Financial Times Deutschland vom 28.09.2007

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Financial Times Deutschland vom 28.09.2007
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aussprechen, ausgeben, aufdrehen, abheben
FI NA N C I A L TI M E S D EUTSC H LA N D
F R E I TA G , 2 8 . S E PT E M B E R 2 0 0 7
FTD-Montage; Stills-Online; Ullstein Bild – Schirner; Picture-Alliance/dpa (3); Witt/Sipa; www.lisaschibel.de;
Aus dem Fotoalbum
der Geschichte:
Helmut Kohl mit
Brille, Cut, Wintermantel, Strickjacke
und Polohemd
gen Amtszeit als Kanzler präsentierte er sich sogar mal ohne Brille auf Wahlplakaten, und auch heute sieht man ihn immer öfter
ohne. Schade eigentlich, denn Kontaktlinsen sind längst
out. Moderne Stars wie Harry Potter tragen wieder Brille.
Gerade große Gläser und Gestelle gehören heute zum fashionablen Lifestyle auch bei Männern, wie die Modeikonen Marc Jacobs oder der Musiker Jarvis Cocker beweisen. Der Ex-Frontmann der Band „Pulp“ trägt seine Brille
sogar auf Konzertbühnen.
Ministerpräsidentenbrille, original 70er-Jahre-Modell,
circa 170 €, über www.zorn-optik.de
Kohls Weitsicht: Die Brille
Große Männer mit Augendefekten trugen einst große
Brillen. Theodor W. Adorno, Aristoteles Onassis oder Rainer Werner Fassbinder sahen durch sie die Welt, und die
Welt sah sie. Auch Helmut Kohl blickte als Ministerpräsident durch einen markanten Hingucker, damals jedoch
hauptsächlich auf sein Heimatland Rheinland-Pfalz. Dicke Gläser schärften seine Sicht, Bügel und oberer Rahmen entsprachen der Farbe seiner Partei, der untere Brillenrand setzte auf Transparenz. Ein Modell mit Aussage;
wenn man so will: eine Charakterbrille, die den Blick von
außen auf seine Augen lenkte und nicht auf den höher
rutschenden Haaransatz oder das zunehmende Doppelkinn. Diese Sehhilfe ermöglichte dem weitsichtigen Kohl
1970 auch eine ungetrübte Aussicht auf den nahen Nacken seines Pfälzer Landsmanns, des Fußballhelden Fritz
Walter – und damit eine fehlerfreie Performance beim
Binden des Bundesverdienstkreuzes.
Anders als die folgenden konturlosen Kassenmodelle
Kohls war jene Massivbrille auch ein Stück Zeitgeschichte. Denn schon bald darauf wurden die Gläser allgemein
dünner, Kohl insgesamt dicker. Im Wandel der Zeiten
wechselte er häufig das Modell, zum Ende seiner 16-jähri-
Vor genau 25 Jahren wurde
Helmut Kohl als Bundeskanzler
vereidigt. Es folgte eine Ära voll
historischer Momente, in denen
der Kanzler der Einheit stets
perfekt gekleidet war. Das
Vermächtnis einer Stilikone
VON BIANCA LANG
Auf der Suche: Kryptozoologen Seite 2 Auf der Schneide: Messer
Seite 3
Kohls Gemütlichkeit: Das Polohemd
Der moderne Staatschef gibt sich gern sportlich und
dynamisch. Gewährt er Einblicke in seine Privatsphäre,
sehen wir ihn in Badehose mit eingezogenem oder wegretuschiertem Bauch über Seen rudern (Nicolas Sarkozy),
auf dem Pferd im Holzfällerhemd (George W. Bush) oder
mit Angel und blankem, durchtrainiertem Oberkörper
(Wladimir Putin). Kohl hatte solche Muskelspiele nicht
nötig. Er brauchte keine Freizeitinszenierungen, zeigte
sich stets authentisch: Ein Botschafter deutschtümelnder
Gemütlichkeit, der gern in Sandalen umherschlappte,
drei Jahrzehnte lang am Wolfgangsee urlaubte und abgesehen von einem Bad in dem ruhigen Gewässer keinen
Hang zu körperlichem Aktionismus verspürte. Dennoch
hatte er ein Händchen für sportiven Outdoor-Look, wie
das Polohemd von Löffler beweist – immerhin ein Hersteller für Premium-Sportswear. Das strahlende Gelb
passte zum sonnigen Gemüt, das der Altkanzler während
seiner Sommerferien in Sankt Gilgen, dem am Westende
des Wolfgangsees gelegenen Badeort, zur Schau trug. Das
jugendliche, atmungsaktive Textil stand für Beweglichkeit und Bequemlichkeit. Darin konnte sich der Kanzler
getrost zurücklehnen, entspannt auf dem Beifahrer-Sitz
des Traktors über die Kuhweiden schaukeln lassen, und
während er scheinbar die schöne Landschaft des Salzkammerguts genoss, den nächsten politischen Schlag
planen. Dabei den Fotografen zulächeln und wissen: In
der Ruhe liegt die Kraft.
Sporthemd Kurzarm von Löffler, um 60 €, www.loeffler.at
Kohls Grandezza: Der Mantel
Was zieht man an, wenn man morgens aufwacht und
weiß, dass man heute Geschichte schreibt? Der Schauplatz bietet wenig Spielraum: Wir sind in Verdun, schreiben das Jahr 1984, es ist kalt und regnet in Strömen. Die
einzig richtige Antwort lautet: einen schwarzen Mantel!
Schon Willy Brandt trug einen, als er in Warschau auf die
Knie fiel. Und genauso wählen François Mitterrand und
Helmut Kohl den Klassiker, als sie sich am 68. Jahrestag
der Schlacht von Verdun vor einem symbolischen Sarg
die Hände reichen und mit dieser Geste zum Symbol für
die deutsch-französische Freundschaft werden. Brüder
im Geiste und in der Garderobe, aus deren Auftritt mehr
Haltung und Stil spricht, als Worte es vermocht hätten –
dank eines Kleidungsstücks, das in Silhouette und Aussage so gerade und unaufdringlich ist, dass es dem
Monumentalen der Situation gerecht wird.
Kohl, der auch aufgrund seiner nicht unproblematischen Figur den schwereren Part bei der Begegnung hat,
hüllt sich wohlweislich nicht in ein Modell von der Stange, sondern in einen vorteilhaften Kaschmirmantel, den
sein Schneider Volkmar Arnulf für ihn maßangefertigt
hat. So begegnet er dem Moment in bester Form und mit
größtem Format.
Herrenmantel von Maßschneiderei Volkmar Arnulf,
Kurfürstendamm 46, Berlin, Tel. 030/883 92 02,
Preis auf Anfrage
씰 Fortsetzung auf Seite 2
Auf der Höhe: Surround-Sound Seite 4 Auf der Wanderung: Hongkong Seite 5 Auf der Erde: Sternenkunst Seite 6
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aussprechen
FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND
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„Ich forsche viel über
den Tatzelwurm“
FTD Herr Schneider, wie wird man Kryptozoologe? Haben Sie als Kind zu viele
Fantasyromane gelesen?
Michael Schneider Eigentlich war ich
Chemielaborant in der Kosmetikindustrie. Aber ich habe mich schon
immer für Tiere interessiert und vor
allem für die Mythen um Tiere. Seit
Mitte der 90er-Jahre bin ich sozusagen professioneller Kryptozoologe.
FTD Und seitdem jagen Sie nach Nessie?
Schneider Nessie, Bigfoot und Yeti
sind so die Bekanntesten. Aber in
der Alltagskryptozoologie spielen
sie kaum eine Rolle. Eigentlich geht
es darum, verborgene Tiere aufzuspüren. Tiere, die zwar aus Legenden und aus Sichtungen bekannt
sind, aber zoologisch noch nicht erfasst sind. Oder Tiere, die als ausgestorben gelten, aber noch irgendwo überlebt haben könnten.
Die müssen nicht unbedingt monstermäßig groß sein, aber es muss
Hinweise geben, und bei denen
setzt die Kryptozoologie dann an.
