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eigenart �83
pin pon
Territorium des Chaotischen
intellektuelle Bastelei
Interpassivität
klinische Philosophie
Zuhören
Schweigen
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Unser Thema s p i e l t auf e i n e n Aufschlag an, d en Aufschlag allen Handelns.­
Über die Netzgarnitur unserer Wahrnehmung flattert das Ping: Konterball!
U n d alles was zu sagen b l e i b t i s t Pong.
Ping Pong ist der Klang d e s Drangs n a c h schnellen Antworten. Aber
a u c h unsere inneren S c h l ä g e r unterliegen d i e s e r Formel, n e h m e n
an, spielen zurück. Der G a n g der Gedanken f o l g t dem P r i n z i p des H i n
und Her. So krümmt sich die Linie, wird kreisförmig, g e s c h l o s s e n .
Über d i e s e s Spiel führen wi r Buch: eine A r c h ä o l o g i e von A k t i o n
und Reaktion. Und setzten unsere K ro n e auf d en , der den Satz verfolgen
kann, den reinen Zuschauer.
1. Satz
28 Let it Be
Dennis Gärtner
53 3 Ping Pong Spieler
Hans Lichtenwagner
54 Scolyt
Marco Merkel
12 Call & Responce – rund & eckig
Thomas Düllo
42 Ping Pong
Daniela Dicks & Sebastian Häger
26 Streifzüge
Monica Nunes
32 Über Ping Pong in der ­Musik? – Ein ehemaliger
UdK-Student spielte im UdK-Konzertsaal.
Jan Baalmann
2. Satz
16 Eines Morgens Perlen­tauchen
Anna Lazarescu, Bild: Margot Chicy
38 Floating Water Lillies (2013)
Charles Dennigton
50 Willenskraft
Robert Eckstein
06 Die Ähnlichkeit zur Suppe
Lea Meyer
Inhalt
30 Cool Glasses
Tully Arnot
90 Über anschlussfähige und aufschluss­
reiche Systeme - Eine Übung Tobias Reisch, Bild: Léon Giogoli
3. Satz
84 Abhängig / Horizontalität
Judith Grohmann
76 Doppelmatch
Silke Schwarz
78 Pong als Wunder des fliegenden Pixels
Konstantin Daniel Haensch
96 Luisa Rund
86 3 Themen
Tingwei Li
60 Octavio Garabello & Eva Pedroza
83 Untitled
Frank Sievers
64 Ein Ende des Bla Bla: Kommunikationsmöglichkeiten
jenseits von Mustern?
Klaus Gasteier, Daniela Kuka, Tobias Reisch
97 Impressum
Die Ähnlichkeit zur Suppe
Lea Meyer
Mach das G en e ra t
e s r i e c h t n a c h fris c hem f i s c hfa n g
z u einem b r e i g e w o r f e n
s c h l a g e ton a u s grabmoder u n t e r
eiweiss artig s c h l a g en
e i g e l b u n d z w e i n i e ren in t e i g reiben
bis katzen dich küssen
schlage zwischen sachen und dinge hunde
schnelle hasen und termitenteile
d a n n unter die ratten eine schicht schmieröl
nerz in wild von g e s t e r n schichten
den topf schlagen bis er kaputt geht
mensch iss d i e suppe
oder nich.
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Lea Sophie Meyer
studiert Geographie
und Bildende Kunst
– Sie reist neugierig
durch die Welt, findet
Ähnlichkeiten wo es
keine gibt und zerstört
die offensichtlichen.
Suppen und PingPong
mag sie Chinesisch.
We c h s e l s p i e l
1. Satz
unmittelbare Körperlichkeit
Aktanten
Frühlingsgefühle
Streifzüge
Sommer­p hobie
Swingende Notwendigkeit
Protestbewegung
hypnotischen A b fo l g e
Ping-Pong-D i p l o m a t i e
Beschleunigungsinszenierungen
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Te m p o ­w ec hsel
Call & Responce – rund &
eckig Thomas Düllo
In den Salons Mitte der zwanziger Jahre tut es die Wiener Gesellschaft
und trägt dabei feinstes steifes Tuch und polierte Schuhe – wie in
Heimito von Doderers Roman Die Dämonen. Der Bebop-Pianist und
verquere Komponist Thelonious Monk (Round Midnight) tut es
in den fünfziger Jahren gelegentlich vor seinen Auftritten im schwarzen Anzug und mit einer bizarren Pelzmütze – eine von Monks ver-­
rückten Kopfbedeckungen. Selbst auf dem windigen Achterdeck des
Luxusliners Nadir tun sie es in den neunziger Jahren: der litera­rische
Journalist und Lebensweltethnograf David Foster Wallace und ein Mitglied der Schiffsbesatzung. Sie alle spielen das, was dem höflichen
„Erbsenkleinkind aus Mandala“ seinen Namen gab in der asiatisierten
Episode von Jim Knopf und Prinzessin Li Si: „Ping Pong“, wie das
zweiunddreißigste Kindeskind von Herrn Schu Fu Lu Pi Plu 1 heißt, dessen Kopf so klein ist wie ein Tischtennisball.
Die Erstgenannten frönen alle der kleinsten Ballsportart. Beim
Kickern, beim Minigolf sind es eher Kugeln als Bälle – im Grunde gilt
das auch für Golf: denn ein Golfball ist doch eher eine Kugel als ein Ball!?
Ping Pong spielt man aber mit Bällen. Bälle sind innen hohl, Kugeln
voll – in der Regel. Der Ping Pong-Ball ist superleicht, aber hart. Er hat
seinen eigenen, windanfälligen Flug und seinen eigenen, plöpplöpp­
artigen, fast perkussiven Ton. Und rund ist er. Deshalb wohnt ihm wie
allen Bällen und allem Runden ein ewiger Anfang inne, wie Francois
Jullien schreibt: „solange noch nichts eine sichtbare Form angenommen
hat [...], führt man den Lauf der Dinge in die <Rundheit>; wenn sich
dann erste Anzeichen abzeichnen, geht man mit der Situation in <eckiger> Weise um. [...] Anders gesagt, man muss <rund> sein, bis sich
die Situation aktualisiert, und <eckig>, wenn sie sich aktualisiert.“ (Jullien:
Über die Wirksamkeit) Und auch hier will das Runde ins Eckige wie
beim Fußball, sprich auf die Tischplatte. Und das zweimal, also Ping
und Pong. Volleys sind nicht erlaubt, nur Netzroller. Wie bei vielen
Ballsportarten mit einem Gegenüber, wo die Gegner ein eigenes Terrain haben, gleicht das Spiel strukturell einem Frage-Antwort-Spiel.
Auf den Aufschlag folgt der Return und so weiter. Und am besten immer fort, bis einer nicht mehr retournieren kann. Den Ball im Spiel
halten, und zwar einmal mehr als der Gegner, das ist das Gesetz. Quasi das letzte Wort behalten. Aus dieser Situation gewinnen Spiel­
filme aberwitzige Beschleunigungsinszenierungen. So in Forrest Gump
mit Tom Hanks (je einfältiger der Ping Pong-Spieler, um- so maschinenhafter sind die Returns automatisiert; welch einfältige Überlegung);
so in Balls of Fury mit Christopher Walken und Dan Fogler im Geiste der Martial-­A rts-Filme. In beiden Filmen wird trick­t echnisch das
1 http://de.wikipedia.org/
wikiJim_Knopf _und_Lukas
_der_Lokomotivf%
C3%BChrer#Herr_Schu_
Fu_Lu_Pi_Plu
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Frage- und Antwortspiel so überdehnt, dass es eigentlich
nur noch darum geht, den Ball immer im Spiel zu halten, es nie
zu beenden. Der ewige Anfang ohne Ende. Doch sind solche
Szenen schnell langweilig, auch weil sie die Platte, das Eckige,
verlassen. Interessanter sind andere Weisen, das Tischten­
nisspiel in anderen Kontexten fast phänomeno­logisch aufleuchten
zu lassen.
Beiläufige Dekonzentration: Spielreden
So in Heimito von Doderers monumentalem Epochenroman über
1926. Gespielt wird im Salon – wie Billard oder Bridge. Ein
„Tischtennis-Fünfuhrtee am Samstag“, genauer ein „Tischtennis-­Herren-Tournier“, bei dem dann doch die Frauen mitmischen und die Umstehenden Small-Talk betreiben oder die politische Großwetterlage sondieren, die zwischen 1926/1927 in
der Tat einen Umbruch signalisiert, nicht nur in Wien. Spielen
und Reden sind dabei von einer wechselseitigen Beiläufigkeit und dekonzentrieren sowohl den Ernst des sportlichen Wettbewerbs als auch des politischen Raisonnierens. En passant
wird „Geschichte als die Wissenschaft der Zukunft“ ausgerufen
und über die Verflechtung der Metall- und Holzverabeitungs­
industrie mit der Politik nach 1914 gestritten. Das Ping Pong-­Turnier gleicht hier einer „Plenarversammlung“ und einer heiteren diskursiven „Geselligkeit“. Vielleicht ist damit ein Grund angestimmt, warum Ping Pong sich zum Spielreden eignet und
man Tischtennisplatten in manchen Instituten, Kneipen oder Agenturen findet. Es können Bälle und Gedanken fliegen. Ein
beiläufiger Gedankenaustausch beim Einspielen kann sich schon
mal bis zur Stunden strecken, erst dann geht es ans Punkte­
machen.
Thomas Düllo lehrt als
Kulturwissenschaftler im
Fachbereich „Verbale
Kommunikation“ der
Gesellschafts- und
Wirtschaftskommunika­
tion. Vor seiner Professur
an der Universität der
Künste Berlin forschte
und dozierte er in
Magdeburg und Münster
in den Studiengängen
Angewandte Kulturwissenschaften und Cultural
Engineering.
Ensemblebildung: Spielgerät, Spieler und Raum
Ein Schiffsstuart und der literarische Reporter David Foster
Wallace spielen Tischtennis auf einem Luxusliner, deren
­merkwürdige Erlebniswelt Wallace ethnographisch beobachtet
und beschreibt. Beide sind Ping Pong-Spieler von semipro­
fessionellem Kaliber und „beherrschen das Tischtennisspiel
mit jener schlafwandlerischen, zenmäßigen Sicherheit, dass
fast der Eindruck entsteht, der Ball spielte mit uns statt wir mit
dem Ball, so direkt und automatisch kommen die Hecht­
sprünge und Pirouetten, die Schmetterbälle und dramatischen
Rückhand-Konter in letzter Sekunde – vollendete Harmonie
zwischen Hand und Auge und Killerinstinkt, aber ganz ohne
nachdenken, sodass wir uns daneben noch unterhalten
können.“ (Wallace: Schrecklich amüsant ­– aber in Zukunft ohne
mich). Was Menschen so können! Volle Konzentra­tion
aufs Spiel, aber doch eher zen­buddhistisch. Eine automatische
Maschine, die dabei Freiheit zur Unterhaltung gewinnt.
Das ist eine Kombination aus der Beatnik-Vision von der Verbindung von Spiritualität und unmittelbarer Körperlichkeit
mit Bruno Latours symmetrischer Anthropologie, die von der
Ensemble­werdung von Mensch und Ding träumt, den beiden gleichberechtigten Aktanten des Handelns. Hier handelt
der Ball so sehr wie die Spieler – auf Augenhöhe.
Ping Pong metaphorisch eins: Stereo
Aufnahme- und wiedergabetechnisch findet Ping Pong seinen Widerpart in den sechziger Jahren: im Stereo-Prinzip
vor allem der Pop-, Rock- oder Beatmusik. Voraussetzung ist
eine Stereoanlage mit zwei Lautsprecherboxen, die zumeist erst Ende der Sechziger die Musikzimmer der Jugendlichen zierte – oder ein Kopfhörer. Das Call & ResponsePrinzip, fundiert im Wechselgesang der afro­a merikanischen
Gospelmusik (Sweet low, sweet chariot), des Blues
(Worksong), des Jazz (respondierende Bläsersätze im Swing
und Ruf & Antwort in der Improvisation des Free Jazz)
oder später des HipHop (Battle-Rap), wird ­durch das StereoPrinzip in ein technisches Prinzip verwandelt. 1958
schreibt der Spiegel, als i m September die ersten Stereoplatten auf den Markt kommen: „So klingt Stereo, das
Ergebnis jahrelanger Studien unserer ­Ton­i ngenieure. Jetzt
wird Musik so gehört, wie wir sie im Konzertsaal hören.
Ein Wunder wurde wahr!“ (Spiegel 40/1958) Von „räumlicher
Durchsichtigkeit“ und „Naturtreue“ ist die Rede und vom
Ping Pong-Effekt: „Achten Sie darauf“, wird ein Branchenvertreter zitiert, „links – rechts –­Ping – Pong ... Sie können
dank Stereo den Ort des Aufschlags feststellen, Sie können
die Schallquelle orten.“ Das gilt zunächst für klassische
Musik­aufnahmen und für Hörspiele sowie Disneys Fantasia
(1940), wird aber erst in der zweiten Hälfte der Sechziger
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zum Muss in der Popmusik. Dem Pophörer, vor allem dem Prog­rockhörer, schien nichts avangardistischer als das dual verteilte
Hören der Instrumente und Stimmen, am liebsten im mehr­fachen
Wechsel der Kanäle (Sweet Smokes Just A Poke; Pink Floyd, Yes).
Die große B’s der Sech­ziger – Beatles, Beach Boys und Byrds – haben
vor den Progrockern das Stereo-Ping Pong zum Klangsignum
ihrer Zeit gemacht. Zunächst als Optimierung des räumlichen Hörens gedacht, wurde das Stereo-Prinzip bisweilen zum Fetisch.
Die Kristallisation der politischen und gesellschaftlichen Systeme
im Kalten Krieg der Nachkriegszeit entspricht dieser Fixierung
auf das Duale genauso wie seine Überwindung, denn die Töne wandern beim Ping Pong-Stereo ja von links nach rechts und umgekehrt.
Ping Pong metaphorisch zwei: Schreiben nach dem Call &
­Responce-Prinzip.
Auch lassen sich Bücher nach dem Ping Pong-Prinzip schreiben. Es
gibt ja gute Vorbilder für die Doppelautorenschaft (Alexander
Kluge + Oskar Negt; Gilles Deleuze + Felix Guattari; Karl Marx +
Friedrich Engels). Etwas tiefer gehängt versuchen Franz Liebl
und ich uns darin immer wieder. Einer macht den ersten Aufschlag,
der andere retourniert. Und so weiter. Auch beim Redi­gieren. Die
unterschiedliche Sprachspielstile müssen dabei ja nicht getilgt werden. Es gilt vielmehr die alte textspieltheoretische Maxime: im
Spiel gerät man unter die Gemeinsamkeit einer Sache. Wenn man so
eine Gemeinsamkeit im Differenten, zum Beispiel anlässlich
einer langweiligen Konferenz, vermisst, ist es immer gut, eine freie
Tischtennisplatte in seiner Nähe zu wissen. Wie in Klagenfurt vor
zehn Jähren, als Daniela Kuka und ich (beide damals noch nicht GWK)
die Tischtennisplatte am Wörther See nicht mehr freigeben wollten und im Rhythmus des Klackklack und der angeregten Unterhaltung den Weg in den Tagungssaal kaum noch zurückfinden wollten. Wir hielten den Ball lange im Spiel. Wer spielt mit uns in der UdK/
GWK wieder – zwischen und nach den Seminaren?
Schweißbäche rinnen an Stirn u n d R ü c k e n herab. D i e Luft
ist so schwül, dass man sie trinken kann. Zu ­träge sie abzu­
wischen, s p ü r e ich w i e s i e sich i m Stoff meines Hemdes versickern. Die Haare s i n d feucht, die S c h r i t te s c h w e r f ä l l i g ,
ein unangenehmer Z u s t a n d . Trägheit und eine Lähmung des
Ve r s t a n d e s . N i c h t s außer e i n Vi b r i e ren i n d e r Luft,
die Schwingungen a n d e r e r Lebe­wesen, die w e l l e n a r t i g a u f branden und s i c h w i e d e r zurückziehen. Ich sende zurück.
Eine dicke f e t t e Wand der Abwehr. Z u h a u s e a n k o m m e n ,
das i s t alles w a s ich will. Ich h a b e keine L u s t a u f euch.
Auf i r g e n d j e m a n d e n . E s riecht nach C r e m e und heißem
A s p h a l t u n d meine U n t e r h o s e s c h e u e r t nervend im
Schritt.
Ein weißer Ball rollt auf den We g und bleibt vor meinen
Füßen stehen. Ich bin versucht daran v o r b e i zu l a u f e n , a b e r
Eines Morgens Perlen­tauchen
Anna Lazarescu, Bild:
Margot Chicy
das dazugehörige K i n d versperrt mir den Weg. Fragende Augen,
k l a r u n d unverblümt. Glatter K o p f , kurze Hose, reine H a u t .
