Gesundheitspolitik in Industrieländern 10

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Gesundheitspolitik in Industrieländern 10
Gesundheitspolitik in Industrieländern 10
Sophia Schlette, Kerstin Blum,
Reinhard Busse (Hrsg.)
Gesundheitspolitik in
Industrieländern 10
Im Blickpunkt: Pflege unter Druck,
Krankenkassen als Payer und Player,
Verbesserung der Versorgungsqualität
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.
2008 Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh
Verantwortlich: Sophia Schlette
Lektorat: Dr. Arno Kappler, Soest
Herstellung: Sabine Reimann
Umschlaggestaltung: Nadine Humann
Umschlagabbildung: Aperto AG, Berlin
Satz und Druck: Hans Kock Buch- und Offsetdruck GmbH, Bielefeld
ISBN 978-3-86793-018-5
www.bertelsmann-stiftung.de/verlag
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Langzeitpflege: Versicherungslösung setzt sich durch . . . . . .
Frankreich: Altenpflege als »fünfte Säule«
der Sozialversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Österreich: Turbulente Debatte um 24-Stunden-Pflege . . . . . . .
Japan: Pflegestützpunkte als Pflichtleistung . . . . . . . . . . . . . . . .
Israel: Pflegeleistungen werden ausgeschrieben . . . . . . . . . . . .
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Neue Versorgungsformen: Der Vormarsch geht weiter . . . . .
Israel: Ein Duo ersetzt den allein praktizierenden Arzt . . . . . .
USA: Das »medizinische Zuhause« wird Wirklichkeit . . . . . .
Spanien: Neue Versorgungsmodelle werden
verglichen und evaluiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Krebs: Prävention und Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Japan: Aktionsplan gegen den Krebs
soll Versorgung besser integrieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dänemark: Keine Wartezeiten und
bessere Versorgung für Krebspatienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
USA, Schweiz, Neuseeland, Kanada:
HPV-Impfungen Sache der Allgemeinheit? . . . . . . . . . . . . . . . .
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Krankenkassen: Payer und Player . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Frankreich: »Schutzschild« gegen zu hohe Zuzahlungen . . . .
Japan: Dezentrale Beiträge und
ein neues Versicherungssystem für Hochaltrige . . . . . . . . . . . .
Israel: Eine fünfte Krankenkasse für wechselnde Zwecke . . .
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Qualitätssicherung: Jagd auf bewegliche Ziele . . . . . . . . . . . . . . 87
Estland: Krankenhäuser nehmen am »Path«-Programm
der WHO teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
Neuseeland: Qualitätsparameter orientiert am Patienten . . . . . 92
Kanada: Gesundheitsrat gibt Qualitätsempfehlungen . . . . . . . 94
Niederlande: Schneller ist nicht immer besser . . . . . . . . . . . . . . . 98
Australien: Schutz für jeden, der einen Fehler aufdeckt . . . . . . 101
Arzneimittel: Tauziehen zwischen Finanziers
und Herstellern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Groûbritannien: Arzneimittelpreise sollen sich
am Wert orientieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Polen: Arzneimittelpolitik im Scheinwerferlicht . . . . . . . . . . . .
Australien: Preisreform schafft
zwei Klassen von Arzneimitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Finnland: Raucher-Kaugummi einziger sichtbarer Erfolg
der Arzneimittelreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Spanien: Reform scheitert an der Pharma-Industrie . . . . . . . . .
Mehr Wahlmöglichkeiten durch
Privatisierung und Gutscheine? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Singapur: Das teuerste Gesundheitswesen
ist gerade gut genug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dänemark: Konkurrenz für öffentliche Krankenhäuser . . . . .
Frankreich: Pflegekräfte werden aufgewertet und
besser verteilt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Finnland: Kaum Nachfrage
nach Versorgungsgutscheinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Das Internationale Netzwerk Gesundheitspolitik . . . . . . . . . . .
Vorbereitung und Vorgehen der Berichterstattung . . . . . . . . .
Auswahlkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Politikbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Projektmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Reformverzeichnis nach Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
Neu: Reformverzeichnis nach Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
6
Vorwort
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, Ihnen mit Band 10 unsere »Jubiläumsausgabe«
von »Gesundheitspolitik in Industrieländern« präsentieren zu
können. Seit fünf Jahren berichten wir über aktuelle gesundheitspolitische Entwicklungen in den 20 Partnerländern des »Internationalen Netzwerks Gesundheitspolitik«. Wir hoffen, dass wir
Ihnen anregende und nützliche Über- und Einblicke in internationale gesundheitspolitische Trends und »good practice« liefern
und freuen uns über Ihr Interesse daran.
Pünktlich zum Jubiläum bieten wir Ihnen einen neuen Service.
Neben dem Reformverzeichnis nach Ländern enthält dieser Band
jetzt auch ein Verzeichnis nach thematischen Schwerpunkten.
Dort finden Sie ± von A wie Arzneimittelpolitik bis Z wie Zugang ±
alle Reformen, über die wir in dieser Buchreihe berichtet haben.
Band 10 von »Gesundheitspolitik in Industrieländern« beschäftigt sich erneut mit einem Strauû gesundheitspolitischer Themen ± von Pflegepolitik und neuen Versorgungsformen über Fragen der Qualitätssicherung bis hin zur Arzneimittelpolitik.
Einen besonderen Schwerpunkt bilden diesmal die diversen
Auswirkungen des demographischen Wandels auf das Gesundheitswesen. Europa und Japan befinden sich bereits mitten in
einem weitreichenden Wandlungsprozess, der jedoch auch vor Staaten mit insgesamt jüngerer Bevölkerung oder stärkerer Zuwanderung nicht haltmacht. Für die Gesundheitspolitik bringt der
wachsende Anteil ¾lterer an der Gesamtbevölkerung überall diverse Herausforderungen mit sich.
Zum einen wächst in jeder älter werdenden Gesellschaft der
Bedarf an Langzeitpflege. Gleichzeitig steigen die Anforderungen
7
Neu: Reformregister nach
Themen
Themenschwerpunkt: Folgen des
demographischen
Wandels
Pflege:
Quantitative und
qualitative
Herausforderungen
Koordinierte
Versorgung für
Chroniker
nutzt allen
GPS im
Versorgungslabyrinth
»Alterskrankheit«
Krebs
an die Qualität der Pflege, wenn pflegeintensive Krankheiten wie
Demenz, Alzheimer oder Parkinson zunehmend an Bedeutung
gewinnen. Die Frage, wie man Altern in Würde ± sei es zu Hause
oder in einer stationären Einrichtung ± ermöglichen und dabei
eine nachhaltige Finanzierung sicherstellen kann, treibt viele
Industrienationen um. Frankreich überlegt, nach deutschem Vorbild die Pflegeversicherung als »fünfte Säule« der Sozialversicherung einzuführen ± ein Weg, den Spanien und Slowenien bereits
beschritten haben. Österreich setzt auf eine gesetzliche Regelung
der 24-Stunden-Pflege, mit der viele Pflegekräfte und -helfer aus
zumeist osteuropäischen Ländern und ihre österreichischen Arbeitgeber aus der Grauzone der Illegalität herauskommen. Japan
hingegen setzt wie Israel (siehe Gesundheitspolitik in Industrieländern 7/8, S. 152) auf gezielte Gesundheitsförderung für ¾ltere,
um Pflegebedürftigkeit möglichst lange vorzubeugen bzw. damit
Pflegebedarf möglichst gar nicht erst entsteht.
Zum anderen hat der steigende Anteil von chronischen Erkrankungen und Multimorbidität, der mit unserem »Grauwerden« einhergeht, indirekt Auswirkungen auf die Versorgungslandschaft.
Neue Versorgungsformen, die auf eine bessere Koordination der
Versorgung abzielen, entstehen oft aus Überlegungen zur besseren Versorgung chronisch Kranker.
Gerade für Menschen mit komplexen Krankheitsbildern ist es
immens wertvoll, im oft labyrinthischen Versorgungssystem Navigationshilfe zu erhalten. In den letzten Jahrzehnten sind hierfür
verschiedene Ansätze entwickelt worden, von »Disease Management«-Programmen über das umfassendere »Chronic Care«-Modell, das der israelische Krankenversicherer Maccabi in die Tat umsetzt, bis zum Modell des »medizinischen Zuhauses«, wie es in
den USA erprobt wird. Gerade das medizinische Zuhause zeigt,
dass eine Neuorganisation der Versorgungslandschaft eine bessere
Versorgungsqualität für alle Patienten erzielen kann und auch
für Leistungserbringer und Kostenträger Vorteile entstehen.
Auch Krebs rückt zunehmend in den Fokus der Medizin und
der öffentlichen Aufmerksamkeit. Denn mit der Lebenserwartung steigt das Risiko, an Krebs zu erkranken: Laut Gesundheitsberichterstattung des Bundes treten fast drei Viertel aller Krebsneuerkrankungen in Deutschland bei Menschen über 60 Jahren
auf.
8
Der Kampf gegen die Volkskrankheit Krebs steht folgerichtig
auch im Blickpunkt der Gesundheitspolitik. So haben sich die
EU-Gesundheitsminister im April 2008 darauf geeinigt, dass ein
gemeinsamer EU-Aktionsplan zum Kampf gegen Krebs notwendig ist, und von der Europäischen Kommission einen Entwurf
gefordert. In vielen Ländern finden sich auf nationaler Ebene bereits vielversprechende Ansätze, mit denen die Versorgung von
Krebspatienten und die Krebsprävention verbessert werden sollen. Japan setzt, wie auch Neuseeland und Australien, auf einen
nationalen Aktionsplan gegen den Krebs, der Prävention mit
einer besseren Koordination der Versorgung, gezielter Weiterbildung der Leistungserbringer und Patienteninformation verknüpft. Dänemark überarbeitete im Jahr 2007 seinen Krebsaktionsplan von 2001. Unter anderem legt der neue Plan fest, dass
Patienten mit Verdacht auf Krebs nie länger als 48 Stunden auf
die diagnostische Untersuchung warten müssen.