Die besten Bars der Welt präsentiert von
Einschenken
Der Turm, Heidelberg
Eine Bar in Heidelberg, die sich Skylounge nennt? Klingt
zuerst etwas paradox, ist aber ernst gemeint. Die Bar in
der Touristenmetropole an der Mosel, nicht eben für
seine himmelhoch schießenden Häuser bekannt, präsentiert sich gleich beim
Betreten
gisch
unheidelber-
abgehoben.
Mit
einem Fahrstuhl. Oben
angekommen,
erstreckt
sich die Bar mit Rundumverglasung über die
beiden oberen Stockwerke des modernen Quadergebäudes. Loftig-transparent ist die Einrichtung: schlichte
Ledersessel, Milchglastische. Die Dekoration ist minimalistisch, nur der Barbereich lichtdurchflutet. Unter
der Woche schäumt Chillout-Musik den Hintergrund
auf, am Wochenende tanzt Heidelbergs Szenepublikum
zu Housebeats. Über die Grenzen der Stadt hinaus ist
die Lounge bekannt für ihre Cocktails. 130 Variationen
Nessie, Yeti und Wolpertinger: Michael Schneider
kennt sich aus mit Tieren,
die es in keinem Zoo gibt.
Als Kryptozoologe sucht er
nach Kreaturen, die bisher
nur im Märchen existieren
es erst ab 1930 Berichte von Nessie
gibt. Danach sind viele Leute hingefahren in der Hoffnung, etwas zu sehen, und haben aus einem springenden Fisch ein Monster gemacht.
FTD Steckt denn hinter jedem Fabelwesen ein normales Tier?
Schneider Meistens gibt es eine natürliche Erklärung. In England werden
zum Beispiel oft „Alien Big Cats“,
also Wildkatzen wie Puma, Panther,
Luchse, gesichtet. Obwohl die dort
nie gelebt haben. Diese mysteriösen
Katzen kann man historisch erklären: In den 60er-Jahren war es in
Europa schick, Großkatzen als
Haustiere zu halten. Dann kam ein
Verbot, diese Tiere zu halten. Da haben viele ihre Raubkatze freigelassen. Und wir haben es heute mit
den Nachkommen zu tun.
FTD Und manchmal ist ein Märchen
auch einfach nur ein Märchen?
Schneider Klar. Die meisten Fabelwesen können gar nicht existieren.
Der Drache zum Beispiel. Das
kleinste Problem ist das Feuerspucken. Um wirklich fliegen zu können, müssten Drachen bestimmte
Bedingungen erfüllen – Knochengewicht, Flügelspanne, Muskulatur –,
und nach allem, was wir wissen,
wäre ein echter Drache zu schwer,
um in die Luft zu kommen.
FTD Gibt es auch wissenschaftliche
Erfolge der Kryptozoologie?
Schneider Viele sogar! Jährlich werden
300 bis 400 neue Arten entdeckt.
Davon sind etwa 20 Prozent allein
auf kryptozoologische Arbeit zurückzuführen. Also Tiere, die schon
mal irgendwo beschrieben wurden
und von Forschern entdeckt werden, die diesen Spuren nachgehen.
FTD Mit welchen Entdeckungen rechnen
Sie in nächster Zeit?
Schneider Große neue Arten wird man
vor allem im Meer finden. Zum Beispiel Haiarten wie den Megalodon,
der eigentlich als ausgestorben gilt.
Und aus Afrika und Australien werden ständig neue Funde gemeldet.
Dort könnten durchaus noch Exemplare des Beutelwolfs und des Beutellöwen leben.
INTERVIEW: FRANZISKA WALSER
FTD Haben Sie denn ein Spezialgebiet?
Schneider Ich forsche viel über den
Tatzelwurm und „El Chupacabra“.
FTD Von „El Chupacabra“ hat man tatsächlich noch nicht so viel gehört.
Schneider Das ist ein vampirartiges
Tier, das Ziegen und Hühnern das
Blut aussaugt. Der Chupacabra ist in
Südamerika und Mittelamerika sehr
weit verbreitet. Wir haben in zehn
Jahren über 15 000 Meldungen bekommen. Und 2005 hat der Verein
für kryptozoologische Forschungen
dann eine Expedition nach Honduras und Nicaragua gemacht.
FTD Wie sucht man ein Tier, dass man
nur aus Legenden kennt?
Schneider Erst einmal muss man alle
schriftlichen Quellen sammeln und
auswerten. Der Tatzelwurm wird ja
schon im Mittelalter erwähnt. Meist
wird er als eine Art große Eidechse
ohne Hinterbeine beschrieben. Die
Größenangaben schwanken zwischen 50 Zentimeter und 1,50 Meter.
mixen die Barkeeper nach Rezept oder virtuos. Neben
empfiehlt die Karte einen Honeymoon mit Gin, Apricot
Brandy und Grenadine. Die schönste Mischung allerdings offenbart der Blick. Von hier aus betrachtet,
verbinden sich Schlosskulisse und urbanes Nachtleben
zu einem wunderschönen Moment unter dem noch
unterschätzten Heidelberger Himmel.
KERSTIN BUND
FTD Und was machen Sie dann vor Ort?
Schneider Wir arbeiten wie Kriminologen, die einen Mordfall aufklären:
Wir befragen Zeugen, die das Tier
gesehen haben, und gehen die Gegend ab, um zu sehen, ob der Tatzelwurm dort wirklich leben könnte.
Ist der Boden dort weich genug,
dass sich der Wurm Höhlen graben
könnte? Oder ist alles fester Fels?
www.gastroturm.de; www.lisaschibel.de; photothek
gut gemachten Standards wie dem Cosmopolitan,
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SKYLOUNGE, DER TURM Alte Glockengießerei 9,
69115 Heidelberg, www.gastroturm.de
Einheits-Kleidung
씰 Fortsetzung von Seite 1
Kohls Gewissheit: Der Cutaway
Der Sekt steht schon kalt, als die Wahl fällt. Die sozialliberale Koalition ist am Ende und der Vorsitzende der
Christdemokraten ist sich seiner Sache sicher: Am 1. Oktober 1982 gegen 15 Uhr entscheidet sich das Parlament
gegen Helmut Schmidt und für Kohl als Kanzler. Deutschland sitzt gespannt vor dem Fernseher und wartet. Kohl
müsse sich umziehen, heißt es. Damals herrschen noch
andere Sitten, einen Kleiderwechsel vorm ausharrenden
Volk, das wagen heute nur noch Popstars. Bei Kohl
kommt diese erste Amtshandlung einem Statement
gleich, das nicht Eitelkeit, sondern Anstand vermittelte:
Die Vereidigung wird zur Krönung des Regierungschefs,
also unterwirft sich Kohl einem nahezu königlichen Protokoll.
Nach dem Garderobenwechsel erscheint er wie aus
einem Knigge für klassische Herrenmode entsprungen,
im knielangen, anthrazitfarbenen Cut, den sein
Schneider Volkmar Arnulf ihm mit Weitblick für diesen
Anlass gefertigt hat. Und alles, was traditionell dazugehört, auch: gestreifte Hose, silbergraue Weste sowie
Krawatte in der gleichen Farbe. Nur auf den Zylinder
verzichtet er, eine Kopfbedeckung, die zwar beim
Pferderennen in Ascot Pflicht und bei großbürgerlichen
oder adligen Hochzeiten Standard ist, aber bei einem Gelöbnis dieser Größe und dazu noch vor Gott fehl am
Platze wäre.
FTD Oder Wasser, wie bei Nessie ...
Schneider Von Loch Ness halte ich
nichts. Es ist ziemlich auffällig, dass
den en dessous, wie Kohl sie stets unter seiner Strickjacke
zu tragen pflegt, komplettieren den saloppen, aber
staatsmännischen Auftritt.
Große Politik wird eben nicht immer im Anzug gemacht. Und echte Größe beweist der, der sich was traut
und dabei selbst treu bleibt. Darin war Kohl stets ein
Meister. Seine Strickjacke, die damals als filzpantoffelig
und spießig verspottet wurde, zeugte von Charakter und
Chuzpe. Wenn er sie trug – auf Interkontinentalflügen, im Urlaub am Wolfgangsee
oder zum Aktenstudium vorm Aquarium in seinem Oggersheimer Arbeitszimmer – befreite er sich und seinen
Körper von Zwängen. So gesehen
war die Strickjacke Avantgarde
und Kohl – wenn auch unbeabsichtigt – ein Trendsetter.
