Financial Times Deutschland vom 28.09.2007
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Financial Times Deutschland vom 28.09.2007
39 aussprechen, ausgeben, aufdrehen, abheben FI NA N C I A L TI M E S D EUTSC H LA N D F R E I TA G , 2 8 . S E PT E M B E R 2 0 0 7 FTD-Montage; Stills-Online; Ullstein Bild – Schirner; Picture-Alliance/dpa (3); Witt/Sipa; www.lisaschibel.de; Aus dem Fotoalbum der Geschichte: Helmut Kohl mit Brille, Cut, Wintermantel, Strickjacke und Polohemd gen Amtszeit als Kanzler präsentierte er sich sogar mal ohne Brille auf Wahlplakaten, und auch heute sieht man ihn immer öfter ohne. Schade eigentlich, denn Kontaktlinsen sind längst out. Moderne Stars wie Harry Potter tragen wieder Brille. Gerade große Gläser und Gestelle gehören heute zum fashionablen Lifestyle auch bei Männern, wie die Modeikonen Marc Jacobs oder der Musiker Jarvis Cocker beweisen. Der Ex-Frontmann der Band „Pulp“ trägt seine Brille sogar auf Konzertbühnen. Ministerpräsidentenbrille, original 70er-Jahre-Modell, circa 170 €, über www.zorn-optik.de Kohls Weitsicht: Die Brille Große Männer mit Augendefekten trugen einst große Brillen. Theodor W. Adorno, Aristoteles Onassis oder Rainer Werner Fassbinder sahen durch sie die Welt, und die Welt sah sie. Auch Helmut Kohl blickte als Ministerpräsident durch einen markanten Hingucker, damals jedoch hauptsächlich auf sein Heimatland Rheinland-Pfalz. Dicke Gläser schärften seine Sicht, Bügel und oberer Rahmen entsprachen der Farbe seiner Partei, der untere Brillenrand setzte auf Transparenz. Ein Modell mit Aussage; wenn man so will: eine Charakterbrille, die den Blick von außen auf seine Augen lenkte und nicht auf den höher rutschenden Haaransatz oder das zunehmende Doppelkinn. Diese Sehhilfe ermöglichte dem weitsichtigen Kohl 1970 auch eine ungetrübte Aussicht auf den nahen Nacken seines Pfälzer Landsmanns, des Fußballhelden Fritz Walter – und damit eine fehlerfreie Performance beim Binden des Bundesverdienstkreuzes. Anders als die folgenden konturlosen Kassenmodelle Kohls war jene Massivbrille auch ein Stück Zeitgeschichte. Denn schon bald darauf wurden die Gläser allgemein dünner, Kohl insgesamt dicker. Im Wandel der Zeiten wechselte er häufig das Modell, zum Ende seiner 16-jähri- Vor genau 25 Jahren wurde Helmut Kohl als Bundeskanzler vereidigt. Es folgte eine Ära voll historischer Momente, in denen der Kanzler der Einheit stets perfekt gekleidet war. Das Vermächtnis einer Stilikone VON BIANCA LANG Auf der Suche: Kryptozoologen Seite 2 Auf der Schneide: Messer Seite 3 Kohls Gemütlichkeit: Das Polohemd Der moderne Staatschef gibt sich gern sportlich und dynamisch. Gewährt er Einblicke in seine Privatsphäre, sehen wir ihn in Badehose mit eingezogenem oder wegretuschiertem Bauch über Seen rudern (Nicolas Sarkozy), auf dem Pferd im Holzfällerhemd (George W. Bush) oder mit Angel und blankem, durchtrainiertem Oberkörper (Wladimir Putin). Kohl hatte solche Muskelspiele nicht nötig. Er brauchte keine Freizeitinszenierungen, zeigte sich stets authentisch: Ein Botschafter deutschtümelnder Gemütlichkeit, der gern in Sandalen umherschlappte, drei Jahrzehnte lang am Wolfgangsee urlaubte und abgesehen von einem Bad in dem ruhigen Gewässer keinen Hang zu körperlichem Aktionismus verspürte. Dennoch hatte er ein Händchen für sportiven Outdoor-Look, wie das Polohemd von Löffler beweist – immerhin ein Hersteller für Premium-Sportswear. Das strahlende Gelb passte zum sonnigen Gemüt, das der Altkanzler während seiner Sommerferien in Sankt Gilgen, dem am Westende des Wolfgangsees gelegenen Badeort, zur Schau trug. Das jugendliche, atmungsaktive Textil stand für Beweglichkeit und Bequemlichkeit. Darin konnte sich der Kanzler getrost zurücklehnen, entspannt auf dem Beifahrer-Sitz des Traktors über die Kuhweiden schaukeln lassen, und während er scheinbar die schöne Landschaft des Salzkammerguts genoss, den nächsten politischen Schlag planen. Dabei den Fotografen zulächeln und wissen: In der Ruhe liegt die Kraft. Sporthemd Kurzarm von Löffler, um 60 €, www.loeffler.at Kohls Grandezza: Der Mantel Was zieht man an, wenn man morgens aufwacht und weiß, dass man heute Geschichte schreibt? Der Schauplatz bietet wenig Spielraum: Wir sind in Verdun, schreiben das Jahr 1984, es ist kalt und regnet in Strömen. Die einzig richtige Antwort lautet: einen schwarzen Mantel! Schon Willy Brandt trug einen, als er in Warschau auf die Knie fiel. Und genauso wählen François Mitterrand und Helmut Kohl den Klassiker, als sie sich am 68. Jahrestag der Schlacht von Verdun vor einem symbolischen Sarg die Hände reichen und mit dieser Geste zum Symbol für die deutsch-französische Freundschaft werden. Brüder im Geiste und in der Garderobe, aus deren Auftritt mehr Haltung und Stil spricht, als Worte es vermocht hätten – dank eines Kleidungsstücks, das in Silhouette und Aussage so gerade und unaufdringlich ist, dass es dem Monumentalen der Situation gerecht wird. Kohl, der auch aufgrund seiner nicht unproblematischen Figur den schwereren Part bei der Begegnung hat, hüllt sich wohlweislich nicht in ein Modell von der Stange, sondern in einen vorteilhaften Kaschmirmantel, den sein Schneider Volkmar Arnulf für ihn maßangefertigt hat. So begegnet er dem Moment in bester Form und mit größtem Format. Herrenmantel von Maßschneiderei Volkmar Arnulf, Kurfürstendamm 46, Berlin, Tel. 030/883 92 02, Preis auf Anfrage 씰 Fortsetzung auf Seite 2 Auf der Höhe: Surround-Sound Seite 4 Auf der Wanderung: Hongkong Seite 5 Auf der Erde: Sternenkunst Seite 6 2 F R E I TAG , 2 8 . S E P T E M B E R 2 0 0 7 ..................................................................................................................................................... aussprechen FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND ...................................................................................................................................................... ANZEIGE „Ich forsche viel über den Tatzelwurm“ FTD Herr Schneider, wie wird man Kryptozoologe? Haben Sie als Kind zu viele Fantasyromane gelesen? Michael Schneider Eigentlich war ich Chemielaborant in der Kosmetikindustrie. Aber ich habe mich schon immer für Tiere interessiert und vor allem für die Mythen um Tiere. Seit Mitte der 90er-Jahre bin ich sozusagen professioneller Kryptozoologe. FTD Und seitdem jagen Sie nach Nessie? Schneider Nessie, Bigfoot und Yeti sind so die Bekanntesten. Aber in der Alltagskryptozoologie spielen sie kaum eine Rolle. Eigentlich geht es darum, verborgene Tiere aufzuspüren. Tiere, die zwar aus Legenden und aus Sichtungen bekannt sind, aber zoologisch noch nicht erfasst sind. Oder Tiere, die als ausgestorben gelten, aber noch irgendwo überlebt haben könnten. Die müssen nicht unbedingt monstermäßig groß sein, aber es muss Hinweise geben, und bei denen setzt die Kryptozoologie dann an. Die besten Bars der Welt präsentiert von Einschenken Der Turm, Heidelberg Eine Bar in Heidelberg, die sich Skylounge nennt? Klingt zuerst etwas paradox, ist aber ernst gemeint. Die Bar in der Touristenmetropole an der Mosel, nicht eben für seine himmelhoch schießenden Häuser bekannt, präsentiert sich gleich beim Betreten gisch unheidelber- abgehoben. Mit einem Fahrstuhl. Oben angekommen, erstreckt sich die Bar mit Rundumverglasung über die beiden oberen Stockwerke des modernen Quadergebäudes. Loftig-transparent ist die Einrichtung: schlichte Ledersessel, Milchglastische. Die Dekoration ist minimalistisch, nur der Barbereich lichtdurchflutet. Unter der Woche schäumt Chillout-Musik den Hintergrund auf, am Wochenende tanzt Heidelbergs Szenepublikum zu Housebeats. Über die Grenzen der Stadt hinaus ist die Lounge bekannt für ihre Cocktails. 