Zwischenprodukte).
Am anderen Ende des Spektrums stehen
Innovationen im Kosmetikbereich in Zusammenarbeit mit MONTEIL Cosmetics. Das
Verstehen der molekularen Prozesse der
Hautalterung führte zur Entwicklung von
Cremes mit peptidischen Wirkstoffen, die
über die Hemmung der Capsaicin-Rezeptoren Hautreizungen verringern.
Ein Paradebeispiel für Unternehmen im
Bereich der industriellen Biotechnologie ist
BRAIN aus Zwingenberg mit Schwerpunkt
auf innovativen biotechnologischen Lösungen für Prozess- oder Produktanforderungen
in allen denkbaren Industrieanwendungen.
Dazu macht die von Wissenschaftlern und
Technikern dominierte Firma in einem einzigartigen Ansatz zur Entdeckung und Produktion neuer biologischer Wirkstoffe und
neuer Biokatalysatoren kreative Lösungen
aus der unerschlossenen Biodiversität verfügbar. Der Erfolg fußt auf einem proprietären Bioarchiv, bestehend aus Millionen
von Naturstoffen, Mikroorganismen, mikrobiellen Genen und Metagenom-Bibliotheken.
Die Kernkompetenz von BRAIN liegt in der
Etablierung neuer Biokonversionsprozesse –
immer motiviert durch existierende Bedarfssituationen bzw. Marktpotenziale. Meist erfolgt dann die technische Ausarbeitung im
industriellen Maßstab durch den Kunden
selbst oder in Partnerschaften mit BRAIN.
Mit über 70 Partnerschaften zur Technologieentwicklung in unterschiedlichsten Feldern erreichen die Zwingenberger ebenfalls
einen Spitzenplatz. Die Partner kommen
dabei aus vielen Industrien, allen voran der
Chemie: BASF, Ciba, Clariant, Evonik Degussa, DSM, Genencor, Henkel, Celanese / Nutrinova, RWE, Sandoz, Südzucker, Symrise
und weitere. In puncto Innovation und Anwendungsbreite war BRAIN von Anbeginn
ein Aushängeschild. Dabei reichen die „ungewöhnlichen“ Ideen von biotechnologischen Ansätzen zur Rauchgasentgiftung bis
hin zu Anti-Falten-Produkten.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
25
Perspektive
Plattformen für Anwendungsinnovationen
Neben dem Fokus auf Biokonversionsplattformen gibt es im Sektor der weißen Biotech auch Unternehmen, die sich in puncto
Umwandlung auf ein bestimmtes Verfahren
festgelegt haben und dann das resultierende Produkt in maximaler Breite durch nachgeschaltete Verarbeitungsprozesse vermarkten.
Das beste Beispiel hierfür liefert das Unternehmen AMSilk in Planegg bei München.
Hier hat die Natur für die Produktidee an
sich Pate gestanden: Spinnenseide und ihre
hervorragenden physikalischen Eigenschaften (Festigkeit, Dehnbarkeit, Variabilität,
Abbaubarkeit). Die Kernkompetenz von
AMSilk besteht darin, einen rekombinanten
Herstellungsprozess für Spinnenseideprotein im industriellen Maßstab entwickelt zu
haben. Die weiterführende Wertschöpfung
beruht in der Vielzahl der Einsatzmöglichkeiten. Unter dem Überbegriff „High performance materials inspired by nature’s blueprint“ stehen Hochleistungsmaterialien mit
optimierten Spezifikationen zur Verfügung.
Die Anwendungsbereiche reichen von der
Textil-Industrie („BioSteel“) über die Kosmetik-Industrie zur Medizintechnik (Zellkultur,
Tissue Engineering, Wundheilung).
Geschäftsmodelle für die industrielle
Biotechnologie
Das Gros der weißen Biotech-Unternehmen
gründet sich auf einer starken technologischen Basis. Neue Entwicklungen in der
Genomforschung zur Etablierung von Metagenombanken, die Ableitung innovativer
Biokonversionsenzyme sowie die auf labortechnischem Level ausgearbeiteten Prozesse stehen im Mittelpunkt. Da diese F&Ebasierten Unternehmen oft weder das Knowhow auf der Marktseite besitzen, noch die
großtechnische Herstellung im industriellen
Maßstab beherrschen, sind sie auf die Zusammenarbeit mit etablierten GroßindustrieUnternehmen angewiesen. Dazu kommt
auch, dass dieser Sektor nicht oder nur selten Beteiligungskapital anzieht und infolgedessen traditionell eher als Dienstleister
operiert.
26
Die zunehmende Reife des industriellen
Biotech-Sektors und auch die bessere Wahrnehmung des wirtschaftlichen Potenzials
(Stichwort „Bioökonomie“) führen immerhin dazu, dass inzwischen durchaus auch
lukrative Allianzen mit großen Playern geschlossen werden. Die zuvor aufgeführten
Unternehmen werden hier wiederum deutlich sichtbar (BRAIN, c-LEcta, DIREVO,
evocatal etc.). Dabei spielen sie jedoch eindeutig die Junior-Rolle als Zulieferer von
Produkten, Prozessen und Technologien.
Selbst das erfolgreiche Start-up AMSilk
erreicht nur über Partner seine Endmärkte.
Allein die Zahl der möglichen unterschiedlichen Märkte bedingt diese Aufgabenteilung, zumindest für ein noch so junges
Unternehmen.
BRAIN hat nun erstmals ein neues Modell
ins Spiel gebracht. Unterstützt von finanzkräftigen Investoren – dem Family Office
Putsch (ehem. RECARO Autositze) sowie
den MIG Fonds – wurde eine Strategie kommuniziert, die das Technologieunternehmen
nun direkt an die relevanten Wertschöpfungsketten bis zum Markt anbindet. Mit einem
Investitionsvolumen von 60 Millionen Euro
sollen erklärtermaßen Marktunternehmen
zugekauft werden, die die technischen
Lösungen aus der BRAIN-Technologiewerkstatt bis zum Markt entwickeln und dort mit
ihrer spezifischen Expertise und BranchenInsights auch erfolgreich verkaufen. So soll
es gelingen, den bisherigen Technologieschwerpunkt nicht aufzugeben, sondern mit
höherem Wert zu kommerzialisieren. Den
Anfang der jetzt offen kommunizierten Strategie hatte bereits das in den letzten Jahren
erfolgte Engagement zum Aufbau einer
durchgängigen Wertschöpfungskette im
Sektor Kosmetik markiert:
• 2009: Kauf der LH Schmidt ChemischKosmetische Fabrik als Produktionsfirma
• 2012: Kauf der Kosmetikmarke MONTEIL
als Marktpräsenz
Nach diesem Modell sollen weitere Wertschöpfungsketten unter BRAIN-Regie und in
direkter Anbindung an die Biokonversionsplattform entstehen.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Biotech-Rolle als „Impact-Factor“ in
unterschiedlichen Industrien
Aus der vorherigen Diskussion über Bioökonomie und die Biologisierung von industriellen Prozessen könnte auch eine weitaus
bedeutsamere Rolle für die Biotechnologie
entwickelt werden. Vor allem würde in
einem durch die Bioökonomie geprägten
Rollenverständnis die Branche vermutlich
wesentlich positiver erscheinen.
Dieser Ansatz müsste die zuvor genannten
Industrien gemäß ihrer gesamten Wirtschaftskraft (Umsatz) sowie ihrer zukünftigen Entwicklung darstellen und dies in
einen Bezug setzen mit bereits evidenten
Einflüssen und zukünftigem „Impact“ durch
Biologisierung bzw. Biotechnologie.
Noch offensichtlicher und wirksamer in der
öffentlichen Wahrnehmung wären aber vor
allem Biotechnologiebeiträge, die in den
modernen Life Style passen, wie beispielsweise:
• Umweltfreundliche Prozesse (Stoffeinsatz)
•R
essourcenschonende Prozesse (Biomasse
statt Öl)
•E
nergiesparende Prozesse (Biofermentation statt Chemieverfahren)
•N
atürlichere Kosmetik (natürliche Inhaltsstoffe mit klinisch nachgewiesenem Effekt)
•F
unctional Food / Futterstoffe / Kleidung
Eine Industrialisierungsstrategie für die weiße Biotechnologie
sich DSM und Evonik in positiven (und biologischen) Ausblicken; „LifeScience &
MaterialScience“ hier, „Health & Nutrition“
dort, werden die Wachstumscluster bezeichnet. Geld wird verdient, die Wachstumsraten sind zweistellig.
Dr. Holger Zinke,
Gründer / CEO BRAIN AG, Zwingenberg
Bottleneck
Marktumfeld und Geschäftsmodelle roter und
weißer Biotech-Unternehmen mögen sich
in vielem unterscheiden, haben aber eines
gemeinsam: Das Finanzierungsumfeld ist
für beide Gattungen nach wie vor schwierig.
Dies liegt klar nicht etwa an fehlenden Produktkonzepten, mangelnder Technologiereife oder konjunkturellen Zyklen. Es ist
schlichtweg das Fehlen von Exit-Perspektiven
für Investoren, welches zu einer paradoxen
Situation führt. Auf der einen Seite steht
eine seit zwanzig Jahren andauernde „biologische“ Revolution mit enormer branchentransformierender Kraft, auf der anderen
eine grenzwertige Finanzierungssituation
für Entrepreneure und ihre Unternehmen.
Biologisierung
In beiden Segmenten, rot und weiß, ist die
„Biologisierung“ der Zielbranchen fortgeschritten. Keine Pharma-Entwicklung ist mehr
ohne Biotech denkbar. Umsatz- und Gewinntreiber sind biotechnologische Entwicklungen
wie monoklonale Antikörper oder Cytokine.
Seit Jahren sind die Zulassungsstatistiken
„Biotech“-dominiert. Mit Biosimilars steht
nun auch der Generika-Sektor vor der biotechnologischen Revolution. Es wurde und
wird viel Geld mit biotechnologischer Innovation verdient. Im weißen Sektor bekennen
sich nun zunehmend auch Chemieunternehmen zu ihrem biologischen Segment:
Im November letzten Jahres übertrafen
Industrialisierung
Technologieunternehmen unterscheiden sich
von den oben genannten Branchenbeispielen
darin, dass sie keinen direkten Marktzugang
haben, mithin am „Market Pull“ nur indirekt,
namentlich über industrielle Entwicklungspartnerschaften, partizipieren können. Häufig,
und gerade in den Fällen des sich einstellenden Erfolges, werden die Unternehmen auch
ganz akquiriert. BRAIN hat als auf die weiße
Biotechnologie fokussiertes Technologieunternehmen mit seinen Investoren, der MIG AG
und dem Family Office Putsch, eine Industrialisierungsstrategie vereinbart, um gemeinsam
einen neuen Weg zu gehen: B2B- und B2CMarktzugänge werden geschaffen, um den
Wert von Entwicklungen unmittelbar zu realisieren. Diese Marktzugänge werden nicht
primär selbst aufgebaut, sondern über die
Akquisition von Unternehmen oder Unternehmensteilen erworben und mit vorhandenen Entwicklungen gespeist. Motivation für
diese Vereinbarung war zum einen natürlich
der Wunsch, nicht nur über Royalty-Modelle
an Produktinnovationen wertmäßig zu partizipieren. Zum anderen, wichtiger noch, um
Zeit zu sparen. Durch „Infusion“ von Entwicklungskandidaten in das Produktportfolio
von Unternehmen, die bereits im Markt präsent sind, kann entscheidend die Time-toMarket verkürzt werden. Dies hat große Auswirkung auf den Wert der Einzelprojekte und
des Gesamtunternehmens. Es ist nicht das
Ziel, die akquirierten Unternehmen zu assimilieren. Diese agieren als selbständige
Entitäten in den jeweiligen Märkten wie
Satelliten, mit unterschiedlichen Konzepten,
Standorten und Unternehmenskulturen.
JV-Konstruktionen sind ebenfalls im Fokus
dieser Strategie. Der Wert kann für BRAIN
und die Investoren anschließend durch Verkauf einzelner Satelliten realisiert werden.
Realisierung
Diese Strategie ist bislang in der BiotechBranche ohne direktes Vorbild. Doch hat sie
das Konzeptstadium bereits verlassen: als
erstes Maßnahmenpaket wurde, deutlich vor
der im November letzten Jahres bekanntgegebenen Finanzierungsrunde, ein B2C-Zu-
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
gang zum Kosmetikmarkt aufgebaut. Hierzu
wurden zum einen eine chemisch-kosmetische
Fabrik, die vor allem als Lohnhersteller, also
B2B tätig war und ist, zum anderen eine international sichtbare Marke über ein Joint
Venture (MONTEIL International GmbH) mit
der BRAIN verzahnt. Durch die nunmehr geschlossene Abbildung der gesamten Wertschöpfungskette konnten innerhalb kürzester
Zeit zwei neue Biotech-Linien konzipiert, entwickelt, produziert und in den Handel gebracht
werden. Beide Akquisitionen entwickeln sich
nach der Technologietransfusion operativ
erfreulich. Die Erfahrungen aus diesen mit
„Bordmitteln“ durchgeführten Transaktionen
bestärkten Management, Aufsichtsrat und
Aktionäre, auch größere Akquisitionen ins
Auge zu fassen und dies durch eine Finanzierungsrunde auch kapitalmäßig zu unterlegen.
Insights
Für die erste komplett geschlossene Wertschöpfungskette wurde ein komplexer, weniger durch Technologie als durch die Markenpositionierung geprägter Marktzugang
angegangen. Es wurde direkt der Konsument (besser: die Konsumentin) erreicht
und es ergeben sich für ein Technologieunternehmen eher ungewöhnliche „consumer
insights“, die sich aber fruchtbar und motivierend auf die Entwicklungskompetenz der
Bioactives-Technologieeinheit und auch auf
das Gesamtunternehmen ausgewirkt haben.
MONTEIL war insbesondere im US-Markt bis
in die siebziger Jahre als große Marke mit
der „Brand Heritage“ der aus Paris in die
USA ausgewanderten Modeschöpferin Germaine Monteil bekannt und für 80 bis 100
Millionen US-Dollar Umsatz gut. Dies wäre
nach heutiger Kaufkraft fast neunstellig. Bis
dahin ist indes noch ein Weg zu gehen.
Proof
Für BRAIN war es wichtig zu zeigen, dass die
Industrialisierungsstrategie von der biologischen Innovation in volumen- und wertschöpfungsmäßig stark skalierbare Märkte selbst im
B2C-Bereich im Grundsatz gangbar ist. In
der klassischen B2B-Spezialchemie, wo die
Mehrzahl der BRAIN-Entwicklungen aus den
drei Technology Units BioActives, Production
Strain Development und Enzyme Technologies ihre Anwendungen finden, könnten
künftige M&A-Maßnahmen einerseits weniger
komplex, andererseits aber volumiger sein.
www.brain-biotech.de
27
Von Brustimplantaten zur Textilfaser:
AMSilks Produktportfolio sorgt für breites Wachstum
Axel Leimer,
CEO AMSilk GmbH, Planegg/Martinsried
Am Anfang war die Faser
Spinnenseide hat Forscher schon seit langer
Zeit fasziniert. Der Faden des Spinnennetzes
ist eine der leistungsstärksten Fasern die es
gibt, mit einer dreifach höheren Belastbarkeit als Kevlar. Wer an Spinnenseide forscht,
forscht an der Faser. Zumindest war dies das
Credo der Seidenforscher, als wir unsere
Firma gründeten. Einen kommerziellen, skalierbaren Spinnprozess zu finden war jedoch
noch mit Risiko verbunden. Selbst große
Konzerne wie Dupont hatten hier schon aufgegeben. Thomas Scheibel, seinerzeit Forscher an der Technischen Universität München, hatte jedoch schon damals größere
Visionen. So startete er zusammen mit
einem Chirurgen aus Würzburg eine erste
Tierstudie, um den Effekt einer Spinnenseidenbeschichtung für Brustimplantate zu
testen. Die Studie war ein Erfolg.
Von der Bastelstube zum
Produktentwickler
Bei der Gründung der AMSilk, deren geistiger
Vater Scheibel ist, legten wir auch weiterhin
Wert darauf, breiter zu denken. Die Natur
hatte die Blaupause vorgegeben, die es galt
nachzuahmen und gleichzeitig auch zweckzuentfremden. So machten wir uns daran,
nicht nur einen skalierbaren Prozess für die
Faser zu finden, sondern auch die Eigenschaften der Seidenproteine für andere Zwecke
in der Medizintechnik, Dermatologie und
Pharmagalenik zu nutzen. Die Herstellung
28
des Grundmaterials durch Biotechnologie war
nur ein Mittel zum Zweck, wenn auch ein
Alleinstellungsmerkmal. Ziel war es immer,
ein Material- und Produktunternehmen zu
werden. Als wir Ende 2009, ein Jahr nach
Gründung, die ersten Kilogrammmengen
herstellten, wussten wir, dass wir nun auch
parallel mit der Entwicklung erster Anwendungen beginnen müssen.
Spinnenseidenfasern sind nicht mit Chemiefasern zu vergleichen, ihre Eigenschaften
sind anders und neu. Biosteel vereint hohe
Reißfestigkeit mit hoher Dehnbarkeit – wie
in der Natur. Neue Eigenschaften ermöglichen nicht nur verbesserte, sondern auch
neue Produkte! Damit ist Biosteel nicht in
einem reinen Verdrängungswettbewerb und
trotzdem ein Game Changer.
Die Weiterentwicklung der Seide
Thomas Scheibels Tierstudie wurde im größeren Stil wiederholt und brachte ein Proof of
Concept im Jahr 2012. Spinnenseide ist extrem gut verträglich, nicht immunogen und
verändert Oberflächen von Kunststoffen –
macht sie natürlicher. Kapselfibrose, Kapseldicke und Entzündung um das Implantat
konnten drastisch reduziert werden und Bindegewebe erscheint wesentlich normaler.
Das bringt neue Hoffnung für Patientinnen,
die auf Silikonimplantate setzen, und ist für
AMSilk ein großer Markt. Spinnenseide als
Material erlaubt eine breite Strategie. Nicht
eine einzige Eigenschaft, sondern die besondere und einzigartige Kombination von Eigenschaften eröffnete die Chance, breiter zu
planen als für eine klassische Plattformtechnologie. Als bisher einziger SpinnenseidenMaterialhersteller können wir vertikal mit
dem Produkt mitwachsen.
Vom Produktentwickler zum
produzierenden Unternehmen
Wir haben von Anfang an darauf gesetzt,
Lizenznehmern schlüsselfertige, voll skalierte
Herstellungsprozesse für Produkte liefern zu
können. Unser Geschäftsmodell sieht vor,
dass Partner für die Produkte und den Materialzugang einen Systempreis zahlen, der
von der jeweiligen Anwendung abhängt. So
werden Qualität und Preis für verschiedene
Anwendungen sehr unterschiedlich ausfallen.
Dass wir bei bestimmten Produkten auch in
der Entwicklung mit ins Risiko gehen, versteht sich von selbst. Dafür muss AMSilk
eine ständig Evolution durchlaufen: von der
Bastelstube zum Produktentwickler, zum
produzierenden Unternehmen – innerhalb
von vier Jahren. Unsere Mitarbeiter sind flexibel, entwickeln sich mit den Projekten und
das Team wird je nach Expertise ergänzt.
Das Management schafft dabei den Raum,
in dem Mitarbeiter Werte schaffen können.
Diversifizierte Endkunden
Große Wertsprünge werden in der Innovations- und Expansionsphase gemacht. Wer
sich auf ein einziges Produkt festlegt, kann
diese Phasen nur einmal durchschreiten. Für
AMSilk ergibt sich diese Möglichkeit sowohl
in der Medizintechnik als auch für Hochleistungstextilien mehrfach. Hierbei achten wir
aber darauf, Basistechnologien und Produktionsprozesse, die einmal etabliert sind, in
mehreren Produkten zu hebeln. Für den Erfolg zählt funktionierende Technik, aber auch
die richtige Strategie. Ein Vorteil für AMSilk
ist, dass mehrere Gesellschafter diese Phasen
als Unternehmer schon mindestens einmal
selbst durchlebt haben. Erfahrene Unternehmer als Gesellschafter – und insbesondere
auch als Investoren – zu haben, zahlt sich
hier aus.
Biosteel
Im März konnten wir Biosteel, die weltweit
erste industriell herstellbare Spinnenseidenfaser, vorstellen. Die mechanischen Eigenschaften kommen dem Spinnennetz gleich.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Gut finanziert in die weitere
Diversifizierung des Produktportfolios
Im Februar konnten wir eine dritte Finanzierung in Höhe von fünf Millionen Euro aufnehmen. Mit den zusätzlichen Mitteln wird die
Produktion in den Tonnenmaßstab gebracht
und die finale Optimierung der Faser in einer
Pilotanlage umgesetzt werden. Erste Medizinprodukte werden mit Partnern zur Zulassung
gebracht. AMSilk setzte von Anfang an auf ein
diversifiziertes Produktportfolio, um Risiko zu
streuen. Möglich wurde dies durch die breite
Anwendbarkeit des Materials, aber insbesondere auch durch die Ressourcen, die zur
Verfügung standen. Signifikante Fördermittel
vom Freistaat Bayern und dem BMBF, exzellente Kooperationspartner und Dienstleister,
motivierte Mitarbeiter, kompromissloser Fokus
und sicherlich auch ein wenig Glück trugen
dazu bei, diese breite Strategie umsetzen zu
können. Viele Faktoren waren vom Standort
abhängig. Auch hier hatten wir Glück.
www.amsilk.com
Durchdenken – Firmen auf solider Basis gründen
Firmenneugründungen mit
durchdachten Konzepten
Die wesentlichen Erfolgsfaktoren für BiotechFirmen müssen heute bereits in der Gründungsphase auf individueller Basis gründlich geprüft werden. Die allzu optimistische
Gründungswelle in Zeiten der Biotech-Blase
ist längst passé. Reichten früher schon vielversprechende Forschungsergebnisse, um
Investoren von einer Unternehmensgründung zu überzeugen, heißt heute die Devise:
Durchdenken, und zwar von A bis Z.
Heutzutage müssen nicht nur die wissenschaftlichen Daten stimmen. Der zukünftige
Markt muss von Anbeginn abgegrenzt und
Wachstumsprognosen in die Planung eingeschlossen werden. Ab wann wird sich das
Produkt / Projekt von selbst tragen? Welches
Geschäftsmodell wird angestrebt? Herrscht
Patentfestigkeit? Wie wird bis zum Breakeven finanziert? Auch pharma-ökonomische
Aspekte dürfen nicht außer Acht gelassen
werden. Kann das Therapeutikum einer Nutzenbewertung standhalten?
Belastbare Businesspläne müssen sich auf
einem harten Parkett gegen unzählige andere gute Forschungsergebnisse durchsetzen
und vor den Augen strenger Juroren standhalten. Was genau ist die Unique Selling
Position, das Alleinstellungsmerkmal? Generell gilt es, folgendes gut durchzudenken:
•S
olide Überprüfung der Geschäftsidee hinsichtlich technischer Machbarkeit, Kosten /
Finanzierung, Patentschutz, Marktbedarf /
Marktgröße, Umsatzpotenzial / Marktentwicklung, Wettbewerb etc.
• Selektive Auswahl der am besten geeigneten
Personen für Management und operative
Schlüsselaufgaben (sowohl die „Entrepreneure“ als auch Fachleute müssen gut gewählt sein und zusammen passen)
• Professionelle Ausarbeitung des Geschäftsplans unter besonderer Berücksichtigung der o. a. Kriterien und deren
quantitativer Umsetzung in Umsatz- und
Kostenprojektionen
• Frühzeitige Miteinbeziehung von ExitSzenarien
Die Gründer müssen Investoren nicht nur mit
der Idee der Unternehmung überzeugen,
sondern auch von sich selbst. Idealerweise
tun sich die jungen Naturwissenschaftler
schon von vornherein mit jungen Wirtschaftswissenschaftlern zusammen. Mehrere
Universitäten fördern diese Art der Zusammenarbeit bereits. In verschiedenen Startup-Initiativen, wie dem LSI (Life Science
Inkubator) oder dem HTGF (High-Tech
Gründerfonds), wird das zukünftige Gründerteam analysiert und bestmöglich mit den
fehlenden Kompetenzen ergänzt. Hier kommen unter Umständen auch Interim-Manager in Frage (vgl. Artikel von Alrik Koppenhöfer auf S. 30).
LSI
Der Life Science Inkubator (LSI) am Forschungszentrum caesar in Bonn stellt ein
neuartiges Modell zur Förderung von Forschungsvorhaben dar. Der LSI greift dabei
besonders früh in der Entwicklung eines
Unternehmens, nämlich bereits vor der
Gründung. Forschungsprojekte aus Therapie,
Diagnostik, Prävention und Rehabilitation
werden gezielt entwickelt und gefördert.
Ziel ist dabei die Finanzierungs- und / oder
Marktreife. Über einen eigenen Fonds werden darüber hinaus auch Geldmittel zur
Verfügung gestellt (weitere Informationen
im Artikel von Jörg Fregien auf S. 31).
Auch Forschungsinstitute selbst machen
sich Gedanken darüber, wie man Wissenschaft am Besten in Wirtschaft überführt.
Ascenion mit Spinnovator
Der Technologietransferpartner der Helmholtzund Leibniz-Gemeinschaften – Ascenion –
analysiert Technologiepotenziale und begleitet diese quasi als Coach und Sparringspartner in die Selbstständigkeit. Zudem
wurde mit dem Spinnovator ein neues Förderinstrument in Zusammenarbeit mit dem
BMBF und weiteren Investoren geschaffen,
welches Start-ups auch finanziell unter
die Arme greift. Das Förderinstrument für
gründungswillige Wissenschaftler wird von
Ascenion in enger Zusammenarbeit mit
dem Risikokapitalgeber Vesalius Biocapital
gemanagt und vom BMBF unterstützt. Projekte, die für den Spinnovator ausgewählt
werden, erhalten professionelle Unterstüt-
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
zung der Partner und bis zu 7,4 Millionen
Euro an Finanzmitteln, die in Abhängigkeit vom Projektfortschritt von Vesalius
Biocapital und dem BMBF bereitgestellt
werden (vgl. Artikel Christian A. Stein auf
S. 33).
Ein neuer Aspekt, der nun mit in die Biotech-Gründungsszene spielt, sind die „alten
Hasen“ der Branche. Mit dem Schatz an eigenen Erfahrungen versuchen sie nun jungen
Wissenschaftlern mit Rat, Tat und Finanzmitteln zur Seite zu stehen. Auch, weil ihnen
die Branche am Herzen liegt und sie nach
wie vor etwas bewegen wollen, engagieren
sich Größen wie Karsten Henco und Rainer
Christine nun auf der anderen Seite. Sie
versuchen die Spreu vom Weizen zu trennen
und können mit ihrem Erfahrungshintergrund
einschätzen, welches Team mit welcher Idee
in welchem Markt bestehen kann; wer Potenzial hat, auch in schwierigen Zeiten das Projekt „eigenes Unternehmen“ zu stemmen.
Nach erfolgreichen Firmengründungen und
-verkäufen – Henco mit Qiagen, Christine
mit amaxa – unterstützten sie die BiotechBranche zunächst als Business Angel. Heute
sind sie beide mit einem eigenen Fonds aktiv.
HS Life Sciences
Henco und Kollegen pushen seit 2008 LifeScience-Sprösslinge nicht nur finanziell über
den QureInvest II Fonds (insgesamt 70
Mio. €), sondern auch in Bezug auf Firmenentwicklung und Management. Bis jetzt ist
das Portfolio schon auf über sieben deutsche
und schweizerische Neugründungen im
Bereich Biotech und Medizintechnik angewachsen.
29
Interim-Management: Mit Erfahrung starten
Beratung bei Neugründungen
Wie und wo externe Unterstützung des Managements von Vorteil ist, interessiert zunehmend auch Investoren. Deutschlands
wichtigster Seed-Finanzierer, der High-Tech
Gründerfonds (HTGF), bietet bereits vor
seiner Beteiligung finanzielle Anreize, um
Coaches mit operativer Industrieerfahrung
in Neugründungen zu verankern. Darüber
hinaus bezuschussen auch regionale Fördergesellschaften und Institutionen die enge
Einbindung von erfahrenen Beratern bei
Neugründungen. Mit „Helmholtz Enterprise“
wurde ein Programm geschaffen, das potenzielle Gründer befähigt, ihr Vorhaben mit
Hilfe externer Unterstützung erfolgreich am
Markt zu positionieren.
Dr. Alrik Koppenhöfer,
LSCN Ltd., Heidelberg
Interim-Management als Alternative
In einer Zeit knapper finanzieller Mittel für
Biotech-Start-ups und schwieriger Anschlussfinanzierungen sind Unternehmensgründer
und Management besonders gefordert: Es
gilt, effektive und kosteneffiziente Lösungen
für zentrale Aufgabenbereiche des Unternehmens zu finden. Interim-Manager und
Coaches bieten hier Vorsprung durch Wissen, Erfahrung und Netzwerke. Als Macher
werden sie verstärkt nachgefragt, um Unternehmen nicht nur strategisch, sondern auch
operativ kompetent zu unterstützen. Die
Pharma-Industrie arbeitet seit Jahren mit
hochqualifizierten Interim-Managern. In der
deutschen Biotechnologie ist eine zögerlich
wachsende Nachfrage zu beobachten. Die
Einbindung von Interim-Managern bietet dabei gerade Unternehmensgründern und
KMU handfeste Vorteile:
• Produktorientierte Beurteilung von
Innovationen
• U
nvoreingenommener Vergleich vom
Stand der Technik und von Mitbewerbern
• O
bjektive Beurteilung der Marktchancen
und Markteintrittsbarrieren
• D
irekter Netzwerkzugang zu Kunden und
Entscheidungsträgern
Beratung in der frühen
Unternehmensphase
Kompetente Unterstützung kann auch kurzfristig durch externe Experten realisiert werden, die z. B. in der Gründungsphase selbst
als Interim-Geschäftsführer eingebunden
werden. So wird das Know-how der zumeist
technisch-wissenschaftlich orientierten
Gründer in Bezug auf Corporate und Business Development ergänzt, insbesondere
unter marktstrategischen und finanziellen
Aspekten. In dieser Rolle nutzen Experten
ihre Erfahrung, um gangbare Strategien zu
erarbeiten, Unternehmen mitzuführen,
Gründer zu managen und gegebenenfalls
durch weitere Expertisen zu verstärken.
Dazu zählt auch, die nötigen Ressourcen zu
beziffern und einzuwerben. Typische Aufgaben sind:
• Businessplan-Erstellung
• Erarbeitung von Entwicklungs- und Vermarktungsstrategien
• Operative Geschäfts- und Finanzplanung
• Business Development und Produktmanagement
• Ansprache von potenziellen Erstkunden,
strategischen Partnern und Investoren
Weitere praktische Hilfen sind die Einbindung von erfahrenen, externen Dienstleistern wie Patentanwälten, Anwälten im
Gesellschafts- und Handelsrecht, Steuerberatern, Webdesignern, etc.
Interaktion zwischen
Interim-Manager und Start-up
Die externe Managementunterstützung
sollte sich auf die Erstellung eines belastbaren Investment Cases und die Entwicklung eines marktfähigen Produktes fokus-
30
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
sieren und einen Überblick über alle anstehenden Aufgaben und ihre Prioritäten liefern. Dabei müssen die Erwartungen und
Verantwortlichkeiten der Erfinder, Gründer
und der übrigen Interessenvertreter in Übereinstimmung gebracht werden. Entscheidende Voraussetzung, um ein Unternehmen
erfolgreich zu platzieren, sind Vertrauen,
Verständnis und Einvernehmen zwischen
dem Interim-Manager, den Gründern und
allen anderen Interessenvertretern. Ist die
geplante Unternehmung nicht in der Lage,
die gewünschten Investitionen oder Kunden
zu akquirieren, sollte der Interim-Manager
dem Gründungsteam darlegen, wie die Geschäftsidee verbessert werden kann. Dabei
helfen die Erfahrung und der Abstand des
Interim-Managers, ggf. auch ein nötiges
„Nein“ oder sogar den Abbruch der Aktivitäten zu vertreten.
Finanzielle Anreize
Für Gründer und Investoren bieten InterimManagement-Lösungen zudem auch entscheidende finanzielle Vorteile:
• Transparent bemessene und vergütete
Leistungen
• Keine weiteren Arbeitgeberkosten
(Urlaub, Krankheit, Sozialkassen usw.)
• Teilhabe am Erfolg des Unternehmens ist
verhandelbar
• Flexible Gestaltung durch zeitliche oder
projektbedingte Befristung
• Vermeidung von kritischen Liquiditätsengpässen, da Rekrutierung von InterimManagern nach Bedarf
LSCN
Als Beratungsgesellschaft für Geschäftsentwicklung und Interim-Management hat
LSCN Ltd. durch seine Partner viele Referenzen in Start-ups und bei etablierten Biotech-Firmen. Es gibt Erfahrungen als akkreditierter „HTGF Coach“, als „bwcon Coach“
und als Interim-Manager im Rahmen von
„Helmholtz Enterprise“. Außerdem bietet
der LSCN Partner Talentmark Ltd. eine
internationale Vermittlung von InterimManagern. Dieses Angebot wird besonders
in Großbritannien und den USA, aber auch
verstärkt in Deutschland und im übrigen
Europa nachgefragt.
www.lscn.eu
Life Science Inkubator – Ein Nährboden für Start-ups
Ebenso wichtig ist die Teambildung, denn in
einem gewinnorientierten Unternehmen gestalten sich Zusammenarbeit und Zielsetzungen anders als in der Wissenschaft. Forschungsleiter, die zuvor regelmäßig und mit
Begeisterung im Labor standen, müssen als
Geschäftsführer diese Tätigkeiten oft an Mitarbeiter delegieren – was gar nicht so leicht
fällt.
Dr. Jörg Fregien,
Geschäftsführer Life Science Inkubator,
Bonn
Viele Ideen, begrenztes Kapital
Unternehmensgründungen in den Life
Sciences sind zu einem schweißtreibenden
Unterfangen geworden. Selbst bei bester
Vorbereitung ist es schwer, das nötige Kapital zu finden, um eine wissenschaftliche Entdeckung oder eine Technologie in ein marktfähiges Produkt weiter zu entwickeln. Dabei
standen noch vor zehn Jahren den gründungswilligen Wissenschaftlern alle Türen
offen, solange sie nur auf vielversprechende
Forschungsergebnisse verweisen konnten.
Heute dagegen herrscht ein harter Wettbewerb. Gute Gründungsideen gibt es viele, allerdings sind die Investoren wie auch industrielle Partner zurückhaltender. Sie wollen ihr
Anlagerisiko klein halten und stellen darum
deutlich höhere Ansprüche an potenzielle
Start-ups. Geht es nach ihnen, dann ist die
Idee möglichst schon zu einem marktreifen
Produkt gediehen und das Unternehmenskonzept dazu bereits bestens ausgearbeitet.
Erfolg aus einem ganzheitlichen
Gründungskonzept
Nun sind Wissenschaftler oft nicht mit dem
unternehmerischen Rüstzeug ausgestattet,
welches für eine Gründung nötig ist. Um erfolgreich zu sein, können sie sich nicht allein
auf die Qualität ihrer Produkte und Dienstleistungen verlassen. Vielmehr braucht es
einen unternehmerischen und ganzheitlichen
Ansatz – das Produkt muss am Markt auch
konkurrenzfähig, die Patente tragfähig sein.
Exzellente Forschung marktreif machen
Dieser ganzheitliche Ansatz ist die Arbeitsgrundlage des Bonner Life Science Inkubators (LSI). Wissenschaftler aus den verschiedenen Bereichen der Medizinforschung
finden hier die Zeit und die Ausstattung, ihr
Forschungsprojekt zu einem Produkt weiterzuentwickeln. Im Aufnahmeverfahren werden
alle Projekte ausführlich nach den Kriterien
Qualität des Forschungskonzepts, Marktfähigkeit, Belastbarkeit der Patente und Teamentwicklung begutachtet. Wichtig ist natürlich auch der herausragende wissenschaftliche Ansatz. Daraus muss sich jedoch ein
kommerzielles Geschäftsmodell entwickeln
lassen, denn sonst macht eine Ausgründung
keinen Sinn. Was darüber hinaus an Knowhow benötigt wird, lässt sich lernen. Entsprechend erhalten die Wissenschaftler am
LSI ein intensives, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenes Coaching. Die Arbeit am Bonner Inkubator wird durch das Bundesforschungsministerium und das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium mit bis zu
zwei Millionen Euro pro Jahr gefördert. Zum
Inkubator gehört außerdem ein Fonds, der
nach erfolgreicher Inkubation dem Start-up
eine Anschlussfinanzierung gewährt. Dieser
Fonds wird finanziert durch die NRW.Bank,
die Sparkasse Köln-Bonn, private Investoren
sowie die Max-Planck-Gesellschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft und das Forschungszentrum caesar.
Ausweitung und Regionalisierung
der Inkubatoridee
Insgesamt wurden im LSI bis jetzt neun Projekte aufgenommen, vier davon sind 2012
in der Transferphase angekommen. Aktuell
wurden bereits zwei Unternehmen gegründet, ein weiteres befindet sich kurz davor.
Die Epivios GmbH wurde im Juli 2012 etabliert und ist ein Kooperationsprojekt der LSI
Pre-Seed-Fonds GmbH, des High-Tech Gründerfonds (HTGF) und privater Investoren.
Epivios entwickelt ein Verfahren für die Früherkennung von Krebserkrankungen über
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
den Ansatz epigenetischer Veränderung von
Zellen – ein frühes Ereignis der Krebs-entstehung. Die BOMEDUS GmbH ist ebenfalls
eine Kooperationsgründung mit dem HTGF.
Unternehmensgegenstand ist die Entwicklung von neuen Behandlungsmethoden zur
Akuttherapie von Schmerzen unter Nutzung
modernster Technologien und gezielter Beeinflussung der „neuronalen Plastizität“. Die
VLP-Gruppe, seit 2009 am LSI, ist in der
Transferphase angekommen. VLP hat während der Inkubation eine „Medikamentenfähre“ entwickelt, die Wirkstoffe von der Blutbahn gezielt ins Gehirn transportieren kann.
Dadurch kann die Blut-Hirn-Schranke überwunden werden, was die Möglichkeit eröffnet,
Hirntumore oder MS direkt mit Medikamenten zu behandeln. Und: das Modell des LSI
macht Schule. In Dresden ist ein regionaler
Life Science Inkubator entstanden, und
in Göttingen wird ein Inkubator mit dem
Technologieschwerpunkt Photonik aufgebaut.
Forschungsrisiko durch gute Businesskonzepte ausgleichen
Mit seinem Schwerpunkt auf der Entwicklung tragfähiger Konzepte platziert sich der
LSI zusammen mit der Gründungsoffensive
GO-Bio in Bezug auf die Unternehmensphase
vor dem Förderinstrument „High-Tech Gründerfonds“. GO-Bio und LSI arbeiten dabei
synergistisch und zielorientiert. In Zukunft
wird der LSI diesen Transfer noch besser
durch ein Inkubatornetzwerk mit unterschiedlichen Technologien und Standorten begleiten, damit die in Deutschland herausragende
Grundlagenforschung nicht mehr im Ausland weiterentwickelt und zu kommerziellem
Erfolg gebracht werden muss.
Mut zum Transfer, aber mit
durchdachten Konzepten
Alle Förder- und Finanzierungsinstrumente
sind für die Biotech-Branche unverzichtbar,
gewährleisten sie doch den Transfer von der
Wissenschaft zu marktfähigen Produkten und
Technologien. Um in den Hochtechnologien
in der Spitzengruppe zu verbleiben, erfordert
allerdings noch mehr Mut bei der Umsetzung
von innovativen Ideen. Dass Forschung stets
auch ergebnisoffen und nicht immer von Erfolg
gekrönt ist, lässt sich durchaus aushalten,
wenn man, wie der LSI, darüber hinaus auf
solide unternehmerische Konzepte setzt.
www.life-science-inkubator.dee
31
Perspektive
science to market Venture Capital
Gegründet von Christine und ehemaligen
amaxa-Kollegen möchte der Fonds mit einer
Zielgröße von 100 Millionen Euro Unternehmen aus dem Life-Science-Bereich in ganz
Europa Risikokapital zur Verfügung stellen.
Auch hier wird dem Gründerteam Managementerfahrung zur Seite gestellt und sich
aktiv und strategisch mit der Unternehmensentwicklung beschäftigt.
Weitere Projekte sind in Planung. So feilt
Peter Heinrich, Vorstand der BIO Deutschland, an einem Coaching-Unternehmen,
Sinfonie Life Science Management; man darf
auf die Resultate gespannt sein. Prof. Carsten
Claussen, ehemals CEO von Evotec Technologies, heute CEO des European ScreeningPorts, initiierte die Gründung der VolksparkLabs in Hamburg. Zusammen mit Privatinvestoren stellt er Biotech-Start-ups die
Infrastruktur und das Netzwerk von erfolgreichen Life-Science-Unternehmen zur
Verfügung und betreut die Neulinge in dem
ehemaligen Gebäude von Evotec über die
ganze Bandbreite der Unternehmensentwicklung hinweg mit (siehe Artikel auf S. 34).
Qualität statt Quantität
An der Statistik der Unternehmensneugründungen sieht man deutlich, dass heutzutage
weniger gegründet wird als zu Zeiten, in
denen die VC-Töpfe voll waren und alles möglich schien. Von den 66 Firmen, die 2000
frisch in der Branche aufschlugen, existieren
heute noch 33 – elf Prozent haben im Zuge
von M&As den Besitzer gewechselt und
33 Prozent haben ihre Geschäftstätigkeit bereits wieder eingestellt. Nach 2001 sinkt die
Zahl der Start-ups deutlich und die Zeit wird
zeigen, ob die momentanen Ansätze zum
durchdachten Gründen nachhaltig sind und
in Zukunft zu erfolgreicheren Firmen führen.
Nichtsdestotrotz, nur wer sich gegen Widerstände durchsetzt, wird erfolgreich bestehen.
Auch wenn sich keine der aktuell agierenden
Start-up-Förderer für die eigene Idee begeistern lässt, sollten sich junge Gründer nicht
einschüchtern und von eventuellen Risiken
abschrecken lassen.
Deutschland benötigt Innovation mehr denn
je und die Visionäre der Branche haben dies
bereits verstanden und arbeiten an Initiativen
zur Unterstützung. Doch es braucht auch
Gründer, die mit Feuer und Flamme bereit
sind, ihre Idee umzusetzen – auch wenn
etliche Hindernisse auf dem Weg zum Erfolg
liegen bzw. ein Scheitern nicht ausgeschlossen werden kann. Um es mit den Worten
eines der wohl berühmtesten Firmengründer, Steve Jobs, zu sagen: Stay hungry, stay
foolish.
32
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Neue Meilensteine für den Technologietransfer: Ascenion
Christian A. Stein,
CEO Ascenion GmbH, München
Neue Aufgaben für den Technologietransfer
Der Wissenschafts- und Technologietransfer
im akademischen Raum hat sich in den vergangenen zehn Jahren erheblich gewandelt.
Bis 2000 genügte es im Allgemeinen, Erfindungen zu scouten, schutzrechtlich abzusichern und mit der Industrie zu verpartnern –
sei es durch Kooperation, Lizenzierung oder
Optionierung. Zunächst vereinzelt, später
immer häufiger, wurden auch Spin-offs begleitet und zusehends setzte man sich im Technologietransfer mit dem Thema Beteiligung
auseinander. Inzwischen werden Hochschulen und Forschungseinrichtungen ermutigt,
selbst Unternehmensbeteiligungen an Spinoffs zu nehmen und zu managen, obwohl das
für das Beteiligungsmanagement erforderliche Know-how und die damit verbundenen
wirtschaftlichen Risiken erheblich sind. Ob
mit Investitionen in wagniskapitalfinanzierte
Spin-offs und mit der Durchführung von Beteiligungsmanagement Ressourcen im akademischen Bereich richtig eingesetzt sind, darf
hinterfragt werden. Eine sinnvolle Alternative ist die Auslagerung dieser Aktivitäten in
Stiftungen und ihre vermögensverwaltenden
Einheiten, welche in Deutschland noch immer
zu wenig genutzt wird.
Seed-Fonds für frühe Projekte?
Eine kritische Tatsache bleibt, dass mindestens zwei Drittel aller patentierten Erfindungen zu weit von der Anwendung entfernt
sind, um einen Partner in der Industrie zu
finden oder in Spin-offs ausgegründet zu
werden. Die Hoffnung, dass Risikokapitalgeber diese Lücke durch spezielle Seed-Fonds
füllen würden, hat sich in mehr als einem
Jahrzehnt nicht erfüllt. Spätestens die
Kauffman-Studie 2012 „We have met the
enemy… and he is us“ hat uns diesbezüglich
letzter Illusionen beraubt. Mit den bisherigen
Strukturen und Mechanismen im Fonds-Geschäft sind frühe Entwicklungen akademischer
Projekte, ganz besonders im Therapie- und
Diagnostikbereich, kaum rentabel darstellbar.
Das liegt an dem extrem ungünstigen Risikoprofil der Projekte, mit denen wir arbeiten. Im
Therapiesegment liegen die Erfolgschancen
im sehr niedrigen einstelligen Bereich. Das
Zauberwort für die Partnerfindung heißt
daher: De-risking. Wir müssen akzeptieren,
dass Lizenznehmer und Investoren ein tragbares Risikoprofil benötigen, um in die Projektentwicklung einzusteigen. Ascenion und
viele andere Akteure im Technologietransfer
haben deshalb Instrumente entwickelt, mit
denen man das Risiko teilen oder reduzieren
kann, um das Potenzial früher Projekte besser
zu entfalten.
De-risking-Initiativen
Ascenion verfügt heute über eine eigene
Spin-off- und Equity-Abteilung, aus der wir
Gründer und ihre Projekte Schritt für Schritt
unterstützen, praktisch und strategisch.
Gemeinsam erstellen wir Entwicklungspläne,
kalkulieren Kosten, finden Drittmittel, Soft
Money und andere Finanzierungsmöglichkeiten und vermitteln geeignete Partner.
Dabei kooperieren wir mit dem Life Science
Inkubator (LSI), dem Lead Discovery Center
(LDC GmbH), der Vakzine Projekt Management (VPM GmbH) und vielen anderen, um
die Klippen in der präklinischen Entwicklung
besser und günstiger zu umschiffen.
Spinnovator: Life Science into Business
Mit dem „Spinnovator“ haben wir außerdem
ein intelligentes Instrument geschaffen, das
erstmals in Deutschland öffentliche Fördermittel mit privatem Risikokapital und spezifischer Expertise kombiniert, um frühe Projekte aus den Bereichen Therapie, Diagnostik,
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Ernährung und Medizintechnik über Startups zu entwickeln und zu finanzieren. Das
Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) und Vesalius Biocapital Partners
haben die Initiative mit auf den Weg gebracht.
Zahlreiche Investoren sind inzwischen als Partner dazu gestoßen (BioGeneration Ventures,
Creathor Venture, Forbion Capital Partners,
Peppermint VenturePartners und TVM
Capital). Unsere 22 Partnerinstitute der
Helmholtz- und Leibniz-Gemeinschaft und
medizinischen Hochschulen können damit
frühe Projekte effizienter und mit höherer
Wertschöpfung voranbringen, und Risikokapitalgeber können bei reduziertem Risiko
einsteigen. Solche Initiativen ergänzen bewährte Instrumente wie das exzellente Förderprogramm GO-Bio und den High-Tech
Gründerfonds (HTGF), der heute ohne Zweifel der wichtigste Risikokapitalgeber im frühphasigen Hochtechnologiebereich ist. Ganz
Europa beneidet uns um solche Instrumente.
Bleibende Herausforderung
Doch all dies reicht nicht aus, wenn wir die
zwei Drittel ungenutzter „Schätze“ heben
wollen, die in akademischen Schutzrechtsportfolios schlummern. Nicht jedes Projekt
wird halten, was es verspricht. Aber auch
das muss Aufgabe neuer Validierungsinstrumente sein: herauszufinden, was funktioniert
und was nicht. Dabei ist es wichtig, rigide
Abbruchkriterien und Meilensteine zu implementieren, um Ressourcen nicht unnötig zu
vergeuden. Einige sehr erfolgreiche Ansätze
hierzu gibt es seit geraumer Zeit im Forschungsförderungs- und im WagniskapitalSegment. Gemeinsam mit unseren Partnern
im Technologietransfer, in der Forschung,
Industrie, Politik und Investmentbranche
arbeiten wir intensiv daran, unser Wissen
und unsere Erfahrung zusammenzuführen,
um den Technologietransfer zu unser aller
Nutzen weiter zu verbessern. Noch sind wir
weit davon entfernt, auch nur die Hälfte
aller „Schätze“ ans Licht zu bringen. Dies
ist unser nächster Meilenstein.
www.ascenion.de
33
VolksparkLabs – Eine Privatinitiative
zur Förderung von Life Science
Stiftungshauptstadt Deutschlands in guter
Hamburger Tradition. Firmen wie Evotec AG,
Indivumed GmbH oder Cell Culture Service
GmbH konnten mit privaten Hamburger
Investoren ihre Gründungen durchziehen.
Prof. Dr. Carsten Claussen,
Initiator der VolksparkLabs,
CEO European ScreeningPort GmbH,
Hamburg
Raum für Gründer und Forscher abseits
der üblichen Modelle
Im Hamburger Westen werden im Herbst
2013 die VolksparkLabs eröffnet. Sind diese
ein weiteres Technologie- und Gründerzentrum für Norddeutschland? Eher nicht. Es
handelt sich vielmehr um eine Privatinitiative,
die Raum und laufenden Betrieb für Gründer
und Forscher anbietet, damit diese inhaltlich
in ihrer Firmenentwicklung begleitet werden.
Die direkte Interaktion der Mieter ist das
angestrebte Erfolgskriterium.
Hamburg hat Potenzial, ist aber noch
lange kein Leuchtturm
Hamburg ist nicht unbedingt als Hochburg
der Wissenschaft bekannt. Die großen Exzellenzwellen der vergangenen Jahre sind
an der Stadt vorbeigerollt. Auch die angewandte Forschung und die Interaktion zwischen den Universitäten und der Industrie
sind in Hamburg nicht vergleichbar ausgeprägt wie an anderen Standorten. Wie sagte
doch ein alt eingesessener Hamburger Unternehmenslenker, als ihm eine Beteiligung
an einem Biotech-Start-up vorgeschlagen
wurde: „uns gibt es in fünfter Generation und
wir haben bisher noch nie ein Forschungsprojekt gebraucht“. Nichtsdestotrotz, die
Life Science Community ist lebendig und es
gibt einige herausragende industrielle und
wissenschaftliche Player an der Elbe. Auch
befindet sich die private Initiative in der
34
Vorbilder: Zuliefererparks der Automobilbranche und Medienbunker in St. Pauli
Als Blaupause für die VolksparkLabs haben
sich die Initiatoren nicht an den BiotechGründerzentren der Republik orientiert,
sondern an den Zuliefererparks der Automobilbranche, und dieses Konzept auf die
Anforderungen der Life Sciences skaliert.
Mit dem Medienbunker hat der Hauptinvestor bereits eine komplizierte Immobilie –
einen denkmalgeschützten Hochbunker mit
16.000 m2 im Stadtteil St. Pauli – so entwickelt, dass dort ein mehr als lebendiger
Betrieb stattfindet, der in den letzten Jahren
eine Vollvermietung mit ca. 30 verschiedenen
Mietern vorweisen kann – auch ein Modell.
12.000 m2 Innovationscampus in den
ehemaligen Hallen Evotecs
Vor diesem Hintergrund wurde das Konzept
für die VolksparkLabs entwickelt. Die Chance,
eine etablierte und funktionsfähige Laborinfrastruktur zu nutzen, ergab sich durch
Evotecs mutige unternehmerische Entscheidung, den mehr als beeindruckenden Manfred Eigen Campus zu entwickeln – das ehemalige Eli-Lilly-Forschungszentrum. Dieser
Schritt ist auch ein Indikator für den Wandel
der Wertschöpfungsketten in der Medikamentenentwicklung zwischen Pharma und
Biotech. Am ehemaligen Standort von Evotec
stand somit eine etwas in die Jahre gekommene Immobilie zur Verfügung. Mit einem
millionenschweren, privat finanzierten Innovationsprogramm wird ein moderner Campus
mit 12.000 m2 geschaffen, der im Herbst
2013 vollständig bezugsfertig sein wird. Der
Campus wird sich weniger durch spektakuläre Architektur auszeichnen, sondern eher
durch intelligentes Bauen im Bestand. Gegenüber Gründerzentren mit eindrucksvollen
Foyers, Konferenzebenen und Kindertagesstätte ist die Nachbarschaft das wichtige
Merkmal.
In guter Nachbarschaft mit PerkinElmer
und dem ESP
Das Konzept wurde maßgeblich von den beiden Firmen PerkinElmer Inc. und European
ScreeningPort GmbH erarbeitet und beide
haben sich langfristig für diesen Standort
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
entschieden, womit schon drei Viertel der
Kapazität ausgelastet sein wird. PerkinElmer
Inc. wird sein europäisches R&D-Zentrum
sowie seinen Geschäftsbereich Automatisierung in den VolksparkLabs ansiedeln. Der
European ScreeningPort hat seine neuen
Labore in den VolksparkLabs bereits bezogen.
Aus den Geschäftstätigkeiten dieser Ankermieter ergeben sich die naheliegenden Felder
der Gründungsfirmen: Instrumente, Tools,
Assays und Informatik für den Forschungsmarkt.
Attraktivität der VolksparkLabs:
Infrastruktur und Networking
Bereits heute werden ca. zehn Unternehmen
und Gründungsteams betreut, wobei die
Spannweite der Betreuung von Businessplan-Coaching und Organisation von Roadshows zur Investorensuche über die Unterstützung im Labor mit Applikationen und
Proof-of-Concept-Studien bis hin zum Vertrieb
und sogar Aufträgen reicht. Was macht die
VolksparkLabs für die Gründer attraktiv?
Natürlich die vernünftige Infrastruktur, so
dass sich die Gründer auf die Umsetzung
ihres Geschäftsplans konzentrieren können
und nicht durch den Aufbau der Infrastruktur abgelenkt werden. Die Ratschläge, der
Austausch mit den Mitarbeitern der anderen
Mieter und die aktive Einbindung in die Besucherströme im Haus werden als befruchtend und als aktives, nachhaltiges Networking
angesehen. Nicht zuletzt soll die Nähe zur
industriellen Wirklichkeit die Gründer sehr
früh auf die Anwendung und die Darstellung
des Kundennutzens fokussieren. Ein ganz
praktisches Beispiel ist die Vorfinanzierung
von Förderbescheiden, die von der DKB
Bank in den VolksparkLabs angeboten wird.
Fahrt aufnehmen
Die Ansiedlung einer Fraunhofer-Einrichtung
für Screening und Drug Discovery, die im
Sommer 2013 ihren Betrieb aufnehmen soll,
ist ein weiterer Schritt, die VolksparkLabs zu
einem Anwendungszentrum zu entwickeln.
Es besteht daher Hoffnung, dass das geflügelte Wort von fürsorglichen Hamburger
Vätern Vergangenheit ist: „wer zu dumm
zum Kaffeehandel ist, wird Wissenschaftler“.
www.screeningport.com
Zusammen denken – Präkompetitive Kollaborationen werden relevanter
Neue Ansätze für komplexe
Herausforderungen
Im letztjährigen globalen Biotech-Report
„Beyond borders 2012“ war erstmals das
Thema der „präkompetitiven Kollaborationen“ angesprochen worden. Die zunehmende
Komplexität der medizinischen Fragestellungen in Bezug auf Krankheitsursachen
und Behandlungsansätze einerseits, andererseits aber auch die immensen Kosten der
medizinischen Forschung haben ein Konzept –
HOLnets = Holistic Open Learning Networks –
zur Diskussion gestellt, nach dem alle beteiligten Parteien – Akademie, Biotech,
Pharma, und Ärzte – ihre Kräfte bündeln,
um gemeinsam die Komplexität eines Themas zu bewältigen. So werden inbesondere
Unternehmen, die üblicherweise Wettbewerber sind, zu Team-Playern – ein Szenario,
das sowohl gravierende Vorteile aber auch
Einschränkungen mit sich bringt.
Einzelbeispiele belegen dieses Konzept, auch
wenn die Grenze zwischen „prä-“kompetitiv
und „non-“kompetitiv schwierig zu ziehen ist.
Beispielsweise sind Initiativen von PharmaUnternehmen hinsichtlich einer gemeinsamen
Qualifizierung von klinischen Zentren sehr
hilfreich und effizient; ebenso die gemeinsame Entwicklung von Technologien für die
Therapeutikaentwicklung. Für Durchbrüche
aus präkompetitiver Zusammenarbeit, die
insbesondere auch die Innovationskraft von
Biotech-Unternehmen mit einbeziehen,
scheint die Zeit in der Tat noch nicht reif.
Insofern schweift der Blick inzwischen mehr
in Richtung von Kollaborationen zwischen
Akademie und kommerziellen Partnern, die
vielfach durch Förderinitiativen unterstützt
werden, wie z. B. durch die Programme der
Innovative Medicines Initiative (IMI), einer
öffentlich-privaten Partnerschaft zwischen
der Europäischen Union und der European
Federation of Pharmaceutical Industries and
Associations (EFPIA). Beispiele für IMI-Projekte, an denen sich neben Pharma-Wettbewerbern und akademischen Institutionen
auch deutsche Biotech-Unternehmen beteiligen, sind die folgenden:
• OncoTrack: Ziel ist die effizientere Entwicklung von Biomarkern der nächsten
Generation (Alacris Theranostics, Berlin).
• PreDiCT: Die Entwicklung von neuen
Modellen für die präklinische TargetBewertung soll eine bessere Vorhersage
der Wirksamkeit gegen solide Tumore
ermöglichen (Oncotest, Freiburg).
• RAPP-ID: Das Projekt hat das Ziel,
schnellere Point-of-Care-Tests für die
Diagnose von Infektionen zu entwickeln
(LIONEX, Braunschweig).
In unserer globalen Umfrage wurden die
Teilnehmer zu ihrer Meinung zu diesem
Thema befragt. Immerhin zeigte sich dabei,
dass das Thema der präkompetitiven Allianzen insgesamt durchaus positiv belegt ist.
In Europa – diese Angaben sind für Deutschland deckungsgleich – haben 65 Prozent
der Befragten angegeben, dass sie diese
Aktivitäten sehr positiv sehen und auch aktiv
daran beteiligt sind. Demgegenüber sind die
Befragten in den USA weniger mit diesem
Thema befasst. Nur etwa 48 Prozent sind
hier engagiert; die Mehrheit hält es eher für
unwahrscheinlich, dass hier Durchbrüche
zu erwarten sind.
Interessant in jedem Fall sind die konkreten
Aussagen, welche Vorteile in diesen Allianzen gesehen werden und warum möglicherweise die Umsetzung ehrgeiziger präkompetitiver Zusammenarbeit noch mit Bedenken
einhergeht.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Für Europa inklusive Deutschland werden an
vorderster Front (42 %) als Vorteil der größere Einfluss auf Zulassungs- und Erstattungsbehören gesehen, wenn durch gemeinsam
erarbeitete Ergebnisse ein breiterer Konsens
entsteht, Behörden zum Teil sogar mit einbezogen sind und diese somit bessere Entscheidungsgrundlagen haben. Weitere 40
Prozent der Befragten sind davon überzeugt,
dass zusammen mit anderen Partnern komplexe wissenschaftliche und technologische
Fragestellungen (30 %) effizienter aufgeklärt
werden können; der offene Austausch von
gemeinsam eruierten Daten (13 %) ist dabei
ebenfalls ein wichtiger Vorteil. An dieser
Stelle ist wohl eine typische Biotech-Haltung
zum Ausdruck gebracht; im Biotech-Sektor
ist die Einstellung zu Themen wie „Open Innovation“ sicherlich positiver als dies bei traditionellen Pharma-Unternehmen der Fall ist.