Kohls Gelassenheit: Die Strickjacke
Mittlerweile hat die StrickNatürlich weiß heutzutage jejacke ihr miefiges Image
des Schulkind, wem der Fall der
abgelegt, ebenso wie ihMauer und die Wiedervereinigung
ren Namen. Sie heißt
zu verdanken sind: der Strickjacke
jetzt Cardigan, wird von Modevon Helmut Kohl. Es ist an einem
marken wie Burberry oder Hermès proSonntag im Juli vor 17 Jahren, als der
pagiert und von Sexsymbolen und SuKanzler in seinem favorisierten
perstars wie Justin Timberlake oder DaKleidungsstück auf Michail Gorba- Die Aktentasche, die Kohl zum Parteiniel Craig zu offiziellen Anlässen getratschow im Strickpulli trifft. Zwei Rit- spenden-Untersuchungsausschuss mitter ohne Rüstung; wärmende Wolle brachte, bot viel Raum für Spekulationen gen. Kohl hat sein blaues Modell mittlerweile ausgemustert, der schwäbische
statt kaltem Krieg. So machen sich
die beiden Staatschefs den Weg frei für die Wiedervereini- Hersteller Bueckle wurde aufgekauft. Das berühmte
gung. Gemeinsam spazieren sie durch die kaukasische Stück in Konfektionsgröße 68 hängt im Haus der GeNatur, demonstrieren Männerfreundschaft als verlässli- schichte in Bonn, gleich neben Gorbatschows Strickpulli.
che Gefühlsbasis der Weltpolitik und bürgerliche Feier- Herrencardigan von Bueckle Company, um 90 €, Im Brühl
abendmode als stilechte Arbeitskleidung. Weiße Hem- 50, 74248 Lauffen/Neckar, Tel. 07133/10 80
Kohl wählt den feinen Zwirn auch als Ausdruck einer
inneren Haltung gegen proletarischen Geschmacksnihilismus, für Tradition und Ehre, für Recht und Ordnung
auch in Kleiderfragen. Der bourgeoise Gehrock wird seit
viktorianischen Zeiten zu offiziellen feierlichen Anlässen
am Tage getragen. Seinen modischen Höhepunkt erlebte
er in Deutschland während der Weimarer Republik. Und
so sieht der Moment, in dem Kohl seine Ernennungsurkunde entgegennimmt, schon vor 25 Jahren aus wie für
die Ewigkeit bestimmt.
Kanzler-Cutaway von Maßschneiderei Volkmar Arnulf,
Kurfürstendamm 46, Berlin, Tel. 030/883 92 02,
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Kohls Ehrenwort: Die Aktentasche
Da steht sie, zu seinen Füßen. Stoisch, riesig und
verschlossen wie ihr Besitzer. Nicht nur die Mitglieder des
Untersuchungsausschusses zur CDU-Parteispendenaffäre hätten an diesem Tag gern gewusst, ob ihr Inhalt
Antwort geben kann auf die Fragen, zu denen ihr Träger
beharrlich schweigt.
Die Aktentasche von Helmut Kohl bot damals jede
Menge Raum für Spekulationen. Beheimatete sie all jene
Unterlagen aus Kohls Amtszeit, die später auf so unerklärliche Weise verschwanden? Hätte sie aufklären können
über die heimlichen Spender, über Schwarz- und
Schmiergelder? Hätte sie am Ende gar das Ansehen der
deutschen Politik retten können?
Beim Anblick der Aktentasche schienen die Wahrheit
in greifbarer Nähe und der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Dass die Tasche tugendhaft und treu zu ihrem Eigentümer bis heute ihr Geheimnis nicht gelüftet hat,
macht sie nur attraktiver. Sie war ein Mysterium, loyal bis
ins kleinste Seitenfach, dabei von großem Format, funktional und schmucklos im Design – das perfekte Accessoire für einen Ehrenmann, für den ein Versprechen
mehr zählt als das Gesetz. Mit dieser Politik retten heutzutage Filmhelden wie Jack Bauer aus der US-amerikanischen Serie „24“ regelmäßig die Welt – aber das nur am
Rande. Vom Verbleib der eleganten braunen Aktentasche
ist heute, über sieben Jahre später, leider nichts bekannt.
Anders als Kohls artverwandtes Alltagsmodell in Schwarz
steht sie nicht im Deutschen Historischen Museum in
Berlin. Ihr Verbleib ist ungeklärt. Sie wird uns wohl für
immer ein Rätsel bleiben.
Lederaktentasche, zum Beispiel von Assima,
ab 100 €, www.assima.de
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Messer fürs Leben
Seit Kochen Breitensport ist, sind in Hobbyküchen auch gute
Messer zu finden: Von Hand geschliffen, die Klinge gefasst in
Walrosszahn – manche taugen sogar als Geldanlage
VON IRIS HOBLER UND ANNE ROSCHE
V
orsichtig hält Lars Scheidler
den kleinen grauen Rohling
einige Minuten über das
Feuer. Dann setzt er den
Hammer an: Gleichmäßig landen
seine Schläge auf dem glühenden
Gemisch aus Eisen und Stahl. Nach
einer dreiviertel Stunde konzentrierter Arbeit ist das Stück mit etwa vier
Zentimetern fast sechsmal so breit
wie vorher. „Mein Ziel ist die perfekte
Kombination von großer Schärfe und
Elastizität“, erklärt der Messermacher aus dem niedersächsischen
Wunstorf. Seine in reiner Handarbeit
hergestellten Einzelstücke nennt er
„Nesmuk“, abgeleitet von Nessmuk
mit doppeltem s: der Bezeichnung
für eine uralte Messerform mit breiter, leicht gebogener Klinge.
Wie bei Scheidler spielt die Tradition bei den meisten Messermachern
eine große Rolle. „Zwar haben sich
die Materialien im Laufe der Zeit verbessert, aber die Verfahren sind
gleich geblieben“, erklärt Joe Poehler,
Präsident der Deutschen Messermacher Gilde. Kein Verfahrenscomputer, keine Herstellungsanlage funktionieren so wie Erfahrung und Augenmaß eines Messerschmieds.
Von den handwerklichen Aspekten
der Messerherstellung werden vor allem Männer zum Messer gelockt.
Nicht nur ist der Beruf eine Männerdomäne, auch die Käufer der metallenen Handarbeit sind Herren. Sie
suchen ein vollkommenes Werkzeug:
Ein Messer, das sich in die Hand
schmiegt, durch Gemüse und Fleisch
gleitet und lange hält. Doch die Anziehungskraft hat einen weiteren
Grund. „Es gibt viele Sagen, die von
mystischen Schmieden und ihren
Zauberkräften erzählen“, so Giselheid Herder, Inhaberin der Robert
Herder GmbH in Solingen. „Diese
Aura des Geheimnisvollen ist für alle
anziehend.“
Die berühmten Windmühlenmesser von Herder sind neben ihrer
Funktionalität und magischen Anziehungskraft auch optisch etwas Besonderes. Wie beispielsweise das
Schinkenmesser Katana Moulin,
übersetzt Mühlenschwert. Es wird
am Ende des Herstellungsprozesses
„blaugepließtet“. Dieser traditionelle
Feinschliff verhindert das Rosten der
Klinge und verleiht ihr einen leicht
bläulichen Schimmer. Dem Griff darunter schenken Messerliebhaber
genauso viel Aufmerksamkeit wie der
Form der Klinge oder der Schleifart.
Director’s Cut
Gin-maki Das
Sashimimesser aus
der Schmiede Mizuno in
der Nähe von Osaka kostet circa
5500 €, zu bestellen unter
www.tradeparadise.de
Katana Moulin
Schinkenmesser, nach
dem Solinger Dünnschliff
gefertigt, von Robert Herder,
ab 210 €,
www.windmuehlenmesser.de
Ob Kirsche, andalusischer Olivenbaum oder die arktische Birke, mit
ihrer besonderen Maserung – wie ein
Messer in der Hand liegt, ist eine
Frage des Holzes. Lars Scheidler benutzt auf Wunsch seiner Kunden
auch Material wie Walrosszahn oder
Büffelhorn. Ein solches Messer kann
durchaus 8000 € kosten. „So etwas
gehört in die Hände des anspruchsvollen Hobbykochs, der die Zubereitung von Speisen bewusst zelebriert“, erklärt der Messermacher.