Informationsquellen für dieses Buch waren wie immer die
Expertenberichte des Internationalen Netzwerks Gesundheitspolitik. Dieser Band stellt die Ergebnisse der zehnten halbjährlichen
Befragung vor, die den Zeitraum Mai bis September 2007 umfasst. Von den 79 Reformmeldungen haben wir 30 für den vorliegenden Bericht ausgewählt.
Unser besonderer Dank gilt Norbert Mappes-Niediek, Autor
und freier Journalist, für seine Hilfe bei der Erstellung des ersten
Entwurfs sowie Ines Galla (Bertelsmann Stiftung) für ihre Unterstützung bei der Redaktion und organisatorischen Betreuung dieser Publikation. Unser Dank gilt auch allen Experten aus den
Partnerinstitutionen und ihren externen Koautoren:
Autoren: Ain Aaviksoo, Gerard Anderson, Mickael Bech, Netta
Bentur, Chantal Cases, Philippe Chastonay, Karine Chevreul,
Elena Conis, Noah Ecker, Gabriel Ferragut Ensenyat, Rick Franklin, Nicholas J. Goodwin, Kees van Gool, Revital Gross, Marion
Haas, Maria M. Hofmarcher, Reuven Kogen, Ehud Kokia, Agris
Koppel, Lim Meng Kin, Ryozo Matsuda, Margaret McAdam,
Carol Medlin, Anna Mokrzycka, Michel Naiditch, Shlomo Noi,
Adam Oliver, Tanaz Petigara, Karolina Socha, Cor Spreeuwenberg, Renee Torgerson, Karsten Vrangbñk, Lauri Vuorenkoski,
Lisa Walton und Rachel Wilf-Miron.
Kommentatoren/Reviewer: Luca Crivelli und Mary Ries.
9
Diagnostik,
Koordination und
Weiterbildung
Kommentare und Anregungen zu Ausgabe 10 von Gesundheitspolitik in Industrieländern sind herzlich willkommen und können
an die Herausgeber gerichtet werden. Wir freuen uns über alle
Verbesserungsvorschläge.
Sophia Schlette, Kerstin Blum, Reinhard Busse
10
Langzeitpflege:
Versicherungslösung setzt sich durch
Die Einführung der deutschen Pflegeversicherung 1995 galt als
Durchbruch und Pioniertat. Die Fachwelt war sich einig, dass die
Weichenstellung bei der längst absehbaren Alterung der Bevölkerung überall, auch in Deutschland, schon deutlich überfällig war.
Damit korrespondiert heute die bange Erwartung, dass das System sich bald neuen Finanzierungsproblemen gegenübersehen
könnte.
Die Entwicklungen, auf die Deutschland seinerzeit mit einer
»fünften Säule« der Sozialversicherung reagierte, halten nicht
nur an, sondern haben sich unterdessen noch beschleunigt: Bis
2050 soll die Zahl der über 65-Jährigen in Europa um 58 Millionen steigen, wobei die über 80-Jährigen unter ihnen den am
raschesten steigenden Anteil ausmachen (Sorenson 2007: 1). Die
Ausgaben, die Industriestaaten schon jetzt für die Langzeitpflege
aufwenden, schwanken zwischen 0,2 Prozent und drei Prozent
des Bruttoinlandsprodukts (OECD 2005: 2; siehe Abbildung 1).
Die Herausforderung ist nicht allein quantitativer, sondern
vor allem qualitativer Art. Mit der weiter fortschreitenden Alterung der Bevölkerung verändern sich die Versorgungsbedürfnisse. Pflegeintensive Alterskrankheiten wie Demenz, Alzheimer
oder Parkinson nehmen stark zu. Das übliche Muster von Krankheit und Genesung, das der Gesundheitsversorgung gemeinhin
zugrunde liegt, wird für einen wachsenden Teil der Bevölkerung
zur Fiktion ± so wie auch der Übergang zwischen Krankheit und
Pflegebedürftigkeit unscharf geworden ist.
Angeregt zwar von der demographischen Entwicklung, hat die
Eigenständigkeit der Langzeitpflege jedoch einen weitergehenden
Paradigmenwechsel nach sich gezogen und die Aufmerksamkeit
auf Probleme gelenkt, die vor einem historischen Augenblick noch
11
Mit der Alterung
steigt die Zahl der
Pflegebedürftigen
Pflegeintensive
Krankheiten
nehmen zu
Abbildung 1: Öffentliche und private Ausgaben für Pflege
3,0
1,4
2,5
0,2
2,0
0,2
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0,1
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0,3
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1,7
0,1
1,2
0,5
1,3
1,1
0,9
1,2
1,0
0,1
1,0
0,5
0,4
0,4
0,6
Private Ausgaben
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Öffentliche Ausgaben
Alle Angaben in Prozent des BIP
Daten von 2005, für Australien und Japan von 2004.
Quelle: OECD Gesundheitsdaten 2007.
Häusliche Pflege
gewinnt an Wert
gar nicht als solche erkannt worden sind. Behinderte etwa als
Kranke zu definieren und in Einrichtungen unterzubringen, die
an Bedürfnissen von Akutpatienten entwickelt wurden, erscheint
heute absurd ± und doch war es jahrzehntelang gang und gäbe.
Längst unumkehrbar erscheint der quantitative und qualitative Ausbau von mobilen Pflegediensten. Ohne die Autonomie
der Langzeitpflege von der akuten Gesundheitsversorgung wären
auch die Diskussionen um die Selbstbestimmung und Teilhabe
von Behinderten und pflegebedürftigen Alten unter den ± akut
stets viel drängenderen ± Fragestellungen der Akutversorgung
untergegangen. Die häusliche Pflege war immer schon ein zentraler Bestandteil der Pflegeleistungen, meist wurde sie jedoch in
informellen Arrangements erbracht. Zunehmend rückt ihr Wert
jedoch in den Mittelpunkt der Debatte um gute Pflege. Die häusliche Pflege hat sich zu einem wichtigen Teil der öffentlich finanzierten Pflege entwickelt (siehe Abbildung 2).
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Abbildung 2: Öffentliche Ausgaben für Langzeitpflege, 2000
3,0
2,5
2,0
1,5
1,0
0,5
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Häusliche Pflege (inklusive Leistungen zur Unterstützung der informellen Pflege)
Stationäre Langzeitpflege
Alle Angaben in Prozent des BIP
Quelle: OECD Policy Brief, 2005: 6.
Inzwischen wurde und wird das System der Pflegeversicherung
von immer mehr Ländern übernommen. Japan und Luxemburg
haben ähnliche Versicherungen eingeführt. In Österreich ist Langzeitpflege schon seit 1993 eine staatliche Leistung und damit von
der versicherungsfinanzierten Akutversorgung auch organisatorisch und finanztechnisch unterschieden. Frankreich denkt über
die Pflegeversicherung nach (siehe den Bericht aus Frankreich,
S. 18), Spanien und Slowenien sind dabei, sie einzuführen.
Spanien, ein Land mit steuerfinanziertem Gesundheitswesen,
hat 2007 begonnen, ein Pflegeversicherungsmodell einzuführen.
Die Pflegeversicherung soll ambulante Pflegeleistungen und nötige Umbauten im Haus finanzieren, die Integration von ambulanter und stationärer Pflege fördern und pflegende Angehörige
finanziell entlasten. Das Modell wird zu je einem Drittel von der
Zentralregierung, von den 17 autonomen Regionen und von den
Betroffenen selbst bezahlt. Die Pflegeversicherung kommt in meh13
Pflegeversicherung
als weltweit
kopiertes Modell
Spanien setzt neue
Pflegeversicherung
um
Slowenien führt
Pflichtversicherung
nach deutschem
Vorbild ein
Mehr Geld soll
Angehörige
entlasten und
Qualität heben
Sonderstatus für
Langezeitpflege
schafft neue
Probleme
Sicherheit versus
Selbstbestimmung
reren Schritten: Der erste wurde 2007 getan, der letzte wird für
2015 erwartet. Die Vorgehensweise wurde gewählt, weil die Belastung der Versicherten und der Ausbau der Pflege-Infrastruktur parallel gehalten werden sollen (siehe Gesundheitspolitik in Industrieländern 7/8, S. 107).
Eine neue Pflichtversicherung in Slowenien soll häusliche und
stationäre Pflegeleistungen sowie medizinische Hilfen umfassen
und die Kosten für kleinere Wohnungsumbauten übernehmen,
wenn dadurch die Bewohner länger in ihren eigenen vier Wänden versorgt werden können (siehe Gesundheitspolitik in Industrieländern 9, S. 105). Für Erwachsene im Alter von 20 bis 64 Jahren
will man auûerdem den Zugang zu Pflegeleistungen verbessern.
Diese müssen bisher die Kosten für ihre Pflege meist selbst tragen, es sei denn, sie beziehen eine Behindertenrente. Plätze in
Pflegeheimen für diese Altersgruppe sind Mangelware, und auch
die ambulante Pflege stöût an ihre Grenzen.
In Slowenien erhalten zurzeit 67.000 Personen, das sind knapp
3,4 Prozent der etwa zwei Millionen Einwohner, Pflegeleistungen.
Finanziert werden sie von den Gemeinden sowie von der Kranken- und der Rentenversicherung. Einen groûen Teil der Kosten
tragen die Pflegebedürftigen allerdings selbst: Im stationären
Bereich liegt der Eigenanteil bei mehr als 40 Prozent.