Wie Porzellan, s o als habe sie ke i n e Poren und keine H ä r c h e n .
D i e Bewegungen d e s Kindes s e h e n e i n wenig s t a r r a u s .
Ic h k a n n nicht s a g e n , o b e s ein J u n g e oder e i n M äd c hen
i s t , b e i d e Attribute ­s c h e i n e n auf dem Gesicht vorhanden u n d doch i n e x i s t e n t . D a s K i n d b l i c kt m i c h weiter
an und gi b t einen L a u t v o n s i c h . O d e r es ko m m t m i r
nur s o vor. E s hört sich an wie ein „ P o c “. D i e S o n n e brennt
m i r auf den Nacken u n d schließlich laufe i c h weiter, ohne
e i n Wort z u sagen. Ic h bin i m m e r h i n zu nichts verpflichtet.
Das Kind bleibt einfach stehen.
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Der S c h l ü s s e l fällt zwischen meinen f e u c h t e n Händen hindurch,
mein S c h l i p s erstickt mich. G e r e i z t reiße ich Kraw a t t e und
Tü r auf, werfe meine S c h u h e in e i n e Ecke, h a s t e z u m K ü h l s c h r a n k . Tzs c hh. In großen gierigen Schlucken trinke ich Bier
aus der D o s e . Prickelnde Wohltat. Meine Au g ­ä p f e l fühlen sich
geschwollen a n u n d ich drücke d a s k ü h l e Metall dagegen
bis ich spüre, d a s s sie sic h in ihre H ö h l e n z u r ü c k z i e h e n . Es
Anna Isabella
Lazarescu studiert im
letzten Semester im
Master Kulturjourna­
lismus an der UdK.
Sie erschafft und liebt
Kunst aller Art und
hat einen unstillbaren
Hunger nach Kultur
und Schönheit in all
ihren Formen. Ständig
verliebt in das Leben
und angezogen vom
Licht, schlägt sie ihre
Wurzeln tief in die
pulsierenden Adern
Bukarests und Berlins.
Sie interessiert sie
sich besonders für die
asiatische Kultur, das
Kino und die Literatur.
Schreiben ist ihr
Lebensinhalt.
ist e i n ganz n o r m a l e r S o m m e r t a g. Wi e jeden Sommer b i n
i c h allein – meine Liebschaften v e r f l i e g e n zeitgleich mit s e i n e r
A n k u n f t . Sie w e r d e n i m m e r s e l t e n e r, ich i m m e r e i n ­
s i e d l e r i s c h e r . S o als würde mein Körper die Lust am B a l z e n
verlieren, p ra l l t j e d e r Flirt und j e d e r Versuch d e r Kommu­
nikation an mir ab. Die Hitze w i r k t s i c h a u c h negativ a u f meine
Libido aus. Und nicht nur d a r a u f. I c h falle i n e i n e A r t emotio­nale Starre, e i n e n Unmut einer Zweisamkeit gegenüber, die fast
s c h o n a n Ekel g r e n z t . I c h h a s s e S o m m e r l i e b e n . Zu
k l e b r i g, zu intensiv. I c h k a m damit noch nie z u r e c h t . M e i n e
Zunge wird jeden Sommer s c h we r. Mein Kopf leer. Da ist nichts,
w a s i c h d a g e g e n s a g e n oder t u n k ö n n t e .
Während a l l e meine B e ka n n t e n ihre Partner mit an d e n
S t r a n d brachten, ins Eiscafé, a n s M e e r , war ich immer alleine
u n d a u c h zufrieden so. E s i s t n i c h t so a l s w ä r e ich g e r n e
e i n s a m , Gesellschaft schadet n i c h t , d o c h kann ich auch
nicht behaupten, dass eine meine Beziehungen jemals den E i n b r u c h
des S o m m e r s ü b e r l e b t hätte. Es endet einfac h, s o als
würden jegliche Energien und Gefühle aus uns heraus f l i e ß e n . U n d
dann sind sie e i n f a c h w e g . J e d e E i n z e l n e von i h n e n .
Ohne ein K o m m e n t a r . E i n Schulterzucken r e i c h t mir meist um
d a r ü b e r h i n we g z u k­ o m m e n . I c h habe noch n i e versucht
j e m a l s eine meiner Verflossenen z u k o n t a k t i e r e n . E s w a r
einfach normal, d a s s sie ve rs c hwa n d en sobald d i e H i t z e
kam. Die Beziehung hatte schon davor begonnen, wie f l ü s s i g e s
Wachs z u ve rd a m pfen . Ich schmeiße m i c h a u f die Couch
u n d t r i n k e mein B i e r leer.
Meine dritte Freundin sagte immer zu mir, dass ich ab­­hängig
von R o u t i n e sei. Wenn ic h s i e nicht e i n h i e l t e , würde ich
stinkig werden.
V i e l l e i c h t h a t s i e recht. Aber für m i c h s i n d e s e h e r
R i t u a l e , ohne die ic h m i c h nicht v o l l s t ä n d i g f ü h l e . Im
­ om­mer lasse ich unter der D u s c h e kaltes W a s s e r über meinen
S
Körper g l e i t e n , wasche d e n S c h m i e r des Ta g e s ab. E s
prasselt m o n o t o n u n d beruhigend. Kein Vibrieren u n d Aufwogen,
keine a b g e f e u e r t e n Aussagen a u f d i e man r e a g i e r e n
m u s s . Alles w i e i m m e r . U n d doch…normalerweise b i n i c h
n i c h t mehr g e r e i z t sobald i c h mein B i e r habe u n d unter
der Dusche stehe. Klamm u n d e ke l e r r e g e n d h ä l t e t w a s an m i r
fest. E s mac ht m i c h schwindelig. I c h denke a n g e s t re n g t
darüber n a c h , w a s e s s e i n k ö n n t e und ob ich noch etwas zu
erle­digen habe. Poc, t ö n t e s i n meinem Kopf. Ein G e r ä u s c h ,
als würde jemand seine Fingerknöchel knacken lassen.
Die letzte Frau, d i e m i t mir z u s a m m e n war, hatte zu mir
g e s a g t , dass ich e i n f a c h viel zu v i e l i n d i e D i n g e r e i n
­i nterpretierte. M i r ausmalte u n d v o r s t e l l t e , w a s e s gar nicht
gab. Deswegen wäre ich a u c h nicht in d e r L a g e eine ­Beziehung zu f ü h re n , w e i l ich nie gab, s o n d e r n immer nur n a h m und
darauf Hirngespinste aufbaute, wie m e i n e Sommer­p hobie.
E s ist a b e r keine P h o b i e , sonder einfach meine Art.
Als i c h aus der Dusche s t e i g e , muss ich ihr b e d i n g t recht
g e b en . V i e l l e i c h t bildete i c h mir w i r k l i c h was e i n . Denn
e i n e g ro ß e S c h i l d k r ö t e s t a r r t m i c h a u s trägen Augen aus
dem Waschbecken a n . Ich blinzle. I m m e r noch da. D i e Sc hildkröte bewegt ihre H i n t e r b e i n e langsam hin und her. I c h nähere
m i c h und sehe, dass sie Ei e r l e g t . Glibschige, r u n d e , weiße
kleine E i e r, d i e alle mit e i n e m sanften „Pic“ i n den Abfluss f a l l e n .
Eins nach dem a n d e r e n in e i n e r fast hypnotischen Abfolge.
Die Schildkröte sieht mich unberührt an, macht w e i t e r . Mir fällt
auf, dass sie z i e m l i c h weiß ist, a u s g e w a s c h e n irgendwie, als
hätte j em a n d ihr d i e Farbe weggenommen. Pic.P i c . Pic. Ich s e t z e
mich n a c k t auf d i e Fensterbank u n d sehe ihr dabei zu, w i e
sie E i e r legt. Ei n e eigentümliche Ruhe befällt m i c h . I c h folge den Eiern
m i t Blicken den Abfluss herunter. Pic. P i c . Sie w e r d e n n i e
schlüpfen, denke i c h . Die Schildkröte g r ä b t und g r ä b t mit ihren
Füßen in dem Porzellanbecken, o h n e Erfolg auf e i n e g rö ß e r e
Ö ff nu n g.
Ich streife mir einen dünnen Bademantel ü b e r, g e h e langsam
r a u s , zum Kühlschrank. I c h n e h m e mir ein Bier und laufe
d a m i t wieder z u r ü c k . I c h lasse die Dose absichtlich laut zischen
und w a r t e auf e i n e R e a k t i o n der S c h i l d k r ö t e . S i e s i t z t
u n b e w e g t da und blickt m i c h an, während s i e legt. Pic P i c P i c .
Mir wird langweilig. Ich g e h e ins Wohnzimmer, soll sie doch. Poc.
Ich drehe m i c h u m und hinter mir steht das Kind vo n der
Straße. Es sieht mich an. Ich s te l l e mein Bier auf den Tisch u n d
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setzte m i c h a u f das Sofa. Ich k a n n nicht beschreiben, o b d a s Kind
tat­sächlich vo r mir steht oder doch eher h i n te r m i r. Es s c h e i n t
überall gleichzeitig z u s e i n . I c h fühle mic h unangenehm beobachtet,
beschließe m i r nichts anmerken zu lassen. Soll e s doch. Mir egal.
P i c . P o c . P i c . P o c . P i c . P o c . Erst d a s s a n f t - ­­­f e u c h t e Geräusch der
fallenden Eier und d a n n das t ro c ken -helle v o n knackenden Knoc hen. Das K i n d h a t keine A u g e n b r a u e n , bemerke i c h , a l s es
p l ö t z l i c h v o r m i r steht mit der Schildkröte u n t e r d e m A r m .
„Danke“, sagt es. U n d dann läuft es a u s dem Apartment, schließt
die Tür h i n t e r s i c h und is t verschwunden. Ich k a n n m i c h nicht
b e w e g e n . E i n e Weile sitze i c h einfac h da und tue g a r nichts. E s
dunkelt. Ich bin z u faul a u f z u s t e h e n und wüsste a u c h nicht was
ich machen s o l l t e , we n n i c h es dann g e t a n h ä t t e . Konzentrieren
kann ich mich auf n i c h t s u n d was zu t u n , habe ich a u c h n i c h t .
Letztendlich strecke ich ein Bein aus u n d drücke mit m e i n e m Zeh
den K n o pf d e r Stereoanlage. The F i r e m a n mit „Bison“ laufen an.
Ich g e h e i n s B a d , schaue i n d e n A u s g u s s d e s B e c k e n s . E r ist
voller Eier. Sie s i n d i n der D u n k e l h e i t g u t zu e r kennen. E i n
S c h i m m e r liegt d a r ü b e r und fa s t s i e h t es so a u s , als würden sie
von Innen leuchten. M e i n Mund ist trocken. Ich t r i n ke Wasser aus
dem Hahn. Dann fische i c h e i n E i aus d e m R o h r. Es f ü h l t sic h
merkwürdig weich u n d warm a n . Tr o p i s c h , oder so w i e sich
tropisch a n f ü h l e n m u s s . Der S c h ut z f i l m d a r a u f bleibt auf der Haut
k l e b e n u n d zieht f a s t s o fo r t ein. Ich ro l l e das Ei auf meiner
Handfläche hin u n d h e r . Poc.
Zerdrückt l i e g t e s zwischen meinen Fingern. M e i n Herz rast
von dem Gefühl d e r d u r c h b r e c h e n d e n Schale, der we i c h e n
M a s s e , die nachgibt u n d sich dann ü b e r m e i n e Hand v e r t e i l t u n d
zu B o d e n t r o p f t . I c h fühle m i c h w i e ein Mörder, auch we n n
kein S c h i l d k­ r ö t e n b a b y zwischen d e r Schale u n d d e m D o t t e r z u
e r k e n n e n ist. Nur Wasser. Vorsichtig rieche ich daran. Ein salziger
Geruch steigt in m e i n e Nase und ohne Nac hzudenken s t re c ke i c h
d i e Z u n g e n s p i t z e in das Nass.
M e i n e vorletzte Freundin hat immer gesag t, i c h s e i vi e l z u
lethargisch. Ich würde n i e wa s u n t e r ­n e h m en , hätte keine I n i t i a t i ve. I c h würde v o r m i c h h i n l­­ e b e n , bis i c h an m e i n e r eigenen
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L a n g e w e i l e i n e i n en Z u s t a n d d e r A p a t h i e v e rf i e l und alle damit w e g e k e l t e .
Vielleicht h a t t e s i e r e c h t . T h e F i r e m a n t ö n t
i m m e r noch d u r c h die Wo h n u n g , als i c h einen
Kübel m i t Eis fülle. Ich baue das Wa s c h b e c ke n r o h r a b
und l a s s e die Eier a u f das Eis f a l l e n . D a n n g re i fe
ich rein und vermische alles gut. Einige der E i e r z e r p l a t z e n und ich s e h e zu w i e sich die Flüssigkeit daraus
auf d e n W ü r f e l n verteilt, s i e dadurch k l a re r werden lässt.
I c h h o l e m i r noch ein Bier und l e g e m i c h damit i n s
Bett. D e r Kübel steht neben mir auf dem Boden. Zwischen
d e m E i s s i n d die w e i ß e n Eier gut z u erkennen. S i e
sehen a u s wie große Perlen. Mondlicht s i c k e r t durch die
Vorhänge, die sich s a n f t in d e r warmen Zugluft w i e g e n . Ic h t r i n ke m e i n Bier l a n g s a m a u s, bis d e r Zeiger
meines Weckers Mitternacht ü b e r s c h r i t t e n hat. P i c .
Pic, Pic. I s t er d u r c h d i e Dunkelheit zu h ö ren . Jetzt bin ich
35. Seit e i n e r M i n u t e 3 5 . E s f ü h l t s i c h a l l e s a n
wie vorher.
Eine meiner Freundinnen meinte mal, i c h würde g a n z
alleine bleiben. Ve r b i t t e r t und v o l l ko m m e n von der
Welt vergessen. Ich h a t t e gerade meinen 2 8 t e n Geburtstag u n d sie hatte sich sehr viel Mühe gemacht, eine Feier
f ü r mich zu organisieren. Damals hielten m e i n e Beziehungen
noch ein S t ü c k i n den Sommer hinein und zeichneten
sich d u r c h d i e besondere Hartnäckigkeit m e i n e r Partner
a u s . Als heimkam, ich arbeite als Ver­käufer i n e i n e m
G e b ra u c h t wa g en h a n d e l , war es s c h o n ziemlich spät,
da e i n Kunde s i c h mit der Abholungseines Wagens v e r s p ä t e t hatte u n d dann a u c h noch einige Hunderte zu wenig
Geld dabei hatte, w e s w e g e n er n o c h m a l zur Bank
l i e f. Ic h war g e r e i z t u n d hatte ihr s c h o n Wochen vorher
gesagt, dass i c h nichts unternehmen w o l l t e . A l s ich
i n s Haus k a m , s t a n d e n dort v i e r L e u t e a u s u n s e re m
­g emeinsamen Bekanntenkreis, d re i d a v o n m i t Partnern
u n d ließen Konfetti a u f meinem Kopf n i e d e r reg n en und
Wu n d e r t ü t e n p l a t z e n . D e n ganzen Abend ließ ich
f a s t schwei­- g e n d über mich e r g e h e n . Als wir im B e t t
lagen, f i n g m e i n e F r e u n d i n a n über meine U n d a n k -
b a r ke i t herzuziehen. D a s s ich a l l e unhöflich behandelt hätte
u n d keinerlei Spaß a n d e r Sache gehabt h ä t t e . Sie hätte
umsonst Ku c h e n gebacken, ich h ä t t e eine Gabel genommen und
i h n d a n n stehen lassen. Da ic h n i c h t a n t w o r t e t e , verließ sie schweigend d a s H a u s . Ich s a h s i e n i e w i e d e r.
V i e l l e i c h t hatte s i e r e c h t und ich würde wirklich alleine
bleiben b i s an mein Lebensende. Aber b i s jetzt fiel mir das gar
nicht s c h w e r.
Das K i n d lieg t ü b e r mir, als ich d i e A u g e n wieder aufm a c h e . Es i s t noch dunkel im Zimmer. E s sitzt a u f meiner
Brust und blickt mich stumm an, eine Hand sanft auf meine Schult e r g e l e g t . Poc. E s beugt s i c h über mich und kommt n a h
an mein G e s i c h t . Studiert mich. I c h l a s s e es gewähren. Seine
B e r ü h r u n g fühlt sich s e l t s a m k ü h l und ­b e r u h i g e n d a n .