Seine Nesmuks gelten unter den ambitionierteren
der
unzähligen
Hobbyköche als Statussymbol, und
sie taugen sogar zum Jagen. Zum
Briefeöffnen, zum Angucken, zum
Gut gemacht
Ausgeräuchert
Zeigen und natürlich zum Protzen.
„Die Nachfrage nach guten, besonderen Messern ist in den vergangenen Jahren gestiegen“, bestätigt
Petra Schleifer, Produktmanagerin
der Friedrich Dick GmbH. Einer der
exklusivsten Artikel des Herstellers
ist das Hackmesser „1778“, das mit
seiner riesigen Klinge Gemüse in
feinste Streifen zerteilt. Damit ein
solches Meisterstück ein Leben lang
hält, braucht es Pflege. Kenner nutzen klingenschonende Schneideunterlagen aus Holz, reinigen die Messer mit warmem Wasser von Hand,
trocknen sie sorgfältig ab und lassen
sie regelmäßig schärfen.
Nesmuk-Messer sind von
Hand gemacht – bis hin
zum Griff aus Büffelhorn
Beinahe bedürftig wie ein
Baby ist das Fischmesser „Honyaki A1“. Die Filetierklinge muss täglich eingeölt werden.
Fährt sein Besitzer in den Urlaub,
muss er es mitnehmen oder in Pflege
geben. Dafür hält das Fischmesser
des japanischen Meisterschmieds
Keijiro Doi ein Leben lang.
Bei den Messerkünstlern in Asien
finden die deutschen Hersteller ihre
Inspiration für neue Modelle: Das
Hackmesser beispielsweise ist ein
Klassiker mit chinesischen Wurzeln,
das Katana Moulin ist der Form eines
japanischen
Thunfischmessers
nachempfunden. Gerade im Land
der aufgehenden Sonne hat das Metier eine lange kunsthandwerkliche
Tradition. Giselheid Herder hat bereits diverse Geschäftsreisen in das
Land unternommen, um ihre Kontakte zu den dortigen Kollegen aufzubauen. „Inzwischen arbeiten wir seit
acht Jahren mit japanischen Betrieben zusammen.“
Darunter ist auch Mizuno, eine der
renommiertesten Schmieden des
Landes. Der Familienbetrieb stellt in
seiner Werkstatt bei Osaka seit Generationen Messer und Schwerter her.
Sogar der japanische Kaiser hat Mizuno schon für seine Küche beauftragt. Aber auch bei deutschen Liebhabern kommen die „Hochos“, die
handgeschmiedeten Messer, an. Einige davon sind echte Geldanlagen,
deren Wert – bei der richtigen Pflege
und Handhabung – mit den Jahren
steigt. So etwa „Gin-maki“, ein Sashimimesser, das auf Bestellung gefertigt wird. Wegen seiner extremen
Schärfe gehört es allerdings ausschließlich in die erfahrenen Hände
von Profis.
Aber wie scharf sind die Klingen eigentlich? Damit hat sich auch Messermacher Lars Scheidler beschäftigt. Während ein normales Haushaltsmesser auf 35 bis 40 Mikrometer
kommt, haben japanische Messer
vier, viele sogar nur zwei Mikrometer.
Perfektionist Lars Scheidler kann
mithalten: Seine Nesmuk-Klingen
erreichen Schärfen bis zu einem Mikrometer – damit lässt sich ein Seidentuch in der Luft zerschneiden.
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N ESMU K-MESSER ab circa 1500 €,
Lars Scheidler Schmiede GbR, Bestellungen im Internet unter www.messerkonzept.de
Das will ich auch!
Die Abenteuerlust von Tim Cope
Gut gemeint
Eingeäschert
Es ist kalt geworden. Und
Echte Abenteuer gibt es heutzutage selten. Für den
Morgen in seinem Weblog nüchtern erzählt, wie er
Hinterhof oder her, passionierte Raucher bleiben
keiner spürt die Kälte
Australier Tim Cope dagegen gehören Abenteuer
beim Erwachen feststellen musste, dass sein Zelt
der Zigarette treu. Nicht aber, wenn es nach dem
mehr als das Grüppchen
zum Alltag. Zuletzt zog er auf den Spuren von
eingefroren war. Uns mag beruhigen, dass auch ein
Designer und Ex-Raucher Chi-ja Ling geht. Seinen
Aussätziger, das sich in
Dschingis Khan durch Asien und Europa. Nach
Tim Cope mit alltäglichen Problemen zu kämpfen
Aschenbecher, dessen Abmessungen denen einer
freien Minuten zusam-
einem
durch
hat: Während der Fahrt verließ ihn seine Freundin
menschlichen Lunge ent-
mendrängelt
lebensfeindliche Landschaften kam er am vergange-
und heiratete einen anderen. Sein Pferd und sein
sprechen (also bis zu 120
und
eine
10 000
Kilometer
langen
Ritt
barzt. Hier, in den Hinter-
nen
Opusztaszer,
Hund aber blieben ihm treu. Auch
Kippen fasst), versteht er
höfen der Gesellschaft,
Ungarn, an. In der Abenteurer-
sein Markenzeichen, der verwege-
als ideales Geschenk für
prallen der eisige Wind der Intoleranz und gefallene
zunft galt Cope schon vor seiner
ne Dschungelschlapphut in Beige.
Nochraucher. Diese soll
Temperaturen unangenehm scharf aufeinander.
eurasischen Tour als Nachwuchs-
Mit Sonnenkrempe und Schnü-
der Ascher, unschuldsvoll
Doch für kalte Raucherfinger naht Trost: der „Smo-
draufgänger mit Indiana-Jones-
rung, die verhindert, dass ein
weiß und doch düster
king Mitten“. Ein Rauchfäustling, der zwischen
Qualitäten. „Von dem werden wir
Sandsturm oder andere Widrig-
dräuendes
Zeige- und Mittelfinger ein ringbefestigtes Loch hat,
noch viel hören“, sagten die Kolle-
keiten Cope vom Cap trennen. Er
nämlich stets daran erinnern, welch Schindluder sie
in das eine Zigarette passt. So muss sich niemand
gen bereits nach seiner Fahrrad-
erinnert an die Unverwüstbarkeit
mit ihren Lungen treiben. Aber derlei überhebliches
mehr die Fingerchen abfrieren, und stinken tut
tour durch Russland und die Mon-
echter Abenteurer. An echte Kerle
Gutmenschentum mit Augenzwinkern hat nun
auch nur noch der Handschuh.
LENNART WEGNER
golei bis nach China. Jetzt wissen
wie Tim Cope.
wirklich kein Raucher verdient.
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der die Hitze in der kasachischen
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FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND
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Traumpartner
Nein, es ist wirklich nichts!
Das Problem mit der schlechten Laune ist ja nicht die
Laune selbst, sondern, dass wir sie nicht zugeben
wollen. Weil wir eigentlich wissen, dass kaum ein Grund
genügt, unsere Umwelt mit Griesgrämigkeit zu verschmutzen, weil wir ahnen, dass der Schlechtgelaunte
nur nach Aufmunterung giert, leugnen wir auf Nachfrage: „Nein, es ist wirklich nichts.“ Und weil
wir dabei um die Lüge
wissen, sind wir gleich
kindisch, dass es nur
mit den Mitteln der
Kinderruhigstellung bekämpft werden kann, erkannte
der Künstler Demitrios Kargotis. Also stellte er während
der Ars Electronica im österreichischen Linz einen
Softeisautomaten mit Namen Dr. Whippy auf den
Pfarrplatz. Der ist mit einem Stimmanalysegerät gekoppelt, das anhand verschiedener Antworten aus dem
Klang der Stimme den Grad der Unglücklichkeit ermittelt. Je unglücklicher man klingt, desto mehr Eis gibt der
Automat aus. Das funktionierte so gut, dass der
Automat dem Vernehmen nach trotz strömenden
Regens ständig umlagert war. Dennoch lässt Dr. Whippy Fragen unbeantwortet. Etwa: Kann Softeis auch
Menschen glücklich machen, die ihres Übergewichts
wegen unglücklich sind? Und vielleicht noch wichtiger:
Wenn ich als glücklicher Mensch vorspreche und nur
einen Fingerhut Softeis bekomme, werde ich dann
nicht sehr unglücklich?