Die Regierung hofft, dass durch die universelle Pflichtversicherung mehr Geld ins System kommt und dass sie mit diesem
Geld die professionellen Pflegeeinrichtungen ausbauen kann. In
den letzten 20 Jahren ist die Zahl der ¾lteren um die Hälfte gestiegen. Bis 2020 erreichen die Babyboomer-Jahrgänge das Rentenalter. Bei diesen Zahlen zweifelt die Regierung in Ljubljana
an der finanziellen Tragfähigkeit und Gerechtigkeit des bestehenden Systems.
Mit der Abtrennung der Langzeitpflege von der Akutversorgung
und der Einführung eines eigenen Finanzierungssystems stellen
sich allerdings eine Reihe neuer Probleme. Sie kreisen zum gröûten Teil um die Frage, wie beide Systeme, Langzeitpflege und Akutversorgung, sinnvoll voneinander abgegrenzt und dabei Schnittstellenprobleme vermieden werden können.
Unter dem Strich war es notwendig, Pflege nach ihren eigenen Gesetzen, nicht mehr nach den ihr sachfremden Grundsätzen der Akutversorgung zu beurteilen. Aber eben diese Trennung
14
konfrontiert den neuen Sektor auch mit seinen eigenen Widersprüchen. Sicherheit als zentrales Ziel von Langzeitpflege steht
in einer unauflöslichen Spannung zu Wahlfreiheit und Herrschaft über das eigene Schicksal, zu Individualität und Weiterführung eines sinnvollen Lebens (Kane und Kane 2001: 116). Systematisch ungelöst bleibt aber auch, wie bei der Zuerkennung
von Pflegegeld zielwidrige Anreize vermieden werden können.
In Systemen, die Betroffenen je nach Pflegebedürftigkeit ein
bestimmtes Budget zur freien Verfügung zuteilen, können solche
zielwidrigen Anreize handlungsleitend werden: Die Pflegebedürftigen und ihre Familien verlieren bei jedem Gewinn an Autonomie
Geld. Verbesserungen des Zustands ± wie die Fähigkeit, allein zu
essen oder sich zu waschen ± ziehen empfindliche finanzielle Verschlechterungen nach sich. Dass gerade das (Wieder-)Erlernen
solch elementarer Fertigkeiten die Betroffenen und ihre Angehörigen besonders viel Energie kostet, wird vom System ignoriert.
Auch Leistungserbringer müssen im Normalfall Einkommenseinbuûen in Kauf nehmen, wenn ein von ihnen betreuter Patient
in eine niedrigere Pflegestufe wechselt. Es gibt bisher selten monetäre Anreize, sich als Pflegedienst für eine Verbesserung des
Gesundheitszustands der Kunden einzusetzen. Für die Lösung dieses Kernproblems gibt es jedoch hoffnungsvolle Ansätze. So erhalten in Japan Anbieter eine Zusatzvergütung für gesundheitsfördernde Maûnahmen (siehe den Bericht über Japan, S. 25).
Deutschland will mit dem am 1. Juli 2008 in Kraft getretenen
Pflege-Weiterentwicklungsgesetz stationäre Pflegeeinrichtungen
mit finanziellen Vorteilen dazu anreizen, den Zustand der Betreuten durch aktivierende Pflege und Rehabilitation zu verbessern. Schafft es ein Pflegeheim, dass ein Patient in die nächstniedrigere Pflegestufe umgestuft wird, erhält es einen einmaligen
Betrag von 1.538 Euro.
Unentschieden ist international überdies die Frage, ob Pflege
als Sachleistung vom Versicherungsträger pauschal übernommen oder ob Bedürftigen ein persönliches Budget zur eigenen
Verfügung gegeben werden sollte. Im deutschen System ist das
entscheidende Kriterium, ob jemand zu Hause oder in einer Einrichtung gepflegt wird; der finanzielle Aufwand für diese und
jene Form der Pflege konnte bislang beim Bezug von Geldleistungen um mehr als 100 Prozent differieren (Lisac 2008).
15
Bonus für
aktivierende Pflege
Sachleistung oder
Pflegegeld?
Österreich:
Illegale schlieûen
Versorgungslücke
Deutschland:
»One Stop Shop«
lichten Dschungel
Heim- oder Hauspflege ist aber nicht die einzige mögliche
Unterscheidung; auch die Schwere der Beeinträchtigung kann
über Sachleistung oder feste Zahlung von Pflegegeld entscheiden. Für nur leicht Pflegebedürftige bietet sich ± unabhängig von
der Form der Unterbringung ± das persönliche Budget an, weil
es den Betroffenen eigene Entscheidungsmöglichkeiten lässt und
ihnen auûerdem erlaubt, den Profis als Kunden, also in Augenhöhe gegenüberzutreten. Schwerstpflegebedürftigen dagegen
kommt ± ebenfalls unabhängig vom Wohnort ± die Sachleistung
entgegen, denn sie entlastet von eigenem Aufwand und erschwert
Manipulationen aus dem Umfeld. Hier geht der weltweite Trend
zu mehr Wahlmöglichkeiten.
Dass die deutsche Formel für die Zuerkennung von Pflegegeld für die Versorgung zu Hause und in Einrichtungen noch
einiges an Sprengstoff birgt, zeigt die Debatte in Österreich (siehe
den Bericht aus Österreich, S. 21). Hier ist der Satz für Pflegegeld
in der höchsten Stufe ähnlich dem deutschen, und genau wie in
Deutschland liegt er um die Hälfte unter dem, was für 24-Stunden-Pflege in einem Heim aufgewendet wird. Anders als in
Deutschland lassen sich hier nicht zwei Drittel (Gleckman 2007:
3), sondern 80 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause versorgen
(nach Informationen des Österreichischen Gesundheits- und
Krankenpflegeverbands, November 2005). Oft werden die Pflegebedürftigen unentgeltlich von Familienangehörigen betreut, oft
aber auch durch illegal beschäftigte Pflegekräfte aus den östlichen
Nachbarstaaten.
Alle Länder schlieûlich stehen vor dem Problem, geeignete
Standards für die Qualität der Langzeitpflege zu definieren. Besonders drängend stellt die Frage sich in Deutschland, wo die an
sich erfreuliche Vielfalt der Pflegedienste zu einem kontraproduktiven Wildwuchs ausgewuchert ist. Gerade alten Menschen
fällt es schwer, sich auf dem unübersichtlichen Markt zurechtzufinden. Krassen Fällen wie dem, dass in einem einzigen Wohnheim fünf verschiedene Pflegedienste mit fünf verschiedenen
¾rzten tätig sind, soll künftig mit der Einrichtung eines lokalen
Pflegestützpunktes begegnet werden, der nach dem Vorbild eines
Bürgeramts oder des »One Stop Shop« (wie bei der Anmeldung
eines Gewerbes) die Bedürfnisse nachfragender Pflegebedürftiger und das lokale Angebot miteinander koordiniert.
16
Wie Versuche scheitern können, den Staat als Nachfrager zum
Richter über die Qualität von Pflegeeinrichtungen zu machen,
illustriert das israelische Beispiel (siehe den Bericht aus Israel,
S. 29). Der Versuch, Pflegetage auszuschreiben und auf diesem
Wege Mindeststandards vorzugeben, scheiterte am Boykott der
privaten Betreiber. Wer dabei wie die israelische Regierung mit
dem Kopf durch die Wand will, läuft offenbar leicht Gefahr, vor
allem den Betroffenen zu schaden.
Als ein mögliches Qualitätsmerkmal in der Versorgung Pflegebedürftiger wird immer mehr die Aktivierung erkannt. In Japan
haben Expertengruppen Strategien für die Weiterentwicklung der
Altenpflege erarbeitet und dabei unter anderem Inaktivität als
wesentlichen Risikofaktor für Behinderung und Pflegebedürftigkeit ausgemacht. Körperliches Training, Ernährungsberatung und
Gruppenaktivitäten werden in den Leistungskatalog der Pflegeversicherung aufgenommen (siehe den Bericht aus Japan, S. 25).
Einen ähnlichen Kurs verfolgt auch der israelische Krankenversicherer Maccabi, der in einem ambitionierten Pilotprogramm
nicht nur ¾rzte zum speziellen gesundheitlichen Bedarf älterer
Menschen schult, sondern auch die körperliche und geistige Fitness fördern will (siehe Gesundheitspolitik in Industrieländern 7/8,
S. 152).
Literatur und Links
Costa-Font, Joan, und Anna García-Gonzµlez. »Long-term
Care Reform in Spain«. Eurohealth. (13) 1 2007. 20±22.
G+G Netzwerk News. »Slowenien: Pflegerisiko besser absichern.« Gesundheit und Gesellschaft. (10) 11 2007. 8.
Gleckman, Howard. »Financing long-term care: lessons
from abroad«. Center for Retirement Research at Boston College. 7/8, Juni 2007. 3±10.
Kane, Robert L., und Rosalie A. Kane. »What Older People
Want From Long-term Care, And How They Can Get
It«. Health Affairs (20) 6 2001. 114±127.
Larizgoitia, Itziar. »Approaches to evaluating LTC systems«.
World Health Organization Collection on Long-Term
Care. Key Policy Issues in Long-Term Care. 2003. 227±245.
17
Auch körperlich
und geistig
fit halten
Lisac, Melanie. »Reform of the long-term care system«.
Health Policy Monitor. Januar 2008. www.hpm.org/sur
vey/de/b10/2.
OECD »Ensuring quality long-term care for older people«.
OECD Policy Brief. März 2005.
Sorenson, Corinna et al. »Quality measurement and assurance of long-term care for older people ± case studies
on the United States and the UK«. Euro Observer (9) 2
2007. 1±5.
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Rentner oder
aktive Generation
als Finanziers
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Frankreich:
Altenpflege als »fünfte Säule« der Sozialversicherung
Staatspräsident Nicolas Sarkozy will für die Langzeitpflege gebrechlicher alter Menschen eine neue Säule der Sozialversicherung
schaffen. Gestritten wird über die Organisation und über die Finanzierung. Höhere Sozialabgaben für Rentner würden 750 Millionen Euro bringen, eine Erhöhung bei den Berufstätigen aber
1,5 Milliarden.