Schließlich gehen immerhin 14 Prozent davon
aus, dass durch die Integration in solche Netzwerke auch der Zugang zu Kapital verbessert wird. Dies ist durch zweierlei Aspekte
begründet: Zum einen fließt den Konsortien
der geförderten Initiativen direkt Kapital
(ohne verwässernden Effekt) zu, zum anderen können die Netzwerke als solche als ein
Qualitätssiegel erachtet werden, was für
potenzielle Investoren positiv wirkt. Dieses
Bestreben bringt sich auch darin zum Ausdruck, dass einige Unternehmen angaben,
durch die Teilnahme an präkompetitiven
Netzwerken ihre Visibilität verbessern zu
wollen.
Gegenüber diesen Vorteilen werden aber
auch ebenso deutlich Einschränkungen und
Nachteile offengelegt. Hier dominiert erwartungsgemäß die ungeklärte Frage nach der
Zuordnung von Schutzrechten aus gemeinsamen Aktivitäten, insbesondere wenn es
nach einer präkompetitiven Phase auf einer
kommerziellen Schiene weitergeht. Rund
55 Prozent haben diesbezüglich große Vorbehalte. Ein Drittel der Befragten glaubt auch,
dass diese Allianzen nur eingeschränkte Rollen für kleinere Unternehmen bereithalten,
35
Perspektive
während vornehmlich die Pharma-Unternehmen dominieren und profitieren, weil sie
natürlich auch stärker zur Finanzierung beitragen. Ein geringer Teil (11 %) glaubt gar,
dass durch die Zusammenführung von Pharma und Akademie auf Biotech sogar gänzlich verzichtet werden könnte. Ein weiterer
Nachteil, der darüber hinaus in diesem Kontext genannt wurde, ist der hohe zeitliche
sowie administrative Aufwand, der mit einer
solchen Zusammenarbeit verbunden ist.
Diese Ansichten werden bei Befragten in
den USA hinsichtlich der Vorteile genau
gleich eingeschätzt; bzgl. der Vorbehalte
fallen die IP-Belange eher weniger ins Gewicht (nur 44 % vs. 55 % in Europa) wohingegen in den USA noch stärker (42 % vs.
33 %) davon ausgegangen wird, dass diese
Initiativen den Großen der Branche vorbehalten sind.
Engagement in präkompetitiven Kollaborationen in Europa größer als in USA
Anteil der Antworten, Mehrfachnennungen möglich
Engagement in präkompetitiven
Kollaborationen (n = 259)
Genannte Vorteile (n = 655)
Genannte Nachteile (n = 371)
1 %
2 %
Europa
8 %
14 %
11 %
29 %
24 %
42 %
13 %
54 %
33 %
15 %
30 %
24 %
Engagement in präkompetitiven
Kollaborationen (n = 139)
Genannte Vorteile (n = 335)
Genannte Nachteile (n = 209)
1 %
USA
11 %
4 %
14 %
16 %
13 %
14 %
43 %
43 %
16 %
40 %
21 %
40 %
24 %
Bereits implementiert
Sehr wahrscheinlich
Wahrscheinlich
Unwahrscheinlich
Sehr unwahrscheinlich
Größere Einflussnahme
auf Behörden und Regularien
Effizientere Adressierung
wissenschaftlicher
Fragestellungen
Zugang zu gemeinsamen Daten
Zugang zu Kapital
Sonstige
IP-Belange
Eingeschränkte Rolle
für kleinere Unternehmen
Skipping Biotech
Sonstige
Quelle: Ernst & Young, 2013
36
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Perspektive
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
37
Kennzahlen der
deutschen
Biotech-Industrie
38
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Zahlen und Fakten im Überblick
Kennzahlen der deutschen Biotech-Industrie
2011
2012
11/12
406
403
– 1 %
9.932
10.017
1 %
1.085
1.128
4 %
780
727
–7 %
Allgemeine Kennzahlen
Anzahl Unternehmen
Anzahl Beschäftige
Finanzdaten (in Mio. €)
Umsatz
F&E-Ausgaben
• G
eringer Rückgang der Unternehmensanzahl um 1 %
• M
itarbeiterzahlen übersteigen
10.000er-Marke, Umsätze mit
leichtem Aufwärtstrend, F&E-Ausgaben rückläufig
• D
ie Detailanalyse liefert Erklärungen für diese gegenläufigen Entwicklungen
Quelle: Ernst & Young, 2013
Fluktuation bei deutschen Biotech-Unternehmen
• H
inter der relativ stabilen Unternehmensstatistik steht eine
Dynamik aus 16 Ausschlüssen
und 13 Neuaufnahmen
Anzahl Firmen
30
2
25
20
15
6
• D
ie 4 Akquisitionen werden im
Kapitel „Transaktionen“ näher
beleuchtet
10
6
5
3
2
4
3
10
5
12
0
32
2008
Insolvenzen / Auflösungen
Neugründungen
10
33
14
2009
32
2010
M&As
14
20
2011
10
13
2012
Nicht aktiv und Sonstige
Quelle: Ernst & Young, 2013
Kennzahlen der europäischen Biotech-Industrie
(börsennotierte Unternehmen)
2011
2012
11/12
169
165
–2 %
47.668
50.864
7 %
13.608
15.907
17 %
3.536
3.730
5 %
Allgemeine Kennzahlen
Anzahl Unternehmen
Anzahl Beschäftige
Finanzdaten (in Mio. €)
Umsatz
F&E-Ausgaben
Quelle: Ernst & Young, 2013
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
• N
etto-Abnahme um 4 börsennotierte Unternehmen:
–10 (Delistings und Akquisitionen),
+ 6 (Börsengänge und Firmensitzverlagerung von Jazz Pharmaceuticals)
• G
rößte Treiber: hinter positiver
Mitarbeiterentwicklung Eurofins
Scientific (Frankreich, + 1.732),
hinter Anstieg von Umsatz und
F&E-Ausgaben Shire (UK, + 418
bzw. + 211 Mio. €)
39
Kennzahlen privater und börsennotierter Unternehmen
Kennzahlen der deutschen Biotech-Industrie im Detail
private Unternehmen
börsennotierte Unternehmen
Gesamtindustrie
2011
2012
11/12
2011
2012
11/12
2011
2012
11/12
392
390
–1 %
14
13
–7 %
406
403
-1 %
8.248
8.428
2 %
1.684
1.589
–6 %
9.932
10.017
1 %
Umsatz
870
922
6 %
215
206
–4 %
1.085
1.128
4 %
F&E-Ausgaben
600
586
–2 %
180
141
–22 %
780
727
-7 %
–308
–287
–7 %
–111
–203
83%
–419
–490
17 %
Allgemeine Kennzahlen
Anzahl Unternehmen
Anzahl Beschäftige
Finanzdaten (in Mio. €)
Verlust
Quelle: Ernst & Young, 2013
Anzahl der Unternehmen
Hinsichtlich der Gesamtzahl der in der Analyse eingeschlossenen Unternehmen zeigt
sich die Biotech-Branche in Deutschland
nach wie vor extrem stabil.
Die 403 Unternehmen teilen sich auf in
390 private sowie 13 börsennotierte Unternehmen. Durch die Insolvenz der Firma
november hat sich 2012 die seit Jahren
konstante Zahl der börsennotierten Unternehmen erstmals verändert.
Hinter der stabilen Gesamtzahl herrscht
eine gewisse Dynamik in Bezug auf Neugründungen, Auflösungen und Übernahmen. Seit 2010 hat sich diese Dynamik
etwas abgeschwächt. Die Anzahl an Neugründungen hat in diesem Zeitraum von
31 auf aktuell nur noch 13 vermeintlich um
58 Prozent abgenommen. Neugegründete
Firmen sind allerdings vor allem in der Anfangszeit aufgrund häufig fehlender Internetpräsenz und zuweilen zurückhaltender
Unternehmenskommunikation schwierig
zu erfassen. So brauchen sie nicht selten
eine Anlaufzeit von zwei Jahren, um für die
Erhebung in Erscheinung zu treten.
Firmenauflösungen im Detail
Die insgesamt 11 Firmen, die aufgrund von
Insolvenzen oder Inaktivität aus der Statistik
genommen wurden, waren:
• Biognostik, Hennigsdorf
• Curacyte, München
• Curadis, Erlangen
• FreiBiotics, Freiburg
• InterMed Discovery, Dortmund
• MelTec, Magdeburg
• MICROBIONIX, Neuried
• november, Köln
• PomBioTech, Saarbrücken
• Prosalix, Grünwald
• Trin Therapeutics, Düsseldorf
Firmenübernahmen im Detail
Über die vier Firmenübernahmen des Berichtsjahres wird im Kapitel „Transaktionen“
ausführlich berichtet:
• Cellzome, Heidelberg
(Verkauf an GSK)
• Corimmun, München
(Verkauf an Janssen / J&J)
• Scil Technology, Martinsried
(Verkauf an Nanohale)
• SymbioTec, Saarbrücken
(Verkauf an Lipoxen)
40
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Kennzahlen der deutschen Biotech-Industrie
Neugründungen im Detail
Neben den 13 neugegründeten Unternehmen für das Jahr 2012 stellt die nebenstehende Tabelle auch einige nachträglich
identifizierte Gründungen aus dem Jahr
2011 dar.
Im Berichtsjahr nehmen die Therapeutikaentwickler wie in den Vorjahren mit insgesamt fünf Neugründungen die erste Position ein. Alle anderen Bereiche sind dahinter etwa gleich stark vertreten.
Vier der fünf Therapeutikaentwickler
konzentrieren sich erstaunlicherweise vorwiegend auf definierte Produktideen in
konkreten Indikationen:
•a
dvanceCOR (Herz-Kreislauferkrankungen)
• Qithera (Onkologie)
• Acousia Therapeutics (HNO-Krankheiten)
• Eternygen (Stoffwechselkrankheiten)
Nur ein Unternehmen – GeneQuine Biotherapeutics – hat mit seinen Gentherapie-Ansätzen eine Tech@MPO-Plattform
in Händen, die breiter einsetzbar ist.
Bei den Gründungen um das Thema
Forschungs-Tools (AyoxxA Biosystems,
Cube Biotech, Computomics) herrschen
Tech@BigData-Anwendungen vor, wie sie
im Einleitungskapitel „Perspektive“ bereits
beschrieben wurden.
Neugründungen deutscher Biotech-Unternehmen, 2011/2012
Unternehmen
Stadt
Segment
Gründungsjahr
Acousia Therapeutics
Tübingen
Drug Development
2012
AdiuTide
Pharmaceuticals
Frankfurt am Main
Drug Development
2011
advanceCOR
Martinsried
Drug Development
2012
AlBio-Lab
Bad Abbach
Contract Research
2012
AptaIT
München
Bioinformatics
2011
AyoxxA Biosystems
Köln
Bio-related Tools
2012
Computomics
Tübingen
Bioinformatics
2012
Cube Biotech
Monheim
Proteomics
2012
Cysal
Münster
Fine Chemicals
2012
Delta-Vir
Leipzig
Drug Development
2011
Eternygen
Berlin
Drug Development
2012
GeneQuine
Biotherapeutics
Hamburg
Drug Development
2012
glyXera
Magdeburg
Contract Research
2012
ImmunoQure
Martinsried
Drug Development
2011
JeNaCell
Jena
Tissue Engineering
2012
Katairo
Kusterdingen
Drug Development
2011
OakLabs
Hennigsdorf
In Vitro Diagnostics
2011
oncgnostics
Jena
In Vitro Diagnostics
2011
PSites Pharma
Frankfurt am Main
Drug Development
2011
Qithera
Düsseldorf
Drug Development
2012
RHECADIS
Mannheim
In Vitro Diagnostics
2012
Transimmune
Düsseldorf
Drug Development
2011
Mitarbeiterzahlen insgesamt konstant –
Zuwachs bei Privaten gleicht Abbau bei
Börsennotierten aus
In der Gesamtbranche stagnieren die Mitarbeiterzahlen ungefähr auf dem Niveau des
Vorjahres. Dahinter stehen allerdings gegenläufige Bewegungen: eine leichte Steigerung
der Zahlen für private Firmen (+2 %) auf
aktuell 8.428 Mitarbeiter, hingegen ein Minus
von sechs Prozent von 1.684 auf nur noch
1.589 Mitarbeiter für die börsennotierten
Unternehmen.
sen wie beispielsweise bei Agennix (–26 %,
von 70 auf 52 Mitarbeiter) und PAION
(–46 %, von 26 auf 14 Mitarbeiter); WILEX,
die ebenfalls einen Stellenabbau angekündigt
haben (125 auf ca. 95 Mitarbeiter) sind in
der Statistik der aktuellen Jahresabschlüsse
noch nicht erfasst.
Letzteres ist einerseits bedingt durch den
Wegfall eines Unternehmens (november).
Viel deutlicher zu Buche schlägt aber der
Personalabbau infolge von ausbleibenden
oder negativen klinischen Studienergebnis-
Ebenfalls hat Epigenomics in Berlin aufgrund der nicht den Erwartungen entsprechenden Geschäftslage bei der Vermarktung ihres Darmkrebstests die Belegschaft
um 36 Prozent von 61 auf 39 Mitarbeiter
Quelle: Ernst & Young, 2013
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
reduziert. Schließlich verkleinerte auch
MorphoSys den Mitarbeiterstamm durch
den Verkauf seiner Forschungsantikörpersparte AbD Serotec um fünf Prozent von
446 auf nur noch 422 Mitarbeiter.
Umso erfreulicher ist der Personalaufbau
bei den privaten Firmen trotz leichter
Abnahme der Firmenzahl. Wenn auch der
Zuwachs von 180 Mitarbeitern in einer
Branche mit rund 400 Unternehmen vernachlässigbar erscheint, so ist das Signal
der Stabilität dennoch wichtig.
41
Kennzahlen der deutschen Biotech-Industrie
Dynamik bei den Kennzahlen privater Unternehmen
in Deutschland
Änderungsrate 2011/2012
10 %
8 %
6 %
4 %
2 %
0 %
-2 %
-4 %
-6 %
-8 %
-10 %
Umsatz
F&E-Ausgaben
Service, Technologies & Tools
Verlust
Anzahl Beschäftigte
Therapeutika
Quelle: Ernst & Young, 2013
Der Personalzuwachs bei privaten BiotechFirmen wird vornehmlich durch das größte
Segment – die Anbieter von Dienstleistungen
sowie Forschungs-Tools – getragen, das mit
vier Prozent von 4.612 auf 4.811 Mitarbeiter gewachsen ist. Auch Diagnostikfirmen
legten beim Personal zu: von 1.078 auf
1.163 Mitarbeiter (+8 %). Demgegenüber
weisen die Therapeutikaentwickler auch im
privaten Bereich einen Personalrückgang
von insgesamt fünf Prozent von 2.147 auf
2.034 Mitarbeitern auf, welcher allerdings
zum Großteil aus den Akquisitionen von teilweise überdurchschnittlich großen Unternehmen resultiert (z. B. Cellzome).
Umsätze mit leichtem Aufwärtstrend
Einheitlich positiv sind sowohl private als
auch börsennotierte Biotech-Firmen hinsichtlich ihrer Umsatzentwicklung aufgestellt. Die sechs Prozent Umsatzsteigerung
der privaten Firmen von 870 auf 922 Millionen Euro wird von beiden Segmenten –
Service- / Tool-Firmen (+5 %) wie auch
Therapeutikafirmen (+9 %) – getragen. Die
deutliche Steigerung bei den Therapeutikaentwicklern mag auf den ersten Blick verwundern. Allerdings sind in dieser als aktuell
wichtigste Einkommensquelle die Zahlungen aus Allianzen enthalten. Somit konnte
allein AiCuris durch die Transaktion mit
Merck & Co. 110 Millionen Euro als Umsatzplus hinzufügen.
Auf Seite der börsennotierten Unternehmen
legte vor allem PAION zu (+725 % von
3,3 auf 26,8 Mio. €) – durch den Verkauf
seiner Desmoteplase-Rechte an Lundbeck
für 20,1 Millionen Euro. Weiterhin erzielten
auch WILEX mit 52 Prozent (von 11,7 auf
17,8 Mio. € aus Diagnostik-Umsätzen)
sowie Evotec mit neun Prozent (von 80 auf
87 Mio. €) positive Steigerungen.
42
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
F&E-Ausgaben rückläufig
Nach motivierenden Steigerungen der F&EAusgaben über die letzten Jahre schlagen
2012 Einbußen von immerhin sieben Prozent
zu Buche. Besonders betraf dies die börsennotierten Unternehmen mit 22 Prozent
Rückgang. Allerdings relativiert sich diese
Aussage dadurch, dass hierbei ein transaktionsbedingter Wegfall von F&E-Aktivitäten
im Vordergrund stand. PAION beispielsweise
stellte seine F&E-Aktivitäten um das verkaufte Produkt Desmoteplase ein und reduzierte damit die entsprechenden Aufwendungen um 70 Prozent von 11 auf 3,3 Millionen
Euro. In die gleiche Richtung geht die Reduzierung bei MorphoSys, wo 20 Millionen
Euro (34 %) F&E-Kosten durch den Verkauf
der Forschungsantikörpereinheit entfielen.
Die annähernd stabilen F&E-Aufwendungen
mit Abweichungen von lediglich zwei Prozent von 600 auf 586 Millionen Euro bei
den privaten Firmen sind schon deutlich
weniger alarmierend bzgl. möglicher Einschränkungen bei den für Biotech lebenswichtigen Innovationsausgaben.
Da bei den F&E-Kosten aber vor allem die
Therapeutikaentwickler den Löwenanteil
von 55 Prozent tragen und bei dieser Gruppe
sieben Prozent weniger F&E-Ausgaben verbucht wurden, ist genaueres Hinschauen
durchaus angebracht. Auch dieser Rückgang
liegt vorwiegend in den letztjährigen Firmenübernahmen begründet.
Der Vollständigkeit halber sei vermerkt, dass
Service- und Tool-Provider ihre F&E-Aufwendungen 2012 um drei Prozent steigern
konnten, was ihre gute Geschäftssituation
widerspiegelt.
Kennzahlen der deutschen Biotech-Industrie
Verlustsituation zweigeteilt
Die Verluste der Gesamtbranche haben nach
sichtbarem Abbau über die letzten Jahre
2012 wieder zugenommen, und zwar um
17 Prozent von 419 auf 490 Millionen Euro.
Auch bzgl. der Verlustentwicklung gibt es in
Deutschlands Biotech-Industrie ein zweigeteiltes Bild. Die Treiber für den Anstieg sind
in diesem Fall die börsennotierten Unternehmen, die zusammen ihre Verluste um
83 Prozent haben anwachsen lassen – von
111 auf 203 Millionen Euro.
Als Haupttreiber hierfür erwies sich Agennix,
die nach dem Scheitern der TalactoferrinPhase-III-Studie entsprechend Werte abschreiben musste, was den Verlustbetrag
von vormals 42 auf 147 Millionen Euro anwachsen ließ (+250 %).
Gewinn und Verlust privater Unternehmen in Deutschland
nach Geschäftsfeld, 2012
Anteil von Unternehmen (n = 208)
100 %
90 %
Nach wie vor gibt es hinsichtlich der Gewinn- / Verlustsituation ein steiles Gefälle in
48
58
89
59
52
42
11
Service,
Technologies & Tools
Diagnostika
Grüne &
industrielle Biotech
Therapeutika
80 %
70 %
60 %
50 %
40 %
30 %
20 %
10 %
0 %
Umso positiver ist die Ergebnisseite bei den
privaten Biotech-Firmen. Sie konnten ihre
aggregierten Verluste immerhin um sieben
Prozent von 308 auf 287 Millionen Euro zurückfahren. Diese Leistung ist fast ausschließlich den Therapeutikaentwicklern zuzuschreiben; allerdings weniger ihren aktiven Anstrengungen zum Sparen oder dem effizienteren
Umgang mit Kapital, sondern wiederum der
Tatsache, dass einige verlustschreibende
Unternehmen aus der Statistik herausfielen.
41
Gewinn
Verlust
Quelle: Ernst & Young, 2013
den einzelnen Subsegmenten der BiotechBranche. Dass dabei die Service-, Technologie- und Tool-Provider mit 41 Prozent den
geringsten Anteil der Verlust schreibenden
Unternehmen stellen, ergibt sich aus deren
Geschäftsmodell. Erstaunlich immerhin,
dass auch Diagnostikfirmen hier relativ gut
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
abschneiden (48 % verlustschreibende
Firmen), wohingegen von den Therapeutikaunternehmen – weil überwiegend noch
mitten in der Entwicklung und fern vom
Markt – nur ein verschwindend kleiner Teil
von 11 Prozent bereits die Gewinnschwelle
überschritten hat.
43
Transaktionen
44
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Zahlen und Fakten im Überblick
Allianzen deutscher Biotech-Unternehmen
• D
eal-Aktivität liegt mit 86 Allianzen
leicht unter dem Mittel der letzten
vier Jahre (90)
Anzahl Transaktionen
120
• G
eringfügiger Anstieg des relativen
Anteils an Lizenzabkommen von
39 % im Mittel der letzten vier Jahre
auf 51 % im Jahr 2012 (44 Deals)
99
98
100
89
86
75
80
60
• Im gleichen Zeitraum abnehmender
relativer Anteil an Kooperationen
(von 38 % auf 33 %) und Serviceabkommen (von 19 % auf 13 %), wobei
sich letztere erfahrungsgemäß
durch eine hohe Dunkelziffer auszeichnen
40
20
0
2008
2009
Produkt-/Asset-Kauf
Service
2010
2011
2012
Lizenzierung
Kooperation
Quelle: Ernst & Young, 2013
Allianzen europäischer und US-amerikanischer
Biotech-Unternehmen
Anzahl Transaktionen USA
Anzahl Transaktionen Europa
600
576
Europa:
800
555
517
500
789
795
765
718
• A
lle Kategorien betroffen
(bezogen auf 2009):
Kooperationen: – 23 %;
Service: – 44 %;
Lizenzierungen: – 5 %;
Asset-Deals: – 65 %
700
447
400
600
500
300
• A
llianzen in Europa weiterhin
zahlenmäßig rückläufig (-22 % seit
2009; –14 % gegenüber 2011)
400
300
200
• Stabilste Situation für Lizenzdeals
200
100
100
0
2009
2010
Produkt-/Asset-Kauf
2011
2012
Service
USA:
0
2009
Lizenzierung
2010
2011
2012
Kooperation
Quelle: Ernst & Young, 2013
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
• A
llianzen in USA quantitativ mit
leichter Tendenz nach oben
• V
erschiebungen innerhalb der
Kategorien sehr deutlich (bezogen
auf 2009): Lizenzierungen (+23 %),
Service (+23 %) deutlich gestärkt,
Asset-Deals (– 51 %) deutlich geschwächt
45
Transaktionen
Zahlungsströme aus Allianzen an deutsche
Biotech-Unternehmen
• V
olumen aus publizierten Allianzen
mit insgesamt 1,6 Mrd. € auf weiterhin hohem Niveau (ohne MegaDeals 1,0 Mrd. €)
Summe (Mio. €), Anzahl der Deals (Zahlen in Klammern)
2012
(11)
2011
(10)
2010
(8)
2009
(9)
2008
• M
ega-Deals:
2012 Evotec / Bayer,
2011 Evotec / Roche,
2010 und 2008 Cellzome / GSK
(6)
2007
(5)
2006
(6)
2005
• D
eutlicher Anstieg bei den UpfrontZahlungen gegenüber 2011 von
29 Mio. € auf 122 Mio. € (enthält
110 Mio. € aus dem Rekord-Deal
AiCuris / Merck & Co.)
(6)
0
200
400
600
800
1.000
1.200
1.400
1.600
1.800
Upfront-Zahlungen
Meilensteinzahlungen
Sonstige und nicht näher spezifiziert
Upfront-Zahlungen (Mega-Deals)
Meilensteinzahlungen (Mega-Deals)
Quelle: Ernst & Young, 2013
Zahlungsströme aus Allianzen an europäische
Biotech-Unternehmen
• A
nstieg der publizierten AllianzVolumina: insgesamt 8,4 Mrd. €
(+48 %), ohne Mega-Deals
6,2 Mrd. € (+10 %)
Summe (Mrd. €), Anzahl der Deals (Zahlen in Klammern)
2012
(53)
2011
• U
pfront-Zahlungen steigen von
368 auf 756 Mio. €, Meilensteinzahlungen von 4,3 auf 5,0 Mrd. €
(57)
2010
(74)
2009
(69)
2008
(64)
2007
(67)
2006
(72)
2005
(35)
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Upfront-Zahlungen
Meilensteinzahlungen
Sonstige und nicht näher spezifiziert
Upfront-Zahlungen (Mega-Deals)
Meilensteinzahlungen (Mega-Deals)
Quelle: Ernst & Young, 2013
46
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
• M
ega-Deals:
2012 Molecular Partners / Allergan
und Galapagos / Abbott,
2010 F-star / Boehringer Ingelheim,
2009 Elan / J&J,
2008 Actelion / GSK und
Cellzome / GSK,
2007 Ablynx / Boehringer Ingelheim
und Galapagos / Janssen,
2006 Genmab / GSK
Umdenken für attraktivere Transaktionen
Technologieplattformen ebnen den Weg
Technologieplattformen und Exit
Das im Einleitungskapitel postulierte „Umdenken“ – konkret das Rückbesinnen auf
die eigentlichen Stärken der Biotechnologie
in der Etablierung und Bereitstellung von
Technologien – steht auch in direktem Bezug
zu erfolgreichen Transaktionen. Dies wurde
bereits bei der Beschreibung der unterschiedlichen Typen von Technologieplattformen
im Kapitel „Perspektive“ als ein wesentlicher,
gemeinsamer Erfolgsfaktor hervorgehoben.
Nicht zuletzt ist auch ein Zusammenhang
zwischen Technologieplattformen und möglichen Exit-Strategien denkbar. Die Analyse
der Transaktionen zeigt, dass diese Unternehmen präferenziell eher in Allianzen mit
Partnern – vielfach sogar mit mehreren
parallel – interagieren. Übernahmen durch
große Pharma-Konzerne gab es zwar in der
Vergangenheit (z. B. die Akquisition von
Cambridge Antibody Technology durch
AstraZeneca während der ersten Antikörperwelle oder von Alnylam durch Roche
während der RNAi-Welle), sind aber heute
eher die Ausnahme (wie z. B. die Übernahme von Cellzome durch GSK nach langjähriger Kooperation).
In einer Positionierung als strategischer
Zulieferer von Innovationen – sei es in Form
von neuen Plattformen oder daraus generierten Produktkandidaten – muss Biotechnologie den Erfolg tatsächlich vor allem daran
festmachen, wie die Technologie allgemein
den Zugang zu Partnern erleichtert und die
an diese gelieferten Assets bewertet werden.
Ein weiterer entscheidender Vorteil dieser
Vorgehensweise und der Zuliefererrolle ist
die Flexibilität hinsichtlich der Geschäftsmodelle von Dienstleister bis Partner in
einem Risk-Sharing-Verhältnis. Oft folgen
diese Geschäftsmodelle in einer zeitlichen
Sequenz.
In der momentanen Diskussion über die
Dominanz der großen Pharma- und anderer
Industriepartner sowie der Konstituierung
eines klaren Käufermarktes bietet die Aufstellung von Biotech-Unternehmen rund
um eine Technologieplattform auch die
bessere Verhandlungsposition. Die zeigt
sich sowohl darin, dass die Top-Deals des
Berichtsjahres 2012 zahlenmäßig überwiegend von ebenjenen Firmen abgeschlossen
wurden, als auch an deren Möglichkeiten,
diese Transaktionen stärker zu ihren Gunsten zu gestalten (Details im Abschnitt
Analyse).
Die Gründe dafür liegen auf der Hand: In
Zeiten sehr schnelllebiger Technologieentwicklungen besteht die Gefahr, dass die
teuer eingekaufte Technologie in kurzer Zeit
durch neue Entwicklungen überholt ist und
damit der vermeintliche kompetitive Vorteil
nicht mehr existiert. Deshalb ist der – wenn
auch meist nicht-exklusive – Zugang zu innovativen Technologien in Gestalt von Allianzabkommen für Pharma auf lange Sicht effektiver und bietet größere Flexibilität. M&ATransaktionen sind hingegen viel häufiger
mit konkreten Produkten assoziiert.
Aus dieser Überlegung heraus ermöglicht
das Technologieplattform-Modell für Biotech-Unternehmen eher das Exit-Szenario
„IPO“ und dies aus folgenden Gründen:
• Nachhaltiges Modell für kurzfristige stabile
Umsatzgenerierung und profitables
Wachstum (durch Partnerschaften)
• Längerfristiges Potenzial zur Etablierung
eines Produktportfolios aus eigener F&E
• Breitere Risikostreuung und geringere
Abhängigkeit von Einzelprojekten
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Die Realität des Transaktionsgeschehens
stellt Theorien in Frage
Die o. a. theoretische Betrachtung steht
allerdings nicht immer im Einklang mit der
Realität des Deal Making. In vielen Diskussionen mit Biotech-Unternehmen wird allgemein darüber geklagt, dass laufende Verhandlungen mit großen Industriepartnern
nach wie vor äußerst zäh vorankommen;
und dies trotz des Innovationsdrucks und
Bedarfs an neuen Produkten. Gründe hierfür sind:
• Zu viele Entscheidungsinstanzen
• Zu lange Entscheidungsprozesse
• Zu wenig Risikobereitschaft
• Zu starre Vorgaben / zu wenig Flexibilität
bzgl. der Deal Terms
Gerade hinsichtlich des letzten Aspekts wäre
es wichtig, eine wirkliche Partnerschaft in
den Mittelpunkt zu stellen. Schließlich kann
es nicht darauf ankommen, einen erfolgreichen Deal ausschließlich aus Sicht des
Industriepartners zu definieren, wenn dabei
der Biotech-Partner aufgrund immer geringerer Upfront-Zahlungen und des weiterhin
präferierten „Back-loading“-Trends nicht
überleben kann. Dabei gäbe es genügend
Gestaltungsmöglichkeiten, über Optionen
und entsprechende Meilensteine früher einzusteigen, Risiken in Grenzen zu halten und
dennoch eine Balance für beide Seiten zu
schaffen.
Auch in dieser Beziehung sollten BiotechUnternehmen mit einer soliden Technologieplattform im Vorteil sein. Parallele Verhandlungen mit mehreren Partnern sind
eher die Norm und verringern die Abhängigkeit von einem einzigen Transaktionsabschluss.
Allerdings vereitelt die aktuelle Lage am
Kapitalmarkt die theoretisch besseren
Chancen der Technologieplattform-Vertreter für einen erfolgreichen Börsen-Exit.
47
Allianzen deutscher Biotech-Unternehmen
Allianzen in Deutschland stagnieren
Mit insgesamt 86 Allianzen im Berichtsjahr
2012 liegt der Biotech-Sektor nur leicht unter dem Mittel der letzten vier Jahre (90).
2006 hatten Allianzen insgesamt stark zugenommen und waren als wichtige strategische Initiativen in den Geschäftsmodellen
der Biotech-Unternehmen attraktiver geworden.
Auch die Aufteilung in bestimmte Typen von
Allianzen – Kooperationen, Lizenzierungen,
Servicevereinbarungen oder Asset-Deals –
hat sich in diesem Zeitraum auf den ersten
Blick nur geringfügig verändert. Erfreulich
ist dennoch ein im Mittel der letzten vier
Jahre leichter Anstieg des relativen Anteils
der Lizenzverträge von 39 auf immerhin
52 Prozent und eine Absolutzahl von 44 für
2012. Erfreulich deshalb, weil diese Form
der Allianz für die strategischen Zulieferer
der Branche am lukrativsten und deshalb
am wichtigsten ist. So konnten im Jahr
2012 – neben dem Rekord-Deal von AiCuris
und den „üblichen Verdächtigen“ MediGene,
Evotec, MorphoSys und Epigenomics – vor
allen Dingen Technologien erfolgreiche
Lizenzvergaben erzielen, z. B. Axiogenesis‘
iPS-Technologie (Cor.4U®, Cor.At®), CEVECs
CAP-Technologie (CAP-TTM) sowie Scienions
sciFLEXARRAYER-Technologie.
48
Lizenzabkommen stärken die
Einkommensseite
Die Zahl der Allianzen, für die finanzielle
Details publiziert wurden, erweist sich
weiterhin als enttäuschend gering (nur
ca. 13 %).
Die Höhe der Einnahmen aus Allianzen –
hier sind vor allem Lizenzvereinbarungen
eingeschlossen – hat das erfreulich hohe
Niveau des Vorjahres halten können. Dabei
fällt sofort ein deutlicher Anstieg bei den
publizierten Upfront-Zahlungen auf. Sie stiegen um das Vierfache des Vorjahreswertes
auf 121,5 Millionen Euro. Es wäre noch beeindruckender, wenn man dahinter einen
soliden Trend sehen könnte. Allerdings liegt
die Erklärung hierfür in einem einzigen Deal
begründet: Das Abkommen zwischen AiCuris
und Merck & Co. (MSD) hatte mit allein
110 Millionen Euro eine Rekord-UpfrontZahlung erzielt, die fast die gesamte UpfrontSumme der deutschen Allianzen ausmacht
(90 %). Die ansonsten nach wie vor eher
unbefriedigende Entwicklung der UpfrontZahlungen setzt sich also fort.
Sehr deutlich fällt auf den ersten Blick auch
der Anstieg bei vertraglich vereinbarten
Meilensteinzahlungen um 28 Prozent auf
700 Millionen Euro auf. Allerdings ist auch
hier bei der Interpretation Vorsicht geboten.
Im Jahr zuvor war offensichtlich die Informationspolitik hinsichtlich differenzierter
Zahlen (Upfront vs. Meilensteine) weniger
transparent als im Berichtsjahr 2012. Deshalb verbarg sich ein größerer Anteil der
„financial details“ im Graubereich der nicht
weiter spezifizierten Zahlungen („Sonstige
und nicht näher spezifiziert“). Somit kommt
die realistische Einschätzung hinsichtlich
vereinbarter Meilensteinzahlungen unter
Berücksichtigung der nicht weiter spezifizierten Zahlungen zu dem Ergebnis, dass
diese wahrscheinlich sogar eher (um 23 %)
gesunken sind, und zwar von 1,16 Milliarden
(2011) auf 892 Millionen Euro (2012).
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Immerhin erreicht die Summe der direkten
Upfront- und Meilensteinzahlungen (ohne
den Mega-Deal zwischen Evotec und Bayer
mit über 500 Millionen Euro) erneut nach
2011 die Milliardengrenze (1,02 Mrd. €).
Damit scheint sich der auf Ebene der Allianzen bereits 2010 begonnene Aufwärtstrend
zu festigen. Dahinter stehen bzgl. der Zahlungsvolumina zu 99 Prozent Allianzen
zwischen Biotech und Pharma (sechs der
elf analysierten Deals).
Deutsche Biotech-Allianzen im Detail
Die Detailbetrachtung der Top-6-BiotechAllianzen in Deutschland 2012 ergibt ein
ähnliches Bild wie im vergangenen Jahr:
• Alle sechs Top-Deals stehen in Verbindung
mit Tech@Companies in den im Einleitungskapitel „Perspektive“ beschriebenen Ausprägungen.
• Dennoch sind alle Deals auf konkrete Produkte fokussiert, die aus den o. a. Technologien abgeleitet sind.
• Mit einer Ausnahme (AiCuris, Phase III)
wurden alle Deals zu einem relativ frühen
Zeitpunkt im Entwicklungsprozess der im
Fokus stehenden Produkte abgeschlossen.
Der Link zu den Technologieplattformen
bekräftigt die zuvor getroffenen Aussagen
hinsichtlich der attraktiven Geschäftsmöglichkeiten ausgehend von den Plattformtypen, wobei die attraktivste – Tech@MPO –
in diesem Jahr ausnahmsweise gar nicht in
der Aufstellung erscheint:
•E
votecs Vereinbarung mit Janssen ist die
(bereits kurze Zeit nach der Kollaboration
mit der Harvard Universität erfolgte) Translation von Forschungsergebnissen in einen
kommerziellen Deal (Tech@Translation).
• In der Multi-Target-Allianz mit Bayer übernimmt Evotec Teile des F&E-Wertschöpfungsprozesses als externer Partner, das
Paradebeispiel für Tech@Process.
•H
inter dem Phenex-Deal mit Janssen
steckt ebenfalls Tech@Process basierend
auf spezifischen Screening-Verfahren
(nukleare Rezeptor-Modulatoren).
•A
iCuris bestätigt mit der Lizenz an Merck
& Co. die Erfolgsstory von Tech@Disease.
Transaktionen
Allianzen deutscher Biotech-Unternehmen, 2012 (Auswahl)
Firma
Evotec
AiCuris
Evotec
Evotec
Phenex Pharmaceuticals
Evotec
Partner
Bayer
Merck & Co.
Janssen
Pharmaceuticals
(Tochtergesellschaft von J&J)
Janssen
Pharmaceuticals
(Tochtergesellschaft von J&J)
Janssen Biotech
(Tochtergesellschaft von J&J)
Zhejiang CONBA
Pharmaceutical
Land
Deutschland
USA
USA
USA
USA
China
Datum
1. Oktober
15. Oktober
10. Juli
17. Dezember
17. Dezember
2. Mai
Deal-Fokus
Produkt
Produkt
Produkt
Produkt
Produkt
Produkt
Therapeutischer Forschung
Status
Phase II
Präklinik
Präklinik
Forschung
Phase I
Krankheitsgebiet
Endometriose
Infektion
(HCMV)
Diabetes
Depression
Chronische
Autoimmun- und
Entzündungserkrankungen
Entzündung
Potenzieller
Wert (Mio. €)
592,0
442,5
mind. 239,5
136,1
mind. 105,0
mind. 60,0
Upfront-Zahlungen (Mio. €)
12,0
110,0
6,2
1,6
n/a
n/a
Meilensteine
(Mio. €)
580,0
332,5
mind. 233,3
134,5
n/a
n/a
Royaltys
zweistellig
ja
ja
zweistellig
ja
zweistellig
Gegenstand
Multi-TargetAllianz: Erforschung und
Entwicklung von
drei klinischen
Wirkstoffkandidaten gegen
Endometriose
(Laufzeit fünf
Jahre)
Weltweite Lizenzvereinbarung
über die Entwicklung und Vermarktung von
AiCuris'
HCMV-Wirkstoffkandidaten, z.B.
AIC246
Ausweitung der
bestehenden
Kollaboration
(CureBeta) zwischen Evotec
und der Harvard
Universität auf
Janssen Pharmaceuticals über
die Entwicklung von die Regeneration von
ß-Zellen fördernden Wirkstoffkandidaten
Weltweite Lizenzvereinbarung
über die Entwicklung und Vermarktung von
Evotecs Portfolio von
NR2B-selektiven
NMDA-RezeptorAntagonisten
Erforschung und
Entwicklung von
Wirkstoffen,
welche an dem
Kernrezeptor
RORγT ansetzen
Lizenzvereinbarung zur Entwicklung und
Vermarktung in
China von Evotecs Wirkstoff
EVT 401, einem
selektiven,
niedermolekularen
P2X7-Antagonisten für
entzündliche
Krankheiten
Quelle: Ernst & Young, 2013
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
49
Rekordverdächtig: AiCuris erhält über 440 Millionen Euro
von MSD für HCMV-Portfolio
Virus. Der Preis wurde aber nicht nur für die
hohe wissenschaftliche Innovation gezahlt:
Die Leitsubstanz Letermovir hatte in der
Phase II beide primären Wirksamkeits-Endpunkte der Studie mit hoher Signifikanz erreicht und war zusätzlich in 13 Phase-I-Studien sorgfältig charakterisiert worden. Ihre
weitere klinische Entwicklung konnte daher
sehr gut eingeschätzt werden und kam dem
Trend entgegen, dass zunehmend Projekte
gesucht werden, die nur noch wenig Entwicklungsrisiko bergen. Hinzu kam, dass AiCuris
auch von den Behörden ein sehr positives
Feedback hatte. Diesseits und jenseits des
Atlantiks war der Orphan-Drug-Status vergeben worden. In den USA hatte die Substanz
zudem die Fast-Track-Designation erhalten.
Prof. Dr. Helga Rübsamen-Schaeff,
CEO AiCuris GmbH & Co. KG, Wuppertal
Deal mit MSD
Am 12. Oktober letzten Jahres hat AiCuris
mit Merck & Co. (MSD) einen Lizenzvertrag
über ihr Entwicklungsportfolio gegen das
humane Cytomegalievirus (HCMV) geschlossen. Im Rahmen dieses Vertrages übernimmt
MSD die weltweiten Rechte an dem HCMVCompound Letermovir (Phase III in Vorbereitung), einem Back-up-Kandidaten und
weiteren Phase-I-Compounds mit einem alternativen Wirkmechanismus. Dieser Vertrag
fand aufgrund des Deal-Konstruktes, aber
auch der finanziellen Konditionen große Beachtung. So enthält er eine ungewöhnlich
hohe Upfront-Zahlung von 110 Millionen Euro,
zusätzliche Meilensteinzahlungen in Höhe von
332,5 Millionen Euro sowie Royaltys auf die
Umsätze. AiCuris hat ferner das Recht der CoPromotion in einigen europäischen Ländern.
Vielversprechende Indikation
Aber auch die Indikation selbst dürfte als sehr
attraktiv angesehen worden sein. HCMV wurde
lange Zeit von den meisten großen PharmaFirmen nicht bearbeitet, sodass es kaum nennenswerte Konkurrenzprodukte in der Entwicklung gibt. Der Markt wuchs jedoch seit
Jahren zweistellig, denn HCMV-Medikamente
werden zunehmend in der Transplantationsmedizin eingesetzt. Dies liegt daran, dass
HCMV (ein mit dem Herpes-simplex-Virus
verwandtes Virus) in der Bevölkerung weit
verbreitet ist und viele Transplantatempfänger und -spender damit chronisch infiziert
sind. Während das Virus bei den meisten
Menschen mit gesundem Immunsystem
keinerlei Symptome verursacht, kann es bei
einem geschwächten Immunsystem (z. B.
nach Knochenmarks- oder Organtransplantation) zu äußert massiven, z. T. lebensbedrohlichen Infektionen durch HCMV kommen,
die dringend behandelt werden müssen.
Exzellente Qualität der Compounds
Die Höhe dieses Lizenzvertrages spiegelt das
ungewöhnliche Angebot seitens der AiCuris
wider, die sich der Entwicklung ausschließlich
resistenzbrechender Moleküle gegen überwiegend schwere, lebensbedrohliche virale
und bakterielle Infektionskrankheiten verschrieben hat. Somit sind die meisten Entwicklungssubstanzen von AiCuris chemisch gesehen „first in class“-Moleküle mit neuen
Wirkmechanismen. Auch im Fall des HCMVPortfolios stammen alle Moleküle aus unterschiedlichen chemischen Klassen und adressieren insgesamt zwei neue Zielmoleküle des
Ausgezeichnete Prognose
Für AiCuris war es neben den sehr guten klinischen Ergebnissen wichtig, die potenziellen
Partner anhand verfügbarer Daten davon zu
überzeugen, dass das Wachstum des Transplantationsmarktes per se noch weitergehen
wird. Darüber hinaus wurde in einer Marktstudie prognostiziert, dass eine Substanz, die
nicht nur hocheffektiv, sondern auch sehr gut
verträglich ist, andere Behandlungsoptionen
bietet als die verfügbaren Medikamente.
Beispielsweise würde man von der Behandlung der akuten Infektion (die mit den verfügbaren Medikamenten nicht immer beherrschbar ist) zu einer Prophylaxe gegen
das Virus übergehen.
50
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Erschließung neuer Märkte
Nicht zuletzt wurden aber auch Visionen für
die Erschließung neuer Märkte entwickelt.
So können nun Patientenpopulationen gegen
HCMV behandelt werden, für die es aufgrund
der starken Nebenwirkungen existierender
Medikamente bislang keine zugelassene Behandlung gibt, z. B. HCMV-infizierte Neugeborene oder Schwangere. Als ein weiteres
Potenzial wurden Patienten mit vorübergehender oder partieller Immunschwäche angesehen, wie HIV-Infizierte, Patienten auf
Intensivstationen oder auch ältere Menschen,
deren Immunsystem durch HCMV sehr belastet wird. Aufgrund der möglichen, zusätzlichen Marktsegmente war es AiCuris wichtig,
dass der Partner nicht nur die Substanz Letermovir weiterentwickelt, sondern auch eine
der Nachfolgeverbindungen mit einem anderen Wirkmechanismus. Dies sollte erlauben,
unterschiedliche Substanzen in unterschiedlichen Indikationen zu positionieren oder
aber auch die (ggfs. fixe) Kombination von
zwei Substanzen anzubieten.
Nach dem Deal ist vor dem Deal
Neben Letermovir und seinen NachfolgeSubstanzen enthält die Pipeline von AiCuris
einen zweiten hochinnovativen Wirkstoff, der
ebenfalls eine erfolgreiche Phase II mit hochsignifikantem Erreichen aller Studienendpunkte und guter Verträglichkeit aufweisen
kann: Pritelivir. Diese Substanz – ebenfalls ein
„first in class“-Molekül mit neuem Wirkmechanismus – ist gegen genitalen und labialen
Herpes gerichtet und hemmt die Helicase /
Primase der Viren. Von diesem neuen Wirkmechanismus, verbunden mit einer langen
Halbwertszeit, wird eine höhere Suppression
des Virus erwartet, die auch bezüglich der
Verhinderung der sexuellen Übertragung
äußerst wichtig ist. Die lange Halbwertszeit
sollte darüber hinaus aber auch eine sehr
angenehme Dosierung erlauben: Eine Tablette zur Behandlung einer Herpes-Episode
und eine einmal wöchentliche Einnahme für
die dauerhafte Unterdrückung wiederkehrender Ausbrüche. Auch in dieser Indikation
adressiert AiCuris einen Markt, in dem seit
Jahrzehnten keine Innovation stattgefunden
hat und in dem es außer generischen Medikamenten keine nennenswerte Konkurrenz gibt.
Die Firma plant bis Anfang 2014 für Pritelivir
einen Partner zu finden.
www.aicuris.com
Finanzierung durch frühzeitige Kollaborationen: Phenex sichert
sich bis zu 123 Millionen Euro von Janssen
Dr. Claus Kremoser,
Thomas Hoffmann,
CEO / CFO Phenex Pharmaceuticals AG,
Ludwigshafen
Mit Präklinik in Kollaborationen?
Bisher galt als eines der großen Hindernisse
für eine frühe Verpartnerung eines Drug
Discovery Programms schlichtweg, dass man
dafür auf präklinischer Stufe nicht genügend
Geld von einem Pharma-Partner bekommt.
Typischerweise setzt man den „value inflection point“, also die Stufe, auf der man deutlich mehr Geld bekommt als man investiert
hat, nach einer erfolgten Phase II POC-Studie
an. Um allerdings vom ersten Screen bis dorthin zu kommen, kann man niedrige zweistellige Millionenbeträge als Investition ansetzen – eine Summe, die man derzeit in
Deutschland außer von wenigen Family Offices nicht als Risikokapital bekommen kann.
Yes, we can: RORgamma
Wir hatten vielleicht den richtigen Riecher
als wir vor fünf Jahren auf ein neues Drug
Target setzten, das mehrere Vorteile in sich
vereint: RORgamma ist ein Kernrezeptor,
der entscheidend für die Differenzierung
von IL-17-produzierenden Th17-Zellen verantwortlich ist. Th17-Zellen sowie andere
IL-17-produzierende Lymphozyten werden
ursächlich mit verschiedenen chronisch-entzündlichen Autoimmunerkrankungen in Zusammenhang gebracht, v. a. mit Schuppenflechte, Rheumatoider Arthritis und Multipler
Sklerose. RORgamma bietet grundsätzlich
die Möglichkeit, seine Funktion über small
molecule-Inhibitoren zu blockieren. Dieser
innovative small molecule-Ansatz ermöglicht es, den riesigen Markt an Therapien für
chronisch-entzündliche Erkrankungen neu
zu erschließen – einen Markt, der normalerweise mit sehr teuren Biologicals bedient
wird. Es kamen für uns noch zwei günstige
Faktoren hinzu: Wir hatten 2009 / 2010 die
ersten brauchbaren Startpunkte identifiziert
und bereits 2010 wurde eine erste präklinische Kooperation zwischen Exelixis und
BMS auf RORgamma publiziert. In kurzer
Zeit kamen noch zwei „teure“ RORgammaDeals zwischen Lycera / Merck & Co. bzw.
Karo Bio / Pfizer hinzu. Weiteren Rückenwind
erhielten wir dadurch, dass letztes Jahr der
IL-17-Pathway durch die Veröffentlichung
von positiven Ergebnissen aus drei großen
Phase IIb-Studien in Patienten mit Schuppenflechte unter Verwendung von gegen IL-17
bzw. den IL-17-Rezeptor gerichteten Antikörpern klinisch eindeutig validiert wurde.
Kurzum: Dadurch, dass wir auf dem „Biotech-Markt“ die letzten Anbieter eines soliden und mit mehreren Lead-Serien bestückten RORgamma-Programms waren, konnten
wir sehr gute Konditionen für uns heraushandeln, obwohl das Projekt noch auf präklinischer Stufe ist.
Zuschlag für Janssen
Aus einer Liste von ca. einem Dutzend interessierter Pharma-Firmen haben wir uns mit
Janssen einen Partner ausgesucht, der ein
ganz deutliches Commitment zu diesem
Projekt demonstriert hat und sicherlich in
diesem therapeutischen Gebiet einer der
stärksten Player ist. Wir hatten aber nicht
nur einfach Glück, sondern waren auch gut
vorbereitet. Als risikobereite, gut informierte Kleinfirma haben wir uns innerhalb
weniger Wochen für RORgamma als Target
entschieden – die Großfirmen haben dafür
drei bis fünf Jahre benötigt. Zudem leistete
unser internes RORgamma-Team Herausragendes und brachte in kürzester Zeit mehrere medizinalchemisch attraktive Leitstrukturserien samt Validierung und Patentierung
hervor. Aufgrund der spürbar zunehmenden
Konkurrenz der Großunternehmen und der
wachsenden Bedenken, in kurzer Zeit unseren
kompetitiven Vorteil zu verlieren, entschlossen wir uns, das Projekt meistbietend und
mit dem besten Fit zu verpartnern. Janssen
war im Gegensatz zu allen anderen bereit,
ein echtes Pooling ihres internen Programms
mit unserem Programm anzubieten. Ver-
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
einfacht heißt das, dass wir in den Genuss
der klinischen Meilensteine kommen, egal,
ob der Kandidat von uns oder von Janssen
stammt. Insgesamt können, alle klinischen
Meilensteine eingeschlossen, bis zu 123 Millionen Euro fällig werden, inklusive einer
erheblichen Upfront-Zahlung. Hinzu kommen noch Royaltys auf Produktverkäufe aus
dieser Kooperation.
Neuer Hoffnungsträger: FXR
Dieses Geld investieren wir nun auch in die
Weiterentwicklung unseres anderen Projektes, des klinischen FXR-Agonisten Px-102.
Mit Px-102 haben wir die komplette Phase I
absolviert. Für die anstehende Phase II hätten wir zusätzliches Eigenkapital aufnehmen
müssen und unsere Investoren sind dankbar dafür, dass wir das nun aufgrund der
RORgamma-Upfront-Zahlung nicht mehr
müssen. Bei FXR verfolgen wir einen ähnlichen Ansatz wie bei RORgamma: Aufgreifen
eines Targets, welches schon durch viele
Publikationen und mittlerweile durch ein klinisches Compound der US-Biotech-Firma
Intercept als validiert gelten kann, allerdings
von den risikoaversen „Big Pharmas“ bisher
noch nicht aufgegriffen wurde. Im Unterschied
zu RORgamma adressieren wir hier aber einen
neuen Markt, den der Leberfibrose mit der
primären Indikation NASH (Nicht-alkoholische Steatohepatitis). Der potenzielle Markt
ist aufgrund der heute schon hohen Prävalenz (ca. 5 % der Bevölkerung der Industrieländer) sehr groß. Allein fehlte bisher ein
„Eisbrecher“, der mit einem neuen therapeutischen Ansatz einen akzeptablen klinischen
Entwicklungspfad aufzeigt. Das hat sich seit
2012 geändert. Welches Potenzial in dem
„NASH“-Markt schlummert, kann man an
der Börsenbewertung unserer Konkurrenz
Intercept ablesen: 500 Millionen US-Dollar
basierend auf einem einzigen klinischen
Projekt! Hier in Deutschland ist der Börsengang aus momentaner Sicht leider keine
sinnvolle Alternative. Aber wir sind überzeugt, dass der Medical Need, der von NASH
und den assoziierten Leberkomplikationen
ausgeht, sehr bald auch Großpharmafirmen
veranlassen wird, auf diesem Gebiet tätig zu
werden. Und so heißt es dann hoffentlich in
ein bis zwei Jahren für Phenex: Play it
again, Sam!
www.phenex-pharma.com
51
Transaktionen
Zwei wesentliche Auffälligkeiten der diesjährigen Aufstellung von Top-Allianzen sind
besonders hervorzuheben: die Deals von
Evotec im „Vierer-Pack“ (einmal mit Bayer,
zweimal mit Janssen / J&J und einmal mit
Zhejiang CONBA Pharmaceutical) und die
herausragende Transaktion von AiCuris mit
Merck & Co.
Alle vier Evotec-Vereinbarungen haben
unterschiedliche Zielsetzungen:
•T
ranslationsallianz mit Janssen
•M
ulti-Target-Allianz mit Bayer
•P
roduktentwicklungsallianz mit Janssen
•G
eographische Entwicklungs- und Vermarktungsallianz mit Zhejiang CONBA
Pharmaceuticals
Dadurch wird die Wertschöpfungskette der
Therapeutikaentwicklung komplett abgedeckt. Dass dieses Phänomen auch gerade
in einem einzigen Jahr zum Tragen kommt,
veranschaulicht das Potenzial von BiotechUnternehmen dieser Aufstellung umso
augenscheinlicher. Die Plattform der Hamburger schafft es also, Innovationen sehr
effizient und in kurzer Zeit in kommerzielle
Entwicklungen umzusetzen, dabei in Deals
mit Partnern entlang der Entwicklung signifikante Einnahmen zu erzielen und am Ende
auch eigene Produkte auf den Markt zu
bringen.
Das zweite Beispiel – AiCuris – weist nicht
weniger bemerkenswerte Eigenschaften
auf. Zunächst sei die herausragende Upfront-Zahlung von 110 Millionen Euro genannt: die in Europa zweithöchste UpfrontSumme nach dem Deal von Galapagos mit
116 Millionen Euro. Das bemerkenswerteste
an dieser Transaktion ist jedoch, dass die
Upfront-Zahlung 25 Prozent des publizierten Allianzvolumens darstellt, ein Wert, mit
dem AiCuris einsam an der Spitze der großvolumigen globalen Allianzen 2012 über
100 Millionen Euro steht. Dieser Erfolg ist
gerade aus heutiger Sicht deshalb so bedeutsam, weil er den zuvor beschriebenen
Trend zu „Back-loaded Deals“ in einem fast
reinen Pharma-Käufermarkt auf den Kopf
stellt.
52
Auch das Deal-Volumen insgesamt kann
sich sehen lassen. Dieser Erfolg stellt zwei
wichtige Aspekte sehr deutlich in den Vordergrund: Es ist eine sehr essenzielle und
nicht immer einfache Aufgabe des BiotechManagements, den Wert der Assets überzeugend in den Verhandlungen darzustellen.
Im Fall AiCuris war es nicht von vorneherein
klar, warum die Behandlung von HCMV-Infektionen aus Marktsicht so bedeutend sein
sollte. Wenngleich eine sehr große Zahl von
Menschen latenter Träger des Virus ist,
so ist die manifestierte Krankheit selbst
nicht sehr verbreitet. Allerdings ist bei
einem Ausbruch die Symptomatik lebensbedrohend. Unter diesen Prämissen war es
kriegsentscheidend, die präventive Wirkung
der Behandlung und die damit verbundene
Kosteneinsparung im Krankheitsfall ebenso
in die Waagschale zu legen wie den Nutzen
für den individuellen Patienten („Patient
Outcome“). Des Weiteren ist für einen solchen Abschluss aber auch Standfestigkeit
erforderlich. Dies schließt letztlich die Konsequenz ein, im Notfall bei nicht erreichten
Zielen bzgl. der Deal Terms den Verhandlungstisch zu verlassen. Dies ist auch bei
AiCuris geschehen: Vor einem Verkauf „unter Wert“ wurde vorgezogen, zusätzliche
Daten zu generieren und damit in Kauf genommen, den Transaktionsabschluss zu
verschieben, im schlimmsten Fall zu gefährden. Darüber hinaus war auch ein Szenario
mit einer komplettierten Phase III in Betracht
gezogen worden. Hier stoßen Biotech-Unternehmen normalerweise an ihre Grenzen,
wenn nicht – wie im Fall AiCuris mit dem
Family Office Strüngmann – ein starker Investor den Rücken stärkt.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Allianzen in der Diagnostik noch nicht
dem Trend entsprechend
Die nach Deal-Volumina geordnete Liste von
Allianzen zeigt erwartungsgemäß große
Transaktionen zwischen Biotech- und PharmaFirmen an vorderster Front.
Dabei wird leicht übersehen, dass auch im
Bereich der Diagnostik sowie der industriellen Biotechnologie Allianzen eine wichtige
Rolle spielen und tatsächlich auch stattfinden. Allerdings ist die Transparenz bzgl. der
Details zu diesen Allianzen noch weniger
ausgeprägt als bei den Biotech-Pharma-Deals,
weswegen sie häufig dem Radar entgehen.
Von den deutschen Diagnostikunternehmen
hat sich aktuell vor allem Curetis aus Holzgerlingen hervorgetan. Curetis verbindet
Molekularbiologie, Medizintechnik, Diagnostik und Ingenieurwesen, um automatisierte
Lösungen im Bereich der Molekulardiagnostik anzubieten. Derzeit konzentriert sich
das Unternehmen auf die schnelle Identifizierung von Bakterien, die schwere,
akute Infektionen auslösen, und Antibiotikaresistenzen. Mit diesem Ansatz hat das
Unternehmen im letzten Jahr (2011) mit
seinem Geschäftskonzept einige der renommierten Investoren überzeugen können
(z. B. Forbion Capital Partners, Wellington
Partners, Roche Venture Fund).
Im aktuellen Berichtsjahr macht Curetis
auch auf der Transaktionsseite von sich
hören: Allein sechs Deals mit neuen Partnern schlagen für 2012 zu Buche.
•F
&E-Vereinbarung mit Cempra im Rahmen
der Erarbeitung weiterer Anwendungsbereiche
•H
erstellungsvereinbarungen mit Horst
Scholz und Heraeus Medical zur Lieferung
von Bauteilen bzw. als Partner in der Herstellung der Messgeräte
•V
ertriebsvereinbarungen mit Mediphos
(Niederlande), Advanced Technology
Company (Golfregion) und BioLine
(Russland)
Transaktionen
Mit diesen Aktivitäten hat Curetis sukzessive die komplette Wertschöpfungskette
abgedeckt und somit den Marktauftritt gut
vorbereitet. Biotech-Unternehmen im
Diagnostikbereich – zumindest wie in diesem Beispiel demonstriert – sind also
stärker auf den Aufbau einer integrierten
Wertschöpfungskette mit Stoßrichtung
Markt ausgerichtet als auf Allianzen mit
großen Partnern.
Weitere Diagnostiktransaktionen im Berichtsjahr wurden zwischen WILEX und der
Immundiagnostik AG zur Vermarktung von
ELISA-basierten Krebstests, zwischen JPT
Peptide Technologies in Berlin (Spin-off der
Jerini, jetzt unter dem Dach von BIONTECH)
und Tecan in der Schweiz zur gemeinsamen
Vermarktung der JPT-Protein-Arrays
(PepStarTM) sowie zwischen Epigenomics
und Companion Dx (molekular-diagnostisches Referenzlaboratorium mit Sitz in
den USA) zur Verwendung des Septin9Biomarkers abgeschlossen.