GREGOR KESSLER
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DR. WHIPPY bekämpfte während der Ars Electronica schlech-
te Laune mit Softeis. Eine Serienproduktion ist nicht geplant.
In der Rubrik „Traumpartner“ stellen wir alle zwei Wochen Prototypen und vielversprechende Hightech-Konzepte vor.
Hochfahren
Einschneidende Erfahrung
Skalpell, Zange, Tupfer: Das sind nur einige der Geräte,
zu denen bei „Trauma Center: Second Opinion“ die
Fernbedienung von Nintendos Wii-Konsole wird. Das
Spiel ist eine Chirurgensimulation, bei der es vor allem
um eines geht: schnell und gut an Patienten herumzuschnippeln – und vielleicht noch etwas von der in
Comicbildern erzählten Handlung mitzubekommen.
Die Herausforderung liegt dann zum Beispiel darin, die
Fernbedienung ruhig zu halten und damit langsam
einen Schnitt in den Unterleib eines Krebspatienten zu
machen. Mit einem Ultraschallgerät sucht man nach
Tumoren und trennt sie vorsichtig heraus. Immer
wieder müssen Blut abgesaugt und der Kreislauf
stabilisiert werden – bis schließlich die Schwester sagt,
das alles erledigt sei und man den Patienten wieder
zunähen dürfe. Aber bitte das desinfizierende Gel nicht
vergessen! Wer jetzt Angst bekommt, kann beruhigt
sein: Die Grafik versucht sich dankenswerterweise nicht
daran, die Operation möglichst realistisch darzustellen.
Sie bemüht sich um Abstraktion. Ein deutlicher Nachteil an dem ebenso bizarren wie fordernden Spiel ist der
Der
steigt
VON GREGOR WI LDERMAN N
schlechter
gelaunt. Das klingt so
Schwierigkeitsgrad:
nicht viel Platz weg. Ein passendes
Gerät gibt es für jede Wohnung
nämlich
nach
moderatem Beginn ziemlich schnell an und sorgt später
für eine relativ hohe Sterblichkeitsrate bei den
Patienten.
CARSTEN GÖRIG
......................................................................................
TR AUM A CENTER: SECON D OPI N ION von Nintendo,
für Nintendo Wii, circa 45 €, www.nintendo.de
Impressum Weekend
Redaktion: David Schumacher (Leitung), Rainer Leurs (Koordinator), Gregor Kessler, Lennart
Wegner Chef vom Dienst: Sven Sorgenfrey Layout: Malte Knaack, Nils Werner
Korrektorat: Inger Hoffmann Fotos: Heike Burmeister, Dagmar Wörner
[email protected]
E
ndlich steht zu Hause ein
HD-Fernseher – aber die Musik aus dessen Lautsprechern
klingt immer noch wie aus
dem Küchenradio. Wer sich seine
Wohnung nicht mit den Boxen eines
Surround-Systems vollstellen will,
hat seit der diesjährigen Internationalen Funkausstellung eine Alternative: Auf der Messe wurden die
Soundbars vorgestellt. Diese Geräte
vereinen in verschiedene Richtungen ausgerichtete Boxen, meist in einer schmalen Leiste. Obwohl die
Lautsprecher sehr nahe beieinander
angebracht sind, bieten sie trotzdem
ein Surroundsound-Erlebnis. Denn
sie schicken die Schallwellen durch
den Raum, als seien es Billardkugeln:
lassen sie von den Wänden abprallen
und sich schließlich in einem Punkt
kreuzen. Dieser „Sweet Spot“ ist der
Ort, an dem der Zuhörer in der Regel
sitzt. Dank eines mitgelieferten Mikrofons können die Geräte die optimalen Abstrahlwinkel für jeden
Raum berechnen.
Doch generell sollte man vor
dem Kauf eines Soundbars mit
dem Händler eine Testwoche vereinbaren, um herauszufinden, ob
das Klangerlebnis in den eigenen
vier Wänden zufriedenstellt. Die
Auswahl an Soundbars reicht
schon jetzt für echten Kinosound
in jeder Wohnung – von der Studentenbude bis zum Loft.
Für die Studentenbude
Jeder fängt mal klein an – das gilt
auch für die Wohnverhältnisse. Für
bescheidene Räumlichkeiten sind
die Soundbars genau das Richtige.
Die kleinen Lautsprecherbalken
sparen Platz, lassen aber trotzdem
Heimkinoatmosphäre
entstehen.
Einige der Geräte sind besonders
gut für kleinste Kammern geeignet: Philips
zum Beispiel verbaut in
seinen „Soundbar Ambisound“ auch einen
CD- und DVD-Player.
Sollte über dem Sofa
noch Platz sein, wären
zwei Dreiecksboxen von
Quadral eine Alternative,
die eine tortenstückähnliche Form haben. Jede verfügt
über drei Membranen – eine
strahlt mittig ab, zwei zu den Seiten. Das erzeugt gerade in kleinen
Räumen einen voluminösen Surroundeffekt. Aber Vorsicht: Dicke
Gardinen oder verwinkelte Regalbauten schlucken die Schallwellen –
und verderben den Klang.
Für den Großstadtaltbau
Wer schon mehr als das erste Geld
verdient hat, wohnt gern im Altbau
mit Stuck und Parkett. Gut geeignet
für solche Gegebenheiten ist der
„Individual Sound Projector“ von
Loewe: Räume von bis zu 60 Quadratmetern Größe soll dieses System
beschallen können, Möbel und
sonstige Hindernisse werden von
dem Gerät erkannt und bei der Berechnung der Abstrahlwinkel einkalkuliert. Nach der automatisierten
Raumvermessung können beim
Loewe-System insgesamt sieben Cinema-Programme sowie zwei Modi
für Klangstimmungen abgespeichert werden. Sogar der Körpergröße der Zuhörer kann das Gerät
sich so anpassen. Nutzt mal ein kleinerer Zuhörer das System, kann er
auf ein alternatives, programmiertes
Klangfeld umschalten – damit der
Ton ihm nicht über den Kopf hinwegrauscht.
Für die Dachgeschosswohnung
Leider werden gemütliche Dachgeschosswohnungen zum architektonischen Problem, wenn es um guten
Kinoklang geht – denn klassische Reflektionssysteme können bei tief gezogenen Dachschrägen ihre Schwie-
Klangkonstruktion
Denon X-Space DHT-FS3,
mit 40-Watt-Subwoofer, etwa
1099 €, www.denon.de
rigkeiten bekommen. Aber zum
Glück gibt es bei der Imitation von
Surroundsound auch andere Lösungsansätze. Laufzeitunterschiede
von Schall nutzt der „X-Space DHTFS3“ von Denon, der zusammen mit
einem 40-Watt-Subwoofer ausgeliefert wird. Die in einer schmalen
Leiste untergebrachten sechs Breitwandtöner trennen einzelne Geräusche, beispielsweise atmosphärisches Vogelgezwitscher von den
Stimmen der Schauspieler, und schicken sie leicht zeitversetzt auf den
Weg zu den Ohren des Publikums.
Nach Angaben des Herstellers soll
dies bei ihm den Eindruck hinterlassen, die Geräusche kämen aus unterschiedlichen Entfernungen – und
nicht bloß aus dem Lautsprecher, der
sich gerade zwei Meter vor ihm befindet.
Klanglich noch viel druckvoller
und technisch differenzierter fällt die
Lösung der Firma Marantz aus. Ihr ab
November erhältliches Balkensystem ES7001 versteckt das klangliche Täuschungsmanöver im sperrigen Akronym „Opsodis“ (Optimal
Source Distribution). Der Vorteil
hier: Das Gerät besitzt bereits zwei
digitale HDMI-Eingänge, sodass HDFernseher und eine andere Tonquelle
wie eine Playstation 3 oder eine
Xbox-360-Konsole parallel eingespeist werden können.
Für das Fabrikloft
Für größere, offene Räume sollte
man ein möglichst leistungsstarkes
Soundbar-System einsetzen. Das
neueste Modell von Yamaha zum
Beispiel trägt den Namen YSP-4000
und arbeitet mit 42 Minilautsprechern, die den Ton den verschiedenen Einstellmöglichkeiten an der
Fernbedienung entsprechend wiedergeben. Der besondere Vorteil: Das
Gerät kann den Klang mit einer dritten Minilautsprecherreihe auch über
die Decke als Bande zum Hörer spielen.