Zurzeit umfasst die französische Sozialversicherung vier Säulen: eine Krankenversicherung gegen das finanzielle Risiko bei
Krankheit und Schwangerschaft, eine Unfallversicherung für
Arbeitsinvalidität und Berufskrankheiten, eine Familienversicherung für Elternschaft und eine Rentenversicherung für Alter und
Witwenschaft.
Im Grundsatz stehen für die künftige »fünfte Säule« zwei
Finanzierungsquellen zur Auswahl. Die Rentner, die zurzeit mit
6,6 Prozent ihres Einkommens zur Finanzierung der Sozialversicherung beitragen, können stärker zur Mitfinanzierung herangezogen werden und wie die Berufstätigen künftig 7,5 Prozent
18
zahlen. Die zweite mögliche Quelle wäre die Ausweitung der Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Sozialabgaben, die die
aktive Generation zu leisten hat: Neben Lohn und Gehalt könnten auch andere Einkommensquellen herangezogen werden.
Darüber hinaus will die Regierung die Selbstbehalte für Menschen, die in Alters- und Pflegeheimen untergebracht werden,
senken. Sie liegen im Landesdurchschnitt bei monatlich 1.500 Euro
und in der le de France sogar bei durchschnittlich 2.500 Euro.
Angedacht ist, dass das Risiko der hohen Zuzahlungen von einer
neuen Zusatzversicherung abgedeckt werden soll. Es ist allerdings
fraglich, ob das Modell den gegenwärtigen Finanzierungsproblemen auf kürzere und mittlere Sicht abhelfen kann. Menschen
über 70 werden von Versicherungen ungern aufgenommen, und
Jüngere zeigen ihrerseits wenig Neigung, sich für den verdrängten Fall der Gebrechlichkeit im Alter freiwillig zu versichern.
Hintergrund der Reformbemühungen ist die Erwartung, dass
der Bevölkerungsanteil gebrechlicher alter Menschen bis 2040
um jährlich ein Prozent ansteigen wird. Schuld sind vor allem
neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson
sowie der Verlust an körperlicher Autonomie. Zwei Berichte von
2005 kommen, was den Anstieg solcher Ursachen von Pflegebedürftigkeit im Alter betrifft, zu alarmierenden Schlussfolgerungen. Schon jetzt werden für das Problem 0,94 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufgewendet. Mit Steigerungsraten von jährlich
drei bis vier Prozent dürfte der Anteil am Sozialprodukt im Jahre
2025 schon 1,5 Prozent betragen.
Ein aufsehenerregender Bericht der bekannten Rechnungsprüferin HØl›ne Gisserot von 2007 kommt zu dem Schluss, dass
in den nächsten 20 Jahren jährlich Mehrausgaben von 250 bis
430 Millionen Euro für die Langzeitpflege aufgewendet werden
müssen. Der Anteil, den die Krankenversicherung zu tragen hat,
ist dabei noch nicht eingerechnet. Wollte man die erforderlichen
Beträge alle über die Sozialabgaben aufbringen, so müsste der
Beitragssatz pro Jahr um 0,5 bis 0,9 Prozentpunkte steigen.
Auf der Leistungsseite werden die notwendigen Schlussfolgerungen aus der Entwicklung bereits gezogen. Ein »Solidaritätsplan hohes Alter« (Plan SolidaritØ Grand €ge) soll bis 2012 für
mehr Heimpflegebetten, mehr ambulante Pflege und in den Krankenhäusern für bessere Kapazitäten bei der Behandlung neurode19
Jedes Jahr
ein Prozent mehr
Gebrechliche
»Solidaritätsplan
Alter« soll Pflegesystem aufrüsten
»Nationaler
Solidaritätstag«
Die lokale Ebene
ist skeptisch
generativer Erkrankungen sorgen. Mit einem »plan cerveau«
(»Gehirnplan«) wird auch die Forschung zu diesen Erkrankungen
gefördert. Schlieûlich sollen jährlich 40.000 Menschen für die
Altenpflege geworben und ausgebildet werden.
Gegenwärtig wird Langzeitpflege aus drei Quellen finanziert:
aus dem landesweiten Autonomiefonds, aus den entsprechenden
Budgets der 100 DØpartements und von den Betroffenen und
ihren Angehörigen selbst.
Der »Nationale Solidaritätsfonds für Autonomie« (CNSA),
erst 2004 gegründet (siehe Debrand 2005), bekommt seine Mittel
zum einen von der Krankenversicherung, zum anderen von den
Erlösen des nationalen Solidaritätstages, eines unbezahlten
Arbeitstages, den alle Arbeitnehmer zu leisten haben. Der Erlös
aus dem Solidaritätstag liegt zurzeit bei etwa zwei Milliarden
Euro. Der Anteil aus der Krankenversicherung wird jährlich neu
festgesetzt.
Zwischen den ± überwiegend links regierten ± DØpartements
und der bürgerlichen Regierung findet zudem ein Verteilungskampf statt: Während die Aufwendungen der lokalen Verwaltungseinheiten zwischen 2002 und 2006 um 129 Prozent stiegen,
sank der Aufwand der Zentralregierung im gleichen Zeitraum
von 43 auf 33 Prozent. Inzwischen geben die DØpartements mehr
als 15 Prozent ihres Budgets für die Altenpflege aus.
Auf der Ebene der DØpartements herrscht überhaupt Skepsis
gegenüber der Idee einer »fünften Säule«, wie Präsident Sarkozy
sie plant. Würde die Altenpflege ein Teil der Sozialversicherung,
unterläge sie wie die schon bestehenden vier Säulen einer paritätischen Selbstverwaltung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern.
Die DØpartements verlören damit das Verfügungsrecht über ihre
Aufwendungen. Erwartet wird deshalb eine Kompromisslösung.
Literatur und Links
Chevreul, Karine. »Financing long-term care: a new insurance scheme?«. Health Policy Monitor. Oktober 2007.
www.hpm.org/survey/fr/a10/1.
20
Debrand, Thierry, und Zeynep Or. »Solidarity fund for financing dependency«. Health Policy Monitor. Oktober
2005. www.hpm.org/survey/fr/a6/5.
Minist›re du travail, des relations sociales et de la solidaritØ. »Le plan solidaritØ grand âge«. Juni 2006. www.travailsolidarite.gouv.fr/IMG/pdf/dossier_de_presse.pdf.
Rapport au prØsident de la rØpublique suivi des rØsponses
des administrations et des organismes intØressØs. »Les
personnes agØes dØpendantes«. Cours des comptes. November 2005. www.ccomptes.fr/CC/documents/RPT/Rapport.
pdf.
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Österreich: Turbulente Debatte um 24-Stunden-Pflege
Wer sie braucht, soll in Österreich künftig einfacher und auf legalem Weg häusliche Pflege rund um die Uhr bekommen können.
Das ist das Ziel eines Gesetzes, das im Juli 2007 nach turbulenter
Debatte verabschiedet wurde. Pflegebedürftige sollen selbst Verträge mit Pflegekräften schlieûen. Deren Arbeitszeiten werden
ausgeweitet und der Staat hilft mit spürbaren Subventionen.
Der Löwenanteil in der häuslichen Pflege, etwa 80 Prozent,
wird in Österreich von Familienangehörigen übernommen, was
durch den Gesetzgeber aktiv unterstützt wird. So können sich
pflegende Angehörige von unheilbar kranken Familienmitgliedern oder schwer erkrankten Kindern seit 2002 von ihrer Arbeit
ganz oder teilweise unbezahlt freistellen lassen. Arbeitsplatz,
Kranken- und Rentenversicherungsschutz bleiben während einer
Pflegetätigkeit von bis zu maximal sechs Monaten erhalten (siehe
Gesundheitspolitik in Industrieländern 2, S. 44). Doch Angehörige
sind mit der Rund-um-die-Uhr-Betreuung oft überfordert; legale
21
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
20.000 Haushalte
beschäftigen
illegal Pflegerinnen
aus dem Osten
Legalisierung soll
24-Stunden-Pflege
weiterhin sichern
Familiäre Pflege
erhält ökonomischen Wert
Pflegedienste sind für viele unerschwinglich. In den letzten Jahren hat sich die 24-Stunden-Pflege mit illegal in Österreich tätigen Ausländerinnen daher zu einem lukrativen Markt entwickelt.
In Anspruch genommen wird diese Art der Pflege nach unterschiedlichen Schätzungen von bis zu 20.000 Menschen. Die Pflegekräfte, meist aus den an Österreich grenzenden neuen EU-Mitgliedstaaten, haben meistens keine Arbeitserlaubnis und zahlen
auch keine Sozialleistungen. Über ihre Ausbildung ist in der
Regel nichts bekannt.
Das neue Gesetz, nach heftigen Auseinadersetzungen im Sommer 2007 verabschiedet, soll nun mit ¾nderungen im Arbeits-,
Sozialversicherungs- und Berufsrecht legale 24-Stunden-Pflege
möglich machen.
Gedacht ist die neue Regelung für Menschen in den Pflegestufen drei bis sieben, für Demenzkranke auch in den niedrigeren Stufen. Die Pflegebedürftigen oder ihre Angehörigen treten
als Auftraggeber für einen Pflegedienst oder direkt als Arbeitgeber für eine selbstständige Pflegekraft auf. Zum Leistungsumfang zählen Pflege und Hilfe im Haushalt, nicht aber medizinische Leistungen. Die Arbeitsverträge sehen nach dem neuen
Gesetz bis zu 64 Wochenstunden vor, sie enden mit dem Tod des
Pflegebedürftigen. Bis zum Sommer 2008 sollen alle Pflegenden
einen Kursus in Haushaltshilfe absolviert haben.
Damit ermöglicht das neue »Hausbetreuungsgesetz« direkte
Arbeitsverträge zwischen Pflegebedürftigen und Pflegekräften.