Im Bereich der Molekulardiagnostik ist die
Erwartungshaltung stark auf zunehmende
Kollaborationen zwischen Testentwicklern
und Pharma-Unternehmen im Zusammenhang mit Companion Diagnostics gerichtet.
Allerdings zeigt sich diese Ausrichtung
derzeit zumindest in der Auflistung deutscher Biotech-Allianzen noch nicht in einer
signifikanten Zunahme der entsprechenden
Pharma-Diagnostik-Deals. Der steigende
regulatorische Druck auf Pharma-Unternehmen, frühzeitig stratifizierende Biomarker
in ihre Entwicklungsprogramme zu integrieren, wird aber in Zukunft häufiger entsprechende Allianzen zutage bringen.
Industrielle Biotechnologie als
„Zulieferer“ der Großchemie
Die Recherche liefert – wenn auch ebenfalls
meist ohne Zahlenangaben – dennoch einige
Allianzen zwischen Unternehmen der weißen
Biotechnologie und des erweiterten Chemiesektors. Dieses Modell scheint fast dem
Biotech-Pharma-Modell nachempfunden:
Biotech als Ideenschmiede, Großchemie
als Entwickler und Vermarkter. Biotech
befindet sich deshalb auch vielfach in der
Rolle des Technologieexperten und Experimentierers in präkommerziellen Phasen.
Einige Beispiele zeigen dies auch in der
aktuellen Deal-Liste anhand von Allianzen
zwischen Biotech und Chemie:
•L
ANXESS und evocatal kooperieren mit
dem Ziel, nachwachsende einheimische
Rohstoffe für die biotechnische Herstellung
von Kautschukvorprodukten nutzbar zu
machen (Ersatz fossiler Rohstoffe, neue
Synthesewege, neue Biokatalysatoren).
• BRAIN und Evonik Industries kooperieren
auf dem Gebiet der Entwicklung von neuen
Mikroorganismen mit dem Ziel, solche zu
identifizieren und zu entwickeln, die durch
Adsorption an bestimmte Oberflächen
diesen spezifische neue, physikalische
Eigenschaften zuweisen können.
Es existiert überdies eine ebenso aktive
Transaktionsszene zwischen Biotech-Unternehmen mit dem Ziel, neue Anwendungen
durch die Nutzung ihrer kombinierten Technologien und Kompetenzen zu entwickeln.
Ein Beispiel hierfür sind c-LEcta und Aquapharm (Schottland), die zusammen an der
Identifizierung und Kommerzialisierung
neuer mariner Biokatalysatoren arbeiten.
Dabei bringt c-LEcta seine Kompetenz im Bereich des Enzym-Engineering ein, während
Aquapharm seine Stammsammlung mariner
Organismen und assoziiertes Know-how zur
Verfügung stellt. Einzelheiten über konkrete
Deal Terms, Volumina, Upfront-Zahlungen
und Risikoverteilung werden allerdings ebenso wenig offengelegt wie Details zu Meilensteinzahlungen und der Partizipation am
Markterfolg.
Somit stehen die Unternehmen der industriellen Biotechnologie meist noch stärker
in der eher klassischen Technologie-Zuliefererrolle. Entwicklungen zu voll integrierten Unternehmen mit eigenem Marktzugang wurden bereits im Einleitungskapitel
„Perspektive“ erwähnt (z. B. BRAIN) und
werden im Folgenden unter den M&A-Transaktionen wieder aufgegriffen.
Daneben nutzen „White Biotech“-Unternehmen in Allianzen auch große Industriepartner als Vertriebskanäle für den Endmarkt.
Sartorius Stedim Biotech, ein international
führender Zulieferer der Pharma-Industrie,
hat z. B. mit c-LEcta ein Abkommen über den
weltweiten Vertrieb der Serratia-marcescensNuklease für biopharmazeutische Anwendungen getroffen.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
53
evocatal GmbH - The Art of Chiral Purity
Teil der Technologie- und Produktentwicklungen wird daher seit Gründung durch den
eigenen Cashflow finanziert.
Dr. Thorsten Eggert,
CEO evocatal GmbH, Düsseldorf
evocatal – Biotechnologie aus Düsseldorf
Die evocatal GmbH ist ein Unternehmen der
industriellen Biotechnologie mit Schwerpunkt
auf Entwicklung und Produktion maßgeschneiderter Biokatalysatoren und Feinchemikalien für den Einsatz in der chemischen
und pharmazeutischen Industrie. Das Angebot umfasst Auftragsforschung und die
Bereitstellung eigener Biokatalysatoren mit
dem Ziel, Produktionsprozesse der Kunden
nachhaltig und effektiver zu gestalten. Das
Unternehmen wurde im Jahr 2006 gegründet als Spin-off des Instituts für Molekulare
Enzymtechnologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf im Forschungszentrum
Jülich. Seither beteiligt sich evocatal aktiv
an wissenschaftlichen Netzwerken, leitet
internationale Forschungskooperationen
und arbeitet so stets auf dem neuesten
Stand.
Enzymtechnologie als Kernkompetenz
evocatal ist spezialisiert auf die Enzymtechnologie, dort aber technologisch breit aufgestellt. Von der Auffindung neuer Enzyme
im Metagenom über die maßgeschneiderte
Optimierung durch molekularbiologische
Techniken bis hin zur Produktion im Großmaßstab ist das Know-how firmenintern
vorhanden. Im Anschluss an diese „Bio“Entwicklung setzt bei evocatal die „Prozess“Entwicklung an, mit dem Ziel, den enzymatischen Prozess im industriellen Maßstab
beim Kunden zu etablieren oder mit dem
eigenen Custom Manufacturer Spezial- und
Feinchemikalien bis in den Tonnenmaßstab
selbst zu produzieren und zu vertreiben.
Die richtigen Kooperationen
als Schlüssel zum Erfolg
Den Aufbau des breiten Technologieportfolios und v. a. die Möglichkeit zur Produktion
von Enzymen sowie Spezial- und Feinchemikalien im industriellen (Tonnen-)Maßstab
konnte evocatal mit seinen aktuell 23 Mitarbeitern nur durch Kooperationen realisieren.
Die richtigen Kooperationspartner sind an
dieser Stelle von entscheidender Bedeutung.
Mit der schweizerischen Rohner AG wurde
2012 eine strategische Partnerschaft zum
Scale-up der Enzymprozesse begonnen.
„Biotech made in Germany meets Swiss precision in Scale-up“ heißt das gelebte Motto
der Zusammenarbeit. Ohne selbst über Reaktoren im Kubikmeterbereich zu verfügen
ist im Zusammenwirken mit dem Partner die
fließende Skalierung der Prozesse bis in den
industriell relevanten Maßstab möglich.
Gut finanziert, auch über eigenen
Cashflow
Die Geschäftsentwicklung wurde durch ein
Netzwerk von Seed-Investoren wie dem
High-Tech Gründerfonds und dem Sirius
Seedfonds Düsseldorf in Verbindung mit
Business Angels finanziert. Aufgrund des
Businessmodels der evocatal wurde seit
Gründung Umsatz durch Kooperationsprojekte und in den letzten Jahren zunehmend
durch Produktverkäufe generiert. Seit 2011
liegt der Umsatz im siebenstelligen Bereich
mit hohen jährlichen Wachstumsraten. Ein
Mit Innovationsallianzen auf
neuen Biotech-Wegen
Schon seit Jahren ist die Pharma- und mehr
und mehr auch die chemische Industrie mit
der Biotechnologie verbunden. Zahlreiche
Produkte werden dort heute schon durch
biotechnologische Prozesse veredelt oder
komplett produziert. Um auch die Chancen
der Biotechnologie in weniger „bio“-affinen
Industrien zu forcieren, gehen wir als eines
der ersten deutschen Biotech-Unternehmen
den Weg einer „ungewöhnlichen“ Allianz. Im
Rahmen der „Innovationsinitiative industrielle Biotechnologie“ ist evocatal mit seinem
Konzept „Funktionalisierung von Polymeren“
54
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
(FuPol) einer von drei erfolgreichen Projektkoordinatoren, welche durch das BMBF
in den nächsten Jahren gefördert werden.
Im Fokus der Allianz steht die Nutzung von
Proteinen in zumeist kaum mit der Biotechnologie in Berührung gekommenen Industriebranchen, um hier die Biologisierung
voranzutreiben. Neue biotechnologische
Verfahrenswege sollen funktionalisierte,
natürliche Polymere wie Lignin und Cellulose
für den Einsatz als Betonzusatzmittel in der
Bauchemie nutzbar machen. Zum anderen
werden enzymatische Funktionalisierungen
an synthetischen Polymeren den Herstellungsprozess bzw. die Veredelung von Textilien ermöglichen sowie eine Verbesserung
der Faserpflege während des Waschgangs
gewährleisten. Bei einer erfolgreichen Umsetzung dieser innovativen Entwicklungen
können die genannten Prozesse nicht nur
kostengünstiger, sondern durch die Einsparung von Energie und CO2 sowie den Einsatz
nachwachsender Rohstoffe umweltfreundlicher gestaltet werden.
Die Zukunft gehört der
Bio-based Economy
Um den Übergang von einer erdöl- zur biobasierten Ökonomie Realität werden zu lassen, ist auch – und wahrscheinlich sogar vor
allem – in der Chemie-Industrie noch sehr
viel zu bewegen. Erdölunabhängige Rohstoffquellen für die chemische Industrie zugänglich zu machen und dabei wettbewerbsfähig
zu bleiben, ist eine der großen Herausforderungen der Zukunft. Ohne Biotechnologie in
Gänze oder in Teilprozessen ist diese Aufgabe nicht zu bewältigen. Die evocatal wird
sich daher in Zukunft neben den Spezialund Feinchemikalien für den Pharma-Markt
vermehrt auch um Lösungswege in der
Chemie kümmern. Und auch hier ist die Kooperation der Schlüssel zum gemeinsamen
Erfolg. Mit dem Spezialchemiekonzern
Lanxess wurde beispielsweise ein solcher
Partner gefunden, um die Herstellung von
Kautschukvorprodukten auf Basis nachwachsender einheimischer Rohstoffe zu realisieren.
www.evocatal.com
Allianzen europäischer Biotech-Unternehmen
Technologieplattformen auch
Frontrunner in Europa
Noch beeindruckender ist die Liste der TopAllianzen in Europa mit Blick auf die Transaktionspreise, die für den nicht-exklusiven
Zugang zu hoch bewerteten Technologie-
plattformen gezahlt werden. Alle sechs der
gelisteten europäischen Top-Deals vertreten
klassische Technologieplattformen vom Typ
Tech@MPO oder Tech@Process.
An der Spitze stehen erwartungsgemäß die
„Multiple Product Opportunities“, welche
neue Wirkstoffklassen hervorbringen, diese
„am Fließband“ produzieren und in verschiedenen Therapiegebieten anwenden können.
Demzufolge sind die Chancen für Deals
mit Pharma breit gefächert und werden von
den Biotech-Firmen effektiv genutzt.
Allianzen europäischer Biotech-Unternehmen, 2012 (Auswahl)
Firma
Molecular
Partners
Galapagos
Genmab
Evotec
Symphogen
Ablynx
Land
Schweiz
Belgien
Dänemark
Deutschland
Dänemark
Belgien
Partner
Allergan
Abbott
Laboratories
Janssen Biotech
(Tochtergesellschaft von J&J)
Bayer
Merck KGaA
Merck & Co.
Land
USA
USA
USA
Deutschland
Deutschland
USA
Datum
21. August
29. Februar
30. August
1. Oktober
6. September
2. Oktober
Deal-Fokus
Produkt
Produkt
Produkt
Produkt
Produkt
Technologie/
Produkt
Therapeutischer
Status
Präklinik
Phase II
Phase II
Forschung
Phase II
n/a
Krankheitsgebiet
Altersbedingte
Makuladegeneration und verwandte Augenerkrankungen
Autoimmunerkrankungen
(Rheumatoide
Arthritis)
Onkologie
Endometriose
Onkologie
n/a
Potenzieller
Wert (Mio. €)
1.137,5
1.050,0
882,7
592,0
495,0
456,5
Upfront-Zahlungen
(Mio. €)
48,6
116,7
105,0
12,0
20,0
8,5
Meilensteine
(Mio. €)
1.088,8
933,3
777,7
580,0
475,0
448,0
Royaltys
zweistellig
zweistellig
zweistellig
zweistellig
ja
ja
Gegenstand
Entwicklung und
Vermarktung von
Molecular Partners’ zweifachanti-VEGF-A/
PDGF-B DARPin®
(MP0260), Erforschung und
Entwicklung neuartiger, gegen
Augenerkrankungen gerichteter DARPins
Entwicklung und
Vermarktung
von Galapagos’
Next-GenerationJAK1-Inhibitor
GLPG0634
Weltweite Lizenzvereinbarung
über die Entwicklung und
Vermarktung
von Genmabs
humanem
monoklonalen
CD38-Antikörper
Daratumumab
(HuMax®-CD38)
Multi-TargetAllianz: Erforschung und Entwicklung von
drei klinischen
Wirkstoffkandidaten gegen
Endometriose
(Laufzeit fünf
Jahre)
Weltweite Lizenzvereinbarung
über die Entwicklung und
Vermarktung von
Symphogens
Wirkstoffkandidat
Sym004, einer
rekombinanten
AntikörperMischung
Lizenzvereinbarung zur Entwicklung und
Vermarktung
von auf Ablynx’
Nanobody-Technologie basierenden Wirkstoffkandidaten
Quelle: Ernst & Young, 2013
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
55
Transaktionen
Grafische Darstellung der Allianz Allergan / Molecular Partners
Lizenzvereinbarung
Entwicklung
und
Kommerzialisierung
Duales anti-VEGF-A/PDGF-B DARPin®
MP0260 und seine „Backups“ gegen feuchte
altersbedingte Makuladegeneration
DARPin®Plattform
Option zur Mitfinanzierung der Entwicklung
Aufstockung der Royaltys
Vorauszahlung 62,5 Mio. US$
Allergan
Molecular
Partners
Meilensteinzahlungen 1,4 Mrd. US$
Zweistellige Royaltys
Forschungsallianz
DARPins gegen ausgewählte Targets
im opthalmologischen Bereich
Entwicklung
und
Kommerzialisierung
DARPin®Plattform
Drei Optionen auf Lizenzvertrag
Optionsausübungsgebühr
Quelle: Ernst & Young, 2013
Zu den erfolgreichsten Tech@MPO – gemessen
auch an den etablierten Allianzen – zählen:
• Molecular Partners in Zürich mit der
DARPin®-Plattform; DARPins sind neue
Proteinstrukturen, die die Bindespezifität
von Antikörpern mit den Eigenschaften
niedermolekularer Wirkstoffe (Stabilität,
Herstellungskosten, Wirkstärke) verbinden.
Neben dem gelisteten Deal mit Allergan im
Bereich Augenerkrankungen waren bereits
früher Allianzen mit Centocor Research &
Development, Roche und Schering (jetzt
Bayer Healthcare Pharmaceuticals) sowie
eine Herstellungskooperation mit Boehringer
Ingelheim abgeschlossen worden.
• Genmab aus Kopenhagen kann gemäß der
„Partner-Pipeline“ als erfolgreichstes
Plattformunternehmen angesehen werden,
mit einer fast klassischen Antikörperplattform und inzwischen einer weiteren Platt-
form für bispezifische Antikörper. Allein
die Liste der Deal-Partner klingt nach dem
„Who is Who“ der Pharma-Welt (Amgen,
GSK, Janssen, Emergent Biosolutions / Produktentwicklung; Novartis, Janssen,
Kyowa Hakko Kirin / bispezifische Antikörper; Roche, Lundbeck / R&D-Kooperationen zu neuen Targets).
• Jünger – aber hinsichtlich der Antikörperplattform ebenso erfolgreich – ist Symphogen aus Kopenhagen, das alleine 2011
mit seiner 100-Millionen-Euro-Finanzierungsrunde herausragte. Alleinstellungsmerkmal hier sind Mischungen mit hochspezifischen Antikörpern. Neben dem
aktuell für 2012 gelisteten Deal mit Merck
KGaA bestanden bereits zuvor weitere
Allianzen mit Genentech und Meiji Holdings
in Japan.
56
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
• Ablynx aus Belgien ist mit einer weiteren
Antikörperderivat-Plattform (Nanobodies®)
im Transaktionsfeld erfolgreich. Die Hauptpartner sind Boehringer Ingelheim (Alzheimer), Merck Serono (Onkologie, Immunologie, Inflammation), Novartis und
Merck & Co. (Ionenkanäle).
In gleich gutem Maße schlagen sich die
Tech@Process-Plattformen, wie sie am
besten durch Evotec (s. o.) oder Galapagos
repräsentiert werden.
Galapagos aus Belgien verfolgt ein ähnliches
Modell wie Evotec: ein Serviceportfolio, das
weite Teile der frühen R&D-Prozesskette
umfasst und den Partnern ein Drug-Discovery-Paket zur Verfügung stellt. Darin enthalten sind die proprietären Plattformen
BioFocus®, Argenta DiscoveryTM und Fidelta®,
Transaktionen
die die Bereiche Biologie (Target Discovery
und Screening), Substanzbibliotheken / Medizinalchemie sowie ADME / PK-Services
abdecken. Die 2012 neu abgeschlossene
Allianz mit Abbott / AbbVie ergänzt die bereits lange Liste der Partner:
• Servier (2011, Onkologie)
• Servier (2010, Arthrose)
• Roche (2010, Fibrose)
• Eli Lilly (2007, Osteoporose)
• Janssen (2007, Rheumatoide Arthritis)
• GSK (2006, Lupus Erythematodes)
Die Galapagos-Allianzstrategie verbindet
neue Targets und Wirkstoffe aus den eigenen
Labors mit der klinischen Expertise seiner
Pharma-Partner. Galapagos führt diese Programme bis zu definierten Übergangspunkten (Entwicklungskandidat, Phase I, Phase
II), von wo aus der Partner die weitere Entwicklung in die Hand nimmt. Aktuell arbeiten
die Belgier parallel an über 30 Programmen
in den sieben o. a. Allianzen und haben seit
2006 bereits über 250 Millionen US-Dollar
aus diesen Partnerschaften eingenommen.
Folgerichtig können sie sich inzwischen auch
ein eigenes Entwicklungsportfolio in den
Indikationsgebieten Rheumatoide Arthritis
und Krebsmetastasierung leisten.
Die Größenordnung der beschriebenen TopAllianzen mit Meilensteinzahlungen von fast
einer halben (Ablynx) bis deutlich über einer
Milliarde Euro (Molecular Partners) in Verbindung mit den durchweg noch sehr frühen
Entwicklungsphasen der Leitprodukte demonstriert eindrucksvoll die Wertstellung
der Plattform an sich.
In den im Ranking nachfolgenden Allianzen, die auf Tech@Disease aufbauen, setzt
sich diese Beobachtung fort:
• AiCuris / Merck & Co. – HCMV-Infektionen
• ThromboGenics / Alcon – Augenerkrankungen
• AC Immune / Genentech – Alzheimer
Europäische Allianzen mit Spitzenplätzen in der globalen Statistik
Mit den beschriebenen Allianzen stehen europäische Transaktionen auch in der globalen
Statistik ganz oben. Die beiden Allianzen
von Molecular Partners / Allergan und Galapagos / Abbott nehmen weltweit die Spitzenplätze ein, noch vor dem ersten amerikanischen Deal (Five Prime Therapeutics / GSK).
Insgesamt weist die globale Deal-Statistik
in der Liste der Top-15-Allianzen sieben
europäische und acht US-Vertreter auf.
Auch auf amerikanischer Seite überwiegen
Technologieplattformen, allerdings mehr in
Richtung von Tech@Process-Plattformen
gehend (z. B. Endocyte / Drug Targeting;
Selecta Biosciences / Immunplattform SVPTM;
Upfront-Zahlungen von Pharma-Partnern,
Europa und USA
Summe (Mio. €)
Anteil Upfront-Zahlungen am potenziellen Deal-Wert
Ein Blick auf die Top-15-Deals der europäischen Allianzen zeigt, dass diese für 2012
eine Summe von insgesamt 7,1 Milliarden
Euro aufweisen (2011 nur 4,4 Milliarden
Euro). Dies bedeutet auch, dass die Top-15Deals bereits den Löwenanteil (82 %) des
publizierten Deal-Volumens ausmachen.
Upfront- und Meilensteinzahlungen für
Plattform-Deals nehmen stark zu
Interessante Einblicke liefert die Analyse
der Upfront-Zahlungen, insbesondere die
Betrachtung ihrer Anteile am Gesamtvolumen. Diese Kennzahl zeigt am besten die
Verhandlungsposition des Biotech-Partners
und gleichzeitig das real geflossene Kapital
zu dessen weiterer Finanzierung an.
Wiederum für die Top-15-Deals ergibt sich
im Jahresvergleich 2011 zu 2012 ein Anstieg der akkumulierten Upfront-Zahlungen
von 111 Millionen Euro auf 692 Millionen
Euro (+691 %). Auch der Anteil am Gesamtvolumen der jeweiligen Deals ist deutlich gestiegen, von fünf auf acht Prozent
( + 63 % ). In beiden Jahren waren in dieser
Aufstellung Plattform-Deals etwa gleichermaßen vertreten.
Die Analyse der Upfront-Zahlungen über
alle Allianzen mit publizierten Detailzahlen
(USA und Europa zusammengenommen)
zeigt einen deutlichen Anstieg im Anteil der
Upfront-Komponente am Gesamtvolumen
der Deals, von 12 Prozent auf über 18 Prozent im Jahr 2012.
20 %
4.000
18 %
3.500
16 %
3.000
14 %
2.500
12 %
2.000
10 %
8 %
1.500
6 %
1.000
4 %
500
0
FORMA Therapeutics / Cancer Targets) vor
den reinen Produktplattformen (z. B. ISIS
Pharmaceuticals / Antisense-Technologie).
2 %
2007
2008
2009
2010
2011
2012
0 %
Upfront Cash
Upfront Equity
Durchschnittlicher Anteil Upfront-Zahlungen*
*Durchschnittswert wurde auf Basis der Allianzen
mit expliziten Upfront- und Meilensteinzahlungen berechnet
Quelle: Ernst & Young, 2013
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Die Diskrepanz der Prozentangaben zu den
Angaben bei den Top-15-Deals ist dadurch
zu erklären, dass in der Masse der kleineren
Deals der relative Anteil der Upfront-Komponente in der Regel höher ist, da die TopTransaktionen ihre hohen Volumina meist
insbesondere durch weitreichende Meilensteinvereinbarungen erreichen. Insgesamt
ergibt sich damit aber ein Bild, das eher optimistisch hinsichtlich der Anerkennung der
Leistung von Biotech-Unternehmen stimmt,
insbesondere im Zusammenhang mit dem
Innovationspotenzial ihrer Technologieplattformen.
57
Verhandlungsposition der Tech@Companies in Allianzen
Upfront-Zahlungen an europäische Tech@Companies
im Vergleich
Durchschnittlicher Anteil Upfront-Zahlungen*
21 %
ThromboGenics, AC Immune) mit ca. 21
Prozent Upfront.
Diese Zahlen bestätigen einerseits die im
Einleitungskapitel „Perspektive“ durchgeführte Differenzierung in unterschiedliche
Technologieplattformtypen. Andererseits
zeigen die hier dargestellten Unterschiede
bei den Upfront-Zahlungen auch explizite
Charakteristika der Plattformen auf:
10 %
4 %
Tech@Process
Tech@MPO
Tech@Disease
*Durchschnittswert wurde auf Basis von Allianzen mit einem potenziellen
Wert über 20 Mio. € und expliziten Upfront- und Meilensteinzahlungen
im Zeitraum 2005 bis 2012 berechnet
Plattformtypen mit unterschiedlichen
Upfront-Verhandlungen
Quelle: Ernst & Young, 2013
Die weitergehende Analyse von UpfrontZahlungen in Deals mit einem Wert über
20 Millionen Euro stellt einen klaren Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Plattformtypen (Tech@MPO, Tech@Process,
Tech@Disease) und der Höhe der UpfrontZahlung im Verhältnis zum Gesamt-Deal her.
Während die Tech@Process-Plattformen
europäischer Biotech-Unternehmen (z. B.
Evotec, Galapagos) im Zeitraum 2005 bis
2012 durchschnittlich vier Prozent am DealVolumen als Upfront realisieren, liegen die
Tech@MPO-Plattformen (z. B. Genmab,
Ablynx, Symphogen) bereits im zweistelligen
Bereich und kommen im Mittel auf zehn
Prozent. Noch besser stellen sich schließlich
die Tech@Disease-Plattformen (z. B. AiCuris,
58
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
• Tech@Process-Plattformen sind näher an
einem Servicemodell, mit geringerem Risiko
und kürzerer Taktung der Meilensteine mit
häufigeren Zahlungen. Sie sind daher nicht
so stark von hohen Upfronts abhängig.
• Tech@MPO-Plattformen gehen mit konkreten Wirkstoffen direkt in die Entwicklung und damit ein größeres Risiko ein,
verbunden mit längeren Zeitschienen und
Abständen der Erfolgszahlungen. Sie benötigen die höheren Upfront-Zahlungen
schlichtweg zum Überleben und können
diese auch als Gegenleistung für ihr größeres Risiko-Commitment einfordern.
• Tech@Disease-Plattformen schließlich
stehen noch weiter im Risiko – mit Einzelprodukten, die unterschiedlicher Natur sein
können und somit nicht wie z. B. Antikörper
bestimmte Grundrisiken bereits durch die
einheitliche Struktur eingrenzen können.
Neue Allianzpartner auf dem Käufermarkt
Allianzpartner aus Mid-sized Pharma
werden interessanter
Käuferanalyse globaler
Pharma-Allianzen
Anzahl Transaktionen Europa
100 %
90 %
80 %
70 %
60 %
50 %
40 %
30 %
20 %
10 %
0 %
2009
2010
2011
2012
Anzahl Transaktionen Deutschland
100 %
90 %
80 %
Wenn Allianzen zwischen Biotech und Pharma
als wichtiges Lebenselixier für Biotech-Unternehmen zunehmend an Bedeutung gewinnen, wird es nicht ausreichen, in diese
Betrachtung nur Big Pharma (die 40 größten Pharmaunternehmen der Welt, nach Umsatz) einzubeziehen. Da die Zahl der großen
Pharma-Unternehmen limitiert und auch
deren Kapazität für Kooperationen mit Biotech begrenzt ist, ist es für Biotech-Firmen
ratsam, den Kreis der möglichen Partner
für pharmazeutische Zielsetzungen zu erweitern. Der Pharma-Mittelstand bietet
gerade in Deutschland mit etwa 900 Unternehmen ein riesiges Potenzial zum Abschluss
interessanter Allianzen. Denn bei diesen
Unternehmen sind der Bedarf an externer
Innovation und die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit mit Partnern noch stärker
ausgeprägt als bei den Big Playern der
Branche.
In der Vergangenheit gab es bereits mehrere
Anläufe, Biotech und Mid-sized Pharma
enger zusammen zu bringen, allerdings mit
eher bescheidenem Erfolg.
70 %
60 %
50 %
40 %
30 %
20 %
10 %
0 %
2009
2010
2011
2012
2011
2012
Anzahl Transaktionen USA
100 %
90 %
80 %
70 %
Neuere Analysen mit einer stärkeren Differenzierung der Biotech-Pharma-Allianzen
hinsichtlich des Pharma-Partners selbst
zeigen allerdings, dass sich ein – wenn auch
noch schwach ausgeprägter – Trend zu
mehr Partnerschaften mit mittelständischen
Pharma-Unternehmen entwickelt. Diese
Beobachtung trifft vor allem in Europa und
Deutschland zu, wenngleich mit der Einschränkung, dass die Gesamtzahl der Transaktionen in Deutschland möglicherweise
zu gering ist, um klare Trendaussagen treffen zu können.
Deutsche Biotech-Unternehmen konnten
dabei in diesem Jahr neben nationalen Verträgen (Lipid Therapeutics / Dr. Falk Pharma,
Ovamed / Dr. Falk Pharma, Biofrontera / Desitin Pharmaceuticals) auch internationale
Allianzen mit Pharma-Partnern geringerer
Größe schmieden (z. B. Ono Pharmaceutical,
Japan; BIAL, Portugal; Nordic Group, Frankreich; Zhejiang CONBA Pharmaceutical,
Yichang Humanwell, China).
Für Europa hat sich der Anteil der Mid-sized
Pharma-Unternehmen als Biotech-Partner
von ca. 40 Prozent in den Jahren 2009 bis
2011 auf inzwischen 55 Prozent erhöht,
während Big-Pharma-Allianzen relativ gesehen entsprechend von ca. 60 Prozent auf
45 Prozent abnahmen.
Demgegenüber ist diese Entwicklung in den
USA nicht zu beobachten. Die Gründe dafür
liegen in einer unterschiedlichen Industriestruktur. In Europa und gerade auch in
Deutschland ist die Wirtschaft explizit und
historisch bedingt stark durch den Mittelstand geprägt, was auch für den PharmaBereich zutrifft. Insofern sollten diese Beobachtungen als Motivation dienen, den
Blick bei der Suche nach Pharma-Partnerschaften offener auch in Richtung mittelständischer Unternehmen zu richten.
60 %
50 %
40 %
30 %
20 %
10 %
0 %
2009
2010
Mid-sized Pharma
Big Pharma
Quelle: Ernst & Young, 2013
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
59
M&A-Transaktionen deutscher Biotech-Unternehmen
M&As deutscher Biotech-Unternehmen, 2012
Firma
Land
Käufer
Land
Art
Datum
Potenzieller
Upfront-ZahWert (Mio. €) lungen (Mio. €)
Corimmun
Deutschland
J&J
USA
Pharma
28. Juni
155,5
77,8
Cellzome
Deutschland
GSK
UK
Pharma
15. Mai
75,2
75,2
AbD Serotec
(MorphoSys)
UK (Deutschland)
Bio-Rad
Laboratories
USA
Biotech
16. Dezember 53,0
53,0
DermaTools Biotech
(9 % Anteil)
Deutschland
CytoTools
Deutschland
Holding
23. März
2,0
2,0
CeGaT
(20 % Anteil)
Deutschland
B. Braun
Melsungen
Deutschland
Medtech
31. Januar
n/a
n/a
Scil Technology
Deutschland
Nanohale
Deutschland
Medtech
9. Januar
n/a
n/a
Sovicell
Deutschland
Hinnerk Boriss
MBO
11. Oktober
n/a
n/a
X-Pol Biotech
Spanien
SYGNIS Pharma
Biotech
18. Juli
n/a
n/a
Deutschland
Quelle: Ernst & Young, 2013
M&A in Deutschland nach wie vor kein
großes Thema
Wie die obenstehende Tabelle zeigt, stand
auch im Jahr 2012 das Thema Unternehmensverkauf nicht auf der Agenda der
deutschen Biotech-Branche. Insgesamt nur
acht Transaktionen unterschiedlichster
Art und Motivation machen statistische
Auswertungen und Trendableitungen unmöglich.
Einzig interessant aus deutscher Sicht sind
die beiden erstgenannten Verkäufe, bei
denen ein in Deutschland entwickeltes Asset
(Corimmun) bzw. eine Technologieplattform (Cellzome) Käufer fanden.
Im Fall von Corimmun war Janssen (die
Pharma-Sparte von J&J) in der Tat nur an
dem Lead-Projekt COR-1 interessiert. Im
Zuge der Übernahme und in Absprache mit
den Investoren (allen voran die MIG Fonds
mit 26 % Beteiligung) wurde deshalb eine
Firmenausgründung beschlossen, die das
verbleibende Portfolio von Corimmun selbstständig weiterentwickeln soll. Das neue
Unternehmen firmiert unter dem Namen
advanceCOR in München (vgl. Artikel von
Prof. Götz Münch auf S. 62).
60
Mit einem so schnellen Verkauf war nicht unbedingt gerechnet worden, weil Corimmun
sich mit seinem Wirkstoff COR-1, einem
zyklischen Peptid, noch in der klinischen
Phase II befand. Das heißt, aus der Proof-ofConcept-Studie liegen noch keine Ergebnisse zur Wirksamkeit des Wirkstoffs beim
Menschen vor. In präklinischen Tests hat die
Substanz gezeigt, dass sie die Herzfunktion
verbessern kann. Das geschieht, indem
COR-1 die anti-ß1-Rezeptor-Autoantikörper
bindet und neutralisiert und so ihre schädigenden Effekte verhindert. Immerhin erzielte somit ein singuläres Asset ohne klinischen Proof of Concept einen stolzen
Preis. Dieser beinhaltet allerdings eine erfolgsabhängige Meilensteinzahlung, sodass
den Investoren zunächst nur die Hälfte des
Verkaufspreises zurückgegeben wird.
Die Übernahme von Cellzome in Heidelberg
durch GSK ist einerseits überraschend, weil
entgegen der aktuellen Trends eine Technologieplattform komplett übernommen wurde.
In diesem Fall geht dem Kauf allerdings eine
langjährige Kollaborationshistorie voraus,
nach der sich GSK fragen musste, ob man
die geplante weitere Nutzung der Technologien nicht per Übernahme auf Dauer billiger
haben konnte. Cellzome wird in Heidelberg
als R&D-Standort von GSK weitergeführt,
wie Gitte Neubauer im nachfolgenden Artikel
beschreibt.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Weitere Übernahmen betrafen:
• Minderheitsbeteiligungen aus strategischen Erwägungen (z. B. CytoTools
an DermaTools Biotech oder B. Braun
Melsungen an CeGaT)
• Geschäftsfokussierung (z. B. die Abgabe
der Forschungs- und Diagnostik-Antikörper
von MorphoSys an BioRad)
• Restrukturierung nach fehlgeschlagener
Entwicklung (Merger SYGNIS / X-Pol
Biotech)
• Management-Buy-Out (Sovicell)
• Geschäftsstärkung durch Zusammenführen
komplementärer Kompetenzen (Übernahme von Scil Technology durch Nanohale)
Die wenigen Aktivitäten im Bereich M&A in
Deutschland sind möglicherweise auch eine
Konsequenz aus der über die letzten Jahre
erfolgten Verschiebung der Geschäftsstrategien in Richtung Servicemodell oder Technologieplattformen; beide Strategien stehen
nicht im Zentrum von Akquisitionsaktivitäten.
Post Merger: Die Integration von Cellzome in GlaxoSmithKline
Dr. Gitte Neubauer,
Geschäftsführerin Cellzome GmbH,
eine GSK-Tochter, Heidelberg
Cellzome heute
Cellzome ist ein Biotechnologieunternehmen, das im Jahr 2000 als Ausgründung
des Europäischen Molekularbiologie Labors
(EMBL) in Heidelberg startete und im Mai
2012 von GlaxoSmithKline (GSK) übernommen wurde. Cellzome ist führend auf
dem Gebiet der Chemoproteomik, einer
Technologie, mit der die molekularen Wirkmechanismen von Arzneistoffen sehr genau
bestimmt werden können. Diese Technologie
wird in der Wirkstoffforschung eingesetzt,
um präzisere Wirkstoffe zu finden und das
Risiko für Nebenwirkungen zu verringern.
Seit der Gründung hat Cellzome seine Pionierarbeiten in der Proteomik immer wieder
durch Publikationen in renommierten Wissenschaftsjournalen belegt und konnte dadurch führende Pharma-Firmen für große
Kooperationen gewinnen. Heute beschäftigt
Cellzome ca. 60 Mitarbeiter aus zehn Nationen, die in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen ausgebildet sind, wie z. B.
in Biologie, Chemie, Physik oder Informatik.
Von anfänglichen Kooperationen
zur Einbindung in GSK
Cellzome und GSK haben ihren gemeinsamen Weg bereits 2008 mit einer großen
strategischen Kooperation zur Identifizierung anti-inflammatorischer Kinase-Wirkstoffe begonnen. 2010 folgte eine zweite
Kooperation im Bereich Immuno-Inflammation, diesmal mit dem Fokus auf epigenetische Targets. Diese Partnerschaften erlaubten GSK eine mehrjährige Validierung
von Cellzomes Technologie in der eigenen
Forschung. Die vertragliche Beschränkung
der Zusammenarbeit auf den Bereich Immuno-Inflammation führte schließlich zu
weitergehenden Verhandlungen, die am
Ende zur Übernahme führten und damit die
uneingeschränkte Nutzung von Cellzomes
Technologie für alle therapeutischen Bereiche bei GSK ermöglicht.
Post Merger Integration
Die erste und einschneidenste Veränderung
der Cellzome-Integration war sicherlich die
Trennung von der Medizinalchemie in Cambridge (England) mit dem Spin-out einiger
präklinischer Programme. Für die Heidelberger Niederlassung mit der ProteomikPlattform begann mit der Übernahme die
Integrationsphase, die eine wissenschaftlich-strategische Neuausrichtung genauso
beinhaltete wie die operative / organisatorische Integration. Da Cellzome als Technologieplattform extrem gut mit den therapeutischen Einheiten der GSK-F&E verzahnt
werden muss, hat sich Cellzome für eine
relativ weitreichende operative Integration
entschieden. Das hat zur Folge, dass eine
Umstellung des Finanzsystems und der dazugehörigen Prozesse ebenso Teil der zeitintensiven Integration sind wie die Einbindung des EDV-Systems. Mit der Integration
in ein Pharma-Unternehmen eröffnet sich
eine neue Welt, die durch ihre Größe und
Historie eigene Werte, Dynamiken und in
Bereichen auch eine eigene Sprache entwickelt hat.
Zusammenarbeit und Eigenständigkeit
Trotz einer starken Einbindung von Cellzome
in den GSK-Forschungsbetrieb und in die
GSK-Verwaltungsprozesse wird eine gewisse
Eigenständigkeit erhalten bleiben. Dies wird
deutlich durch die Beibehaltung des mit
hohem wissenschaftlichen Ansehen verbundenen Namens, was auch die zugrundeliegende Unternehmenskultur reflektiert.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Insgesamt wird die wissenschaftliche Agenda,
samt interner und externer Kooperationen,
von Cellzome selbst bestimmt. Natürlich
muss wie überall ein entsprechendes Budget
dazu verhandelt werden, und selbstverständlich wird der Erfolg von Cellzome am
Wert für die GSK-Pipeline gemessen.
Die neue Welt: Ein Leben nach dem
Merger mit Vorteilen und Nachteilen
Durch den Merger haben sich für Cellzome
und seine Mitarbeiter viele positive Aspekte
ergeben. Dazu gehören die finanzielle Stabilität der Firma und GSK-Benefits für die
Mitarbeiter, was neben rein monetären Vorteilen z. B. auch den leichteren Zugang zu
Fortbildungsmaßnahmen beinhaltet. Ein
weiterer positiver Aspekt ist das erklärte Ziel
von GSK, das operative Modell zu vereinfachen. Dies zeigt sich an einigen Prozessen,
die tatsächlich einfacher und sparsamer sind
als zuvor. Generell wird mit Ressourcen bei
GSK sehr bewusst umgegangen – teilweise
schlanker, als das bei Biotech-Unternehmen
oder im akademischen Bereich der Fall bzw.
möglich ist. Der Preis dafür ist ein partieller
Verlust an Flexibilität, vor allem in Verwaltungsprozessen. Mit einer eigenen Administration lässt es sich flexibler arbeiten als
mit einer zentralen Abteilung an einem anderen Standort, die wesentlich schwerer auf
die Bedürfnisse einer einzelnen GSK-Tochter
eingehen kann. Allerdings stehen die im Bereich Administration eingesparten Stellen
wiederum der Forschung zur Verfügung,
was insgesamt den größeren Nutzen bringt.
Weiterentwicklung der Technologie
Der Zugang zu komplementären Technologien, Werkzeugen und Reagenzien, die
Cellzome als unabhängige Firma nicht zur
Verfügung standen, ermöglicht eine wesentlich effizientere Fortentwicklung der Technologie. Auf der anderen Seite birgt die Zugehörigkeit zu einer so großen Organisation
aber auch Risiken des Produktivitätsverlustes: ein gesteigerter interner Fokus und
Kommunikationsaufwand bindet Mitarbeiter
und macht es schwerer, den Blick auch nach
außen zu halten. Erzielt man hier die richtige
Balance, ist es allerdings eine fantastische
Möglichkeit für eine Technologiefirma, entscheidend zur Entwicklung neuer Medikamente beizutragen.
www.gsk.com
61
Von Corimmun zu advanceCOR: Die personalisierte Therapie
gegen Herz-Kreislauferkrankungen geht weiter
Auch die Investoren sind von
advanceCOR überzeugt und stellen
die Finanzierung sicher
Die Series A-Finanzierung wurde durch die
MIG AG als Leadinvestor zusammen mit der
KfW und Bayernkapital finanziert. Zusätzlich
daran beteiligt waren BioM, der HTGF und
die Gründer selbst. Die Ende 2012 erfolgreich abgeschlossene Finanzierungsrunde
in Höhe von 6,45 Millionen Euro ermöglicht
nun die Durchführung der Phase-II-Studien
für das Leadprodukt Revacept. Daneben hat
advanceCOR signifikante Umsätze durch
studienbegleitende Arbeiten der COR-1-Entwicklung für Johnson & Johnson.
Prof. Dr. Götz Münch,
CEO advanceCOR GmbH, Martinsried
Übernahme von Corimmun durch Janssen
Im Juni 2012 erwarb Janssen-Cilag für eine
erhebliche Upfront-Summe und mögliche
klinische Meilenstein-Zahlungen unser damaliges Lead-Produkt COR-1. COR-1 befand
sich bereits in einer Phase-II-Studie zur
gezielten Unterbrechung der Entzündung
bei Herzinsuffizienz via Hemmung von
autoantikörpervermittelter Herzmuskelschädigung. Johnson & Johnson wird das
zyklische Peptid nun weiter entwickeln und
kommerzialisieren. Das erfolgreiche Gründerteam der Corimmun gründete daraufhin
mit den verbleibenden Assets Revacept,
COR-2 und COR-3 die neue Biotech-Firma
advanceCOR GmbH.
Neue Ausgründung mit den restlichen
Assets: Die advanceCOR
Neben der Pipeline übernimmt advanceCOR
auch die Mitarbeiter und Räumlichkeiten sowie die Gesellschafterstruktur von Corimmun.
Das gesamte Team, die Gründer und die
Investoren haben direkt im Anschluss an
den Verkauf die Arbeiten in der advanceCOR
weitergeführt. Dadurch kam es zu keinem
nennenswerten Zeitverlust bei der Weiterentwicklung der klinischen und präklinischen
Entwicklungsprojekte. Durch die gelungene
Neugründung konnten sowohl die Interessen
der Investoren, des Teams und des Managements auf sehr schöne Weise in Einklang
gebracht werden.
62
Revacept
Revacept ist ein Plättchenhemmstoff und
damit Medikament zur Behandlung akuter
arterieller Thrombosen und Thrombo-Embolien wie z. B. Herzinfarkt und Schlaganfall. In
Phase-I-Studien zeigte sich bei Menschen
spezifische Wirksamkeit bei sehr guter Verträglichkeit. Revacept bindet spezifisch an
Verletzungen in Blutgefäßen und verhindert
somit eine lokale Thrombose bei Patienten
mit akutem Herzinfarkt und Schlaganfall.
Revacept hat dabei keinen Einfluss auf die
generelle Blutstillung und erhöht daher
nicht die Blutungsneigung. Eine „proof of
concept“ Phase-II-Studie in Patienten mit
symptomatischer Karotisstenose wurde Ende
2012 begonnen. Es soll gezeigt werden,
dass arterielle Thrombosen und Infarkte im
Gehirn durch Revacept verringert werden,
ohne dass die Blutungskomplikationen im
Vergleich zur Standardtherapie zunehmen.
Durch diesen „lesion-directed“-Ansatz stünde
zur Behandlung jener lebensbedrohlichen
Krankheitsbilder erstmals ein hochwirksames
Medikament zur spezifischen Hemmung von
Blutplättchen zur Verfügung, das nicht mit
dem hohen Blutungsrisiko einhergeht,
welches bisher alle herkömmlichen Medikamente aufweisen. Zusammen mit Revacept
wird ein Companion Diagnostic entwickelt,
das eine personalisierte Therapie dieser
Patienten erlaubt, die ein erhebliches Risiko
für einen erneuten Schlaganfall haben.
Durch diesen personalisierten Ansatz und
die große therapeutische Breite des Medikamentes versprechen wir uns eine echte
Therapieoption für Patienten mit TIA oder
Schlaganfall, was allein in den USA mehr als
eine Million Menschen jährlich trifft. Schlaganfall ist die häufigste Ursache für dauerhafte Behinderung und die dritthäufigste
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Todesursache in der westlichen Welt. Derzeit werden aber lediglich weniger als fünf
Prozent aller Patienten mittels Thrombolyse
behandelt. Es gibt nur eine einzig zugelassene Therapie. Somit stellt Schlaganfall eine
Indikation mit ganz erheblichem „unmet
medical need“ dar. Der weltweite Markt für
Therapeutika in der Indikation Atherosklerose
beträgt derzeit ca. 17 Milliarden Euro pro
Jahr. Plavix ®/ Clopidogrel (ein Plättchenhemmstoff) war mit einem weltweiten Umsatz von 10,8 Milliarden US-Dollar im Jahr
2011 das zweiterfolgreichste Medikament
überhaupt und hat 2012 seinen Patentschutz verloren. Nach Berechnungen aufbauend auf aktuellen Marktzahlen können
für Revacept 0,8 bis 1,2 Milliarden Euro
jährlich erzielt werden.
Aus der Präklinik kommt Nachschub:
COR-2 und COR-3
Weitere Ansätze der advanceCOR zur Behandlung von Herz-Kreislauferkrankungen
befinden sich bereits in der Präklinik. Zum
einen wird der Proteinwirkstoff COR-2 entwickelt, der die Aufnahme von schädlichen
Lipidkomplexen (oxidiertes LDL) in Gefäßläsionen („Plaques“) verhindert. Dadurch
werden lokale Entzündungen verringert und
die Gefahr einer Plaqueruptur signifikant
vermindert. Auf der anderen Seite versucht
advanceCOR prophylaktisch Komplikationen
in der Blutbahn zu verringern. COR-3 bindet
bispezifisch zirkulierende Progenitorzellen
an atherosklerotischen Plaques und erhöht
somit die Konzentration dieser Stammzellen
in Gefäßläsionen („Homing“), was wiede-rum die Abheilung von instabilen Plaques
begünstigt. Beide Produkte sollen nach dem
„proof of concept in man“, der Phase II, an
große Biotech- oder Pharma-Firmen auslizenziert werden.
www.advancecor.com
M&A-Transaktionen europäischer Biotech-Unternehmen
M&As europäischer Biotech-Unternehmen, 2012
Firma
Land
Käufer
Land
Art
Datum
Potenzieller
Upfront-ZahWert (Mio. €) lungen (Mio. €)
Mercury Pharma
Group
UK
Cinven
UK
Private
Equity
17. August
573,2
573,2
EUSA Pharma
UK
Jazz
Pharmaceuticals
Irland
Biotech
26. April
567,8
528,9
Proximagen Group
UK
Upsher-Smith
Laboratories
USA
Pharma
13. Juni
439,8
274,9
deCODE genetics
Island
Amgen
USA
Biotech
10. Dezember 322,8
322,8
FerroKin
BioSciences
USA
Shire
UK
Biotech
15. März
248,5
73,5
Anabasis
Italien
Dompé
Italien
Pharma
28. Februar
177,2
177,2
Corimmun
Deutschland
J&J
USA
Pharma
28. Juni
155,5
77,8
Pervasis
Therapeutics
USA
Shire
UK
Biotech
12. April
155,5
n/a
Beta Renewables
(9,95 % Anteil)
Italien
Novozymes
Dänemark
Biotech
29. Oktober
90,0
90,0
Cellzome
Deutschland
GSK
UK
Pharma
15. Mai
75,2
75,2
Quelle: Ernst & Young, 2013
Internationale M&A-Statistik mit wenig
Bewegung
Im Gegensatz zu einer durchaus lebhaften
Dynamik im Bereich der Allianzen (s. o.) ist
die Zahl der M&A-Transaktionen in Europa
eher konstant geblieben (2009: 80 Deals,
2010: 96 Deals, 2011: 85 Deals, 2012:
93 Deals). In den USA ist die Anzahl der
M&A-Deals über die letzten Jahre leicht
rückläufig (2009: 147 Deals, 2010 und
2011: 125 Deals, 2012: 116 Deals).
Europäische M&As werden von Specialty
Pharma dominiert
Die Auflistung der prominentesten M&ATransaktionen in Europa macht die völlig
unterschiedlichen Rationalen von Allianzen
und Akquisitionen überdeutlich. Während
die Allianzen – wie zuvor beschrieben – klar
der Zielsetzung folgen, den Zugang zu technologischen Innovationen und Plattformen
zu sichern, sind die Akquisitionen ebenso
eindeutig auf den Zukauf von Produkten,
Marktzugang und Marktanteil gerichtet.
Dies wird weiterhin auch dadurch untermauert, dass bei den großen Transaktionen
vor allem Specialty-Pharma-Unternehmen
involviert sind, deren Hauptzielsetzung der
Ausbau ihrer Marktanteile mit entsprechend
breiten Portfolios ist.
Dieser Rationale folgen allein fünf der
Top-10-M&A-Deals:
•M
ercury Pharma wird durch das PrivateEquity-Haus Cinven mit dem Ziel übernommen, durch Zusammenführen mit
einem weiteren Specialty-Pharma-Unternehmen (Amdipharm) größere Durchschlagskraft am Markt zu erhalten.
•M
it der Übernahme der britischen EUSA
Pharma durch Jazz Pharmaceuticals aus
Irland tun sich zwei weitere SpecialtyPharma-Häuser zusammen.
•S
hire, einer der führenden europäischen
Specialty-Pharma-Vertreter, kauft gleich
zwei Unternehmen mit Produktportfolios,
die in die Marktstrategie passen: FerroKin
BioSciences erweitert den Bereich der
Hämatologie, Pervasis Therapeutics baut
die neue Ausrichtung bei Shire im Feld der
Zelltherapie aus.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Auch bei den meisten übrigen Akquisitionen
spielen Produkte die entscheidende Rolle.
Das US-Pharma-Unternehmen Upsher-Smith
Laboratories übernimmt das britische Biotech-Unternehmen Proximagen Group mit
dessen Expertise und Produkt-Pipeline in
den Therapiegebieten ZNS, Krebs und Entzündung. Noch klarer wird der Produktfokus
herausgestellt bei der Akquisition von Corimmun aus München durch Janssen / J&J.
Die Übernahme ist einzig getriggert durch
das Lead-Produkt COR-1 von Corimmun
(s. o.), während die restliche Pipeline zu
früh in der Entwicklung steht und deshalb in
eine Neugründung ausgegliedert wird.
Lediglich zwei der verbleibenden M&A-Deals
folgen nicht diesem Muster: Der bereits
weiter oben beschriebene Kauf von Cellzome
durch GSK sowie die Übernahme der isländi-schen deCODE genetics durch Amgen haben eher technische Beweggründe – letztere
die Expertise in der Entschlüsselung von
krankheitsassoziierten Genen und Targets.
63
Firepower von Big Pharma nimmt ab
Mid-sized Pharma geht auch bei
M&A-Deals voran
Käuferanalyse globaler
Pharma-M&As
beispielsweise Grupo Ferrer (Spanien),
Dompé (Italien), AGUETTANT (Frankreich)
und Grifols (Spanien) als Käufer aktiv.
Trotz klarer Unterschiede bei Zielsetzung
und beteiligten Partnern zwischen Allianzen
und M&A-Deals bestimmt ein Trend beide
Pharma-Schauplätze: Auch bei Übernahmen
hat zumindest in Europa die Bedeutung
von Mid-sized Pharma als Käufer stetig über
die letzten Jahre zugenommen. Hatte Big
Pharma bei den Übernahmen in Europa
2009 mit 62 Prozent noch deutlich die Nase
vorn, so dreht sich dieses Verhältnis im Verlauf und Mid-sized Pharma gewinnt 2012
mit 70 Prozent der Übernahmen die Oberhand. So waren im Berichtsjahr aus Europa
Anzahl Transaktionen Europa
100 %
90 %
80 %
70 %
60 %
50 %
40 %
30 %
20 %
Eine entsprechende Entwicklung ist in den
USA ausgeblieben. Dort hat sich das Übergewicht von Big Pharma als Käufer eher
noch leicht verstärkt und erreicht 70 Prozent Anteil an den Übernahmen durch
Pharma-Firmen. Gründe hierfür sind vermutlich ebenfalls in der unterschiedlichen
Zusammensetzung der Pharma-Industrie
auf beiden Seiten des Atlantiks zu suchen,
da vor allem in Europa die mittelständische
Industrie stärker ausgeprägt ist.
10 %
0 %
2009
2010
2011
2012
Das „Growth Gap“ von Big Pharma wird größer
Anzahl Transaktionen USA
Gesamtumsatz (Mrd. US�)
100 %
1200
90 %
80 %
Umsatz, den Big Pharma
benötigt, um mit globalem
Arzneimittelmarkt Schritt
zu halten
1000
70 %
60 %
800
Growth Gap:
100 Mrd. US�
im Jahr 2015
50 %
600
40 %
30 %
400
20 %
10 %
Analysten-Prognose
für Big-Pharma-Umsatz
200
0 %
2009
2010
2011
2012
Mid-sized Pharma
Big Pharma
0
2006
2007
2008
2009
Globaler Arzneimittelmarkt
Quelle: Ernst & Young, 2013
64
2010
2011 2012 E 2013 E 2014 E 2015 E
Growth Gap
Big-Pharma-Umsatz
Quelle: Ernst & Young, IMS Health, 2013
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Transaktionen
Ein weiterer Aspekt wurde kürzlich in einer
Ernst & Young-Studie mit dem Titel „Closing
the gap?“ herausgestellt: Big Pharma befindet sich demnach zunehmend nicht nur in
dem vielzitierten „Innovation Gap“, über die
letzten Jahre wurde zunehmend auch ein
deutliches „Growth Gap“ immer evidenter,
da Big Pharma nicht mehr mit dem Marktwachstum der Gesamtindustrie mithalten
kann. Die logische Konsequenz, um beide
Lücken zu überwinden, wäre eine Zunahme
der M&A-Aktivitäten, die aber nicht erkennbar ist. Als Grund kristallisiert sich heraus,
dass Big Pharma für die konsequente Verfolgung einer Akquisitionsstrategie zunehmend die „Firepower“ ausgeht. Dieser Kaufkraft-Index ist hier definiert als die Kombination aus verfügbarem Cash und dem möglichen Rahmen für die Schuldenaufnahme
unter Berücksichtigung der Marktkapitalisierung.
Firepower: Abnahme bei Big Pharma,
Zunahme bei Specialty Pharma und Big Biotech
Big Pharma Firepower (Mrd. US�)
Specialty Pharma und Big Biotech Firepower (Mrd. US�)
180
900
+61 %
800
600
+13 %
+8 %
140
+21 %
120
–2 %
500
100
80
400
+9 %
–31 %
200
100
0
+15 %
+6 %
300
2006
Big Pharma
+20 %
0 %
Aus Sicht der Biotech-Unternehmen, insbesondere der kleineren, erweitert diese
Entwicklung das Spektrum möglicher Partner in positivem Sinne. Es wird im Detail
zu beobachten sein, wie in den nächsten
Jahren bei Deals einerseits das Feld der
möglichen Käufer sich ausweitet und andererseits eine breitere Käuferschicht auch die
Preise bzw. die Verhandlungsposition von
Biotech positiv beeinflusst.
60
40
–5 %
–24 %
–26 %
–30 %
–24 %
–23 %
2007
2008
2009
2010
2011
2012
Specialty Pharma inklusive Generika
Die Kurven zeigen die Änderung der Firepower relativ zu 2006.
Damit nicht genug: Parallel legen die prominenten Vertreter aus Big Biotech und Specialty Pharma in puncto Firepower sogar zu.
Somit untermauert auch dieser Zusammenhang die beobachtete schwächere Position
von Big Pharma bei Akquisitionen, welche
neuen Playern die Tore öffnet zum immer
noch Käuferdominierten Biotech-Markt.
160
+31 %
700
20
0
Big Biotech
Quelle: Ernst & Young, 2013
Geringere Firepower führt zur Verdrängung
von Big Pharma aus M&As
Wert der M&A-Transaktionen (Mrd. US�)
120
100
80
60
40
20
0
2007
2008
2009
Big Pharma
Big Biotech
Specialty Pharma ohne Generika
* Januar bis November
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
2010
2011
2012*
Generika
Quelle: Ernst & Young, IMS Research, 2013
65
Finanzierung
66
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Zahlen und Fakten im Überblick
Kapitalaufnahme deutscher Biotech-Unternehmen
• 2
,4-fache Steigerung des Risikokapitals von 87 Mio. € auf 207 Mio. €
(enthält 80 Mio. € aus der CureVacund 60 Mio. € aus der BRAIN-Finanzierung)
Summe (Mio. €)
552
500
400
107
95
454
444
138
160
300
• V
erdopplung der Sekundärfinanzierungen börsennotierter Unternehmen von 44 Mio. € auf 80 Mio. €
287
257
80
49
200
153
100
0
131
54
44
350
316
208
99
284
87
207
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
• P
rivate wie börsennotierte Unternehmen liegen trotz des verdoppelten Kapitalzuflusses um ca. 35 %
hinter den Durchschnittswerten aus
2006/07
• S
eit 2006 im sechsten Jahr in
Folge keine Börsengänge
Sekundärfinanzierungen bei börsennotierten Unternehmen
Börsengang
Risikokapital
Quelle: Ernst & Young, 2013
Kapitalaufnahme europäischer Biotech-Unternehmen
• K
apitalzufluss in Summe für 2012
(3,2 Mrd. €) liegt um erfreuliche
36 % über dem Mittel der vier Vorjahre – jedoch nach wie vor um
signifikante 38 % unter dem Durchschnittswert aus 2006/07
Summe (Mio. €)
6.000
5.041
5.000
5.682
232
222
4.000
2.498
3.355
3.241
3.000
2.735
474
2.000
682
745
1.000
0
1.783
74
593
75
1.359
2.860
299
1.336
103
165
2.124
288
1.331
811
910
68
31
1.639
1.350
1.041
799
1.060
957
969
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
Fremdkapital
Börsengang
• K
eine nennenswerten Bewegungen
bei der Eigenkapitalfinanzierung
(Risikokapital und Sekundärfinanzierungen bei Börsengelisteten)
• S
tarkes Wachstum nur bei Fremdkapitalfinanzierungen (+362 %)
• D
rei IPOs spielen in Europa lediglich
31 Mio. € ein, dazu kommen ein
Reverse IPO sowie ein Listing
Sekundärfinanzierungen bei börsennotierten Unternehmen
Risikokapital Quelle: Ernst & Young, 2013
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
67
Finanzierung
Kapitalaufnahme US-amerikanischer Biotech-Unternehmen
• R
ückgang im VC-Segment:
Mit 4,1 Mrd. US� lag das Risikokapital um 3 % unter Vorjahreswert
und 7 % unter dem Durchschnitt
der letzten vier Jahre
Summe (Mio. US$)
29.693
30.000
25.000
20.000
20.560
289
23.250
21.721
21.215
17.527
5.930
15.000
13.291
15.173
8.640
10.000
5.000
0
1.191
1.133
16.415
4.642
3.417
8.744
9.504
9.779
5.933
8.198
8.855
4.228
6
697
1.097
814
765
3.965
5.960
4.415
4.669
4.406
4.266
4.126
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
Fremdkapital
Sekundärfinanzierungen bei börsennotierten Unternehmen
Börsengang
Risikokapital Quelle: Ernst & Young, 2013
68
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
• L
eichte Zunahme der Follow-onFinanzierungen der börsengelisteten Unternehmen auf 8,9 Mrd. US�
(+8 % vs. 2011)
• F
remdfinanzierungen klar rückläufig – Einnahmen von 9,5 Mrd. US�
liegen um 42 % unter dem Vorjahreshoch
• 1
1 IPOs haben frisches Kapital in
Höhe von 765 Mio. US� eingefahren – plus zwei Listings und vier
Reverse IPOs
Finanzierung privater Biotech-Unternehmen
Zur Erläuterung der nachfolgenden Statistiken sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass diese aus öffentlich zugänglichen
Quellen stammen und deshalb nur Investments abdecken, die von den Investoren
oder Unternehmen publiziert wurden.