Wer es im großen Loft nur schwer
auf dem Sofa aushält, der kann für
entsprechenden
Surroundsound
auch noch auf eine ganz andere Lösung setzen: Das neue HeadzoneKopfhörersystem der deutschen
Firma Beyerdynamic berechnet den
Klang je nach Position des Kopfhörers – neigt der Benutzer zum Beispiel den Kopf nach vorn, passt das
System die wahrgenommene Position der Geräuschquelle automatisch
an. Besonders interessant dürfte das
für Besitzer von Nintendos Wii-Konsole sein: Dieses Gerät wird über eine
Fernbedienung mit Bewegungssensoren gesteuert. So ermöglicht es
Spiele wie schweißtreibendes Boxen
oder gefühlvolles Kegeln. Und dabei
müssen die Spieler schließlich ständig in Bewegung sein.
Yamaha YSP-4000, mit 42 Minilautsprechern, etwa 1300 €,
www.yamaha-hifi.de
Beyerdynamic Headzone-System
mit Kopfhörer DT-880, ab November erhältlich, etwa 2490 €,
www.beyerdynamic.de
Loewe Individual Sound Projector,
ab Ende Oktober erhältlich, etwa
1400 €, www.loewe.de
FTD-Montage; Mauritius; gettyimages; www.aec.at; Nintendo; Denon, Yamaha, Beyeredynamic; Loewe;
noch
Donnerbalken
Protzige Surround-Systeme waren
gestern. Soundbars schaffen einen
Raumklang wie im Kino und nehmen
FI NA N C I A L TI M E S D EUTSC H LA N D
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abheben
Pfadfinden
Laus ins Fleie!
S
Als 2003 in Hongkong die
Sars-Epidemie ausbrach,
flohen die Städter vor dem
Virus in die freie Natur.
Heute ist Wandern vor den
Toren der Metropole ein
Massenphänomen
VON CLAU DIA WAN N ER
Startpunkt Der Ausgangspunkt
der beschriebenen Tour an der
Wohnsiedlung Hongkong Parkview
ist vom Stadtzentrum aus in 15
Minuten mit dem Taxi oder Bus
Nummer 6 zu erreichen.
den 70er-Jahren unter Naturschutz,
in 23 Naturparks warten betonierte
Wege genauso wie schmale lehmige
Pfade, gemütliche Spazierrouten
und herausfordernde Bergtouren.
Einen guten Anfang für Hongkongs Wanderer bietet der erste Teil
des Wilson Trail. Die Tour führt aus
Stanley am südlichen Zipfel von
Hongkong Island auf 74 Kilometern
bis nach Nam Chung im Nordosten
der New Territories an der Grenze zur
Volksrepublik. „Only for the very fit“,
warnt die Beschreibung für den
knapp fünf Kilometer langen Teil.
Lorna ist gut trainiert, sie testet
schon mal in sommerlicher Mittagshitze bei einem Berglauf ihre Grenzen. Dann ist die Luftfeuchtigkeit so
hoch, dass man bereits nach wenigen
Minuten durchgeschwitzt ist. Jetzt,
im Herbst, liegen die Temperaturen
unter 30 Grad Celsius. Von Oktober
bis März ist daher Hochsaison.
Dichter, saftig grüner Wald begrüßt die Ausflügler. Schmetterlinge,
Libellen, ein kleiner brauner Frosch
kreuzt den Weg. Von vielen Bäumen
hängen lange Luftwurzeln, Blüten in
Dottergelb und Pink locken Insekten.
Es geht steil bergauf, oft sind Treppenstufen am Berghang eingelassen
– direkter Angriff auf die Spitze statt
langsam schlängelnder Serpentinen.
Nach einer halben Stunde ist der
erste Gipfel erreicht. Violet Hill, 430
Meter hoch. Auf den Inseln und dem
kleinen Festlandzipfel recken sich
die Berge bis knapp 10 000 Meter in
die Höhe, an die Küsten schwappt
das südchinesische Meer.
Die Zeichen der Zivilisation verlieren Wanderer nur selten aus den Augen. Nach den langen Minuten in der
Stille des Urwalds tönt auf Violet Hill
wieder ein leises Verkehrsrauschen.
Und der Blick in Richtung der Hochhäuser von Happy Valley und Causeway Bay machen deutlich, wie dicht
beieinander über sieben Millionen
Menschen hier leben.
Mehr Abgeschiedenheit bietet
Hongkongs Norden. Bei einer Tour
rings um den Ort Wu Kau Tang liegen
entlang des Wanderwegs nur verlassene Dörfer. Bis in die 80er-Jahre lebten dort Hakka, ein Stamm, der vor
Jahrhunderten aus dem Norden Chinas eingewandert ist. Doch irgendwann lockten Löhne und Lebensqualität in die Städte, viele Hakka sind
nach Großbritannien, Kanada und
Australien ausgewandert. „Einige
scheinen überstürzt aufgebrochen
zu sein“, sagt Wanderführer Roger
Walker. Der Weg führt an einem kleinen Haus vorbei, dessen Tür weit offen steht. Im Inneren stehen Fla-
Karten Gute Wanderkarten sind in
Hongkong nicht einfach zu finden.
Die beste Quelle ist ein Buchladen
der Regierung, im vierten Stock
des Murray Building, Raum 402,
Garden Road, Central.
Gruppenwanderung Unter der
Woche bietet Roger Walker von
Walk Hong Kong Touren unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades
an (www.walkhongkong.com). Am
Wochenende können sich Wandervögel auch einer der vielen privaten Wandergruppen anschließen,
zum Beispiel Hong Kong Trampers
(www.hktrampers.com) oder The
Hong Kong Hiking Meetup Group
(www.hiking.meetup.com/130).
CHINA
10 km
Wu Kau Tang
HONGKONG SAR *
Hongkong
Tai Tam
Country
Park
* Special Administrative Region
(Sonderverwaltungsregion)
FTD/jf
5
schen auf einem Sideboard, und auf
dem Boden liegt ein Schulheft. „English, 1968“ hat eine Kinderhand auf
den Umschlag geschrieben.
Im nächsten Dorf Lai Chi Wo sitzen
ein paar Menschen auf dem Vorplatz
zusammen beim Essen – Mitgebrachtes, denn auch dieses Dorf ist
weitgehend verlassen. Sie hatten am
Vormittag einen renovierten Tempel
eingeweiht. „Wir kommen von Zeit
zu Zeit zurück, um unserer Ahnen zu
gedenken“, sagt Leong Sio Wai, der
mitgefeiert hat. Vor 23 Jahren hat es
ihn von hier nach Birmingham verschlagen.
Zurück nach Hongkong Island.
Während einer Pause in einem Tal
oberhalb der Repulse Bay kommt auf
einem breiten Weg, der den Pfad
kreuzt, eine Gruppe Chinesen vorbei. Trotz des blauen Himmels trägt
eine Dame einen aufgespannten Regenschirm – zum Schutz vor der Sonne. Während die Bewegung an der
frischen Luft, vor allem ausgedehnte
Wanderungen, enorm populär sind,
ist die Sommerbräune eher verpönt.
Der letzte Teil des Weges, hinauf auf
die „Twins“. 1000 Stufen führen nach
oben, warnt Lorna. Es sind 986, um
genau zu sein, das Zählen der Stufen
lenkt vom Ziehen in den Waden ab.
Oben angekommen, hilft auch die
frühe Stunde nicht mehr gegen den
Schweiß. Aber die Aussicht entlohnt
für alle Mühen, der Blick reicht über
den ganzen Süden von Hongkong Island, kleine Inseln am Horizont, dazwischen tutet ein Frachter. Von hier
aus betrachtet, ist Hongkong ein Paradies. Für Wanderer jedenfalls.