130 Variationen Nessie, Yeti und Wolpertinger: Michael Schneider kennt sich aus mit Tieren, die es in keinem Zoo gibt. Als Kryptozoologe sucht er nach Kreaturen, die bisher nur im Märchen existieren es erst ab 1930 Berichte von Nessie gibt. Danach sind viele Leute hingefahren in der Hoffnung, etwas zu sehen, und haben aus einem springenden Fisch ein Monster gemacht. FTD Steckt denn hinter jedem Fabelwesen ein normales Tier? Schneider Meistens gibt es eine natürliche Erklärung. In England werden zum Beispiel oft „Alien Big Cats“, also Wildkatzen wie Puma, Panther, Luchse, gesichtet. Obwohl die dort nie gelebt haben. Diese mysteriösen Katzen kann man historisch erklären: In den 60er-Jahren war es in Europa schick, Großkatzen als Haustiere zu halten. Dann kam ein Verbot, diese Tiere zu halten. Da haben viele ihre Raubkatze freigelassen. Und wir haben es heute mit den Nachkommen zu tun. FTD Und manchmal ist ein Märchen auch einfach nur ein Märchen? Schneider Klar. Die meisten Fabelwesen können gar nicht existieren. Der Drache zum Beispiel. Das kleinste Problem ist das Feuerspucken. Um wirklich fliegen zu können, müssten Drachen bestimmte Bedingungen erfüllen – Knochengewicht, Flügelspanne, Muskulatur –, und nach allem, was wir wissen, wäre ein echter Drache zu schwer, um in die Luft zu kommen. FTD Gibt es auch wissenschaftliche Erfolge der Kryptozoologie? Schneider Viele sogar! Jährlich werden 300 bis 400 neue Arten entdeckt. Davon sind etwa 20 Prozent allein auf kryptozoologische Arbeit zurückzuführen. Also Tiere, die schon mal irgendwo beschrieben wurden und von Forschern entdeckt werden, die diesen Spuren nachgehen. FTD Mit welchen Entdeckungen rechnen Sie in nächster Zeit? Schneider Große neue Arten wird man vor allem im Meer finden. Zum Beispiel Haiarten wie den Megalodon, der eigentlich als ausgestorben gilt. Und aus Afrika und Australien werden ständig neue Funde gemeldet. Dort könnten durchaus noch Exemplare des Beutelwolfs und des Beutellöwen leben. INTERVIEW: FRANZISKA WALSER FTD Haben Sie denn ein Spezialgebiet? Schneider Ich forsche viel über den Tatzelwurm und „El Chupacabra“. FTD Von „El Chupacabra“ hat man tatsächlich noch nicht so viel gehört. Schneider Das ist ein vampirartiges Tier, das Ziegen und Hühnern das Blut aussaugt. Der Chupacabra ist in Südamerika und Mittelamerika sehr weit verbreitet. Wir haben in zehn Jahren über 15 000 Meldungen bekommen. Und 2005 hat der Verein für kryptozoologische Forschungen dann eine Expedition nach Honduras und Nicaragua gemacht. FTD Wie sucht man ein Tier, dass man nur aus Legenden kennt? Schneider Erst einmal muss man alle schriftlichen Quellen sammeln und auswerten. Der Tatzelwurm wird ja schon im Mittelalter erwähnt. Meist wird er als eine Art große Eidechse ohne Hinterbeine beschrieben. Die Größenangaben schwanken zwischen 50 Zentimeter und 1,50 Meter. mixen die Barkeeper nach Rezept oder virtuos. Neben empfiehlt die Karte einen Honeymoon mit Gin, Apricot Brandy und Grenadine. Die schönste Mischung allerdings offenbart der Blick. Von hier aus betrachtet, verbinden sich Schlosskulisse und urbanes Nachtleben zu einem wunderschönen Moment unter dem noch unterschätzten Heidelberger Himmel. KERSTIN BUND FTD Und was machen Sie dann vor Ort? Schneider Wir arbeiten wie Kriminologen, die einen Mordfall aufklären: Wir befragen Zeugen, die das Tier gesehen haben, und gehen die Gegend ab, um zu sehen, ob der Tatzelwurm dort wirklich leben könnte. Ist der Boden dort weich genug, dass sich der Wurm Höhlen graben könnte? Oder ist alles fester Fels? www.gastroturm.de; www.lisaschibel.de; photothek gut gemachten Standards wie dem Cosmopolitan, ...................................................................................... SKYLOUNGE, DER TURM Alte Glockengießerei 9, 69115 Heidelberg, www.gastroturm.de Einheits-Kleidung 씰 Fortsetzung von Seite 1 Kohls Gewissheit: Der Cutaway Der Sekt steht schon kalt, als die Wahl fällt. Die sozialliberale Koalition ist am Ende und der Vorsitzende der Christdemokraten ist sich seiner Sache sicher: Am 1. Oktober 1982 gegen 15 Uhr entscheidet sich das Parlament gegen Helmut Schmidt und für Kohl als Kanzler. Deutschland sitzt gespannt vor dem Fernseher und wartet. Kohl müsse sich umziehen, heißt es. Damals herrschen noch andere Sitten, einen Kleiderwechsel vorm ausharrenden Volk, das wagen heute nur noch Popstars. Bei Kohl kommt diese erste Amtshandlung einem Statement gleich, das nicht Eitelkeit, sondern Anstand vermittelte: Die Vereidigung wird zur Krönung des Regierungschefs, also unterwirft sich Kohl einem nahezu königlichen Protokoll. Nach dem Garderobenwechsel erscheint er wie aus einem Knigge für klassische Herrenmode entsprungen, im knielangen, anthrazitfarbenen Cut, den sein Schneider Volkmar Arnulf ihm mit Weitblick für diesen Anlass gefertigt hat. Und alles, was traditionell dazugehört, auch: gestreifte Hose, silbergraue Weste sowie Krawatte in der gleichen Farbe. Nur auf den Zylinder verzichtet er, eine Kopfbedeckung, die zwar beim Pferderennen in Ascot Pflicht und bei großbürgerlichen oder adligen Hochzeiten Standard ist, aber bei einem Gelöbnis dieser Größe und dazu noch vor Gott fehl am Platze wäre. FTD Oder Wasser, wie bei Nessie ... Schneider Von Loch Ness halte ich nichts. Es ist ziemlich auffällig, dass den en dessous, wie Kohl sie stets unter seiner Strickjacke zu tragen pflegt, komplettieren den saloppen, aber staatsmännischen Auftritt. Große Politik wird eben nicht immer im Anzug gemacht. Und echte Größe beweist der, der sich was traut und dabei selbst treu bleibt. Darin war Kohl stets ein Meister. Seine Strickjacke, die damals als filzpantoffelig und spießig verspottet wurde, zeugte von Charakter und Chuzpe. Wenn er sie trug – auf Interkontinentalflügen, im Urlaub am Wolfgangsee oder zum Aktenstudium vorm Aquarium in seinem Oggersheimer Arbeitszimmer – befreite er sich und seinen Körper von Zwängen. So gesehen war die Strickjacke Avantgarde und Kohl – wenn auch unbeabsichtigt – ein Trendsetter. Kohls Gelassenheit: Die Strickjacke Mittlerweile hat die StrickNatürlich weiß heutzutage jejacke ihr miefiges Image des Schulkind, wem der Fall der abgelegt, ebenso wie ihMauer und die Wiedervereinigung ren Namen. Sie heißt zu verdanken