Fluktuation statt Aufwärtstrend
Die auf den ersten Blick erfreuliche, erneute
Aufwärtsbewegung in der allgemeinen Finanzierungsstatistik der deutschen Biotechnologiebranche wird allein durch die Einbeziehung der Investorenklassen in die Analyse
zumindest für die privaten Unternehmen
wieder ins Gegenteil verkehrt.
Die separate Betrachtung der Risikokapitalbeteiligung der Family Offices zeigt eindeutig,
dass die Zunahme an Risikokapital im Vergleich zum Vorjahr allein auf ihr Konto geht.
Wie in den Jahren 2008 und 2010 haben
auch 2012 die Finanzierungsaktivitäten
weniger Privatinvestoren die Statistik nach
oben verschoben. Der Anteil der Family
Offices an der gesamten Eigenkapitalfinanzierung betrug 88 Prozent, ein bisher nie
erreichter Wert. Der Blick auf die verbleibenden Finanzierungsrunden durch klassisches VC und andere Eigenkapitalgeber
ernüchtert noch mehr. In den letzten fünf
Jahren nahm ihr Beitrag kontinuierlich ab
und schlug 2012 nur noch mit einer Gesamtsumme von 25 Millionen Euro zu Buche.
Über die letzten Jahre stieg der Anteil an
alternativen Investoren kontinuierlich.
Somit kann eine gewisse Dunkelziffer aufgrund der nicht durchgehend transparent
gemachten Kapitalzuflüsse vermutet werden. Dennoch scheint klar, dass hinsichtlich
einer Trendaussage eher die fortgesetzte
Abwärtsbewegung der klassischen Finanzierungsinstrumente sowie die anhaltende
Fluktuation des Geldes von Privatinvestoren
relevant sind.
Das nun schon im fast regelmäßigen
Muster eines Zweijahresrhythmus ausgeprägte Verhalten der Family Offices verdeutlicht erneut die geringe Zahl der Investoren, die insgesamt über die Jahre keinen
„Steady State“-Verlauf aufweisen können.
Risikokapital und Beteiligung von Family Offices in Deutschland
Summe (Mio. €)
400
350
164
50
300
218
250
200
113
182
150
100
20
51
50
186
265
95
79
66
2006
2007
2008
2009
2010
0
Risikokapital mit Familiy-Office-Beteiligung
35
25
2011
2012
Sonstiges Risikokapital
Quelle: Ernst & Young, 2013
Neue Namen an der Family-Office-Front
Der zitierte Ausschlag der Statistik nach
oben basiert vor allem auf den beiden TopFinanzierungsrunden: zum einen dem Investment der dievini Hopp BioTech holding
in CureVac (80 Mio. €), zum anderen der
Beteiligung der Familie Putsch zusammen
mit den MIG Fonds an BRAIN (60 Mio. €).
Diese beiden Finanzierungen über insgesamt 140 Millionen Euro stellen bereits den
Löwenanteil von fast 77 Prozent des gesamten Family Office Peaks.
Das Investment des Family Office Hopp
in CureVac folgt der Logik des bisherigen
Engagements für die RNA-Vakzinierungstechnologie des Tübinger Unternehmens.
Im Zuge der dort aktuell anstehenden
Phase-IIb-Studien stand der Investor vor
einer dualen Entscheidungssituation
(„Alles oder nichts“) und musste seinem
Vertrauen in die erfolgreiche bisherige Entwicklung auch Taten folgen lassen. Durch
die signifikante Kapitalspritze in Form der
nunmehr vierten Finanzierungsrunde erhält
CureVac Bewegungsspielraum für die Planung und Durchführung der klinischen Versuche in Phase II.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Aufgrund des unbestritten hohen Risikos
der erstmals klinisch erprobten RNActive®Impfstofftechnologie ist zu bezweifeln, ob
klassische VC-Konsortien sich auf dieses
Investment eingelassen hätten. Insofern ist
es eine wichtige Leistung der Family-OfficeInvestoren, dass sie gerade in der heutigen
Zeit derartige Risiken akzeptieren und somit
eine wichtige Stütze für wirklich signifikante
Innovationen sind. Dieses Engagement kann
deshalb nicht hoch genug eingeschätzt werden. Dass sie dabei immer auch näher am
Scheitern stehen, ist unvermeidbar; leider
auch mit all den negativen Auswirkungen
für das Ansehen der gesamten Branche.
Erfreulicherweise ist festzustellen, dass die
Family-Office-Szene mittlerweile durch neue
Namen ergänzt wird. Offenbar steigt die Bereitschaft, privates Vermögen eher als Direktinvestment anzulegen, als es in Fonds zu
investieren (vgl. Artikel Peter Brock, Family
Office Services auf S. 95). Insbesondere
nach den Äußerungen der bisher herausstechenden Family Offices Strüngmann und
Hopp, wonach diese sich nach Jahren massiver Kapitalspritzen in den deutschen BiotechSektor nun stärker auf die Portfolio-Entwicklung konzentrieren wollten, ist dies eine
willkommene Entwicklung.
69
Finanzierung
Risikokapitalfinanzierungen deutscher Biotech-Unternehmen, 2012
Unternehmen
Volumen (Mio. €)
Bekanntgabe
Runde
Investoren
CureVac
80,0
September
4
dievini Hopp BioTech holding
BRAIN
60,0
November
2
MIG Fonds, MP Beteiligungs-GmbH,
ungenannte Investoren
AiCuris
25,0
Januar
3
Dom Capital, FCP Biotech Holding, Santo Holding,
privater Investor
Affimed Therapeutics
15,5
Oktober
5
Aeris Capital, BioMedPartners, LSP Life Sciences
Partners, Novo Nordisk, OrbiMed Advisors
Phenex Pharmaceuticals
5,0
Oktober
4
CD-Venture, CREATHOR VENTURE, EVP Capital, KfW,
LBBW, Swiss Life, private Investoren
Proteros biostructures
5,0
August
2
BayBG, institutionelle Investoren
Algiax Pharmaceuticals
4,3
Mai
1
HTGF, KfW, private Investoren
CEVEC Pharmaceuticals
2,8
Oktober
4
Peppermint VenturePartners, CREATHOR VENTURE,
Midas Group, NRW.BANK
AyoxxA Biosystems
2,6 *
September
1
Wellington Partners, HTGF, NRW.BANK, Rainer Christine,
Gregor Siebenkotten
Rodos BioTarget
2,0
November
1
HTGF, Invest-Impuls, KfW, private Investoren
conoGenetix biosciences
1,5
April
1
MEY Capital Matrix, BioM
t-cell Europe
1,5
Mai
Seed
Constantin Bastian Leander Venture Capital, HTGF, ILB
Cysal
1,0
November
Seed
eCAPITAL entrepreneurial Partners, HTGF
JeNaCell
0,7
Oktober
Seed
HTGF, STIFT
AMP Therapeutics
n/a
Januar
1
Boehringer Ingelheim Venture Fund, Novartis Venture Fund
AptaIT
n/a
März
1
BioNTech, Prefound
AudioCure Pharma
n/a
Mai
Seed
Jürgen Schumacher, HTGF
Axiogenesis
n/a
Juni
n/a
V+ Management
cube-biotech
n/a
Dezember
1
CREATHOR VENTURE Management,
ungenannte Business Angels
Enzymicals
n/a
Juni
n/a
BRAIN, Braun Beteiligungs GmbH
Epivios
n/a
Juli
Seed
HTGF, Life Science Inkubator, TTHU, privater Investor
Eternygen
n/a
September
Seed
IBB Beteiligungsgesellschaft mbH, private Investoren
GeneQuine
Biotherapeutics
n/a
November
Seed
HTGF, Innovationsstarter Hamburg
GNA Biosolutions
n/a
Dezember
1
MEY Capital Matrix
MYR
n/a
März
2
Maxwell Biotech Venture Fund
OakLabs
n/a
Februar
Seed
HTGF
oncgnostics
n/a
März
Seed
HTGF, STIFT
Revotar
Biopharmaceuticals
n/a
Februar
6
bmp Beteiligungsmanagement,
bestehende und ungenannte Investoren
Transimmune
n/a
Juni
1
QureInvest
* 2. Tranche im Januar 2013 bringt die Finanzierung auf 3,0 Mio. €
70
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Quelle: Ernst & Young, 2013
Finanzierung
Das Family Office Martin Putsch war zwar
noch nicht breiter als Biotech-Investor in
Erscheinung getreten, wenngleich eine
Beteiligung an BRAIN bereits seit einigen
Jahren besteht. Der Name Putsch ist eng
verbunden mit der Marke RECARO, die mit
Auto-, Flugzeug- und Kindersitzen erfolgreich wurde. Nach dem Verkauf der Autositzsparte (wesentliche Teile der Unternehmen Keiper und RECARO) an den amerikanischen Konzern Johnson Controls ist
die Familie auch als Beteiligungsunternehmen aktiv. Interessant ist weiterhin, dass
das aktuelle Investment in BRAIN mit der
klaren Zielsetzung einhergeht, das bisher
als Entwickler und vornehmlich in Partnerschaften operierende Unternehmen stärker
direkt in die Industrialisierung seiner Technologielösungen einzubinden. Das zur Verfügung gestellte Kapital soll demzufolge für
die Akquisitionen von Unternehmen aus dem
weiteren Chemieumfeld eingesetzt werden,
die durch ihre Marktpräsenz sowie ihre
Entwicklungskompetenz komplette Wertschöpfungsketten für BRAIN etablieren
können. Insofern ist auch hier das Betreten
von Neuland verbunden mit ungewissem
Erfolg und damit Risiken für die Kapitalanlage. Zusammen mit Putsch ist als weiterer
Investor die MIG mit 20 Millionen Euro an
der Finanzierungsrunde beteiligt.
Ein weiterer neuer Name in der im letzten
Report schon aufgeführten Reihe der FamilyOffice-Investoren ist MEY Capital Matrix aus
München. Hinter diesem Investor steht der
Automobilzulieferer Webasto (Dachsysteme,
Standheizungen), dessen Inhaber nach
neuen Anlagemöglichkeiten außerhalb ihres
Stammgeschäfts suchten. Geplant sind
insgesamt 15 Investments in Life-ScienceUnternehmen. Dabei setzt man vor allem
auf Basis-Technologieplattformen, die im
Bereich der Medikamentenentwicklung sowie der Diagnostik und Medizintechnik in
überschaubaren Zeiträumen (vier bis fünf
Jahre) zu Fortschritten führen sollten und
deswegen im Zentrum des Interesses bei
den etablierten Unternehmen dieser Sektoren stehen.
Bisher wurden insgesamt fünf Beteiligungen
kommuniziert, davon im aktuellen Berichtsjahr 2012 zwei Biotech-Unternehmen aus
Martinsried, die die Investor-Philosophie
klar widerspiegeln. conoGenetix biosciences
hat eine proprietäre Technologieplattform
zur Identifizierung von Peptiden entwickelt,
welche in Ionenkanälen aktiv sind. Es wird
dabei darauf abgezielt, Kanäle, die ursächlich an Autoimmunmerkrankungen (Rheumatoide Arthritis, Psoriasis etc.) beteiligt
sind, zu blockieren. GNA Biosolutions, gegründet von Wissenschaftlern der LudwigMaximilians-Universität München, entwickelt
eine proprietäre Technologieplattform für
die ultraschnelle, laserbasierte DNA-Analyse
mittels Nanopartikeln zur Marktreife. Damit
wird zum Beispiel ein schnelles Analyseverfahren für den Erregernachweis, die Biosicherheit oder die Pharmakogenomik zur
Verfügung gestellt (vgl. Artikel S. 111).
Eine Besonderheit dieses Investors liegt in
einem neuen Investitionsvehikel, das auch
für Kleinanleger interessant sein soll: Es
handelt sich um die Ausgabe einer Unternehmensanleihe mit Inhaber-Teilschuldverschreibungen, die Anleger mit einer unteren
Stückelungsgröße von 1.000 Euro zeichnen
können. Insgesamt ist die Etablierung eines
25-Millionen-Euro-Fonds mit einer maximalen Laufzeit von (nur) fünf Jahren geplant.
Crowdfunding auch für Biotech?
Das Scheitern des VC-Modells und die Abwendung institutioneller Investoren vom
Life-Science-Sektor hat in den letzten Jahren die Suche nach alternativen Investoren
vorangetrieben. Private Investoren, von den
Family Offices über Business Angels bis zu
individuellen Anlegern aus dem Mittelstand
und Crowdfunding-Modellen rücken deshalb
zusehends weiter in den Mittelpunkt des Geschehens.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Insbesondere wurden in den letzten Jahren
Fonds-Konstrukte entworfen, um einer breiteren Bevölkerungsschicht renditeabwerfende Anlagemöglichkeiten im Life-ScienceSektor schmackhaft zu machen. Beispiele
hierfür sind:
• Die MIG Fonds mit inzwischen 13 FondsGenerationen mit Volumina um jeweils ca.
60 Millionen Euro (z. B. Fonds 13) und
einer Stückelungsmöglichkeit zwischen
3.000 und 5.000 Euro pro Anlageeinheit
bzw. auch kleinteiligerer Aufteilung über
monatliche Ratenzahlungen auf eine
Mindestanlage von 20.000 Euro (z. B.
Fonds 12)
• Der AMD Therapy Fund mit einem geplanten Fonds-Volumen von 60 Millionen
Euro und Anlagemöglichkeiten für Kleinanleger ab 3.000 Euro (Laufzeit zehn
Jahre)
• Die MEY-Capital-Matrix-Anleihe im Volumen
von 25 Millionen Euro mit Anlagemöglichkeit für Kleinanleger ab 1.000 Euro (Laufzeit fünf Jahre)
Die MIG Fonds wurden mit diesem Modell
zu einem der aktivsten Investoren in der Life-Science-Branche. Auch im Berichtsjahr
2012 war die MIG signifikant als Investor
aktiv: Neben der Beteiligung an BRAIN
wurden weitere Portfoliounternehmen mit
kleineren Tranchen (0,5 bis 3 Mio. €) aus
den verschiedenen Fonds weiterfinanziert.
Die beiden anderen Genannten befinden
sich noch im Vertrieb ihrer Anlageprodukte,
d.h. im Fundraising.
Gerade in Deutschland, dessen Industrie
vor allem durch den Mittelstand geprägt ist,
würde man ein sehr großes Potenzial von
Privatanlegern erwarten. Diese sollten selbst
unter Inkaufnahme von großen Risiken in
der Lage sein, durch Allokation eines geringen Anteils ihres Vermögens in die oben
genannten Fonds enorme Kapitalsummen
darzustellen. Hingegen entspricht es aber
offenbar eher der deutschen Mentalität, zu
spenden, als sich auf Renditeversprechen
einzulassen, die hohen Ausfallrisiken unterliegen. Verlorene Zuschüsse – eingeplant,
aus sozialer Motivation – sind leichter zu
verschmerzen als ein Totalverlust aus vermeintlicher Unfähigkeit bzgl. der richtigen
Kapitalallokation.
71
Finanzierung
Der AMD Therapy Fund, in dessen Investmentfokus Therapieentwicklungen auf dem
Gebiet der altersbedingten Makuladegeneration stehen, baut sein Fundraising eben
darauf auf, insbesondere betroffenen und
interessierten Menschen die Möglichkeit zu
bieten, sich finanziell für neue Therapien zu
engagieren. Die Verzahnung von ideellen
oder altruistischen Werten mit einem Finanzierungsvorhaben bietet gewissermaßen
einen alternativen Return on Investment.
Neben monetarisierbaren Gegenleistungen
wie bspw. Rechten oder materiellen Gütern
ist dies die Hauptmotivation für die Kapitalgeber im Crowdfunding.
Durch das Internet erfreut sich das auch
Schwarmfinanzierung genannte Konzept
wachsender Beliebtheit. Insbesondere im
Zuge der Social Media Revolution steigt die
Anzahl der Onlineplattformen, die als Schnittstelle zwischen den Mikroinvestoren und
Unternehmungen fungieren, beständig an.
Der US-amerikanische Vorreiter der Szene –
kickstarter.com – demonstriert, dass in der
Masse durchaus Millionenbeträge zusammengetragen werden können. Und auch der
hierzulande wohl erfolgreichste Anbieter
seedmatch.de sammelte schon immerhin
sechsstellige Investitionsbeträge für etliche
Aktionen ein. Auch wenn die am höchsten
dotierten Projekte meist künstlerisch-kreativer Natur sind, lässt dieser Trend doch
Hoffnung aufkeimen, dass auch kapitalintensive Projekte wie biotechnologische
Entwicklungen von diesem Investitionsvehikel profitieren können.
Als Paradebeispiel für eine erfolgreiche
Crowd-Finanzierung eines Biotech-Unternehmens vermeldete ANTABIO aus Frankreich erst im vergangenen Oktober, dass im
Rahmen einer erfolgreichen Seed-Runde
etwa 200 Kleinanleger ausgezahlt wurden.
Das Start-up war zunächst über das französische Crowdfunding-Portal WiSEED finanziert worden, womit Validierungsschritte
der Technologie bezahlt werden konnten.
Darauf aufbauend konnte ein Investment
eines Business Angel und später die SeedRunde mit einem industriellen Partner eingeworben werden.
Im November 2012 startete hierzulande
die erste deutschsprachige Plattform speziell
für wissenschaftliche Projekte namens
sciencestarter.de. Zwar ist die Aktivität mit
derzeit lediglich zwei Projekten noch recht
gering, allerdings befindet sich das Crowdfunding noch am Anfang seiner Entwicklung. Nicht zuletzt steht der Einfluss der
„Digital Natives“ aus der Generation Y noch
aus, die erst in den kommenden Jahren die
unbeschränkte Geschäftsfähigkeit erreichen
werden, um so Zugang zum digitalen Investitionsgeschäft zu erhalten. Vor diesem Hintergrund bleibt es sehr interessant abzuwarten, inwiefern sich neue schwarmfinanzierte
Investitionsvehikel etablieren können, die –
gepaart mit einem geschärften Bewusstsein
für den Nutzen der Biotechnologie – mithelfen können, Entwicklungen voranzutreiben.
Privatinvestoren vor dem „Aus“
durch AIFM?
Bisher finden sich zwar nur wenige wissenschaftliche Projekte auf dem CrowdfundingMarktplatz, das internationale Umfeld macht
aber bereits vor, dass gerade medizinische
Themen die Gunst der Webgemeinde erreichen können. So konnte die Initiative
MyProjects der Krebsorganisation Cancer
Research UK unter dem Slogan „Choose
the cancer you want to beat“ seit 2008
ca. eine Million Euro Spendengelder für verschiedenste onkologische Forschungsprojekte einsammeln. Auf der anderen Seite
des Atlantiks sollen in naher Zukunft
auf den Plattformen poliwogg.com und
curelauncher.com Gelder für kostspielige
klinische Studien gesammelt werden.
In einer ohnehin schwierigen Situation hatten
sich die für Kleinanleger aufgelegten Fonds
ebenso wie die Crowdfunding-Industrie mit
einer existenzbedrohenden politischen Initiative auf EU-Ebene auseinanderzusetzen:
die AIFM-Richtlinie (Alternative Investment
Fund Managers). Als Reaktion auf die Finanzmarktkrise hatte die EU-Kommission einen
Richtlinienentwurf zur Regulierung alternativer Investmentfonds im europäischen Parlament verabschiedet. Relevant ist hier vor
allem der angedachte bessere Schutz von
Kleinanlegern vor Risiken der Kapitalanlage
in Fonds und anderen riskanten Finanzprodukten. Sowohl Untergrenzen für Direktinvestments in Unternehmen als auch der
72
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
generelle Ausschluss nicht-professioneller
Anleger sowie die Aufnahme aller geschlossenen Fonds (z. B. auch der MIG Fonds) auf
die Liste der zu regulierenden AIFs (Alternative Investment Funds) hätten viele der o. a.
Fonds-Konstrukte in die Bredouille gebracht
und private Kleinanleger wieder aus diesem
Sektor verbannt.
Der aktuelle Stand der Umsetzung in nationales Recht (bis zum Juli 2013) scheint
hier Lockerungen vorzusehen, damit die
direkten Beteiligungen wieder zugelassen
werden und auch Kleinanleger als „Semiprofessionelle“ damit nicht der ursprünglich
vorgesehenen Restriktion unterliegen. Konkret hatten sowohl der AMD Therapy Fund
über ein Genossenschaftsmodell als auch
MEY Capital Matrix über das Modell einer
Anleihe mit definierten Basis-Zinsgewinnen
diese Regelungen bereits umgangen.
Business Angels weiter angesagt
Die im Volumen insgesamt kleiner werdenden Finanzierungsrunden sind für Business
Angels ein gutes Terrain, um ihre Expertise
verbunden mit eher geringerem Kapitaleinsatz einzubringen. Insofern ist die zunehmende Zahl an Runden mit Beteiligung von
Business Angels folgerichtig. Weiterhin zeigt
sich an Einzelbeispielen auch die Tendenz
zur Zusammenarbeit zwischen mehreren
BAs sowie die Einbeziehung ihrer lokalen
Netzwerke, insbesondere regionaler Banken.
Hier geht Nordrhein-Westfalen mit gleich
mehreren guten Beispielen voran. Mit Algiax
Pharmaceuticals wurde 2011 ein BiotechUnternehmen gegründet, das sich der Erforschung und Entwicklung neuer ZNS-Wirkstoffe im Bereich neuropathischer Schmerzen verschrieben hat.
Die Basis der Finanzierung bilden gleich vier
bekannte Biotech-Pioniere in NRW mit ihren
jeweiligen Investitionsvehikeln:
• Riesner Verwaltungs GmbH
(Prof. Detlev Riesner)
•R
MMM Holding GmbH
(Martin Nixdorf)
• ROI Verwaltungsgesellschaft mbH
(Roland Oetker)
• Schumacher Familienholding GmbH
(Jürgen Schumacher)
Finanzierung
Nicht nur das gemeinsame Engagement der
Privatinvestoren ist beispielgebend. Darüber
hinaus stellt Algiax Pharmaceuticals eines
der ersten Investments des EIF Angel Fonds
dar, mit dem sich die EU an innovativen
Beteiligungen über Mittlerinvestoren aus
dem BA-Bereich beteiligt. Über die ausgewiesene Expertise dieser Branchen-„Gurus“
hinaus konnte durch weitere Beteiligungen
des High-Tech Gründerfonds (HTGF) sowie
der KfW-Förderbank immerhin die signifikante Startfinanzierung von 4,3 Millionen
Euro akquiriert werden.
Private Business Angels spielen auch bei
einem weiteren Start-up in NRW eine Rolle.
AyoxxA Biosystems – eine Proteomics-Firma
mit einer Technologieplattform zur Analyse
von Proteinen auf Biochips – wurde 2012 in
Köln als Zweigniederlassung einer Gründung
in Singapur gestartet.
Hinter der 2,6-Millionen-Euro-Finanzierungsrunde in dieses Unternehmen steht zwar
mit Wellington Partners auch ein klassischer
VC-Fonds sowie ebenfalls HTGF und KfW;
sehr stark involviert sind hier aber vor allem
Rainer Christine und Gregor Siebenkotten
als Business Angels (beide ehemalige amaxaVorstände). Der Link zur lokalen Bank
(NRW.Bank) rundet das Bild ab. In beiden
Fällen (Algiax und AyoxxA) nehmen die
erwähnten Business Angels auch als BoardVorsitz (Rainer Christine bei AyoxxA) bzw.
als CEO (Jürgen Schumacher bei Algiax)
wichtige Management-Funktionen wahr.
Die Reihe der BA-Engagements lässt sich
fortsetzen:
•A
lgiax Pharmaceuticals, Erkrath (s. o.)
•A
yoxxA Biosystems, Köln (s. o.)
•A
udioCure Pharma, Berlin
(Jürgen Schumacher, HTGF)
•C
ube Biotech, Monheim
(lokale BAs, HTGF)
•E
pivios, Düsseldorf
(HTGF, LSI, privater Investor)
•E
ternygen, Berlin
(HTGF, private Investoren, IBB)
Neben der aktiven Unterstützung der meisten europäischen VC-Fonds hat der EIF
(European Investment Fund) im letzten
Jahr ein neues Finanzierungsvehikel mit
Ausrichtung auf die aktiver werdenden
Business Angels aufgelegt. Dieses sieht vor,
Investments individueller Business Angels
pro rata und pari passu aufzustocken. Dabei
werden nur individuelle Co-Finanzierungsvereinbarungen mit individuellen BAs abgeschlossen und es gibt gewisse Selektionskriterien:
• 250.000 bis 5.000.000 Euro Investitionsvolumen
• Track Record des BA hinsichtlich Anzahl
früherer Investments und Exits
Die Grundidee des EAF wird von allen Seiten
sicherlich positiv empfunden, wenngleich
die Erfüllung der Kriterien nicht einfach ist
und den Kreis der Nutznießer und der privaten Investoren deutlich limitiert.
HTGF – ein immer stärkerer Aktivposten
für Biotech-Finanzierungen
Wie bereits erwähnt, ist der High-Tech
Gründerfonds an allen Business-Angel-Runden beteiligt. An 11 der insgesamt 29 für
Deutschland beschriebenen Finanzierungsrunden im privaten Biotech-Sektor (38 %)
war der HTGF beteiligt und damit der weitaus aktivste Investor. Dies liegt sicherlich
in erster Linie an der hohen Zahl von
18 Seed- und Erstrundenfinanzierungen,
die zwei Drittel aller Runden ausmachen
und auftragsgemäß das Haupt-Investmenttarget für die Bonner darstellen. Typischerweise liegt in fast allen Investments des
HTGF eine einheitliche Konstellation vor,
die durch die Anbindung an lokale Förderinstitutionen und Business Angels sowie
regionale Geldinstitute charakterisiert ist.
Diese Konstellationen zeigen vor allem
auch, dass die insgesamt wenigen Finanzierungen fast ausschließlich im Gründungsund frühen Unternehmensentwicklungsbereich stattfinden, während für spätere
Stadien – außer in wirklichen Einzelfällen
wie bspw. Family Offices – keine Investoren
bereitstehen.
Klassische VCs in Ausnahmeposition
Wie bereits im letzten Jahr sind die klassischen Venture-Capital-Fonds nur noch sehr
vereinzelt als aktive Marktteilnehmer auszumachen; bezeichnenderweise auch fast
nur in Anschlussfinanzierungen (vierte und
fünfte Runde).
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Darunter ragt als einzige signifikante Runde
die fünfte Finanzierung von Affimed über
15,5 Millionen Euro heraus. Das neue
Affimed-Management sieht sich allerdings
nach einem Quasi-Neustart des ursprünglich
2000 gegründeten Unternehmens 2007
deutlich „früher“ positioniert. Besonderheit
dieser Runde ist das Konsortium, das vorwiegend auf ausländischen VCs (OrbiMed /
USA, Life Sciences Partners / NL, BioMedPartners / CH) beruht und zusätzlich mit
Novo Nordisk einen ebenfalls im Ausland
ansässigen strategischen Partner aufweist.
Dies bestätigt die Attraktivität der von
Affimed verfolgten Strategie, die einerseits
auf einer Plattform (TandAb®, tetravalente
Antikörper) beruht, andererseits aber vornehmlich das Lead-Produkt verfolgt, welches gerade erst in Phase I getestet wird
(AFM13, anti-CD30xCD16A; Hodgkin-Lymphom). Die Vorteile dieser Strategie werden
im Artikel von CEO Adi Hoess im Kapitel
„Produkte“ näher beschrieben (S. 105).
Als einzige rein deutsche, aktive VC-Investoren
sind nur Wellington Partners, CREATHOR
VENTURE und Peppermint VenturePartners
verblieben. Die Finanzierungsrunden, für
die sie im Jahr 2012 Kapital beigesteuert
haben, sind fast allesamt im Technologiebereich angesiedelt:
• CEVEC Pharmaceuticals (Zelltechnik)
• AyoxxA Biosystems (Proteomics Chips)
• Cube-biotech (Membrantechnologie)
CREATHOR VENTURE ist außerdem an der
aktuellen 2012er Runde von Phenex Pharmaceuticals beteiligt und damit an einem
Technologie- / Therapieentwicklungsunternehmen.
Venture Capital kam darüber hinaus in
begrenztem Umfang aus wenigen Fonds
mit regionaler Anbindung in bestimmten
Bundesländern. So trugen die Investitionsbank Berlin, bmp Beteiligungsmanagement (Brandenburg), BioM (München),
eCAPITAL entrepreneurial Partners (Münster) und die BayBG Bayerische Beteiligungsgesellschaft (München) jeweils ihren Teil
zu den meist sehr lokalen kleinen Runden
bei.
73
Finanzierung
Ausländische VC-Investoren nach wie vor
nur sporadisch in Deutschland aktiv
Deutschland kann sicherlich viele Innovationen im Bereich der biotechnischen Entwicklung aufweisen; dennoch ist der Standort nach wie vor nicht ausgesprochen attraktiv für ausländische Investoren. Lediglich
in der Affimed-Runde haben sich einige zusammengefunden (s. o.).
Darüber hinaus Fehlanzeige bis auf eine
eher nicht erwartete Ausnahme: Mit Maxwell Biotech Venture Fund hat erstmals
ein russischer VC-Fonds in Deutschland ein
Investment getätigt. Maxwell Biotech Venture Fund ist der erste russische Fonds, der
voll auf den Life-Science-Sektor setzt. Er
wurde mithilfe eines russischen Regierungsfonds aufgelegt, der eigentlich den Auftrag
hat, innovative Entwicklungen in Russland
voranzubringen. Allerdings ist Maxwell mittlerweile mit Büros in Moskau und Boston
international aufgestellt.
Corporate Venture Capital und
strategische Investoren auch in
Deutschland aktiv
Schließlich sind auch die bereits in den letzten
Jahren viel diskutierten Aktivitäten von
Corporate Venture Capital und strategischen
Investoren in Deutschland wieder sichtbar.
Interessant ist, dass gleich zwei Strategen
mit ihren CVC-Fonds sich auf ein und dasselbe Target gestürzt haben: Sowohl für den
Novartis Venture Fund als auch für den
Boehringer Ingelheim Venture Fund war
AMP Therapeutics ein lohnendes Asset. Die
junge pharmazeutische Firma aus Leipzig
hat sich auf die Erforschung und Entwicklung innovativer Breitspektrum-Antibiotika
zur Behandlung von Infektionen durch multiresistente gramnegative Bakterien fokussiert.
Offensichtlich ist dieses Feld inzwischen
74
für Pharma-Firmen wieder höchst attraktiv
geworden. Dies untermauert auch der im
letzten Jahr abgeschlossene Deal zwischen
AiCuris und Merck & Co. (genauer erläutert
im Kapitel „Transaktionen“). AMP Therapeutics kann auf eine hoch innovative Technologieplattform mit natürlichen Peptiden
bauen, die Bestandteile des Immunsystems
von Insekten sind (z. B. die Apidaecine der
Honigbiene und die Oncocine der Milchkrautwanze). Auf dieser Basis wurden Leitstrukturen entwickelt und hergestellt, die in vitro
und in vivo bezüglich ihrer pharmakologischen Schlüsseleigenschaften sowie anschließend in klinischen Studien am Menschen
getestet werden (vgl. Artikel von Marc W.
Hentz auf S. 76).
Dieses Investment ist sehr typisch für die
Ziele/ Kennzeichen der Pharma-CorporateVenture-Funds:
• Eine sehr frühe Technologieplattform mit
dem Potenzial zur nachhaltigen Generierung innovativer Wirkstoffe
• Die Möglichkeit, an einer Innovation früh
und ohne großen Aufwand (Risiko, Kosten,
Commitment) teilzunehmen und gegebenenfalls priorisierte Zugriffsrechte zu
erhalten
• Therapiegebiete mit großem Zukunftspotenzial
• Ein zu früher Zeitpunkt für das Engagement von Pharma Business Development
Neben den genannten CVC-Fonds waren strategische Investoren in wenigen Finanzierungsrunden involviert. Novo Nordisk schloss
sich der Affimed-Runde an; BioNTech, das
Mainzer Biotech-„Konsortium“ mit Schwerpunkt auf individueller Immuntherapie aus
dem Strüngmann-Portfolio, erwarb eine
Beteiligung an dem Bioinformatik-Start-up
AptaIT. AptaIT ist ein idealer Fit für die
Bestrebungen bei BioNTech, durch Next
Generation Sequencing (NGS) einzelne
Krebspatienten nach Sequenzierung ihrer
Tumor-DNA einer gezielten „individualisierten“ Therapie zuzuführen. Für die Auswertung von NGS-Daten sind hochspezifische
Programme erforderlich, wie sie AptaIT bieten kann.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Außerhalb des Medizinsektors waren schließlich BRAIN und die Braun Beteiligungs-GmbH
mit einer Beteiligung an Enzymicals aus
Greifswald aktiv. Dieses Investment sowie
die bereits 2010 getätigte erste Beteiligung
ist ein erster Schritt auf dem Weg der Industrialisierungsstrategie von BRAIN. Durch die
Kombination der Enzymicals-Kompetenz in
industriellen Chemieprozessen und der
BRAIN-Technologie zum Genetic Engineering innovativer Enzymfunktionen wurde eine
fast komplette Wertschöpfungskette für die
Herstellung von Feinchemikalien etabliert.
Dazu gehört inzwischen auch die Produktionsfirma HERBRAND PharmaChemicals.
Business Angels und Venture-Capital-Investoren –
Nur gemeinsam stark
gen zwischen den Polen sind vielfältig. Vor
dem Hintergrund dieser Vielfalt stellen die
folgenden Aussagen fraglos eine starke Verallgemeinerung dar und konzentrieren sich
auf Business Angels, die aus dem Life-ScienceBereich stammen.
Rainer Christine,
Science to Market Venture Capital GmbH,
Köln
Die Retter der deutschen Biotechnologie?
Business Angels – geflügelte Wesen zur Errettung der deutschen Life-Science-Unternehmen? Leider nicht. Aber in vielen Fällen
Akteure mit Bodenhaftung und Erfahrung,
die einen wesentlichen Beitrag zum Aufbau
erfolgreicher Start-ups leisten können.
Es gibt keinen typischen Business Angel
Der Begriff Business Angels suggeriert, dass
es sich um eine halbwegs homogene Gruppe
von Investoren handelt. Die Realität ist allerdings deutlich facettenreicher: vom Investor,
der „nur Geld“ zur Verfügung stellt, das er
nicht im Life-Science-Bereich verdient hat,
und außerhalb von Gesellschafterversammlungen nicht mit dem Unternehmen interagiert – bis hin zum Investor, der Geld, Knowhow und Netzwerk zu bieten hat, auf reichhaltige operative Erfahrung bei Life-ScienceStart-ups zurückgreifen kann, mehrmals pro
Woche mit dem Unternehmen Kontakt hat
und vielleicht sogar den Beiratsvorsitz übernimmt, reicht das Spektrum. Eine andere
wichtige Dimension: geschieht das Investment am Rande des eigenen Arbeitsschwerpunkts, bestenfalls als Nebentätigkeit, oder
stellt die Tätigkeit als Business Angel einen
wichtigen Teil des eigenen Alltags und
Selbstverständnisses dar? Die Schattierun-
Unterschiede VC – BA
Gibt es also wichtige Unterschiede zwischen
institutionellen Venture-Capital-Investoren
und Business Angels? Auch hier erfordert
die Abgrenzung das Aushalten von etwas
Stereotypie. Die Ausnahmen von der Regel
sind hier zahlreich. VCs haben tiefere Taschen,
selektieren ihre Investments aus breiterem
Dealflow (z. B. einem Deal von hundert),
machen die professionellere Due Diligence
und die professionelleren Verträge. Sie sind
stärker auf einen Exit fokussiert, haben hierbei engere zeitliche Vorgaben, auch aufgrund
der eigenen Fonds-Struktur. VCs, besonders
wenn sie ihr ganzes Berufsleben in dieser
Rolle verbracht haben, besitzen manchmal
einen eingeschränkteren Blick auf das Unternehmen und dessen Erfolgsfaktoren. So lange
keinem ehrlichen Feedback mehr ausgesetzt,
steht es mit der Selbstwahrnehmung hier und
da nicht zum Allerbesten. Und gelegentlich
weisen VCs die Tendenz auf, ihre Rendite
auf Kosten der Gründer und anderer Gesellschafter optimieren zu wollen. Privatinvestoren hingegen haben weniger tiefe Taschen
und selektieren aus geringerem Dealflow
(z. B. einem Deal von zehn). Das senkt potenziell die Qualität der durchgeführten Investments, allerdings kann die Herkunft aus dem
persönlichen Netzwerk auch eine wichtige
Vorselektion darstellen. Business Angels haben einen geringeren Fokus auf professionelle Due Diligence und Verträge. Sie sind in
vielen Fällen weniger stark Exit-orientiert
und haben oft den längeren Atem bei ihren
Investments. Business Angels haben aufgrund
ihrer unternehmerischen Erfahrung (sofern
vorhanden) die Firma in ihrer Komplexität
besser im Blick und ein Herz für Gründer, die
sie vielleicht selbst einmal waren. Sie wissen
aus Erfahrung, dass Ausgleich der Interessen
ein wichtiger Beitrag zum Erfolg ist. Zu beglückwünschen sind vor allem die Unternehmen, deren Investoren in der Lage sind, das
Beste aus beiden Welten zu kombinieren:
tiefe Taschen und unternehmerische Erfahrung, professionelle Due Diligence und einen
wohlwollenden Blick auf die Gründer, Ausrichtung auf einen Exit als wichtige Leitlinie,
aber ohne Zeitdruck zur Unzeit.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Problem Finanzierung
Die Finanzierung von Life-Science-Unternehmen in Deutschland steckt in einer tiefen
Krise. Es steht auch den guten Unternehmen
zu wenig Kapital zur Verfügung, um sich mit
optimaler Geschwindigkeit zu bewegen; bzw.
in vielen Fällen sich überhaupt noch zu bewegen. Die Gründe hierfür sind vielschichtig:
mangelnde Erfolge in der Vergangenheit,
schlechtes konjunkturelles Timing für die
entstehende VC-Szene in Deutschland (etwa
das schlechte Abschneiden der Fonds, die
um das Jahr 2000 aufgelegt wurden),
erschwerte Rahmenbedingungen für die
potenziellen Investoren in VC-Fonds sowie
keine etablierte Kultur zur Finanzierung von
Start-ups bei den verbleibenden Investoren.
Kein VERSUS, sondern ein UND:
Gemeinsam ans Ziel
Die größere Rolle, die Business Angels in den
letzten Jahren bei der Finanzierung junger
Life-Science-Unternehmen spielen, ist durchweg zu begrüßen. Auch der European Angels
Fund des EIF liefert hier einen wertvollen Beitrag. Das Gesamtvolumen von 70 Millionen
Euro, welches in allen Technologiebereichen
über die nächsten fünf bis zehn Jahre investiert werden soll, macht allerdings deutlich,
dass auch diese Initiative alleine die Finanzierungskrise nicht lösen wird. In diesen Krisenzeiten, aber auch grundsätzlich gilt wohl,
dass alle Akteure in der Life-Science-Welt am
besten gemeinsam ans Ziel kommen, und
zwar an das Ziel, nachhaltig erfolgreiche
Unternehmen aufzubauen, die Produkte entwickeln, welche die Kunden bezahlen wollen.
Die Fragestellung nach Business Angels
VERSUS Venture Capital erscheint daher
wenig hilfreich, vielmehr geht es um die Frage
Business Angels UND Venture Capital. Wie
sieht eine konstruktive, vertrauensvolle,
unternehmensorientierte Zusammenarbeit
aus, um die kargen verbliebenen Ressourcen
in bester Weise für die Portfoliounternehmen
und damit auch für deren Gesellschafter zu
nutzen? Und wie kann das auf Grund gelaufene Schiff „Venture Capital“ wieder flottgemacht werden?
www.science-to-market.com
75
Honigbienen und Milchkrautwanzen überzeugen Boehringer
und Novartis: Corporate Venture für AMP Therapeutics
Kernteam im Hauptquartier in der BIO CITY
Leipzig übernimmt ausgewählte Aufgaben
aus Qualitätskontrolle, entwicklungsbegleitender Forschung und Synthese. Die Firma
profitiert von ihrer Lage Tür an Tür mit der
Arbeitsgruppe von Prof. Ralf Hoffmann, was
die fortgesetzte Nutzung universitärer Infrastruktur und Großgeräte erlaubt und bereits
zwei erfolgreiche gemeinsame Fördermittelanträge ermöglicht hat.
Dr. Marc W. Hentz,
Managing Director
AMP Therapeutics GmbH, Leipzig
Gefahr der multiresistenten Bakterien
Durch Krankenhausinfektionen sterben allein
in Deutschland jedes Jahr über 15.000
Menschen – Tendenz steigend. Nach Expertenmeinung fehlen bis 2020 mindestens
zehn neu entwickelte Antibiotika, um der
wachsenden Gefahr durch (multi-)resistente
Bakterien adäquat begegnen zu können.
Andernfalls droht ein Rückfall in die präantibiotische Ära mit drastischen Konsequenzen.
Wenig Resonanz der VCs
Als wir 2010 den Businessplan für die Entwicklung solch neuartiger Antibiotika konzipierten, war uns bewusst, dass das Fundraising für ein derartig frühes, präklinisches
Projekt eine Herausforderung sein würde.
Antibiotikaentwicklung war und ist nach wie
vor ein Gebiet, aus dem sich die meisten
Pharma-Firmen zurückgezogen hatten. Obwohl wir in der Community europäischer
Life-Science-Investoren über ein gutes Netzwerk verfügten, war die Resonanz zunächst
enttäuschend. Die meisten VCs sind auf
Portfoliopflege und das Entwickeln „risikoreduzierter“ Ansätze fokussiert – für innovative und riskante Konzepte im Bereich Drug
Development gibt es nur eine sehr eingeschränkte Nachfrage.
AMP Therapeutics: Lean & Smart
Vor diesem Hintergrund startete 2009 die
AMP Therapeutics GmbH (AMPT) als Ausgründung der Universität Leipzig. In der
Arbeitsgruppe von Prof. Ralf Hoffmann vom
Institut für Bioanalytische Chemie war es
gelungen, die seit längerem bekannten
antimikrobiellen Peptide aus Insekten durch
gezielte Strukturveränderungen zu stabilisieren und deren Wirksamkeit zu verbessern.
AMPT übernahm die beiden Substanzklassen der Apidaecine (aus der Honigbiene)
und der Oncocine (aus der Milchkrautwanze).
Was eine Entwicklung unter Pharma-Gesichtspunkten besonders interessant machte,
war die neue Wirkweise der optimierten
Substanzen, die die Bildung resistenter Bakterien erschweren. AMPT war von Beginn an
als schlanker Projektentwickler geplant, der
mit den besten CROs weltweit kooperiert.
Zwei Co-Geschäftsführer managen die
Bereiche R&D einerseits sowie Finances &
Business Development andererseits. Das
Corporate Venture: NVF und BIVF
Daher knüpften wir außerdem Kontakte zu
den firmeneigenen VC-Fonds der PharmaKonzerne, den Corporate Venture Capital
Funds (CVC). Früh stießen wir dort auf ein
deutlich größeres Interesse. In den anfangs
parallel und später zusammen geführten
Diskussionen mit dem Novartis Venture Fund
(NVF) und dem 2010 neu aufgelegten
Boehringer Ingelheim Venture Fund (BIVF)
stimmten wir schnell überein, wie ein solches
Projekt aufzusetzen sei. Insbesondere die
sehr wissenschaftsbasierte Due Diligence
und Diskussion trieb den schnellen Fortschritt in dieser Phase. Wir einigten uns auf
eine gleich hohe Beteiligung beider Fonds,
die in einer Finanzierungsrunde Ende 2011 /
Anfang 2012 umgesetzt wurde. Das Investment stellte die erste Beteiligung von BIVF
in Deutschland dar, der mittlerweile weitere
gefolgt sind. Für den Novartis Venture Fund
(über 550 Mio. US� unter Management)war
es das erste und bisher einzige Investment in
Deutschland. Obwohl NVF seinen Hauptsitz
in Basel hat, wird die Betreuung des Investments aus dem Büro in Boston gesteuert.
Mit Henry Skinner aus dem NVF Büro in
76
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Cambridge (Massachusetts), der den NVF
im Advisory Board repräsentiert, ist nun ein
ehemaliger CEO einer Antibiotikafirma Teil
des Teams. Durch Martin Heidecker – einen
erfahrenen Venture Capitalist, der den BIVF
vertritt – eröffnen sich für AMP Therapeutics
wichtige Kontakte in die Forschungsabteilungen und zu den Spezialisten von Boehringer
Ingelheim. Für beide Fonds ist die Beteiligung
an AMPT bereits das zweite gemeinsame
Investment (nach Okairos, Schweiz).
Keine Nachteile für AMPT
Den Vorteilen der Finanzierung durch Corporate Venture Capital stehen für AMPT keinerlei sichtbare Nachteile gegenüber. Da
keiner der beiden bestehenden CVC-Gesellschafter Lizenz- oder Optionsrechte hält,
steht späteren Partnerschaften mit anderen
Pharma-Unternehmen nichts entgegen. Die
Beteiligung weiterer klassischer VC-Investoren
wird für die nächste Finanzierungsrunde im
laufenden Jahr angestrebt. Innerhalb dieser
Finanzierungsperiode soll die erste LeadSubstanz dann in die klinische Phase I eintreten.
CVC als generelles
Finanzierungsinstrument?
Ist das ein garantiertes Erfolgsrezept oder
eine Alternative für alle Start-ups im Bereich
Drug Development? Die Antwort muss Nein
lauten, denn immer spielen Timing und auch
Glück eine Rolle. Während unverändert eine
hohe Übereinstimmung bei den üblichen
harten Kriterien und der Bewertung bestehen
muss, gibt es einige weiche Faktoren, die
nur bedingt zu steuern sind: Reputation und
Netzwerk des initialen Advisory Boards können den erfolgreichen Kontakt zu den Investoren über passende individuelle Kontakte
erleichtern. Auch die persönliche Ansprache
der Investoren durch das Management bei
Konferenzen o. a. Anlässen kann hilfreich
sein, um die Sichtbarkeit und Priorität des
eigenen Projekts zu steigern. Festzuhalten
bleibt die hohe Ansprechbarkeit und Risikobereitschaft von CVC-Investoren, was den
Sektor Drug Discovery angeht. Diese stellen
im aktuellen schwierigen Marktumfeld insbesondere für deutsche Biotech-Start-ups aus
diesem Bereich eine der wichtigsten Ressourcen für die Translation früher Entwicklungskandidaten dar.
www.amp-therapeutics.com
Finanzierung
Service for Equity – US CROs starten
auch in Deutschland durch
In Zeiten extrem schwieriger Finanzierung
ist für Biotech-Unternehmen Kreativität bei
der Erschließung neuer Geldquellen gefragt.
Andererseits sind auch Dienstleister wie
zum Beispiel Auftragsforschungs- und Entwicklungsorganisationen von finanziellen
Engpässen ihrer Kunden betroffen, wenn
diese die Leistungen nicht mehr bezahlen
können. Diesem Dilemma waren bereits
früher CROs (z. B. FocusCDD) begegnet –
dadurch, dass sie versuchten sich in einem
Service-for-Equity-Modell die Dienstleistungen in Form von Firmenanteilen bezahlen zu lassen. Leider hat sich keines dieser
Modelle bisher als nachhaltig erwiesen.
Wie der nachfolgende Artikel von CATO
BioVentures aufzeigt, funktioniert deren
Konzept zumindest in den USA und soll nun
in Europa (inklusive Deutschland) übernommen werden. Ein wesentlicher Bestandteil des Modells ist die Trennung der reinen
CRO-Services (CATO Research) von den
Kapitalgebern, die als CATO BioVentures
firmieren. Grundsätzlich existieren zwei unterschiedliche Modelle der Zusammenarbeit:
• Das Partnership-Programm
• Das Majority-Ownership-Programm
Während in der ersten Variante individuelle
Produktentwicklungen als Asset im Mittelpunkt der Vereinbarung stehen und die
entsprechenden Entwicklungskosten gegen
Anteile getauscht werden, bezieht das zweite
Programm ein ganzes Portfolio mit ein.
In beiden Fällen ergeben sich für die beteiligten Unternehmen Vorteile. Das Konzept hat
positive Auswirkungen auf den Cashflow,
verringert das Umlaufvermögen in der Bilanz
und eröffnet dem Sponsor die Möglichkeit,
mit insgesamt geringerem Kapitaleinsatz
den Drug-Development-Prozess zu finanzieren. Auch der Due-Diligence-Prozess ist
einfacher gestrickt und verbindet das notwendige Master Service Agreement mit der
Finanzierung bzw. dem Anteilskapital. Die
Majority-Ownership-Variante kommt dabei
in die Nähe von Modellen, die auch für
Pharma-Unternehmen in jüngerer Vergangenheit interessant waren. Externe Finanzierungen von Projekten oder Teilportfolios
sind realistische Szenarien, wenn es darum
geht, die Werte vorhandener Assets bei
limitiertem F&E-Budget optimal auszuschöpfen. In den USA hat CATO BioVentures nach
diesen Modellen bereits Verbindungen zu
22 Portfoliounternehmen, vier davon im
Majority-Ownership-Programm. Es bleibt
abzuwarten, ob und wie dieses Modell auch
in Europa und Deutschland Einzug findet.
Standortwechsel wegen Finanzierung?
Regionalisierung des Kapitals?
Hierfür gab es bereits früher Beispiele: Etwa
als Phenex Pharmaceuticals in ihren Anfängen kein VC-Kapital in Heidelberg bekommen
konnte und deshalb den Umzug nach Ludwigshafen wagte, wo in Rheinland-Pfalz die
EVP Capital Management (ehemals equinet
Venture Partners) die Finanzierung übernahm.
Auf der Liste der aktuellen Finanzierungen
stürzt die Rundengröße nach den beiden
großen Finanzierungen von CureVac und
BRAIN jäh ab und landet mit nur zwei Ausnahmen (AiCuris und Affimed) schnell bei
einstelligen Millionensummen. In diesen
immer kleiner werdenden Runden nimmt
die Präsenz wie auch die Bedeutung lokaler
Kapitalgeber – lokaler Business Angels,
lokaler Banken, VC-Äste von Landesregierungen etc. – sichtbar zu.
In der Tabelle der Beteiligungsfinanzierungen in Deutschland ist dieser „Regionalisierungstrend“ deutlich sichtbar. Bei zwei
Dritteln der 29 aufgeführten Finanzierungen
sind regionale Investoren zumindest an Bord.
Aus Sicht der kapitalsuchenden Firmen
eigentlich ein Segen: Lokale Netzwerke und
die persönliche Interaktion mit Banken und
Business Angels haben Vorteile. Auch die
Kapitalgeber in direkter Nachbarschaft zu
ihren Portfoliounternehmen können daraus
Nutzen ziehen. Andererseits müssen Unternehmen mit Blick auf die Standortwahl diese
Faktoren stärker berücksichtigen.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Mit der allgemein schlechten Finanzierungslage in Deutschland und der zuvor beschriebenen Regionalisierung der Finanzierungsszene gewinnt die Standortfrage auch aus
diesem Aspekt heraus an Bedeutung. Während bisher in puncto Standort vor allem die
Nähe zu Kollaborationspartnern, dem wissenschaftlichen Umfeld oder allenfalls Zulieferern
eine Rolle spielte, kommt möglicherweise
der Investor als weiteres Element hinzu. Wenn
die passenden Investoren und/oder Partner
nicht vor Ort gefunden werden, ist auch ein
Standortwechsel eine denkbare Option.
Ein aktuelles Beispiel betrifft CyTuVax. Das
ehemals in Dortmund gegründete Unternehmen, das 2012 als ein Gewinner des
Science4Life Venture Cup ausgezeichnet
wurde, hat eine innovative Immuntherapieplattform zur Krebsvakzinierung entwickelt. Der zentrale Baustein ist ein auf
Zytokinen in Depotform basierendes hoch
effektives Adjuvans. Zytokine sind körpereigene Biomoleküle, mit deren Hilfe Zellen
des Immunsystems miteinander kommunizieren. Durch ihre Anwendung in Depotform
in Vakzinen kann das Immunsystem gezielt
beeinflusst werden. Damit wird es möglich,
selbst gegen Tumoren und problematische
Infektionskrankheiten zu vakzinieren. Trotz
des hochinnovativen Ansatzes konnte in
Deutschland keine Finanzierung realisiert
werden, woraufhin CyTuVax ins Nachbarland
Niederlande auswanderte. Am neuen Standort in Maastricht gelang offenbar, was in
Deutschland verwehrt geblieben war: eine
Beteiligung durch Nedermaas Ventures, ein
ebenfalls regional auf die Region Limburg
konzentrierter Ast der Industriebank LIOF.
77
Finanzierung über strategische Investments: BRAIN AG und
BBG GmbH haben Potenzial der Enzymicals erkannt
Enzyms werden die Prozesse, inklusive der
Aufarbeitung der Produkte, entwickelt. Ziel
ist eine Auslizenzierung an die Kunden.
Dr. Ulf Menyes,
CEO Enzymicals AG, Greifswald
Enzymicals AG – Spezialisten im Bereich
Biokatalyse
2009 als Start-up aus dem AK Bornscheuer
an der Universität Greifswald gegründet, ist
die Enzymicals AG auf die biokatalytische
Prozessentwicklung und Herstellung von
Fein- und Spezialchemikalien bis in den Kilogrammmaßstab und einzigartigen Biokatalysatoren (Enzyme) spezialisiert.
Produkt- und Dienstleistungsspektrum
Alleinstellungsmerkmale besitzen die
Greifswalder im Bereich der rekombinanten
Schweineleberesterasen, (R)-selektiven
Amintransaminasen und Baeyer-VilligerMonooxygenasen. Das Enzymportfolio enthält innovative Biokatalysatoren in verschiedenen Qualitäten, um den Aufgabenstellungen der Kunden im höchsten Maße
gerecht zu werden. Auch andere Enzymklassen werden im Rahmen von Kundenprojekten bearbeitet und auf ihre effiziente
ökonomische Nutzbarkeit gegebenenfalls
durch Protein Engineering hin angepasst.
Dabei steht dem Unternehmen neueste
Technik zur Verfügung. Ein Schwerpunkt für
das interdisziplinäre Team aus Biochemikern,
Chemikern und Biologen bildet darüber
hinaus der Dienstleistungs- und Prozessentwicklungsbereich. Hier werden z. B. Screenings für die biokatalytische Umsetzung von
Chemikalien angeboten. Bei Eignung eines
78
Industriepartner investieren strategisch
Die Enzymicals AG hat von Ihrer Gründung
an auf strategische Kooperationen – verbunden mit strategischen Investments zur ersten
Finanzierung des Unternehmensaufbaus –
gesetzt. So sind seit 2010 die BRAIN AG und
seit 2012 zusätzlich die BBG (Braun Beteiligungs) GmbH Greifswald jeweils mit Minderheitsbeteiligungen investiert. Zur BBG GmbH
gehört auch die HERBRAND PharmaChemicals, ein klassischer API-Hersteller. Weitere
Unternehmen mit BBG-Beteiligung, welche
für Enzymicals von Relevanz sind, sind die
CHEPLAPHARM Arzneimittel GmbH und die
WALTER RITTER GmbH & Co. KG.
Optimale Positionierung innerhalb der Enzym-Wertschöpfungskette
Die Kernkompetenzen der direkt miteinander kooperierenden Firmen ergänzen sich
optimal: BRAIN identifiziert, optimiert und
produziert neue Enzyme. Enzymicals übernimmt die Anwendungs- und Prozessentwicklung der biokatalytischen Prozesse für
chemische und pharmazeutische Produkte
sowie die prozessorientierte Enzymoptimierung. Am Ende steht dann die biokatalytische
Produktion von pharmazeutischen Wirkstoffen (APIs) unter cGMP-Bedingungen
der HERBRAND PharmaChemicals GmbH.
Der Verbund der Unternehmen bildet damit
eine einzigartige Wertschöpfungskette: vom
neuen Enzym bis hin zum biokatalytisch
hergestellten chemisch-pharmazeutischen
Produkt (inklusive der Möglichkeit, im Netzwerk auch die kompletten Arzneimittel mit
ökologisch und ökonomisch effizienten Prozessen herstellen zu können). Ein solcher
Unternehmensaufbau durch strategische
Investoren ist gegenüber anderen Finanzierungswegen ein Vorteil. Dieser erfordert
eine ständige Kontrolle der strategischen
Ansätze von allen Beteiligten durch eine
ständige Aktivität am Markt mit Kundenorientierung. Um daraus keinen Nachteil erwachsen zu lassen, ist disziplinierte und kontinuierliche Abstimmung zwischen den
Partnern erforderlich.
Weitere Finanzierung durch Cashflow
Die weitere Finanzierung des Unternehmens
wird Schritt für Schritt durch den erfolgreichen Ausbau der Kundengeschäfte er-
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
reicht. Zusätzlich wurden für die Entwicklung neuer Produkte und Prozesse im
Bereich Feinchemikalien sehr erfolgreich
öffentliche Fördermittelprojekte eingeworben. Auch dabei setzt die Enzymicals auf
bestehende Kooperationen im Bereich von
Universitäten und Firmen.
Synergien nutzen aus bestehenden
Kooperationen
Die positiven Effekte, die sich aus der Zusammenarbeit mit der HERBRAND PharmaChemicals GmbH in der marktorientierten
biokatalytischen Prozessentwicklung und
mit der BRAIN AG in der Identifizierung neuer
Enzyme ergeben, sind für alle Beteiligten
hervorragend nutzbar. Es präsentiert sich
dadurch am Markt ein starker Verbund von
innovativen Unternehmen mit zum Teil jahrzehntelangen Erfahrungen und Kontakten.
Die Möglichkeiten bei der HERBRAND PharmaChemicals GmbH versetzen den Verbund in
die Lage, großvolumige Produktionsprozesse
am Standort Deutschland unter cGMP-Bedingungen auszuführen und somit die Anforderungen der Kunden bezüglich Qualität
und zeitnaher Belieferung optimal zu bedienen. Dieses Potenzial wurde auch am internationalen Markt auf der Informex 2013 in
den USA gemeinsam angeboten. Über das
bestehende Netzwerk hinaus ist es der Enzymicals gelungen, in kurzer Zeit eine Reihe
von Kooperationen zu definierten Themengebieten, z. B. mit Sigma-Aldrich, Evonik,
Lonza und einer Reihe von nicht offengelegten Kunden aus dem Bereich der pharmazeutischen und chemischen Industrie, abzuschließen.
Gut gerüstet für die Zukunft
Enzymicals erwartet in dem stetig wachsenden Markt der industriellen Biotechnologie
sehr gute Wachstumsaussichten für Produkte
und Dienstleistungen. Die sich immer stärker
ausprägende „Bioökonomie“ und die sich
rasant entwickelnden innovativen Technologien im Bereich der Biokatalyse und der Biokatalysatoren selbst geben der Enzymicals
mit ihrer engen Verzahnung zwischen universitären Forschungseinrichtungen und industriellen Kooperationen beste Aussichten,
den Kundenbedürfnissen gerecht zu werden.
www.enzymicals.com
Dietmar Hopp setzt auf mRNA-Technologie:
Weitere 80 Millionen Euro bringen CureVac voran
in Hinblick auf die kommerzielle Entwicklung
im Jahr 2000 eine Vorreiterrolle.