Poc, Poc. Poc. Es f ä h r t mit den F i n g e r n über m e i n e Lippen u n d
öffnet mir m i t ein w e n i g mehr Druck a l s e r w a r t e t den
Mund, z i e h t meine Zunge h e r a u s. Seine Hand schmeckt salzig. Es
d r ü c k t die Zunge zwischen den F i n g e r n zusammen, s p ü r t
d e n Widerstand und lässt e t w a s locker.
„Sprache.“, s a g t es nur u n d schüttelt l a n g s a m den Kopf.
Poc. Poc. P o c , m a c h t e s , a l s das K i n d meine Z u n g e zwischen den Finge r windet, als hätte es n o c h nie eine g e s e h en .
Keine Spur von S c h w ü l e m e h r im Z i m m e r. D i e L u f t ist
sauber und k l a r. Der Mond steht h o c h am H i m m e l . Keine
Falten und kein einziges H a a r sind a u f d em G e s i c h t des
K i n d e s z u sehen. B l a u g r ü n e , w i m p e r n l o s e Augen mustern
mich. Ich frage mich, wie es in mein Bett gekommen ist, denn
der Dielenboden quietscht b e i jedem Schritt laut, s o d a s s i c h
es gehört hätte, noch bevor es d a s Zimmer betreten hätte.
Po c . Das Kind greift neben s i c h . Pic. Es lässt ein Schildkrötenei i n meinen n o c h geöffneten Mund f a l l e n . E s l ä c h e l t
und schließt m i r d e n Mund. „Aufnahme“, sagt es und schnappt
i n d e r L u f t nac h unsic htbaren Pa r t i ke l n , w i e ein Fisch
und kichert dann - e i n seltsames L a c h e n , wi e d u r c h Wasserschichten verzerrt. Es streichelt meine Stirn, mich durchfährt
e i n e angenehme K ü h l e . Poc. Poc. P o c . I c h schlucke, o h n e es
z u m e r k e n , d a s E i h e r u n t e r . An einem S t ü c k . D a s
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Kind sieht zufrieden aus. D a n n ö f f n e ich wieder den M u n d ,
diesmal von alleine.
Meine erste Freundin, war unglaublich geduldig. M i t m i r,
mit a l l em . Ic h war 22. Sie war 2 1 . Mit ihr konnte i c h reden.
Über d i e Welt, über Mitmenschen, über Tiere, Essen, über Autos
und ü b e r Fernsehsendungen, die wir b e i d e moc hten.
Sie hörte sich immer alles a n , lächelte s a n f t u n d wies m i c h
auf andere interessante Aspekte, d i e ich nic ht b e d a c h t
hatte, hin. Irgendwie v e r s t a n d e n wir u n s . S i e liebte Fruchtsorbet und war i m m e r w i l d d a r a u f s c h o n w e l c h e s z u m
Fr ü h s t ü c k zu essen. Gemeinsam fuhren w i r in d e n Urlaub.
Der E i n z i g e, d e n i c h seitdem mit e i n e r Fra u g e m a c h t
habe. Wi r hatten wenig G e l d und eine kleine Pension i n der
Nähe d e s Meeres gefunden, d i e ein enges aber gemütliches
Zimmer fü r uns hatte, das direkt ü b e r einem k l e i n e n Hobbyraum lag, der e i n en K i c k e r, eine Tischtennisplatte u n d
eine D a r t s c h e i b e hatte. Wir s p a z i e r t e n abends l a n g e
a m Strand, bohrten die F ü ß e t i e f i n den Sand u n d b e o b a c h t e t e n w i e die M öw e n ü b e r dem Wasser i m m e r weniger
wu rd en , j e d u n k l e r es w u r d e . Sie liebte es mit i h r e n
Sohlen z u fühlen, wie die H i t z e d e s Ta ges a u s dem S a n d
w i c h . S i e v e r l o r sich i n d e r W e i t e d e s Meeres, ihre
Gedanken wa n d e r ten an Orte, d i e ich nicht erreichen konnte.
Ich war mir nicht mal s i c h e r , ob ich sie verstanden hätte.
Ic h sah ihr zu und unterbrach sie n i c h t , während sie in diese
Pausen versank u n d weit weg von mir zu r ü c k e n schien.
Sie hatte Som mersprossen auf dem Rücken u n d roch nach
Sonnenblumenkernen. W e n n wir i n der Pension ankamen,
w u s c h ich ihr die Füße vorsichtig um sie nicht mit dem S a n d
zwischen i h r e n f e i n e n Zehen z u k ra t z en . Sie s a ß a u f
dem R a n d der To i l e t t e , während ich v o r ihr im Schneidersitz
m i t einem w a r m e n Wa s c h l a p p e n über ihre Fü ß e f u h r ,
bis alle K
­ örner w e g waren. Sie schwieg, lächelte und genoss
aus vollen Zügen. Wie u m s i e a u s der T r a n c e zu holen,
begann ich a m Schluss ihr B e i n entlang z u kü s s e n , b i s w i r
gemeinsam im B e t t l a n d e t e n u n d miteinander schliefen,
während unter u n s leise und monoton d a s P i c -Poc P i c - P o c
eines Ping Pong Balles z u hören war. Ab und zu w u r d e e s
von zueinander geworfenen Worten unterbrochen. Pic-Poc. Wo r t P i c , Wort-Poc. Wir l i e b t e n u n s jeden A b e n d auf d i e s e
Weise. Einen M o n a t später, w a r sie weg. Es w a r noch f r ü h , ich
w a r zum S u p e r m a r k t an die E c k e gegangen, um d o r t
frisches F r u c h t s o r b e t zu h o l e n u n d s i e am B e t t d a m i t z u
überraschen. D e r ­H i m m e l war s t r a h l e n d b l a u . Es würde
ein h e i ß e r Ta g w e r d e n . Als i c h zu H a u s e a n k a m , s t a n d die
Wohnungstür offen. Ich wunderte mich, aber dachte, dass ich sie
v i e l l e i c h t beim G e h e n nicht richtig z u g e m a c h t h a t te. Ihre
B e t t s e i t e war noch warm, die La ke n zerwühlt. Ich g i n g ins
Bad, s i c h e r, d a s s sie s c h o n aufgestanden und duschen war.
N i c h t s . I c h wartete den ganzen Tag, sie k a m n i c h t zurück.
Ich hatte nie eine Num mer von ihr g e h a b t , oder eine A d r e s s e .
Irgendwie h a t t e n wir zueinander gefunden u n d miteinander
gelebt - s c h o n n a c h z w e i Tagen war s i e zu m i r gezogen. I c h
h a t t e ihren Namen, aber i m Telefonbuch w a r er nicht ve r­
z e i c h n e t . I c h w u s s t e , dass s i e Studentin g e w e s e n war, die
U n i v e r s i t ä t a b e r w i e d e r abgebrochen hatte. I c h wusste,
d a s s si e i n e i n e m Geschäft für Duftöle u n d Cremes arbeitete.
Aber n i c h t w e l c h e s . I n der ersten Wo c h e suchte i c h alle
L ä d e n dieser Art ab, aber n i r g e n d s kannte man sie. Vielleicht
war es auch nicht ihr richtiger Name g e w e s e n .
„Wie ein S p i e l , hin u n d her…“, sagt das Kind und schiebt
m i r ein neues S c h i l d k r ö t e n e i z w i s c h e n die L i p p e n .
E s streicht m i r die H a a r e aus dem Gesicht und s i e h t z u , wie
ich erneut s c h l u c ke . Plötzlich bricht eine We l l e der Schwermut ü b e r mir zusammen. Das Kind tätschelt m e i n e Wange und
gibt mir noch ein E i . „Lass raus. Wie ein S p i e l . H i n und h e r.
Sprache geht h i n u n d h e r . Wort geht hin und h e r. Gefühl geht
h i n und her. Vo n Herz zu H e r z “, sagt e s. Einige T r ä n e n
laufen m e i n e Wange h i n a b . F r e m d k ö r p e r , d i e Fu r c h e n auf
meiner H a u t zurücklassen. P i c . P o c . I c h f ü h l e wie sich
m e i n e Kehle zuschnürt, meine Br u st heiß w i r d und ein riesiger
K l u m p e n in m i r entsteht. Das Kind streicht m i r zuversichtlich
d e n Kopf und gi b t m i r ein Ei nach d e m a n d e r e n z u e s s e n .
Die Eier fliessen k ü h l e n d meinen Hals h i n a b, bis sich d e r
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Klumpen w i e d e r auflöst. „Fallen lassen.“, s a g t das Kind u n d
s t r e i c h t mir ü b e r die Augenlider. Kleine, zarte Finger. Noch
e i n Ei. P i c . Po c . P i c . Po c . „Sich e i n l a s s e n a u fe i n a n d e r. W i e
ein Spiel.“ Ich s c h l u c k e ein l e t z t e s Mal. E i n letztes E i .
P i c . Die kühlende H a n d des K i n d e s l i e g t über meinen Augen,
wie Seide. D a s Brennen h ö r t auf. P o c . I c h atme t i e f e i n ,
alles aus. Lasse los.
Als ich a m nächsten Tag aufwache, s c h e i n t d i e S o n n e
s c h w a c h . Das E n d e d e s Sommers naht.
The s e r i e s Streifzüge (started in 2 0 1 0 ) c o n s i s t s i n
­v a r i o u s p i c t u r e s m a d e f ro m p hys i c a l i n t e r v e n t i o n s
­p erformed onto chosen locations. These are ranging
f ro m t h e m o s t s u b t l e , u n n o t i c e a b l e c h a n g e s , to c l e a r
reconfigurations o f t h e p l a c e . T h e p i c t u r e itself i s
t h e r e s u l t o f a m i x t u r e o f t h e c h o s e n place, w i t h a l l i t s
­c h a ra c te r i s t i c s, the c h a n g e s p e r fo r m e d t o i t a n d t h e
Streifzüge Monica Nunes
a c t u a l f ra m i n g.
Monica Nunes ist im
Hin und Her der Entstehung
diese Heftes leider verschollen gegangen. Auf das
ihr das nicht während
ihrer Streifzüge passiert.
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Let it Be Dennis Gärtner
Glenn Cowan, ein 18 Jahre junger Hippie, reis te 1971 als Teil der a me ­r i kan is c hen Tischtennis-Nationalmannschaft zur We l t m e i s t e rs c h a f t nach J a p a n . Als er morgens etwas verpeilt von s e i n e r Unterkunft in den Mannschaftsbus steigen wollte um z u m Turnier zu
gelangen, fand e r sich auf einmal im B u s der chine­s ischen Nationalmannschaft wieder. Der Fa h re r s c h l i e ßt die Tür, fährt zügig los
und Glenn Cowan schaut in die verunsicherten Gesichter d e r c h i n e s i s c h e n S pi e l e r. Das Verhältnis z wi s c h en den USA und China
ist in diesen Jahren außerordentlich s c h l e c h t und dazu kam die A n o rd n u n g von O b e n , dass d i e c hinesis c hen Sportler weder mit
Amerikanern sprechen sollen, ihnen die Hand schütteln oder sich mit
i h n e n fotografieren lassen dürfen.
Doc h Zhuang Ze d o n g, d re i fa c h e r We l t m e i s t e r und eine Art
Manns c haftssprec her, geht auf Glenn C owa n zu und sag t:
„O bwo h l die a m e r i ka n i s c h e Re gi e r u n g nicht freundlic h g eg enü b e r
China wa r, sind die Mens c hen in Am e r i ka immer die Freunde
der Chinesen gewesen. Um diese Freundschaft auszudrücken, m ö c h te
ich dir dieses Geschenk machen.“ Er überreicht d e m Amerikaner
ein Bi l d auf Seide, das er in seiner Tasche gefunden hatte. E s kam ihm
passender vor, a l s seine M a o - M ü t z e.
Glenn Cowan nimmt dankend an und überreicht ihm im G eg en z u g i n der H a l l e, vo r a l l den Fotografen, ein S h i r t m i t der Aufs c hrift „ Le t I t Be“ und einem Friedenszeichen.
Und dann nahm die Sac he an Fahrt a u f : die Fotografen d r ü c k t e n ab, das Foto erschien in den M e d i e n , Mao sah es und nahm es
zum Anlass die Amerikaner z u einem Freunds c haftsspiel einzu­l aden.
Weitere Reisen amerikanischer Po l i t i ke r folgten und schließlich
kommt a u c h 1972 N i xo n zu B e s u c h , die sog. Ping-Pong-Diplomatie
nimmt ihren lauf, ausgelöst durch eine freundliche, menschliche Geste.
Dennis Gärtner lässt
es nicht sein, sondern
geschehen.
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Cool Glases (2012)
Tully Arnot
A pair of glasses carved from a single cucumber. Each day of the
exhibiton the work was remade.
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Tully Arnot (b. 1984,
Australia) studied Visual
Arts in Klasse Gregor
Schneider. His work explores
the relationships we have
with objects, using subtle
alchemical shifts of material
and form to rethink everyday
experiences.
Eigentlich ist es e i n Leic htes, d a s Motto d i e s e r eigenart-­
Ausgabe a u f d i e Musik zu ü b e r t r a g e n : Da s We c h s e l s p i e l
v o n einzelnen Instrumenten oder Stimmen, die sich im Orchester oder i m kammermusikalischen Kontext die M e l o d i e n hin
und her spielen, das Wechselspiel vo n laut und leise, schnell
und langsam, Moll und Dur – all d a s l i e ß e sich unter dem Leitbild ‚Ping Pong’ betrachten. H ä t t e d e r Dirigent eine PingPong-Kelle a n s te l l e eines Zauberstabes in der H a n d , es stände
ihm sicher nicht schlecht z u Gesicht. Oder z.B. der Wettstreit
der beiden S o l o i n s t r u m e n t e im Doppelkonzert: ein echter
‚Ping Pong’-Fight! Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass das
Wo r t Konzert vom lateinischen concertare abstammt, was wetteifern o d e r kämpfen – entweder g e g e n e i n ­a n d e r oder auch
miteinander – bedeutet.
Ein Einschub. Passend z u m Thema lateinische Wortherk u n f t : Wussten Sie, verehrte Leserinnen und Leser, d a s s das
Wort Kommilitone von commilitio = Kriegskamerad kommt? Das
Über Ping Pong in der Musik?
– Ein ehemaliger UdK-Student
spielte im UdK-Konzertsaal.
Jan Baalmann
Wort wurde im Lateinischen nahezu ausschließlich im militärischen Kontext g e b ra u c h t .
Einmal, 1997, als die Kom militoninnen u n d K o m m i l i t o n e n
mal w i e d e r auf dem Kriegspfad w a re n und im Zuge d e r
größten bundesweiten P r o t e s t b e w e g u n g s e i t 1968 e i n E n d e d e r Unterversorgung d e r U n i v e r s i t ä t e n forderten, mischte
e i n P h y s i k - S t u d e n t mit seinen P rot e s t l i e d e r n ordentlic h
m i t . So k o m p o n i e r t e dieser Student z. B. den Streik­-
song, über den er später s a g e n wird: „der Ti te l i s t n i c h t wirklich originell, aber man weiß wenigstens gleich, w o r u m e s
g e h t “, und spielte ihn unter a n d e re m a u f einer Kundgebung
am Wi t t e n b e r g p l a t z , d e r s o „rappelvoll war mit Studenten,
das s man den A s p h a l t nicht mehr sehen konnte. D a s war w i e
Woodstock!“ Diese künstlerische Erfahrung schien ihm so gut
gefallen zu h a b e n , dass er einige Zeit s p ä t e r von Phy- z u Musik wec hselte und ein Lehramtsstudium an der H d K begann.
Auch hier engagierte er s i c h mit seinen Liedern hochschul­politisch. Im Zuge d e r Namensänderung von HdK z u U d K
s c h r i e b er ein L i e d , in dem es im ersten Re f r a i n z . B. heißt:
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„Sie war als Uni wohl z u unbekannt.
Drum h a t man uns’re Uni umbenannt
in – traurig, a b e r wahr! –
UdK.“
U n d an anderer Stelle:
„ Au ß e r d e m k o m m t n o c h dazu,
d i e s e r Wechsel a u f U
ist voll t e u e r !
Auf j e d e s HdK-Formular
muß n u ’ ein U a n s t a t t H
- w i e bescheuert!
Bitte, lieber H d K - D e k a n ,
w i r w o l l e n u n s e r H wiederham’!
(Denn) w a s wär’ d i e H d K
ohne H ? “
Es f o l g e n ein r a s a n t e r Karriereaufstieg, CD-Ve r ö ff e n t l i c h ­
u n g e n u n d u n d u n d … M e i n e sehr verehrten Leserinnen
Jan David Baalmann ist
MA1-(StR)-Student
mit Hauptfach Klavier im
1. Semester.
u n d Leser, ich bemerke gerade, dass ich ein wenig v o m
Thema abgekommen b i n . E s s o l l hier ja e ig en t l i c h um ‚Ping
Pong’ in der Musik g e h e n . Also: Dieser Artikel h a t keine
S t u d e n t e n p ro t e s t e, sondern zwei Konzerte, die a m 8. und
9. Dezember des ve rga n g en en Jahres im Konzertsaal der
UdK in der Fa s a n en s t ra ß e 1 stattfanden, zum An l a s s. Auf
d e r B ü h n e standen d a s C a p i t a l D a n c e O r c h e s t r a
u n t e r der L e i t u n g des Geigers David C a n i si u s und – einige
mögen es s c h o n erraten h a b e n – d e r ehemalige U d K S t u d e n t : B o d o Wartke.