sind: der Strickjacke jetzt Cardigan, wird von Modevon Helmut Kohl. Es ist an einem marken wie Burberry oder Hermès proSonntag im Juli vor 17 Jahren, als der pagiert und von Sexsymbolen und SuKanzler in seinem favorisierten perstars wie Justin Timberlake oder DaKleidungsstück auf Michail Gorba- Die Aktentasche, die Kohl zum Parteiniel Craig zu offiziellen Anlässen getratschow im Strickpulli trifft. Zwei Rit- spenden-Untersuchungsausschuss mitter ohne Rüstung; wärmende Wolle brachte, bot viel Raum für Spekulationen gen. Kohl hat sein blaues Modell mittlerweile ausgemustert, der schwäbische statt kaltem Krieg. So machen sich die beiden Staatschefs den Weg frei für die Wiedervereini- Hersteller Bueckle wurde aufgekauft. Das berühmte gung. Gemeinsam spazieren sie durch die kaukasische Stück in Konfektionsgröße 68 hängt im Haus der GeNatur, demonstrieren Männerfreundschaft als verlässli- schichte in Bonn, gleich neben Gorbatschows Strickpulli. che Gefühlsbasis der Weltpolitik und bürgerliche Feier- Herrencardigan von Bueckle Company, um 90 €, Im Brühl abendmode als stilechte Arbeitskleidung. Weiße Hem- 50, 74248 Lauffen/Neckar, Tel. 07133/10 80 Kohl wählt den feinen Zwirn auch als Ausdruck einer inneren Haltung gegen proletarischen Geschmacksnihilismus, für Tradition und Ehre, für Recht und Ordnung auch in Kleiderfragen. Der bourgeoise Gehrock wird seit viktorianischen Zeiten zu offiziellen feierlichen Anlässen am Tage getragen. Seinen modischen Höhepunkt erlebte er in Deutschland während der Weimarer Republik. Und so sieht der Moment, in dem Kohl seine Ernennungsurkunde entgegennimmt, schon vor 25 Jahren aus wie für die Ewigkeit bestimmt. Kanzler-Cutaway von Maßschneiderei Volkmar Arnulf, Kurfürstendamm 46, Berlin, Tel. 030/883 92 02, Preis auf Anfrage Kohls Ehrenwort: Die Aktentasche Da steht sie, zu seinen Füßen. Stoisch, riesig und verschlossen wie ihr Besitzer. Nicht nur die Mitglieder des Untersuchungsausschusses zur CDU-Parteispendenaffäre hätten an diesem Tag gern gewusst, ob ihr Inhalt Antwort geben kann auf die Fragen, zu denen ihr Träger beharrlich schweigt. Die Aktentasche von Helmut Kohl bot damals jede Menge Raum für Spekulationen. Beheimatete sie all jene Unterlagen aus Kohls Amtszeit, die später auf so unerklärliche Weise verschwanden? Hätte sie aufklären können über die heimlichen Spender, über Schwarz- und Schmiergelder? Hätte sie am Ende gar das Ansehen der deutschen Politik retten können? Beim Anblick der Aktentasche schienen die Wahrheit in greifbarer Nähe und der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Dass die Tasche tugendhaft und treu zu ihrem Eigentümer bis heute ihr Geheimnis nicht gelüftet hat, macht sie nur attraktiver. Sie war ein Mysterium, loyal bis ins kleinste Seitenfach, dabei von großem Format, funktional und schmucklos im Design – das perfekte Accessoire für einen Ehrenmann, für den ein Versprechen mehr zählt als das Gesetz. Mit dieser Politik retten heutzutage Filmhelden wie Jack Bauer aus der US-amerikanischen Serie „24“ regelmäßig die Welt – aber das nur am Rande. Vom Verbleib der eleganten braunen Aktentasche ist heute, über sieben Jahre später, leider nichts bekannt. Anders als Kohls artverwandtes Alltagsmodell in Schwarz steht sie nicht im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Ihr Verbleib ist ungeklärt. Sie wird uns wohl für immer ein Rätsel bleiben. Lederaktentasche, zum Beispiel von Assima, ab 100 €, www.assima.de FI NA N C I A L TI M E S D EUTSC H LA N D .......................................................................................................................................................... ausgeben F R E I TAG , 2 8 . S E P T E M B E R 2 0 0 7 ........................................................................................................................................................... 3 Messer fürs Leben Seit Kochen Breitensport ist, sind in Hobbyküchen auch gute Messer zu finden: Von Hand geschliffen, die Klinge gefasst in Walrosszahn – manche taugen sogar als Geldanlage VON IRIS HOBLER UND ANNE ROSCHE V orsichtig hält Lars Scheidler den kleinen grauen Rohling einige Minuten über das Feuer. Dann setzt er den Hammer an: Gleichmäßig landen seine Schläge auf dem glühenden Gemisch aus Eisen und Stahl. Nach einer dreiviertel Stunde konzentrierter Arbeit ist das Stück mit etwa vier Zentimetern fast sechsmal so breit wie vorher. „Mein Ziel ist die perfekte Kombination von großer Schärfe und Elastizität“, erklärt der Messermacher aus dem niedersächsischen Wunstorf. Seine in reiner Handarbeit hergestellten Einzelstücke nennt er „Nesmuk“, abgeleitet von Nessmuk mit doppeltem s: der Bezeichnung für eine uralte Messerform mit breiter, leicht gebogener Klinge. Wie bei Scheidler spielt die Tradition bei den meisten Messermachern eine große Rolle. „Zwar haben sich die Materialien im Laufe der Zeit verbessert, aber die Verfahren sind gleich geblieben“, erklärt Joe Poehler, Präsident der Deutschen Messermacher Gilde. Kein Verfahrenscomputer, keine Herstellungsanlage funktionieren so wie Erfahrung und Augenmaß eines Messerschmieds. Von den handwerklichen Aspekten der Messerherstellung werden vor allem Männer zum Messer gelockt. Nicht nur ist der Beruf eine Männerdomäne, auch die Käufer der metallenen Handarbeit sind Herren. Sie suchen ein vollkommenes Werkzeug: Ein Messer, das sich in die Hand schmiegt, durch Gemüse und Fleisch gleitet und lange hält. Doch die Anziehungskraft hat einen weiteren Grund. „Es gibt viele Sagen, die von mystischen Schmieden und ihren Zauberkräften erzählen“, so Giselheid Herder, Inhaberin der Robert Herder GmbH in Solingen. „Diese Aura des Geheimnisvollen ist für alle anziehend.“ Die berühmten Windmühlenmesser von Herder sind neben ihrer Funktionalität und magischen Anziehungskraft auch optisch etwas Besonderes. Wie beispielsweise das Schinkenmesser Katana Moulin, übersetzt Mühlenschwert. Es wird am Ende des Herstellungsprozesses „blaugepließtet“. Dieser traditionelle Feinschliff verhindert das Rosten der Klinge und verleiht ihr einen leicht bläulichen Schimmer. Dem Griff darunter schenken Messerliebhaber genauso viel Aufmerksamkeit wie der Form der Klinge oder der Schleifart. Director’s Cut Gin-maki Das Sashimimesser aus der Schmiede Mizuno in der Nähe von Osaka kostet circa 5500 €, zu bestellen unter www.tradeparadise.de Katana Moulin Schinkenmesser, nach dem Solinger Dünnschliff gefertigt, von Robert Herder, ab 210 €, www.windmuehlenmesser.de Ob Kirsche, andalusischer Olivenbaum oder die arktische Birke, mit ihrer besonderen Maserung – wie ein Messer in der Hand liegt, ist eine Frage des Holzes. Lars Scheidler benutzt auf Wunsch seiner Kunden auch Material wie Walrosszahn oder Büffelhorn. Ein solches Messer kann durchaus 8000 € kosten. „So etwas gehört in die Hände des anspruchsvollen Hobbykochs, der die Zubereitung von Speisen bewusst zelebriert“, erklärt der Messermacher. Seine Nesmuks gelten unter den ambitionierteren der unzähligen