Die Arbeitszeitregelungen für die formal selbstständigen Pflegerinnen sind weitaus liberaler als die Regeln für abhängig Beschäftigte.
Der familiären Pflege, die zumeist Ehefrauen und Töchter erbringen, wird damit ein ökonomischer Wert zuerkannt.
Wird die 24-Stunden-Pflege von osteuropäischen Pflegerinnen erbracht, wird ihr Wert jedoch oft niedrig angesetzt: Für
einen Arbeitstag im Haushalt, bestehend aus zehn Stunden Arbeitszeit, weiteren elf Stunden ständiger Arbeitsbereitschaft und
nur drei Stunden garantierter Ruhezeit bekommen die meistens
slowakischen oder rumänischen Pflegerinnen nach Aussagen
von Vermittlungsagenturen und Hilfsorganisationen zwischen
35 und 50 Euro (Mappes-Niediek 2008).
Pflegebedürftige ab Pflegestufe drei erhalten finanzielle Unterstützung durch das Sozialministerium: Anspruch auf eine Sub22
vention zwischen 250 und 800 Euro soll bekommen, wer nicht
mehr als 2.500 Euro im Monat zur Verfügung hat und über weniger als 7.000 Euro an Ersparnissen verfügt. Beschäftigt ein Haushalt, wie es die Regel ist, eine »selbstständige« Pflegerin, sind
250 Euro das Maximum. Eine Dynamisierung ist nicht vorgesehen. Das 1993 eingeführte staatliche Pflegegeld ist bisher nur
einmal, im Jahre 2005, erhöht worden. Österreich wendet jährlich 1,9 Milliarden Euro für Pflege auf, etwa 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.Würden Marktpreise gezahlt, läge der Anteil
etwa bei drei Prozent, wie es etwa in Dänemark oder Schweden
tatsächlich der Fall ist.
Dem neuen Gesetz, das noch immer umstritten ist, ging eine
heftige öffentliche Debatte voraus. Die Situation in der Familienpflege mit ihren vielen illegal beschäftigten Pflegerinnen geriet
mit einem Schlag an die Öffentlichkeit. Der konservative Wirtschaftsminister nutzte den öffentlichen Druck, um sich für eine
weitgehende Legalisierung der illegalen Pflegetätigkeit einzusetzen. Der sozialdemokratische Sozialminister bemühte sich dagegen, die übliche Praxis in der häuslichen Pflege mit den sozialund arbeitsmarktpolitischen Ansprüchen der Gewerkschaften zu
versöhnen.
Der gefundene Kompromiss stellt keine Seite wirklich zufrieden. Familien werden für häusliche Pflege nach wie vor zuschieûen müssen, weil die Summe aus Subvention und eigenem Einkommen der Pflegebedürftigen meistens unter dem erforderlichen Betrag bleiben dürfte. Die Gewerkschaften fürchten eine
Aufweichung von erreichten Beschäftigungsstandards und ihrer
Abwehrpolitik gegen Arbeitskräfte aus den neuen EU-Ländern.
Arbeitsrechtler weisen darauf hin, dass billige Sonderregelungen
für Slowakinnen und Rumäninnen bei deren gleichzeitiger Fernhaltung vom freien Arbeitsmarkt eine Ausländerdiskriminierung
darstellen und damit EU-widrig sind (Mappes-Niediek 2008).
Die ersten Erfahrungen mit dem neuen Gesetz waren entsprechend enttäuschend: In einem guten halben Jahr haben nur
etwa 1.300 Pflegerinnen einen Gewerbeschein beantragt. Der
Grund für die schwache Resonanz wird in der Vermögensgrenze
von 7.000 Euro gesehen, die die allermeisten Pflegebedürftigen
überschreiten dürften ± eine Erhöhung wurde Anfang 2008 bereits diskutiert. Gegen die illegale Beschäftigung gab es vorerst
23
Zuschlag zum
Pflegegeld
Streit zwischen
Sozialdemokraten
und Konservativen
Kompromiss lässt
Fragen offen
Legalisierung
verläuft zunächst
schleppend
keine Sanktionen. Unklar ist, ob die öffentliche Meinung solche
Sanktionen in der Zukunft möglich machen wird.
Literatur und Links
Hofmarcher, Maria M. »Making 24h care at home more
accessible«. Health Policy Monitor. Oktober 2007. www.
hpm.org/survey/at/a10/1.
Arbeitskreis »Zukunft denken«. Pflege und Altenbetreuung.
Abschlussbericht des Arbeitskreises. Oktober 2006.
Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen
und Konsumentenschutz (Hrsg.). Ausbau der Dienste und
Einrichtungen für pflegebedürftige Menschen. Wien 2004.
Hausbetreuungsgesetz. HBeG 2007. Nr. 78 der Beilagen zu
den Stenographischen Protokollen des Nationalrats der
XXIII. Sitzungsperiode. www.parlinkom.gv.at/pls/portal/
docs/page/PG/DE/XXIII/I/I_00078/fname_076411.pdf.
Hofmarcher, Maria M. »Austria's new Home Care Law:
An assessment in the context of long-term care policy«.
OECD working paper (noch nicht erschienen).
Mappes-Niediek, Norbert. »20-Stunden-Tag für 25 Euro«.
Berliner Zeitung. 5. Februar 2008.
OECD. »Long-term care of older people«. OECD Policy Brief.
März 2005.
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Japan: Pflegestützpunkte als Pflichtleistung
Mit einer Reihe von Maûnahmen hat Japans Regierung die Pflege
von gebrechlichen älteren Menschen verbessert: Die Zuwendungen für Hauskrankenpflege wurden erhöht, der Zugang erleichtert und neu geschaffene Zentren für umfassende Versorgung
sollen verschiedene Dienstleistungen zusammenführen. Mehr
Rehabilitation soll es Gefährdeten erleichtern, ihre körperlichen,
geistigen und gesellschaftlichen Funktionen länger zu erhalten.
Wer in Japan einen Anspruch auf Pflegeleistungen geltend
machen will, stellt einen Antrag bei der Kommune. Diese beauftragt den Hausarzt mit einem Gutachten und schickt einen Care
Manager zum Antragsteller, der eine Einschätzung im Wohnumfeld vornimmt. Das Ergebnis ist die Zuteilung in eine von
drei Hauptgruppen, die bis zur Reform wie folgt aussahen:
± Wer als »gefährdet« eingestuft war, erhielt öffentliche Unterstützung durch die Kommune, etwa Essen auf Rädern, jedoch
keine Pflegeleistungen.
± In den Unterstützungsstufen eins bis drei wurde ein Pflegevermeidungsplan aufgestellt mit Maûnahmen wie Muskeltraining oder Ernährungsunterweisung
± Die Pflegestufen eins bis vier erhielten je nach Bedarf Pflegeleistungen, wobei zwischen häuslichen und stationären Leistungen gewählt werden konnte.
Prinzipiell wurde dieses Stufensystem beibehalten. Doch die Ausgaben in der Pflegeversicherung sind in Japan in den letzten Jahren immens gestiegen, weil deutlich mehr Menschen als erwartet
in Unterstützungs- und Pflegestufen eingeordnet wurden. 2005
wurde das System daher reformiert.
Konzipiert wurden die Maûnahmen in den Jahren 2003 bis
2005, als die Regierung unter Ministerpräsident Junichiro Koizumi mit Gesundheitsreformen das Haushaltsdefizit abbauen
25
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Das bisherige
System: drei
Leistungsstufen
Das neue System
fördert Aktivierung
im Alter
Pflegebedürftige
werden
»heruntergestuft«
Pflegestützpunkte
auf Japanisch
wollte. Auch der Rahmen für Gesundheitsausgaben änderte sich:
Mit der Politik der Dezentralisierung bekamen die Kommunen
eine stärkere Steuerhoheit; gleichzeitig wurden durch Zusammenlegung gröûere kommunale Einheiten geschaffen. Inzwischen haben sich die verschiedenen Reformen zu einer Strategie
verdichtet, mit der Menschen ein längeres Leben in Gesundheit
ermöglicht werden soll.
Angeregt wurde die Reform von zwei Gutachten ± einem auf
der makroökonomischen und einem auf der konkreten Ebene
der Gesundheitsförderung.
Forscher hatten im Auftrag des Ministeriums für Gesundheit,
Arbeit und Soziales dargelegt, dass aktive Alte ihre körperlichen
und geistigen Funktionen länger erhalten als inaktive, und Inaktivität sogar als wesentlichen Risikofaktor für Behinderung und
Pflegebedürftigkeit ausgemacht. Dies betraf vor allem Menschen,
die in einer der niedrigeren der vier Pflegestufen eingeordnet
wurden, prinzipiell aber noch zu körperlicher Aktivität fähig waren. Für sie waren nur noch die jeweils notwendige Pflege, aber
keine Aktivierungsmaûnahmen mehr vorgesehen ± ihre körperlichen Fähigkeiten nahmen also häufig schnell ab. Die Experten
empfahlen daher, einen Teil der Pflegebedürftigen auf die jeweils
niedrigere Stufe »herunterzustufen«. So wurden beispielsweise
21,4 Prozent der Menschen aus der ersten Pflegestufe in die
höchste Unterstützungsstufe »verschoben« ± was bei den Betroffenen zunächst einmal zu Protest führte.
Gleichzeitig wurden bei den »Gefährdeten« und in den Unterstützungsstufen die Maûnahmen ausgebaut. »Gefährdete« erhalten in Zukunft Unterstützung durch ein »Community Support
Program« der Kommunen. Diese bieten Angebote für ein aktives
Alter an, organisieren Möglichkeiten für körperliches Training
und fördern unterstützende Netzwerke im Wohnumfeld. Zudem
sollen die Gemeinden die »Gefährdeten« regelmäûig auf erste
Anzeichen von Gebrechlichkeit untersuchen, um bei Bedarf frühzeitig für eine Einstufung in die nächsthöhere Kategorie zu sorgen. Neue Koordinationszentren, die die Kommunen für je 6.000
Senioren einrichten, sollen die Leistungen verschiedener Träger
aufeinander abstimmen. Haushaltshilfen für »Gefährdete« werden nicht mehr stundenweise, sondern monatlich abgerechnet,
damit sie flexibler in Anspruch genommen werden können.