Dr. Ingmar Hoerr,
CEO CureVac GmbH, Tübingen
Das Erfolgs-Konzept CureVac
Seit unserer Gründung im Jahr 2000 hat
uns das außerordentliche medizinische
Potenzial von messenger RNA (mRNA)
überzeugt, unseren Weg in der Unternehmensentwicklung kontinuierlich voranzugehen. Dank des Einstiegs von Dietmar Hopp
2006 in einer ersten Finanzierungsrunde
mit 27,6 Millionen Euro konnten wir seither
unsere mRNA-Plattform RNActive® systematisch und dynamisch ausbauen und professionalisieren. Für Dietmar Hopps erneutes
Investment 2012 in Höhe von 80 Millionen
Euro waren natürlich einige grundlegende
Voraussetzungen sowie gezielte Planungen
für die Zukunft notwendig.
mRNA – Eine anspruchsvolle Diva
RNA wird in der Evolutionsforschung als das
Biomolekül betrachtet, auf dessen Grundlage
alles weitere Leben entstand. Im Jahr 2006
erhielt das Molekül besondere Aufmerksamkeit durch die Vergabe des Nobelpreises für
das Phänomen RNA-Interferenz, vermittelt
durch siRNA-Oligonukleotide, mit dem die
Genexpression in Körperzellen gezielt ausgeschaltet werden kann. Allerdings gestaltet
sich die therapeutische Entwicklung offensichtlich wesentlich komplizierter als anfänglich angenommen. mRNA-basierte Technologien, die eine gezielte Expression von Genen zur Grundlage haben, sind demgegenüber erst in einer vergleichsweise frühen
Entwicklungsphase. CureVac übernahm hier
RNActive® – CureVacs einzigartige
Plattform-Technologie
Mit RNActive® entwickeln wir mRNA-basierte
Vakzine zur Behandlung von onkologischen
Erkrankungen sowie zur Prophylaxe von
Infektionskrankheiten. So haben wir zum
weltweit ersten Mal mRNA als therapeutischen Impfstoff Krebspatienten mit Prostatakarzinom und mit Lungenkrebs appliziert
und konnten dabei unsere präklinischen Ergebnisse klinisch validieren. Die Sicherheit
der Plattform auch bei mehrmaligen Injektionen wurde dabei bestätigt. Durch die
starke Aktivierung von spezifischen zellulären Immunantworten gegen alle neun verabreichten Antigene konnten wir Effektivität
und Versatilität der Plattform belegen.
Planung weiterer Studien
Auf Grundlage der Ergebnisse dieser beiden
Studien haben wir derzeit drei weitere onkologische Studien geplant. Eine multizentrische,
europäische Phase-IIb-Studie im Bereich
Prostatakarzinom wurde bereits Anfang 2013
gestartet. Darüber hinaus haben wir auch
für den Bereich Lungenkrebs eine besondere
Studie vorbereitet, die uns Erkenntnisse über
die Kombinierbarkeit von RNActive® mit bestehenden Therapien liefern wird. Die dritte
Studie befasst sich mit dem „mode of action“
von RNActive®: Hierbei wollen wir vielversprechende präklinische Daten über die molekularen Funktionsweisen unserer Vakzine
klinisch validieren. Nachdem wir im Jahr
2009 wesentliche Fortschritte im Bereich
der Stabilität von RNActive® sowie in der
Induktion einer ausgewogenen Immunantwort zeigen konnten, haben wir unsere Forschung und Entwicklung im Bereich der prophylaktischen Vakzine verstärkt ausgebaut.
Transaktionen und Publikationen
Unsere Ergebnisse haben 2011 zu einer weitreichenden, mit 33 Millionen US-Dollar finanzierten Partnerschaft mit Sanofi Pasteur,
In-Cell-Art und DARPA (einer Behörde des
amerikanischen Verteidigungsministeriums)
geführt. Die Ergebnisse unserer Arbeiten
der vergangenen Jahre in Zusammenarbeit
mit dem Team um Prof. Lothar Stitz vom
Friedrich-Loeffler-Institut im Bereich Influenza
konnten wir vor wenigen Monaten in der Zeitschrift Nature Biotechnology publizieren –
u. a. die zentrale Erkenntnis, dass durch die
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Induktion einer starken Immunantwort
(die Aktivierung einer zellulären Immunantwort sowie von spezifischen Antikörpern)
in unseren Modellexperimenten auch neue,
konservierte Antigene zum Schutz gegen
eine Grippe-Infektion beitragen können.
Weiterentwicklung der Prozesse
Neben dem wissenschaftlichen Fortschritt und
den damit verbundenen Patentanmeldungen
sind die Innovationen im Ausbau der biopharmazeutischen Produktion von RNActive®
wesentliche Erfolgsfaktoren, auf die wir unser besonderes Augenmerk legen. Es ist uns
gelungen, das ursprünglich instabile Molekül,
welches anfänglich bei minus 80 Grad Celsius
gelagert wurde, soweit zu stabilisieren, dass
wir mittlerweile auf keinerlei Kühlkette mehr
angewiesen sind. Dies ist eine Grundvoraussetzung dafür, eine weltweite Versorgung
mit Impfstoffen unter erheblichen Kosteneinsparungen zu garantieren. Wir haben den
Herstellungsprozess in einer ersten Ausbaustufe soweit automatisiert, dass wir derzeit
jährlich 3,5 Millionen RNActive®-Impfdosen
bei uns in Tübingen produzieren können.
Ausblick
Mittlerweile sind uns andere Firmen gefolgt,
u. a. haben mit Novartis, der Mainzer Firma
BioNTech, der Münchner Firma ethris und
zuletzt ModeRNA aus Cambridge / Massachusetts weitere Protagonisten das Feld betreten. All diese Firmen arbeiten daran, durch
mRNA als Basistechnologie eine neue Stufe
der Biotechnologie, die Biotechnologie 2.0,
anzustoßen. Hier geht es weniger um die rekombinante maßgeschneiderte Entwicklung
von Medikamenten ex vivo sondern um die
gezielte Informationsübermittlung an den
Körper, selbst sein eigenes Medikament herzustellen. Körpereigene Zellen können das
von jeher am besten. mRNA fungiert dabei,
ähnlich wie in einem schriftlich fixierten Rezept, als Überbringer von exakten genetischen
Informationen, welche die Körperzellen
brauchen, um die relevanten Proteine zu
produzieren und an ihrem Wirkungsort einzusetzen. Für Vakzin-Antigene hat dies
CureVac bereits klinisch validiert. Weitere
Beispiele sind therapeutische Proteine wie
Enzyme oder Hormone. Damit hat mRNA
seinen Platz als bedeutendes neues Biomolekül in der Wirkstoffentwicklung gefunden.
www.curevac.com
79
CRO Services: Ein alternatives Finanzierungsmodell?
auf die Übernahme und den erfolgreichen
Abschluss der CRO Services sowie eine langfristig angelegte Geschäftsbeziehung mit
dem Klienten. Voraussetzung für die Teilnahme am Partnership-Programm ist eine
erfolgreiche Due-Diligence-Prüfung, die
primär auf die Technologie und das Managementteam des Klienten anhand eigener
Qualitätskriterien abzielt und erst in zweiter
Linie auf das Finanzmanagement des Unternehmens.
Werner J. Langner,
CATO Europe GmbH, Köln
CATO investiert über
CATO BIOVENTURES (CBV)
Seit fast 25 Jahren verfügt CBV über eine
innovative Investmentstrategie für LifeScience-Unternehmen und ist nun erstmals
auch in Europa vertreten. Sie basiert auf der
umfangreichen Erfahrung von CATO, einem
weltweit agierenden Full-Service-Auftragsforschungsinstitut (CRO) mit den Kernkompetenzen „Drug Development / Science“
(„DD / S“) und „Regulatory Affairs“ („RA“).
Ziel ist es, Sponsoren im Bereich Biotech,
Pharma und Medtech auch dann bei der
Produktentwicklung finanziell unterstützen
zu können, wenn traditionelle Finanzierungsquellen zu versiegen drohen.
Partnership-Programm (Risk-Sharing-Programm)
Sowohl aufstrebende als auch etablierte
Unternehmen profitieren beim PartnershipProgramm – auch Risk-Sharing-Programm
genannt – von den Möglichkeiten einer Optimierung bzw. Minimierung ihres Finanzbedarfs. Hierbei wird in potenzielle Klienten
zunächst auf Basis von Dienstleistungen, die
von CATO übernommen werden, und dem
Erwerb von Unternehmensanteilen des jeweiligen Vertragsunternehmens investiert.
Die Höhe des Investments richtet sich dabei
grundsätzlich nach dem gesamten Auftragsvolumen zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung. CBV zielt dabei nicht auf
Rendite des eingesetzten Kapitals, sondern
80
Unterschiede zu VC-Finanzierung und Business-Angel-Modellen
In vielen Ländern Europas sind VC-Gesellschaften, Business Angels, Finanzinstitute
sowie vereinzelt staatliche Förderprogramme
die tragenden Säulen bei der Finanzierung
von Drug-Development-Prozessen. Ihre fast
ausschließliche Verfolgung von Renditezielen
unter Einbeziehung der Kapitalkosten, eine
fehlende Kompetenz, die Durchführung von
CRO Services zu übernehmen sowie die
strengen Prüfkriterien bei der Due Diligence
und Basel III erschweren zunehmend den
Zugang zu den traditionellen Finanzierungsquellen. Allen ist gemeinsam: Keiner dieser
Investortypen kann ein „Rundum-SorglosPaket“ anbieten.
Ein ganzheitlicher Ansatz
CATO BIOVENTURES hingegen bietet ganzheitliche Problemlösungen: Durch die Übernahme der CRO-Serviceleistungen erreicht
CATO die mit dem Sponsor vereinbarten
Milestones. Charakteristische Besonderheit
des Unternehmens: Der große Erfahrungsschatz im Bereich RA, der auch aus den
häufigen Interaktionen mit der FDA resultiert. Darauf aufbauend entwickelte sich zudem ein großes Innovationspotenzial, einhergehend mit einer sehr hohen Kompetenz
bei der Wahl der jeweiligen Zulassungsstrategien.
Maßgeschneiderte Lösungen
CATO offeriert bei der Vertragsgestaltung
ein Höchstmaß an Flexibilität während des
gesamten Projektverlaufs. Potenzielle Klienten profitieren davon, dass sowohl vor der
Pre-IND-Phase als auch zu einem beliebigen
späteren Zeitpunkt im Projektverlauf eine
Teilnahme am CBV-Programm möglich
ist. Dem Klienten eine maßgeschneiderte
Lösung seiner individuellen Probleme – und
somit oft benötigten Freiraum – anzubieten
ist hierbei primäres Ziel. Dies gilt auch hin-
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
sichtlich der Kombination mit anderen
Finanzierungsmodellen. Zudem wird auf
Kapitalkosten oder Zinsen verzichtet, um die
Projektdurchführung nicht mit zusätzlichen
finanziellen Bürden zu belasten. Das Konzept hat somit positive Auswirkungen auf
den Cashflow und – je nach Mittelverwendung – auch auf die Liquidität des Unternehmens. Dies sind klare Vorteile bei der Ausgestaltung des Finanzmanagements.
Majority-Ownership-Programm
Im Majority-Ownership-Programm übernimmt
CBV die Alleinvertretung eines Portfolios
privat geführter Unternehmen oder ist zumindest größter Einzelinvestor. Das Programm stellt zudem eine mögliche Exit-Strategie dar, indem die betreuten Unternehmen
beispielsweise in Übernahmen oder Akquisitionen aufgehen. Da eine Teilnahme am
Majority-Ownership-Programm bislang nur
auf dem nordamerikanischen Markt möglich
war, konnten beispielhaft folgende dort ansässige Firmen Erfolgsgeschichten schreiben:
RTP Pharma aufgrund einer von CATO entwickelten Technologie für schwerstlösliche
Wirkstoffe (Akquisition durch SkyePharma
2002), Durham Pharmaceuticals mit einem
neuartigen dermatologischen Nootropikum
(Merger mit Sontra Medical Corporation
und anschließendem Aufgang in Echo Therapeutics 2007), Artemis Neuroscience im
Bereich Stammzellforschung (Merger mit
VistaGen Therapeutics 2003). Darüber
hinaus gründete CATO mehrere virtuelle
Unternehmen mit Präparaten, die bei der
FDA zugelassen sind. Professionalität, individueller Zuschnitt, die Reduzierung der
Kosten auf das Minimum der Projektdurchführung, eine effektive Vorgehensweise und
eine kürzere Time-to-Market sind kennzeichnende Merkmale des CBV-Programms,
welches sich angesichts der andauernden
Finanz- und Wirtschaftskrise in Europa
hoher Akzeptanz erfreuen wird.
www.catobioventures.com
Bayern Kapital: Venture Capital für Bayern
der KfW und dem High-Tech Gründerfonds
zusammen. Damit konnte Bayern Kapital
neben dem eigenen eingesetzten Beteiligungskapital über 400 Millionen Euro Leadund Coinvestment-Finanzierung mobilisieren.
Andreas Huber,
Bayern Kapital GmbH, Landshut
Bayern Kapital
Junge Unternehmen aus dem Life-ScienceSektor mit oft schon hohem Kapitalbedarf
in frühen Phasen stehen vor großen Finanzierungsproblemen aufgrund des Mangels
an institutionellem VC-Kapital. Alternative
Finanzierungsquellen gewinnen an Bedeutung. Ergänzend zur Finanzierung durch
private VCs agieren staatliche Investitionsvehikel wie die Bayern Kapital GmbH und
ihre Fonds.
Bayern Kapital wurde auf Initiative der
bayerischen Staatsregierung 1995 als
100-prozentige Tochter der LfA Förderbank
Bayern gegründet. Als VC-Gesellschaft des
Freistaats stellt sie jungen innovativen Technologieunternehmen in Bayern, i. d. R.
gemeinsam mit weiteren Investoren, Beteiligungskapital zur Verfügung. Einschließlich
früherer Fonds wurden bislang rund 180
Millionen Euro Beteiligungskapital in 220
innovative Unternehmen aus verschiedenen
Technologiefeldern investiert; über 4.000
qualifizierte Arbeitsplätze wurden so geschaffen. Im Jahr 2012 wurden insgesamt
27 Beteiligungen realisiert, darunter zehn
Neuengagements.
Zusammenarbeit mit anderen Investoren
Bayern Kapital arbeitet mit allen anderen
am Markt tätigen Investoren (Beteiligungsgesellschaften und Business Angels) sowie
mit den Bundesinitiativen ERP-Startfonds
Portfolio
Das Portfolio der Bayern Kapital umfasst
aktuell 75 Unternehmen, davon 25 aus dem
Life-Science-Bereich mit Schwerpunkt Medizintechnik, aber auch acht Unternehmen, die
innovative Therapeutika entwickeln (z. B.
Pieris, Suppremol). Zu den ehemaligen
Beteiligungen der Bayern Kapital im LifeScience-Bereich zählen bekannte Namen
wie MorphoSys, die 2012 von Amgen gekaufte Micromet, Geneart, ein führender
Hersteller synthetischer Gene und – ein
Beispiel für den zunehmenden Bedarf aus
dem Bereich personalisierter Medizin – der
Drug Developer Corimmun, den 2012 eine
Tochter des Pharma-Konzerns Johnson &
Johnson übernahm.
Finanzierungsangebote im Seed-Bereich
Die Bayern Kapital verfügt über verschiedene
Fonds. Die allgemeinen Anforderungen an
Team, USP, Markt, IP etc. sind weitestgehend
deckungsgleich mit den marktüblichen Kriterien privater Investoren. Die Seed-Finanzierung entspricht dabei dem HTGF-Modell,
wobei das gesamte Finanzierungsvolumen
0,6 Millionen Euro beträgt (offene Beteiligungen zu nominal 6 Prozent durch Bayern
Kapital bzw. 12 Prozent durch den HTGF
zusammen mit einem Wandelnachrangdarlehen). Die Darlehen werden im Zuge der
Anschlussfinanzierungsrunde(n) mit privaten Investoren zu der dann geltenden Bewertung gewandelt. Private Side-Investoren
sind eingeladen, bis zu 0,2 Millionen Euro
zu investieren. Bayern Kapital ist einer der
größten Seed-Finanzierungspartner des
HTGF. Die Zusammenarbeit mit dem HTGF
ist langjährig erfolgreich erprobt, z. B. beim
gemeinsamen Engagement Corimmun.
Weitere Finanzierungsangebote
Die darüber hinaus vorhandenen Co-Finanzierungsfonds der Bayern Kapital können
bis zu 2,5 Millionen Euro in Life-ScienceUnternehmen investieren. Voraussetzung
ist die Beteiligung eines privaten Lead-Investors (VC-Gesellschaft, Family Offices bzw.
Business Angels). Hierbei muss sich der
Lead-Investor im Pari-Passu-Modell zu gleichen Bedingungen und in gleicher Höhe wie
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Bayern Kapital beteiligen. Für Business Angels
gibt es ein von der EU speziell notifiziertes
sogenanntes 30-70-Modell, welches ab
0,15 Millionen Euro Business-Angel-Investment erlaubt, dass der Business Angel nur
30 Prozent der Investitionssumme aufbringen muss. Dieses Modell erfährt zunehmenden Zuspruch.
Ausblick
Die Life Sciences und speziell deren Finanzierung unterliegen großen Veränderungen,
wie wir auch an unserem Portfolio sehen:
• Investoren wie Business Angels, Family
Offices, VC-Gesellschaften aus dem Ausland
sowie Corporate Venture Capital zeigen vermehrt Interesse an heimischen Projekten.
Kritisch bleibt allerdings die Finanzierung
von kapitalintensiven Arzneimittelentwicklern in den frühen Phasen. Eine Syndizierung von finanzstarken Partnern, um Projekte bis zum Exit vorantreiben zu können,
ist von immenser Bedeutung.
•D
ie schnelle Generierung von Cashflow
mittels hybrider Geschäftsmodelle trifft
auf den zunehmenden Outsourcing-Trend
im Pharma-Bereich.
•D
urch das Patent Cliff in der PharmaIndustrie werden Innovationen wieder
zunehmend bei Biotechnologiefirmen
gesucht – zu sehen etwa bei Corimmun
bzw. an lukrativen Allianzen mit Big Pharma
(z. B. Pieris / Daiichi Sankyo 2011).
• Der steigende Kostendruck im Gesundheitswesen wirkt sich auf die Vermarktungs- / Erstattungs- und damit auch die Exit-Chancen aus.
• Neue Investitionsfelder an der Schnittstelle
von Pharma /Healthcare und IT treten vermehrt auf. Bayern Kapital schloss im vergangenen Jahr eine erste Beteiligung im
eHealth-Bereich ab.
Das Angebot an staatlichen Beteiligungsfinanzierungen wie durch Bayern Kapital
wird neben Fördermitteln wie GO-Bio aber
nach wie vor ein wichtiger Baustein zur
Finanzierung bleiben, auf den in Bayern
auch langfristig gebaut werden kann. Eine
neue Fondsgeneration der Bayern Kapital
ist bereits in Vorbereitung.
www.bayernkapital.de
81
Finanzierung
den letztjährigen großen Runden von
AFFiRiS (25 Mio. €) und F-star (15 Mio. €)
ausgleichen.
Eigenkapitalfinanzierung in
europäischen Ländern
Die Übersichtsgrafik für die Equity-Finanzierung in Europa insgesamt deutet bereits
darauf hin, dass nach wie vor eine deutliche
Erholung an der Venture-Capital-Front nicht
in Sicht ist. Diese Erkenntnis wird durch die
Betrachtung einzelner Länder in Europa
bestätigt. Im Vergleich zum Vorjahr gibt es
keine eindeutigen Trends in Richtung einer
sichtbaren Erholung. Wie bereits für
Deutschland konstatiert, zeigen einige Länder Extremausschläge, die sich aber bei
vertiefter Analyse als Einzelereignisse herausstellen.
Aufgrund der bereits angesprochenen FamilyOffice-Runden bei CureVac und BRAIN, die
auch an der Spitze der europäischen Beteiligungsfinanzierungen liegen, reißt Deutschland wie bereits im Jahr 2010 nach oben aus.
Demgegenüber gibt es bei Dänemark und
Österreich klare Gründe für deren erdrutschartige Rückfälle. Während in Dänemark die sensationelle 100-Millionen-EuroFinanzierung für Symphogen im Jahr 2011
erwartungsgemäß keine Wiederholung
fand, konnte auch Österreich nicht die bei-
Allenfalls würde man Ländern wie der Schweiz
und den Niederlanden einen leichten und
stetigen Aufwärtstrend über die letzten drei
Jahre zubilligen. In der Schweiz konnten
sowohl im letzten Jahr durch Biocartis
(71 Mio. €) als auch im aktuellen Jahr durch
ADC Therapeutics (39 Mio. €) und erneut
Biocartis (35 Mio. €) signifikante Summen
aufgenommen werden.
Für die Niederlande schlugen im Vorjahr
29 Millionen Euro für AM-Pharma zu Buche
sowie 15 Millionen Euro für ProFibrix. Im
Berichtsjahr 2012 stieg dieser Betrag auf
insgesamt 74 Millionen Euro aus zwei Runden (Agendia mit knapp 51 Mio. € und
Prosensa mit 23 Mio. €) an.
Hot Topics bei den Finanzierungsrunden:
Diagnostik–Therapeutika-Plattformen für
Krebs und Infektionserkrankungen
Eine genauere Betrachtung der Top-10Finanzierungsrunden liefert klare Erkenntnisse darüber, worauf aktuell das Interesse
von Investoren ausgerichtet ist: den Thera-
peutikasektor. Sieben der zehn Top-Finanzierungen gehen in diese Richtung. Allerdings fällt auf, dass gerade von den Top-5Investments mit Summen über 30 Millionen
Euro immerhin zwei im Diagnostikbereich
und ein weiteres Engagement (BRAIN) im
Segment der industriellen Biotechnologie
getätigt wurden.
Gemäß den im Einleitungskapitel „Perspektive“ geäußerten Trends und Kategorisierungen für den Diagnostikbereich entsprechen die beiden Vertreter den bevorzugten
Ausrichtungen in diesem Sektor: einerseits
Agendia mit Fokus auf dem Thema „Big Data“
in der Entwicklung von Krebsdiagnostika auf
Basis von Sequenzdaten individueller Patienten, auf der anderen Seite Biocartis mit
dem Ehrgeiz, ein voll integrierter Anbieter
von Molekulardiagnostik-Tests inklusive der
gesamten Device-Seite zu werden und damit
Werkzeug einer patientennahen Diagnostik.
Dementsprechend finden sich im Konsortium
der Investoren auch Strategen (Debiopharm,
Philips) bzw. deren Corporate-Venture-Vehikel
(Johnson & Johnson Development Corporation), die ihre konkreten Interessen an
den marktnahen Entwicklungen durch ihre
Beteiligung sichern.
Risikokapital in ausgewählten europäischen Ländern
Summe (Mio. €)
300
250
200
150
100
50
0
2010
Deutschland
2011
UK
Schweiz
Niederlande
Frankreich
Spanien
Dänemark
Belgien
Schweden
Österreich
2012
Quelle: Ernst & Young, 2013
82
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Finanzierung
Risikokapitalfinanzierungen europäischer Biotech-Unternehmen, 2012 (Auswahl)
Unternehmen
Land
Volumen (Mio. €) Bekanntgabe
Runde
Investoren
CureVac
Deutschland
80,0
September
4
dievini Hopp BioTech holding
BRAIN
Deutschland
60,0
November
2
MIG Fonds, MP Beteiligungs-GmbH,
ungenannte Investoren
Agendia
Niederlande
50,6
Mai
5
Debiopharm, Breedinvest, Gilde Healthcare
Partners, Global Life Science Ventures, ING Group,
Korys, Van Herk Group, ungenannte Investoren
ADC Therapeutics
Schweiz
38,9
März
Seed
Celtic Therapeutics, Cancer Research Technology,
private Investoren
Biocartis
Schweiz
34,5
Dezember
4
PMV, Benaruca, Debiopharm, Dr. Paul Janssen,
Johnson & Johnson Development Corporation,
Korys, New Rhein Healthcare, Philips, RMM,
Valiance, Luc Verelst
Chiasma
Israel
29,9
Juli
3
7 Med Health Ventures, Abingworth, ARCH Venture
Partners, F3 Ventures, Fredric Price, MPM Capital
PsiOxus
Therapeutics
UK
27,1
Juni
2
Imperial Innovations, Invesco Perpetual,
Lundbeckfond Ventures, SR One
AiCuris
Deutschland
25,0
Januar
3
Dom Capital, FCP Biotech Holding, Santo Holding,
privater Investor
F2G
UK
23,3
September
n/a
Advent Life Sciences, Astellas Venture Fund,
Merifin Capital, K Nominees, Novartis Bioventures,
Sunstone Capital
Prosensa
Niederlande
23,0
Januar
6
New Enterprise Associates, Abingworth, Gimv,
idinvest Partners, LSP Life Sciences Partners,
MedSciences Capital
Cell Medica
UK
21,0
Juli
3
Cancer Prevention and Research Institute of Texas
(CPRIT), Imperial Innovations, Invesco Perpetual
Quelle: Ernst & Young, 2013
Der genauere Blick auf die Finanzierungsrunden der Therapeutikaentwickler lohnt:
Wie bereits für die Finanzierungsrunden im
vergangenen Jahr festgestellt, leiten auch
2012 alle dort aufgeführten Firmen ihre
Medikamentenentwicklungsaktivitäten von
proprietären Technologieplattformen ab,
die in die im Einleitungskapitel „Perspektive“ definierten Kategorien passen:
• T
ech@MPO:
CureVac (RNA-Vakzine), ADC Therapeutics
(Antibody Drug Conjugates), PsiOxus
Therapeutics (Makromolekulare Therapeutika), Prosensa (Antisense-Therapeutika), GenKyoTex (NOX-Inhibitoren),
Cell Medica (T-Cell-Therapie)
• T
ech@Process:
Chiasma (Drug Delivery)
• T
ech@Disease:
AiCuris und F2G (beide Antiinfektiva)
Offenbar überzeugt der Aspekt einer nachhaltigen Produktgenerierung auf Basis
eigener Plattformen mittlerweile wieder die
Investoren, die in früheren Jahren explizit
die technologielastigen Biotech-Unternehmen auf eine reine und hochriskante Produktentwicklungsstrategie eingeschworen
hatten. Ein wichtiges Argument dabei dürfte
die deutlich größere Attraktivität der Technologieplattformfirmen für lukrative Deals mit
Pharma sein. Zumindest in Zeiten, wo Exits
über Transaktionen die nicht mehr stattfindenden IPOs ersetzen, ist dies eine nachvollziehbare Kehrtwendung.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Schwerpunktthemen innerhalb der Therapeutikaentwicklung sind weiterhin die Indikationen Krebs und Infektionserkrankungen,
die von 70 Prozent der finanzierten Firmen
verfolgt werden. Die restlichen Unternehmen sind in Orphan-Drug-Indikationen aktiv
(z. B. Chiasma / Akromegalie; Prosensa / genetische Defekte wie Chorea Huntington,
Duchenne-Muskeldystrophie).
Venture-Capital-Fonds in Europa nach wie
vor stark engagiert
Während traditionelles Venture Capital in
Deutschland sowohl hinsichtlich der Rundenbeteiligung als auch des Kapitalvolumens
weiter rückläufig ist, kann dieser Eindruck in
der gesamteuropäischen Betrachtung nicht
bestätigt werden. In acht der Top-10-Runden
für Therapeutikaentwickler sind klassische
83
Finanzierung
Finanzierungsquellen privater Unternehmen, 2012 (Befragung international)
Anteil der Antworten, Mehrfachnennungen möglich
Allianzen / Lizenzierungen
Fremdkapital
Fördermittel
Freunde und Familie
Private Investoren
Business Angels
VC
Erlöse aus Servicegeschäften
Erlöse aus Produktverkäufen
0 %
Deutschland (n = 120)
10 %
Europa (Rest, n = 159)
20 %
30 %
40 %
50 %
60 %
USA (n = 146)
Quelle: Ernst & Young, 2013
VCs in Konsortien involviert. Auch die Erweiterung auf die Top 50 ändert wenig an
diesem Bild (40 von 50) und legt nahe,
dass Venture Capital in Europa – anders als
in Deutschland – insgesamt nach wie vor
die Kapitalquelle erster Wahl ist.
Corporate Venture mit Zielrichtung
Produktinnovation
Wie bereits im vergangenen Jahr herausgestellt, sind die VC-Konsortien auch internationaler besetzt als dies in Deutschland
der Fall ist, mit stärker grenzüberschreitenden Aktivitäten der Venture-Capital-Gesellschaften.
Die in den letzten Jahren beobachtete
Zunahme der Aktivitäten von Corporate
Venture Funds und direkten Investments
strategischer Partner setzt sich auch 2012
fort. Insgesamt 15 (30 %) der Top-50Finanzierungsrunden weisen Pharma oder
andere Strategen im Investor-Konsortium
auf. Dabei sind die jeweiligen CVC-Investments meist auf Technologieneuheiten und
innovative Wirkstoffkonzepte ausgerichtet.
Der Auftrag lautet, deren weitere Entwicklung zu beobachten, die Fortführung finanziell zu unterstützen und gegebenenfalls
Nutzungsrechte rechtzeitig zu sichern.
84
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Typische Beispiele sind etwa Promethera
Biosciences mit Stammzellen, an denen
Boehringer Ingelheim, Mitsui und Shire gleichermaßen Interesse bekundet haben.
Ebenso F2G, deren neuartige Antiinfektiva
für den Novartis Venture Fund und Astellas
Venture Management interessant waren.
Schließlich auch PsiOxus Therapeutics, die
neue Wirkstoffklassen im Format von Makromolekülen oder viralen Strukturen erschließen und damit Lundbeckfond Ventures sowie SR One (GSK) als Investoren gewonnen
haben.
Finanzierung
Die hier getroffenen Aussagen zu den Details
der Finanzierungsrunden sowie zu den Aktivitäten der verschiedenen Investorengruppen
decken sich zum Großteil mit denen des
Vorjahres und scheinen auf den ersten Blick
redundant. Allerdings ist zu beachten, dass
es sich dabei um eine vollkommen andere
Zusammensetzung der individuellen Ereignisse im Vergleich zum Vorjahr handelt.
Wenn also in dieser vergleichenden Analyse
identische Schlussfolgerungen resultieren,
so bestärkt dies die entsprechenden Trendaussagen umso klarer.
Privatinvestoren und Family Offices
auch in Europa sichtbar
Das bisher vor allem in Deutschland beschriebene Phänomen der Family Offices
mit großen Taschen für den Biotech-Sektor
(Hopp / Strüngmann) ist inzwischen auch
in einigen europäischen Finanzierungsrunden erkennbar.
Vor allem die beiden Diagnostikfinanzierungen (Agendia und Biocartis) weisen
eine Reihe von Family Offices / Privatinvestoren als Mitfinanzierer aus:
•K
orys ist der Investmentarm der Colruyt
Familie in Belgien, die im Lebensmittelhandel seit über 50 Jahren tätig ist; das
FO investiert bevorzugt in den Bereichen
Verbrauchsgüter, Life Sciences und Cleantech (Agendia, Biocartis)
•F
amily Office Paul Janssen geht auf den
Gründer der gleichnamigen Pharma-Firma
zurück, die mittlerweile die Pharma-Aktivitäten von J&J trägt (Biocartis)
•V
an Herk Groep; eine holländische Familie
aus Rotterdam mit Aktivitäten im RealEstate- und Bau-Sektor (Biocartis)
•L
uc Verelst, CEO von Reliable Cancer
Therapies, Belgien (Biocartis)
•R
udi Mariën, CEO Innogenetics, Belgien
(Biocartis)
•B
enaruca, FO von Rudi Pauwels
(Biocartis-Gründer)
Firmenumfrage: Finanzierungsquellen
im internationalen Vergleich
Zur Ergänzung der Analysen im Finanzierungsumfeld, die bisher vornehmlich auf die
Top-Investments beschränkt waren, wurden
in einer internationalen Umfrage alle privaten
Unternehmen einbezogen und nach ihren
jeweiligen Kapitalquellen gefragt. Im Ergebnis gab es auch hier keine wesentlichen Änderungen zum Vorjahr, weder in
der Präferenz von Kapitalquellen noch
in der Relation der geographischen Zuordnung.
Sowohl die Dominanz von Erlösen aus
dem Verkauf von Produkten (vornehmlich
Tools & Equipment) und Dienstleistungen
in Deutschland wird bestätigt als auch im
Gegenzug die im Vergleich zu Deutschland
(nur noch 16 %) stärker VC-basierte Finanzierung im restlichen Europa und den USA
(28 % bzw. 22 %).
Interessant ist, dass die Klasse der Business
Angels im restlichen Europa und in den
USA (13 bzw. 15 % der Antworten) eine
wichtigere Rolle zu spielen scheint als in
Deutschland, während die privaten Investoren gleichermaßen prominent vertreten
waren (in Europa und in den USA quantitativ
leicht rückläufig im Vergleich zum Vorjahr,
in Deutschland konstant). Auch Fördermittel sind weiterhin in allen drei geographischen Räumen gleichermaßen begehrt und
ein wichtiger Beitrag für die Finanzierung
der Branche. Leider geht die Mittelvergabe
oft am Bedarf vorbei, da insbesondere
kleinere Unternehmen den administrativen
Aufwand für die Beantragung nicht zu stemmen vermögen (mehr dazu im Artikel von
Sven Pirsig, Ernst & Young, S. 88).
Lichtblicke beim Fundraising?
Nach sehr bescheidenen Erfolgen beim Fundraising für europäische Venture-Capital-Fonds
im Jahr 2011 stellt sich die Bilanz für 2012
extrem positiv dar. Vor allem die großen
europäischen Investoren konnten signifikante
Summen für neu aufgelegte Fonds aufnehmen. Allen voran Sofinnova Partners in Paris,
die für ihren Capital VII Fonds ein Closing
über 240 Millionen Euro meldeten und darüber hinaus auch einen neuen „Green Seed
Fund“ mit 22,5 Millionen Euro etablieren
konnten.
Neue europäische Fonds mit Fokus auf Life Science (Auswahl)
Fondsname
VC-Gesellschaft
Land
Volumen
BioDiscovery IV FCPR
Edmond de Rothschild
Investment Partners
Frankreich
125 Mio. €
Creathor Venture Fund III CREATHOR VENTURE
Deutschland
80 Mio. €
Earlybird IV
Earlybird Venture Capital
Deutschland
100 Mio. US$
HBM BioCapital II
HBM Healthcare Investments
Schweiz
90 Mio. €
Index Life VI LP
Index Ventures
Schweiz
200 Mio. US$
Inveready Biotec II
Inveready Technology
Investment Group
Spanien
7 Mio. €
Lifeline Ventures Fund I
LIFELINE Ventures
Finnland
20 Mio. €
Sofinnova Capital VII
Sofinnova Partners
Frankreich
240 Mio. €
Sofinnova Green Seed
Fund
Sofinnova Partners
Frankreich
22,5 Mio. €
Sunstone Life Science
Ventures III
Sunstone Capital
Dänemark
89 Mio. €
TVM Life Science Ventures VII
TVM Capital
Deutschland
150 Mio. US$
Wellington Partners IV
Life Science Fund
Wellington Partners
Deutschland
70 Mio. €
Quelle: Ernst & Young, 2013
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
85
Finanzierung
Wichtigste Geldgeber in diese neuen Fonds
waren vor allem große institutionelle Investoren in Europa, Pensionsfonds, Fondsin-Fonds-Investoren und Versicherungen
wie z. B.:
•S
kandia Life Insurance Company (UK)
•C
NP Assurances (F)
•C
DC Enterprises(F; in Regierungshand)
Damit wird ein wesentlicher Unterschied
im Fundraising zwischen deutschen und
französischen Fonds sehr evident. Während
in Frankreich die großen Versicherungskonzerne als signifikante Geldgeber diese
Summen zusammenbringen, bleibt den
deutschen Fonds der Zugang zu dieser Klasse
versperrt und das Fundraising insgesamt
ist deutlich erschwert.
Der Erfolg von Sofinnova Partners muss
aber vor allem auch direkt mit dem äußerst
beeindruckenden 3,6 Milliarden Euro „Trade
Sale Track Record“ über die letzten drei Jahre
in Verbindung gebracht werden, nämlich
durch den Verkauf von:
•C
oreValve an Medtronic (850 Mio. US�)
•N
ovexel an AstraZeneca (505 Mio. US�)
•M
ovetis an Shire (428 Mio. US�)
•F
ovea Pharmaceuticals an Sanofi
(370 Mio. US�)
•P
regLem an Gideon Richter
(445 Mio. CHF)
Die Investmentstrategie für den neuen Fonds
orientiert sich an den erfolgreichen Vorgängern: Durchbruchstechnologien und innovative Life-Science-Produkte aus Spin-offs,
Start-ups und Turn-around-Geschäften.
Zwei Drittel des Investitionsvolumens sollen
in Europa angelegt werden.
Ebenso beeindruckend ist der neue Fonds
von Index Ventures mit einem Volumen
von 150 Millionen Euro (200 Mio. US�);
vor allem deshalb, weil damit eine völlig
neue Investmentstrategie einhergeht:
Das Kapital wurde exklusiv für Investments
in Asset-focused Companies, mit anderen
Worten für Projektfinanzierungen in EinProjekt-Firmen, eingesammelt. Mit genau
dieser Strategie konnte auch TVM Capital
in München ein erfolgreiches Closing seines
TVM Life Science Ventures VII über 150
Millionen US-Dollar kommunizieren.
86
Die Gemeinsamkeiten dieser beiden Fonds
zum Thema „Asset Funding“ gehen insofern
weiter, als beide große Pharma-Firmen wie
GSK und J & J (im Falle von Index Ventures)
bzw. Eli Lilly (bei TVM) als signifikante Investoren aufgenommen haben. Dies hat
einige Konsequenzen. Die beiden VC-Gesellschaften verlagern ihr Kerngeschäft damit
eindeutig (zumindest mit den genannten
Fonds) weiter in Richtung Pharma. Sowohl
für den Input von interessanten Projekten
als auch als Partner für die anvisierten Exits
nach Erreichen des klinischen Proof of
Concept stehen die Pharma-Partner in erster
Linie zur Verfügung. Sie stellen deshalb
nicht nur Geld bereit, sondern prozessieren
dadurch Projekte über eine externe Finanzierungs- und Projektmanagementschiene
weiter, die intern nicht oder nur depriorisiert hätten verfolgt werden können.
Dies sind sicherlich sehr relevante Beiträge
zur nachhaltigen Innovation im Life-ScienceBereich und als solche dringend gefordert.
Da es sich bei diesen Finanzierungen nicht
um Biotech-Firmen im eigentlichen Sinne
handelt, sondern eher um Projektmanagement-Aufgaben unter strikter Führung des
VC-Investors, bleibt die Relevanz für Biotech
fraglich. Es wird zu beobachten sein, ob in
diesem Modell tatsächlich auch Projekte aus
Biotech-Unternehmen landen können, die
aus deren Portfolio stammen und mangels
Finanzierung gegen Bezahlung an die
VC-Gesellschaften abgegeben werden – mit
der Option zum späteren Rückkauf (à la
Symphony Capital).
Weitere neue Life-Science-Fonds mit dreistelligen Millionenkapitaleinlagen wurden
von Edmond de Rothschild Investment
Partners in Paris (125 Mio. €) sowie von
Earlybird Venture Capital in Berlin aufgelegt
(100 Mio. US�).
Es ist nach der am Anfang dieses Kapitels
geführten Diskussion über weiter rückläufige VC-Finanzierungen in Deutschland
umso erfreulicher zu beobachten, dass gerade in der Liste der erfolgreichen Fundraisings 2012 deutsche VC-Gesellschaften mit
am besten abschneiden. Den beiden französischen Fonds von Edmond de Rothschild
Investment Partners und Sofinnova Partners,
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
die zusammen rund 388 Millionen Euro neu
auflegen konnten, stehen die vier deutschen
Fonds (Earlybird venture Capital, CREATHOR
VENTURE, TVM Capital, Wellington Partners)
mit einer Gesamtsumme von 340 Millionen
Euro neuem Kapital kaum nach. Und dies
trotz der schlechteren Ausgangssituation
im Zusammenhang mit dem fehlenden Engagement großer Versicherungskonzerne.
Da dieses Geld den nach wie vor aktiven
Investoren in Deutschland zugutekommt,
könnte man hoffen, dass damit zumindest
deren weitere Investitionsaktivitäten in
Biotech abgesichert sind. Allerdings muss
diese Erwartung gleich wieder relativiert
werden. Sowohl CREATHOR VENTURE als
auch Wellington Partners setzen vornehmlich auf reifere Pharma-Entwicklungen sowie
auf Aktivitäten in der Diagnostik und damit
nicht auf die Bereiche mit dem größtem
Finanzierungsbedarf (frühe Therapeutikaentwicklung).
Earlybird Venture Capital hatte sich bereits
seit einiger Zeit aus Biotech „ausgeklinkt“
und stärker auf Medizintechnik gesetzt. Und
schließlich TVM Capital: Der neue TVM VII
Fonds wurde in Kanada geschlossen, mit
wesentlicher Beteiligung kanadischer Geldgeber (neben Eli Lilly) und einem klaren
Commitment zu Investitionen in Kanada.
Dennoch ist aus TVM-Kreisen zu hören, dass
Investments in deutsche Asset-focused
Companies nach diesem Modell nicht ausgeschlossen seien.
Ein interessanter neuer Player könnte
Sunstone Capital aus Kopenhagen werden.
Der zuvor nur auf Skandinavien fokussierte
Investor hat als erklärtes Ziel eine weitere
Expansion nach Europa ausgegeben. Der
neue Topf von fast 90 Millionen Euro könnte
dafür eine Basis sein. Immerhin war Sunstone
Capital bereits im Jahr 2012 an einigen
Finanzierungsrunden außerhalb Dänemarks
beteiligt (z. B. F2G in UK, Galecto Biotech
in Schweden).
Wellington Partners IV Life Science Fund:
Ja zu Biotech, aber mit hoher Selektivität
Dr. Rainer Strohmenger,
Wellington Partners, München
Der neue Fonds WP-IV Life Science
Im September 2012 konnten wir das erste
Closing des neuen Wellington Partners Life
Science Fonds („WP-IV Life Science“; Zielgröße: 120 Mio. €) bekanntgeben. Bereits
das initiale Volumen lag bei über 70 Millionen
Euro, d. h. nahe an der Größe des Vorgängerfonds WP-III Life Science (78 Mio. €). Dies
war angesichts des schwierigen Finanzmarktumfelds ein großer Erfolg und löste ein
äußerst positives Echo in der gesamten LifeScience-Branche aus. Bedeutet dies schon
eine Trendwende für die angespannte Finanzierungssituation in der deutschen Biotechnologie? Sicherlich nicht. Der geographische
Fokus von WP-IV Life Science beinhaltet
zwar eine Betonung der DACH-Region, liegt
aber auf Gesamteuropa. Der Investmentschwerpunkt umfasst alle Arten innovativer
medizinischer Produkte, d. h. Medizintechnik,
Diagnostika und Therapeutika. Die Strategie
besteht darin, über diese Segmente hinweg
die jeweils aus medizinischer Sicht sinnvollsten Produktentwicklungen zu finanzieren, die zugleich das attraktivste Reimbursement erwarten lassen.
Große institutionelle Investoren halten
sich zurück
Die Investorenbasis von WP-IV Life Science
besteht sowohl aus staatlichen Investoren
wie dem European Investment Fund (EIF),
der bayerischen LfA und der österreichischen
AWS, als auch aus Family Offices, Privat-
investoren und kleineren institutionellen Investoren. Die meisten großen institutionellen
Anleger sind zwar grundsätzlich an LifeScience-VC interessiert, aber es gibt meist
keine Kompetenz und keine strategische
Allokation für diesen Bereich. In ebenjener
Zurückhaltung liegt der eigentliche Grund
für die Kapitalknappheit, was aber wiederum
Investments in Life Science für andere Anleger besonders attraktiv macht. Natürlich ist
das Fundraising bei Privatinvestoren aufgrund geringerer Volumina und der Intransparenz dieser Anlegerklasse deutlich aufwändiger als im institutionellen Bereich. Auf
der anderen Seite ist es gerade unser breites
Investorennetzwerk, über das ein signifikanter Teil des qualitativ hochwertigen „proprietären“ Dealflows generiert wird. Viele
Family Offices bevorzugen Direktinvestments
gegenüber Investments in VC-Fonds. Unsere
Beobachtung ist allerdings, dass die meisten
dieser Investoren nicht in der Lage sind,
Beteiligungsunternehmen über die reine
Finanzierung hinaus wesentliche Unterstützung zu bieten. Aus diesem Grund führt die
Direktinvestmentstrategie in der Regel zu
einer niedrigeren Erfolgsrate, die letztendlich das Gesamtinvestment gefährdet. Wir
bieten daher unseren interessierten Privatinvestoren an, parallel zu unserem Fonds
in weiter fortgeschrittene Projekte mit entsprechend hohem Kapitalbedarf mitzuinvestieren.
Medizintechnik vs. Biotechnologie
Für die Medizintechnik gilt der Standort
Europa als besonders attraktiv, da vor allem
die DACH-Region über hervorragende Ingenieure verfügt und die Zulassungshürden
im Vergleich zu den USA viel niedriger sind.
Oft lässt sich ein innovatives Produkt bereits
mit einer Investitionssumme von deutlich
weniger als 10 Millionen Euro zur Zulassung
bringen – ein Betrag, der von VC-Fonds ohne
Schwierigkeiten bereitgestellt werden kann.
Angesichts des knappen Angebots an Venture
Capital und der niedrigen Einstiegsbewertungen bieten sich daher für Anleger enorme
Chancen. Im Vergleich dazu wird der Biotechnologiesektor von Investoren als deutlich
schwieriger eingestuft – obwohl er im Wellington Track Record aufgrund von vielen
sehr erfolgreichen Investments (Actelion,
Grandis, immatics, Oxagen, Evolva) überproportional positiv heraussticht. Viele andere Investoren leiden jedoch noch immer
unter den Nachwehen großer Investments in
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
zu riskante klinische Entwicklungsprojekte,
die häufig scheiterten. Hinzu kommt, dass
Biotech-IPOs in den letzten Jahren in Europa
kaum stattfanden und sich dadurch die Haltedauern verlängern. Nur in Ausnahmefällen,
wie z. B. der Firma immatics mit ihrer einzig-artigen Krebsvakzineplattform, gelingt
es, vorbörslich mehr als 100 Millionen Euro
einzusammeln und Produkte durch alle klinischen Entwicklungsphasen in kurzer Zeit bis
zur Zulassung zu entwickeln.
Wellingtons Kompetenz in Sachen
Biotechnologie
Auf der anderen Seite verfügt Wellington
Partners gerade in der Biotechnologie über
außergewöhnliche Kompetenz: Mit Erich
Schlick, dem früheren Forschungschef der
BASF Pharma Knoll AG, und seinen damaligen Mitarbeitern Melvin Spigelman und Ulrich
Granzer gehören diejenigen Personen, die in
den 90er Jahren für die Entwicklung von
Humira verantwortlich waren, heute zum
Wellington Life Science Team. Humira®, der
erste voll humane therapeutische Antikörper,
hat sich heute mit mehr als neun Milliarden
US-Dollar zum umsatzstärksten Medikament
der Welt entwickelt – bei prozentual zweistelligem Wachstum. Regina Hodits, die Anfang 2010 von Atlas Venture zu Wellington
kam, brachte Erfahrung aus so erfolgreichen
Exit-Transaktionen wie dem Genmab-IPO
oder dem Verkauf der U3 Pharma an Daiichi
Sankyo mit.
Auch in Zukunft Investitionen in Biotech
Wellington Partners wird sich daher weiterhin selektiv im Biotechnologiebereich engagieren. Wir betrachten diesen Bereich als
hochinteressant – nicht nur wegen der attraktiven Bewertungen, sondern auch aufgrund
der Möglichkeiten zur Verbesserung des
Rendite-Risikoprofils der Investments, z. B.
durch Diversifikation mittels früher Kollaborationen oder durch konsequente Patientenselektion in klinischen Entwicklungsprogrammen. Dies hilft nicht nur, Studiengrößen
und Finanzierungsbedarf zu reduzieren,
sondern erhöht auch die Wahrscheinlichkeit
eines Studienerfolgs und führt zur Entwicklung der besseren Medikamente.
www.wellington-partners.com
87
Fördermittel kommen nicht da an, wo sie am dringendsten
gebraucht werden
Nur geringe Inanspruchnahme bei KMU
Die Befragung bei deutschen KMU zeigt,
dass die Inanspruchnahme von öffentlichen
Fördermitteln weiterhin auf einem insgesamt eher geringen Niveau liegt. Nur 17
Prozent der Unternehmen nahmen in den
vergangenen drei Jahren Fördermittel in
Anspruch. Bei Kleinstunternehmen ist die
Quote mit 13 Prozent deutlich niedriger. Im
Vergleich zum Vorjahr gibt es nur geringfügige, d. h. leicht rückläufige Änderungen
bei der Inanspruchnahme von Fördermitteln.
Sven Pirsig,
Ernst & Young GmbH, Berlin
Fördermittel auf dem Prüfstand
Durch richtig gesetzte Anreize können wirtschaftspolitische Zielsetzungen schneller
und wirkungsorientiert umgesetzt werden.
Dafür gilt es, die Akzeptanz, die Zielgenauigkeit und vor allem die Effizienz des Einsatzes
von Fördermitteln zu erhöhen. Bislang nutzt
in Deutschland nur jeder fünfte Mittelständler Fördermittel, und wenn, ergeben sich
hieraus hohe Mitnahmeeffekte. Dies verdeutlichen die Ergebnisse einer aktuellen
Studie zum Thema „Nutzung öffentlicher
Fördermittel“. Aufbauend auf einer repräsentativen Befragung wurde das Ernst &
Young KMU-Förderbarometer entwickelt,
welches detaillierte Entwicklungen zu Inanspruchnahme und Bedarf an öffentlicher
Förderung publiziert. Bereits mit der zweiten Auflage im Jahr 2012 wird eine belastbare Informationsgrundlage für die Verbesserung der öffentlichen Förderlandschaft
durch Politik und Verwaltung geschaffen.
Dazu wurden 1.000 KMU in Deutschland mit
bis zu 500 Mitarbeitern befragt.
Mitnahmeeffekte korrelieren mit
Unternehmensgröße
Die Ursachen für die geringe Inanspruchnahme sind vielschichtig. Als eine Hauptursache nennen die KMU fehlenden Bedarf.
Hierbei sind neben den Unterschieden zwischen den alten und neuen Bundesländern
auch die Spezifika der Branche zu berücksichtigen. Biotech-Firmen mit ihrem hohen
Kapitalbedarf werden öfter und regelmäßig
öffentliche Beteiligungen oder F&E-Zuschüsse
anstreben als KMU anderer Branchen. Eins
haben die vielen kleinen und mittleren Unternehmen aber gemeinsam: Jedes sechste
(15 %) beklagt, dass es nicht über genügend Zeit für die aufwendige Beantragung
der Fördermittel verfügt bzw. der administrative Aufwand sehr hoch ist oder ausreichende Unterstützung im Antragsprozess
fehlt. Hier sind die KMU gefordert, öffentliche Dienstleister wie IHKs oder Landesförderinstitutionen als Supporter noch stärker
in Anspruch zu nehmen. Die Erstellung eines
Businessplanes für ein Investitionsvorhaben
lässt sich jedoch kaum delegieren. Eine
differenzierte Betrachtung zeigt, dass ein
direkter Zusammenhang zwischen Mitnahmeeffekten und Unternehmensgröße besteht.
Mit zunehmender Größe der Unternehmen
hätten diese die geförderte Maßnahme auch
ohne Fördermittel durchgeführt. Folglich ist
die Relevanz von Mitnahmeeffekten bei
mittleren Unternehmen mit 50 bis 500 Beschäftigten größer als bei den kleineren KMU.
Nachholbedarf bei der Subventionierung
Die Untersuchungsergebnisse lassen den
Schluss zu, dass in Zeiten knapper werdender Ressourcen sowohl hinsichtlich einer
bedarfsorientierten Gestaltung als auch der
Effizienz der Förderprogramme noch Optimierungspotenziale bestehen. Die vorhandenen Mittel sind zukünftig noch zielgerichteter einzusetzen. Die Bewertung der Wirk-
88
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
samkeit der Förderung, z. B. durch regelmäßiges Monitoring und Evaluierungen, sollte
Standard werden. Die Förderinstrumente
müssen zukünftig so gestaltet werden, dass
Mitnahmeeffekte auf ein Minimum reduziert
werden und besonders kleine Unternehmen
auf diese zugreifen können. Weiterhin muss
die Beantragung von Fördermitteln für Unternehmen sowohl transparenter als auch
unbürokratischer gestaltet werden, um die
Akzeptanz zu erhöhen. Es ist wichtig, die
vorhandenen Mittel zielgerichtet und effizient
einzusetzen, um eine maximale Wirkung
für den Wirtschaftsstandort Deutschland zu
erzielen.
Förderdschungel Deutschland
Für den Wirtschaftsstandort Deutschland
haben Innovationen, Forschung und Entwicklung sowie Humanressourcen eine hohe
Bedeutung für Wachstum und Beschäftigung.
Deutschland zeichnet sich durch ein vielschichtiges System von Förderprogrammen
aus EU-, Bundes- und Ländermitteln mit unterschiedlichsten Zielen und Anforderungen
aus. Nicht immer ist diesbezüglich für Unternehmen eine ausreichende Transparenz
gegeben. Ziel des Ernst & Young-Ansatzes
„Lernendes Programm“ ist daher eine Verbesserung der Wirksamkeit und des effizienten Mitteleinsatzes unter Berücksichtigung aller Beteiligten, Schnittstellen und
Prozesse zu gewährleisten. Unser Beratungsangebot deckt dabei den gesamten Lebenszyklus eines Programms ab und erstreckt
sich sowohl auf summative als auch formative Evaluierungen, welche das Branchenteam Government Public Sector anbietet.
Weiterhin können Unternehmen auf direkte
und vielfältige Unterstützung bei der Innovationsförderung zurückgreifen. Dies kann die
Beantragung von Fördermittel für komplexe
F&E-Vorhaben oder auch die Strukturierung
des Vorhabens betreffen. Die Identifizierung
der potenziellen Förderung – wie z. B. aus dem
EU-Programm Horizon 2020 oder aus dem
Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand
des BMWi – hängt dabei von den spezifischen
Bedingungen des jeweiligen Investitionsvorhabens ab.
Horizon 2020: Eine Chance für die deutsche Biotechnologie
Ingrid Zwoch,
Nationale Kontaktstelle Lebenswissenschaften (Projektträger für das BMBF),
Bonn
Das neue Rahmenprogramm
Für die Beteiligung an europäischen Programmen sind neben der Erschließung neuer
Märkte und Netzwerke die Streuung des
Forschungs- und Entwicklungsrisikos und
der Zugang zu Schlüsseltechnologien, Infrastruktur und Know-how die vorrangingen
Ziele biotechnologischer Einrichtungen.
Anfang 2014 wird offiziell das neue Rahmenprogramm der EU für Forschung und Innovation – Horizon 2020 – mit einer Laufzeit
von sieben Jahren starten.
Horizon 2020
Bereits jetzt ist zu erkennen, dass mit diesem
neuen Programm ein Paradigmenwechsel
innerhalb der europäischen Forschungsförderung eingeleitet wird: Horizon 2020
setzt verstärkt auf Innovationen – Forschung
soll wesentlich dazu beitragen, Innovationen
umzusetzen und die wirtschaftliche Entwicklung Europas zu befördern. Die Struktur
von Horizon 2020 spiegelt diese Innovationsnähe des Programms wider: In den drei
Hauptblöcken (I) Wissenschaftsexzellenz,
(II) Führende Rolle der Industrie und (III)
Gesellschaftliche Herausforderungen hat die
Förderung von Unternehmen vorwiegend im
Teil II einen Schwerpunkt. So haben Schlüsseltechnologien, zu denen auch die Biotechnologie explizit zählt, eine eigene Förderlinie
erhalten. Der erleichterte Zugang zur Risikofinanzierung für KMU und die gezielte Unterstützung einzelner KMU – ein Novum in
einem europäischen Rahmenprogramm –
sind industriefreundliche Neuerungen.
Förderbereiche
Wichtige Förderbereiche für die gesamte
Biotechnologieszene werden die Gesellschaftlichen Herausforderungen mit den
Challenges „Gesundheit, demografischer
Wandel und Wohlergehen“ und „Ernährungsund Lebensmittelsicherheit, nachhaltige
Landwirtschaft, marine und maritime Forschung, und Biowirtschaft“ bieten. Die Planung sieht auch gemeinsame thematische
Ausschreibungen mit den Schlüsseltechnologien vor. Damit soll die direkte Verbindung
von neuen Technologien und deren Einsatz
in der Forschung und Entwicklung sichergestellt werden.
Neue Finanzierungsmöglichkeiten über
Public-Private Partnerships
Neben den o. g. Optionen eröffnen auch
gemeinsame Technologie-Initiativen (Joint
Technology Initiativen, JTI) Beteiligungsmöglichkeiten. JTI sind eine Variante der
Public-Private Partnerships (PPPs): Finanzmittel aus Horizon 2020 werden mit privaten
Investitionen kombiniert. JTI können eigene
Ausschreibungen durchführen. Ein bekanntes
Beispiel ist die Innovative Medicines Initiative
(IMI), die bereits im siebten Forschungsrahmenprogramm (FP7) selbständig Projektideen aus dem Bereich der präkompetitiven
Arzneimittelforschung fördert. Diese mit
einem Gesamtbudget von zwei Milliarden
Euro weltweit größte öffentlich-private Partnerschaft bietet auch deutschen innovativen
Biotechnologieunternehmen vielfältige
Chancen zur Zusammenarbeit mit Akademie,
Zulassungsbehörden, Patientenorganisationen und der Großindustrie. JTI haben häufig
vom Rahmenprogramm abweichende Regelungen zum Umgang mit geistigem Eigentum
(IMI IP Policy), den Finanzierungsbedingungen bzw. administrativen Vorgaben. Aktuell
laufen die Beratungen, die Rahmensetzungen
der Nachfolgeinitiativen für Horizon 2020
stärker auf die Bedürfnisse aller an den Projekten beteiligten Einrichtungen auszurichten.
Für Horizon 2020 ist ebenfalls in dem Bereich
der „industriellen Biotechnologie“ eine neue
Form der PPP („BRIDGE“) geplant. Im
Rahmen von „BRIDGE“ sollen neue Wertschöpfungsketten von der Biomasseproduktion bis hin zum Markt – einschließlich Bioraffinerien – etabliert werden. Für Industrieunternehmen ist es von großer Bedeutung,
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
sich bereits frühzeitig in Gremien und Beratungsforen zu neuen Initiativen zu engagieren
und sich an der Erarbeitung strategischer
Forschungs- und Innovationsagenden zu beteiligen.
Wieviel im Einzelnen?
Die Förderung von Forschungs-, Entwicklungsund Demonstrationsaktivitäten in Horizon
2020 wird durch die Beteiligungsregeln festgelegt. Geplant wird, die Erstattung der
tatsächlichen Kosten mit einer Förderquote
je Maßnahme / Projekt spezifisch festzulegen.
Sie ist unabhängig vom Einrichtungstyp
(z. B. Universität, KMU, Großindustrie) und
den jeweiligen Aktivitäten innerhalb des
Projektes. Sie soll maximal bis 100 Prozent
für Forschungs-, Entwicklungs-, Koordinierungs- und Managementaktivitäten aufkommen; für Demonstrationsaktivitäten wird
sie bei maximal 70 Prozent liegen. Für die
Erstattung der indirekten Kosten ist eine
Pauschale von 20 Prozent vorgesehen. Wie
die Instrumente im Einzelnen aussehen
werden, mit denen die Projekte letztendlich
umgesetzt werden, ist Gegenstand aktueller
Diskussionen auf europäischer Ebene.
Chancen nutzen. Jetzt!
Interessierte Einrichtungen sollten sich
vorbereiten: Erste Ausschreibungen von
Horizon 2020 werden aller Voraussicht
nach im Winter 2013/14 publiziert werden.
Die Beteiligung deutscher Biotechnologieunternehmen, die zum größten Teil durch
KMU repräsentiert sind, war im letzten
Rahmenprogramm sehr erfolgreich. Die
Chancen, europäische Fördermittel akquirieren zu können, werden nochmals steigen.