Hobbyköche als Statussymbol, und sie taugen sogar zum Jagen. Zum Briefeöffnen, zum Angucken, zum Gut gemacht Ausgeräuchert Zeigen und natürlich zum Protzen. „Die Nachfrage nach guten, besonderen Messern ist in den vergangenen Jahren gestiegen“, bestätigt Petra Schleifer, Produktmanagerin der Friedrich Dick GmbH. Einer der exklusivsten Artikel des Herstellers ist das Hackmesser „1778“, das mit seiner riesigen Klinge Gemüse in feinste Streifen zerteilt. Damit ein solches Meisterstück ein Leben lang hält, braucht es Pflege. Kenner nutzen klingenschonende Schneideunterlagen aus Holz, reinigen die Messer mit warmem Wasser von Hand, trocknen sie sorgfältig ab und lassen sie regelmäßig schärfen. Nesmuk-Messer sind von Hand gemacht – bis hin zum Griff aus Büffelhorn Beinahe bedürftig wie ein Baby ist das Fischmesser „Honyaki A1“. Die Filetierklinge muss täglich eingeölt werden. Fährt sein Besitzer in den Urlaub, muss er es mitnehmen oder in Pflege geben. Dafür hält das Fischmesser des japanischen Meisterschmieds Keijiro Doi ein Leben lang. Bei den Messerkünstlern in Asien finden die deutschen Hersteller ihre Inspiration für neue Modelle: Das Hackmesser beispielsweise ist ein Klassiker mit chinesischen Wurzeln, das Katana Moulin ist der Form eines japanischen Thunfischmessers nachempfunden. Gerade im Land der aufgehenden Sonne hat das Metier eine lange kunsthandwerkliche Tradition. Giselheid Herder hat bereits diverse Geschäftsreisen in das Land unternommen, um ihre Kontakte zu den dortigen Kollegen aufzubauen. „Inzwischen arbeiten wir seit acht Jahren mit japanischen Betrieben zusammen.“ Darunter ist auch Mizuno, eine der renommiertesten Schmieden des Landes. Der Familienbetrieb stellt in seiner Werkstatt bei Osaka seit Generationen Messer und Schwerter her. Sogar der japanische Kaiser hat Mizuno schon für seine Küche beauftragt. Aber auch bei deutschen Liebhabern kommen die „Hochos“, die handgeschmiedeten Messer, an. Einige davon sind echte Geldanlagen, deren Wert – bei der richtigen Pflege und Handhabung – mit den Jahren steigt. So etwa „Gin-maki“, ein Sashimimesser, das auf Bestellung gefertigt wird. Wegen seiner extremen Schärfe gehört es allerdings ausschließlich in die erfahrenen Hände von Profis. Aber wie scharf sind die Klingen eigentlich? Damit hat sich auch Messermacher Lars Scheidler beschäftigt. Während ein normales Haushaltsmesser auf 35 bis 40 Mikrometer kommt, haben japanische Messer vier, viele sogar nur zwei Mikrometer. Perfektionist Lars Scheidler kann mithalten: Seine Nesmuk-Klingen erreichen Schärfen bis zu einem Mikrometer – damit lässt sich ein Seidentuch in der Luft zerschneiden. ........................................................ N ESMU K-MESSER ab circa 1500 €, Lars Scheidler Schmiede GbR, Bestellungen im Internet unter www.messerkonzept.de Das will ich auch! Die Abenteuerlust von Tim Cope Gut gemeint Eingeäschert Es ist kalt geworden. Und Echte Abenteuer gibt es heutzutage selten. Für den Morgen in seinem Weblog nüchtern erzählt, wie er Hinterhof oder her, passionierte Raucher bleiben keiner spürt die Kälte Australier Tim Cope dagegen gehören Abenteuer beim Erwachen feststellen musste, dass sein Zelt der Zigarette treu. Nicht aber, wenn es nach dem mehr als das Grüppchen zum Alltag. Zuletzt zog er auf den Spuren von eingefroren war. Uns mag beruhigen, dass auch ein Designer und Ex-Raucher Chi-ja Ling geht. Seinen Aussätziger, das sich in Dschingis Khan durch Asien und Europa. Nach Tim Cope mit alltäglichen Problemen zu kämpfen Aschenbecher, dessen Abmessungen denen einer freien Minuten zusam- einem durch hat: Während der Fahrt verließ ihn seine Freundin menschlichen Lunge ent- mendrängelt lebensfeindliche Landschaften kam er am vergange- und heiratete einen anderen. Sein Pferd und sein sprechen (also bis zu 120 und eine 10 000 Kilometer langen Ritt barzt. Hier, in den Hinter- nen Opusztaszer, Hund aber blieben ihm treu. Auch Kippen fasst), versteht er höfen der Gesellschaft, Ungarn, an. In der Abenteurer- sein Markenzeichen, der verwege- als ideales Geschenk für prallen der eisige Wind der Intoleranz und gefallene zunft galt Cope schon vor seiner ne Dschungelschlapphut in Beige. Nochraucher. Diese soll Temperaturen unangenehm scharf aufeinander. eurasischen Tour als Nachwuchs- Mit Sonnenkrempe und Schnü- der Ascher, unschuldsvoll Doch für kalte Raucherfinger naht Trost: der „Smo- draufgänger mit Indiana-Jones- rung, die verhindert, dass ein weiß und doch düster king Mitten“. Ein Rauchfäustling, der zwischen Qualitäten. „Von dem werden wir Sandsturm oder andere Widrig- dräuendes Zeige- und Mittelfinger ein ringbefestigtes Loch hat, noch viel hören“, sagten die Kolle- keiten Cope vom Cap trennen. Er nämlich stets daran erinnern, welch Schindluder sie in das eine Zigarette passt. So muss sich niemand gen bereits nach seiner Fahrrad- erinnert an die Unverwüstbarkeit mit ihren Lungen treiben. Aber derlei überhebliches mehr die Fingerchen abfrieren, und stinken tut tour durch Russland und die Mon- echter Abenteurer. An echte Kerle Gutmenschentum mit Augenzwinkern hat nun auch nur noch der Handschuh. LENNART WEGNER golei bis nach China. Jetzt wissen wie Tim Cope. wirklich kein Raucher verdient. ................................................................................ wir, Cope ist ein Teufelskerl. Einer, R AUCH ERFÄUSTLI NG, 15 £, von Suck UK, www.suck.uk.com Samstag in der die Hitze in der kasachischen Wüste aushält und an manchem HELEN LIVINGSTONE ..................................................... DSCH U NGELH UT 5,95 €, www.ranger-onlineshop.de Menetekel, CHRISTIAN COHRS ................................................................................ LU NGENASCH EN B ECH ER von Finding Cheska, Preis auf Anfrage, www.findingcheska.com FTD-Montage; Robert Herder GmbH & Co. KG (2); Friedr.Dick GmbH & Co. KG; www.messerkonzept.de; SUCK UK LTD; timcopejourneys.com; FINDING CHESKA / M2T Design Workshop Ltd. 1778 Großes Hackmesser für feine Schnitte, von Friedrich Dick, ab 440 €, zu bestellen unter www.dick-messer.de 4 F R E I TAG , 2 8 . S E P T E M B E R 2 0 0 7 ......................................................................................................................................................... aufdrehen FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND .......................................................................................................................................................... Traumpartner Nein, es ist wirklich nichts! Das Problem mit der schlechten Laune ist ja nicht die Laune selbst, sondern, dass wir sie nicht zugeben wollen. Weil wir eigentlich wissen, dass kaum ein Grund genügt, unsere Umwelt mit Griesgrämigkeit zu verschmutzen, weil wir ahnen, dass der Schlechtgelaunte nur nach Aufmunterung giert, leugnen wir auf Nachfrage: „Nein, es ist wirklich nichts.