26
Für beide Gruppen soll eine neue Vergütungsstruktur den Leistungsanbietern Anreize für eine bessere Versorgung liefern. Körperliches Training, Verbesserung der Ernährung, Mundhygiene und
Gruppenaktivitäten werden in Zukunft zusätzlich vergütet. Anbieter
erhalten zudem eine leistungsbezogene Bezahlung: Wenn ein Unterstützungsbedürftiger aufgrund der Bemühungen in eine niedrigere Stufe eingeordnet werden kann, erhalten sie einen Bonus.
Die neue Strategie wurde in Japan zunächst breit diskutiert.
Die Positionen differierten zwischen begeisterter Zustimmung
und strikter Ablehnung (siehe Abbildung 3).
Abbildung 3: Positionen zur japanischen Pflegereform
Positionen
sehr unterstützend
1
2
kein
Einfluss
4
3
sehr großer
Einfluss
5
6
stark dagegen
1 Gesundheitsministerium, Regierungspartei
4 Sozialarbeiter, Medien
2 betroffene Leistungserbringer
5 Politische Opposition
3 Reha-Experten
6 Verband der Pflegekräfte
Quelle: Matsuda 2007.
27
»Pay for
Performance«
für bessere
Gesundheit
Reformpläne
zunächst
umstritten
Die intensive Debatte mündete in eine Entschlieûung im Oberhaus des japanischen Parlaments, die etliche Korrekturen der ursprünglichen Regierungspläne vorsah. So mahnten die Abgeordneten die Regierung, in jedem Falle dafür Sorge zu tragen, dass
niemand das Recht auf bisher empfangene Leistungen verlöre.
Das Finanzierungssystem solle flexibler gestaltet werden. Die Bedürfnisse der Betroffenen sollten genauer erhoben werden. Die
Unterschiede in den regionalen Beitragssätzen sollen stärker eingeebnet werden. Schlieûlich sollten Zahnärzte einbezogen und
die neu eingeführten Leistungen mit Aktionen zur Gesundheitsförderung verbunden werden. Im Juni 2005 wurde das veränderte
Gesetz in der oben beschriebenen Form schlieûlich verabschiedet, im April 2006 trat es in Kraft.
Literatur und Links
Matsuda, Ryozo. »Improving functions of the frail elderly«.
Health Policy Monitor. Oktober 2007. www.hpm.org/sur
vey/jp/a10/1.
Committee for Long-Term Care Insurance, Social Security
Council. Review of the Long-Term Care Insurance and Its
Future Directions. 2004.
Ministry of Health, Labour and Welfare. Papers to the National Conference for Heads of Long-Term Care Insurance
and Health and Welfare for the Aged Section. 2007.
Rehabilitation for the Aged Research Group. Future direction
of rehabilitation services for the aged. 2004.
Research Group on Long-Term Care for the Aged. LongTerm Care for the Aged in 2015. 2003.
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Israel: Pflegeleistungen werden ausgeschrieben
Israels Regierung will beim Einkauf von Pflegeleistungen künftig
mit Ausschreibungen vorgehen. Ein entsprechendes Pilotprojekt
entwickelte sich aber zu einer Kraftprobe zwischen der Regierung auf der einen und den Betreibern von Pflegeheimen auf der
anderen Seite.
Hintergrund des Projekts ist die Privatisierung von Leistungen, die seit über einem Jahrzehnt anhält. Bis vor wenigen Jahren
hat das israelische Gesundheitsministerium mehr als die Hälfte
der Akut-, Psychiatrie- und Pflegebetten selbst betrieben. Jetzt verlangt die veränderte Angebotsstruktur von der Regierung, sich
von der Rolle des Anbieters von Pflegeleistungen mehr und mehr
auf die der bloûen Planung und der Aufsicht zurückzuziehen.
Im Einzelnen will die Regierung mit der Einführung von Ausschreibungen,
± die Infrastruktur vereinheitlichen und die Qualifikation der
Pflegenden heben;
± einen gemeinsamen Standard für alle Einrichtungen festlegen;
± die tägliche Vergütung für stationäre Langzeitpflege reduzieren ± Einrichtungen mit höherem als dem definierten Standard einen Bonus zahlen;
± Bedingungen für staatliche Akkreditierung öffentlich machen
und so mehr Transparenz schaffen;
± Aufsicht und Kontrolle deutlich verstärken; und
± Einrichtungen, die die Mindeststandards nicht erfüllen, die
Akkreditierung verweigern.
Die Lizenzen für den Betrieb eines Pflegeheims vergibt in Israel
das Gesundheitsministerium. In seine Verantwortung fallen auch
die Aufsicht und der Einkauf von Pflegeleistungen von den Einrichtungen. Damit verfügt es über eine beherrschende Stellung
auf dem Markt: Für sieben von zehn Bewohnern von Pflegehei29
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Staat zieht sich aus
Heimpflege zurück
Das Ministerium
zahlt, die Betreiber
verdienen
Ausschreibung soll
Preiskonkurrenz
schaffen
Betreiber
boykottieren das
neue System
Gegen Qualitätsstandards und
mehr Transparenz
men deckt das Ministerium je nach der wirtschaftlichen Situation
der Pflegebedürftigen und der ihrer Kinder die Kosten ganz oder
teilweise ab.
Das soll sich nun ändern. Statt Pflegeplätze flächendeckend zu
finanzieren, will das Ministerium künftig von den Pflegedienstleistern Angebote einholen. Über die Vergabe sollen Qualitätsparameter und Preis entscheiden.
In einem Testlauf in einer mittelisraelischen Provinz im Jahr
2007 wurden mehr als 20 regionale Altenpflege-Einrichtungen eingeladen, sich an einer entsprechenden Ausschreibung zu beteiligen. Das Angebot sollte einen Tagessatz umfassen. Darüber hinaus
sollten die Bieter Aussagen über die Ausstattung ihrer Heime
treffen, ihren Personalschlüssel und das Ausbildungsniveau ihrer
Mitarbeiter angeben und damit belegen, dass sie den Regierungsstandards genügen.
Die etablierten Betreiber entschlossen sich, die Ausschreibung
zu boykottieren, da die Tagesraten, die ihnen über die Ausschreibungen angeboten wurden, niedriger lagen als die bisherige Vergütung. Nur vier Angebote gingen ein. Zwei davon kamen von
Betreibern, die nach ihren Leistungen in der Ernährung und in
der Pflege als schwach eingestuft werden müssen. Immerhin
boten die Bewerber aber so viele Betten an, wie ausgeschrieben
wurden, sodass das Pilotprojekt seinen Lauf nehmen konnte.
Trotzdem zieht der Boykott schwerwiegende Folgen nach
sich. Bei den etablierten Betreibern, die nicht am Pilotprojekt teilnehmen, nimmt die Zahl der Betten ab ± sinkende Einnahmen
könnten, so fürchten sie, zu sinkenden Standards führen. Die
teilnehmenden Heime klagen ebenfalls: Ihre Vergütung sei so gering, dass sie zu Kosteneinsparungen in allen Bereichen gezwungen seien, beispielsweise durch Personalabbau. Pflegebedürftige,
die auf staatliche Finanzhilfen angewiesen sind, haben weniger Wahlmöglichkeit: Sie müssen eines der vier teilnehmenden
Pflegeheime wählen, auch wenn diese als qualitativ schlechter
gelten als andere in der Region.
Der Streit hat eine lange Vorgeschichte. Vor allem beim Finanzministerium stehen die Betreiber von Pflegeheimen schon seit
geraumer Zeit im Verdacht, sich auf Staatskosten zu bereichern.
Die Betreiber dagegen behaupten, sie gäben mehr aus, als sie einnähmen. Jahrelange Versuche des Finanz- und des Gesundheits30
ministers, den Verband der Pflegeheimbetreiber zur Formulierung
von Qualitätsstandards, Vereinheitlichung in der Ausstattung, zu
mehr Transparenz und zur Senkung der Tagessätze zu bewegen,
sind gescheitert. Das einjährige Pilotprojekt war die Antwort.
Aber auch in den Ministerien werden unterschiedliche Meinungen laut. Dem Finanzminister, der das Projekt besonders
entschieden betreibt, wird die Sorge um die Qualität der Pflege
naturgemäû nicht recht abgenommen. Im Gesundheitsministerium steht die Kritik im Vordergrund: Die Finanzexperten wollen
ein stimmiges Einkaufssystem und halten nichts davon, Ausgabenstruktur und Qualitätsaspekte miteinander zu vermengen.
Die Experten der einschlägigen Fachabteilung fürchten, dass die
Häuser künftig weniger Mittel für Investitionen zur Verfügung
haben und deshalb den besser zahlenden Privatpatienten kein
attraktives Umfeld mehr anbieten könnten. So würden dann mit
der Zeit zwei Klassen von Pflegeheimen entstehen: schlichte, die
auf staatlich geförderte Klienten setzen, und gehobene für die
besser gestellte Klientel.
Als Resultat der Pilotphase wurden einige ¾nderungen am
Programm vorgenommen. Im Januar 2008 begann die Implementierung auf nationaler Ebene.
Literatur und Links
Bentur, Netta. »Purchase of Institutional Nursing Beds by
Tender«. Health Policy Monitor. September 2007. www.
hpm.org/survey/is/a10/2.
Bordet, D., und A. Weber. Government Pricing Center for
the Purchase of Geriatric Hospitalization Services. 2006.