D i e meisten, die ihn kennen, ke n n e n i h n vermutlich
alleine a u f der B ü h n e sitzend, entweder ein Flügel oder
Klavier neben sich s t e h e n d oder den Stofflöwen Carl a l i a s d i e
S p h i n x a u f d e r H a n d haltend. Das We c h s e l s p i e l mit
der S t o ff p u p p e und vor allem mit dem K l a v i e r beherrscht
B o d o Wartke meisterlich. M a l singt er a l l e i n e , m a l e r ­klingt nur das Klavier, meist a b e r singt und s p i e l t er gleichzeitig und dabei kommt beste Unterhaltung heraus.
Im Dezember g a b es nun also, groß angekündigt, e i n e n
neuen konzertübergreifenden Spielpartner, das C a p i t a l
Dance Orchestra. E s wurde ein Wechsel- und Z u s a m m e n s p i e l der besonderen und bemerkenswerten Art, s a h man doch
den s o n s t durch den Flügel in seiner Bewegungsfreiheit
eingeschränkten Solokünstler plötzlich tanzen und springen,
als hätte er nie etwas a n d e r e s getan.
Ich habe Herrn Wartke gefragt, was denn d i e Vor- und
Nachteile vom Musizieren in s o großer Runde seien und ich
lasse es mir nicht n e h m e n seine vollständige Antwort hier a bd ru c ken zu lassen:
„Mit Orchester kann ich all d a s machen, w a s ich immer
schon mal m a c h e n w o l l t e , zum Beispiel Tanzen!
Das geht natürlich nicht oder nur sehr ein ges c hränkt,
wenn i c h am F l ü g e l sitze.
U n d ich k a n n die Geschichte, die ich einem Lied
e r z ä h l e, ganz anders präsentieren. Im Duett mit
Melanie Haupt, zum Beispiel, haben wi r bei „Frühlings­g efühle“ szenisch und s c h a u s p i e l e r i s c h ganz
andere Möglichkeiten, wenn wir nicht am Klavier sitzen,
sondern frei und frontal z u m Publikum s p i e l e n .
U n d apropos P u b l i k u m , auch meine P r ä s e n z
v e r ä n d e r t sich. Ic h genieße d a s, wenn die ganze
Bühne zur Spielfläche w i r d und d e r Kontakt zu d e n
M e n s c h e n im S a a l , aber a u c h z u m Orchester
hinter mir, intensive und bisher ungekannte Qualitäten
entwickelt.
Mit Orchester k a n n ich bestimmte Lieder in d e r
Stilistik präsentieren, in der si e e i g e n t l i c h gedacht
w a r e n . „Architektur in Deutschland “ i s t so ein Lied.
D a s O r c h e s t e r wird zur Po l i z e i ka p e l l e und das
Lied erhält die Klangfarbe, gerade durch die Blechbläser,
d i e ich mit einem Flügel so nicht h e r vo r r u fen kann.
Und dieses Schwelgen in unterschiedlichen Klangfarben
von S o n g zu Song ist durch die Vi e l f a l t der Instrumente möglich und das ist was Besonderes.
N a t ü r l i c h ist die Beschränkung - d i e j a nu r
eine scheinbare ist - auf d e n Flügel und in der
Solo-P rä s e n ta t i o n auch spannend. Das Lied „ B e t t i n a “
zeichnet sich dadurch aus, dass ich a l l e drei Ins t ru mente selbst spiele und meine Ta n z e i n l a g e n g a n z
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reduziert und n a h a m F l ü g e l stattfinden. Umgekehrt
ka n n ich mit Orchesterbegleitung e b e n t a n z e n und
d a l i e g t zugleic h ein N a c h t e i l . „Befreit“ v o m
Flügel si n g e ich n u n m e i n e n Text tanzend vorm Mikro fon und stelle f e s t , dass mir doch g e l e g e n t l i c h
eine Textzeile nicht sofort einfällt. Das l i e g t a m Körpergedächtnis. I c h lerne Text ja nicht nur mit dem Kopf!
Die Zeilen und Verse sind auc h ganz klar an Bewegungen
und unterschiedliche Körperhaltungen gebunden, die
ich so nur am Flügel mache.
Ein ganz k l a r e r Nac hteil ist der, dass ganz viele
Verabredungen getroffen w e r d e n müssen. Das Lied
„ I c h t r a u mich n i c h t “ h a t z u m Beispiel viele Te m p o ­
wechsel und p l ö t z l i c h e Einsätze, die dramaturgisch
begründet sind. Spiele i c h dieses L i e d alleine, setzte ich
alle Punkte nach Belieben. Mit einem Orchester heißt
das aber: lange Proben, aufeinander achten, gleiches Timing erarbeiten und p u n k t g e n a u landen. Wenn das
Timing auch ohne Blickkontakt stimmt, s o geschehen a m
Sonntag, dann i s t d a s n a t ü r l i c h s e h r beglückend,
Teil eines Klangkörpers zu sein, der s o perfekt harmoniert.“
D a s Publikum belohnte diesen perfekten Klangkörper mit s te h en d en O v a t i o n e n und a l s Z u ga b e gab es dann doc h n o c h
e i n Stück am K l avi e r.
Die zwei Abende waren ein we i te re r Höhepunkt i n dieser
steilen Sängerkarriere und zudem eine Rückkehr an den O r t , an
dem er 1 9 9 9 m i t dem G e w i n n des Bundesgesangswettbewerbs
einen seiner ersten E r f o l g e feiern d u r f te: „Immer wenn
ich d e n Saal betrete, h a b e ich schöne Erinnerungen. [ ... ] Ich
h a b e m i c h r i c h t i g s c h ö n versungen, a u s g e r e c h n e t i n
der Finalrunde, trotzdem oder vielleicht auch deswegen bin
i c h auf d e m 1 . Platz gelandet.“
E s war eine Rückkehr zu den Anfängen s e i n e r Laufbahn.
Auch einige We g g e f ä h r t e n , die ihn i n s e i n en Karriereab­sichten bestärkt u n d gefördert hatten, wie s e i n e n früheren Klavierlehrer und den damaligen Dekan, t r a f er wieder: „Das war
jedes Mal ein ‚ g r o ß e s Hallo!’“
2005 brach Bodo Wa r t ke sein Studium an der UdK a b, weil
sich nicht mehr leugnen ließ, dass seine Zukunft nicht i n der
Schule, sondern i n d e n Theatern der R e p u b l i k und sogar ü b e r
deren Grenzen hinaus liegen wü rd e.
Dass er seine ehemalige Universität aber n i c h t vergessen
hat z e i g t sich auch in seinem neuen Bühnenprogramm, in
d e m er auch noch mal a u f die Namensumbenennung e i n g e h t .
S t a t t UdK sollte die Universität, an d e r ja vornehmlic h
‚E-Musik’ (für ernste Musik) u n d weniger ‚ U - M u s i k ’ ( f ü r Unterhaltungsmusik) vermittelt wi rd , b e s s e r EdK h e i ß e n .
Fü r alle, denen dieser Humor zusagt, seien seine A u f t r i t t e w ä r m s t e n s empfohlen; diejenigen, die besonders
an dem Wechselspiel zwischen dem K l av i e r ka b a re t t i s t e n u n d
dem Swingorc hester interessiert sind, haben die Möglichkeit
das „beswingte E n s e m b l e “ a m 21., 22., 23., 24. oder 25. Oktober
2013 im Admiralspalast an der Fr i e d r i c h s s t ra ß e z u erleben.
Die „Swingende Notwendigkeit“ wird also fortgesetzt, der ehemalige UdK-Student wird w e i t e r für Fu r o r e s o r g e n , d e r
Vorverkauf hat bereits gestartet.
Foto: N. Martensen/ T. Klapsch
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KEIN
MONOTONER
POP
Sven, Berlin
Plastic ball, gouache, cardboard, fans, power adaptor, glue.
In my practice I am often looking at ways of changing one material in a crucial way, so that it exists as something else. In
changing one raw material or object to become another thing
I become aware of the poetic nature - of the elemental process - of materializing an artwork from an everyday material. I
may cut circular holes in a yellow towel so that it resembles
a towel pretending to be a piece of Swiss cheese. A real piece of
popcorn may be mechanized to hop skip and jump. Floating
Water Lillies uses this idea similarly to make a cardboard box
produce an airflow for levitation. A ping pong ball is floating
Floating Water Lillies (2013)
Charles Dennigton
almost like a secondary artwork, by being displayed in mid air
by this box. This work was originally created for an exhibition
titled Birdbath hence the decision for the impressio­nistic water
lillies to be depicted on the ball. The ball becomes a floating
painting, as an nonchalant take on the expansion of painting, turning and bobbing as though it is a tiny planet earth. https://
vimeo.com/57328235 38
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I am an Australian Artist
currently living and working
in Berlin. I explore the
ways that abbreviated forms
can appear to symbolize a
whole being or a whole
object. To further extend
upon this world of the depiction of parts of things, I like
to change existing matter
through a transmutative process so that an object exists
with a new function, and
as a surprise to our perception or the world around us. 2. Satz
Scripted Reality
Zettelkasten
a b s o l u t e Kommunikation
Paradoxon
Ähnlichkeiten
große Irritationen
Computersysteme
freien Willen
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kompetitiven Raum
Territorium des Chaotischen
Interpassivität
Zuhören
Schweigen
Papiermaschine
Das Ping lebt vom Pong, das Pong vom Ping. Keines der
beiden Elemente ist isoliert das, was es in der Sym­
biose mit dem anderen ist. Dem liegt aber kein additives
Prinzip zugrunde, denn PingPong ist mehr als die
Summe seiner Teile. Das kleine, partikulare, treibende
Etwas liegt versteckt im Prozess und mag sich nicht
offenkundig offenbaren. Eingehüllt in ein Mäntelchen
des Schweigens und Verbergens entzieht es sich un-
Ping Pong Daniela Dicks &
Sebastian Häger
serer kognitiven Wahrnehmung und wird dadurch zur
personifizierten Mystik: Alles, was uns bleibt, ist
eine Spur, die uns immer schon voraus ist.
So wie Emmanuel Lévinas unser Verhältnis zu
dem anderen, dem Fremden beschreibt, lässt sich
auch unser Verhältnis zum Symbiose-Prinzip des PingPong beschreiben. Wir bewegen uns innerhalb eines
möglicherweise uns bekannten Rahmens; wir kennen möglicherweise die Gesetzmäßigkeiten dieses Gebietes,
wir können versuchen, uns darauf einzustellen, Pläne zu
schmieden, auf Prozesse in diesem Raum einzuwirken.
Wir können versuchen, Ähnlichkeiten zu erkennen oder
die Bewegungen innerhalb des Gebietes zu kartographieren. Aber die Spuren des Ping und des Pong entziehen sich unserer Kontrolle. Sie sind das Ergebnis
ihrer gegenseitigen Wechselbeziehung, Aktion und Reaktion gepaart mit der Komponente des glücklichen Zufalls. Das Paradoxon ihres Verhältnisses zueinander besteht darin, dass sie kompetitiv und harmonisch zugleich sind und sein müssen: Die Runde wird eröffnet,
der Ball wird gespielt, mit dem Ziel, einen Punkt zu
erzielen, neue innovative Bahnen zu nehmen. Gleichzeitig muss aber das Harmonische bewahrt bleiben, um
die Gesamtkonzeption nicht zu gefährden. Jede Aktion
am Ping hat direkten Einfluss auf die von Pong und
nicht zuletzt auf das PingPong, sodass sich ständige
Kontextverschiebungen vollziehen.
Die Arbeiten sind a ls das Resultat von einem PingPong von Bildern zu begreifen. Die Vorderseite macht
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den Aufschlag und betritt mit der Rückseite einen kompetitiven Raum,
in dem am Ende keine Sieger, sondern das symbiotis c he Neue
hervorgebracht wird – mit Licht als Netz, das die beiden Seiten, Welten, das Ping und Pong zunächst trennt und dann in einer Rekon­
struktion vereint. Dieser Prozess liegt für den Betrachter im Verborgenen; Die Entität Licht wird zum Gehilfen in der Suche nach Spur
und Wa h r n e h m u n g. Jedwede Erwartung, die wir an dieses nicht-statische System stellen, verflüchtigt sich in der Spur ihrer selbst.
Das Netz im PingPong bricht mit unserem Habituellen und manövriert
uns erneut in ein Territorium des Chaotischen, das von seiner verselbstständigten, uns nicht greifbaren Ordnung zehrt.
Die Bilder dekonstruieren und rekombinieren die beiden Seiten
einer Magazinseite, sodass etwas neues Unvorhersehbares und
Tiefschichtiges entsteht: Das PingPong par exellence, ohne dem Ping
oder Pong das kompetitive Element genommen oder das Harmo­
nische überhöht zu haben. Das Mystische besteht in der Abwesenheit
von Anwesendem. Licht verhilft dem vermeintlich zufälligen Cha­
otischen zur Präsenz. Die Bilder sind in gewisser Weise eine Hommage an das Gesamtkunstwerk als Ergebnis von mehr als Ingre­
dienz plus Ingredienz – von mehr als bloß Ping+Pong.
Daniela Dicks studiert
Gesellschafts- und
Wirtschaftskommunikation
im vierten Master-Semester
an der UdK. Schreiben und
Berlin in allen Facetten das sind ihre Leidenschaften.
Sebastian Häger studiert
GWK im 6.Semester an der
UDK. Er interessiert sich
für Massenmedien und alternativen, visuellen Zugängen
und Lesarten dieser.
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Sebastian Häger studiert
GWK im 6.Semester an der
UDK. Er interessiert sich
für Massenmedien und alternativen, visuellen Zugängen
und Lesarten dieser.
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Der h a r t n ä c ki g e M a n n w e i ß , dass e s nur darum g e h t , einen
Willenskraft
Robert Eckstein
f e s t e n Willen z u haben (und ihn d a n n lang g e n u g durchzu­
halten), um so das zu e r r e i c h e n , was man erreichen will. Da g i b t
es nichts weiter, auch ke i n e i rg e n d wi e g e a r t e t e n Geheim­
nisse. Er kniet s i c h nieder, beugt d e n Oberkörper v o r, bis sein
Gesicht e i n e Handbreit von dem Stein entfernt i s t – einem
etwas länglichen, abgerundeten grauen Stein – und spricht ganz klar:
Da.
Er fixiert den Stein mit s e i n em Blick, bohrt seine Au g e n in j e d e
k l e i n e U n e b e n h e i t und versucht, ihn g a n z zu erfassen, eine
absolute Kommunikation aufzubauen, d a m i t der Stein sic h, von
i h m e i n e H a n d b r e i t entfernt, in eine Erweiterung seiner selbst
ve r w a n d e l t . Es ist M i t t a g und d i e Brise mildert d i e Kraft der
Sonne. M i t Bedacht öffnet e r wieder d i e Lippen:
! Da.
Er h a t „Da“ g ewä h l t , weil er immer gehört hat, dass Kinder d a s
a l s erstes sagen. Es ist der Ausruf, mit dem sie die Eltern über­
raschen, die leichteste S i l b e, um mit dem S p r e c h e n zu beginnen.
Da.
Der S t e i n s c h w e i g t weiter. Der hartnäckige Mann lächelt. Er
gibt sich nicht leicht g e s c h l a g e n , w e n n sich Steine ihm quer
i n den We g legen o d e r sonstige Widrigkeiten auftauchen. A l s e r
sich das Ziel gesetzt hat, dem Stein das S p r e c h e n beizubringen, w a r i h m k l a r , d a s s es keine l e i c h t e Aufgabe sein würde.
Er weiß, dass die Menschen über jahrhundertelang die verba­len M ö g l i c h ke i t e n d e s Mineralreiches u n te rs c h ä t z h a b e n und
dass es vielleicht das erste Mal seit vielen Jahren i s t , dass
ein n ü c h t e r n e r Mens c hen vo n A n g e s i c h t zu Angesicht vor
einen S t e i n s i t z t u n d ve r s u c h t , diesen zu S p r e c h e n z u
bringen. Ein schwieriges U n t e r n e h m e n k ö n n t e m a n meinen.