“ Und weil wir dabei um die Lüge wissen, sind wir gleich kindisch, dass es nur mit den Mitteln der Kinderruhigstellung bekämpft werden kann, erkannte der Künstler Demitrios Kargotis. Also stellte er während der Ars Electronica im österreichischen Linz einen Softeisautomaten mit Namen Dr. Whippy auf den Pfarrplatz. Der ist mit einem Stimmanalysegerät gekoppelt, das anhand verschiedener Antworten aus dem Klang der Stimme den Grad der Unglücklichkeit ermittelt. Je unglücklicher man klingt, desto mehr Eis gibt der Automat aus. Das funktionierte so gut, dass der Automat dem Vernehmen nach trotz strömenden Regens ständig umlagert war. Dennoch lässt Dr. Whippy Fragen unbeantwortet. Etwa: Kann Softeis auch Menschen glücklich machen, die ihres Übergewichts wegen unglücklich sind? Und vielleicht noch wichtiger: Wenn ich als glücklicher Mensch vorspreche und nur einen Fingerhut Softeis bekomme, werde ich dann nicht sehr unglücklich? GREGOR KESSLER ...................................................................................... DR. WHIPPY bekämpfte während der Ars Electronica schlech- te Laune mit Softeis. Eine Serienproduktion ist nicht geplant. In der Rubrik „Traumpartner“ stellen wir alle zwei Wochen Prototypen und vielversprechende Hightech-Konzepte vor. Hochfahren Einschneidende Erfahrung Skalpell, Zange, Tupfer: Das sind nur einige der Geräte, zu denen bei „Trauma Center: Second Opinion“ die Fernbedienung von Nintendos Wii-Konsole wird. Das Spiel ist eine Chirurgensimulation, bei der es vor allem um eines geht: schnell und gut an Patienten herumzuschnippeln – und vielleicht noch etwas von der in Comicbildern erzählten Handlung mitzubekommen. Die Herausforderung liegt dann zum Beispiel darin, die Fernbedienung ruhig zu halten und damit langsam einen Schnitt in den Unterleib eines Krebspatienten zu machen. Mit einem Ultraschallgerät sucht man nach Tumoren und trennt sie vorsichtig heraus. Immer wieder müssen Blut abgesaugt und der Kreislauf stabilisiert werden – bis schließlich die Schwester sagt, das alles erledigt sei und man den Patienten wieder zunähen dürfe. Aber bitte das desinfizierende Gel nicht vergessen! Wer jetzt Angst bekommt, kann beruhigt sein: Die Grafik versucht sich dankenswerterweise nicht daran, die Operation möglichst realistisch darzustellen. Sie bemüht sich um Abstraktion. Ein deutlicher Nachteil an dem ebenso bizarren wie fordernden Spiel ist der Der steigt VON GREGOR WI LDERMAN N schlechter gelaunt. Das klingt so Schwierigkeitsgrad: nicht viel Platz weg. Ein passendes Gerät gibt es für jede Wohnung nämlich nach moderatem Beginn ziemlich schnell an und sorgt später für eine relativ hohe Sterblichkeitsrate bei den Patienten. CARSTEN GÖRIG ...................................................................................... TR AUM A CENTER: SECON D OPI N ION von Nintendo, für Nintendo Wii, circa 45 €, www.nintendo.de Impressum Weekend Redaktion: David Schumacher (Leitung), Rainer Leurs (Koordinator), Gregor Kessler, Lennart Wegner Chef vom Dienst: Sven Sorgenfrey Layout: Malte Knaack, Nils Werner Korrektorat: Inger Hoffmann Fotos: Heike Burmeister, Dagmar Wörner [email protected] E ndlich steht zu Hause ein HD-Fernseher – aber die Musik aus dessen Lautsprechern klingt immer noch wie aus dem Küchenradio. Wer sich seine Wohnung nicht mit den Boxen eines Surround-Systems vollstellen will, hat seit der diesjährigen Internationalen Funkausstellung eine Alternative: Auf der Messe wurden die Soundbars vorgestellt. Diese Geräte vereinen in verschiedene Richtungen ausgerichtete Boxen, meist in einer schmalen Leiste. Obwohl die Lautsprecher sehr nahe beieinander angebracht sind, bieten sie trotzdem ein Surroundsound-Erlebnis. Denn sie schicken die Schallwellen durch den Raum, als seien es Billardkugeln: lassen sie von den Wänden abprallen und sich schließlich in einem Punkt kreuzen. Dieser „Sweet Spot“ ist der Ort, an dem der Zuhörer in der Regel sitzt. Dank eines mitgelieferten Mikrofons können die Geräte die optimalen Abstrahlwinkel für jeden Raum berechnen. Doch generell sollte man vor dem Kauf eines Soundbars mit dem Händler eine Testwoche vereinbaren, um herauszufinden, ob das Klangerlebnis in den eigenen vier Wänden zufriedenstellt. Die Auswahl an Soundbars reicht schon jetzt für echten Kinosound in jeder Wohnung – von der Studentenbude bis zum Loft. Für die Studentenbude Jeder fängt mal klein an – das gilt auch für die Wohnverhältnisse. Für bescheidene Räumlichkeiten sind die Soundbars genau das Richtige. Die kleinen Lautsprecherbalken sparen Platz, lassen aber trotzdem Heimkinoatmosphäre entstehen. Einige der Geräte sind besonders gut für kleinste Kammern geeignet: Philips zum Beispiel verbaut in seinen „Soundbar Ambisound“ auch einen CD- und DVD-Player. Sollte über dem Sofa noch Platz sein, wären zwei Dreiecksboxen von Quadral eine Alternative, die eine tortenstückähnliche Form haben. Jede verfügt über drei Membranen – eine strahlt mittig ab, zwei zu den Seiten. Das erzeugt gerade in kleinen Räumen einen voluminösen Surroundeffekt. Aber Vorsicht: Dicke Gardinen oder verwinkelte Regalbauten schlucken die Schallwellen – und verderben den Klang. Für den Großstadtaltbau Wer schon mehr als das erste Geld verdient hat, wohnt gern im Altbau mit Stuck und Parkett. Gut geeignet für solche Gegebenheiten ist der „Individual Sound Projector“ von Loewe: Räume von bis zu 60 Quadratmetern Größe soll dieses System beschallen können, Möbel und sonstige Hindernisse werden von dem Gerät erkannt und bei der Berechnung der Abstrahlwinkel einkalkuliert. Nach der automatisierten Raumvermessung können beim Loewe-System insgesamt sieben Cinema-Programme sowie zwei Modi für Klangstimmungen abgespeichert werden. Sogar der Körpergröße der Zuhörer kann das Gerät sich so anpassen. Nutzt mal ein kleinerer Zuhörer das System, kann er auf ein alternatives, programmiertes Klangfeld umschalten – damit der Ton ihm nicht über den Kopf hinwegrauscht. Für die Dachgeschosswohnung Leider werden gemütliche Dachgeschosswohnungen zum architektonischen Problem, wenn es um guten Kinoklang geht – denn klassische Reflektionssysteme können bei tief gezogenen Dachschrägen ihre Schwie- Klangkonstruktion Denon X-Space DHT-FS3, mit 40-Watt-Subwoofer, etwa 1099 €, www.denon.de rigkeiten bekommen. Aber zum Glück gibt es bei der Imitation von Surroundsound auch andere Lösungsansätze. Laufzeitunterschiede von Schall nutzt der „X-Space DHTFS3“ von Denon, der zusammen mit einem 40-Watt-Subwoofer ausgeliefert wird. Die in einer schmalen Leiste untergebrachten sechs Breitwandtöner trennen einzelne Geräusche, beispielsweise atmosphärisches Vogelgezwitscher von den Stimmen der Schauspieler, und schicken sie leicht zeitversetzt auf den Weg zu den Ohren des Publikums. Nach Angaben des Herstellers soll dies bei ihm den Eindruck hinterlassen, die Geräusche kämen aus unterschiedlichen Entfernungen – und nicht bloß aus dem Lautsprecher, der sich gerade zwei Meter vor ihm befindet. Klanglich noch viel druckvoller und technisch differenzierter fällt die Lösung der Firma Marantz aus. Ihr ab November