Um erfolgreich zu sein, ist es extrem wichtig,
sich frühzeitig auf der europäischen Bühne
zu engagieren und zu informieren. Entscheidend ist eine fundierte Beratung im Vorfeld
von Ausschreibungen.
www.nks-lebenswissenschaften.de
89
Finanzierung börsennotierter Biotech-Unternehmen
Börsengänge weiter Fehlanzeige
Man kann dieses Kapitel getrost kurz abschließen: Auch im sechsten Jahr in Folge
nach 2006 gab es keine Börsengänge deutscher Biotech-Unternehmen.
Das seit Jahren andauernde Desinteresse
des Kapitalmarkts am Biotech-Sektor hält
unvermindert an. Der Gang an die Börse
kann nicht einmal als Finanzierungsrunde
mit einem akzeptablen Kapitalzufluss angestrebt werden, und somit sind auch die mit
einem Börsengang verbundenen Kontrollund Transparenzpflichten noch weniger zu
rechtfertigen.
Dennoch gibt es vereinzelt Diskussionen, die
aus der Perspektive der mindestens genauso
schlechten Finanzierungssituation im privaten Biotech-Sektor neue Überlegungen zu
einem Listing am Kapitalmarkt einbringen.
Als Argument wird der Zugang zu individuellen Investoren für PIPEs genannt, der die
fast aussichtslose Suche nach privaten Investoren und die Auseinandersetzung mit komplizierten Konsortienbildungen erübrigt.
Weiterhin wird auch die größere Transparenz
im Zusammenhang mit der Bewertung von
Assets über die Marktkapitalisierung ins
Feld geführt.
Ob diese Argumente tragen, ist schwer abzuschätzen; konkrete Beispiele für Listings
ohne Aktienausgabe fehlen und auch die
Finanzierungserfolge für bereits gelistete
Unternehmen am Kapitalmarkt machen sich
eher bescheiden aus (s. o.).
Bleibt zu wiederholen, dass ohne eine Wiederbelebung des Kapitalmarktes die gesamte
Branche im Hinblick auf Finanzierungen und
erfolgreiche Exits weiter unter Druck stehen
wird. Trade Sales alleine können nicht die
Lösung für alle Biotech-Unternehmen und
auch nicht für alle Geschäftsmodelle sein.
90
Börsengänge europäischer Biotech-Unternehmen, 2012
Unternehmen
Land
Volumen Datum
(Mio. €)
Börse
Art
Adocia
Frankreich 27,4
14. Februar
NYSE
Euronext Paris
IPO
Bionaturis
Spanien
3,0
26. Januar
MAB
IPO
Respiratorius
Schweden
0,8
15. Mai
AktieTorget
IPO
Prothena
Corporation
Irland
Vaxil
Israel
BioTherapeutics
21. Dezember NASDAQ
Listing
25. Juli
Reverse IPO
TASE
Quelle: Ernst & Young, 2013
Auch im restlichen Europa Börsenflaute
für Biotech
Bis auf den IPO von Adocia aus Frankreich
sind die restlichen vier „Börsengänge“ in
Spanien (Bionaturis), Schweden (Respiratorius), Irland (Prothena) und Israel (Vaxil
BioTherapeutics) allenfalls als Neunotierung an den jeweiligen Kapitalmärkten zu
sehen. Als Finanzierungsereignisse waren sie
weniger geeignet. Bei den beiden letztgenannten stand in der Tat auch das Listing direkt (Prothena) oder in Form des Reverse
IPO (Vaxil) als primäres Ziel auf dem Plan.
Adocia nahm bei seinem doppelten Börsengang in New York (NYSE) und Paris (Euronext) immerhin gut 27 Millionen Euro ein
und befand sich damit in guter Gesellschaft
mit privaten Finanzierungsrunden. Das
Unternehmen entspricht mit seiner Aufstellung auch nicht dem üblichen Biotech-Modell
eines Therapeutika- oder Diagnostikentwicklers sondern hat bereits eine Marktposition
mit Umsätzen im einstelligen Millionenbereich. Außerdem ist das Geschäftsmodell
eher in der Nähe von Specialty-PharmaFirmen anzusiedeln:
• Drug-Delivery-Technologie („Bio-Chaperone“ zur Verpackung von Proteinen mit
Heparin-ähnlichen Polysacchariden)
• Verbesserung von therapeutisch relevanten Biologicals (z. B. Insulin, Wachstumsfaktoren)
• Risikoreduktion durch „Veredelung“ von
erfolgreichen Marktprodukten (z. B. Insulin)
• Schwerpunkt auf der Entwicklung und
Vermarktung
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Trotz dieses Profils und einer attraktiven
Marktposition konnte die Aktie über den
Jahresverlauf ihren Ausgangswert nicht
halten. Die Jahresabschlussnotierung ergab
als Market Cap lediglich 50 Millionen Euro,
glatte 50 Prozent unter dem Ausgangswert
beim Börsenstart (Market Cap 100 Mio. €).
Somit bleibt die Diskussion hinsichtlich einer
Verbesserung der Geschäftsposition für
Biotech-Firmen durch ein Börsen-Listing
weiter offen. Adocia jedenfalls motiviert –
selbst mit guter Ausgangsposition – durch
seine Börsen-Performance nicht gerade
dazu, diese Strategie einzuschlagen.
Sehr erstaunlich und ungewöhnlich ist auch
das Listing der Prothena Corporation aus
Irland. Das Unternehmen ist ein Spin-off –
und hier liegt der Hintergrund des Listings –
aus Elan und hat seine Kernkompetenz in der
Entwicklung von monoklonalen Antikörpern
für die Behandlung von Krankheiten, bei
denen falsch gefaltete Proteine eine Rolle
spielen (z. B. Amyloidose). Ungewöhnlich ist
dies, da das Lead-Programm von Prothena
gerade einmal die Phase I der klinischen
Entwicklung angetreten und dafür OrphanDrug-Status erhalten hat. In diesem Stadium
würde ein Biotech-Unternehmen herkömmlicher Prägung am Kapitalmarkt nicht akzeptiert werden. Da die Finanzierung durch Elan
aber weiter gesichert ist und die Corporation
auch Hauptaktionär bleibt, ist die Situation
bei Prothena nachvollziehbar.
Finanzierung
US-Börsen mit Bio-Appetit?
Die IPO-Aktivitäten in den USA hatten sich
bereits vor zwei Jahren wieder erholt und
waren im letzten Jahr (2011) mit zehn
Börsengängen und einem Gesamtvolumen
von 814 Millionen US-Dollar wieder fast auf
dem Niveau vor der Finanzkrise angelangt.
Auf dieser Höhe verharrt der Kapitalmarkt
in den USA auch 2012. Insgesamt 11 IPOs
haben frisches Kapital in Höhe von 765 Millionen US-Dollar eingefahren. Dazu kamen
zwei Listings und vier Reverse IPOs die anzeigen, dass Unternehmen stärker an den
Kapitalmarkt drängen.
Die aufgeführten 11 IPOs haben zwar im
Durchschnitt mit etwa 70 Millionen US-Dollar
etwas weniger eingenommen als noch im
Vorjahr (84 Mio. US�). Dafür waren aber in
diesem Jahr erfreulicherweise alle Unternehmen über der 50-Millionen-Dollar-Grenze.
Es gab nur einen IPO mit 100 Millionen
US-Dollar, den Börsengang von Merrimack
Pharmaceuticals, der das Feld knapp anführt. Merrimack repräsentiert sicherlich
das Paradigma des aktuellen Börsenkandidaten: eine Technologieplattform für Antikörper und Nanotherapeutika mit einer
breiten Pipeline an Krebswirkstoffen in fortgeschrittener klinischer Entwicklung; dazu
kommt ein Deal mit Sanofi als externem
Partner und „Evaluator“ der Plattform sowie
deren Output.
pioniere aus Cambridge/Massachusetts,
sind die Aushängeschilder dieser Unternehmung, die die Börsenglocke erstmals
beim IPO aus dem Labor einer BiotechFirma geläutet haben.
Auch das Muster der IPOs hinsichtlich Geschäftsmodell und Reifegrad war recht
homogen: Alle 11 Unternehmen sind Therapeutikaentwickler mit Leitprodukten in
Phase III der klinischen Entwicklung sowie
zwei Specialty-Pharma-Unternehmen mit
Produkten bereits am Markt. Ausnahme
bildet Verastem, das erst in der Präklinik
steht; allerdings mit einem hochinnovativen
Ansatz zur Entwicklung niedermolekularer
Inhibitoren für Krebsstammzellen. CEO
Christoph Westphal und Board-Mitglied
Robert Weinberg, zwei Krebsforschungs-
Interessant ist weiterhin die einzige Technologiefirma – Regulus Therapeutics aus San
Diego. Das Unternehmen ist ein Zusammenschluss der früheren Antisense-RNA-Pioniere
Alnylam Pharmaceuticals und Isis Pharmaceuticals, die auf Basis der Technologien
und Patente ihrer Vorgänger innovative
microRNA-Therapeutika entwickeln. Beleg
für die offenbar hochattraktive Technologieplattform sind bestehende Frühphasen- bzw.
Plattform-Deals mit Sanofi, AstraZeneca
und GSK neben einem eigenen, noch frühen
Entwicklungsprogramm.
Börsengänge US-amerikanischer Biotech-Unternehmen, 2012
Unternehmen
Volumen (Mio. US$)
Datum
Art
Merrimack Pharmaceuticals
100,1
29. März
IPO
Tesaro
86,8
24. Juli
IPO
Intercept Pharmaceuticals
86,3
15. Oktober
IPO
KYTHERA Biopharmaceuticals
81,0
16. Oktober
IPO
Durata Therapeutics
77,6
24. Juli
IPO
Verastem
63,3
27. Januar
IPO
Cempra Pharmaceuticals
58,0
3. Februar
IPO
Hyperion Therapeutics
57,5
31. Juli
IPO
Supernus Pharmaceuticals
52,2
1. Mai
IPO
ChemoCentryx
51,8
8. Februar
IPO
Regulus Therapeutics
50,9
4. Oktober
IPO
Puma Biotechnology
16. April
Listing
RXi Pharmaceuticals
1. Mai
Listing
ADMA Biologics
29. März
Reverse IPO
Arrogene NanoTechnology
11. Januar
Reverse IPO
Islet Sciences
1. März
Reverse IPO
Retrophin
18. Dezember
Reverse IPO
Quelle: Ernst & Young, 2013
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
91
Finanzierung
Finanzierung börsennotierter BiotechUnternehmen in Deutschland bleibt
schwierig
Mit einer Gesamtsumme von nur 80 Millionen Euro an Einnahmen aus Finanzierungen
am Kapitalmarkt bleibt dieses Terrain für
Biotech schwierig. Wenngleich in der Summe
doppelt so hoch wie noch im vergangenen
Jahr und den Jahren nach der Krise (mit der
Ausnahme von 2010, als mit einer PIPEKapitalerhöhung bei Agennix durch das
Hopp Family Office alleine 78 Millionen Euro
aufgenommen werden konnten), so reicht
sie noch immer nicht an die Vorkrisenwerte,
die bei deutlich über 100 Millionen Euro
gelegen hatten.
Sekundärfinanzierungen börsengelisteter deutscher
Biotech-Unternehmen, 2012
Unternehmen
Volumen (Mio. €)
Datum
Art
MOLOGEN
22,0
19. Juni
PIPE
WILEX
16,1
3. August
PIPE
4SC
12,6
13. Juni
PIPE
Biofrontera
11,5
2. März
PIPE
WILEX
9,9
9. Januar
PIPE
co.don
3,9
20. August
PIPE
MOLOGEN
2,7
27. März
PIPE
Biofrontera
1,4
3. Februar
PIPE
Quelle: Ernst & Young, 2013
Alle aufgeführten Finanzierungsrunden sind
PIPEs, welche die nach wie vor stagnierende
Situation des Kapitalmarkts belegen, wo
meist nur direkte Commitments der existierenden Anteilseigner die Weiterfinanzierung
ihrer Portfoliofirmen stemmen. Das Bild
gleicht auch insofern dem des Vorjahres,
weil fast exakt die gleichen Namen auftreten.
Dennoch stechen einige Firmen hervor, die
durch positive Performance die benötigten
Kapitalerhöhungen realisieren konnten.
MOLOGEN rechtfertigt die Kapitalaufnahme
von insgesamt 24,7 Millionen Euro (2011
10 Mio. €) mit guten klinischen Daten. In
den ersten neun Monaten des Jahres 2012
hat MOLOGEN mehrere wichtige Ziele erreicht. Die klinischen Studien zu den beiden
Produktkandidaten MGN1703 (Darmkrebs)
und MGN1601 (Nierenkrebs) übertrafen
alle Erwartungen. Weitere positive Meilensteine in der aktuellen Berichtsperiode stellten zum einen der erfolgreiche Abschluss der
präklinischen Arbeiten zum LeishmanioseImpfstoff MGN1331 und zum anderen der
Beginn der Kooperation mit der Charité
Berlin und dem Max-Delbrück-Centrum für
Molekulare Medizin zur klinischen Untersuchung einer auf der von MOLOGEN entwickelten MIDGE®-Technologie basierenden
Immuntherapie gegen den schwarzen Hautkrebs dar.
92
Noch erfolgreicher hinsichtlich der Kapitalaufnahme war WILEX, das in ebenfalls zwei
Tranchen 25 Millionen Euro einnahm. Im
Wesentlichen wurde diese Kapitalerhöhung
getragen durch den Hauptaktionär Dietmar
Hopp. Umso tragischer, dass im Herbst des
letzten Jahres der erwartete Erfolg der Phase-III-Studie ausblieb und das Kapital somit
zunächst verloren schien.
Ebenfalls Wiederholungstäter nach knapp
12 Millionen Euro 2011 war 4SC, die im Berichtsjahr 2012 erneut um die 13 Millionen
Euro aufnehmen konnte. Auch hierbei handelt es sich um eine notwendige Finanzspritze per PIPE für die weiteren klinischen
Entwicklungsschritte, gezeichnet von den
existierenden Investoren (u. a. Thomas
Strüngmann).
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Biofrontera, in den letzten Jahren immer
aktiv mit mehreren kleineren Kapitalerhöhungen über PIPEs, konnte auch 2012
zweimal „zuschlagen“ und insgesamt 13
Millionen Euro durch Ausgabe neuer Aktien
an bestehende Aktionäre erzielen. Newsflow durch weitere Vertriebsvereinbarungen
(z. B. Allergan, Desitin) für ihre Therapie
der aktinischen Keratose tragen zur positiven Stimmung bei.
Schließlich war auch co.don mit einer kleineren Kapitalmaßnahme über ein 3,9-Millionen-Euro-PIPE erfolgreich, die von Trans
Nova Investments und Osemifaro Investments, beide mit Sitz in Zypern, ausgingen.
Die Kapitalerhöhung hat die Gesellschaft in
die Lage versetzt, insbesondere die hohen
Aufwendungen für die zentrale Zulassung
der Tissue-Engineering-Produkte zur Behandlung von Knorpeldefekten zu erlangen.
Dies ist Ende 2012 durch die positive Einschätzung der Zulassungsbehörden tatsächlich erfolgreich vorangebracht worden.
Finanzierung
Börsennotierte Biotech-Firmen in Europa
stagnieren weiter
Kapitalerhöhungen europäischer BiotechFirmen 2012 lagen mit 910 Millionen Euro
zwar 12 Prozent über dem Vorjahreswert.
Die Gesamteinnahmen über den Kapitalmarkt bleiben in Europa aber weiterhin
deutlich unter dem Bedarf und den Werten
aus den Vorkrisenjahren (z. B. 3,35 Mrd. €
2007).
Immerhin lagen die Top 10 der Einzelmaßnahmen immer noch deutlich über dem Mittel der Kapitalerhöhungen in Deutschland,
sodass MOLOGEN mit seiner 22 MillionenRunde gerade einmal an Platz neun zu
liegen kommt.
Mit einer Ausnahme – der auf die Entwicklung von Augenerkrankungen spezialisierten ThromboGenics in Belgien – gehören
alle Firmen mit Kapitalerhöhungen über
40 Millionen Euro der Gruppe der SpecialtyPharma-Unternehmen an:
• Amarin Corporation
• Vernalis
• Veloxis Pharmaceuticals
• Algeta
Diese sind größtenteils am Markt etabliert
und können den Kapitalmarkt mit anderen
Kennzahlen angehen als Entwicklungsfirmen
aus dem traditionellen Biotech-Bereich.
ThromboGenics kann ebenfalls auf eine sehr
erfolgreiche Entwicklung von Produkten
gegen Augenkrankheiten bauen, die im
Zuge der Partnerschaft mit Alcon und deren
Übernahme durch Novartis ins Rampenlicht
von Pharma und damit von Analysten gerückt war.
Abzüglich dieser offensichtlichen Kapitalmarkt-„Platzhirsche“ fallen die restlichen
Kapitalmaßnahmen in den gleichen Rahmen,
der bereits für Deutschland beschrieben
wurde: wenige Unternehmen und kleine
Runden, die allesamt (außer in Israel) als
PIPEs strukturiert sind. Insofern kommt
man auch für das europäische Börsenumfeld in Biotech nur zu dem Schluss, dass
vom Kapitalmarkt immer noch keine neuen
Signale zu vernehmen sind. Somit steht
Deutschland diesbezüglich nicht alleine,
sondern sollte sich gemeinsam mit den
Nachbarländern bzw. den entsprechenden
Biotech-Verbänden überlegen, wie hier Impulse gesetzt werden könnten.
Fremdfinanzierung in Europa
erstmalig auffällig
Ausschlaggebend für die Höhe der Gesamtfinanzierung in Europa ist vor allem das
erstmalig signifikante Volumen an Fremdfinanzierungen (1.331 Mio. €). Diese Kategorie war bisher lediglich in den USA als
Zeichen einer reiferen Industrie sichtbar
gewesen.
Entsprechend sind es aber auch in Europa
sehr wenige Firmen, die in diesem Ruf
stehen und deshalb hier auch große Summen in Form von Fremdkapital aufnehmen
konnten:
• Elan
• Jazz Pharmaceuticals
• Alkermes
• Swedish Orphan Biovitrum
Sekundärfinanzierungen börsengelisteter europäischer
Biotech-Unternehmen, 2012 (Auswahl)
Unternehmen
Land
Volumen (Mio. €) Datum
Art
Amarin
Corporation
Irland
116,7
4. Januar
Wandelanleihe
Vernalis
UK
84,4
10. Februar
Follow-on
ThromboGenics
Belgien
77,8
28. März
PIPE
Veloxis
Pharmaceuticals
Dänemark
56,7
15. Oktober
PIPE
Algeta
Norwegen
40,2
13. Februar
PIPE
Prolor Biotech
Israel
29,1
10. Mai
Follow-on
Pluristem
Therapeutics
Israel
28,4
12. September Follow-on
Rosetta Genomics Israel
24,6
3. August
Follow-on
MOLOGEN
Deutschland
22,0
19. Juni
PIPE
Clavis Pharma
Norwegen
21,8
18. Januar
PIPE
Quelle: Ernst & Young, 2013
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
93
Und der Kapitalmarkt bewegt sich doch:
4SC führt Kapitalerhöhung durch
zugsrecht aus dem genehmigten Kapital mit
einem Bruttoemissionserlös in Höhe von
12,6 Millionen Euro ab. Dadurch konnte 4SC
die Aktionärsbasis weiter stärken und die
Finanzierung anstehender operativer Meilensteine absichern.
Enno Spillner,
CEO / CFO 4SC AG, Martinsried
Flaute am deutschen Kapitalmarkt?
2012 war ein erfolgreiches Jahr für die internationale Biotech-Branche und auch 2013
hat vielversprechend begonnen. Die positive
Entwicklung spiegelte sich in Medikamentenzulassungen und klinischen Erfolgen ebenso
wider wie in der guten Branchen-Performance
an den Kapitalmärkten. In Deutschland war
die Situation aufgrund einiger Rückschläge
und nur weniger aktiver lokaler Investoren
jedoch bedeutend schwieriger. Zusammen
führte dies im Heimatmarkt zu einer geringen
Anzahl von Finanzierungsrunden und kleineren Transaktionsvolumina. Trotz allem gelang es einigen „Small Caps“ mit attraktiven
Werttreibern im Portfolio, auch unter den
harschen Finanzierungsbedingungen Geld
am Kapitalmarkt zu beschaffen – unter anderem der 4SC AG.
Das Commitment der Altaktionäre lockt
auch ausländische Investoren
Die Kapitalerhöhung wurde maßgeblich von
den Altaktionären getragen – ein wichtiges
Signal für interessierte neue Investoren. Das
im Vorfeld bekundete Engagement des Großaktionärs Santo, sich mit bis zu fünf Millionen
Euro zu beteiligen, spielte bei der Platzierung
der Kapitalerhöhung eine wichtige Rolle.
Es ist zudem erwähnenswert, dass rund ein
Viertel der Aktien bei neuen institutionellen
Investoren, vor allem aus den Benelux-Staaten, Frankreich und Skandinavien, platziert
werden konnten. Die weitgehende Zurückhaltung amerikanischer Investoren war spürbar, aber in Anbetracht der Euro-Krise verständlich. Entsprechend war eine gewisse
Finanzierungslücke vorhanden, nachdem
bei einer im Jahr 2011 durchgeführten
Kapitalerhöhung von 4SC knapp ein Drittel
der Mittel von US-Investoren eingeworben
worden war.
Struktur der Finanzierung
Die Transaktion erfolgte in drei Stufen:
Zunächst wurde eine Vorabplatzierung mit
einem Bruttoerlös von rund 4,4 Millionen
Euro bei institutionellen Investoren durchgeführt, um den Erfolg der Transaktion frühzeitig transparent zu machen. Im zweiten
Schritt erfolgte das Bezugsangebot an die
bestehenden Aktionäre. Im letzten Schritt
wurden im Rahmen des Bezugsangebots
nicht platzierte Aktien in einem Rump Placement bei institutionellen Investoren platziert.
4SC wirbt 12,6 Millionen Euro ein
Im Sommer 2012 war die Eurokrise auf
ihrem Höhepunkt und es bestand im Zusammenhang mit der Parlamentswahl in
Griechenland eine große Verunsicherung,
im Euroraum Mittel zu investieren. Insbesondere war völlig unklar, wie sich der Kapitalmarkt in der zweiten Jahreshälfte weiter
entwickeln würde. In diesem schwierigen
Umfeld gelang es 4SC, Gelder bei bestehenden Aktionären und neuen internationalen
institutionellen Investoren einzuwerben.
Anfang Juli 2012 schloss das Unternehmen
erfolgreich eine Kapitalerhöhung mit Be-
Gewollt kein öffentliches Angebot
Ein öffentliches Angebot erfolgte nicht: Die
Transaktion richtete sich bewusst nur an Altaktionäre und ausgewählte institutionelle
Investoren. Gemäß der alten Prospektrichtlinie war im Sommer 2012 ein vorgelagerter
Angebotsprospekt noch nicht notwendig,
was Zeit sparte. Die Zulassung der neuen
Aktien zum Handel an der Frankfurter Wertpapierbörse erfolgte im September 2012
auf Basis eines nachgelagerten Zulassungsprospekts. Um dennoch den neuen Aktionären
umgehend handelbare Aktien an die Hand
geben zu können, hat 4SCs größter Aktionär
94
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
dankenswerter Weise einen Teil seiner bestehenden Aktien via Aktienleihe zur Ausgabe
an die neuen Investoren zur Verfügung gestellt und selbst zunächst nicht zugelassene
Aktien gehalten. Die gewählte Form der
Kapitalerhöhung war somit effizienter und
schneller umsetzbar als eine konventionelle
Kapitalerhöhung mit vorgelagerter Prospekterstellung.
Finanzierung von börsengelisteten
Biotech-Unternehmen
Die Möglichkeiten zur Refinanzierung von Biotech-Unternehmen am europäischen Kapitalmarkt bleiben weiterhin herausfordernd –
anders als derzeit in den USA. Es ist deshalb
wichtig, neben Kapitalerhöhungen auch alternative Finanzierungsquellen wie Royalty
Financing und SEDA nicht aus den Augen zu
verlieren und weitere „kreative Wege“ zu
erschließen. Eine Grundregel ist dabei, für
alles offen und startbereit zu bleiben und
situationsbedingt im Sinne des Unternehmens
zu agieren – frei nach der Devise „Take the
money when you can“.
Unabhängigkeit vom Kapitalmarkt durch
Umsätze
In diesem Zusammenhang hat 4SC eine eigene Strategie entwickelt, um ein Stück weit
unabhängiger vom Kapitalmarkt zu werden –
nämlich die Generierung von Mittelzuflüssen
aus der konzerneigenen Frühphasenforschung
durch die Anfang 2012 gestartete Tochtergesellschaft 4SC Discovery GmbH. Umsätze
entstehen zum einen durch das Dienstleistungsgeschäft in der Wirkstoffentdeckung.
Hier wurde beispielsweise mit der Mainzer
BioNTech AG im Februar 2013 eine dreijährige Partnerschaft gemeldet. Darüber hinaus
zielt 4SC Discovery auf Partnering Deals im
Early-stage-Bereich ab. Medikamentenprogramme werden bereits in frühen Forschungsphasen mit Biotech- und Pharma-Firmen verpartnert, um frühzeitig Mittelzuflüsse zu generieren, die Entwicklung zu beschleunigen
und von Beginn an auf eine breitere Grundlage zu stellen sowie in späteren Phasen vom
Wertzuwachs zu profitieren. Hier sorgte das
Unternehmen Ende Februar 2013 mit einem
Deal mit der dänischen LEO Pharma A/S für
Aufsehen. Neben einer Vorabzahlung von
einer Million Euro könnte 4SC daraus weitere
Meilensteineinnahmen von fast 100 Millionen Euro plus Umsatzbeteiligungen erzielen.
www.4sc.de
Family Offices setzen auf Firmenbeteiligungen
Peter Brock,
Family Office Services,
Ernst & Young GmbH, Düsseldorf
Family Offices – eine Chance für den
deutschen Mittelstand
Seit der weltweiten Finanzkrise ist bei Family
Offices ein deutlicher Trend zu spüren, signifikante Teile des betreuten Vermögens in Realkapital und als Direktinvestition anzulegen.
Traditionelle Depots börsennotierter Wertpapiere und Anleihen haben infolge des schwierigen Marktumfeldes (schwache Renditen bei
erhöhter Volatilität, historisch niedriges Zinsniveau, steigende Inflationsgefahr und der
unter Druck geratene Euro) an Attraktivität
verloren – einen nachhaltigen Vermögenserhalt über mehrere Generationen hinweg können sie nur noch bedingt gewährleisten. Neben
Immobilienanlagen und Private Equity Investments rücken damit auch unternehmerische
Direktbeteiligungen verstärkt in den Fokus
langfristig agierender Family Offices. In den
vergangenen Jahren ist zu beobachten, dass
unternehmerisch geprägte Family Offices vermehrt als Investoren auftreten. Dabei handelt
es sich sowohl um bekannte Family Offices mit
Milliardenvermögen als auch verstärkt um
weniger prominente vermögende Familien und
Privatpersonen. Immer öfter schließen sich
auch mehrere Family Offices zusammen, um
mit Hilfe sog. Club Deals auch größere Firmenbeteiligungen erwerben zu können und das
Risiko zu streuen. Für Verkaufsprozesse mittelständischer Unternehmen – besonders
auch in Nachfolgesituationen – stellen Family
Offices eine zunehmend wichtige Quelle von
Eigenkapital dar.
FOs in Deutschland und Europa
Family Offices sind eigenständig organisierte
Vermögensverwaltungen und ermöglichen
die ganzheitliche und unabhängige Betrachtung des Gesamtvermögens des Vermögensinhabers – einschließlich aller Asset-Klassen
wie Immobilien und Firmenbeteiligungen –
mit der Aufgabe, ebenjenes private Großvermögen über Generationen hinweg zu
erhalten bzw. zu vermehren. Das Dienstleistungsspektrum ist breit gefächert: Neben
Kernbereichen der Vermögensverwaltung,
des Investmentcontrollings und des Reportings bieten FOs u. a. auch Steuerberatung,
Nachfolgeregelungen und Concierge Services
an. Der europäische Family-Office-Markt hat
seit seiner Etablierung Anfang der 90er Jahre
stark an Bedeutung gewonnen und bildet
heute einen integralen Bestandteil der Finanzdienstleistungsbranche. In Deutschland werden nach Schätzungen von Experten mehr
als 180 Milliarden Euro Gesamtvermögen
durch Family Offices betreut. Ihre Zahl wird
auf rund 400 Single Family Offices – die nur
für eine Familie tätig sind – und auf etwa
50 Multi Family Offices – die mehrere Familien
betreuen – veranschlagt. Neben Deutschland
ist in Kontinentaleuropa vor allem die Schweiz
ein Zentrum für Family Offices. Im Anschluss
an die weltweite Finanzkrise ist es in vergangenen Jahren zu einem Gründerboom bei
Family Offices gekommen: Viele Hochvermögende präferieren zunehmend eine bankunabhängige und auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnittene Vermögensverwaltung,
die eine transparente Kostenstruktur ermöglicht.
Family Governance zur langfristigen
Vermögenssteuerung
Neben dem primär angestrebten Vermögenserhalt dienen unternehmerische Direktbeteiligungen vermögender Familien oftmals weiteren Zielen. So können sie einen
Identifikationsrahmen für den Familienverbund stiften, den vielfach über Generationen kultivierten Unternehmergeist lebendig
halten und mittels „Socially Responsible
Investment“ und „Impact Investment“ Sinn
stiftend wirken und dem gesellschaftlichen
Ansehen dienen. Eine wachsende Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der
sog. Family Governance zu. Diese umfasst
Methoden und Prinzipien der Familienführung – angelehnt an die Prinzipien der
Corporate Governance bei Unternehmen –
und dient der besseren Organisation des
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Familienverbundes und dem systematischen
Management des Familienvermögens. Solange
das ursprüngliche Familienunternehmen im
Fokus der Familie steht, sind durch die gesellschaftsrechtlichen Gegebenheiten (Gesellschaftsvertrag etc.) gewisse Rahmenbedingungen vorgegeben. Nach erfolgtem
Verkauf fallen diese jedoch weg. Gute Family
Governance institutionalisiert neue Gremien
und Geschäftsabläufe der Familie durch ein
Family Office und legt klare Werte fest, die
das ethische Selbstverständnis der Familienmitglieder beschreiben und als Grundsätze
für nachhaltige Investitionen dienen können.
Den langfristigen Erfolg im Blick
FOs haben bei unternehmerischen Direktbeteiligungen in aller Regel eine deutlich
längerfristige Perspektive als Private-EquityGesellschaften, da sie nicht von den Anforderungen institutioneller Investoren abhängig sind und ihre Rendite typischerweise
nicht über den Verkauf der Beteiligung nach
einem definierten Zeitablauf realisieren
(müssen). Stattdessen können sie langfristige Wachstumsinitiativen unterstützen
und die Erträge bzw. Dividenden der Beteiligung langfristig vereinnahmen. Das macht
sie als Unternehmenskäufer gerade für
Nachfolgesituationen im deutschen Mittelstand besonders interessant. Hierbei ist in
Kauf zu nehmen, dass sich Family Offices
bei M&A-Transaktionen in der Regel deutlich
weniger transparent verhalten als die PrivateEquity-Branche – oftmals aus gutem Grund,
um die Vertraulichkeit für die Familienmitglieder zu wahren. Angesichts des weiterhin
bestehenden hohen M&A-Potenzials im
Mittelstand ist davon auszugehen, dass
Family Offices die M&A-Aktivitäten in Zukunft
deutlich stärker prägen werden als dies heute
der Fall ist.
Professionelle Unterstützung für den
reibungslosen Ablauf
Ernst & Young unterstützt den reibungslosen Ablauf einer Investition von Family
Offices mit Due-Diligence-Prüfungen sowie
steuerlichen und gesellschaftsrechtlichen
Strukturierungsfragen. Zudem wird sensibel
auf die Besonderheiten und die speziellen
Investitionskriterien des jeweiligen Family
Offices eingegangen und bei jeder Transaktion ein klarer Blick auf die Risikoorientierung der Familie, die weitere Nachfolgeplanung und die vorherrschenden FamilyGovernance-Strukturen behalten.
95
Marktkapitalisierung
Marktkapitalisierung der börsennotierten Unternehmen in Deutschland, 2012
Marktkapitalisierung in Mio. €
MorphoSys
Evotec
Agennix
MOLOGEN
WILEX
4SC
MediGene
Biofrontera
Curasan
PAION
Epigenomics
co.don
SYGNIS Pharma
november
1600
700
1400
600
1200
500
1000
400
800
Summe
(rechte Achse)
300
600
200
400
100
0
200
Jan
12
Feb
12
März
12
April
12
Mai
12
Juni
12
Juli
12
Aug
12
Sep
12
Okt
12
Nov
12
Dez
12
0
Quelle: Ernst & Young, Capital IQ, 2013
Gesamtmarktkapitalisierung im Jahresverlauf mit positiver Entwicklung
Die Marktkapitalisierung in Summe über alle
14 deutschen Biotech-Unternehmen zeigt im
Jahresverlauf 2012 insgesamt nach oben.
Vom Ausgangswert mit 1,10 Milliarden Euro
bis zum Jahresschlusswert von 1,49 Milliarden Euro ergibt sich ein Anstieg von 34 Prozent.
Klassenbesten MorphoSys und Evotec. Insofern kann die dargestellte Abbildung eher
als Spiegel dieser beiden Unternehmen
dienen, während die restlichen Vertreter
im „Rauschen“ untergehen.
Wie in all den Vorjahren angemerkt, repräsentiert dieser Wert allerdings weniger die
Branche als solche, sondern reflektiert vorwiegend nur die Entwicklungen der beiden
Die meisten der 12 weiteren Unternehmen
sind in der Medikamentenentwicklung aktiv
(Ausnahmen sind nur Epigenomics und die
inzwischen insolvente november). Da das
Jahr 2012 einiges an klinischem Newsflow
hervorgebracht hat, lohnt es, dessen Einfluss
auf die jeweiligen Marktkapitalisierungen
und damit quasi die Firmenbewertungen
nachzuverfolgen.
96
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Markante Änderungen in negative Richtung
ergeben sich zwischen Jahresbeginn und
Ende 2012 für:
• Agennix (–85 %) von 110 Millionen Euro
auf 17 Millionen Euro aufgrund der negativen Phase-III-Studienergebnisse für
Talactoferrin aus dem August
• WILEX (–56 %) von 70 Millionen Euro
auf 31 Millionen Euro aufgrund negativer
Phase-II-Studienergebnisse für Rencarex
im Oktober; der Absturz fällt noch heftiger
aus (–74 %), wenn man die offensichtlich
optimistische Stimmung im Vorfeld der
Ergebnisveröffentlichung einrechnet, als
die Market Cap zeitweise bei 120 Millionen
Euro gelegen hatte.
Finanzierung
Dem standen aber auch positive Entwicklungen gegenüber, wie zum Beispiel:
•M
OLOGEN (+105 %) von 88 Millionen
Euro auf 180 Millionen Euro; die klinischen
Studien zu den beiden Produktkandidaten
MGN1703 (Darmkrebs) und MGN1601
(Nierenkrebs) übertrafen die Erwartungen
• Biofrontera (+97 %) von 31 Millionen
Euro auf 61 Millionen Euro aufgrund
weiterer Vertriebsvereinbarungen für den
am Markt eingeführten Wirkstoff Ameluz®
•4
SC (+100 %) von 51 Millionen Euro auf
102 Millionen Euro mit einer deutlichen
Erholung nach dem Einbruch im Vorjahr
• c o.don (+57 %) von sieben Millionen Euro
auf 11 Millionen Euro aufgrund positiver
Daten für die Knorpelersatztherapie und
Erfolge in der Zulassungsdiskussion
•S
YGNIS von einer Million Euro nach dem
Scheitern der klinischen Phase auf acht
Millionen Euro nach der Bekanntgabe der
Fusion mit der spanischen X-Pol und der
Änderung des Geschäftsmodells
Die typischen modernen Technologieplattformen sind mit zusammengenommen fünf
Vertretern noch mehr die Exoten: MorphoSys
ist in Gesellschaft mit Genmab und Ablynx
der führende Vertreter der Tech@MPO-Plattformen; Evotec zusammen mit seinem Rivalen Galapagos sind als einzige Tech@Process-Repräsentanten gelistet.
Die 30 größten Biotech-Unternehmen Europas
nach Marktkapitalisierung, 2012
Name
Land
Marktkapitalisierung
(Mio. €)
Umsatz
(Mio. €)
Shire
UK
13.332
3.641
Novozymes
Dänemark
6.829
1.509
Elan Corporation
Irland
4.719
935
Actelion
Schweiz
4.255
1.434
Qiagen
Niederlande
3.337
976
Meda
Schweden
2.417
1.493
Jazz Pharmaceuticals
Irland
2.397
456
Ipsen
Frankrech
1.942
1.277
Alkermes
Irland
1.900
303
MorphoSys und Evotec in europäischer
Rangliste gut platziert
Eurofins Scientific
Frankreich
1.826
1.044
ThromboGenics
Belgien
1.544
150*
Die führenden börsennotierten deutschen
Biotech-Unternehmen MorphoSys und
Evotec finden sich auf einer Rangliste der
europäischen Biotech-Branche auf den
Plätzen 16 und 27.
BTG
UK
1.372
243
Swedish Orphan Biovitrum
Schweden
1.159
221
Amarin Corporation
Irland
943
n/a
Algeta
Norwegen
920
84
MorphoSys
Deutschland
693
52
Stallergenes
Frankreich
594
240
AB Science
Frankreich
592
1*
Genmab
Dänemark
538
65
Active Biotech
Schweden
475
26
Galapagos
Belgien
434
129*
Devgen
Belgien
397
25*
Protalix BioTherapeutics
Israel
377
27
Basilea Pharmaceutica
Schweiz
363
48
Cosmo Pharmaceuticals
Italien
360
81*
Vectura Group
UK
355
41
Evotec
Deutschland
319
87
Transgene
Frankreich
263
12*
Ablynx
Belgien
262
27
Medivir
Schweden
258
Hierbei ist hervorzuheben, dass sich unter
den in Europa führenden Unternehmen allein
acht reife und marktfokussierte SpecialtyPharma-Unternehmen befinden (Shire,
Meda, Jazz, Ipsen, BTG, Algeta, Cosmo,
Vectura) sowie weiterhin vor allem etablierte
Therapeutikaentwickler mit teilweise frühen
Börsengängen.
Technologieplattformen sind mit nur neun
Vertretern eher unterrepräsentiert. Unter
die Top-30-Firmen fallen vier Tech@DiseaseUnternehmen, die noch am ehesten zu den
in der Vergangenheit üblichen Börsengängen der Therapeutikaentwickler passen
(ThromboGenics, Stallergenes, Active Biotech und Medivir).
*Umsatz wurde auf Basis veröffentlichter Quartalsund Halbjahresberichte hochgerechnet
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
64
Quelle: Ernst & Young, 2013
97
Produkte
98
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Zahlen und Fakten im Überblick
Biotech-Wirkstoffpipeline in Deutschland
• L
eichter Rückgang in der Gesamtzahl der Entwicklungskandidaten
(2010: 305, 2011: 304,
2012: 294)
Anzahl Wirkstoffe in Studien
160
140
• G
rößte Abnahme in Phase III
(–36 %) und Phase I (–17 %)
120
100
• Präklinik mit positiver Bilanz (+4 %)
80
60
40
20
0
161 159 166
47 53 44
82 78 75
Präklinik
Phase I
Phase II
2010
2011
14 14
1
9
Phase III
0
0
Zulassungsphase
2012
Quelle: Ernst & Young, 2013
Biotech-Wirkstoffpipeline in Europa, 2012
• G
esamtzahl der Therapeutika in
Entwicklung 2.564 (2011: 2.549)
Anzahl Wirkstoffe in Studien
UK
412
Deutschland
294
Schweiz
294
255
Frankreich
183
Schweden
163
Dänemark
144
Spanien
118
Italien
Belgien
91
Österreich
91
Niederlande
87
59
Norwegen
48
Irland
38
Finnland
0
Präklinik
• D
eutschland und Schweiz teilen sich
den zweiten Platz; Deutschland mit
einer deutlich jüngeren Pipeline
287
Israel
• U
K führt nach wie vor die Liste der
Entwicklungsprodukte an
50
100
Phase I
150
200
Phase II
250
300
350
400
450
Phase III
Quelle: Ernst & Young, 2013
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
99
Wirkstoffpipeline in Deutschland
In Richtung Markt nichts in Sicht
Die Pipeline der Biotech-Therapeutikaentwicklungen in Deutschland zeigt sich auf
den ersten Blick seit Jahren unverändert.
Sowohl die Zahl der Medikamentenkandidaten in den einzelnen Phasen der Entwicklung als auch das Gesamtmuster in der
relativen Verteilung über die Phasen blieben
weitgehend konstant.
Der zweite Blick ins Detail enthüllt ein differenzierteres Bild. Für 2012 ist die Zahl der
Produktkandidaten mit insgesamt 294 erstmals seit einigen Jahren wieder unter die
300er Marke gefallen; ein Rückgang um
drei Prozent von den 304 Wirkstoffen im
Vorjahr. Weiterhin stimmt bedenklich, dass
in den späten Phasen der Klinik deutliche
Einbußen auftreten (–36 % in Phase III).
Zudem stehen aktuell auch keine Zulassungen an. Obwohl in Deutschland in den
letzten zehn Jahren immer wieder von einer
noch jungen Branche gesprochen wurde,
die noch Zeit für durchschlagende Erfolge
benötigt, ist die Erwartungshaltung allmählich doch auf deutlichere Fortschritte in der
Kommerzialisierung von Medikamenten
ausgerichtet.
Pipeline-Dynamik zeigt Licht
und Schatten auf
Dies geschieht in Form von Asset Deals,
Auslizenzierungen und Firmenakquisitionen. Insbesondere die Akquisiton von
Assets und ganzen Unternehmen war in
der jüngeren Vergangenheit stark auf
reifere Produkte ausgerichtet (wie z. B.
Corimmun).
Weitaus informativer ist die Analyse der
Dynamik der Entwicklungspipeline deutscher Biotechnologiefirmen.
Auf längere Sicht müsste also der tatsächliche Erfolg von Biotech-Firmen zumindest
auch unter Einbeziehung der weiteren Entwicklungserfolge der veräußerten Produkte
gemessen werden. Der Blick auf die vorliegende Pipeline-Darstellung wird dieser Aufgabe nicht hinreichend gerecht. Leider ist
es zum Teil aber schwierig, den weiteren
Verlauf der veräußerten Projekte lückenlos
nachzuvollziehen, wenn diese unter neuer
Führung Namen wechseln und uneinheitlich
von beiden Partnern dokumentiert werden.
Dabei zeigt sich, dass hinter dem vermeintlichen „Steady State“ in der Präklinik in Wirklichkeit ein enormer Zuwachs an 39 neuen
Projektaufnahmen steht, im Vergleich zum
Vorjahr ein Anstieg um 34 Prozent. Dieser
Wert steht in direkter Korrelation zur Innovationskraft der Biotech-Branche in Deutschland.
Dem steht allerdings eine signifikante Zahl
von 21 Projektabbrüchen (13 % der Gesamtzahl, im Vorjahr 15) gegenüber – meist aufgrund von nicht erreichten Zielvorgaben.
Dynamik der Wirkstoffpipeline in Deutschland, 2012
Anzahl Wirkstoffe in Studien
40
30
Zweifel an der Entwicklungskompetenz
der Branche?
Das Ausdünnen der späten Pipeline kann
schlicht in der Tatsache begründet sein,
dass Biotech-Firmen heute nur noch selten
mit ihren Produkten in die Phase III vordringen. Meist können sie sich diesen Entwicklungsschritt nicht einmal als Co-Development-Partner leisten. In der Tat entspricht
es eher der Regel, erfolgreiche Projekte vor
oder nach der Phase II mit belegbarem
Proof of Concept an Partner zu geben und
von diesem Zeitpunkt an dem Partner die
weitere Entwicklung gegen entsprechende
Erfolgszahlungen zu überlassen.
100
20
10
Bilanz: 7
0
Bilanz: -3
- 10
Bilanz: -5
Bilanz: -9
- 20
Präklinik
Phaseneintritt
Akquisition
Phase I
Projektstopp
Phasenübergang
Phase II
Phase III
Firmenschließung
Quelle: Ernst & Young, 2013
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Produkte
Diese relativ hohe Zahl der Projektstopps
bedeutet nicht automatisch eine schlechte
Qualität der aufgenommenen Projekte, sondern gibt Hinweise darauf, dass im Zuge der
weiteren Effizienzerhöhung in F&E insbesondere frühe Projekte stärker dem „Early
Killing“-Postulat unterliegen.
Zwei weitere Veränderungen der PräklinikPipeline sind eher positiv einzuordnen, da
die Assets weiter fortbestehen: Im Rahmen
von Firmenakquisitionen (Scil Technology,
Cellzome, SymbioTec) wurden insgesamt
sechs Projekte eliminiert; zwei weitere
schafften den Sprung in die klinische Entwicklung. Die Ausbeute von lediglich zwei
bzw. – unter Anrechnung der akquirierten
Projekte – acht Produktkandidaten (5 % aller
präklinischen Projekte) mit fortgesetzter
Perspektive zur Weiterentwicklung scheint
relativ bescheiden.
Deutlich positiver stellt sich das Verlaufsergebnis für die Phase I dar: Den sieben
Neuaufnahmen stehen immerhin acht Projekte gegenüber, die in die Phase II weitergeleitet werden. Die neu aufgenommenen
Phase-I-Studien umfassen:
•G
lutaDON® (New Medical Enzymes)
• 2x ApoceptTM (Apogenix)
• MCS-18 (DoNatur)
• QC-Inhibitor (Probiodrug)
• Solulin (PAION)
• Revacept (advanceCOR)
Leider fallen auch in dieser Phase sieben
Projekte (13 %) durch Projektstopp und
ein Projekt durch Liquidation der Trin
Therapeutics aus dem Rennen, sodass die
Gesamtbilanz für die Phase-I-Pipeline mit
minus neun ins Negative rutscht.
In die Phase II wurden im Berichtsjahr 2012
immerhin 14 neue Produktkandidaten eingeschlossen. Die dahinter stehenden Entwickler sind:
• NOXXON Pharma mit allein vier
Spiegelmeren
• CellAct Pharma
• Glycotope
• MorphoSys mit fünf Antikörpern
(alle verpartnert)
• advanceCOR
• WILEX
• sterna biologicals
Dies sind doppelt so viele wie 2011, was
einen Zuwachs von 18 Prozent gemessen
an der Phase-II-Pipeline bedeutet. Ein erfreuliches Ergebnis im Vergleich zum Vorjahr ist dies aber vor allem, weil die betreffenden Wirkstoffe damit die entscheidende
Hürde zum Proof of Concept sowie im Erfolgsfall einen deutlichen Wertsteigerungssprung angehen.
Gerade aus diesem Grund ist es bitter, dass
2012 auch insgesamt sechs Unternehmen
(neun Projekte) an dieser Hürde gescheitert
sind:
• Agennix
• Biofrontera
• IMTM
• MBiotec
• MorphoSys
• Revotar
• WILEX
Immerhin vier Projekte wurden durch die
Akquisitionen von Corimmun, Scil Technology
und SymbioTec „weitergeleitet“ – neben nur
einem, welches innerhalb Biotech in die
nächste Phase übergeht (Phase-II / III-Studie
mit Remimazolam in Japan).
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Leider wurden die wenigen deutschen
Biotech-Unternehmen mit eigenen Entwicklungen in Phase III im Jahr 2012 nicht vom
Glück begleitet. Von den Hoffnungsträgern
mit bereits vorgezeichneter Marktperspektive mussten einige den negativen Ausgang
ihrer Phase-III-Studien vermelden:
• WILEX scheitert mit Rencarex® in Nierenkarzinom-Studie
• Agennix scheitert mit Talactoferrin-Studie
in schwerer Sepsis
• Antisense Pharma stoppt GlioblastomStudie mit Trabedersen aufgrund unzureichender Patientenrekrutierung
Alle drei Firmen hatten große Hoffnungen
in ihre jeweiligen Produktkandidaten gesetzt,
basierend auf guten Daten aus früheren
Studien.
Für Agennix ist dieses Ergebnis besonders
dramatisch, da ausschließlich auf das LeadProjekt fokussiert wurde. Für WILEX hingegen haben sich in der Detailanalyse der
klinischen Daten offenbar Hinweise ergeben,
die die Wirksamkeit zumindest für bestimmte
Subpopulationen belegen, sodass eine Fortsetzung und Neuauflage der Studie möglich
scheint.
In Anbetracht dieses Rückschlags ist es verständlich, dass derzeit auch keine Produkte im
Zulassungsverfahren stehen. Ebenso wenig
konnte die Biotech-Branche in Deutschland
mit einer Neuzulassung aufwarten.
Diese Situation – Fehlschläge mit großer Außenwirkung und das Ausbleiben von Marktzulassungen – führt leider zu einer weiterhin
sehr kritischen Diskussion über die Qualitäten
der Biotech-Unternehmen in Deutschland.
Vor dem Hintergrund der hier beschriebenen
grundsätzlichen Änderungen in den Geschäftsmodellen wäre es umso wichtiger,
die Bewertungsmaßstäbe ebenfalls anzupassen und stärker auf Kriterien wie erfolgreiche Allianzen und Einkünfte daraus
(siehe z. B. AiCuris) einzugehen.
101
Produkte
Wirkstoffkandidaten mit Eintritt in Phase I/II oder Phase II, 2012 (Auswahl)
Firma
Glycotope
MorphoSys
NOXXON
Pharma
NOXXON
Pharma
NOXXON
Pharma
sterna
biologicals
WILEX
Wirkstoff
FSH-GEXTM
OMP-59R5
NOX-A12
NOX-E36
NOX-H94
SB010
WX-554
Wirkstoffart
rekombinantes monoklonaler
Antikörper
Protein
RNA-Molekül
RNA-Molekül
RNA-Molekül
DNA-Molekül
niedermolekularer
Wirkstoff
Indikation
Unfruchtbarkeit der Frau
Erstlinientherapie in
fortgeschrittenem Pankreaskrebs
Chronische
lymphatische
Leukämie und
multiples
Myelom
Diabetische
Nephropathie
Anämie der
chronischen
Erkrankung
Asthma
Solide
Tumoren
Studie
Phase II
Phase Ib/II
(Partner
OncoMed
Pharmaceuticals)
2 PhaseIIa-Studien
Phase IIa
Phase IIa
Phase IIa
Phase Ib/II
Beschreibung
Voll human
glykosyliertes
follikelstimulierendes
Hormon
HuCAL-Antikörper, der
gegen den
Notch2-Rezeptor gerichtet ist
Spiegelmer®basierter
Antagonist
zu CXCL12/
SDF-1 (CXCMotiv-Chemokin 12 / Stromal
Cell-Derived
Factor-1)
Spiegelmer®basierter
Antagonist zu
CCL2/MCP-1
(C-C Chemokin Ligand 2 /
Monocyte
Chemoattractant
Protein-1)
Spiegelmer®basierter Antagonist zum
Peptidhormon
Hepcidin
Antagonist
des Th2-spezifischen Zinkfinger-Transkriptionsfaktors GATA-3
Inhibitor der
Mitogenaktivierten
Protein-Kinase
(MEK)
Quelle: Ernst & Young, 2013
Produktinnovationen in Phase II
im Detail
Die Aufstellung von Biotech-Entwicklungsprodukten mit Neueintritt in Phase II belegt
den Innovationsgrad der dahinter stehenden
Unternehmen.
Einerseits werden überwiegend neuartige
Wirkstoffkonzepte erstmals klinisch am
Patienten getestet, wie zum Beispiel RNASpiegelmere (NOXXON Pharma), katalytisch aktive DNA-Wirkstoffe (DNAzymes
von sterna biologicals) oder posttranslational modifizierte therapeutische Proteine
(Glycotope).
102
Andererseits fokussieren die geplanten
Studien in Phase II auf spannende neue
Targets aus der molekularbiologischen
Grundlagenforschung:
• Notch2-Rezeptor als Teil eines essenziellen Wachstumsregulations-Pathways
• CXCL12 / SDF-1 (CXC-Motiv-Chemokin
12 / Stromal Cell-derived Factor-1)
• CCL2 / MCP-1 (C-C Chemokin Ligand 2 / Monocyte Chemoattractant Protein-1)
•Z
inkfinger-Transkriptionsfaktor
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Schließlich zielen die Therapien auf medizinisch hoch relevante Krankheiten, die
noch nicht oder nur unzureichend therapiert werden können. Dazu zählen Pankreaskrebs mit nach wie vor extrem schlechten
Prognosen und hohem Medical Need ebenso wie solide Tumoren und Myelome.
Produkte
Klinische Wirkstoffpipeline
in Deutschland
nach Substanz, 2012
(n=124)
Zuordnung der Produkte zu
Wirkstofftypen macht Biotech-Fokus
deutlich
In der klinischen Pipeline der deutschen
Biotech-Unternehmen ist die Präferenz für
biotechnologische Wirkstoffe klar ersichtlich. Sie machen ca. 70 Prozent aller Substanzen in der Entwicklung aus.
21 %
30 %
Die Biologicals spalten sich in eine ganze
Reihe von unterschiedlichen Scaffolds auf.
Antikörper nehmen zwar immer noch eine
Vorrangstellung ein (21 %), aber andere
Klassen wie rekombinante Proteine holen
deutlich auf (20 %). Sichtbar werden auch
zellbasierte Ansätze, die immerhin schon
fast ein Zehntel der Gesamt-Pipeline ausmachen. Dennoch spielen niedermolekulare
Wirkstoffe mit einem dreißigprozentigen
Anteil nach wie vor eine nicht unwesentliche Rolle.
20 %
4 %
8 %
6 %
11 %
Monoklonale Antikörper
Rekombinante Proteine
RNA / DNA
Peptide
Zellbasiert
Natürliche Wirkstoffe
Niedermolekulare Wirkstoffe
Quelle: Ernst & Young, 2013
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
103
Produkte
gespeist wird, konnten die Heidelberger im
Herbst 2012 eine satte Finanzierung von
15,5 Millionen Euro sicherstellen (siehe
Artikel S. 105).
Wirkstoffpipeline in Deutschland nach Therapiegebiet, 2012
Klinische Studien (n=128)
Präklinik (n=166)
9 %
21 %
5 %
29 %
4 %
5 %
48 %
9 %
2 %
1 %
10 %
9 %
5 %
6 %
9 %
Onkologie
Autoimmun
Infektion
Kardiovaskulär
Metabolismus und Endokrinologie
17 %
2 %
9 %
Entzündung
Neurologie
Atemwegserkrankungen
Sonstige
Quelle: Ernst & Young, 2013
Pipeline nach Therapiegebieten mit
Schwerpunkt Krebstherapie
Eine Analyse der Therapiegebiete und ihre
Relevanz bei der Produktentwicklung deutscher Biotech-Unternehmen ergibt die bereits früher gezeigte Dominanz der onkologischen Projekte. Es fällt allerdings auf, dass
diese Vormachtstellung in der rein klinischen
Pipeline deutlich stärker ausgeprägt ist (48 %)
als in der Präklinik (29 %). Ursachen dafür
könnten in der Erweiterung der Anwendungs-
104
möglichkeiten gerade in den onkologischen
Indikationen liegen, die im Rahmen des
klinischen Programms ab Phase II durchaus
üblich sind, während bei anderen Indikationen der klinische Entwicklungspfad stärker
aus der Präklinik heraus determiniert ist.
Affimed konzentriert sich beispielsweise mit
dem Antikörperwirkstoff TandAb®AFM13
auf die Behandlung von CD30-positiven
Lymphomen. Über die Pipeline, die aus der
eigenen TandAb®-Technologieplattform
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Die tetravalenten, bispezifischen Antikörper
stellen eine ähnlich neuartige Herangehensweise an Krebs dar, wie sie das TechnologieSpin-out CyTuVax des Dortmunder CRO Cires
entwickelt. CyTuVax möchte über seine Vakzinierungsplattform mithilfe von Cytokinen
in Depotform das Immunsystem im Kampf
gegen Tumore unterstützen. Auch eine Ausweitung auf problematische Infektionskrankheiten wie Hepatitis B oder Tetanus ist geplant. Das junge Unternehmen überzeugte
mit diesem Ansatz bereits die Science4Life
Gründungsinitiative, konnte jedoch keine
deutschen Investoren für sich gewinnen und
operiert daher momentan in Nähe seines
jetzigen Finanzierers Nedermaas Ventures
in Maastricht (siehe Artikel von Frank W.
Falkenberg auf S. 110).
Tetravalente bispezifische Antikörper: The Next Generation
und -optimierung nachhaltig am Markt etablieren, beschäftigt derzeit 13 Mitarbeiter
und ist profitabel. In den letzten 12 Monaten
konnte AbCheck neben der bestehenden
Zusammenarbeit mit Eli Lilly weitere Kooperationen, unter anderem mit U3 Pharma /
Daiichi Sankyo, bekanntgeben.
Dr. Adi Hoess,
CEO Affimed Therapeutics AG,
Heidelberg
Affimed: Erfolg mit der
TandAb®-Technologieplattform
Affimed ist ein Unternehmen, das einzigartige Antikörperwirkstoffe als Behandlungsmöglichkeiten gegen lebensbedrohliche Krankheiten mit hohem medizinischen
Bedarf entwickelt. Das Unternehmen hat
verschiedene Wirkstoffkandidaten gegen
Krebserkrankungen basierend auf der unternehmenseigenen TandAb®-Technologieplattform in der Entwicklung. Neben den
beiden Lead-Produkten AFM13 zur Behandlung von CD30-positiven Lymphomen und
AFM11 zur Behandlung von CD19-positiven
Lymphomen werden weitere Produktkandidaten zur Behandlung von soliden Tumoren
und Autoimmunerkrankungen entwickelt.
Die Ausgliederung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) konnte im
September 2012 eine weitere Finanzierungsrunde (Serie D) in Höhe von 15,5 Millionen Euro sicherstellen. Die Finanzierung
wurde vom bestehenden Konsortium international anerkannter Life-Sciences-Investoren, darunter Orbimed, Aeris Capital, Novo
Nordisk, LSP und BioMedInvest, getragen.
Ausgründung der Discovery-Abteilung
Im Jahr 2009 hat die Affimed ihre AntibodyDiscovery-Abteilung in ein eigenständiges
Unternehmen, die AbCheck s.r.o. (Pilsen,
Tschechien) ausgegliedert. Mittlerweile
konnte sich das Unternehmen als High End
Service Provider für Antikörper-Discovery
Tetravalente bispezifische Antikörper
Mit Affimeds TandAb®-Plattform werden
hochpotente und vollständig humane Antikörper-Formate generiert, die ein überlegenes Profil gegenüber monoklonalen Antikörpern erwarten lassen. TandAbs®, von
Affimed-Wissenschaftlern erfunden und entwickelt, sind tetravalente, bispezifische
Antikörper, die Tumorzellen durch die Rekrutierung und Aktivierung von Immuneffektorzellen bekämpfen und eliminieren.
Dazu binden sie gleichzeitig an Zielmoleküle
der Tumoroberfläche und an Immuneffektorzellen wie T-Zellen oder NK-Zellen. Die
TandAb®-Moleküle haben die gleichen
Bindungseigenschaften wie monoklonale
Antikörperstrukturen (IgGs). Allerdings
zeigen sie, verglichen mit monoklonalen
Antikörpern, eine wesentliche bessere Wirksamkeit. Da sie ausschließlich aus variablen
Domänen bestehen und keine Glykosylierung benötigen, erübrigen sich Fc-vermittelte Nebenreaktionen und es treten weniger
Probleme hinsichtlich Immunogenität auf.
Darüber hinaus konnte Affimed in den letzten Jahren einen robusten Produktionsprozess in Säugerzellen mit hohen Ausbeuten und
erheblichen Produktstabilitäten etablieren.