Da –,
drängt der hartnäckige Mann. Der Stein s c h w e i g t . Der Mann
wirft f ü r einen M o m e n t d e n Kopf nach h i n t e n , u m i h n aber
s o fo r t erneut vorzubeugen b i s das Gesicht zehn Zentimeter vo r
d e m Stein ist:
Da da da da da da da. Da!
Keine Antwort. Der Mann lächelt wieder, streicht über s e i n K i n n ,
r i c h t e t seinen Oberkörper a u f, s t e h t auf, holt e i n e Schachtel
Z i g a r e t t e n aus d e r Tasche , n i m m t sic h eine Z i g a r e t t e aus
der Schachtel u n d z ü n d e t s i e an. Wä h r e n d e r so r a u c h t ,
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Robert Eckstein, 28,
studiert den Master der
GWK an der UdK –
als schwärmerischer
Wahrheitssucher hat er
das erklärte Ziel von der
Langeweile zur Muße
vorzudringen.
beobachtet er den S t e i n . Wi e k a n n er den Ko n ta kt herstellen?
Wie mit i h m kommunizieren? M i t den Fingern s c h n i p p t er
die Zigarette g e g e n e i n e n Baum u n d stürzt sich (wie eine L ö w e
auf seine Beute) auf den Stein und s c hreit:
DAAA!!!
D i e Gleichgültigkeit d e s Gesteins rührt i h n . Er s t r e i c h e l t es
mit den Fi n g e r s p i t z e n . Jetzt spricht er m i t verführerischer
Stimme:
Stein. H a l l o, Stein. Stein? Ste – in. S t e i n. Stein . . .
Er streichelt ihn. Mal l a n g s a m, m a l s c h n e l l . Erst streichelt er
i h n s a n f t , dann s t ü r m i s c h .
Komm, sag : da
Der Stein sagt nichts. Der hartnäckige Mann g i b t ihm einen Kuss.
Ich weiß, dass du es k a n n s t . Ich weiß n i c h t , ob d u mir zuh ö r e n k a n n s t , aber d u k a n n s t mich z u m i n d e s t verstehen.
Verstehst d u m i c h ? Hörst du w a s ich s a g e ? Ich weiß, dass
d u e s sagen kannst. I c h w e i ß , dass du „da“ sagen k a n n s t . Ich
w e i ß auch, dass d u reden k a n n s t , w e n n auch nur ein bisschen. Ich weiß auch, dass e s für dich schwierig ist, d e n n v i e l l e i c h t hat n o c h nie jemand mit d i r geredet oder dich z u m
R e d e n a u f g e f o r d e r t , am A n f a n g , w e n n man nicht daran
gewöhnt ist, ist das alles sehr mühselig. Mir ist das schon alles
klar. Darum habe ich Verständnis f ü r d i c h : ich verlange nichts
von dir, was d u n i c h t m i t ein bisschen Anstrengung h i n b e k o m m e n k ö n n t e s t . I c h sage es j e t z t noch mal u n d du wirst
es d a n n g l e i c h m i t mir zusammen wiederholen. Einverstanden? Komm. Es ist n i c h t e i n f a c h , aber auch n i c h t u n m ö g l i c h . K o m m , sag: d a . D a . Da.
Er l eg t das Ohr auf d i e Oberfläche d e s Steines, um z u h ö r e n , o b
die Anstrengungen desselben s i c h vi e l l e i c h t wenigstens in
einem Flüstern bemerkbar machen. Aber n e i n : Schweigen. Absolutes Schweigen. Der h a r t n ä c k i g e M a n n a t m e t tief durch
und wendet sich wi e d e r seinem Auftrag z u . Er trägt dem S t e i n
neue Argumente v o r, erklärt ihm, warum es für ihn s o anstrengend sein könnte zu sprechen u n d wie e s i h m trotz gelingen kann.
Als es Abend wi rd , nimmt e r ihn in die H a n d u n d reibt d i e
E r d e ab, d i e u n ten an ihm klebt. E r bringt den Stein nach Hause.
Er legt ihn auf d en Tisch i m E s s z i m m e r, achtet darauf, d a s s
e r bequem l i e g t . Er l ä s s t i h n d i e ganze Nacht a u s r u h en . Am
nächsten Morgen w ü n s c h t e r i h m e i n e n G u t e n Tag, wäscht
ihn s o rg fä l t i g u n t e r dem Wasserhahn mit l a uwa r m en Wa s s e r,
nic ht zu kalt und nicht z u warm. Danach l eg t er ihn a u f den
Balkon. Vo m Balkon a u s überblickt man das g a n z e Tal mit d e r vereinzelten Villen d e r Sommergäste, m a n sieht einen Zipfel des
Sees und in der Ferne die Lichter d e r Autobahn. Er legt den Stein
a u f den T i s c h u n d s e t z t s i c h auf einen Stuhl.
Komm, sag: da.
Drei Ta g e später zeig t der h a r t n ä c k i g e M a n n s e i n e n aufkommenden Z o r n :
Nun gut. Wenn du nicht willst, dann redest du eben n i c h t . Glaubst
du im Ernst, dass ich deine schweigende Verachtung nicht
merke? Man b r a u c h t nichts z u sagen, um s e i n e Verachtung z u
z e i g e n . Ich sage dir n u r eins: Über mich macht sich niemand
lustig.
Der hartnäckige Mann nimmt d e n Stein mit s e i n e r rechten Hand,
drückt ihn z u s a m m e n (so s e h r, d a s s sein G esi c h t ganz rot
wird) und wirft ihn schließlich m i t K r a f t in d i e Luft. A m Himmel
zieht d e r S t e i n einen B o g e n : ü b e r d em Ta l , den V i l l e n und
Swimming-Pools der Sommererquickenden, ü b e r dem Mann, der
den Rasenmäher l a u f e n lässt, ü b e r der Straße mit der B a u s t e l l e , über d e r ziemlich leeren Autobahn, über d e m Gewerbegebiet, über d e m Fu ß b a l l p l a t z , auf dem eine Mannschaft mit
grüne Trikots und weißen Hosen a u f eine Manns c haft m i t roten
Trikots u n d blauen Hosen ein Spiel austragen, d a s s im Augenblick
u n e n t s c h i e d e n s t e h t , über den Häusern der Provinzstadt, bis er
letztlich m i t t e n a u f d e m P l a t z vor d e n Füßen vo n e i n p a a r
deutschen Touristen landet, d i e so vertieft die Kathedrale fotografieren, dass sie den Fall d e s Steins nicht b e m e r k e n , der beim
Au f p r a l l auf das Pflaster auseinanderbricht und d a b e i einen kurzen
To n von sich gibt, der ziemlich ä h n l i c h klingt wi e „Da!“
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3 Ping Pong Spieler
Hans Lichtenwagner
Hans Fichtenradler,
studiert Visual Communications und ist Independent
Freelance-New-MediaBlogger. Seine GraphicDesigns könnt ihr auf www.
colapommes.com finden.
Born as rest i t o n l y s u r vi ve d with a greater effort. taking
advantage of modern technology t o keep it alive, making it
even stronger. You can see no failure, n o mistake. Flawless
s ki n . Pure beauty within a clear shape.
Die Scolyt NC Serie b a s i e r t auf d e r S c o l y t S e r i e,
kehrt a b e r ihren Grundgedanken um. Wo man in d e r Scolyt
Scolyt Marco Merkel
­S erie n o c h d e n Zufall r e g i e r e n und entwerfen lässt, r e i ß t
man j e t z t wieder a l l e Macht u n d E n t s c h e i d u n g s g e w a l t an s i c h .
Die Idee d e r Scolyt S e r i e i s t d e n Zufall w i e d e r i n
d e n Designprozess z u lassen, um m i t seiner Hilfe oder
a l l e i n durc h ihn z u gestalten. D i e entsprechenden Ausdrucksmittel sind hierfür G l a s u n d Holz. Zur G l a s f e r t i g u n g
werden normalerweise Holzformen hergestellt, i n denen
dann das heiße Glas geblasen wird. Diesen ersten Schritt
d e r Formenherstellung wollte i c h umgehen u n d war aus
diesem Grund auf der S u c h e n a c h natürlichen Formen
m i t denen gearbeitet werden k a n n . Ich gebe also d i e Entscheidung über die jeweilige Form der Objekte ab. Die in
die n a t ü r l i c h e n Formen geblasenen Gläser sind e i n Negativabdruck d e s Holzes, j e d o c h ke i n perfekter, denn durch
die Z ä h f l ü s s i g ke i t d e s Glases wird d i e Fo r m abstrahiert.
Zu a l l den h e r g e s t e l l t e n Gläsern gehört die
p a s s e n d e H o l z fo r m . In e i n i g e d e r Holzformen w u r d e
mehrmals G l a s e i n g e b l a s e n , was z u r F o l g e hat,
dass man n i c h t j e d e m G l a s o b j e k t ein eine passende Holzform zuordnen k a n n . Für d i e s e „heimatlosen“ Gläser
werden j e t z t mit größerem A u f w a n d Fo r m e n g e fe r t i g t .
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H i e r z u werden die O b j e k t e 3 D -g e s c a n n t . Die s o erhaltenen
Dateien werden d i g i t a l überarbeitet und dann m i t t e l s e i n e r CNCFräse in Holz g e f r ä s t . S o e r h ä l t man e i n e perfekt passende
Form für das Glas.
Es entsteht eine A r t „ A b f o r m - P i n g - P o n g “. Man formt
von Holz in Glas in Holz. A u f diesem W e g verändert sich die Form
a u f jedem Schritt und mit j e d e r Abformung gewinnen die Objekte
a n ä s t h e t i s c h em u n d inhaltlichem We r t .
Marco Merkel studiert seit
2008 Produktdesign an der
UdK Berlin. Wenn er nicht
gerade eine CNC-Fräse
bedient, bereist er Berlins
Straßen mit dem Longboard.
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Octavio Garabello&
Eva Pedroza
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Zusammen h a b en O c t avi o G a r a b e l l o u n d Ev a Pe d ro z a
e i n e V o r z ü g l i c h e L e i c h e v o n F l e c k e n o d e r
g e n a u e r g e s a g t e i n P i n g P o n g v o n Z e i c h n u n g e n g e s p i e l t . D i e Ergebnisse d i e s e r Austaus c herfahrung
s i n d d i e h i e r p u b l i z i e r t e n Aq u a r e l l e , d i e t e i l w e i s e
vo n d en beiden angefertigt wurden.
Die Künstlerin Eva
Pedroza stammt
ursprünglich aus Buenos
Aires. Sie beschäftigt
sich mit verschiedenen
visuellen Medien.
Ihre Arbeiten wurden
vielfach international
ausgestellt. Nach ihrem
Abschluss in Freie Kunst
in Argentinien studiert
sie zurzeit Kunst und Medien an der UdK in
Berlin. Für weitere Informationen: evapedroza.com.
Octavio Garabello ist
Maler und Musiker aus
Argentinien, dessen
Werke bereits auf
mehreren Einzel- und
Gruppenaustellungen in
Buenos Aires zu sehen
waren. Zurzeit verbringt
er einen Aufenthalt in
Berlin, wo er die Möglichkeit hatte sich
der Musikperformance
zu widmen und seine
Malerei auszustellen.
Er ist mit Hilfe des Otto
Borus-Stipendiums nach
Berlin gekommen.
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Ein Ende des Bla Bla: Kommunikationsmöglichkeiten
jenseits von Mustern?
Klaus Gasteier, Daniela
Kuka, Tobias Reisch
Das Interview wurde auf Basis eines vorbereiteten„Skripts“ (generiert
durch ein papierbasiertes Regelwerk aus Karten) geführt. Vorher
vereinbart wurden lediglich die Metadaten (Hauptthemen, Tags und
Frageintentionen), auf denen die Fragen beruhen. Das Skript versucht Elemente von Antworten vorwegzunehmen, es antizipiert die
Fragen. Aus mehreren Redeteilen werden abhängig von rheto­
rischen und inhaltlichen Parametern Antwortmöglichkeiten zusammengesetzt, die in jedem Durchlauf anders ausfallen könnten,
stets aber schon im System als Bausteine vorhanden sind. Inwiefern
ist es möglich, ausschließlich auf der Basis von antizipierbaren
Kommunikationsmustern ein Interview zu führen, das so wirkt, als
wäre es spontan entstanden? Ist es möglich, dass eine Maschine
auf der Basis vereinbarter Codes und Regeln an unserer Stelle
antwortet, ohne dass es der Leser merkt? Die Redeakte des Skripts
bestehen aus Modulen zur Annahme der Frage, zur Konstruktion einer
Meta-These zu den Leitthemen des Interviews, taggeleiteten
Brückenthesen zu spezifischeren Frageinhalten, einer Reihe von Beispielen, Fragmenten zu Theorie, Vision, Erfahrung und pauschalen,
teilweise selbstreferenziellen Verbindungsgliedern und Einschüben.
Neben konkreten inhaltlichen Ausführungen gibt es vorgefertigte
Reaktionen, durch die das Unvorhersehbare abgefangen und wieder in
die Möglichkeitsbahnen des Skripts geleitet werden soll.
Wir sitzen hier gemeinsam, Klaus Gasteier und Daniela Kuka sind anwesend. Klaus Gasteier ist Professor für Audiovisuelle Kommu­
nikation/Neue Medien, Daniela Kuka wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Verbale Kommunikation, beide im Studiengang Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation. Gemeinsam gestalten sie
ein interdisziplinäres Seminar für Konzeptionsentwicklung, „MetaDating“, das, wie wir sehen werden, unser Heftthema Ping Pong direkt adressiert. Wir sind zusammen gekommen, nicht um über
dieses Thema zu sprechen, sondern ein vorbereitetes Skript auf
die Metadaten der eigenart-Fragen reagieren zu lassen. Guten Abend
Frau Kuka, guten Abend Herr Gasteier, vielen Dank, dass Sie sich die
Zeit für dieses Interview genommen haben.
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Skript:
Hallo Tobias.
Smalltalk(Dank erwidern), informell Kein Problem, wir machen das gerne.
Smalltalk(Begrüßung), informell Erklären Sie bitte was mit Kommunikationsmustern in Scripted Reality gemeint ist!
Kommunikationsmuster,
Scripted Reality,Theorie Skript:
Reaktion(erste Frage), affirmativ Meta-These
(Kommunikationsmuster),
neutral Erläuterung Meta-These
(Kommunikationsmuster),
Detail1, selbstreferentiell Erläuterung Meta-These
(universell),
Detail2, selbstreferentiell Brücke Tag(ScriptedReality) Brückenthese
(Muster/ScriptedRality),
Detail1, deskriptiv (Muster/ScriptedReality),
Detail1, analytisch (Muster/ScriptedReality),
Detail2, referenzierend (Muster/Scripted Reality),
Detail3, wertend Brücke Beispiel(Meta-Dating) Brückenthese
(Meta-Dating/ScriptedReality),
Detail1, deskriptiv Schluss(ersteFrage), affirmativ Das ist eine gute Einstiegsfrage.
Eine kritische Auseinandersetzung mit Mustern bleibt
immer ein Paradoxon.
Ohne ein Schema oder Skript können wir dieses
Gespräch gar nicht führen.
Jetzt müssen wir zum Beispiel erst mal eine Brücke
suchen, die uns zu Ihrer Frage führt.
Aber kommen wir direkt auf Scripted Reality zu
sprechen.
Jede Kultur unterliegt einer Vielzahl von Skripten –
sie kann überhaupt erst entstehen, wenn es eine bestimmte Regelhaftigkeit in Diskursen und Praktiken gibt.
Wenn wir von Kultur sprechen, sprechen wir in
gewisser Weise auch von einer spezifischen Form
geskripteter Realität.
Clifford Geertz spricht von Kultur als „selbstgesponnenes Bedeutungsgewebe“ und ein Gewebe ist nur
dann stabil, wenn es auf verlässlichen Mustern beruht.
Werden Muster dabei zur unreflektierten Routine oder
gar institutionalisiert, sind sie ein mächtiges Herrschaftsinstrument, weil sie unsichtbar werden und zu
repetitiven Denkweisen, Interaktionsformen und
Handlungen verleiten, von denen wir glauben, dass sie
unsere eigenen seien.
Nehmen wir Meta-Dating als Beispiel.
Meta-Dating sucht geskriptete alltägliche Situationen und versucht, sie formal so gut zu beschreiben,
dass das Abspulen des zugrunde gelegten Skripts den
Eindruck erzeugt, die Situation wäre spontan tatsächlich so entstanden, weil wir sie so kennen.
Wir hoffen mit dieser Ausführung einen hilfreichen
Einstieg in das Thema gegeben zu haben.
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Wer schreibt dieses Skript? Liegt es an unserer
Kommunikationskultur, dass auf jedes Ping ein Pong
folgt oder ist das Wie-Vorgezeichnet-Sein ein eher
menschliches Phänomen?