Claudia Wanner (2); Klaus D. Francke / Bilderberg; myspace.com
onntagmorgen, 7 Uhr. Lorna
Chan besteht darauf, schon
um diese Zeit zu starten. „Ich
weiß, das ist wirklich früh“,
sagt sie. Aber um diese Zeit sei es
noch ruhiger. Wirklich still und einsam ist es dann doch nicht: An dem
kleinen Picknickplatz am Eingang
zum Tai Tam Country Park in den
Bergen südlich von Honkong wartet
schon eine junge Frau in Joggingschuhen auf ihre Begleiter. Von der
Bushaltestelle kommen fünf ältere
Chinesinnen anmarschiert in schicker Funktionsbekleidung. Eine
stimmt ein Lied an, als sie am Rastplatz vorbeikommen.
„Vor fünf Jahren waren die Wanderwege oberhalb von Causeway Bay
total verlassen“, sagt Roger Walker,
der mit seiner Firma „Walk Hong
Kong“ geführte Touren in der Sonderverwaltungszone anbietet. „Aber
mit dem Ausbruch der Lungenkrankheit Sars hat sich das geändert.“ Die
liebsten Beschäftigungen der Einheimischen, Kino, Einkaufen, Essen gehen, waren wegen der Ansteckungsgefahr nur mit Vorsicht zu genießen.
„Damals, 2003, hat Hongkong das
Wandern entdeckt“, sagt Walker.
Möglichkeiten gibt es reichlich in
der einstigen britischen Enklave. 40
Prozent des Territoriums stehen seit
F R E I TAG , 2 8 . S E P T E M B E R 2 0 0 7
.............................................................................................................................................................
Lohn des Schweißes: Der Blick über die vor Hongkong gelegenen Inseln belohnt für schmerzende Waden. Der Weg führt die Wanderer durch verlassene Dörfer des Stammes der Hakka
Oh, wie schön ist . . . Reykjavik, Island
Sie leben dort, wo andere Urlaub machen. Jede Woche
schen Symphonieorchesters sowieso jeden Tag in einer
Einer meiner Lieblingsorte auf unserer Insel ist
erzählt ein Aussteiger von seiner neuen Heimat.
fensterlose Konzerthalle arbeite, ist das mit der Dunkel-
Myvatn, eine fantastische Gegend. Da hat man auf
heit im Winter für mich kein Problem. Es ist viel
engstem Raum alles zusammen: heiße Quellen und eine
ch war schon zweimal als Touristin im Sommer
schwieriger im Sommer dahin zu gehen, vom strahlen-
herrliche Landschaft. Wenn ich diese Landschaft sehe,
durch Island gereist. Von Anfang an hatte die
dem Sonnenlicht ins Dunkel.
wird mir das vor Augen geführt, was ich in der Schule
I
unberührte Natur einen starken Einfluss auf mich
Ich wohne nicht direkt in Reykjavik, sondern in der
mal gelernt habe. Nämlich, dass es im Inneren der Erde
gehabt. Viele haben mir erzählt, wie schön auch der
letzten Spitze der Landzunge, auf der die Hauptstadt
heiß ist, während wir draußen frieren. Das andere
Winter hier ist, und ich war neugierig mal alle Jahreszei-
liegt. Von meiner Wohnung habe ich einen fantasti-
Extrem ist Vatnjökull, ein riesiges Gletschergebiet. Da
ten hintereinander zu erleben. Von daher entschied ich
schen Blick über das Meer und die Berge der Halbinsel.
gibt es eine Lagune, und darin schwimmen riesige
mich, ein ganzes Jahr auf der Insel zu bleiben.
Ich laufe in zehn Minuten zum Strand, wo ein Leucht-
Eisberge. Das gesamte Innere des Landes ist faszinie-
Die Jahreszeiten sind sehr wichtig für die Isländer,
turm steht. Dort habe ich nicht mehr das Gefühl, dass
rend, eine kalte, schwarze Wüste, aus Gletscher und
die prägen das ganze Leben hier. So werden im Winter
ich in einer Stadt lebe. Die Leute hier sind sowieso völlig
Vulkan, Steine und Asche. Am Rand, wo die Vegetation
die sozialen Kontakte sehr wichtig. Wenn es, wie am
von der Natur umgeben, daher hat sich wohl auch der
wieder anfängt, kann man auch Blaubeeren suchen.
Glaube an Elfen und Geister gehalten. Isländer spüren
Denn hier wachsen die nicht im Wald – sondern in der
die unsichtbare Kräfte eher, als jemand, der in der
Lava.
kürzesten Tag des Jahres um halb 11 hell wird und
schon um 15 Uhr dunkel, braucht man Freunde mit
denen man dann ins Theater oder in Ausstellungen
gehen kann. Das Kunstmuseum Kjarvalsstaair ist eines
der besten. Und obwohl Reykjavik eine ganz kleine Stadt
ist, die nur 160 000 Einwohner hat, ist das kulturelle
Angebot enorm. Weil ich als Harfinistin des isländi-
Monika Abendroth,
62, zog 1976 zum
ersten mal nach
Island. Jetzt wohnt
sie am Stadtrand der
Hauptstadt Reykjavik
und arbeitet als Harfenistin beim isländischen Symphonieorchester
PROTOKOLL: HELEN LIVINGSTONE
großen Stadt lebt. Ich persönlich habe keine Elfen
gesehen. Aber deswegen bin ich noch nicht bereit, ihr
Dasein auszuschließen. Ich habe auch schon Menschen
getroffen, die mir von ihren Elfen-Erlebnissen berichtet
haben, und die für mich glaubwürdig sind.
.......................................................................................
BESUCH IM NEUEN LEBEN Flüge nach Reykjavik aus
Deutschland gibt es ab 137 €, (www.icelandair.de). Mit dem
Bus fährt man von dort sechs Stunden nach Akureyri (Myvatn),
Informationen unter www.trex.is
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Nichts als die Wahrheit
Ab Herbst haben alle ein iPhone,
Von Tillmann Prüfer
aus
FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND
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Kunststück! Was haben Sie sich dabei gedacht, Herr van den Berg?
hat mir ein Kollege gesagt. Das
„Als ich vor Jahren die Abbildung eines Sternenprojektors in die Finger
werfen. Nun sollte der Betrachter hineinsehen können, quasi aus der
würde selbstverständlich. So wie
bekam, pinnte ich sie an die Atelierwand. Sie überdauerte da die
Sicht der Sterne auf die Erde gucken. Das Objekt musste also hohl
jetzt jeder einen iPod und ein
Entstehung einiger Werke, ohne dass etwas geschah. Manchmal ging
werden. Als der erste komplette Aufbau anstand – ich konnte wegen
iBook hat. Ich stimmte ihm zu.
ich ins Planetarium, wo ich bei Sternenshows meist einschlief.
der Größe nur jeweils Teile im Atelier bauen –, war ich aufgeregt. Und
Dabei habe ich keinen iPod oder
Lediglich dieser seltsame Projektor tauchte immer wieder in meinem
endlich, als es mächtig in den Raum ragte, nur bedingt zufrieden.
sonst ein Gerät, das mit kleinem
Kopf auf: Die Gestalt dieses Geräts beinhaltete mehr als seine
Die ersten Reaktionen machten mich dann sicherer. Sofort wurde
i anfängt. Nicht einmal einen
Funktion, und sie faszinierte mich. Als ich zu einer Ausstellung mit
bemerkt, dass man nicht nur vor der Gestalt stehen und um sie
Blackberry. Ich habe meiner Freundin gesagt, dass ich
dem Titel ,Rückkehr ins All‘ in
herumgehen und sie betrach-
mir dann auch gerne ein iPhone kaufen würde. Sie
die
Kunsthalle
ten konnte, sondern dass sich
sagte:„Du hast doch schon ein Handy.“ Damit hat sie
eingeladen wurde, wusste ich:
verschiedene Blicke durch die
natürlich recht, aber so kommt man in der Informa-
Die Zeit ist reif.
kreisrunden
Hamburger
Öffnungen
ins
tionsgesellschaft nicht weiter. Ich habe ja auch einen
Nicht nur, dass Sternen-
Innere und damit ganz uner-
Computer, einen, der einen halben Tag braucht, um
projektoren formale Repräsen-
wartete Perspektiven auftaten:
hochzufahren. Währenddessen treffen schon die ersten
tation eines Welt- beziehungs-
Blicke in Kuppeln und Kreuze,
E-Mails ein von den Leuten, die bei jeder Gelegenheit
weise Universumsbilds sind,
strukturiert durch Linien, die
auf ihren Blackberry tippen. Und die anderen Leute, die
faszinierte mich. Es war die
das Schichtholz vorgibt; als ob
auch einen Blackberry besitzen, haben schon geant-
schiere
man in einem hölzernen Kir-
wortet. In Wahrheit hat mich die Informationsgesell-
anzog.