Dekel, A. A Comparative Study on State Contractual Tenders
for the Purchase of Welfare Services. Commissioned by
the Ministry of Labor and Social Affairs. 2000.
Intrator, Orna, und Vincent Mor. »Effect of state Medicaid
reimbursement rates on hospitalizations from nursing
homes«. Journal of the American Geriatrics Society (52)
2004. 393±398.
31
Zwei Klassen in
der Pflege?
Myers-JDC-Brookdale Institute. Proposal for the Follow-up
and Monitoring of the Implementation of a Tender Program
for Nursing Codes. 2007.
State of Israel. Ministry of Finance and Ministry of Health.
Public Tender for the Purchase of Geriatric Hospitalization
Services. 2006.
32
Neue Versorgungsformen:
Der Vormarsch geht weiter
Zu den unerwünschten Nebenwirkungen, die mit zunehmender
Marktorientierung und professioneller Ausdifferenzierung ins
Gesundheitswesen eingezogen sind, gehören oftmals Unübersichtlichkeit und zunehmende Fragmentierung. Mehr Anbieter,
mehr Angebote, mehr Wahlleistungen etc. ± selbst einem bewussten, gebildeten und interessierten Verbraucher fällt es schwer,
sich auf dem Markt mit seinen stets hoch erklärungsbedürftigen
Produkten zurechtzufinden. Noch viel mehr gilt das aber für die
Hauptkunden des Gesundheitswesens: Menschen, meistens in
der zweiten Lebenshälfte, denen es aus verschiedenen Gründen
oft schwererfällt als anderen, Informationen zu sammeln, aufzunehmen und zu verarbeiten. Trotzdem wird im Gesundheitssystem regelmäûig mit der Fiktion argumentiert, ein rundum informierter Patient wähle aus eigenem Entschluss zwischen den
vielen Angeboten aus und steuere seine Versorgung in letzter
Instanz selbst.
Fällt der Patient in seiner Steuerungsfunktion aber aus ± zum
Beispiel aus denselben gesundheitlichen Gründen, die ihn erst ins
System geführt haben ±, kann er die Vielfalt der Angebote nicht
unbedingt nutzen.
Reibungsverluste zwischen Anbietern, Orientierungslosigkeit,
Schüchternheit oder einfach Vergesslichkeit der Patienten führen
zu Doppelverschreibungen und Dreifachuntersuchungen, zum
Facharzt-Hopping, zu verpassten Nach- und Vorsorgeterminen,
zur Abgabe von Medikamenten, die dann gar nicht oder zugleich
mit anderen, inkompatiblen eingenommen werden, und schlieûlich zu ambulanten Diensten, die einander die Klinke in die Hand
geben und jeweils verschiedene Ratschläge auf Lager haben.
Alles das verursacht Kosten in Milliardenhöhe, ohne zur Gesund33
Angebotsvielfalt
nur bedingt
segensreich
Deutschland:
Fragmentierung
mindert Qualität
Integrierte
Versorgungsformen
haben Konjunktur
Je fragmentierter
das System, desto
wichtiger die
Integration
»One Stop Shop«
für chronisch
Kranke
heit oder zum Wohlbefinden der Konsumenten nur das Geringste
beizutragen.
Auch in Deutschland beeinträchtigt die starke Fragmentierung
des Gesundheitswesens die Qualität und die Kosteneffizienz. Der
Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hat 2005 fehlende Koordination als Hauptgrund
für die Qualitätsmängel in der deutschen Gesundheitsversorgung
ausgemacht.
Wie dringend das Problem ist, hängt nicht allein vom Entwicklungsstand des Gesundheitswesens ab, sondern auch von
seiner Organisation: Ein Markt tendiert, anders als etwa ein hierarchisch aufgebautes staatliches Gesundheitssystem, von seiner
Natur aus ± zumindest initial ± zur Unübersichtlichkeit. Jedes
Marktsubjekt sucht sich eigene Kriterien, nach denen es anderen
überlegen ist. Zwischen den Kriterien zu gewichten ist dann
Sache des Verbrauchers.
Um Fragmentierung und Unübersichtlichkeit zu begegnen,
haben weltweit neue, integrierte Versorgungsformen Konjunktur
(siehe Gesundheitspolitik in Industrieländern 6, S. 39). Die Grundidee ist, dass jedes noch so unübersichtliche System durch eine
klare, logische und damit leicht fassliche Navigation handhabbar
gemacht werden kann. Der Patient muss sich dann nicht mehr
selbst in die Tiefen des Systems begeben, sondern bekommt seinen Manager, der als Schnittstelle zwischen ihm und dem vielfältigen Angebot fungiert.
Die meisten Integrationsmodelle gibt es dort, wo die Fragmentierung des Gesundheitswesen am gröûten ist: in den USA. Wo
jeder Versuch, das System von oben nach unten vernünftig durchzustrukturieren wenig aussichtsreich, da praktisch nicht verkäuflich erscheint, verspricht kreatives Networking in überschaubaren Einheiten folglich den gröûten Erfolg.
Ihren Ausgang genommen haben die neuen Versorgungsformen bei den sogenannten »Disease Management«-Programmen
für chronisch Kranke, wie sie seit 2002 auch in Deutschland gesetzlich verankert sind (siehe Gesundheitspolitik in Industrieländern 6, S. 43). Ohne solche Programme standen Chroniker vor
einem labyrinthischen System, in dem sie sich nur nach einer
langen Patientenkarriere überhaupt zurechtfinden konnten. Da
sorgten die »Disease Management«-Programme für Abhilfe: Ein
34
Diabetiker etwa sollte nicht mehr selbst die vielen Wege zum
Zuckertest, zum Angiologen, zum Augenarzt, zur Ernährungsberaterin koordinieren und aus den vielfältigen Untersuchungsergebnissen seine eigenen Schlüsse ziehen müssen. Er sollte vielmehr, ähnlich wie der Bürger bei einer modernen staatlichen
Behörde, einen »One Stop Shop« vorfinden, in dem er erfährt,
was er alles braucht, und wo er alles das auch gleich bekommt.
Für die Aufnahme in ein »Disease Management«-Programm
ist allerdings eine einschlägige Diagnose Voraussetzung. Darin
liegt auch die Schwäche der Programme: Im »One Stop Shop«
für Zuckerkranke mag man zwar alles bekommen, was entfernt
mit dem Diabetes zu tun hat. Doch neuere epidemiologische Erkenntnisse zeigen, dass das Zusammentreffen mehrerer chronischer Erkrankungen nicht die Ausnahme, sondern die Regel in
der Chronikerversorgung ist. Teils bedingen sich die Komorbiditäten gegenseitig, teils sind sie häufig miteinander assoziiert.
Hier stoûen indikationsbezogene Ansätze an ihre Grenzen
(Schlette et al. 2005: 12). Die Schlussfolgerung daraus war: Sinnvoller als um eine Diagnosegruppe lassen sich Management-Programme um Bevölkerungsgruppen herum zentrieren. Vor allem
ältere Menschen mit eventuell mehreren chronischen Erkrankungen brauchen oft ein umfassendes Management, das sich auf
Gesundheitsprobleme gleich welcher Art bezieht und auch soziale Folgen und Ursachen miteinbezieht. Eine zentrale Herausforderung bei der Verbesserung der medizinischen Versorgung
ist es daher, indikationsspezifische Konzepte zu systemischen und
bevölkerungsbezogenen Ansätzen weiterzuentwickeln (Schlette
et al. 2005: 12).
Der Patient im Mittelpunkt ± das ist der Grundgedanke des
sogenannten »Chronic Care«-Modells (siehe Abbildung 4), wie es
1996 von dem Versorgungsforscher Ed Wagner, Leiter des MacColl Institute for Healthcare Innovation in Seattle, entwickelt wurde
und von Kaiser Permanente, dem gröûten Anbieter integrierter
Gesundheitsversorgung in den USA, seit Jahren erfolgreich angewandt wird (siehe den Bericht aus den USA, S. 42). Das »Chronic
Care«-Modell betrachtet ¾rzte, Praxisteam und Patienten als Partner und umfasst die Unterstützung des Selbstmanagements. Es
optimiert die Organisation der medizinischen Versorgung und
bindet das gesamte System, Leistungserbringer, soziale Dienste
35
Von indikationszu populationsorientierten
Ansätzen
»Chronic Care«Modell: Patient
statt Diagnose
im Mittelpunkt
Abbildung 4: »Chronic Care«-Modell ± ein innovatives Konzept zur
umfassenden Versorgung für chronisch Erkrankte
Gesundheitssystem
Gemeinwesen
Organisationen in der Gesundheitsversorgung
Ressourcen,
Entscheidungs- klinische
Entscheidungs- Unterstützung Gestaltung
des Selbstder Leistungs- unterstützung
Informationsstrukturen
systeme
und -prozesse managements erbringung
informierter
aktivierter
Patient
produktive
Interaktionen
vorbereitetes
»pro-aktives«
Versorgungs-/
Praxisteam
verbesserte Ergebnisse
Übersetzung: Gensichen, Knieps, Schlette 2006.
Quelle: Wagner, MacColl Institute for Healthcare Innovation, 1996.
Erläuterungen
· Unterstützung des Selbstmanagements: Hilfen für regelmäûiges
Selbstbeobachten klinischer Ergebnisse und für sicheren Umgang mit ihren
Konsequenzen.
· Gestaltung der Leistungserbringung: Neukonzipierung der Versorgungsabläufe, effektive Aufgabenteilung innerhalb des Versorgungs-/Praxisteams
sowie z. B.
· Chroniker-Sprechstunde
· regelmäûiges, nachgehendes »follow-up« durch
»Case Management«
· »stepped care«: Ausrichtung der horizontalen wie vertikalen
Kooperation auf Versorgungsbedarf des Patienten.