Kommunikationskultur,
Scripted Reality, Theorie Skript:
Reaktion(Frage), affirmativ Metathese
(Kommunikationskultur),
neutral Erläuterung Meta-These
(Kommunikationskultur),
Detail1, referenzierend Erläuterung Meta-These
(universell),
Detail2, selbstreferentiell Erläuterung Meta-These
(Kommunikationskultur),
Detail2, analytisch Erläuterung Meta-These
(universell),
Detail3, wertend, selbstreferentiell Brückenthese
(Kultur/ScriptedReality),
Detail1, analytisch Zwischenspiel(Akzentuierung) (Kultur/ScriptedReality),
Detail2, analytisch (Kultur/ScriptedReality),
Detail3, wertend Brücke Beispiel(Meta-Dating) Brückenthese
(Meta-Dating/NeueMedien),
Detail1, deskriptiv (Meta-Dating/NeueMedien),
Detail2, selbstreferentiell (Meta-Dating/NeueMedien),
Detail3, analytisch Das ist eine gute Frage, wir freuen uns, dies im Detail
ausführen zu können.
Wir leben in einer Kultur in der alles, von bestimmten
Formen der Arbeit über sozialer Interaktion bis hin
zum Genuss, delegierbar wird, weil sie als kulturelle
Praktiken wiederkehrenden Mustern unterliegen.
Der Philosoph Robert Pfaller hat die Denkfigur der
„Interpassivität“ etabliert.
Wir folgen auch jetzt gerade einem Skript, das außerhalb dieses Interviews liegt und delegieren die Aushandlung unserer Interaktion an eine Konvention, von
der wir glauben, dass sie den Erfolg eines Interviews
sicherstellt.
Wir denken, sprechen und handeln kaum noch selbst.
Das, was wir hier sagen können, ist im Vorfeld schon
stark eingegrenzt.
Es sind insbesondere Alltagssituationen, die die
meisten Menschen teilen, in denen Muster Regie über
das Denken und Handeln übernehmen.
Und das heißt auch:
Je öfter wir bestimmte Aktivitäten oder Denkabläufe
wiederholen, desto evidenter erscheinen sie uns.
Es ist immer sicherer, sich auf ein Skript zu berufen,
als – wie zum Beispiel in einem Interview – sich
spontan der Vielfalt aller Möglichkeiten auszuliefern.
Nehmen wir Meta-Dating als Beispiel.
Bei Meta-Dating arbeiten wir mit einer Art „Papier­
maschine“, die Alltagsskripte durch die Funktionen
semantischer Medien simuliert.
Aber lassen Sie uns nicht so viel mit Worthülsen wie
„neue Medien“ reden.
Die Auseinandersetzung mit der Antizipation von
Mustern in vereinbarten Kommunikationskontexten
Einschub (Meta-Dating/NeueMedien),
selbstreferentiell Beispiel(Zettelkasten) Schluss
(Frage),
selbstreferentiell ist ein kulturelles Phänomen und daher medienunabhängig zu sehen.
Sie sehen doch, man kann selbst in Papierform durch
Musteriteration sinnvolle Zusammenhänge erzeugen.
– Denken Sie an Luhmanns Zettelkasten!
Das mag jetzt klingen, als sei es von Karten abgelesen,
und doch ist es eine legitime Aussage.
Können Sie ein Beispiel aus einer alltäglichen
Sitatuion wiedergeben, die Ihnen wie determiniert
erscheint?
Kommunikationsmuster,
Scripted Reality,
Alltagssituation, Erfahrung
Skript:
Brücke Frageintention
(Erfahrung),
Detail1, selbstrefentielle
(Erfahrung),
Detail2 (Erfahrung),
Detail3 Brücke Beispiel
(universell),
selbstreferentiell Beispiel(PolitischeRede) Kontext Beispiel
(PolitischeRede) Erläuterung Beispiel
(Politische Rede) Erfahrungen sind nichts anderes als eine Form der
Mustererkennung.
Wir beobachten, finden und analysieren Ähnlichkeiten
und Unterschiede.
Lernen ist Mustererkennung, neues Lernen ist Musterverschiebung.
Man kann ein beliebiges Beispiel zur Demonstration
anschließen.
Politische Reden.
Kürzlich bot die ZEIT auf dem Online-Portal ihren
Lesern einen – recht simplen – interaktiven Rede­
generator zur Erzeugung einer Merkel-Rede an,
die aus Versatzstücken tatsächlicher Reden aus der
Vergangenheit zusammengesetzt wurden.
Leser konnten auf der Basis einfacher Selektionen
thematisch verschlagworteter Bausteine unterschiedliche Varianten erzeugen, ohne dass bei den
möglichen Endprodukten auffiel, dass die Rede
so möglicherweise nie geschrieben worden ist.
Was lehrt uns die Analyse von Mustern diskursiven
Denkens in Bezug auf den freien Willen?
Kommunikationsmuster,
Muster durchschneiden,
Theorie 68
69
Skript:
Metathese
(Kritik) Erläuterung Meta-These
(Kritik),
Detail1, analytisch Erläuterung Meta-These
(Kritik),
Detail2, wertend Brückenthese
(Muster/Zuhören; ScriptedReality),
Detail1, analytisch (Muster/Scripted Reality),
Detail2, analytisch (Muster/ScriptedReality),
Detail 3, wertend Es ist wichtig zu erkennen, dass es ein Trugschluss ist
zu glauben, dass wir Muster nur auf inhaltlicher Seite
finden.
Besonders dominant sind Muster erst auf struktureller Ebene, weil sie dort unsichtbar sind.
Es gibt klare Regeln, was in unserer Kultur als legitimes
Wissen gelten kann.
Wir müssen uns immer an bestimmte Konventionen
einer Gesprächssituation halten, um gehört und
ernst genommen zu werden.
Ein Wissenschaftler darf keine neuen Gedanken in
die Welt setzen, ohne die gesamte Genealogie seiner
Begriffe und Denkfiguren mitzuliefern.
Werden Muster dabei zur unreflektierten Routine
oder gar institutionalisiert, sind sie ein mächtiges
Herrschaftsinstrument, weil sie unsichtbar werden und
zu repetitiven Denkweisen, Interaktionsformen und
Handlungen verleiten, von denen wir glauben, dass
sie unsere eigenen seien.
Wie entwickeln wir Gedanken, ohne dass das Ego
mit vorgefertigten Alltagstheorien reagiert?
Kommunikationsmuster,
Muster durchschneiden,
Vision Skript:
Reaktion
(Frage),
relativierend Brückenthese
(Muster/durchschneiden),
Detail1, analytisch
(Muster/durchschneiden),
Detail2, analytisch Vision
(Kommunikationskultur) (Muster/durchschneiden),
Detail2, analytisch Uns ist der Kern dieser Frage noch nicht ganz klar, wir
versuchen sie aber so gut wie möglich zu beantworten.
Um Muster durchzuschneiden müssen wir erst mal
eine Sprache finden, sie sichtbar zu machen.
Unsere Sprache liefert nur so gut wie keine semiotischen
oder rhetorischen Mittel, in der praktischen Anwen­dung die durch sie und den Sprecher transportierten
Muster sichtbar zu machen und mitzureflektieren.
Wir brauchen eine Metasprache, die zunächst sichtbar
machen kann, was wir nicht wahrnehmen können, wenn
wir zum Sender oder Empfänger einer Aussage werden.
Paradoxerweise scheint es so als brauchen wir heute
Agenturen, Dienstleister und Institutionen wie
Innovationstrainer, Kunst und Wissenschaft, die sich den
Auftrag annehmen, evidente Wirklichkeitswahrneh­
mungen aufzubrechen.
(Muster/durchschneiden),
Detail3, analytisch (Muster/durchschneiden),
Detail3, wertend Ausgerechnet in einer Kultur, in der alles möglich
erscheint, wächst der Bedarf nach Kreativitätstechniken und Methoden der Intervention und Störung
von Routinen.
Es scheint als würde der Bedarf der Überwindung
eigener Muster selbst wieder zum planbaren Skript.
Welche Rolle spielt unser Verhalten in Facebook
und Twitter für unser diskursives Denken?
Kommunikationskultur,
Neue Medien, Scripted Reality,
Theorie Skript:
Brückenthese
(Kultur/NeueMedien),
Detail1, wertend (Kultur/NeueMedien),
Detail2, referenzierend (Kultur/NeueMedien),
Detail3, wertend Sprung zu
(Muster/NeueMedien),
RhetorischeFrage, Detail2 (Muster/NeueMedien),
RhetorischeFrage, Detail3 (Muster/NeueMedien),
universell Man könnte fast meinen, dass wir durch den Umgang
mit neuen Medien selbst wie musterverarbeitende
Maschinen zu reagieren beginnen.
Man spricht hier in der Persuasions­f orschung ganz
offen von so genannten „Desire Engines“, Maschinen,
die durch die Ansprache von biochemischen Triggern
zur Produktion von Glücks- und Stresshormonen,
etwa beim Erhalten oder Nichterhalten einer eMail,
uns darauf programmieren, ad hoc zu reagieren.
Es geht scheinbar nicht mehr um den Inhalt einer Botschaft, sondern um ihr bloßes Eintreffen oder Ausbleiben. „The medium is the message“, das bekommt
hier eine ganz neue Dimension. –
Ist es nicht paradox, dass es auf der einen Seite
Datingplattformen mit Matching-Algorithmen gibt und
auf der anderen Seite Agenturen wie „die Schluss­
macher“, die für uns sowohl das Beginnen als auch das
Beenden von Beziehungen übernehmen?
Und während der Beziehung erinnert uns dann Siri an
den Geburtstag, Amazon schlägt Geschenke vor
und Ratingsysteme steuern unseren Weg in das nächstbeste Restaurant.
Die Computersysteme, so scheint es, sind uns immer
schon einen Schritt voraus.
70
71
Wir sprechen über das Sprechen. Wie ist es mit dem
Zuhören: Leben wir in einer Kultur des Zuhörens?
Kommunikationskultur,
Zuhören, Erfahrung Skript:
Brückenthese
(Kultur/Zuhören),
Detail1, selbstreferenziell Sprung zu Beispiel(Grebe) (Kultur/Zuhören),
universell, selbstreferenziell
(Kultur/Zuhören),
universell, selbstreferenziell (Kultur/Zuhören),
Detail2, selbstreferenziell (Kultur/Zuhören;NeueMedien),
Detail3, selbstreferenziell Wir lesen doch hier beide nur von Zetteln ab, was man
uns über Interviews beigebracht hat.
Der Kabarettist Reinhald Grebe berichtet in einem
Interview, dass er Interviews hasst, weil Journalisten ihre Fragen aus Wikipedia abschreiben und ihre
Beantwortung genauso gut von einem anderen als
ihm selbst übernommen werden könnte.
Auch eine Maschine könnte dieses Gespräch an
unserer Stelle führen.
Hören Sie uns denn wirklich zu?
Wir wissen doch beide schon, was wir sagen wollen
und tun nur so als würden wir hier ein spontanes
Gespräch führen.
In einer Kultur, in der Kommunikation von allen
Seiten etwas von uns will, tendieren wir mehr
und mehr dazu, wie Maschinen nur noch auf Keywords zu reagieren.
Können wir durch besseres Zuhören unsere kommu­
nikatives Geschwätz umgestalten?
Zuhören, Vision Skript:
Brücke Beispiel(Meta-Dating) Brückenthese
(Meta-Dating/Zuhören),
Detail1 (Meta-Dating/Zuhören),
Detail2 (Meta-Dating/Zuhören),
universell, selbstreferenziell Sprung zu
(Meta-Dating/Durchschneiden),
Detail1 Nehmen wir Meta-Dating als Beispiel.
Meta-Dating erweckt Zuhören auf neue Weise.
Wir hören auf das Vorwegnehmbare im situativen
Einsatz von Sprache und Mustern sozialer
­I nteraktion.
„Zuhören“ als Stichwort in einem Interview zu M
­ etaDating entbehrt nicht einer gewissen Ironie, finden
sich darin doch Antworten und Fragen, die nicht
einander zugehört, sondern vorweggenommen haben.
Meta-Dating basiert direkt auf dem Prozess des
bewussten Zerschneidens von Sprache in kleine
Sprung zu
(Meta-Dating/Durchschneiden),
Detail2 (Meta-Dating/Durchschneiden),
Detail3 Zwischenspiel(Akzentuierung) (Durchschneiden), universell funktionale Einheiten. Wir zerstören, um neu zusammenzusetzen und dabei Regeln herauszukristallisieren.
In Meta-Dating können wir Muster paradoxer­weise gerade dadurch überwinden, dass wir sie überernst nehmen.
Dadurch, dass man doch nicht alles vorwegnehmen und
formalisieren kann, entstehen neue Kombinationen
und Effekte.
Und daraus folgern wir:
Das Neue entsteht nur noch durch Zufall und Fehler.
Sie haben nicht auf meine Frage geantwortet:
Können wir durch besseres Zuhören unserer kommunikatives Geschwätz umgestalten?
Zuhören, Vision Skript:
Fehlerreflexion Themenwechsel erzwingen Ich glaube, wir haben den Faden verloren.
Aus Gründen nicht weiter aufrechtzuerhaltender Kohärenz wechseln wir doch bitte einfach das Thema.
Wird die Scripted Reality so tatsächlich erfahrbar?
Was nehmen Ihre Studenten mit aus den Seminaren?
Seminar, Erfahrung Skript:
Frageintention
(Erfahrung/Meta-Dating),
Detail1, deskriptiv (Erfahrung/Meta-Dating),
Detail1, wertend (Erfahrung/Meta-Dating),
Detail2 (Erfahrung/Meta-Dating),
universell (Erfahrung/Meta-Dating),
Detail3 Sprung zu Brückenthese
(Meta-Dating/ScriptedReality),
Detail2 Für die Teilnehmer gibt es zunächst keine Erfahrungswerte, das ist Teil der Aufgabe.
Die Reaktionen der Studenten zeigen zunächst große
Irritationen. Man ist Muster und vorgefertigte
Lösungen gewohnt.
Doch nach einigem Ausprobieren kommen dann die
hochinteressante Ideen, die uns selbst überraschen.
Alle Teilnehmer sind gezwungen, unvoreingenommen über Sprache und ihre Rolle nachzudenken.
Unserer eigenen Erfahrungen mit den realisierten
Projekten führen uns immer wieder zur Ausweitung
des Konzepts in neue „Alltagsgenres“ und zu neuen
Ansätzen für die Inszenierung der Endergebnisse –
momentan arbeiten wir zum Beispiel an einem
interaktiven Prototypen, der durch Frageskripte von
extern gesteuert werden kann.
Die Frage hinter Meta-Dating ist: Wenn Du herausgefordert bist, spielerisch Alltag zu dekonstruieren und
einer fiktiven aber plausiblen Skriptlogik zu unter72
73
(Meta-Dating/ScriptedReality),
Detail3 (Meta-Dating/ScriptedReality),
Detail3 Sprung zu Frageintention
(Vision/Meta-Dating) ziehen, inwiefern werden dadurch tatsächlich die Skripte
der tagtäglich erlebten Realität sichtbar?
Meta-Dating ist sozusagen wie eine Brille für scripted
reality. Ganz wie in Carpenters legendärem Film
„They Live“ machen wir jetzt spekulativ antizipierte
ungeschriebene Regeln der alltäglichen Kommuni­
kation sichtbar.
Meta-Dating ist damit sozusagen der Umkehrschluss
von scripted reality. Wir erfinden mittels einer spekulativen, deskriptiven Logik auf Meta-Ebene eine
„scripted virtuality“, die wiederum Rückschlüsse auf
die Realität zulässt.
Wir versuchen eine Sensibilisierung für die Skripte der
Alltagskommunikation zu erreichen und suchen zugleich
nach kreativen Formen, sie auch zu überwinden.
Wozu kann das Meta-Dating-Format hilfreich zur
Anwendung kommen?
Seminar, Neue Medien, Vision Skript:
Frageintention
(Vision/Kommunikationsmuster) Beispiel
(Vision/Kommunikationsmuster) Die Vision ist, eine neue Sprache zu entwickeln, die
die Kommunikationskultur beherrschende Muster
wie eine zweite Kommunikationsebene sichtbar
macht und so zur Hinterfragung und Reaktion zwingt.
Wir arbeiten aktuell zum Beispiel auch in anderen
Seminaren an Ideen für eine neue Diskussions- und
Debattenkultur, indem Muster eingesetzt werden, um
sie zugleich zu überwinden.
Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben.
Verabschiedung Skript:
Schlussfloskel
(Absichtsbekundung) Wir könnten unsere Gedankenkollage noch stundenlang
weiter fortführen und kämen immer wieder auf neue
Aussagen.