Lead-Produkte AFM13 und AFM11
Affimed konzentriert derzeit seine Entwicklung auf die Onkologie und Autoimmunerkrankungen. Basierend auf der TandAb®Technologie werden die zwei Lead-Produkte
AFM13 (Hodgkin-Lymphom) und AFM11
(Non-Hodgkin-Lymphom) entwickelt. Den
Patienten mit CD30-positiven Tumoren steht
derzeit keine Immuntherapie zur Verfügung
und AFM13 ist die einzige in der Klinik entwickelte Immuntherapie. AFM13 basiert auf
einem in der Klinik bereits erfolgreich getesteten Prinzip und zeigte in klinischen Studien
in Tumorpatienten ein sehr gutes Sicherheitsprofil und eine hohe Wirksamkeit bei
den behandelten Patienten. Es ist geplant,
das Produkt einerseits in weiteren CD30positiven Tumorpatienten im Rahmen einer
Pilotstudie zu testen sowie die klinische Entwicklung im Rahmen einer Phase-IIa-Studie
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
in Hodgkin-Lymphom-Patienten fortzusetzen. AFM11 basiert ebenfalls auf einem
in der Klinik erfolgreich getesteten Prinzip.
Das Konkurrenzprodukt von AFM11 zeigt
zwar eine extrem hohe Wirksamkeit, besitzt
allerdings signifikante Nachteile gegenüber
AFM11 in der Sicherheit und der Administration. Der Beginn der klinischen Studien für
AFM11 ist für 2013 geplant.
Die Zukunft ist vielversprechend
Kooperationen mit der Pharma-Industrie
sind ein wesentlicher Bestandteil des Geschäftskonzepts der Affimed. Nachdem die
Technologie klinisch erstmals validiert wurde,
ist das Unternehmen für Partnerschaften im
Bereich der bispezifischen Antikörper sehr
gut positioniert. Mehrere Kooperationen sind
bereits in Diskussion, wovon voraussichtlich
mindestens eine im Jahr 2013 abgeschlossen
wird. Nachdem wir bereits in der AFM13Phase-I-Studie derart vielversprechende und
positive Daten generieren konnten, hoffen
wir, diese in den weiteren Studien bestätigen
und ggf. noch verbessern zu können. Aussagefähige Daten hierzu werden Ende 2014 / Anfang 2015 erwartet. Unser Ziel ist es, eine
hoch effektive Immuntherapie für Hodgkin‘s
Patienten anbieten zu können. Aus kaufmännischer Sicht ist dieser Markt ebenfalls
attraktiv und wird vom Kapitalmarkt entsprechend honoriert, wie dies am Beispiel von
Adcetris (ein CD30-Drug-Conjugate-Antikörper ebenso für die Behandlung von Hodgkin
Lymphom) zu sehen ist. Adcetris ist das
einzig zugelassene Produkt von Seattle Genetics, deren derzeitige Marktkapitalisierung
bei 3,5 Milliarden US-Dollar liegt. Die klinische Entwicklung von AFM11 ist für den
Spätsommer 2013 angesetzt. Auch hier
werden Ende 2014 / Anfang 2015 die entsprechenden Daten erwartet. Auch dieses
Molekül hat prominente Vergleichsmoleküle
mit Amgens MT103, welches sich derzeit zur
Behandlung Akuter Lymphatischer Leukämie
(ALL) in einer Phase-II-Studie befindet.
Amgen hat dieses Produkt im Rahmen der
1,3-Milliarden-US-Dollar-Übernahme von
Micromet erworben. Affimed agiert also mit
beiden Lead-Produkten in hoch attraktiven
Märkten und könnte mit den nächsten Entwicklungsschritten ähnliches Wertpotenzial
für die bestehenden, aber auch für weitere
Investoren heben.
www.affimed.com
105
Biomarker als lukrative Marktprodukte
Biomarker als lukrative Marktprodukte
Die im Einleitungskapitel dargelegten Perspektiven für Biotech-Unternehmen im Bereich der Companion-Diagnostics-Entwicklung werden durch bereits vermarktete
Produkte sowie durch weitere BiomarkerAnsätze in der Entwicklung gut belegt.
Die Übersichtstabelle zu Wirkstoffen mit
verfügbaren Companion Diagnostics zeigt
dabei neben den Produkten selbst auch eine
Reihe von Entwicklungstrends, die zum Teil
eingangs bereits erwähnt wurden:
• Hauptanwendungsbereich für die Stratifzierungsmarker sind mit 85 Prozent
Krebserkrankungen, es folgen Infektionserkrankungen und genetische Erkrankungen (z. B. Mukoviszidose)
• Der Trend zu One-to-one-Beziehungen
zwischen Rx und Dx wird sichtbar im
Vergleich der früheren Biomarker (z. B.
Herceptin-Test) mit insgesamt sieben Anbietern am Markt und neueren Produkten
mit nur einem Dx-Anbieter (z. B. Agendia)
• Bei den (früheren) Produkten sind die
Dx-Vertreter meist klassische Diagnostikfirmen (z. B. Roche, Abbott, Qiagen,
Agilent/Dako)
Aus Biotech-Perspektive sind zwei Modelle
erkennbar:
• Vollintegrierter Dx-Anbieter basierend auf
Biotech-Hintergrund (z. B. Agendia)
• Biotech in Partnerschaft mit Dx oder Rx
(Celera / Quest; empire Genomics / Icon;
entroGen / Qiagen)
106
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Produkte
In Deutschland zugelassene Arzneimittel mit Pflichttests für die personalisierte Medizin
Wirkstoff
(Marke)
Eigentümer,
Urheber*
Krankheitsgebiet
Target Diagnostikum
Hersteller Diagnostikum
(Auswahl)
Abacavir
(Ziagen®)
GlaxoSmithKline
HIV / AIDS
HLA-B*5701-Allel
Roche
Anastrozol
(Arimidex®)
AstraZeneca
Brustkrebs
Hormonrezeptor-positive
Brustkrebszellen
Agendia
Arsentrioxid
(TRISENOX®)
Teva / Cephalon
Akute PromyelozytenLeukämie
Promyelozytenleukämie / Retinsäurerezeptor-alpha
(PML / RAR-alpha)-Gen
Qiagen, Quest Diagnostics
Cetuximab
(Erbitux®)
Bristol-Myers Squibb,
Eli Lilly / ImClone,
Merck / Merck-Serono
Darmkrebs
Wildtyp KRAS-Gen
Agilent Technologies / Dako, Qiagen / DxS,
Roche
Crizotinib
(XALKORI®)
Pfizer
Lungenkrebs
Fusionsgen Echinoderm microtubuleassociated protein-like 4 anaplastic
lymphoma kinase (EML4-ALK)
Abbott, AmoyDx, empire Genomics
Dasatinib
(SPRYCEL®)
Bristol-Myers Squibb
Akute lymphatische
Leukämie
Philadelphia-Chromosom
Agilent Technologies / Dako, Qiagen,
Roche / Ventana
Erlotinib
(Tarceva®)
Astellas / OSI*,
Pfizer*,
Roche / Genentech
Lungenkrebs
Aktivierende Mutation der EGFR
(epidermal growth factor
receptor)-Tyrosinkinase
entroGen, Qiagen / DxS, Roche
Exemestan
(Aromasin®)
Pfizer / Pharmacia*
Brustkrebs
Östrogenrezeptor-positive
Brustkrebszellen
Agendia
Fulvestrant
(Faslodex®)
AstraZeneca
Brustkrebs
Hormonrezeptor-positive
Brustkrebszellen
Agendia
Gefitinib
(Iressa®)
AstraZeneca
Lungenkrebs
Aktivierende Mutation der EGFR
(epidermal growth factor
receptor)-Tyrosinkinase
entroGen, Qiagen / DxS, Roche
Imatinib
(Glivec®)
Novartis*
Akute lymphatische
Leukämie (ALL),
chronische myeloische Leukämie(CML)
Philadelphia-Chromosom
Agilent Technologies / Dako, Qiagen,
Roche / Ventana
Ivacaftor
(KALYDECO™)
Vertex*
Mukoviszidose
G551D-Mutation
Abbott, Quest Diagnostics / Celera
Lapatinib
(Tyverb®)
GlaxoSmithKline*
Brustkrebs
HER2-Überexprimierung
Abbott, Agilent Technologies / Dako, Biogenex
Laboratories, Leica Biosystems, Life Technologies / Invitrogen, Roche / Ventana, WILEX
Letrozol
(Femara®)
Novartis*
Brustkrebs
Hormonrezeptor-positive
Brustkrebszellen
Agendia
Maraviroc
(Celsentri®)
Pfizer*
HIV / AIDS
Kombinationstherapie-resistente,
an den CCR5-Rezeptor andockende
CCR5-trope HI-Viren
n/a
Nilotinib
(Tasigna®)
Novartis*
Chronische myeloische Leukämie (CML)
Philadelphia-Chromosom
Agilent Technologies / Dako, Qiagen,
Roche /Ventana
Panitumab
(Vectibix®)
Amgen
Darmkrebs
Wildtyp KRAS-Gen
Agilent Technologies / Dako, Qiagen / DxS,
Roche
Toremifen
(Fareston®)
Kyowa Hakko Kirin / ProStrakan, Orion*
Brustkrebs und
Magenkrebs
Hormonrezeptor-positive
Brustkrebszellen
Agendia
Trastuzumab
(Herceptin®)
Chugai,
Roche / Genentech*
Brustkrebs und
Magenkrebs
HER2-Überexprimierung
Abbott, Agilent Technologies / Dako, Biogenex
Laboratories, Leica Biosystems, Life Technologies / Invitrogen, Roche/Ventana, WILEX
Vemurafenib
(Zelboraf®)
Plexxicon*, Roche
Melanom
BRAF-V600 Mutation im
Tumorgewebe
Roche
Quelle: Ernst & Young, vfa, 2013
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
107
Neugründungen mit innovativen Ideen
Drug Development
• A
diuTide Pharmaceuticals
Frankfurt am Main
• G
eneQuine Biotherapeutics
Hamburg
• K
atairo
Kusterdingen
AdiuTide Pharmaceuticals entwickelt Oligonukleotid-basierte Therapeutika zur verbesserten Stimulation der angeborenen
Immunantwort. Das Portfolio von hochpotenten Rezeptor-Agonisten (insbesondere
TLR9 und RIG-I) geht auf Patente zurück,
die von Pfizer aufgegeben wurden. Zwei
Substanzen befinden sich derzeit in der
präklinischen Entwicklung und sind bereit
für eine Phase-I-Studie im Menschen.
Potenzielle Anwendungsbereiche der
modifizierten Oligonukleotide sind z. B.
die Therapie von Krebs, Allergien und Infektionskrankheiten sowie die Verwendung
als Vakzinadjuvans. Das Start-up gewann
2012 den ersten Preis der Businessplanphase des Science4Life Venture Cup.
Die Behandlung von Osteoarthritis durch
einen gentherapeutischen Ansatz ist das
Ziel der im Oktober 2012 gegründeten
GeneQuine Biotherapeutics. Da Entwicklungskosten und regulatorische Hürden
für veterinärmedizinische Medikamente
geringer sind als für humanmedizinische,
werden die ersten beiden Produktkandidaten für die Therapie von Pferden und
Hunden entwickelt. Das Lead-Produkt
GQ-201 befindet sich derzeit in Proof-ofConcept-Studien im Pferd. Die Substanz ist
ein Gentransfer-Vektor, der direkt in das
betroffene Gelenk injiziert wird und die
dortigen Zellen zur Bildung eines therapeutischen Proteins anregt, welches entzündungshemmend wirkt und die Knorpeldegeneration stoppt.
Katairo – einer der Gewinner des Innovationspreises der BioRegionen in Deutschland 2012 – widmet sich der Entwicklung
eines Wirkstoffes zur Behandlung der
trockenen altersbedingten Makuladegeneration. Diese ist in Industrieländern der
häufigste Grund für Erblindung und gilt
bislang als nicht heilbar. Professor Schraermeyer hat einen Wirkstoff entdeckt, welcher das toxische Stoffwechselprodukt
Lipofuszin in der betroffenen Zellschicht
abbauen kann.
• D
eltaVir
Leipzig
DeltaVir widmet sich der Entwicklung einer
autologen Tumortherapie. Grundlage für
den Anti-Krebs-Impfstoff sind aus dem
Eigenblut des Patienten isolierte Dendritische Zellen. Die Forschung an Dendritischen
Zellen und ihrer Bedeutung zur Aktivierung und Steuerung des Immunsystems
erhielt 2011 den Nobelpreis für Medizin.
Die Therapie beruht auf der Kombination
des Newcastle Disease Virus (NDV) mit
dem autologen Dendritischen-Zell(DC)Anti-Krebs-Vakzin und versucht auf diesem
Weg die Toleranz des Immunsystems für
Krebszellen zu brechen. Die DeltaVir wurde
2011 gegründet, um diese bislang ausschließlich am IOZK (Immunologisches
und Onkologisches Zentrum Köln) als
Einzelfall-Therapie für Krebspatienten
zugelassene Therapiemöglichkeit einem
größeren Patientenkreis zugänglich zu
machen.
108
• ImmunoQure
Martinsried
ImmunoQure hat eine Technologieplattform zur Identifizierung und Gewinnung
von humanen Autoantikörpern gegen relevante Drug Targets entwickelt. Zur Identifizierung dieser gegen endogene Proteine
gerichteten Autoantikörper kollaboriert
ImmunoQure mit Patienten seltener Autoimmundefekte. Der Fokus liegt auf der
parallelen Entwicklung mehrerer humaner
Antikörper zur Therapie von chronischentzündlichen und Autoimmunerkrankungen sowie deren Verpartnerung für die
klinische Entwicklung.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
• P
Sites Pharma
Frankfurt am Main
PSites widmet sich einem neuen Ansatz
der Inhibition von Protein-Kinasen. Die
meiste Forschung wird derzeit auf die
Hemmung der ATP-Bindestelle der Protein-Kinasen verwandt. PSites hat jedoch
eine Plattformtechnologie entwickelt,
welche die allosterische Bindestelle der
ACG-Kinase hemmt. Die entwickelten
allosterischen Kinasehemmer könnten
aufgrund ihrer unterschiedlichen Bindestellen in Kombination mit ATP-Kompetitoren zur Krebstherapie verwendet
werden.
Produkte
In Vitro Diagnostics
Bioinformatics
Technologies & Tools
• o
ncgnostics
Jena
• A
ptaIT
München
• A
yoxxA Biosystems
Köln
Die Methylierung bestimmter DNA-Abschnitte korreliert mit dem Vorhandensein
von Krebs und dessen Vorstufen. Auf Basis
dieser Tumor-spezifischen epigenetischen
Biomarker entwickelt oncgnostics molekulare In-vitro-Diagnostika zur onkologischen
Früherkennung. Das erste Produkt in der
Entwicklung ist GynTect, ein Test zur
schnellen und zuverlässigen Diagnose von
Gebärmutterhalskrebs. Für die Indikationen Ovarialkarzinom und Kopf-Hals-Karzinom sind weitere Diagnostika geplant.
AptaIT hat die COMPAS (COMmon
PAtternS) Software entwickelt, welche es
ermöglicht, aus den umfangreichen NextGeneration-Sequencing(NGS)-Datensätzen
häufige Sequenzmotive herauszufiltern.
Die Stärken der entwickelten Software
liegen hierbei auf der auch statistisch abgesicherten Identifikation von Liganden,
sowie von potenziellen Antikörpern und
Biomarkern aus umfangreichen NGSDatensätzen.
AyoxxA Biosystems wurde 2010 als Spinoff der National University of Singapore
gegründet und verlegte 2012 seinen Firmensitz nach Köln. Das junge Unternehmen hat eine neuartige Technologieplattform entwickelt, welche die Multiplex-Analyse von Proteinen in sehr geringen Probenvolumina ermöglicht. Die Technologie
basiert auf der Entwicklung von sogenannten „In-situ Encoded Bead-based Arrays“
(IEBA). Das Unternehmen gewann 2010
den ersten Preis des internationalen Best
of Biotech Wettbewerbs.
• O
akLabs
Hennigsdorf
Die Optimierung komplexer Pflanzenmerkmale wie Ertrag und Geschmack gestaltet
sich oft als schwierig, da eine Vielzahl von
Genen an ihrer Ausbildung beteiligt ist.
Für die zuverlässige Vorhersage von Merkmalen durch die Analyse von DNA-Markern
kombiniert OakLabs die Microarray-basierte
Genexpressionsanalyse mit mathematischen Algorithmen.
• C
omputomics
Tübingen
Computomics hat sich der Interpretation
und Validierung von Next-GenerationSequencing-Daten im Bereich der landwirtschaftlich genutzten Pflanzen verschrieben.
Computomics bietet mit seinem Team
Analysen und Beratung im Bereich der
Genom-Zusammensetzung, der Genexpression, Genom-Annotation, GenomVarianzanalyse sowie der Interpretation
epigenetischer Daten.
• C
ysal
Münster
Cysal hat eine Technologie zur biotechnologischen Herstellung von chemisch
schwierig synthetisierbaren Dipeptiden
im Industriemaßstab entwickelt. Die
Anwendungsmöglichkeiten reichen von
Futter- und Nahrungsmittelzusätzen bis
zu kosmetischen und pharmazeutischen
Wirkstoffen.
• R
HECADIS
Mannheim
• g
lyXera
Magdeburg
RHECADIS ist im Bereich der molekularen
Diagnostik von Prostatakrebs tätig und
entwickelt derzeit drei Biomarker-basierte
Tests: RE-Bx bietet die Möglichkeit bei
Prostatakrebs-negativen Biopsien oder
Biopsien mit unklarem Ergebnis Prostatakrebs auszuschließen. PRO-Bx prognostiziert, wie die weitere Behandlung eines
Prostatakrebses erfolgen muss. PRO-Tx
identifiziert Patienten, die von einer frühen
Endokrin-Behandlung profitieren. Das Unternehmen zählte 2012 zu den Gewinnern
der Konzeptphase des Science4Life Venture Cup und belegte den dritten Platz des
Prinz von Hohenzollern Innovationspreises
2012 sowie den zweiten Platz des Existenzgründungspreises 2013.
glyXera, eine Ausgründung des Max- PlanckInstituts und einer der Gewinner des Innovationspreises der BioRegionen in Deutschland 2012, hat eine Hochdurchsatz-Analyseplattform für Zuckerstrukturen (Glykosylierung) entwickelt. glyXera bietet sowohl
den Service der Analyse an als auch eine
korrespondierende Software (glyXalign)
zum Alignment der Daten. Diese Technologie kann unter anderem bei der Entwicklung von Medikamenten zur frühen Erkennung von potenziellen Unverträglichkeiten,
aber auch zur Identifikation von Biomarkern in der Diagnostik angewandt werden.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
109
CyTuVax – A Novel Vaccination Strategy Against Cancer
and Infectious Diseases
Dr. Frank W. Falkenberg,
CSO CyTuVax BV, Maastricht
Vaccination against cancer?
Vaccination efficiency can be highly enhanced
by using strong adjuvants. These “stronger”
vaccines are required for diseases that are
caused by microorganisms that have developed powerful ways of escaping the human
body’s immune response, e. g. antibioticresistant bacteria, tuberculosis and malaria.
It has been the dream of immunologists and
doctors to find a way to vaccinate against
cancer and cure the patient of the otherwise
deadly disease. However, this has turned out
to be very difficult. Vaccination against
cancer is a therapeutic procedure: it is done
to cure an existing disease. This is different
from the usual prophylactic vaccination,
aimed at preventing or ameliorating morbidity from infection. In addition, cancer cells
express antigens of the “self” repertoire
which are tolerated by the immune system.
Therefore, therapeutic vaccinations require
powerful adjuvants that are capable of overcoming the suppression of the immune system under the influence of cancer cells.
own cytokines. As a consequence, the cytokine network is activated and guides cells of
the adaptive immune system to mount a
specific response. Activation of the cytokine
network by which cells of the adaptive immune system interact with each other is the
decisive step in the induction of an immune
response. In the case of vaccination against
tumors, the induction of cellular cytotoxic
immune responses (CD4, CD8, NK cells) is
necessary. The use of depot-attached cytokines in an extremely high density as a vaccine adjuvant represents a completely new
vaccination technology that can be applied
in prophylactic as well as in therapeutic vaccines against bacterial and viral antigens,
tumor antigens and antigens of problematic
diseases such as anthrax, tuberculosis,
malaria, hepatitis C and HIV. The fact that
it has been possible to cure animals from
deadly tumor diseases shows the power and
capabilities of this novel vaccine concept.
Promising preclinical studies in Germany
The technology was developed by Frank
W. Falkenberg during his professorship in
the field of immunology at Bochum University and later in his CRO company CIRES
GmbH in Dortmund. The concept has been
tested in a variety of murine tumor models
(RenCa renal carcinoma, B16 and K1735
melanoma, C26 and CT 26 colon carcinoma, MCA fibro sarcoma, A20 and 38C13 B
Lymphoma, TS/A mammary carcinoma)
and with a variety of cytokines (IL-2, IL-4,
IL-12, GM-CSF, IFN). Mice carrying a lethal
load of tumor cells can be cured by vaccination with a vaccine composed of irradiated
tumor cells and the CyTuVax depot-attached
cytokines as adjuvants. The immune response
is strong and persistent. Tumor-bearing mice,
vaccinated and cured, were still protected
against a challenge with a lethal dose of live
tumor cells even one year after vaccination.
Depot-attached cytokines work as
powerful adjuvants
The CyTuVax vaccination concept is based
on the application of inactivated autologous
tumor cells as a source of antigens and
depot-attached cytokines as powerful adjuvants. Cytokines are a form of molecular
messages by which cells of the immune system exchange information with each other.
The recipients of the messages release their
Foundation of CyTuVax in the
Netherlands
For the sake of the technology’s implementation into clinical trials, forces were joined
with Dr. Vleugels in Maastricht and CyTuVax
BV was founded in the Netherlands. A first
round of financing came from a local fund in
the Netherlands (Nedermaas Ventures
BV). CyTuVax BV will use this investment to
work on the development of a vaccine for
hepatitis B non-responders, concentrating
mainly on patients with kidney dysfunction
110
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
that undergo extracorporal dialysis and
whose immune system is not capable of
mounting an efficient immune response to
vaccination with conventional hepatitis B
vaccines.
First clinical trial with pancreatic
carcinoma patients
Pancreatic cancer is one of the deadliest types
of cancer, and its post-surgical treatment is
one of the major unmet needs in oncology.
Surgical removal of the tumor represents
one of the best options but, unfortunately,
less than 20 percent of all patients are candidates for potentially curative surgery.
However, even with an optimal curative
surgery, metastases often occur. CyTuVax
plans to perform a Phase I/II study with
pancreatic carcinoma patients that have
been treated by the so-called Whipple operation as a primary treatment. With a median
survival between 19 and 26 months the patients of this group survive long enough to
show the efficacy of the CyTuVax vaccines.
This clinical application is intended as a
treatment for patients with Stage II and
Stage III pancreatic carcinoma, an unmet
medical need with surgery and / or chemotherapy (Gemcitabine) being the standard
of care. CyTuVax will collaborate on the
clinical trials with Prof. Dr. Waldemar Uhl,
head of the Pankreaskarzinomzentrum
Bochum, the third-largest pancreatic cancer
center in Europe, recommended by the DKG.
Treatment costs are estimated at about
50 thousand Euros per patient and the number of patients is growing. Of the 115.000
patients in Europe and the US, 20 percent are
in stage II and III with a maximum market
potential of between 575 and 1,150 million
Euros.
The future is wide open
In a first round of investment for a clinical
study with pancreatic cancer patients,
CyTuVax will need between three and four
million Euros. The proprietary technology
has unlimited potential and can be applied
to most types of cancers, as well as to
crucial bacterial and viral diseases. Other
types of cancer (e. g. renal carcinoma, lung
cancer) will be included in further studies
later on.
www.cytuvax.com
Zusammenspiel von Physik und Biotechnologie: GNA Biosolutions
von links: Dr. Lars Ullerich,
Dr. Joachim Stehr,
Dr. Frederico Bürsgens,
Geschäftsführer GNA Biosolutions GmbH,
Martinsried
Biotech-Innovationen aus der Physik
Der Biologie eilt der Ruf voraus, keine
absoluten Aussagen treffen zu können.
Wer je in der biologischen Forschung an
widerspenstigen Zellkulturen oder dem
erratischen Ausgang von Patientenstudien
verzweifelte, kann die Ehrfurcht vor der
Komplexität und Unbeständigkeit biologischer Systeme nachvollziehen. Abhilfe
kann hier in vielen Fällen der Einsatz von
effektiveren, physikalischen Verfahren zur
Analyse und Manipulation bringen. Schon
vor sechzig Jahren verhalf die Röntgenstrahlung zur Aufklärung der Molekülstruktur der DNA-Doppelhelix. Aktuellere Beispiele sind Atomic Force Microscopy zur
Manipulation einzelner Moleküle wie DNA,
oder das STED-Verfahren (Stimulated Emission Depletion), wodurch die bisherige
Auflösungsgrenze von Fluoreszenzmikroskopen aufgehoben wurde. Seit einiger Zeit
legen Physiker sogar selbst an der nicht
mehr nur Biologen vorbehaltenen DNA Hand
an und verwenden synthetische DNA-Stränge
als Baublöcke, die sich durch gezieltes
Sequenzdesign selbständig zu dreidimensionalen Strukturen zusammenlagern –
sogenannten DNA-Origamis.
Doch wo entstehen solche Ideen?
Traditionell ist die Physik in Deutschland gut
aufgestellt. Daher können viele Physiklehrstühle es ihren Wissenschaftlern ermöglichen,
anspruchsvolle Spezialinstrumente für ihre
Forschung einzusetzen. Auch die ausgeprägte analytische Natur dieser Disziplin
und die Unverzagtheit gegenüber der vermeintlichen Unberechenbarkeit der Biologie
erlauben einen anderen Blickwinkel; dann
werden eben Modellierungen bemüht und
gezielte Experimente durchgeführt. Physiker
verstehen biologisches Material schlicht als
„Soft Matter“, welche als Teil der „Condensed
Matter“-Physik gilt und mit Energie zu
Wechselwirkungen angeregt werden kann.
Auch ist praxisrelevante Forschung unter
Physikern kein Schimpfwort. Besonders
fruchtbar sind Zusammenschlüsse, in denen
neue physikalische Verfahren für die Biowissenschaften erschlossen werden. In
München beispielsweise helfen Verbünde
wie das CeNS (Center for Nanosciences) der
Ludwig-Maximilians-Universität München
(LMU) und das Exzellenzcluster NIM (Nanosystems Initiative Munich) beim Ideenaustausch über die Fachgrenzen hinweg. Beflügelt durch dieses Umfeld sind allein aus der
Fakultät für Physik der LMU in den letzten
Jahren bereits eine beachtliche Zahl von
Ausgründungen im Bereich Life Sciences
entstanden, wie etwa ibidi, Advalytix, Nanotemper, Nanion und auch GNA Biosolutions.
30 Sekunden benötigen. Der Wärmetransfer
über den massiven Metallblock des Thermocyclers, durch die Wand des Reagenziengefäßes und in die Probe hinein – und zum
Kühlen auch wieder hinaus – ist zeitaufwendig, weshalb die DNA-Vervielfältigung in der
Regel rund eine Stunde oder noch länger
dauert. Hingegen erlaubt die Technologie
von GNA eine Verkürzung dieses Prozesses
auf nur wenige Minuten.
GNA Biosolutions:
ultraschnelle DNA-Detektion
Bei GNA spielen gleich drei wissenschaftliche Disziplinen zusammen – Photonik,
Nanotechnologie und DNA-Analytik. Nanopartikel dienen als präzise steuerbare Heizelemente direkt in der Probe. Ein Laserstrahl
regt die Nanopartikel in der Probe an, welche
die aufgenommene Lichtenergie sofort in
Form von thermischer Energie an ihre unmittelbare Umgebung wieder abgeben. Effektiv wird nur ca. ein Millionstel der Flüssigkeit
erhitzt, der Rest bleibt kalt. Wird der Laserstrahl abgeschaltet, so erkalten die Nanopartikel auch innerhalb von Nanosekunden
wieder auf die Temperatur der umgebenden
Flüssigkeit. Hierdurch können die bisherigen
Heiz- und Kühlprozesse für biochemische
Reaktionen revolutioniert werden. So benötigt z. B. die klassische PCR eine etwa
dreißigfache Wiederholung von Heiz- und
Kühlschritten, die in einem herkömmlichen
Thermocycler typischerweise jeweils 20 bis
Minutenschnelle Pathogentests
in Aussicht
Auf der zeitsparenden DNA-Detektionstechnologie mittels lasergeheizter Nanopartikel
aufbauend, entsteht derzeit ein Instrument,
welches zum Nachweis von Krankheitserregern oder Lebensmittelpathogenen dienen
wird. Das neuartige Verfahren ermöglicht
eine ultraschnelle DNA-Detektion – und das
in hohem Maße unabhängig von Probenvolumen und -format. Beispielhaft seien
minutenschnelle Grippetests genannt, die
direkt vor Ort verarbeitet und ausgewertet
werden können. Das Prinzip des LaserHeizens von Nanopartikeln zur Bioanalyse
ist noch ein weites Feld, und neue Ideen aus
der Physik helfen bei dessen Erschließung.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Gründung
Die Grundidee der Technologie entstand bereits in der Doktorarbeit des Mitgründers
Joachim Stehr am Lehrstuhl für Photonik
und Optoelektronik an der LMU München.
Eine Förderung durch EXIST-Forschungstransfer und die Unterstützung des Gründerbüros und des Entrepreneurship Centers
ermöglichten die ersten Schritte in Richtung
Kommerzialisierung. Nach der GmbH-Gründung Mitte 2010 warben die drei Geschäftsführer Stehr, Bürsgens und Ullerich Anfang
2011 eine Seed-Runde bei einem Privatinvestor ein. Anschließend bezog das Unternehmen neue Räumlichkeiten im Innovationsund Gründerzentrum IZB in Martinsried.
Ende 2012 erfolgte eine weitere Finanzierungsrunde und das Team, das sich in der
F&E mittlerweile aus Physikern, Biologen
und Technikern zusammensetzt, konnte den
Proof of Concept seiner Technologie in
funktionsfähigen Prototypen erbringen.
www.gna-bio.de
111
Wirkstoffpipeline in Europa
Ebenfalls Fokus auf Onkologie
Wirkstoffpipeline in Europa nach Therapiegebiet, 2012
Klinische Studien (n=1320)
Präklinik (n=1266)
17 %
19 %
27 %
34 %
5 %
5 %
5 %
5 %
5 %
13 %
7 %
8 %
9 %
14 %
13 %
14 %
Onkologie
Autoimmun & Entzündung
Neurologie
Infektion
Kardiovaskulär
Atemwegserkrankungen
Metabolismus und Endokrinologie
Sonstige
Quelle: Ernst & Young, 2013
Produkt-Pipeline in Europa
Im europäischen Ländervergleich führt
Großbritannien nach wie vor klar die Liste
der Entwicklungsprodukte an. Eine Tatsache, die zumindest zum Teil dem Geschäftsmodell vieler britischer Unternehmen
geschuldet ist, dem Specialty-Pharma-Typ.
Dort stehen Breite des Portfolios und Schwerpunkt auf eher marktnahen Entwicklungen
im Vordergrund.
112
Deutschland und die Schweiz teilen sich den
zweiten Platz; Deutschland mit einer deutlich jüngeren Pipeline. Insbesondere in
Phase III können Schweizer Unternehmen
mit einem stattlichen Portfolio von immerhin 22 Produkten aufwarten, darunter beispielsweise Tracleer® (Actelion), Zeftera®
(Basilea) und Decapeptyl® (Debiopharm).
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Die entsprechende Analyse der Zuordnung
von Pipeline und Therapiegebieten ergibt
für Europa eine ähnliche Dominanz der
Krebstherapien, wenngleich nicht ganz so
deutlich sichtbar(nur 34 % gegenüber 48 %
in Deutschland). Im europäischen Umland
werden absolut gesehen nur in Großbritannien mehr Anti-Krebs-Therapeutika entwickelt als hierzulande. Dort stecken
bereits drei onkologische Medikamente in
der entscheidenden Phase III (Cerepro® / Ark Therapeutics, Sativex® / GW Pharmaceuticals, TroVax® / Oxford BioMedica).
Entsprechend sind andere Therapiefelder wie
z. B. Neurologie in Europa etwas häufiger
vorhanden als in Deutschland, und andere
Gebiete in Deutschland gänzlich unterrepräsentiert, die in Europa gut sichtbar sind,
wie z. B. Atemwegserkrankungen. Absolute
Vorreiter sind hier die Schweiz und Großbritannien, wo man sich stark auf Asthma
und Pulmonale Hypertonie fokussiert.
Orphan-Drug-Zulassungen bei EMA und FDA
Orphan-Drug-Status immer attraktiver?
Der Orphan Drug Act, wonach Entwicklungen von Medikamenten für Krankheiten
mit weniger als weltweit 200.000 Patienten
besonders behandelt werden, war ursprünglich eine ideale Nische für Biotech-Firmen,
um der starken Konkurrenz durch Pharma
zu entgehen.
Zulassung von Orphan Drugs bei EMA und FDA
EMA (Anzahl Orphan Drugs – Gesamtzahl Zulassungen in Klammern)
12
(38)
10
8
(69)
(49)
In den letzten Jahren hat sich dieses Feld
auch für Pharma-Unternehmen zum attraktiven Markt entwickelt. Dies liegt in der
Möglichkeit, schneller und billiger klinische
Studien durchzuführen, schneller an den
Markt zu kommen und dort hinsichtlich
Pricing und Reimbursement größere Freiheitsgrade zu haben als im heißumkämpften
Sektor der Medikamente für die großen
Indikationen.
Eine Analyse ausgehend von Zulassungszahlen der FDA in den USA sowie der EMA
in Europa belegt diesen Trend eindeutig.
Beide Behörden weisen einen Anstieg der
Zulassungen von Orphan Drugs über die
letzten Jahre auf. In Europa stieg die Zahl
der Orphan-Drug-Zulassungen allein von
2010 bis 2012 von 4 auf 10, damit der
Anteil an allen Zulassungen von 13 auf
26 Prozent. Ähnlich steil verläuft die Kurve
in den USA, wo die FDA-Zulassungen im
gleichen Zeitraum von 6 auf 13 Orphan
Drugs anstiegen, was einem Anteil an allen
Zulassungen von 29 auf 32 Prozent entspricht. Biologicals spielen dabei eine Rolle,
wenngleich kein konsistenter Trend hinsichtlich stetig zunehmender Bedeutung
erkennbar ist.
6
(52)
(31)
4
2
0
2008
2009
2010
2011
2012
(41)
FDA (Anzahl Orphan Drugs – Gesamtzahl Zulassungen in Klammern)
12
10
8
(26)
(30)
(24)
(21)
6
4
2
0
2008
Small molecules
2009
2010
2011
2012
Biologicals
Quelle: Ernst & Young, 2013
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
113
Biotech-Standort Deutschland
114
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Umdenken, weiter denken … auch eine Forderung an die Politik
Innovative Spitzentechnologien
brauchen politisches Commitment
durch alle Instanzen
Das im Einleitungskapitel „Perspektive“ aufgegriffene Thema des „Umdenkens“ innerhalb der Biotech-Branche bezieht sich vor
allem darauf, mit den eigentlichen Stärken
der Biotechnologie noch effektiver auf gegenwärtige Bedarfe einzugehen. Dabei ist
sowohl das „Umdenken“ innerhalb des heute
noch vorrangigen Schwerpunktes der Therapeutika eine wichtige Aufgabe als auch eine
Verbreiterung der Perspektiven auf neue
„Hot Spots“, z. B. in der Diagnostik oder
noch breiter in der Einbeziehung der Bioökonomie-Initiativen und daran geknüpfter
Visionen für Biotech.
Das verbindende Element all dieser Perspektiven sind „Bio-Technologien“, die heute in vielen Fällen mit dem Attribut „Spitzentechnologie“ belegt werden.
Spitzentechnologien und vor allem ihre bestmögliche Nutzung in kommerziellen Prozessen benötigen aber konkret das Commitment aller Player – inklusive der Politik.
Aus dieser Richtung gibt es viel Zustimmung
für die essenzielle Bedeutung von Innovation, Technologieführerschaft und „Brain
Capital“ in einem rohstoffarmen Land wie
Deutschland. Dies sind sogar nicht nur
Lippenbekenntnisse in publikumswirksamen
Redebeiträgen, sondern schriftlich fixierte
Vorgaben in Koalitionsverträgen und politischen Agenden. Allein die ebenso essenziellen Taten sind weniger herausragend.
Diese Aussage ist vielleicht aber doch zu
wenig differenziert:
• Es ist unbestritten, dass seitens der Forschungspolitik viele neue Initiativen losgetreten wurden, die Spitzenforschung
besser bündeln, fokussiert fördern und
in letzter Zeit sogar unter dem Stichwort
„Translation“ klarer auch in Richtung
„Anwendung“ orientieren.
• Viel weniger im Fokus stehen ebenjene
Überlegungen in der Wirtschaftspolitik,
in denen Industrien anderer Größenordnung relevanter erscheinen und man nicht
wegen eines – wenn auch hoch innovativen – Start-up- bzw. KMU-Sektors Extraregeln aufstellen kann.
• Wenn dann noch Forderungen wie steuerliche Vergünstigungen an das Finanzministerium herangetragen werden, geht
die Diskrepanz der Größenordnungen gemessen an den Problemen der weltweiten
Finanzkrise soweit ins Unendliche, dass
nicht einmal Spitzentechnologien ausreichend auflösende Vergrößerungsgläser
erfinden können.
Wenn aber die immense Förderung der
Spitzenforschung durch Steuergelder nicht
oder nur unzureichend dazu führen kann,
dass Teile des Investments in Form von
Markterfolgen zurückgespielt werden und
damit vor allem auch den Wohlstand des
Steuerzahlers auf lange Sicht sichern, dann
läuft die Förderpolitik letztendlich ins Leere
und ist volkswirtschaftlicher Unsinn.
Das Standortkapitel des Ernst & Young
Biotech-Reports soll eine Plattform darstellen zur Artikulation aktueller Gegebenheiten
im Zusammenspiel der Branche und ihrer
Unternehmen
• mit der Politik,
• in Verbänden und regionalen Initiativen,
• in Netzwerken.
Im Folgenden sollen zunächst aktuelle Themen der politischen Diskussion aufgegriffen
werden und von relevanten Vertretern der
Branche – Peter Heinrich als Vorstandsvorsitzender der BIO Deutschland sowie Pablo
Serrano als Geschäftsfeldleiter Forschung &
Innovation / Biotechnologie beim Bundesverband der pharmazeutischen Industrie –
erörtert werden.
Beide Verbände nehmen wichtige Aufgaben
der Interessenvertretung wahr, insbesondere
in der Interaktion mit der Politik. Beide adressieren in unzähligen Aktionen die immer wieder gleichen Fragen mit ihren Gesprächspartnern auf politischer Ebene. Leider ist
diese Aufgabe oft undankbar, sehr langwierig
und zäh. Insbesondere leidet der Ansatz des
steten Tropfens darunter, dass allenfalls
zwar immer wieder kleine Löcher den großen
Stein der Gesamtproblematik „höhlen“, aufgrund der beschriebenen mangelnden Kohärenz der Politik enden die kleinen Höhlen
aber meist in einer Sackgasse ohne Ausgang bzw. Zugang zu den wirklichen Schaltzentralen der Macht.
Die Forderung an die Politik wäre also eindeutig, das Thema Innovation nicht bequem
im Forschungsministerium zu „parken“ und
dessen Aktivitäten als politisches Alibi für
eine zukunftsorientierte Innovationspolitik
zu missbrauchen. Vielmehr wäre eine viel
engere Kohärenz der Disziplinen innerhalb
der Politik notwendig, um Innovation im
richtigen Sinn auszulegen. Sie ist erst dann
ein Erfolg, wenn die Früchte der herausragenden Spitzentechnologien in Form
signifikanter Wertschöpfung, nachhaltigen
Wirtschaftswachstums und langfristig
gesicherter, hochwertiger Arbeitsplätze
geerntet werden können.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
115
BIO Deutschland: Wichtige Maßnahmen
zur Förderung innovativer Spitzentechnologie
erstattet wird. Für eine effektive Arzneimittelentwicklung muss die Vergleichstherapie
bereits in der klinischen Prüfung für die Zulassung festgelegt werden. Die empfohlene
Vergleichstherapie ist aber für die Erstattung
nicht bindend. Selbst wenn es ein Unternehmer also schafft, ein nachweislich wirksames Medikament zu entwickeln, ist nicht
gleichzeitig gewährleistet, dass damit auch
ein Erlös erwirtschaftet werden kann, mit
dem Investitionen sich auszahlen werden.
Dr. Peter Heinrich,
BIO Deutschland e.V., Berlin
Die Branche ist ernüchtert
2013 ist ein wichtiges Wahljahr für Deutschland. Es ist höchste Zeit für eine Bestandsaufnahme der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen aus Sicht der Biotechnologiebranche. Wie unsere jährlichen Trendumfragen gezeigt haben, setzte die Branche
2009 noch große Hoffnungen in innovationsfreundliche Vorhaben der neuen Regierung.
Deutlich geringer fielen allerdings die Erwartungen dieses Jahr aus. Die politischen Verheißungen der jetzigen Koalition in puncto
Forschung und Innovation blieben unerfüllt,
da sich wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen nicht zu Gunsten der innovativen
Spitzenforschung weiterentwickelt haben.
AMNOG: Regulatorische Hürden
werden größer
Eine wesentliche Neuerung in der jetzigen
Legislaturperiode war die Einführung des
Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes,
kurz AMNOG. Zwar begrüßte BIO Deutschland das Anliegen grundsätzlich, die Preisermittlung eines Arzneimittels über eine
Nutzenbewertung durchzuführen. Wir haben
aber auch an mehreren Stellen wichtige
Verbesserungen an dem Gesetz angemahnt.
Die Entwicklung neuer, innovativer Medikamente stellt ein hohes finanzielles Risiko
dar. Das AMNOG hat hier eine weitere Hürde
aufgebaut, da nur ein Zusatznutzen dazu
führt, dass die Therapie in Deutschland in
einer der Innovation angemessenen Höhe
116
Umsatz schlägt Nutzen: Die nachträgliche Bewertung von Orphan Drugs
Auch die nachträgliche Nutzenbewertung
von Orphan Drugs bei einem Jahresumsatz
von mehr als 50 Millionen Euro ist nicht
nachvollziehbar und erhöht das finanzielle
Risiko bei der Entwicklung von Therapeutika
zusätzlich. Gerade auf dem Gebiet seltener
Krankheiten sind biotechnologisch hergestellte Arzneimittel besonders wirkungsvoll
und über 50 Prozent der führenden Orphan
Drugs sind Biologika. Die erneute Nutzenbewertung aufgrund hoher Umsatzzahlen
nach dem Erhalt des Orphan-Drug-Status
bremst Innovation und schadet langfristig
den Patienten. Das an sich schon hohe Risiko
gepaart mit zusätzlichem Regulierungsdruck bei Zulassung und Preisermittlung
macht es für innovative KMU (iKMU) zunehmend schwierig bis unmöglich, Risikokapital einzuwerben. Alternative Förderungen
müssen somit ausgebaut und erschlossen
werden.
Kredite werden teurer:
Basel III und Solvency II
Basel III und Solvency II führen dazu, dass
sowohl Kredite als auch Eigenkapital und
Venture Capital (VC) teurer werden. Die im
Rahmen von Basel III geplante Erhöhung
der Eigenkapitalquoten für Banken und
Sparkassen wird Kredite an den Mittelstand
überproportional belasten. Die bei Solvency
II aufgeführte Erhöhung der Eigenkapitalunterlegung von VC wird dessen Angebot
reduzieren und verteuern. Hier sollte nachgebessert werden.
träge gehen ab einer Änderung der Beteiligungsstruktur von 25 Prozent innerhalb
einer Frist von fünf Jahren teilweise oder
ganz verloren. Die Reichweite von Finanzierungsrunden beträgt aber derzeit nur etwa
zwei bis maximal drei Jahre und somit ist
die Übertragung von Anteilen meist früher
als nach einem Zeitraum von fünf Jahren
nötig. Eine Absenkung der Fünf- auf eine
Drei- oder sogar Zwei-Jahres-Frist würde
VC- und Family-Office-finanzierten Biotechs
helfen, Innovationen nachhaltig zu finanzieren.
Steuerliche Förderung von F&E
Ein weiterer Bestandteil des letzten Koalitionsvertrages betraf die steuerliche Förderung von mittelständischer Forschung und
Entwicklung (F&E). Die meisten EU-Länder
haben diese eingeführt (z. B. tax credits),
aber in Deutschland fehlt eine entsprechende
steuerliche F&E-Förderung nach wie vor. Dennoch muss betont werden, dass die steuerliche Forschungsförderung zwar wichtig ist,
aber nicht an die Stelle der unmittelbaren
Projektförderung treten darf, sondern diese
sinnvoll ergänzen sollte. Es muss außerdem
sichergestellt sein, dass die besondere Steuerund Finanzierungssituation des innovativen
Mittelstandes angemessen berücksichtigt
wird.
Spitzenforschung in Deutschland benötigt
Verbesserung der Rahmenbedingungen
Innovativen Unternehmen wird durch verschiedene Gesetzesvorgaben kontinuierliche
Spitzenforschung erschwert. Vergleicht man
KMU und Großindustrie, geht die Schere bei
Innovationsintensität und Investitionsausgaben jährlich weiter auseinander. Nachbesserungen bei regulatorischen Auflagen,
der zeitlichen Begrenzung des Verlustvortrags und den Rahmenbedingungen für die
Mobilisierung von Kapital sind dringend erforderlich und sollten zügig realisiert werden,
um erfolgreiche und wettbewerbsfähige
Spitzenforschung auch weiterhin möglich zu
machen.
www.biodeutschland.org
Frisches Kapital führt zu Verlusten
Der aktuelle Koalitionsvertrag sah verschiedene Maßnahmen vor, um innovative Unternehmen zu fördern. Ein wichtiger Punkt war,
die geltenden Bestimmungen für Verlustvorträge anzupassen. Durch Forschungs- und
Entwicklungskosten angehäufte Verlustvor-
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Zum Umdenken gezwungen: Ein Jahr AMNOG und die
Auswirkungen auf Biopharmaka-Hersteller im Mittelstand
Tag für Tag für konkreten Nutzen beim Patienten. Darüber hinaus schaffen und sichern
diese Firmen aufgrund ihres mittelständischen Charakters ortsgebundene hochqualifizierte Arbeitsplätze. Trotz dieser für die
Biotech- und Biopharmazeutika-Industrie
recht positiven Zahlen gibt es erste Anzeichen, dass die Unternehmen aufgrund der
aktuellen Rahmenbedingungen ihre Businesspläne anpassen müssen.
Dr. Pablo Serrano,
Geschäftsfeldleiter Forschung & Innovation / Biotechnologie, Bundesverband der
Pharmazeutischen Industrie, Berlin
Innovationsmotor biopharmazeutischer
Mittelstand
Molekularbiologische Methoden der modernen Gen- und Biotechnologie sind der Motor
für die Entwicklung innovativer Medikamente. Dieser Prozess findet vor allem in
den Laboren des biopharmazeutischen
Mittelstandes statt. Von den 900 pharmazeutischen Unternehmen in Deutschland
(Statistisches Bundesamt) haben fast
95 Prozent weniger als 500 Mitarbeiter –
und in rund 77 Prozent sind weniger als
100 Beschäftigte tätig. 2011 waren fast
120 Firmen an der Erforschung und Entwicklung sowie der Vermarktung eigener
Biopharmazeutika beteiligt. In Deutschland
sind bereits ca. 200 Medikamente auf biotechnologischer Basis, davon knapp 150 auf
gentechnischer Grundlage, zugelassen. Das
entspricht einem Anteil von 19 Prozent am
Gesamtumsatz im Pharma-Markt. Die Zahl
der biopharmazeutischen Präparate in der
klinischen Pipeline betrug 2012 etwa 550.
Insgesamt hat sich die Zahl der Medikamentenkandidaten in der Klinik seit 2006 mehr
als verdoppelt. Damit ist die Biotechnologie
keine Zukunftsvision mehr, sondern sorgt
GKV-Änderungsgesetz AMNOG
Die 2010 verabschiedeten Gesetze, das
GKV-Änderungsgesetz sowie das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG),
sind Beispiele für die erwähnten, den Innovationsstandort beeinflussenden Rahmenbedingungen. Ersteres wurde vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise von der
Bundesregierung als Spargesetz konzipiert,
welches von der Pharma-Industrie ein Einfrieren ihrer Medikamentenpreise auf dem
Stand vom August 2009 fordert. Zudem
wurde der Abschlag von sechs Prozent, den
die Hersteller gewähren müssen, auf 16 Prozent erhöht. Beide Maßnahmen wurden von
der Bundesregierung entgegen der aktuellen wirtschaftlichen Lage bis Ende 2013
nicht korrigiert. Des Weiteren wurde mit dem
AMNOG für innovative Arzneimittel eine frühe
Nutzenbewertung eingeführt, die immer
wieder zu Auseinandersetzungen über Bewertungsmethoden führt und im Ergebnis
die Planbarkeit von innovativen F&E-Programmen in der Industrie weiter erschwert.
Die unmittelbaren Folgen dieser Gesetze
zeigen sich in einem Umdenken bei forschenden Unternehmen, wo innovative Entwicklungen vorerst auf Eis gelegt werden – fatal
für den Innovationsstandort. Die mittelständische Pharma-Industrie arbeitet mit den
Gewinnen ihrer sich bereits auf dem Markt
befindlichen Produkte weiter und überbrückt
damit die aktuelle Pipeline-Durststrecke. Die
Mitgliederumfrage des BPI zum Stellenwert
von Innovationen 2012 spiegelt diesen Trend
wider. So erwarten fast 90 Prozent der Firmen, dass die Nutzenbewertung nach dem
AMNOG teilweise die Refinanzierung der
Investitionen in F&E verhindern wird. Die Lage
ist für den Innovationsstandort Deutschland
ernst, denn 78 Prozent der antwortenden
Firmen gaben an, dass sie derzeit Erfolg
versprechende Entwicklungsprojekte auf
dem Gebiet der verschreibungspflichtigen
Medikamente, darunter zahlreiche Biopharmazeutika, nicht weiter verfolgen.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Mehr Kooperation zwischen Biotech und
Pharma könnte helfen
Abhilfe hierzu können Kooperationen zwischen der Biotech-Branche und der mittelständischen Pharma-Industrie schaffen. Ein
attraktives Feld für Partner beider Branchen
bietet die personalisierte Medizin, denn die
Weiterentwicklung eines bewährten Wirkstoffs für ein neues Indikationsgebiet mit
Hilfe eines Biomarkers genießt (neuen)
Patentschutz. Die neue Gesetzeslage erfordert allerdings ein exaktes Abstimmen der
Forschung und Entwicklung auf spätere
Kostenerstattung. Und die Mehrheit der in
Deutschland biopharmazeutisch aktiven
Unternehmen ist flexibel genug, Businesspläne an die Rahmenbedingungen anzupassen, wenn diese Planbarkeit erlauben. Doch
das ist derzeit aufgrund der Nutzenbewertungskriterien für neue Arzneimittel nicht
der Fall. Diese Kriterien werden häufig erst
nach der Zulassung festgelegt und stimmen
dann nicht mit dem Design der klinischen
Studien überein, die normalerweise bis zu
zehn Jahre zurückliegen.
Konsequenzen des AMNOG
für Deutschland
Die Konsequenzen sind für Deutschland
weitreichend: Standortgebundene F&E-Programme im Mittelstand kommen aufgrund
der von der Regierung verordneten Sparmaßnahmen – Preismoratorium, Zwangsabschlag, Nutzenbewertungsverhandlungen,
Aut-Idem-Regelungen etc. – ins Stocken und
Arbeitsplätze werden gefährdet. Gravierender sind die Folgen für Patientinnen und
Patienten, die auf manche verbesserte und
neue Therapien weiter warten müssen.
Denn bei Medikamenten, die keinen Zusatznutzen attestiert bekommen, werden sich
die Hersteller gegen eine Vermarktung in
Deutschland entscheiden. Der Preis, den sie
damit hier erzielen können, reicht dann nicht,
um die bereits über Jahre in F&E investierten
Kosten zu refinanzieren – und somit neue
Medikamentenkandidaten zu entwickeln. Ein
Beispiel hierfür stellt bereits das DiabetesMedikament Trajenta® von Boehringer Ingelheim dar. Nach der Nutzenbewertung im
Dezember 2012 wurde kein Zusatznutzen
attestiert, woraufhin sich Boehringer entschlossen hat, Trajenta® nicht in Deutschland auf den Markt zu bringen.
www.bpi.de
117
Regionale Netzwerke und ihre internationale Anbindung
Spitzencluster bündeln wissenschaftliche Exzellenz und sichern
die Anbindung an wirtschaftliche
Wertschöpfungsketten
Die bereits in den Vorjahren angestoßene
Initiative zur Darstellung der verschiedenen
Clusterinitiativen des BMBF (Spitzencluster,
BioPharma, DZG u. a.) dient zum einen einer
Charakterisierung individueller Netzwerke
und deren Herangehensweise an die Lösung
komplexer Fragestellungen. Die meisten
dieser Netzwerke, wie sie bereits aufgelistet
wurden, haben heute in ihren Zielsetzungen
die Anbindung an kommerzielle Wertschöpfungsketten vorgesehen. Die Einbeziehung
von Partnern aus der Life-Science-Industrie
(Biotech, Medizintechnik, Pharma etc.) war
bereits ein Kriterium für die Auszeichnung
als Spitzencluster.
Berücksichtigung fänden. Wissenschaftliche
Exzellenz allein reicht nicht aus; der kommerzielle Erfolg – aus den anfangs geäußerten volkswirtschaftlichen Erwägungen vor
allem in Deutschland – sollte ein ebenso
wichtiges Kriterium zur Beurteilung der Netzwerke sein.
Zum anderen ist es ebenso wichtig, neben
der reinen Charakterisierung und Darstellung der Konzepte auch deren Verfolgung
und Erfolge zu hinterfragen. Insofern wäre
es sinnvoll, wenn die Erfolgskriterien von
vorneherein definiert würden und bei dieser
Definition auch kommerzielle Meilensteine
Zur Fortsetzung der begonnenen Serie über
einzelne Netzwerke in Deutschland beschreibt
im Folgenden Rainer Wessel das Konzept
und den aktuellen Status des letztjährigen
Gewinners im Spitzencluster-Wettbewerb
des BMBF, des Ci3 Clusters mit Zentrum
in Mainz. Von den oben genannten Grundvoraussetzungen sind die meisten gegeben:
• Wissenschaftliche Exzellenz – akademische
Spitzenforschung auf dem Gebiet der Immuntherapie
• Etablierte Technologietransfer-Einrichtungen
• Integration von Unternehmen zum Aufbau
einer kommerziellen Wertschöpfungskette
• Politisches Commitment selbst über Bundeslandgrenzen hinweg
• Signifikantes finanzielles Engagement
durch private Investoren
118
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Regionale BioRegionen vernetzen
sich international
Neben den themengetriebenen Spitzenclustern hatten sich traditionell aus einem
früheren BMBF-Wettbewerb in Deutschland
BioRegionen etabliert, deren Aktivitäten
ebenfalls an dieser Stelle Beachtung finden
sollen. Im letzten Jahr bereits mit der Beschreibung von Schwerpunktbildung, Leistungsspektrum etc. begonnen, soll in den
folgenden Ausgaben des Reports stärker
auf das Thema „Best Practice“ fokussiert
werden. In diesem Zusammenhang wurde in
diesem Jahr die internationale Vernetzung
als ein relevantes Thema ausgewählt, innerhalb dessen durch die geschilderten Beispiele Best-Practice-Initiativen der individuellen Regionen herausgestellt werden.
Dabei ist eine erstaunliche Erkenntnis, wie
viele unterschiedliche Ideen aufgegriffen
wurden, um international die jeweilige BioRegion sichtbar zu machen. Aber diese Initiativen dienen nicht nur der Sichtbarkeit
einer Region; sie sind vielmehr die Basis für
eine aktive Interaktion der akademischen
und kommerziellen Partner im Sinne einer
gemeinsamen Herangehensweise an komplexe wissenschaftliche Problemstellungen
mit Auswirkungen für Gesundheit, technischen Fortschritt und wirtschaftlichen
Erfolg.
Ci3 Spitzencluster – Katalysator für
immunologische Innovationen
Dr. Rainer Wessel,
Cluster Individualisierte
ImmunIntervention (Ci3), Mainz
Maßgeschneiderte Behandlungsansätze
Das Gesundheitssystem steht vor einem
bedeutenden Umbruch. Neue Erkenntnisse
in den Lebenswissenschaften führen zu
einem Paradigmenwechsel in der Medizin
und bieten dabei die Chance, wichtige Bereiche des Gesundheitswesens stärker auf
eine auf jeden Einzelnen hin angepasste
Medizin auszurichten. Innerhalb der individualisierten Medizin hat die Immunintervention ein sehr großes Potenzial. Dieser bereits jetzt wachstumsstärkste Bereich der
pharmazeutischen Industrie nutzt die Eigenschaften des Immunsystems bei der Behandlung von schweren Erkrankungen wie
Krebs, Autoimmun- und gefährlichen Infektionskrankheiten aus. Hierzu werden genetische und immunologische Eigenheiten der
Patienten und ihrer Krankheit für die Entwicklung maßgeschneiderter Behandlungsansätze herangezogen. Dadurch entstehen
innovative Therapieformen, die die Entwicklungszeiten neuer Medikamente verringern,
Risiken für die Patienten reduzieren und die
Kosten einzelner Therapien senken können.
Das alles erfordert eine neuartige Abstimmung wesentlicher Bereiche unseres Gesundheitssystems.
Mit gebündelter Kompetenz
international erfolgreich
Ci3 leistet zur Integration der für die erfolgreiche Implementierung der individualisierten
Immunintervention notwendigen Bereiche
der Gesundheitswirtschaft einen wichtigen
Beitrag. Das Cluster vernetzt über 120 Partner aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik in der erweiterten RheinMain-Region und bildet so das integrative
Element der gesamten Innovations- und
Wertschöpfungskette. Die Vision von Ci3 ist
es, die sehr erfolgreiche Pharma-Region
Rhein-Main im Bereich der individualisierten
Immunintervention an die Weltspitze zu führen. Das volkswirtschaftliche Kernziel von
Ci3 ist die Sicherung eines langfristigen Umsatz- und Beschäftigungswachstums der am
Cluster beteiligten Firmen und Forschungseinrichtungen durch den Aufbau einer international konkurrenzfähigen Pipeline effizienter und nebenwirkungsarmer Immuntherapeutika und begleitender Diagnostikprodukte für stratifizierte und individualisierte
Märkte. Die neuen Präventions-, Diagnoseund Therapieoptionen werden auf Zukunftsund Tragfähigkeit validiert und der Patientenversorgung zur Verfügung gestellt. In Strukturprojekten arbeiten die Partner gemeinsam
daran, die infrastrukturellen Rahmenbedingungen für diese modernen Therapieformen
zu verbessern und institutionsübergreifende
Strukturen zu schaffen, die allen Clusterakteuren zugutekommen.
Spitzencluster: Bis zu 40 Millionen Euro
Förderung
Durch den Gewinn des Spitzencluster-Wettbewerbs erhalten immuntherapeutische
Ansätze in der Pharma-Region Rhein-Main
nun einen starken Schub. Im Januar 2012
war Ci3 erfolgreich aus der dritten Runde
des vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF) ausgelobten Wettbewerbs hervorgegangen. Damit verbunden
sind BMBF-Fördergelder in Höhe von bis zu
40 Millionen Euro über fünf Jahre. Aufgestockt wird diese Summe durch private Mittel der Partner in mindestens gleicher Höhe.