erhältliches Balkensystem ES7001 versteckt das klangliche Täuschungsmanöver im sperrigen Akronym „Opsodis“ (Optimal Source Distribution). Der Vorteil hier: Das Gerät besitzt bereits zwei digitale HDMI-Eingänge, sodass HDFernseher und eine andere Tonquelle wie eine Playstation 3 oder eine Xbox-360-Konsole parallel eingespeist werden können. Für das Fabrikloft Für größere, offene Räume sollte man ein möglichst leistungsstarkes Soundbar-System einsetzen. Das neueste Modell von Yamaha zum Beispiel trägt den Namen YSP-4000 und arbeitet mit 42 Minilautsprechern, die den Ton den verschiedenen Einstellmöglichkeiten an der Fernbedienung entsprechend wiedergeben. Der besondere Vorteil: Das Gerät kann den Klang mit einer dritten Minilautsprecherreihe auch über die Decke als Bande zum Hörer spielen. Wer es im großen Loft nur schwer auf dem Sofa aushält, der kann für entsprechenden Surroundsound auch noch auf eine ganz andere Lösung setzen: Das neue HeadzoneKopfhörersystem der deutschen Firma Beyerdynamic berechnet den Klang je nach Position des Kopfhörers – neigt der Benutzer zum Beispiel den Kopf nach vorn, passt das System die wahrgenommene Position der Geräuschquelle automatisch an. Besonders interessant dürfte das für Besitzer von Nintendos Wii-Konsole sein: Dieses Gerät wird über eine Fernbedienung mit Bewegungssensoren gesteuert. So ermöglicht es Spiele wie schweißtreibendes Boxen oder gefühlvolles Kegeln. Und dabei müssen die Spieler schließlich ständig in Bewegung sein. Yamaha YSP-4000, mit 42 Minilautsprechern, etwa 1300 €, www.yamaha-hifi.de Beyerdynamic Headzone-System mit Kopfhörer DT-880, ab November erhältlich, etwa 2490 €, www.beyerdynamic.de Loewe Individual Sound Projector, ab Ende Oktober erhältlich, etwa 1400 €, www.loewe.de FTD-Montage; Mauritius; gettyimages; www.aec.at; Nintendo; Denon, Yamaha, Beyeredynamic; Loewe; noch Donnerbalken Protzige Surround-Systeme waren gestern. Soundbars schaffen einen Raumklang wie im Kino und nehmen FI NA N C I A L TI M E S D EUTSC H LA N D ............................................................................................................................................................ abheben Pfadfinden Laus ins Fleie! S Als 2003 in Hongkong die Sars-Epidemie ausbrach, flohen die Städter vor dem Virus in die freie Natur. Heute ist Wandern vor den Toren der Metropole ein Massenphänomen VON CLAU DIA WAN N ER Startpunkt Der Ausgangspunkt der beschriebenen Tour an der Wohnsiedlung Hongkong Parkview ist vom Stadtzentrum aus in 15 Minuten mit dem Taxi oder Bus Nummer 6 zu erreichen. den 70er-Jahren unter Naturschutz, in 23 Naturparks warten betonierte Wege genauso wie schmale lehmige Pfade, gemütliche Spazierrouten und herausfordernde Bergtouren. Einen guten Anfang für Hongkongs Wanderer bietet der erste Teil des Wilson Trail. Die Tour führt aus Stanley am südlichen Zipfel von Hongkong Island auf 74 Kilometern bis nach Nam Chung im Nordosten der New Territories an der Grenze zur Volksrepublik. „Only for the very fit“, warnt die Beschreibung für den knapp fünf Kilometer langen Teil. Lorna ist gut trainiert, sie testet schon mal in sommerlicher Mittagshitze bei einem Berglauf ihre Grenzen. Dann ist die Luftfeuchtigkeit so hoch, dass man bereits nach wenigen Minuten durchgeschwitzt ist. Jetzt, im Herbst, liegen die Temperaturen unter 30 Grad Celsius. Von Oktober bis März ist daher Hochsaison. Dichter, saftig grüner Wald begrüßt die Ausflügler. Schmetterlinge, Libellen, ein kleiner brauner Frosch kreuzt den Weg. Von vielen Bäumen hängen lange Luftwurzeln, Blüten in Dottergelb und Pink locken Insekten. Es geht steil bergauf, oft sind Treppenstufen am Berghang eingelassen – direkter Angriff auf die Spitze statt langsam schlängelnder Serpentinen. Nach einer halben Stunde ist der erste Gipfel erreicht. Violet Hill, 430 Meter hoch. Auf den Inseln und dem kleinen Festlandzipfel recken sich die Berge bis knapp 10 000 Meter in die Höhe, an die Küsten schwappt das südchinesische Meer. Die Zeichen der Zivilisation verlieren Wanderer nur selten aus den Augen. Nach den langen Minuten in der Stille des Urwalds tönt auf Violet Hill wieder ein leises Verkehrsrauschen. Und der Blick in Richtung der Hochhäuser von Happy Valley und Causeway Bay machen deutlich, wie dicht beieinander über sieben Millionen Menschen hier leben. Mehr Abgeschiedenheit bietet Hongkongs Norden. Bei einer Tour rings um den Ort Wu Kau Tang liegen entlang des Wanderwegs nur verlassene Dörfer. Bis in die 80er-Jahre lebten dort Hakka, ein Stamm, der vor Jahrhunderten aus dem Norden Chinas eingewandert ist. Doch irgendwann lockten Löhne und Lebensqualität in die Städte, viele Hakka sind nach Großbritannien, Kanada und Australien ausgewandert. „Einige scheinen überstürzt aufgebrochen zu sein“, sagt Wanderführer Roger Walker. Der Weg führt an einem kleinen Haus vorbei, dessen Tür weit offen steht. Im Inneren stehen Fla- Karten Gute Wanderkarten sind in Hongkong nicht einfach zu finden. Die beste Quelle ist ein Buchladen der Regierung, im vierten Stock des Murray Building, Raum 402, Garden Road, Central. Gruppenwanderung Unter der Woche bietet Roger Walker von Walk Hong Kong Touren unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades an (www.walkhongkong.com). Am Wochenende können sich Wandervögel auch einer der vielen privaten Wandergruppen anschließen, zum Beispiel Hong Kong Trampers (www.hktrampers.com) oder The Hong Kong Hiking Meetup Group (www.hiking.meetup.com/130). CHINA 10 km Wu Kau Tang HONGKONG SAR * Hongkong Tai Tam Country Park * Special Administrative Region (Sonderverwaltungsregion) FTD/jf 5 schen auf einem Sideboard, und auf dem Boden liegt ein Schulheft. „English, 1968“ hat eine Kinderhand auf den Umschlag geschrieben. Im nächsten Dorf Lai Chi Wo sitzen ein paar Menschen auf dem Vorplatz zusammen beim Essen – Mitgebrachtes, denn auch dieses Dorf ist weitgehend verlassen. Sie hatten am Vormittag einen renovierten Tempel eingeweiht. „Wir kommen von Zeit zu Zeit zurück, um unserer Ahnen zu gedenken“, sagt Leong Sio Wai, der mitgefeiert hat. Vor 23 Jahren hat es ihn von hier nach Birmingham verschlagen. Zurück nach Hongkong Island. Während einer Pause in einem Tal oberhalb der Repulse Bay kommt auf einem breiten Weg, der den Pfad kreuzt, eine Gruppe Chinesen vorbei. Trotz des blauen Himmels trägt eine Dame einen aufgespannten Regenschirm – zum Schutz vor der Sonne. Während die Bewegung an der frischen Luft, vor allem ausgedehnte Wanderungen, enorm populär sind, ist die Sommerbräune eher verpönt. Der letzte Teil des Weges, hinauf auf die „Twins“. 