3. Satz
Dependenz
M ö rs e r ra ke ten
Wettbewerb
Auflöseprozess
koitalen Ende
Horizontalität
Wartezimmer der Möglichkeiten
Fiktionsvertrag
Textumgebung
74
75
intellektuelle Bastelei
klinische Philosophie
Materialismustherapie
Doppelmatch Silke Schwarz
76
77
Silke Schwarz studiert Visuelle
Kommunikation mit dem Schwerpunkt
Fotografie. Ihre Arbeiten beleuchten
auf fein­fühlige Art Menschen und die
Beziehung zu ihrem Umfeld.
www.schwarzsilke.de
Es ist e i n w a r m e r Fr ü h l i n g s t a g im s p ä t e n M ä r z 1999 i rg en d wo in
der Mitte Deutschlands. Die Kälte d e r dunklen Jahreszeit ist ve r­
t r i e b en und die Natur erwacht zu d e m Le b en , wonach s i e n a c h ihrem
großen Sterben i m Wi n t e r i m m e r strebt. B l ü t e n b r e c h e n a u s
den Knospen… aber – von ä h n l i c h e m schrieb ich s c h o n i n meinem
l e t z ten B e i t r a g : „ K n o s p e n b i l d e n , B l ä t t e r spreizen, B l ü t e n
beten…“ (eigenart 82, S . 4 6 ) . Das lyrische Fe t t m u s s a n d i e s e r Stelle
n i c h t bemüht we rd en . Was gibt e s also im späten März 1 9 9 9 an
diesem prachtvollen F r ü h l i n g s t a g f ü r m e i n e F r e u n d e und mich z u
t u n? Was ist die, in u n s e re n Au g e n , vernünftigste Beschäftigung?
Es ist ein Spiel – wir spielen I RC - Po n g:
[13:31] <@Dark[D-walk]>
|
.
[13:33] <@ocr|hTm]>
. |
[13:35] <@Dark[D-walk]>
| .
Pong als Wunder des
fliegenden Pixels
Konstantin Daniel Haensch
[13:35] <@ocr|hTm]>
[13:36] *** sCa-p0s sets mode: +s
[13:36] <@fuerst[D-walk]> xD
[13:36] <@Dark[D-walk]>
.
|
|
.
[13:36] <@ocr|hTm]>
. |
[13:36] <@Dark[D-walk>
|
.
[13:37] <@ocr|hTm]>
|
.
P o n g im Chat. Wir imitieren einen der g rö ß t e n Videospielklassiker, d e r
in s i c h mindestens drei Wunder d e r d igi ta l en Zeit vereint. Wa s
macht den Zauber aus? Wa s h a t uns z u r Nachahmung angestiftet? Im
Folgenden ein Versuch einer Annäherung a n das Faszinosum Pong.
Zuvor f o l g e n wir der s u b v e r s i v e n S p u r u n s e r e r P o n g - A b w a n d l u n g : Das Wissen um d a s Prinzip von Pong k a n n mit Sicherheit bei der Rezipientenstruktur der e i g e n a r t vorausgesetzt we rd en .
Anders wird es sic h wohl b e i dem Begriff „IRC“ verhalten, d e m
Akronym von „Internet Relay C h a t “. IRC ist ein t e x t b a s i e r t e s ChatSystem. Die Internet-Vorläufer BITNET/EARN, t r a n s a t l a n t i s c h e
Universitäts-Netzwerke v o n Rechenmaschinen, bringen die Technologie relaisartig v e r s c h a l t e t e r Server hervor, die technisch ve r­
m i t t e l t e B ot s c h af ten senden, verarbeiten u n d darstellen k ö n n e n .
W ä h r e n d sich heute die „Kommunikation“ über „Medien“ wie
Fa c e b o o k , S ky p e oder die technologischen Anhängsel d e r mobilen
E n d g e rä te vollzieht (auch immer als Chat; der Dienst SMS f o l g t
demselben P r i n z i p), sind i n der Anfangszeit der Popularisierung d e s
Internets C h a n n e l s der IRC Server der halböffentliche Treffpunkt
und o b s k u r e r Ort digitaler Gesprächsrunden. I n der e i n ga n g s zitierten technischen Textumgebung der 9 0 e r Jahre finden sich also
User (meine Freunde u n d ich) in einem solchen exklusiven Kreis zu dem
78
79
Thema Online-Gaming ein. Das Spiel beginnt: |
Konstantin Daniel Haensch
studiert an der UdK Berlin
und arbeitet als Tutor
von Prof. Dr. Thomas Düllo
am Lehrstuhl für Verbale
Kommunikation. Er
verneigt sich vor der Redaktion der letzten drei Ausgaben und wünscht für das
Neue alles Gute.
. Der B a l l
w i r d angestoßen und es vollzieht s i c h eine semiotische BenutzerBastelei im besten S i n n e e i n e s „Wi l d e n Denkens“ (1968)
d e s Ethnologen und Strukturalisten Claude L é v i - S t r a u s s (vgl. S.
2 9 ff ) . D i e „intellektuelle Bastelei“ mit „abwe­gigen“ Mitteln,
die Zweckentfremdung d r e i e r Zeichen einer Computertastatur: Der
Strich und ein Punkt – viel m e h r benötigt man nicht – neben dem
s e h r präsenten „Nichts“ der Leerzeichen, u m zu spielen. Ähnliche
s em i ot i s c h e Bricolagen k u r s i e re n unter d e m Neologismus
„Emoticons“, einer s t e r b e n d e Kulturtechnik aus den Anfangstagen
solcher Text-Gespräche, die mittlerweile von bunten Grafik-Icons
ersetzt werden, besonders b u n t z.B. b e i WhatsApp. Nachdem a l s o
„dark[D-walk]“ den Ball i m C h a t angestoßen hatte, stieg d e r
Druck. Der fliegende Pixel drohte aus d e m Sichtfeld z u entschwinden.
E i n e S p a n n u n g entfaltete sich im Chatroom, d i e kaum a u s z u ­
h a l ten w a r. Ich musste antworten, musste den Ball zurückspielen.
. |
Ko m m e n w i r zum Urahn, der selber Produkt verschiedener
B a s t e l e i e n ist: In einer der ersten dokumentierten Versionen
des digitalen Ping-Pong-Prinzips im Jahr 1969 ist der Schläger nic ht
n u r vertikal, sondern auch h o r i z o n t a l beweglich. In der namens­
gebenden A t a r i Variante „ P o n g “ von 1972, einer nominativen Verle­g e n h e i t s l ö s u n g , da der N a m e „Ping-Pong“ rechtlich s c h o n
gesichert war, fällt die h o r i z o n t a l e B ewe g u n g s d i m e n s i o n w e g .
Reduktion. Übrigens ist das Vi d e o s p i e l Pong mittlerweile auch
musealisiert, beispielsweise im B e r l i n e r Computerspiele M u s e u m
in d e r Karl-Marx-Allee 93 a ; das MoMA in N e w York belässt es
derzeit bei e i n e r Ankündigung d e r Au f n a h m e, d a r ü b e r hinaus
a u c h demokratisiert: Man k a n n für k l e i n e s Geld über das I n t e rn e t einen Bausatz b e s t e l l e n u n d s e l b e r an einer Pong-P l a t i n e
löten, basteln und schrauben.
Pong bleibt so seinem emanzipatoris c hen C h a ra kte r treu:
D i e M a s c h i n e Po n g ist keine Black Box, en t z i e h t s i c h der
technischen Tendenz unserer Ze i t , ihr Inneres vor dem Benutzer z u
v e r b e r g e n . Auch a u f einer a n d e r e n Ebene w i r d d i e Grenze
zwischen M e n s c h und Maschine aufgebrochen. Das erste Wunder
wirkt in der Kraft eigener Hände d a s Fernsehbild beeinflussen
zu können. Die erwähnte Emanzipation des Empfängers über das
Screen-Bild. D a s gab es vor d i e s e r A r t v o n t e l e m a t i s c h e n
S p i e l e n nur b e i den wenigen b i n ä r -konstituierten Schaltern
(an/aus, h e l l /d u n ke l , laut/ l e i s e , Programm 1/Programm 2 )
der Fernsehgeräte oder den Radio-Frequenz-Schiebern (Logik:
Sender 1 an/aus), jedoch nie in d i r e k t e r Einflussnahme des
gesendeten Program ms. Der a u s Graz stammende Au t o r und
Chaos Computer Club-Ehrenmitglied Peter Glaser schildert
diesen Paradigmenwechsel a n h a n d seiner ersten Begegnung mit
der g l a s s c h e i b e n d u r c h b r e c h e n d e n Interaktivität eines
Computers in den 80ern: „Und dann passierte folgendes, er sagte
i c h darf jetzt auch mal was tippen. Und ich setzte m i c h dahin
und tippte: ‚hallo‘ und es war sofort im Fe r n s e h e n . Und es war
der Hammer schlechthin.“ Der Monitor, i n direkter Linie mit d em
Fe r n s e h e r verwand, bricht mit d em „Mysterium t r e m e n d u m “,
mac ht d a s „Tempelinnere“ über die manuellen Interfaces z u g ä n g l i c h u n d sogar gestaltbar. In der Ko n s e q u e n z we rd e n
S h a n n o n und We a v e r a u s demselben Tempel herausgeschmissen, Sender um Empfänger lösen sic h i n der interaktiven,
i t e r a t i v e n Schleife auf, aus P i n g - Pong wi rd Pong. In wel­chem R a u m vollzieht sich d i e s e Interaktivität?
I n e i n e r vi s u e l l e n Umgebung g r ö ß t e r R e d u k t i o n und
s c h w a r z -we i ß e r Monotonie i s t es d a s Versprechen des
Kampfes und d e s Spiels, das einen wunderbaren Wa h n bei d e n
Wettkämpfern heraufbeschwört. Das Wu n d e r des Wettbewerbs.
Diese Duelle malen die schönsten Farben von emotionaler Involviertheit, die eckigen Kanten d e s Pixels we rd e n über die
Bewegung z u m feurig-brennenden Schweif, die Spannung lässt
d i e S t r i c h e e n e rgi s c h z i t t e r n . Die mahnenden Zahlenziffern von dominanter Größe stellen Signifikanten einer puren Idee
von Leistung dar, d e ren Erfüllung die S p i e l e r in eine wirklich a n d e re Welt versetzt. Dass a k t u e l l e S p i e l e p ro d u z e n t e n
diese Urkraft der v o m Wettbewerb angestachelten Imagination
ü b e r i h re 3 D - E n gi n e s m i t ihren S h a d e r n , B u m p - M a p s und
Partikelsystemen fast vergessen haben, bleibt eine Randnotiz.
B e i m T h e m a Wettbewerb, s o l l n o c h a u f e i n e Besonderheit
unseres Spiels h i n g e w i e s e n werden, d i e u n s auch für die
Analyse der Fa s z i n a t i o n von P o n g helfen kann. Neben s e i n e r
s c h i e ren Originalität lebt die e i n ga n g s geschilderte ChatVersion von einem äußerst interessanten Fiktionsvertrag: „Wir tun
so, als gäbe es e i n e n Wettbewerb“. Das Spiel geht s o lange,
80
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bis jemand sich entscheidet zu verlieren. Es kam nie dazu,
dass jemand nicht verlieren wollte. Interessant wäre es
j e d o c h geworden, wenn in einer anarchistischen Anwandlung der kompetitive Fiktionsvertrag aufgebrochen und
zwei Spieler plötzlic h e r b i t t e r t u m den Sieg g e k ä m p f t
h ä t t e n . Man e r i n n e r t sich a n dieser Stelle vielleicht
a n P e t e r Weibels Wettbewerb m i t e i n e m MagnetophonTonbandgerät aus d e m Jahr 1 9 6 7. Au f dem Band ist
eine Endlos-Schleife m i t der Tonaufzeichnung: „aus“. Der
Kü n s t l e r Weibel s c h a l t e t die Aus-Taste, dann sagt er
»ein« u n d schaltet auf die Ei n -Taste u n d das Gerät sag t
„aus“. I n d e r Ankündigung der Performance sagt We i b e l ,
das Unternehmen gehe s o l a n g e „bis entweder das Gerät
kaputt g e h t o d e r i c h [Weibel] vor E r s c h ö p f u n g zu­­
sammenbreche.“ Das We t t b ewe r b s s pi e l im Spannungsfeld
von Mensch und M a s c h i n e . D i e Interaktion s c h a ff t
e t w a s drittes, e i n e seltsame Dynamik oder ein Netzwerk
im Sinne Bruno Latours: Menschen und Dinge werden
Aktanten, gleic hberec htig te, handelnde, w e t t e i f e r n d e
Ko l l e k t i v e .
Das dritte M i r a ke l hat mit d en S p i e l e r n weniger
zu tun. E s liegt i m Spielball, dem Multipixel, d e m PongPartikel. Dieser Ball hat verschiedene, höchst b e m e r ke n s we r t e Eigenschaften. Er folgt einem medialen Prinzip,
etymologis c h i s t er damit ein „dazwischen geworfenes“
O b j e k t (vgl. Hadler in t e x t u r e n # 1 wohnen). Paddle
- Ball - Paddle. Der Ball i s t eine interjektionelle B e g e b e n h e i t , vom l a t e i n i s c h e n interiectio - „der Einwurf“,
e i n perpetuum mobile, lateinisch: „sich ständig Bewegendes“.
Dieses Objekt i s t vom Spieler nicht direkt s t e u e r b a r,
sondern n u r über die Pa d d l e s. Jeder Spieler bedient e i n e n
v e r t i k a l e n P i x e l - S t r i c h , der P i x e l b a l l z w i s c h e n
d en „ S c h l ä g e r n“ i s t nur über das Treffen kontrollierbar,
d i e Geschicklichkeit der Spieler i s t die G r e n z e d i e s e r in die U n e n d l i c h k e i t verweisenden Bewegung. Ve rf e h l t e i n e r d e r Spieler d e n B a l l , dann fliegt der Pixel
in/gegen d i e Unendlichkeit. Ähnlic h unseren t e r r e s t r i s c h e n
medialen R a d i o w e l l e n (lat. radius - der Strahl), d i e
wir seit dem 20. Jahrhundert g e p l a n t und programmatisch
ins All hinausjagen und d i e in t a u s e n d e n Lichtjahren
von irgendwem abgefangen werden könnten, gehen w i r v o n
einer g ewi s s en Konstanz d e r Signalstärke a u s . Die
ersten R a d i o w e l l e n , d i e 1 9 0 1 den At l a n t i k ü b e rq u e r ten ,
h a b e n schon lange unser S o n n en sys tem verlassen,
100 L i c h t j a h re hinter sich g e l a s s en , r e i s e n ad i nf i n i t u m .
Zurück z u r Erde: I m verschneiten Berlin d i e s e s
Februars im Jahr 2013 kann man s i c h zwar das Erwachen
der N a t u r nur s c h w e r l i c h vorstellen, bei der Veröffent­
lichung dieser eigenart, 14 J a h r e n a c h unserer Pong-Mimesis,
44 Jahre nach der P o n g - Erfindung steht jedoch unbe­
stritten die W i e d e r g e b u r t . Die Wu n d e r d e s f l i e g e n d e n
Pixels sind aktualisiert erlebbar, m i t d e r Neuauflage d e s
K l a s s i ke r s in jedem Web-Browser spielbar, aufgelegt 2012
von Atari s e l b s t . Zu erreichen unter d e r Web-Adresse
http://atari.com/arcade.
Jeder neue S c o r e ist ein weiteres Ze u g n i s eines in
die Unendlichkeit f l i e g e n d e n Pixels.
82
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Untitled Frank Sievers
Frank Sievers, geboren
1986 in Bielefeld.
2006-2009 Studium
Mathematik in Bielefeld
und Berlin. Seit 2009
Studium Bildende
Kunst, seit 2012 in der
Klasse Mark Lammert.
Abhängig – D a s Ping gehört z u m Pong,
wi e d a s K l i n g geht v o r d e m Klong.
D e r S i n g z e r l ä u f t im S a n g,
a u s d e m S i n n e n t s p r i n g t d e r D r a n g.
Wer „ H ü “ s a g t , s a g t a u c h „ H ot t “.
We r nu r e i n s m a c h t e r n t e t S p o t t .
D i e Dependenz i s t w u n d e r l i c h ,
d o c h w e r nic ht d e n k t , d e n w u n d e r t ‘ s n i c h t .
Abhängig / Horizontalität
Judith Grohmann
Wa s d u s ä s t d a s e r n t e s t d u ,
wen n d u verstehst, d a n n lerntest d u .
P i n g P i n g spielt sich h i n d e r l i c h ,
S i n g S i n g kling t d a n n eher n i c h t .
Das Individuum allein,
ka n n i n u n s r e r We l t nic ht sein.
M a te r i e l l und r a u m b e z o g e n ,
h a t e s sic h d i e We l t e r l o g e n .
M a c h t a u s H a b gleic h G u t ,
f i n d e t i n d e r Ko n ve n t i o n d e n M u t .