Gestalt,
die
mich
chenmodell stünde und es mit
schaft längst abgehängt. Die Leute schießen einander
Ich fragte mich, ob es mög-
gewaltige Datenmengen zu, während ich froh bin, dass
lich wäre, sich der Gestalt
Eigentlich hätte die Arbeit
ich SMS verschicken kann. Ich überlege mir, dass mir ja
durch Nachbildung zu nähern,
,Sterneninspektor‘
auch einfach jemand mein veraltetes Handy klauen
sie abzukupfern, in einem
müssen. Da mir das aber zu
könnte. Dann bliebe mir nichts anderes übrig, als es zu
Material, das eine Distanz zu
unterhaltsam klang, beließ ich
ersetzen, zum Beispiel durch ein iPhone. Ich lasse das
technischem Gerät hat, Holz.
es beim Original, Sternenpro-
Mobiltelefon mitunter stundenlang in Cafés einfach so
Das Ganze wurde zeitweilig zu
jektor‘.“
rumliegen. Aber niemand möchte es mitnehmen. Ich
einer Wahnsinnsarbeit, bei der
muss wohl warten, bis mein Handy eine technikhisto-
mir
rische Rarität geworden ist und ein Sammler vorbei-
schien, was ich eigentlich tat.
kommt, um es aufzuklauben. Aber wahrscheinlich hat
Um mich vom Original zu
mich bis dahin längst eine herumfliegende Terrabyte-
entfernen, wollte ich das Prin-
ladung getroffen und einfach niedergestreckt.
zip umkehren: Der originale
mitunter
seinem
STE R N E N P ROJ E K TO R Arbeiten
von Oliver van den Berg sind bis
zum bis 3. Oktober auf dem Berliner Art Forum zu sehen. Der „Sternenprojektor“ (2005, Birkenschichtholz, 450 Zentimeter hoch/Durchmesser: 400 Zentimeter) kostet
58 000 €. FTD-Leser haben ab heute unter Angabe der Abonnentennummer zehn Tage lang Vorkaufsrecht. Galerie Kuckei + Kuckei, Linienstraße 158, www.kuckei-kuckei.de
kungskreis erweitern (mindestens um den Raum eines Planetariums) und durch die Pro-
90er-Jahre. In der oberbayerischen Kleinstadt kommt
jektionslinsen
heißen
fragwürdig
das Projizieren seinen Wir-
Das Wunder von Landsberg formiert sich Anfang der
durchstreift.
PROTOKOLL: JUDITH BOROWSKI
Sternenprojektor kann durch
Goodbye
Hausmusik verklingt
Blick
veränderliche
Sternenbilder an die Kuppel
alles zusammen, was man für ein Wunder braucht:
Talent, Leidensfähigkeit und Größenwahn. Es ist der
Elektromeister Wolfgang Petters, der die Zutaten so
kombiniert, dass Landsberg am Lech plötzlich für mehr
steht als für Adolf Hitlers Gefängnis. Nämlich für den
Erfolg
einer
Cottage-Industry
aus
D
Kleinlabels und Kellerbands. Hausmusik nennt Petters sein Label. Denn die
Musik, die darauf erscheint, wird von
Freunden gespielt und nicht selten in
Küchen aufgenommen. Dass sich mehr
Menschen als nur Nachbarn und Verwandte dafür interessieren, dass bald
in allen deutschen Zeitungen über die
Hausmusik-Szene geschrieben wird, liegt nur zum Teil
daran, dass auch die erfolgreichen Musiker von Notwist
mitmischen. Es liegt vor allen am altruistischen Ehrgeiz
Wolfgang Petters’. Ein paar Jahre sieht es so aus, als ob
sich Qualität auszahlt. Hausmusik erweitert sich zu
einem Vertrieb, zieht nach München, öffnet einen
Laden. Doch die Geschichte hat kein Happy End: Derart
hart trifft der Rückgang der Tonträgerindustrie Petters,
dass er keine wirtschaftliche Zukunft mehr sieht. Bis
Ende des Jahres wird er Hausmusik abwickeln, dann ist
er wieder Elektromeister.
Plätze der Republik Hörsten, Schleswig-Holstein: Erster BSE-Fall
GREGOR KESSLER
en Hof von Peter Lorenzen
findet man nicht ganz leicht.
Genau genommen hat es fast
keinen Zweck, ohne Navigationssystem danach zu suchen: Das winzige Dorf Hörsten bei Rendsburg ist
so zwischen Eider und Nordostseekanal eingeklemmt, dass man sich
im hintersten Winkel Schleswig-Holsteins glaubt. Nichts als Grün gibt es
auf dem Weg dorthin, in allen Tönen,
fette Wiesen mit Krähen und Fischreihern drauf und natürlich Kühe,
Kühe ohne Ende.
Dass die BSE-Hysterie in Deutschland vor sieben Jahren ausgerechnet
hier losging, ist gleich doppelt tragisch. Erstens, weil die Kühe bei Peter
Lorenzen ein passables Leben führen, mit viel Auslauf auf der Weide
und ordentlichem Futter. Und zweitens, weil bis heute niemand sagen
kann, wie genau der Rinderwahn damals eigentlich nach Hörsten gekommen ist. „Spontanmutation“
lautet der offizielle Befund – Lorenzen hat nichts falsch gemacht. Trotzdem musste damals sein ganzer
Rezession & Frohsinn von Gábor Zádor und Tillmann Prüfer
www.ehapa-comic-collection.de
Viehbestand getötet werden, 166
Rinder; das jüngste war erst einen
Tag alt. „Mich belastet das nicht
mehr“, sagt Lorenzen heute. „Ich
kann ja doch nichts dran machen.“
Den Wert der Tiere bekam er vom
Seuchenfonds ersetzt.
Nur zwei Monate standen seine
Ställe damals leer, dann begann er,
eine neue Herde zusammenzukaufen. Auf dem Hof ist heute im Grunde
alles so wie vor sieben Jahren: Die
ganz kleinen Kälber stehen einzeln in
Boxen auf Stroh; die älteren Tiere recken ihre Hälse durch die Gitterstäbe
und angeln nach der Futtersilage auf
dem Boden. Immer dabei ist Susi, die
schwarze Mischlingshündin. „Die
stand hier damals rum wie Falschgeld, als sie die Kühe abgeholt hatten“, sagt der Bauer.
Hübsch eingerichtet haben sich
die Lorenzens auf ihrem Hof, der seit
1914 im Familienbesitz ist: Im ordentlich gepflegten Garten des Wohnhäuschens stehen Apfelbäume und
eine Schaukel für die beiden Kinder;
die Großeltern leben auf dem Alten-
teil nebenan. Spektakulär ist die
Aussicht, wenn in der Ferne ein Containerschiff durch die Wiesen zu fahren scheint – der Nordostseekanal
verläuft noch nicht mal einen Kilometer weit weg.
Wer möchte, kann in dieser Landschaft auch Urlaub machen. Peter
Lorenzen vermietet Wohnungen im
großen Haus neben dem Kuhstall für
Ferien auf dem Bauernhof. Wer mag,
darf im Stall auch mitanfassen. Ein
bisschen Kontakt mit der Kuh kann
nicht schaden. „Und die Ahnungslosigkeit in der Bevölkerung ist da sehr
groß“, sagt er.
Rainer Leurs
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LO R E N Z E N - H O F Im Dorfe 26/28,
24797 Hörsten. Ferien auf dem Bauernhof
für zwei oder vier Personen, 30 € pro
Nacht und Zimmer. Anfahrt: Ab Rendsburg den Nordostseekanal entlang
Richtung Südwesten folgen, nach circa 10 Kilometern rechts abbiegen
Richtung Hörsten. Koordinaten:
54° 13’ 38’’ Nord, 9° 34’ 40’’ Ost
Annette Prüfer; ANNA KLINKHAMMER GALERIE; action press/AUGUSTIN,CHRISTIAN; FTD/Rainer Leurs
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F R E I TAG , 2 8 . S E P T E M B E R 2 0 0 7