1000 Stufen führen nach oben, warnt Lorna. Es sind 986, um genau zu sein, das Zählen der Stufen lenkt vom Ziehen in den Waden ab. Oben angekommen, hilft auch die frühe Stunde nicht mehr gegen den Schweiß. Aber die Aussicht entlohnt für alle Mühen, der Blick reicht über den ganzen Süden von Hongkong Island, kleine Inseln am Horizont, dazwischen tutet ein Frachter. Von hier aus betrachtet, ist Hongkong ein Paradies. Für Wanderer jedenfalls. Claudia Wanner (2); Klaus D. Francke / Bilderberg; myspace.com onntagmorgen, 7 Uhr. Lorna Chan besteht darauf, schon um diese Zeit zu starten. „Ich weiß, das ist wirklich früh“, sagt sie. Aber um diese Zeit sei es noch ruhiger. Wirklich still und einsam ist es dann doch nicht: An dem kleinen Picknickplatz am Eingang zum Tai Tam Country Park in den Bergen südlich von Honkong wartet schon eine junge Frau in Joggingschuhen auf ihre Begleiter. Von der Bushaltestelle kommen fünf ältere Chinesinnen anmarschiert in schicker Funktionsbekleidung. Eine stimmt ein Lied an, als sie am Rastplatz vorbeikommen. „Vor fünf Jahren waren die Wanderwege oberhalb von Causeway Bay total verlassen“, sagt Roger Walker, der mit seiner Firma „Walk Hong Kong“ geführte Touren in der Sonderverwaltungszone anbietet. „Aber mit dem Ausbruch der Lungenkrankheit Sars hat sich das geändert.“ Die liebsten Beschäftigungen der Einheimischen, Kino, Einkaufen, Essen gehen, waren wegen der Ansteckungsgefahr nur mit Vorsicht zu genießen. „Damals, 2003, hat Hongkong das Wandern entdeckt“, sagt Walker. Möglichkeiten gibt es reichlich in der einstigen britischen Enklave. 40 Prozent des Territoriums stehen seit F R E I TAG , 2 8 . S E P T E M B E R 2 0 0 7 ............................................................................................................................................................. Lohn des Schweißes: Der Blick über die vor Hongkong gelegenen Inseln belohnt für schmerzende Waden. Der Weg führt die Wanderer durch verlassene Dörfer des Stammes der Hakka Oh, wie schön ist . . . Reykjavik, Island Sie leben dort, wo andere Urlaub machen. Jede Woche schen Symphonieorchesters sowieso jeden Tag in einer Einer meiner Lieblingsorte auf unserer Insel ist erzählt ein Aussteiger von seiner neuen Heimat. fensterlose Konzerthalle arbeite, ist das mit der Dunkel- Myvatn, eine fantastische Gegend. Da hat man auf heit im Winter für mich kein Problem. Es ist viel engstem Raum alles zusammen: heiße Quellen und eine ch war schon zweimal als Touristin im Sommer schwieriger im Sommer dahin zu gehen, vom strahlen- herrliche Landschaft. Wenn ich diese Landschaft sehe, durch Island gereist. Von Anfang an hatte die dem Sonnenlicht ins Dunkel. wird mir das vor Augen geführt, was ich in der Schule I unberührte Natur einen starken Einfluss auf mich Ich wohne nicht direkt in Reykjavik, sondern in der mal gelernt habe. Nämlich, dass es im Inneren der Erde gehabt. Viele haben mir erzählt, wie schön auch der letzten Spitze der Landzunge, auf der die Hauptstadt heiß ist, während wir draußen frieren. Das andere Winter hier ist, und ich war neugierig mal alle Jahreszei- liegt. Von meiner Wohnung habe ich einen fantasti- Extrem ist Vatnjökull, ein riesiges Gletschergebiet. Da ten hintereinander zu erleben. Von daher entschied ich schen Blick über das Meer und die Berge der Halbinsel. gibt es eine Lagune, und darin schwimmen riesige mich, ein ganzes Jahr auf der Insel zu bleiben. Ich laufe in zehn Minuten zum Strand, wo ein Leucht- Eisberge. Das gesamte Innere des Landes ist faszinie- Die Jahreszeiten sind sehr wichtig für die Isländer, turm steht. Dort habe ich nicht mehr das Gefühl, dass rend, eine kalte, schwarze Wüste, aus Gletscher und die prägen das ganze Leben hier. So werden im Winter ich in einer Stadt lebe. Die Leute hier sind sowieso völlig Vulkan, Steine und Asche. Am Rand, wo die Vegetation die sozialen Kontakte sehr wichtig. Wenn es, wie am von der Natur umgeben, daher hat sich wohl auch der wieder anfängt, kann man auch Blaubeeren suchen. Glaube an Elfen und Geister gehalten. Isländer spüren Denn hier wachsen die nicht im Wald – sondern in der die unsichtbare Kräfte eher, als jemand, der in der Lava. kürzesten Tag des Jahres um halb 11 hell wird und schon um 15 Uhr dunkel, braucht man Freunde mit denen man dann ins Theater oder in Ausstellungen gehen kann. Das Kunstmuseum Kjarvalsstaair ist eines der besten. Und obwohl Reykjavik eine ganz kleine Stadt ist, die nur 160 000 Einwohner hat, ist das kulturelle Angebot enorm. Weil ich als Harfinistin des isländi- Monika Abendroth, 62, zog 1976 zum ersten mal nach Island. Jetzt wohnt sie am Stadtrand der Hauptstadt Reykjavik und arbeitet als Harfenistin beim isländischen Symphonieorchester PROTOKOLL: HELEN LIVINGSTONE großen Stadt lebt. Ich persönlich habe keine Elfen gesehen. Aber deswegen bin ich noch nicht bereit, ihr Dasein auszuschließen. Ich habe auch schon Menschen getroffen, die mir von ihren Elfen-Erlebnissen berichtet haben, und die für mich glaubwürdig sind. ....................................................................................... BESUCH IM NEUEN LEBEN Flüge nach Reykjavik aus Deutschland gibt es ab 137 €, (www.icelandair.de). Mit dem Bus fährt man von dort sechs Stunden nach Akureyri (Myvatn), Informationen unter www.trex.is ..................................................................................................................................................................... Nichts als die Wahrheit Ab Herbst haben alle ein iPhone, Von Tillmann Prüfer aus FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND ...................................................................................................................................................................... Kunststück! Was haben Sie sich dabei gedacht, Herr van den Berg? hat mir ein Kollege gesagt. Das „Als ich vor Jahren die Abbildung eines Sternenprojektors in die Finger werfen. Nun sollte der Betrachter hineinsehen können, quasi aus der würde selbstverständlich. So wie bekam, pinnte ich sie an die Atelierwand. Sie überdauerte da die Sicht der Sterne auf die Erde gucken. Das Objekt musste also hohl jetzt jeder einen iPod und ein Entstehung einiger Werke, ohne dass etwas geschah. Manchmal ging werden. Als der erste komplette Aufbau anstand – ich konnte wegen iBook hat. Ich stimmte ihm zu. ich ins Planetarium, wo ich bei Sternenshows meist einschlief. der Größe nur jeweils Teile im Atelier bauen –, war ich aufgeregt. Und Dabei habe ich keinen iPod oder Lediglich dieser seltsame Projektor tauchte immer wieder in meinem endlich, als es mächtig in den Raum ragte, nur bedingt zufrieden. sonst ein Gerät, das mit kleinem Kopf auf: Die Gestalt dieses Geräts beinhaltete mehr als seine Die ersten Reaktionen machten mich dann sicherer. Sofort wurde i anfängt. Nicht einmal einen Funktion, und sie faszinierte mich. Als ich zu einer Ausstellung mit bemerkt, dass man nicht nur vor der Gestalt stehen und um sie Blackberry. Ich habe meiner Freundin gesagt, dass ich dem Titel ,Rückkehr ins All‘ in herumgehen und sie betrach- mir dann auch gerne ein iPhone kaufen würde. Sie die Kunsthalle ten konnte, sondern dass sich sagte:„Du hast doch schon ein Handy.