D i e R e l a t i o n e n s c hwim men h i n ,
Pinke, P i n ke , p i n g, pi n g, p i n g .
Horizontalität – Die englische Onomatopoesie Ping - Pong w i r d
gemeinhin für d e n Sport Tischtennis verwendet. Der Schläger
ist nicht d e r gleiche - er i s t bedeutend kleiner a l s beim Tennis
u n d das Feld bes c hränkt sich auf einen 274 cm x 152,2 cm
großen Bereich. E s wird also viel mehr Geschick u n d Ausdauer
geschult, a l s der Gluteus m a x i m u s . Das Handgelenk, der
untere Rücken und die Oberschenkel werden zudem i n geringerem
Maße als b e i m Te n n i s, b e a n s p r u c h t . Ein Spieler dieser
Disziplin ist viel m e h r sportlicher S t r a t e g e als Athlet. Er schwächt
die Konzentration des Gegners d u r c h unvorhersehbares
S p i e l . Er kann ihn nicht, wie b e i m Boxen, in die Enge treiben.
E r kann es sich n i c h t in s e i n e m Windschatten gemütlich
machen, wie zum Beispiel beim Radfahren. Es ist ein Kampf, der
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i m Kopf beginnt und in schwindelnder Geschwindigkeit ausgetragen wird. Die
Gelegenheit im richtigen Moment ergreifen, den Ball anschneiden, gerade
ü b e r s Netz o d e r s c h a r f an d i e Kante feuern. Und beim kleinsten Fehler,
d e m e r s t e n Anzeichen, m u s s gehandelt werden.
I m Doppel gestaltet es sich s c hwierig. Sollten beide auf dieselbe
Seite a u s g e r i c h t e t sein, kommen sich die flinken Hände i n s Gehege.
S i e b l o c k i e r e n einander, setzen e i n a n d e r außer Kraft. D i e eine wäscht
die andere? Vo n wegen: -Das w a r d e i n e r, nicht meiner, ach Mensch!Weiter wird Ping-Pong als E ffe k t in d e r M e d i z i n bezeichnet:
-Er hat es vo n ihr, sie hat es sich betrunken geholt, j e t z t gibt
e r es an seine Freundin, er lässt sich behandeln, aber si e gibt e s i h m z u r ü c k
b evo r sie sich b e h a n d e l n lässt, k a u m ist s i e r a u s hat er es schon
wieder.- Reinfiziert sind sie und m a c h e n f r ö h l i c h weiter Ping, Po n g, Ping,
Pong.
Der Begriff mag geschützt sein, d a s Phänomen ist allgegenwärtig.
Geschmacksmuster - U r h e b e r r e c h t , Ideen kann m a n nicht s c h ü t z e n ,
aber i s o l i e r t e Gene sind jetzt mein geistiges Eigentum.
Persönlichkeitsrecht - M e i n u n g s f r e i h e i t ,
Pressefreiheit - Privatrecht.
Komm h e r, geh weg, so ist das n u n mal. H e u t e back ich, morgen
b r a u ich. Ach wo i s t des Pudels K e r n ? W i n -W i n , wenn wir wollen.
Ich studiere GesellAber e rs t ich, dann du, d a n n v i e l l e i c h t nochmal i c h .
schafts- und WirtMan sagt es g e h t auf und a b . Doch nu r aus Gewohnheit.
schaftskommunikation
Das Meer geht h i n u n d her, unsere Dialoge g e h e n hin u n d her.
im 5. Semester.
Nebenher arbeite ich an U n s e re Beziehungen entfernen sich und ko m m en n ä h e r. Oben und unten
der TU-Berlin, am
i s t leic ht. Es impliziert eine Weltordnung in richtig und f a l s c h , g u t
Lehrstuhl der Soziologie,
und böse. Nah und fern kann s i c h we r t n e u t ra l e r e n t f a l t e n . Manchmal
als Tutorin für das
autonome Seminar
"Zivilgesellschaftliches ist f e r n nicht schlecht, aber hinab und tief, ist wie Fa l l e n und Ohnmacht.
Engagement im Web
Wi e m a n in den Wa l d r u f t , so hallt es h i n a u s . Eine horizontale
2.0".
Reaktio auf jede A k t i o . So e i n f a c h i s t das.
Th e m a 3 : 5 Zeichnungen
Rhythmus.
S t a n g e , Wi e d e r h o l b a r ke i t , Wa c h s t u m , Rückkehrzeit, Va r i a b i l i t ä t .
l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l ll l l l l l l l l l l l ll llllll lll l l l l llll l l l l l l l l l l l l l
llll
)((())((())(((())))
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---
Zeit.
U M ZU HÖREN.
3 Themen Tingwei Li
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Th e m a 2 : skip over another day
make a b o x of curse o n your table, either in uni o r in your home,
then y o u can p u t objects which you d o not like in it , eve r yd ay
some n ew, to display whatever you wanna c u r s e .
a new day c o m e s , while t h e o t h e r i s disappearing.
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Thema1. „eins, zwei, d r e i , zwei.eins, zwei, drei, z w e i .
e i n s , z we i , d r e i , zwei.eins, zwei, d r e i , zwei“
Tingwei Li studiert seit 2011
im Studiengang Bildende
Kunst an der UdK, interessiert sich für die grundsätzlichen Fragen nach
Malen, Machen und -Sein.
Über anschluss­fähige und
aufschluss­reiche Systeme Eine Übung - Tobias Reisch,
Bild: Léon Giogoli
I. Sich selbst auflösen
Aus der konventionellen Perspektive benimmt sich mein Freund – und
erlauben Sie mir den diffarmen Jargon, aber wenn es sich doch so
darstellt - wie ein Vollidiot. Er erinnert mich an das Oktopus-Weibchen,
welches unter vollem energetischen Einsatz seine Eier brütet und dabei kurz bevor die Kinder schlüpfen - stirbt. Mein Freund arbeitet bei einer
NGO mit dem Ziel, Probleme zu lösen, bis dahin, den Problemlöser
selbst obsolet zu machen, seinen eigenen Job selbst in die Tonne zu kloppen.
Ärzte sind ähnliche Kamikazen. Wenn die Krankheit geheilt ist,
braucht es den Heiler nicht mehr. Oder menschliche Mütter und Väter,
die ihre Kinder zur Selbstständigkeit erziehen. Eltern-sein ist ein liebe­
voller Auflöseprozess. Oder die Religion, die sich nicht mehr benötigt, sobald Gott gefunden und Erleuchtung erlangt ist. Auch Sexualität
vernichtet sich selbst. An ihrem koitalen Ende kommen alle Teilnehmer
zum Zug, haben das letzte Wort in Form einer stöhnenden Gebärde
des tiefen Einverständnisses. Ärzten, Fickenden, Eltern und Schamanen
sind Begriffe wie Selbsterhalt und Wachstum völlig fremd.
Schimpfende „Wissenschaftler“ tadeln sexuelle, medizinische
und religiöse Zustände des Sich-Selbst-Obsolet-Machens als „Auf­
löseparadoxie“, als suizidale Systeme. So tadeln Suhrkamps Jünger, deren
Begriffswolken über der Wirklichkeit schweben: grau, unerreichbar
und kontaktlos. Sie vertreten eine Gesellschaft, die sich ständig reproduziert, weitermacht, Wachstum generiert, deren Ziel es ist, einen Status
Quo wuchern zu lassen. Und das vom Standpunkt der Beliebigkeit aus,
von der Fahne im Wind:
everything goes, as long as it‘s faster than yesterday and better
than my neighbours‘.
Alles geht, solange alle darauf reagieren und es erhalten können
mit Besser- und Schnellermachen. Ganz unverbindlich, und der Flug­
hafen wird dieses Jahr wieder nicht fertig. Was geht, wird an seiner Anschlussfähigkeit bemessen, weniger an seinem Aufschlussreichtum.
Was würde passieren, wenn in einer Talkshow nach 30 Minuten alle Teilnehmer behaupten, dass alles jetzt Wichtige gesagt ist, dass man
darüber nachdenke und danach handele? This is a joke, dear reader.
Welcher Glaube unterspült unsere Gesellschaft derartig, dass
ihr nihilstischer Auswuchs mit solch heftig-träger Energie wütet-, heftigträge in das Fleisch der Natur und des natürlichen Frohsinns schnei90
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det?- Welche Sichtweisen fräsen gleichzeitig das Gefühl der Sinnlosigkeit
und eines so schweren Sinns, der uns wie von Sinnen ins Burnout treibt?
II. Anschlussfähigkeit und Aufschlussreichtum
Niklas Luhmanns soziologische Systemtheorie krönte die „Anschlussfähigkeit“ zum Dogma unserer Kommunikationsexperten, PR-Berater, Marke­
tingstrategen, Medienlandschaft, politischen Kultur und Gesells c haft.
„Anschlussfähigkeit“ ist das Codewort der neuen, mit sich versöhnten
Intelligenz 1. Sie ist das Herzstück einer Theorie und dessen Untersuchungsfeld. „Der Sinn eines Aktes ist das als eine bestimmte Situation ge­
gebene Ensemble der Möglichkeiten, an diesen Akt weitere Akte anzuschließen; d. h. der Sinn eines Aktes ist die Mannigfaltigkeit der Anschließ­
barkeiten, die er eröffnet“2
Besonders anschlussfähig sind demnach Mörserraketen aus dem
Gazastreifen. Bomben eröffnen einen großflächigen, realen Möglich­
keitsraum, weitere Akte anzuschließen. Und der Sinn ist – unserer Theorie
nach – gesichert, denn als sinnvoll gestaltet sich alles, woran „weitere
Akte anschließen [können]“. Ein Ping-Pong-Spiel bei dem jeder, aber auch
jeder mitmachen kann.
Fünfzig Jahre später liest sich Luhmann deskriptiv als alarmierende
Diagnose eines verwirrten Zeitgeistes. Zustand: everything goes. Die
andere Seite der Medaille wenn alles geht: nichts ist wichtig. Alles homogene
Brühe. Alles gleich, solange anschlussfähig. Und wenn alle mitgehen
ist niemand wichtig. Niemand wird gebraucht. Jeder legt selbst den seidenen
roten Faden seiner Individualität, bis sie ihm als wichtig zurecht gelegt
ist; als Strohhalm, an den er sich klammert.
Nur der Tod schneidet unseren ephemeren, weltwandlerischen Zustand
der Anschlussfähigkeit. Heidegger betont den Tod als die Un­möglichkeit weiterer Möglichkeiten. Und das Leben setzt uns ins Wartezimmer der
Möglichkeiten, wenn wir das Sterben fürchten. Solange der Tod uns
ängstigt, sitzen wir im Wartezimmer der Möglichkeiten. Wir schließen an.
„Sinnen auf den Tod ist sinnen auf Freiheit. Wer sterben gelernt hat, ist
kein Sklave mehr“ (Montaigne).
Mein Freund bei der NGO, mein Vater und mein Arzt sterben, als
dass sie ihren eigenen Sinn loslassen. Sie handeln nach dem vorläufig
sinnvollen Sinn, Probleme zu lösen. Analog betrachtet, wäre der Zustand des
hilfreichen ökonomischen Systems, ein Streben nach Sich-Selbst-Obso-
1 Schlak, Stephan: Der
Nicht-Anschlussfähige
92
2 Frese, Jürgen:
Sprechen als Metapher
für Handeln. S. 50f.
93
let-Machen. Eine Wirtschaft, die so lange existieren will, bis Knappheit
gemindert ist. Lassen Sie mich das wiederholen: ein Wirtschafts­
system, das sich wie ein Arzt verhält, will nur solange da sein, bis sein
Job erfüllt ist. Es löst sich auf, sobald es die Knappheit minderte.
Als politische Praxis wäre dazu natürlich eine Definition unabdingbar,
wann Knappheitsminderung aufhört und Luxusanhäufig beginnt.
Das Genie ist der, welc her außerhalb seine r Begierden handelt.
Könnten wir unser Klammern am Strohhalm, unser Greifen
und Festhalten beruhigen,- die Nicht-Anschlussfähigkeit des Todes
erst begreifen, dann tiefer begreifen und transformieren: was
stünde an?
Tobias Reisch studierte GWK,
jetzt Psychologie (aus Liebe
zu den linguistischen Exzessen
im Geist und in der eigenart).
Ich bedanke mich ganz herzlich
bei allen Ermöglichern für
zwei Jahre Zusammenarbeit an
diesem Heft.
Léon Giogoli ist in Berlin
Neukölln aufgewachsen wo er bis
dato lebt und als freiberuf­licher Illustrator und Gestalter
arbeitet. Er ist Teil eines Siebdruck­­kol­lektivs und begeisterter
Radfahrer.
III. Letting things go
Eine individuelle und kulturelle Therapie, die Irvin Yalom als klinische Philosophie bezeichnet (damit wir uns nicht vor religiösen
Begriffen fürchten müssen). Eine Materialismustherapie: Loslassen
lernen. Loslassen lernen nicht als erhobener Zeigefinder des
Besserwisserischen, sondern als epistemologische Konsequenz.
Denn Materie bleibt Materie. Ihre Formen stehen in Kausalketten,
sind nicht von Dauer. Sie ziehen an uns vorbei. „Das Vergängliche
haftet uns an, so wie wir ihm anhaften“ (Lorenzo Ravagli). Die
Permanenz der Dinge zu behaupten ist das Dogma des Kapitals.
Der tibetische Gelehrte Sogyal Rinpoche beschreibt im
tibetischen Buch vom Leben und Sterben eine Übung, die ganz wunderbar in unseren Kontext passt:
„Machen wir mal ein Experiment: Nehmen Sie eine Münze in die
Hand und stellen Sie sich vor, sie sei etwas, an dem Sie sehr
hängen. Halten Sie es fest in der Faust und strecken Sie dann den
Arm aus, die Handfläche nach unten. Wenn Sie jetzt die Faust
öffnen, verlieren Sie, was Sie umklammern. Darum halten Sie fest.
Es gibt eine andere Möglichkeit: Sie können loslassen und dennoch behalten. Drehen Sie einfach die Hand um. Wenn Sie die Faust
jetzt öffnen, bleibt die Münze einfach auf Ihrer Handfläche
liegen. Sie lassen los, doch die Münze bleibt Ihnen trotzdem – mit all
dem sie umgebenden Raum. Es gibt also einen Weg, Vergänglichkeit zu akzeptieren und gleichzeitig das Leben zu genießen – nämlich ohne Greifen.“
Eine Materialismustherapie wäre ein von uns installierter
Schutz vor konsumistischem, intellektuellem und spirituellem
Materialismus. Ein Anti-Marketing. Eine Sprache, die uns hilft, die
Phänomene, so weit es Menschen möglich ist, zu dechiffrieren.
Eine Anti-Anschlussfähigkeit: eine Aufschlussreichtum. Wichtiges
tun, statt Wichtigtuerei.
Konkret bedeutet das eine Ökonomie, die zwei Dinge einsieht
und ein Ziel hat: Die Dinge sind nicht von Dauer, sondern
im Wandel. Und: Es gibt kein Eigentum, nur Subjektivation. Deshalb
wünscht sich unsere utopische Neoökonomie des Aufschlussreichen, Knappheit zu m i n d e r n , bis Knappheit gemindert ist.
Diese Wirtschaft nimmt die Funktion des Zeigefingers
ernst, nicht erhoben, sondern richtungsweisend. Dieser Plan schließt
Demut und Dankbarkeit mit ein und damit eine Definition,
wann Knappheitsminderung aufhört und Luxusanhäufig beginnt.
Nachdem wir Klöstern die Anschlussfähigkeit entzogen haben,
sind Universitäten Gegenstand einer gestaltenden Dankbarkeit.
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Kunst braucht
nicht viel.
Nur das Richtige.
Marienfelde
Charlottenburg
Prenzlauer Berg
Nunsdorfer Ring 31 Franklinstr. 12 / Hof ll Marienburger Str. 16
Tel.: 030-756567-0 Tel.: 030-9606069-0
Tel.: 030-4050426-0
Luisa Rund
Ping Pong ist jeden Tag das
Spiel zwischen mir und der
welt. Ich glaube, die Haut ist
nicht wirklich die Grenze…
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Herausgeber
Allgemeiner Studierenden-Ausschuss (AStA)
U n i ve rs i tä t d e r Künste B e r l i n
Hardenbergstraße 3 3
10623 Berlin
Redaktionsleitung
Tobias R e i s c h
e i g e n a r t @ a s t a - u d k - b e r l i n .d e
Impressum
Gestaltung
Marius Förster
[email protected]
Robert P r e u s s e
[email protected]
Lektorat
M a r i n a - E l e n a Heyink
Typographie:
Our Times G ro t e s k
Druck & Papier:
Laserline
Papyrus RecyStar Polar, 1 1 5 g / m 2
Auflage:
2500
ISSN
1869-8956
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