Leuchttürme gegen Krebs und Zöliakie
Mit der Bewilligung von drei repräsentativen
Projekten, den so genannten Leuchtturmprojekten, hat das Ci3 Spitzencluster zum
1. April 2012 gestartet. Die Leuchtturm-
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
projekte fokussieren auf die Erforschung
stratifizierter und individualisierter Impfstoffe zur Therapie solider Tumoren sowie
auf die Entwicklung neuer Therapeutika zur
Behandlung der Zöliakie (Glutenunverträglichkeit). Insgesamt konnten im Laufe des
Jahres 2012 bereits 64 Förderprojekte an
den Start gehen, die Mehrzahl davon in
28 Verbünden zwischen Industrie und öffentlichen Forschungseinrichtungen. Dies ist ein
guter Indikator für die hohe Vernetzung der
Partner. Da bereits jetzt weltweit die Mehrzahl der neuen Medikamente aus Kooperationen zwischen öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen und der privaten
Wirtschaft entsteht, ist dieser hohe Grad der
Vernetzung eine gute Voraussetzung für
eine langfristig erfolgreiche und nachhaltige
Entwicklung, mit entsprechenden positiven
Effekten auf die Wertschöpfung in der Region
und die damit verbundene Sicherung von
Arbeitsplätzen.
Wachstumsstarker Standort
Für die beschleunigte Entwicklung des immunologischen Sektors in der Region spricht
die starke Entwicklung junger Biotech-Firmen
in den letzten Jahren. Ein robuster Anstieg
der Investitionen am Standort hat die Entstehung einer großen Zahl neuer hochqualifizierter Arbeitsplätze ermöglicht und infrastrukturelle Maßnahmen nach sich gezogen.
So wird die für Anfang 2014 geplante Fertigstellung des ca. 8.000 m² großen neuen Biotechnologiezentrums „An der Goldgrube“ in
Mainz mehr als 200 hochqualifizierte Arbeitsplätze in den Life Sciences beheimaten. Die
große regionale Expertise und wachsende
Bedeutung der Immuntherapien spiegelt
sich auch in den stetig steigenden Besucherzahlen des jährlich in Mainz vom international
hochkarätig besetzten Cancer Immunotherapy Consortium (CIMT) durchgeführten
Treffens wider. Zusammen mit den anderen
beiden Life-Science-Spitzenclustern der ersten und zweiten Wettbewerbsrunde, BioRN
in der Rhein-Neckar-Region und m4 in
Bayern, leistet Ci3 damit einen wichtigen
Beitrag für die weitere Entwicklung der
Biomedizin in Deutschland.
www.ci-3.de
119
BioRegionen in Deutschland – Best
Practice „Internationale Vernetzung“
Angesichts der sehr komplexen und teuren Prozesse bei der Entwicklung
neuer Produkte und eines globalen Wettbewerbs ist die internationale
Vernetzung für die Biotechnologie von essenzieller Bedeutung. Auch die
einzelnen BioRegionen in Deutschland legen Wert auf länderübergreifende
Kooperationen.
Hauptstadtregion gut vernetzt:
BioTOP Berlin-Brandenburg
In der deutschen Hauptstadtregion hat man
schon früh auf Vernetzung mit anderen
führenden europäischen Clustern gesetzt.
Mit BioTOP ist die Region Gründungsmitglied im Council of European BioRegions
(CEBR) und dem Ostseeanrainer-Netzwerk
ScanBalt. Neben diesen die Biotechnologie
in ihrer ganzen Breite abdeckenden Strukturen ist man als bisher einzige deutsche
Region in der European Diagnostic Clusters
Alliance (EDCA) vertreten, die sehr konkrete Maßnahmen für Unternehmen und
Forschungseinrichtungen erarbeitet und sich
mit der Entwicklung von In-vitro-Diagnostika
beschäftigt. Von der EDCA unterstützt, wurde
mit dem vierten Berlin-Brandenburger Technologieforum im Juni 2012 erstmals ein
europäisches Partnering speziell für Diagnostikunternehmen mit einer regionalen
Konferenz etabliert. Im Bereich der Lebenswissenschaften profitiert die Hauptstadtregion von einer regen Teilnahme an den
europäischen Forschungsförderprogrammen und hat an einer Vielzahl europäischer
Konsortien partizipiert; so z. B. im Mai 2012
an dem Dialogforum der Hauptstadtregion
mit der Europäischen Kommission unter dem
Motto „Bessere Gesundheit in einer älter
werdenden Gesellschaft“. Ziel hierbei war
nicht zuletzt, sich gute Startplätze bei der
Ausgestaltung zukünftiger Förderprogramme
wie Horizon 2020 und deren konkreter Nutzung zu sichern. Zusätzlich profitiert die
Hauptstadtregion auch von der unmittelbaren Nähe zu den Botschaften. Fest etabliert hat sich so etwa der bilaterale Workshop, der gemeinsam von BioTOP und der
französischen Botschaft jährlich organisiert
wird und sich im November 2012 dem Thema
„Perspectives of Systems Biology“ widmete.
www.biotop.de
Paneuropäische Open Innovation:
das Ruhrgebiet in der IMI
Die Bereitschaft von „Big Pharma“ wächst,
sich auch auf neue, kreative und transnationale Arbeits- und Kooperationsweisen wie
Open Innovation einzulassen. Ein Beispiel dieser Neuausrichtung ist die von IMI (Innovative
Medicines Initiative) mit 196 Millionen Euro
initiierte „European Lead Factory“. In dieser
haben sich sieben europäische Pharma-Unternehmen des EFPIA Verbundes (European
Federation of Pharmaceutical Industries and
Associations) mit Europas führenden medizinalchemischen KMU und akademischen Institutionen zu einer bisher einmaligen PPP
(Öffentlich-Privaten Partnerschaft) zusammengefunden. Im Rahmen dieser engen Zusammenarbeit wird es akademischen Forschern
europaweit erstmalig möglich sein, beispiellosen Zugang zu den Substanzbibliotheken
der pharmazeutischen Industrie zu erhalten.
So wird die Translation ihrer Ergebnisse in
künftige Arzneistoffe erleichtert. Auch haben
die Pharma-Unternehmen die Möglichkeit,
gegen die Substanzbibliotheken der Konkurrenten zu screenen. Das Vorhaben ist als europäische Logistik- und Lieferkette aufgestellt
und wird von den jeweiligen Teil-Konsortialführern „Medizinalchemie“ (Taros Chemicals,
Dortmund) und „High-Throughput-Screening“
(TI Pharma, Niederlande) orchestriert. Der
kooperative Arbeitsablauf sieht vor, dass die
spezialisierten KMU-Partner zusammen mit
den akademischen Vertretern neue innovative
Strukturgerüste (Scaffolds) in einer parallelen,
europaweiten Zusammenarbeit entwickeln
und die Substanzbibliotheken synthetisieren.
Im Anschluss werden die Compounds über
einen ausgefeilten Logistikprozess den beiden
High-Throughput-Screening-Zentren in Oss
(Niederlande) bzw. Newhouse (Schottland)
zugeführt. Neben der Taros Chemicals sind mit
dem Lead Discovery Center, dem Max-PlanckInstitut Dortmund und der Universität Duisburg-Essen weitere Akteure aus dem Ruhrgebiet eingebunden, welches somit seine
Bedeutung als Exzellenzstandort für innovative Medizinalchemie weiter ausbaut.
www.bioindustry.de
120
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Städtepartnerschaften:
BioRegio Regensburg
Rund um Regensburg hat sich ein starker Mittelstand im Bereich Medizintechnik, Pharma
und Life Sciences entwickelt. Amgen und
Life Technologies gehören zu den renommierten Mietern des kommunalen Technologiezentrums BioPark Regensburg. Mit
1,4 Milliarden Euro Umsatz und insgesamt
15.500 Beschäftigten hat sich die Gesundheitsbranche zu einem wichtigen Wirtschaftszweig in der Stadt entwickelt. Allein
hieraus hat sich ein internationales Netzwerk ausgebildet, in dem die Stadt Regensburg im Mittelpunkt steht. Die kommunalen
Gründer- und Technologiezentren können
mit ihren Mietern vor Ort und den Firmen im
Cluster von umfangreichen Delegationsreisen, Partnerstädten und Kooperationen der
Stadt Regensburg profitieren. So bauten der
BioPark Regensburg mit dem Biotech-Zentrum BioPôle in der Partnerschaft ClermontFerrand in Frankreich oder die Kliniken in
Regensburg mit den Hospitälern der Partnerstadt Qingdao in China enge Kooperationen
auf. Diesen Top-down-Ansatz nutzt die
Politik als Türöffner und bietet zudem ein
breites Angebot an potenziellen Kooperationsmöglichkeiten (kritische Masse).
Hieran schließt sich die wichtige Unterstützungsphase der einzelnen, fachspezifischen
Akteure vor Ort an – „man kennt sich“.
Aufgrund dieser persönlichen Beziehungen
gelingt auch die essenzielle, selektive Auswahl erfolgversprechender Projekte zum
beidseitigen Vorteil. Die technologieorientierten Cluster der Gesundheitswirtschaft,
IT- und Sensorik-Branchen haben hier in
Regensburg von der vielfältigen Form des
internationalen Netzwerkes im Zuge der
Wirtschaftsförderung der Stadt profitiert –
zuletzt durch gezielte Anwerbung von
Fachkräften im Ausland, beispielsweise in
Spanien.
www.bioregio-regensburg.de
Fruchtbare Partnerschaft zwischen
Bayern und Japan: BioM in München
Bereits ein Blick auf die zahlreichen Deals
und langjährigen Kooperationen zwischen
bayerischen Biotech-Unternehmen und japanischen Pharma-Konzernen verrät, dass
Japan für die regionale Branche beinahe
ebenso attraktiv ist wie die Pharma-Industrie in den USA. Da das Interesse beiderseitig ist, wurden die bestehenden guten
Kontakte zwischen München und der japanischen Osaka-Region im Jahr 2011 formalisiert. BioM, das Clustermanagement des
Münchner Biotech-Clusters m4, schloss ein
„Transnational Biotech & Life Sciences Cooperation Partnership Agreement“ mit dem
Osaka Bio Headquarters. Die gesamte KansaiRegion umfasst die Städte Osaka, Kobe und
Kyoto und ist aufgrund der hohen Dichte an
Pharma-Firmen, ihrer 155 Hochschuleinrichtungen (davon 66 Institute im Biotechnologiebereich) und der dortigen exzellenten
wissenschaftlichen Einrichtungen (z. B.
RIKEN) das Zentrum der japanischen Biotechnologie. Seit 2011 diente diese Partnerschaft vielfach konkret als „Türöffner“ in die
nicht einfach zugänglichen Hierarchieebenen der japanischen Unternehmen. Mehrere
organisierte Japanreisen, Partnering-Konferenzen und Messeauftritte mit bayerischen
Unternehmen sowie Gegenbesuche seitens
japanischer Pharma-Vertreter und Wissenschaftler haben zu zahlreichen und langfristigen Geschäftskontakten geführt. Derzeit
laufen mehrere konkrete Kooperationsgespräche mit Pharma-Konzernen im R&DSektor und einige Produkt- und Technologie-unternehmen berichten von deutlichen
Umsatzsteigerungen aufgrund der von BioM
koordinierten Japanaktivitäten. Zukünftig
soll diese Zusammenarbeit noch intensiver
und unbürokratischer gestaltet werden.
www.bio-m.org
ScanBalt verbindet die Ostsee:
BioCon Valley
BioCon Valley, die BioRegion Mecklenburg-Vorpommerns, fokussiert sich auf die
enge Verknüpfung von Partnern über Ländergrenzen hinweg und ist Mitgründer von
ScanBalt, dem Netzwerk aller BioRegionen
an der Ostsee. 2001 in Teschow bei Teterow
gegründet ist ScanBalt anerkannt als Modellregion der Europäischen Union für das
Gebiet Biotechnologie und Gesundheit. Die
11 Anrainerstaaten der Ostsee repräsentieren modellhaft die Herausforderungen in
der EU – von den weltweit führenden BioRegionen wie dem Medicon Valley in Skandinavien, den norddeutschen BioRegionen von
Kiel, Lübeck, Hamburg, Rostock, Greifswald
und Berlin bis zu den noch forschungslastigen neuen EU-Mitgliedern der baltischen
Staaten und Polen sowie Nordwest-Russland.
Durch die mittlerweile zahlreichen EU-Projekte im ScanBalt-Verbund gelingt es, die
Vernetzung der Branche in der Metaregion
zu verstärken und die Entscheidungsträger
in Brüssel für die Anliegen der Branche zu
sensibilisieren. Es gilt, die kritische Masse in
Forschung und Entwicklung in den Regionen
zu stärken und neue Märkte für die jungen
Firmen zu erschließen. Zu der ScanBalt
BioRegion zählen mehr als 60 Universitäten
und über 2.100 Life-Science- bzw. BiotechUnternehmen, davon ca. 700 KMU, die sich
auf Forschung spezialisiert haben. Organisiert wird die Zusammenarbeit dezentralisiert über den Bottom-up-Ansatz mit regionalen Büros in allen Anrainerstaaten. Zudem finden jährliche Treffen statt.
www.bcv.org
BioRegio STERN und BioRegioN sind Teil
des EU-Projektes IN2LifeSciences
BioRegio STERN aus dem Raum Stuttgart
und die BioRegioN aus Niedersachsen unter
Führung des BiomeTI e.V. bündeln ihre Kräfte
in einem EU-Projekt: IN2LifeSciences –
Transnational Innovation Incentives for Life
Science SMEs – unterstützt die transnationale
Vernetzung zwischen Life-Science-KMU und
Experten aus den Bereichen „Technologien“,
„Märkte“ und „Finanzen“. Im Fokus steht die
Förderung von Forschung, Entwicklung und
Kommerzialisierung neuer Produkte. Die
beiden BioRegionen haben sich mit weiteren
sechs Life-Science-Clustern aus den Ländern
Frankreich, Niederlande, Belgien und Dänemark zu einem internationalen Konsortium
zusammengeschlossen. Hauptziel des IN2LifeSciences Projektes ist es, die Zusammenarbeit über Grenzen als gezieltes Instrument
für KMU zu nutzen, um deren jeweiliges Geschäftskonzept von Anfang an besser aufzustellen. Besondere Engpässe bestehen oft
im Technologiebereich, im Zugang zu Finanzmitteln, zu Märkten und generell im fehlenden Wissen über ausländische Vertriebsspezifika und Regularien. Die internationalen
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Kollaborationen zwischen den KMU und
Organisationen werden innerhalb des Projektes mittels finanzieller Anreize auf unterschiedlichen Ebenen gefördert. Mit Veranstaltungen wie den „Technology Brokerage
Events“ oder den „Elevator Pitch Events“
werden die Unternehmen dabei unterstützt,
überregionale Technologiepartner für innovative Projekte bzw. Investoren zu finden.
Zusätzlich werden Webinare zu ausgewählten Themen angeboten. Über B2B-Events
und eine spezielle Datenbank können neue
Geschäftspartner identifiziert werden.
www.bioregio-stern.de
www.bioregion.de
Internationale Gründungsstory im
BioRiver-Gebiet: AyoxxA Biosystems
Für Pharma-Firmen sind sie selbstverständlich, für junge Biotech-Start-ups nicht: Internationale Kooperationen. AyoxxA Biosystems
hat hingegen vom ersten Tag an einen internationalen Weg beschritten. Gegründet wurde
das Unternehmen im Sommer 2010 von
Prof. Dr. Dieter Trau und Dr. Andreas Schmidt
als Spin-off der National University of Singapore, basierend auf dem sogenannten Multiplexing, bei dem mittels Chiptechnologie sehr
viele unterschiedliche Proteine in kleinstem
Probenvolumen gleichzeitig bestimmt werden
können. In Singapur gilt AyoxxA Biosystems
als hervorragendes Gründungsbeispiel. Hier
profitiert das Start-up von der exzellenten
Forschungslandschaft, dem ausgefeilten
System zur Gründungsförderung sowie dem
einfachen Kontakt zu großen Pharma-Unternehmen, die Singapur als Tor nach Asien
nutzen. Bezüglich wissenschaftlicher Aspekte
schaute AyoxxA von Singapur aus zuerst in
Richtung USA. Bereits mit der Gründung
wurde das Unternehmen in die „Singapore
MIT Alliance of Research and Technology”
(SMART) aufgenommen und gewann so
neben finanzieller Förderung einen direkten
Draht zum Massachusetts Institute of Technology in Boston. Aus verschiedenen Gründen
hat sich AyoxxA 2012 für Deutschland als
weltweiten Hauptstandort entschieden. Besonders für ein Hightech-Unternehmen ist
es zentral, ein verlässliches Zulieferernetz
aufzubauen sowie erstklassige Ingenieursfirmen für die Produktion und qualifiziertes
Personal zu finden. Zusätzlich konnte hier
bereits in einem frühen Stadium eine starke
Allianz mit Investoren gebildet werden: mit
121
Wellington Partners als Lead-Investor, der
NRW.BANK, dem HTGF, der KfW sowie Rainer Christine und Dr. Gregor Siebenkotten
als Privatinvestoren. Letztlich hofft AyoxxA
dem “Invented in Singapore & Made in Germany” mit der ersten Produktreihe der Proteinchips bald auch noch ein “Sold in the
US” hinzuzufügen.
www.bioriver.de
BIO.NRW: Internationale Netzwerke und
Kollaborationen in NRW
BIO.NRW sorgt für die Internationalisierung
des Biotech-Standorts NRW nicht nur mittels
Präsenz durch Messestände und offizielle
Sessions bei internationalen Leitmessen wie
der BIO International Convention in den USA
und der BIO-Europe, sondern organisiert
auch maßgeschneiderte Veranstaltungen
mit landeskundigen Experten. Die Regionen
im Fokus von BIO.NRW sind Indien, Japan,
China und Südkorea, in die z. B. Delegationsreisen durchgeführt werden. Zudem engagiert sich BIO.NRW im FP7-call „Bioeconomy
regions – building strategies and partnerships for global growth from Europe”. In dem
Konsortium sind Organisationen aus acht
europäischen Ländern vertreten. Auch
im Bereich der industriellen Biologie wird
die Internationalisierung vorangetrieben.
BIO.NRW unterstützt CLIB2021 durch personelle Ressourcen, finanzielle Mittel und enge
Zusammenarbeit. Das Cluster Industrielle
Biotechnologie mit Sitz in Düsseldorf agiert
international mit über 90 Mitgliedern aus
Akademie, Industrie, KMU und Netzwerkorganisationen, von denen etwa 25 Prozent
im Ausland ansässig sind. 2007 gegründet
eröffnete CLIB2021 in den Jahren 2009
bis 2012 nacheinander Repräsentanzen in
Kanada, Russland, Brasilien und Malaysia.
Die Auslandsbüros bilden dabei die Schnittstellen des Clusters in diese Regionen. Denn
der Wandel hin zu einer biobasierten Ökonomie bedarf einer globalen Zusammenarbeit, erfordert aber lokale Lösungen. Für
verschiedene Weltregionen bieten sich jeweils
andere nachwachsende Rohstoffe als Ressource an, was angepasste Verarbeitungsprozesse erfordert und unterschiedliche
Produktspektren ermöglicht. Durch sein internationales Netzwerk unterstützt CLIB2021
seine Mitglieder dabei, die jeweils geeignetsten Ansätze und Technologien zu ermitteln
und länderübergreifende Kooperationen
zu initiieren. So können durch biotechnologische Verfahren neue Prozesse etabliert
und innovative Produkte erschlossen werden.
www.bio.nrw.de
BioRN aktiviert Health Axis Europe
In der Health Axis Europe (HAE), einer strategischen Allianz zwischen den BiomedizinClustern Cambridge (England), Leuven (Belgien) und Heidelberg, startete das BiotechCluster Rhein-Neckar (BioRN) 2010 seine
Aktivitäten zur Internationalisierung. Für die
Einwerbung von EU-Fördermitteln wurde die
HAE R&D-Community ins Leben gerufen. Sie
bietet Wissenschaftlern aus europäischen
Forschungseinrichtungen und aus der Industrie die Möglichkeit, sich über eine OnlinePlattform zu Konsortien für europäische Förderprogramme zusammen zu schließen und
gemeinsam Anträge für F&E-Projekte zu stellen. Koordinatoren helfen bei der Suche nach
geeigneten Projektpartnern und unterstützen
die Wissenschaftler bei der Antragstellung.
Mit Businessplan-Wettbewerben im Rahmen
des HAE Accelerators werden innovative
Start-up-Teams in den drei Regionen der Health Axis Europe identifiziert, trainiert und
mit internationalen VC-Investoren in Kontakt
gebracht; auch über Ausrichtung eines Investor Days (HAE Expo, September 2013). Das
Engagement des Clustermanagements im
internationalen Entrepreneurship-Netzwerk
TiE (The Indus Entrepreneurs) ist eine weitere Aktivität im Sinne der Internationalisierung: Es ermöglicht den Clusterakteuren den
Zugang zu den „Emerging Markets“, so z. B.
zum indischen Markt. Seit 2011 ist BioRN
auch als Gründungsmitglied in der International Commercialization Alliance (ICA) aktiv.
Die Mitglieder, sogenannte „Innovation Intermediaries“ (Innovationsmittler) beschäftigen
sich mit speziellen Services und Hilfestellungen, die die Kommerzialisierung von Innovationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft
fördern können. Der Erfahrungsaustausch
über Landesgrenzen hinweg sowie die Anbahnung von Kooperationen stehen außerdem im Fokus der Aktivitäten. Ganz im Sinne
der Internationalisierung beschäftigen sich
die Mitglieder beim diesjährigen Forum
(International Commercialization Forum,
ICF) u. a. mit „Born Global“-Konzepten.
www.biorn.org
122
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
BioLAGO: Motor für die Life Sciences
am internationalen Bodensee
Internationalität ist in der DNA des bodenseeweiten Netzwerks BioLAGO e.V. fest verankert. Verbindendes Element des Verbunds
von Forschungseinrichtungen und Unternehmen in den Lebenswissenschaften und
der Biotechnologie ist hierbei der vierländerübergreifende Bodensee. Seit seiner Gründung vor fünf Jahren vereint das Netzwerk
Akteure über Grenzen hinweg und repräsentiert heute rund 80 Mitglieder aus Deutschland, der Schweiz, Österreich und Liechtenstein. Grenzüberschreitende Kooperationen
stehen bei den Netzwerkmitgliedern auf der
Tagesordnung; teilweise konnten diese erst
durch die Existenz der BioLAGO-Plattform
überhaupt angestoßen und realisiert werden. Insbesondere Netzwerksveranstaltungen dienen dabei als erster Zündfunken
für spätere Kollaborationen – so beispielsweise im Falle eines durch die EU und Interreg-Mittel geförderten Projekts zum „Einfluss des Erbguts auf den Verlauf und das
Therapieansprechen bei einer Brustkrebserkrankung“. Den Weg ebnete hier ein
Stammtisch des Vereins, bei dem Peter Pohl,
Geschäftsführer des Konstanzer Biotechnologieunternehmens GATC Biotech, den
Leiter des VIVIT-Labors im österreichischen
Dornbirn kennenlernte und die Idee zur Zusammenarbeit entstand. Die internationale
Ausrichtung des Netzwerks spiegelt sich auf
allen Ebenen und in allen Aktivitäten wider:
so organisiert BioLAGO jährlich z. B. eine
Finanzierungskonferenz, die abwechselnd in
den jeweiligen Bodensee-Anrainerstaaten
stattfindet. Ziel ist dabei der länderübergreifende Austausch von Unternehmen zu Unternehmen. BioLAGO ist ebenfalls Triebfeder
für den internationalen Austausch über den
Bodensee hinaus. Dies wird in dem Engagement für das Mitglied SystemsX.ch deutlich,
der größten öffentlich geförderten Forschungsinitiative der Schweiz, einem Tor für
Kooperationen mit KMU aus Baden-Württemberg. Der Systembiologie-Initiative gehören
schweizweit Wissenschaftler an 12 Hochschulen und Universitäten (Zürich, Basel,
Bern, Fribourg, Genf, Lausanne, Neuchâtel)
sowie Forschungsinstitutionen an.
www.biolago.org
Auswahl der internationalen Kooperationen und
Netzwerke deutscher BioRegionen
IN2LifeSciences:
Mitglieder des Arbeitskreises der BioRegionen
ScanBalt
Rostock
Greifswald
Wirtschaftsförderung
und Technologietransfer
Schleswig-Holstein GmbH
Bremerhaven
Hamburg
Bremen
European Lead Factory
Berlin
Hannover
Münster
EDCA
ScanBalt
CEBR
Bielefeld
Bochum
Halle
Leipzig
Düsseldorf
Aachen
Dresden
Köln
CLIB2021
Wiesbaden
Würzburg
Health Axis Europe:
Heidelberg
Regensburg
Stuttgart
Ulm
IN2LifeSciences:
München
Freiburg
Konstanz
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
123
124
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Danksagung
Die Publikation einer Branchenstudie ist das
Resultat der Zusammenarbeit zahlreicher
Personen. Neben dem Ernst & Young Team
haben vor allem auch viele externe, unverzichtbare Ansprechpartner zum Gelingen
des Reports beigetragen.
Allen voran die vielen Kontakte zu BiotechUnternehmen, die wir im Rahmen einer
globalen Firmenumfrage ansprechen und
die uns essenzielle Informationen auf vertraulicher Basis zukommen lassen. Die
wiederholt hohe Rücklaufrate der Antworten
macht uns stolz und zeigt uns, dass die
Branche unsere Erhebungen schätzt. Wir
bedanken uns hierfür herzlich bei allen Teilnehmern der Umfrage.
Ebenso informativ wie wertvoll sind die
Expertenbeiträge in Form von themenbezogenen Artikeln. Als authentische Stimme
aus der Branche sind sie für uns wichtiger
Beleg für die Richtigkeit unserer Analyseergebnisse und Trends. Allen Autoren zollen
wir unseren tiefsten Dank für ihre durchweg
spontane Bereitschaft zur Formulierung
ihrer Beiträge.
Als wesentliche Zutaten ergeben darüber
hinaus unzählige persönliche Gespräche mit
Experten aus der Branche das „Salz in der
Suppe“. Allen voran und stellvertretend bedanken wir uns bei den diesjährigen Expertenpanels, die in offener Diskussion viele
Sachverhalte interpretieren halfen und unzählige neue Ideen und Vorschläge einbrachten:
Der Erfolg des fertigen gedruckten Reports
ist aber vor allem das Produkt eines motivierten und eng verzahnten Teams im Ernst &
Young Life Science Center Mannheim. Die
Erfassung und Analyse von Informationen
und Daten aus der Life-Science-Industrie
wurde durchgeführt von Nina Hahn, EvaMaria Hilgarth, Dr. Claudia Pantke, Lisa-Marie
Schulte und Ulrike Trauth. Die teameigene
„Knowledge Platform“ ermöglicht tiefgehende Analysen, Vergleiche über Jahre
und Geographien sowie die Ableitung
solider Trends nicht nur für die vorliegende
Studie.
Eva-Maria Hilgarth war darüber hinaus für
die Koordination aller externen Beiträge
zuständig, während Ulrike Trauth für die
Gesamtabstimmung und Redaktion der vorliegenden Studie verantwortlich zeichnete.
Das Kernteam wurde ergänzt durch Georgia
Nalpantidis, die das Teilprojekt der „Biotech
in Germany“-Karte in Händen hatte.
Der besondere Dank an das gesamte Team
liegt mir persönlich besonders am Herzen –
für das Engagement, die perfekt koordinierte Teamleistung und trotz Dauerstress
stets fühlbare Freude an der Arbeit.
Nicht zuletzt gilt unser Dank auch Stefanie
Probst und ihrem Team bei magenta Kommunikation, Design und Neue Medien für
den unermüdlichen Einsatz, die unendliche
Geduld mit vielen Änderungswünschen
und Korrekturen und die professionelle Umsetzung unserer Ideen in ein optisch gelungenes Werk.
Mit diesem Bericht verfolgen wir das Ziel,
einen Überblick über aktuelle Perspektiven
der Biotechnologiebranche in Deutschland
zu geben und laufende Entwicklungen im
internationalen Vergleich zu bewerten. Es
handelt sich hierbei um einen unabhängigen
Branchenbericht ohne externe Auftraggeber.
Auf die Inhalte wurde keinerlei Einfluss durch
einzelne Unternehmen oder Institutionen
genommen.
Dr. Siegfried Bialojan
Gesamtleitung und Autor
der Studie
Nina Hahn
Eva-Maria Hilgarth
Dr. Claudia Pantke
Lisa-Marie Schulte
Ulrike Trauth
Projektteam Ernst & Young
Rainer Christine, Science to Market
Dr. Thomas Höger, Apogenix
Dr. Ingmar Hoerr, CureVac
Dr. Timm-H. Jessen, Bionamics
Dr. Wolfgang Klein, AMD Therapy Fund
Dr. Claus Kremoser, Phenex Pharmaceuticals
Dr. Karl Nägler, Gimv
Dr. Axel Polack, TVM Capital
Dr. Holger Reithinger, Forbion Capital Partners
Dr. Rainer Strohmenger, Wellington Partners
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
125
Anhang
Methodik und Definitionen
Methodik
Definition: Biotech-Unternehmen
Ernst & Young erhebt seit über 20 Jahren
Kennzahlen zur Beschreibung der Biotechnologieindustrie in den Hauptmärkten USA,
Europa, Kanada und Australien. Dabei geht
es vor allem darum, Entwicklungen und
Trends quantitativ zu erfassen und in entsprechenden Statistiken über die Jahre zu
verfolgen. Die wichtigsten Qualitätskriterien
hierbei waren und sind:
Ernst & Young analysiert in der vorliegenden
Studie Unternehmen, deren Hauptgeschäftszweck die Kommerzialisierung der modernen
Biotechnologie ist. Moderne Biotechnologie
nutzt die Gentechnik und andere molekularbiologische Verfahren zur Produktion von
innovativen Medikamenten, Diagnostika, Spezialchemikalien sowie transgenen Pflanzen
und Tieren. Ferner werden hier sämtliche
Technologien, Forschung und Dienstleistungen, die in vorgenannten Bereichen eingesetzt bzw. durchgeführt werden, eingeschlossen.
• Eine konsistente Definition der Einschlusskriterien für Biotech-Firmen (siehe „Definition: Biotech-Unternehmen“)
• Die global einheitliche und konsistente
Anwendung der Kriterien auf nationaler
Ebene
Die zugrundeliegenden Daten wurden mittels einer internationalen Befragung von
Biotech-Unternehmen erhoben und durch
intensive Sekundärrecherchen (BioCentury,
Capital IQ, MedTRACK, Thomson Reuters,
Dow Jones VentureSource, individuelle
Firmen-Webseiten) ergänzt. Die Rücklaufquote der Primärerhebung betrug etwa
40 % für Deutschland bzw. etwa 20 % für die
übrigen Länder.
Die Umrechnung ausländischer Währungen
erfolgte auf Basis kalkulierter Jahresdurchschnittswerte der jeweiligen Wechselkurse
(Quelle: www.oanda.com).
Die themenbezogenen Expertenbeiträge
wurden von externen Autoren verfasst und
stellen somit deren Meinung dar.
126
Eingesetzte Verfahren sind beispielsweise:
rekombinante DNA-Techniken; cDNA-Techniken und Biochips; Herstellung von und
Arbeiten mit Antikörpern sowie Proteinen
als Tools, Therapeutika und Diagnostika;
Tissue Engineering; Auftragsproduktion,
wenn rekombinante Verfahren involviert
sind; biologische Assays und zelluläre Systeme; Zellkulturen für Therapie und Produktion; Gentherapie und Drug Delivery; molekulare Diagnostik sowie moderne pflanzenbiotechnologische Verfahren.
Ebenfalls hinzugezählt werden Produkte
und Verfahren, die nicht im engeren Sinne
„bio“-technologisch sind, jedoch wichtige
Bausteine in der Wertschöpfungskette der
Biotech-Industrie darstellen (z. B. Bioinformatik sowie Technologien und Services im
Bereich Medikamentenentwicklung).
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Diese Studie beinhaltet im Kernsegment keine
Firmen, die sich mit klassischen Methoden
der Biotechnologie beschäftigen, also z. B.
Verfahren aus der Umweltbiologie (klassische biologische Verfahren der Schadstoffbeseitigung wie Abwasserreinigung
oder Biofilter), der Pflanzenbiologie (klassische Pflanzenzucht und Vermehrung,
Saatgutherstellung), der Nahrungsmittelherstellung (Bierbrauer) und der klassischen industriellen Biotechnologie (Fermentation / Transformationen zur Herstellung
von Antibiotika oder Feinchemikalien, klassische Enzymtechnologie). Ebenso werden
Firmen ausgeschlossen, die allein analytische Techniken einsetzen. Auch rein biochemisches Arbeiten (z. B. klassische Labor-,
klinische und genetische Diagnostik) sowie
mikroskopische Diagnostik werden nicht berücksichtigt. Firmen, die sich vorwiegend mit
gängigen Technologien der Immunologie
(ELISA und ähnliches) beschäftigen, die
Diagnostikgeräte (basierend auf SPR oder
Fluoreszenz u. ä.) anbieten, sowie Medizintechnikgeräte- und Verbrauchsmaterialhersteller sind ebenfalls nicht in die Untersuchung eingeschlossen. Ferner nicht berücksichtigt werden Firmen, die sich ausschließlich mit dem Vertrieb von biologischen
Produkten (z. B. Biochemikalien) beschäftigen oder die Biotechnologie nicht als Hauptgeschäftszweck betreiben. Damit sind auch
traditionelle Mittelstands- und Großunternehmen aus der Pharma- und Agroindustrie
ausgeschlossen, auch wenn sie mit Methoden
der modernen Biotechnologie arbeiten.
Abgrenzung zu anderen Branchenstudien
Für die statistische Analyse von Trends ist
es erforderlich, die Untersuchungsmenge
möglichst homogen zu definieren. Deshalb
hat sich eine eher restriktive Handhabung
der Einschlusskriterien etabliert.
Diskrepanzen zu Erhebungen verschiedener
nationaler Institutionen ergeben sich vorwiegend dadurch, dass diese verständlicherweise vornehmlich volkswirtschaftlich relevante Bewertungskriterien bei der Beschreibung der Branche anlegen, um eine regionale
oder nationale Leistungsfähigkeit zu belegen.
In diesem Zusammenhang tragen z. B. Niederlassungen ausländischer Muttergesellschaften
in Deutschland sehr wohl zur volkswirtschaftlichen Leistung bei (Mitarbeiter, Umsatz,
F&E-Aufwendungen, Steueraufkommen etc.);
gleichwohl zwingt eine globale Analyse – wie
sie von Ernst & Young regelmäßig durchgeführt wird – formal zur Zuordnung des Unternehmens zum juristischen Hauptsitz, um
Doppelzählungen zu vermeiden. Auch ist es
vielfach schwierig, von international tätigen
Unternehmen detaillierte Zahlen – beispielsweise zu Umsatz, F&E-Ausgaben etc. – zu
erhalten, die ihre regionalen Niederlassungen
exakt abbilden.
Das Vorgehen auf Basis einer restriktiveren
Definition hat jedoch keine Auswirkungen
auf die Beschreibung von Trends beziehungsweise auf die Detailanalysen von Finanzierungs- oder Transaktionsentwicklungen,
welche im Fokus der Ernst & Young Berichte
stehen.
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
127
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen
Tabellen
Kapitel Kennzahlen der deutschen Biotech-Industrie
Kennzahlen der deutschen Biotech-Industrie
Kennzahlen der europäischen Biotech-Industrie (börsennotierte Unternehmen)
Kennzahlen der deutschen Biotech-Industrie im Detail
Neugründungen deutscher Biotech-Unternehmen, 2011/2012
Kapitel Transaktionen
Allianzen deutscher Biotech-Unternehmen, 2012 (Auswahl)
Allianzen europäischer Biotech-Unternehmen, 2012 (Auswahl)
M&As deutscher Biotech-Unternehmen, 2012
M&As europäischer Biotech-Unternehmen, 2012
Kapitel Finanzierung
Risikokapitalfinanzierungen deutscher Biotech-Unternehmen, 2012
Risikokapitalfinanzierungen europäischer Biotech-Unternehmen, 2012 (Auswahl)
Neue europäische Fonds mit Fokus auf Life Science (Auswahl)
Börsengänge europäischer Biotech-Unternehmen, 2012
Börsengänge US-amerikanischer Biotech-Unternehmen, 2012
Sekundärfinanzierungen börsengelisteter deutscher Biotech-Unternehmen, 2012
Sekundärfinanzierungen börsengelisteter europäischer Biotech-Unternehmen, 2012 (Auswahl)
Die 30 größten Biotech-Unternehmen Europas nach Marktkapitalisierung, 2012
Kapitel Produkte
Wirkstoffkandidaten mit Eintritt in Phase I/II oder Phase II, 2012 (Auswahl)
In Deutschland zugelassene Arzneimittel mit Pflichttests für die personalisierte Medizin
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Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
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Abbildungen
Kapitel Perspektive
Tech@Translation als Treiber der Innovationseffizienz
Tech@Process als Teil der Pharma-Wertschöpfungskette
Tech@MPO zur kontinuierlichen Generierung von Produkten
Übersicht der deutschen Tech@Companies im Therapiesektor
Rx-CDx-Modell: Entwicklung eines Companion Diagnostics
Übersicht der deutschen Tech@Companies im Diagnostiksektor
Biologisierung der Industrien
Biokonversion als zentrale Plattform für die Stoffumwandlung
Engagement in präkompetitiven Kollaborationen in Europa größer als in USA
Kapitel Kennzahlen der deutschen Biotech-Industrie
Fluktuation bei deutschen Biotech-Unternehmen
Dynamik bei den Kennzahlen privater Unternehmen in Deutschland
Gewinn und Verlust privater Unternehmen in Deutschland nach Geschäftsfeld, 2012
Kapitel Transaktionen
Allianzen deutscher Biotech-Unternehmen
Allianzen europäischer und US-amerikanischer Biotech-Unternehmen
Zahlungsströme aus Allianzen an deutsche Biotech-Unternehmen
Zahlungsströme aus Allianzen an europäische Biotech-Unternehmen
Grafische Darstellung der Allianz Allergan / Molecular Partners
Upfront-Zahlungen von Pharma-Partnern, Europa und USA
Upfront-Zahlungen an europäische Tech@Companies im Vergleich
Käuferanalyse globaler Pharma-Allianzen
Käuferanalyse globaler Pharma-M&As
Das „Growth Gap“ von Big Pharma wird größer
Firepower: Abnahme bei Big Pharma, Zunahme bei Specialty Pharma und Big Biotech
Geringere Firepower führt zur Verdrängung von Big Pharma aus M&As
Kapitel Finanzierung
Kapitalaufnahme deutscher Biotech-Unternehmen
Kapitalaufnahme europäischer Biotech-Unternehmen
Kapitalaufnahme US-amerikanischer Biotech-Unternehmen
Risikokapital und Beteiligung von Family Offices in Deutschland
Risikokapital in ausgewählten europäischen Ländern
Finanzierungsquellen privater Unternehmen, 2012 (Befragung international)
Marktkapitalisierung der börsennotierten Unternehmen in Deutschland, 2012
Kapitel Produkte
Biotech-Wirkstoffpipeline in Deutschland
Biotech-Wirkstoffpipeline in Europa, 2012
Dynamik der Wirkstoffpipeline in Deutschland, 2012
Klinische Wirkstoffpipeline in Deutschland nach Substanz, 2012
Wirkstoffpipeline in Deutschland nach Therapiegebiet, 2012
Wirkstoffpipeline in Europa nach Therapiegebiet, 2012
Zulassung von Orphan Drugs bei EMA und FDA
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
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113
129
Verzeichnis der Expertenbeiträge
Kapitel Perspektive
Biotech classica – Quo vadis?
Dr. Timm-H. Jessen, CEO Bionamics GmbH, Hamburg
Zwei zurück und eins nach vorn! – A New Deal for Innovation
Dr. Werner Lanthaler, CEO Evotec AG, Hamburg
Lead Discovery Center: Skipping Biotech – Verzichtet Pharma in Zukunft auf Biotech?
Dr. Bert Klebl, CEO / CSO Lead Discovery Center GmbH, Dortmund
Eine Industrialisierungsstrategie für die weiße Biotechnologie
Dr. Holger Zinke, Gründer / CEO BRAIN AG, Zwingenberg
Von Brustimplantaten zur Textilfaser: AMSilks Produktportfolio sorgt für breites Wachstum
Axel Leimer, CEO AMSilk GmbH, Planegg/Martinsried
Interim-Management: Mit Erfahrung starten
Dr. Alrik Koppenhöfer, LSCN Ltd., Heidelberg
Life Science Inkubator – Ein Nährboden für Start-ups
Dr. Jörg Fregien, Geschäftsführer Life Science Inkubator, Bonn
Neue Meilensteine für den Technologietransfer: Ascenion
Christian A. Stein, CEO Ascenion GmbH, München
VolksparkLabs – Eine Privatinitiative zur Förderung von Life Science
Prof. Dr. Carsten Claussen, Initiator der VolksparkLabs, CEO European ScreeningPort GmbH, Hamburg
Kapitel Transaktionen
Rekordverdächtig: AiCuris erhält über 440 Millionen Euro von MSD für HCMV-Portfolio
Prof. Dr. Helga Rübsamen-Schaeff, CEO AiCuris GmbH & Co. KG, Wuppertal
Finanzierung durch frühzeitige Kollaborationen: Phenex sichert sich bis zu 123 Millionen Euro von Janssen
Dr. Claus Kremoser, Thomas Hoffmann, CEO / CFO Phenex Pharmaceuticals AG, Ludwigshafen
evocatal GmbH - The Art of Chiral Purity
Dr. Thorsten Eggert, CEO evocatal GmbH, Düsseldorf
Post Merger: Die Integration von Cellzome in GlaxoSmithKline
Dr. Gitte Neubauer, Geschäftsführerin Cellzome GmbH, eine GSK-Tochter, Heidelberg
Von Corimmun zu advanceCOR: Die personalisierte Therapie gegen Herz-Kreislauferkrankungen geht weiter
Prof. Dr. Götz Münch, CEO advanceCOR GmbH, Martinsried
Kapitel Finanzierung
Business Angels und Venture-Capital-Investoren – Nur gemeinsam stark
Rainer Christine, Science to Market Venture Capital GmbH, Köln
Honigbienen und Milchkrautwanzen überzeugen Boehringer und Novartis: Corporate Venture für AMP Therapeutics
Dr. Marc W. Hentz, Managing Director AMP Therapeutics GmbH, Leipzig
Finanzierung über strategische Investments: BRAIN AG und BBG GmbH haben Potenzial der Enzymicals erkannt
Dr. Ulf Menyes, CEO Enzymicals AG, Greifswald
Dietmar Hopp setzt auf mRNA-Technologie: Weitere 80 Millionen Euro bringen CureVac voran
Dr. Ingmar Hoerr, CEO CureVac GmbH, Tübingen
CRO Services: Ein alternatives Finanzierungsmodell?
Werner J. Langner, CATO Europe GmbH, Köln
Bayern Kapital: Venture Capital für Bayern
Andreas Huber, Bayern Kapital GmbH, Landshut
Wellington Partners IV Life Science Fund: Ja zu Biotech, aber mit hoher Selektivität
Dr. Rainer Strohmenger, Wellington Partners, München
Fördermittel kommen nicht da an, wo sie am dringendsten gebraucht werden
Sven Pirsig, Ernst & Young GmbH, Berlin
Horizon 2020: Eine Chance für die deutsche Biotechnologie
Ingrid Zwoch, Nationale Kontaktstelle Lebenswissenschaften (Projektträger für das BMBF), Bonn
Und der Kapitalmarkt bewegt sich doch: 4SC führt Kapitalerhöhung durch
Enno Spillner, CEO / CFO 4SC AG, Martinsried
Family Offices setzen auf Firmenbeteiligungen
Peter Brock, Family Office Services, Ernst & Young GmbH, Düsseldorf
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Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
6
9
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95
Kapitel Produkte
Tetravalente bispezifische Antikörper: The Next Generation
Dr. Adi Hoess, CEO Affimed Therapeutics AG, Heidelberg
CyTuVax – A Novel Vaccination Strategy Against Cancer and Infectious Diseases
Dr. Frank W. Falkenberg, CSO CyTuVax BV, Maastricht
Zusammenspiel von Physik und Biotechnologie: GNA Biosolutions
Dr. Lars Ullerich, Dr. Joachim Stehr, Dr. Frederico Bürsgens, Geschäftsführer GNA Biosolutions GmbH, Martinsried
Kapitel Biotech-Standort Deutschland
BIO Deutschland: Wichtige Maßnahmen zur Förderung innovativer Spitzentechnologie
Dr. Peter Heinrich, BIO Deutschland e.V., Berlin
Zum Umdenken gezwungen: Ein Jahr AMNOG und die Auswirkungen auf Biopharmaka-Hersteller im Mittelstand
Dr. Pablo Serrano, Geschäftsfeldleiter Forschung & Innovation / Biotechnologie,
Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie, Berlin
Ci3 Spitzencluster – Katalysator für immunologische Innovationen
Dr. Rainer Wessel, Cluster Individualisierte ImmunIntervention (Ci3), Mainz
BioRegionen in Deutschland – Best Practice „Internationale Vernetzung“ Beiträge verschiedener BioRegionen; Koordination: Dr. Klaus Eichenberg,
Geschäftsführer der BioRegio STERN Management GmbH, Stuttgart,
Sprecher des Arbeitskreises der BioRegionen in Deutschland, Berlin
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
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Glossar
ADME/PK Pharmakokinetik; Einwirkung des Organismus auf
ein eingenommenes Arzneimittel in Abhängigkeit der Zeit
AMNOG Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz
Antibody Drug Conjugate Antikörper(fragment) gekoppelt an
einen medizinischen, z. B. zytotoxischen Wirkstoff
API Active Pharmaceutical Ingredient; Wirkstoff in einem Medikament
Asset Vermögensgegenstand
Companion Diagnostics CDx; Parallel zu zielgerichteten
Medikamenten entwickelte Begleitdiagnostika, mit denen der
Biomarkerstatus der Patienten bestimmt wird
Computational Chemistry Kombination von Chemie und Informatik zur Vorhersage von Molekülstrukturen und –verhalten
Contract Research Auftragsforschung, z. B. Planung und Durchführung klinischer Studien als Dienstleistung
Corporate Unternehmen betreffend
Aut-idem-Regelung Regelung, die dem Apotheker die Möglichkeit
gibt, statt des vom Arzt verordneten Medikamentes ein wirkstoffgleiches, preisgünstigeres Präparat abzugeben
BA Business Angel; Investor, der Start-up-Unternehmen mit Kapital,
Erfahrung und Kontakten unterstützt
Back-loaded Deal Deal, bei dem ein Großteil der Zahlungen gegen
Ende der Vereinbarungszeit anfällt (z. B. in Form von Meilensteinzahlungen)
Basel III / Solvency II Neue Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften für Banken (Basel III); neue Eigenkapitalrichtlinien
für Versicherer (Solvency II)
BD Business Development; Geschäftsentwicklung
Best Practice Erfolgsmethode; bewährte Vorgehensweise in
Unternehmen
Biobetter Biopharmazeutisches Nachfolgepräparat, welches eine
Verbesserung des Originals darstellt
Corporate Investor Unternehmen, das als Investor auftritt
Corporate Venture Capital CVC; Risikokapital, das von Firmen
mittels eines eigens dafür gegründeten Fonds als Eigenkapital zur
Verfügung gestellt wird
Cross-fund Investments Investitionen in eine Portfoliofirma zu
unterschiedlichen Zeiten aus verschiedenen Funds
Crowd Financing / Crowd Funding Schwarmfinanzierung; Art der
Finanzierung, wobei eine breite Masse an Anlegern angesprochen
wird, aber jeder Kapitalgeber nur einen geringen finanziellen Anteil
trägt
Deal Vertraglich festgelegte Zusammenarbeit zweier oder
mehrerer Unternehmen mit dem Entschluss, ein bestimmtes
gemeinsames Ziel zu erreichen
Dealflow Zahl der Investmentmöglichkeiten, die Investoren
angeboten werden
Deal Sourcing Aufspüren und Evaluierung möglicher Deals
Biologicals / Biologics Mit biotechnologischen Methoden hergestellte Arzneistoffe (z. B. Antikörper)
De-risking Anlagestrategie zur Reduzierung von Risiken
Bio-Dollars Potenzieller Wert einer strategischen Partnerschaft
inklusive möglicher Meilensteinzahlungen
Drug Delivery Transport von pharmakologisch aktiven Substanzen
an ihren Wirkungsort, z. B. durch spezielle Formulierungen,
Verpackungen, Konjugate
Biosimilar Biotechnologisch erzeugtes Folgepräparat eines
Biopharmazeutikums
Drug Discovery Erforschung neuer medizinischer Wirkstoffe
Brand Heritage Werte, Rituale und Traditionen, die durch die
Verankerung einer Marke in der Vergangenheit entstanden;
häufig durch Unternehmensgründer oder Herkunftsort geprägt
Break-even-Point Gewinnschwelle, an der Erlöse und Kosten
gleich hoch sind und somit weder Verlust noch Gewinn erwirtschaftet wird
Burn Rate Geldverbrennungsrate; Geschwindigkeit, mit der ein
Unternehmen seine finanziellen Mittel verbraucht
Business Model Geschäftsmodell
CAGR Compound Annual Growth Rate; durchschnittliche relative
Zunahme einer Größe pro Zeiteinheit
Club Deal Zusammenschluss von Unternehmen zu einem
Konsortium, um Vorteile in bestimmten Geschäften zu erzielen
132
Drug Discovery Engine Technologiepalette, die zur Entdeckung
neuer medizinischer Wirkstoffe genutzt wird
Early Licensing Lizenzvereinbarung über ein Produkt in einem
frühen Entwicklungsstadium
Early / Late Stage Frühe / späte Phase in der Entwicklung eines
Unternehmens bzw. eines Produkts
Earn-Out Ein im Rahmen eines Unternehmenskaufvertrags zusätzlich zu dem Basispreis vereinbarter variabler Zahlungsbestandteil,
der in festgelegten Abständen zu leisten ist und sich in seiner Höhe
an einer betriebswirtschaftliche Bemessungsgrundlage orientiert,
wie z. B. Umsatz oder Gewinn
Entrepreneur Unternehmertyp, der mit hohem persönlichem
Einsatz sowie großer Innovations- und Risikobereitschaft eine
Firma führt
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Exit Gelegenheit für Investoren, ihre Anteile an einem Unternehmen zu veräußern
Family Office FO; Gesellschaft, die das Großvermögen einer
Familie verwaltet
JV Joint Venture; Beteiligungsunternehmen
KMU Kleine und mittlere Unternehmen
Lead Führend; verwendet auch für Hauptprodukt, Hauptinvestor
Leverage Hebelwirkung
F&E Forschung und Entwicklung
Financial Engineering Entwicklung von neuen Finanzinstrumenten
und -strategien
FIPCO Fully Integrated Pharmaceutical Company; Geschäftsmodell, das den gesamten Entwicklungsprozess eines pharmazeutischen Produkts von der Entdeckung bis zur Vermarktung umfasst
First-in-Class Drug erstes Medikament einer bestimmten Behandlungs- oder Substanzklasse
Freedom to Operate Möglichkeit, ein Produkt zu entwickeln, zu
benutzen oder zu vermarkten, ohne dass Eigentumsrechte eines
Dritten verletzt werden
Genetic Engineering Gentechnische Modifizierung von Organismen
Going Concern Unternehmen, dessen Fortbestehen für absehbare
Zeit gesichert ist
Listing Börsennotierung, Börsenzulassung
M&A Mergers and Acquisitions; Fusionen und Übernahmen
MAB Monoklonaler Antikörper
Market Pull Anforderungen an Produkteigenschaften und
Technologien, die von Kunden und Markt formuliert werden
Matching Fund Komplementäre Finanzierung, in der die Bereitstellung öffentlicher Mittel an die Einwerbung privater Gelder
gekoppelt ist
Mega-Deal Allianz oder M&A mit einem herausragenden Deal-Volumen
Mechanism of Action Wirkmechanismus, z. B. eines medizinischen
Wirkstoffs
Microarray Trägermaterial, auf dem z.B. DNA- oder Proteinfragmente aufgebracht werden; erlaubt die parallele Analyse
mehrerer Tausend Einzelnachweise in geringen Probenmengen
Glycoengineering Optimierung der physiko-chemischen Eigenschaften rekombinanter Glykoproteine hinsichtlich Stabilität und
Bioaktivität
Milestone Meilenstein; vereinbartes Zwischenziel
Grant Fördermittel; Finanzielle Zuwendung von Regierungen oder
Stiftungen, die nicht zurückgezahlt werden muss
Mode of Action Wirkungsweise, z. B. eines medizinischen
Wirkstoffs
GMP Good Manufacturing Practice; Richtlinien zur standardisierten
Qualitätssicherung von Produktionsstätten und -abläufen
mRNA messenger RNA (Boten-RNA); zu einer Gensequenz (DNA)
komplementäre einzelsträngige RNA, welche als Vorlage für die
Proteinbiosynthese dient
Health Outcome Gesundheitszustand nach einer Behandlung
iKMU Innovative kleine und mittlere Unternehmen
Imaging Bildgebungsverfahren bzw. -instrumente
Multiples Multiplikatoren; Verhältnisgröße, die anhand betriebswirtschaftlicher Kennzahlen ermittelt und u.a. zur Unternehmensbewertung herangezogen wird
Implementation Gap Umsetzungslücke
Next Generation Sequencing Nächste Generation der DNASequenzierungstechnologie
Incentivierung Motivationsanreiz, z. B. durch Steuervergünstigungen, Geld- oder Sachprämien
NK cells Natürliche Killerzellen; eine Gruppe weißer Blutzellen
Innovation Hub Umgebung, in der innovative Kräfte gebündelt
auftreten
IND Investigational New Drug; neuer Wirkstoff, der von der FDA für
klinische Studie zugelassen wurde
Omics omik; Suffix, das Teilgebiete der Biologie kenntlich macht,
die sich mit der Analyse der Gesamtheit ähnlicher Einzelelemente
befassen; z. B. beschäftigt sich die Proteomik mit der Gesamtheit
der Proteine eines Organismus
IP Intellectual Property; geistiges Eigentum
Open Innovation Öffnung des Innovationsprozesses von
Unternehmen zur Außenwelt hin
IPO Initial Public Offering; Börsengang
Open Mindset Offene geistige Haltung / Denkweise
iPS cells induced pluripotent stem cells; induzierte pluripotente
Stammzellen, die durch künstliche Reprogrammierung nichtpluripotenter somatischer Zellen erzeugt werden
Orphan Drug Medikament zur Behandlung seltener Krankheiten
Outpartnering Ausgliederung von (Teil-)Prozessen an Partnerunternehmen
IRR Internal rate of return; Interner Zinsfuß
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
133
Outsourcing Ausgliederung von Betriebsfunktionen, Abgabe von
Unternehmensaufgaben und -strukturen an Drittunternehmen
Royaltys Ertrags- und / oder nutzungsabhängige Zahlungen im
Rahmen einer Lizenzvereinbarung
Partnering Eingehen von Geschäftsbeziehungen mit anderen
Unternehmen
Rump Placement Privatplatzierung von Aktien, die bei einer
Bezugsrechtsemission nicht in der normalen Bezugsfrist platziert
werden konnten
Patient Outcome Patientennutzen; Resultat einer Therapie für
den Patienten
Scale-up Maßstabsvergrößerung von Herstellungsverfahren
PCR Polymerase-Kettenreaktion; Methode zur DNA-Vervielfältigung
Scaffold Makromolekülstruktur
PE Private Equity; außerbörsliches Eigenkapital
Secondarys Weiterverkauf von Unternehmensanteilen unter
Investoren
PIPE Private Investment in Public Equity; Ausgabe von Aktien an
einen ausgewählten Investorenkreis
Scouting Auskundschaften
Seed Gründungsphase eines Unternehmens
Pipeline Gesamtheit der in der Entwicklung befindlichen Produkte
eines Medikamentenentwicklers
Small Molecule Niedermolekulare Verbindung
Point-of-Care-Diagnostik Diagnostik, die unmittelbar am
Patienten in Praxis / Krankenstation/Apotheke durchgeführt wird
Specialty Pharma Pharma-Firmen, die sich auf die Weiterentwicklung und Vermarktung von Medikamenten spezialisiert haben,
häufig unter Verwendung innovativer Drug-Delivery-Technologien
Policy Richtlinie
Pre-money Valuation Bewertung eines Unternehmens vor dem
Erhalt einer externen Finanzierung
PE Private Equity; außerbörsliches Eigenkapital
Proof of Concept Machbarkeitsnachweis
Soft Money Einmalige Finanzierung für ein spezifisches Projekt
Spin-off Ableger (Wirtschaft); eine Abteilungsausgliederung
aus einer Unternehmung oder eine Firmenneugründung aus einer
Institution heraus
Start-up Unternehmen in der Frühphase seiner Entwicklung
Steady State Gleichgewichtszustand
Proof of Market Marktfähigkeitsnachweis
Protein Engineering Herstellung, Konstruktion und Optimierung
von Proteinen (z. B. Enzymen)
Public Funding Förderung aus öffentlichen Mitteln
PPP Public Private Partnership; Kooperation zwischen der
öffentlichen Hand und der Privatwirtschaft zur Erfüllung staatlicher
Aufgaben
R&D Research and Development; Forschung und Entwicklung
Readiness Zustand der Bereitschaft, um bei günstigen
Bedingungen handeln zu können, z. B. um Exits oder andere Transaktionen durchzuführen (Exit / Transaction Readiness)
Retail Fonds Beteiligungsfonds, der seine Finanzmittel von
Privatinvestoren einwirbt
ROI Return on Investment; Kapitalrendite; erzielter Gewinn im
Verhältnis zum eingesetzten Kapital
Reverse IPO Indirekter Börsengang, bei dem ein privates Unternehmen durch den Zusammenschluss mit einer bereits börsennotierten Gesellschaft handelbar wird
Target (Angriffs-)Ziel, auch verwendet für molekulare Zielstruktur
und Unternehmen als Gegenstand einer Transaktion
Targeted Therapy Zielgerichtete Therapie, bei der ein Wirkstoff
spezifisch mit krankheitsrelevanten Molekülen interagiert
Time-to-Market Zeit von der Idee eines Produktes bis zum
Markteintritt
Tool Technisches Hilfsmittel und Ausrüstungsmaterial zum Einsatz
in Forschung und Entwicklung
Track Record Beleg über Erfolge und Erfahrungen
Trade Sales Verkauf einer jungen Firma durch deren Management
und andere Investoren an ein Industrie- / Großunternehmen
USP Unique Selling Proposition; Alleinstellungsmerkmal
Upfront-Zahlung Zahlung, die zum Zeitpunkt einer Vertragsunterzeichnung getätigt wird (Vorauszahlung)
Value Inflection Point Etappenziel in der Wertsteigerung eines
Unternehmens
VC Venture Capital; Risikokapital
Webinar Seminar, das im Word Wide Web gehalten wird
Reimbursement Kostenerstattung
Rights Offering Zeitlich begrenztes Angebot an Aktieninhaber,
zusätzliche Aktien zu einem bestimmten (Vorzugs-)Preis zu
erwerben
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Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
Notizen
Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
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Notizen
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Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
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dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und
daher von jedermann benutzt werden dürfen.
Die Zahlenangaben und Informationen basieren auf Daten,
die im Rahmen einer Primärdatenerhebung sowie
Sekundärdatenrecherche von relevanten Unternehmen ermittelt wurden. Die in diesem Report wiedergegebenen
qualitativen und quantitativen Einschätzungen wurden mit
hoher Sorgfalt ermittelt, jedoch übernimmt der Heraus­
geber keine Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit
der Angaben.
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April 2013
Layout und Produktion: magenta – Kommunikation,
Design und Neue Medien GmbH & Co. KG, Mannheim
Assurance | Tax | Transactions | Advisory
Die globale Ernst & Young-Organisation im Überblick
Die globale Ernst & Young-Organisation ist einer der Marktführer in der Wirtschaftsprüfung,
Steuerberatung und Transaktionsberatung sowie in den Advisory Services. Ihr Ziel ist es, das
Potenzial ihrer Mitarbeiter und Mandanten zu erkennen und zu entfalten. Die 167.000 Mitarbeiter
sind durch gemeinsame Werte und einen hohen Qualitätsanspruch verbunden.
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Umdenken Deutscher Biotechnologie-Report 2013
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