“ Damit hat sie eingeladen wurde, wusste ich: verschiedene Blicke durch die natürlich recht, aber so kommt man in der Informa- Die Zeit ist reif. kreisrunden Hamburger Öffnungen ins tionsgesellschaft nicht weiter. Ich habe ja auch einen Nicht nur, dass Sternen- Innere und damit ganz uner- Computer, einen, der einen halben Tag braucht, um projektoren formale Repräsen- wartete Perspektiven auftaten: hochzufahren. Währenddessen treffen schon die ersten tation eines Welt- beziehungs- Blicke in Kuppeln und Kreuze, E-Mails ein von den Leuten, die bei jeder Gelegenheit weise Universumsbilds sind, strukturiert durch Linien, die auf ihren Blackberry tippen. Und die anderen Leute, die faszinierte mich. Es war die das Schichtholz vorgibt; als ob auch einen Blackberry besitzen, haben schon geant- schiere man in einem hölzernen Kir- wortet. In Wahrheit hat mich die Informationsgesell- anzog. Gestalt, die mich chenmodell stünde und es mit schaft längst abgehängt. Die Leute schießen einander Ich fragte mich, ob es mög- gewaltige Datenmengen zu, während ich froh bin, dass lich wäre, sich der Gestalt Eigentlich hätte die Arbeit ich SMS verschicken kann. Ich überlege mir, dass mir ja durch Nachbildung zu nähern, ,Sterneninspektor‘ auch einfach jemand mein veraltetes Handy klauen sie abzukupfern, in einem müssen. Da mir das aber zu könnte. Dann bliebe mir nichts anderes übrig, als es zu Material, das eine Distanz zu unterhaltsam klang, beließ ich ersetzen, zum Beispiel durch ein iPhone. Ich lasse das technischem Gerät hat, Holz. es beim Original, Sternenpro- Mobiltelefon mitunter stundenlang in Cafés einfach so Das Ganze wurde zeitweilig zu jektor‘.“ rumliegen. Aber niemand möchte es mitnehmen. Ich einer Wahnsinnsarbeit, bei der muss wohl warten, bis mein Handy eine technikhisto- mir rische Rarität geworden ist und ein Sammler vorbei- schien, was ich eigentlich tat. kommt, um es aufzuklauben. Aber wahrscheinlich hat Um mich vom Original zu mich bis dahin längst eine herumfliegende Terrabyte- entfernen, wollte ich das Prin- ladung getroffen und einfach niedergestreckt. zip umkehren: Der originale mitunter seinem STE R N E N P ROJ E K TO R Arbeiten von Oliver van den Berg sind bis zum bis 3. Oktober auf dem Berliner Art Forum zu sehen. Der „Sternenprojektor“ (2005, Birkenschichtholz, 450 Zentimeter hoch/Durchmesser: 400 Zentimeter) kostet 58 000 €. FTD-Leser haben ab heute unter Angabe der Abonnentennummer zehn Tage lang Vorkaufsrecht. Galerie Kuckei + Kuckei, Linienstraße 158, www.kuckei-kuckei.de kungskreis erweitern (mindestens um den Raum eines Planetariums) und durch die Pro- 90er-Jahre. In der oberbayerischen Kleinstadt kommt jektionslinsen heißen fragwürdig das Projizieren seinen Wir- Das Wunder von Landsberg formiert sich Anfang der durchstreift. PROTOKOLL: JUDITH BOROWSKI Sternenprojektor kann durch Goodbye Hausmusik verklingt Blick veränderliche Sternenbilder an die Kuppel alles zusammen, was man für ein Wunder braucht: Talent, Leidensfähigkeit und Größenwahn. Es ist der Elektromeister Wolfgang Petters, der die Zutaten so kombiniert, dass Landsberg am Lech plötzlich für mehr steht als für Adolf Hitlers Gefängnis. Nämlich für den Erfolg einer Cottage-Industry aus D Kleinlabels und Kellerbands. Hausmusik nennt Petters sein Label. Denn die Musik, die darauf erscheint, wird von Freunden gespielt und nicht selten in Küchen aufgenommen. Dass sich mehr Menschen als nur Nachbarn und Verwandte dafür interessieren, dass bald in allen deutschen Zeitungen über die Hausmusik-Szene geschrieben wird, liegt nur zum Teil daran, dass auch die erfolgreichen Musiker von Notwist mitmischen. Es liegt vor allen am altruistischen Ehrgeiz Wolfgang Petters’. Ein paar Jahre sieht es so aus, als ob sich Qualität auszahlt. Hausmusik erweitert sich zu einem Vertrieb, zieht nach München, öffnet einen Laden. Doch die Geschichte hat kein Happy End: Derart hart trifft der Rückgang der Tonträgerindustrie Petters, dass er keine wirtschaftliche Zukunft mehr sieht. Bis Ende des Jahres wird er Hausmusik abwickeln, dann ist er wieder Elektromeister. Plätze der Republik Hörsten, Schleswig-Holstein: Erster BSE-Fall GREGOR KESSLER en Hof von Peter Lorenzen findet man nicht ganz leicht. Genau genommen hat es fast keinen Zweck, ohne Navigationssystem danach zu suchen: Das winzige Dorf Hörsten bei Rendsburg ist so zwischen Eider und Nordostseekanal eingeklemmt, dass man sich im hintersten Winkel Schleswig-Holsteins glaubt. Nichts als Grün gibt es auf dem Weg dorthin, in allen Tönen, fette Wiesen mit Krähen und Fischreihern drauf und natürlich Kühe, Kühe ohne Ende. Dass die BSE-Hysterie in Deutschland vor sieben Jahren ausgerechnet hier losging, ist gleich doppelt tragisch. Erstens, weil die Kühe bei Peter Lorenzen ein passables Leben führen, mit viel Auslauf auf der Weide und ordentlichem Futter. Und zweitens, weil bis heute niemand sagen kann, wie genau der Rinderwahn damals eigentlich nach Hörsten gekommen ist. „Spontanmutation“ lautet der offizielle Befund – Lorenzen hat nichts falsch gemacht. Trotzdem musste damals sein ganzer Rezession & Frohsinn von Gábor Zádor und Tillmann Prüfer www.ehapa-comic-collection.de Viehbestand getötet werden, 166 Rinder; das jüngste war erst einen Tag alt. „Mich belastet das nicht mehr“, sagt Lorenzen heute. „Ich kann ja doch nichts dran machen.“ Den Wert der Tiere bekam er vom Seuchenfonds ersetzt. Nur zwei Monate standen seine Ställe damals leer, dann begann er, eine neue Herde zusammenzukaufen. Auf dem Hof ist heute im Grunde alles so wie vor sieben Jahren: Die ganz kleinen Kälber stehen einzeln in Boxen auf Stroh; die älteren Tiere recken ihre Hälse durch die Gitterstäbe und angeln nach der Futtersilage auf dem Boden. Immer dabei ist Susi, die schwarze Mischlingshündin. „Die stand hier damals rum wie Falschgeld, als sie die Kühe abgeholt hatten“, sagt der Bauer. Hübsch eingerichtet haben sich die Lorenzens auf ihrem Hof, der seit 1914 im Familienbesitz ist: Im ordentlich gepflegten Garten des Wohnhäuschens stehen Apfelbäume und eine Schaukel für die beiden Kinder; die Großeltern leben auf dem Alten- teil nebenan. Spektakulär ist die Aussicht, wenn in der Ferne ein Containerschiff durch die Wiesen zu fahren scheint – der Nordostseekanal verläuft noch nicht mal einen Kilometer weit weg. Wer möchte, kann in dieser Landschaft auch Urlaub machen. Peter Lorenzen vermietet Wohnungen im großen Haus neben dem Kuhstall für Ferien auf dem Bauernhof. Wer mag, darf im Stall auch mitanfassen. Ein bisschen Kontakt mit der Kuh kann nicht schaden. „Und die Ahnungslosigkeit in der Bevölkerung ist da sehr groß“, sagt er. Rainer Leurs ........................................................ LO R E N Z E N - H O F Im Dorfe 26/28, 24797 Hörsten. Ferien auf dem Bauernhof für zwei oder vier Personen, 30 € pro Nacht und Zimmer. Anfahrt: Ab Rendsburg den Nordostseekanal entlang Richtung Südwesten folgen, nach circa 10 Kilometern rechts abbiegen Richtung Hörsten. Koordinaten: 54° 13’ 38’’ Nord, 9° 34’ 40’’ Ost Annette Prüfer; ANNA KLINKHAMMER GALERIE; action press/AUGUSTIN,CHRISTIAN; FTD/Rainer Leurs 6 F R E I TAG , 2 8 . S E P T E M B E R 2 0 0 7