· Entscheidungsunterstützung: z. B. evidenzbasierte Leitlinien für ¾rzte,
Entscheidungshilfen für Patienten, bessere Abstimmung mit Fachspezialisten.
· Klinische Informationssysteme: vom einfachen Patientenregister aller
Patienten mit chronischen Erkrankungen bis zu individuellen Patientenpässen,
Therapieplänen oder Reminder-Systemen.
· Vorbereitetes, »pro-aktives« Versorgungs-/Praxisteam: besonders
qualifiziert, mit Anforderungen der Behandlung chronischer Erkrankungen vertraut. Systematisches und regelmäûiges Erfassen der Behandlungsergebnisse,
vorausschauende Planung im Behandlungsalltag. Gilt für Praxen in der ambulanten Versorgung und für gesundheitliche Einrichtungen anderer Ebenen,
z. B. Rehabilitation.
36
sowie das Wohnumfeld des Patienten mit ein. Für ¾rzte stellt es
Entscheidungshilfen bereit und unterstützt die Praxisabläufe durch
klinische Informationssysteme (Schlette et al. 2005: 33 ff.).
Noch einen Schritt weiter geht die Idee des sogenannten »Advanced Medical Home«: Sie führt das ursprünglich für chronisch
Kranke entwickelte Modell in die Regelversorgung ein und strukturiert die Arbeitsweise der Praxen generell um. In dem Modell
steckt nach Ansicht von Experten ein riesiges Potenzial: Es wächst
mit der Zahl der alten Menschen ebenso wie mit den Möglichkeiten der Informationsverarbeitung (American Academy of Family
Physicians 2007).
Spätestens mit der Einführung des »Advanced Medical Home«
sind neue Versorgungsformen nicht mehr bloû eine brauchbare
Navigation, sondern dringen selbst tief ins System ein. Während
einfachere Modelle die verschiedenen Dienstleister im Gesundheitswesen nur besser koordinieren, verändern die neueren Modelle schon die Struktur des Versorgungssystems.
Ein einfaches Beispiel dafür ist die Entwicklung beim Krankenversicherer Maccabi in Israel, der die bisherigen Einzelpraxen
jetzt zu kleinen Gesundheitsstationen mit einer ärztlich-pflegerischen Doppelspitze ausbaut (siehe den Bericht aus Israel, S. 39).
In Deutschland steht einem Modell, wie es in Israel in nur drei
Jahren beinahe flächendeckend eingeführt wurde, unter anderem
eine rigide Standesgesetzgebung im Wege.
Neue Strukturen im Gesundheitswesen kommen auch den
¾rzten entgegen, deren Organisationen sich etwa in den USA
vehement für das »Advanced Medical Home« stark machen (siehe
den Bericht aus den USA, S. 42). Immer mehr ¾rzte sind mit
dem System der Einzelpraxis, das ihre Standesvertretungen über
lange Zeit verteidigt haben, unzufrieden. Sie suchen einerseits
für sich selbst mehr professionellen Austausch und eine bessere
Abstimmung mit Kollegen und Angehörigen anderer Gesundheitsberufe. Auf der anderen Seite erleben sie, wie ihre therapeutischen Bemühungen bei ihren Patienten ins Leere laufen und
von immer neuen, anderen Impulsen konterkariert werden. Entsprechend ziehen immer mehr ¾rzte die Arbeit in einem festen
Zusammenhang dem traditionellen Einzelkämpfertum vor.
Das Hauptproblem bei der Durchsetzung der neuen Versorgungsformen ist überall die Vergütung. Traditionell bezahlen die
37
Medical Home:
Integration wird
Regelversorgung
Israel:
Gesundheitsstationen mit
»Doppelspitze«
Vergütung muss
Koordination
belohnen
Kostenträger ± Krankenkassen, Privatleute oder der Staat ± ¾rzte
und andere Anbieter für definierte Einzelleistungen; für die dauerhafte und umfassende Betreuung angemeldeter Patienten durch
eine Gruppe oder eine Firma gibt es noch kein überzeugendes
Modell. In Katalonien experimentiert die Provinzregierung mit
einer pauschalen Vergütung für die Verantwortung, die eine Einrichtung für einen bestimmten Teil der Bevölkerung übernimmt
(siehe den Bericht aus Spanien, S. 46).
Literatur und Links
American Academy of Family Physicians, American Academy of Pediatrics, American College for Physicians,
American Osteopathic Association. Joint Principles of
the Patient-Centered Medical Home. Februar 2007.
www.pcpcc.net/node/14.
Mappes-Niediek, Norbert, und Kerstin Blum. »Von medizinischem Zuhause bis Rent-A-Doctor: neue Versorgungsformen weltweit«. Gesundheitsmonitor ± Newsletter der Bertelsmann Stiftung. Ausgabe 2/2007.
Mappes-Niediek, Norbert und Kerstin Blum. »Primärversorgung weltweit im Wandel.« Gesundheitsmonitor ±
Newsletter der Bertelsmann Stiftung. Ausgabe 1/2008.
Schlette, Sophia, Franz Knieps und Volker Amelung (Hg.).
Versorgungsmanagement für chronisch Kranke: Lösungsansätze aus den USA und aus Deutschland. Bonn 2005.
38
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Israel: Ein Duo ersetzt den allein praktizierenden Arzt
Maccabi, die zweitgröûte Krankenkasse Israels, revolutioniert ihr
System der Primärversorgung: An die Stelle der hergebrachten
Einzelpraxen soll ein Duo aus einem Arzt und einer Krankenpflegekraft treten. Die Zweiergruppen sollen nach dem Vorbild von
Einheiten für die Versorgung chronisch Kranker arbeiten und
auûer für die Primärversorgung auch für aktive Prävention,
Lebensstilberatung und dauerhafte Betreuung von Patienten zuständig sein. Ziel ist eine Steigerung der Versorgungsqualität und
eine stärkere Patientenorientierung der Versorgung. In 50 ambulanten Gesundheitsstationen ist das neue Modell bereits umgesetzt worden.
Bei der Krankenkasse Maccabi ± benannt nach Judas Makkabäus, einem jüdischen Freiheitskämpfer des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts ± sind 25 Prozent der israelischen Bevölkerung versichert. Die Versicherung ist, wie im israelischen System
üblich, zugleich ein groûer Anbieter von Gesundheitsleistungen
und unterhält eine reiche gemeindebasierte Infrastruktur aus Kliniken und Polikliniken.
Bisher organisierte Maccabi seine Primärversorgung wie in
Deutschland mit allein praktizierenden niedergelassenen ¾rzten,
zu denen man ging, wenn man sich krank fühlte. Prävention
und Gesundheitsförderung fanden nur sporadisch statt und wurden auch gar nicht immer als eigentliche Aufgabe einer Praxis
verstanden.
Das neue Modell beruht auf fünf Prinzipien:
± Träger der Versorgung ist ein multidisziplinäres Team mit
einem Arzt und einer Pflegekraft an der Spitze. Angeschlossen sind auch Angehörige anderer Gesundheitsberufe.
± Das Team übernimmt die Verantwortung für eine bestimmte
Anzahl von Versicherten. Sie laden ihre Klientel von sich aus
zu Maûnahmen der Gesundheitsförderung und Vorbeugung
39
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Primärversorgung
bisher in
Einzelpraxen
ein und betreuen chronisch Kranke dauerhaft. Dabei arbeiten
sie mit der Pflegekraft zusammen, der die Aufgabe zukommt,
die Versorgung zu koordinieren.
± Das dauerhaft etablierte Verhältnis von Arzt und Patient wird
für umfassendes Gesundheitsmanagement genutzt. Es schlieût
Lebensstilberatung ebenso ein wie periodische Tests für chronisch Kranke oder die Diagnose von emotionalem Stress. Zum
umfassenden Gesundheitsmanagement gehören auch vorbereitete, längere Konsultationen, die der Nachsorge und Gesundheitserhaltung dienen.
± Die Teams bieten eine einzige gemeinsame Adresse für alle
Routineuntersuchungen.
± Die Versorgung orientiert sich am Patienten und bezieht die
Werte und Wünsche des Patienten in die klinischen Entscheidungen mit ein. Ziel ist, den Patienten selbst Mittel an die
Hand zu geben, wie sie mit chronischen Krankheiten umgehen
und dauerhaft die Erhaltung ihrer Gesundheit organisieren.
¾rzte profitieren
von der Arbeit
im Team
Erfolg der neuen
Stationen wird am
Patienten getestet
Maccabi bietet den ¾rzten verschiedene Anreize, auf das neue
System umzusteigen. So erhalten sie Unterstützung in ihren Bemühungen, die Gesundheit ihrer Patienten zu verbessern und
Fortschritte anhand von 25 Prüfparametern messen zu lassen.
Zugleich werden sie von Verwaltungs- und Dokumentationspflichten entlastet und können sich mehr auf ihre klinischen
Aufgaben konzentrieren. Schlieûlich bekommen sie finanzielle
Mittel, um eine speziell ausgebildete Pflegekraft einzustellen, die
sie bei der Chronikerversorgung unterstützt.
Die Prüfparameter für die neuen Einheiten beziehen sich auf
Gesundheitsförderung und Früherkennung von Brust- und Dickdarmkrebs ± durch Tests auf okkultes Blut und Koloskopie ±
sowie die Dokumentation von Risikofaktoren für Herz- und Gefäûerkrankungen, darunter Blutfettwerte, Body-Mass-Index und
Blutdruck. Erhoben werden auûerdem die Werte von chronisch
Kranken: bei Diabetikern der Hämoglobinwert, das LDL-Cholesterin und die Ergebnisse von Augennetzhautuntersuchungen,
bei Herzkranken die Medikation nach Herzmuskelinfarkt sowie
bei Depressiven die Diagnose und Therapie.
Eine Erprobungsphase hat das neue Modell schon bei Clalit,
der anderen groûen Krankenkasse Israels, und im Ausland durch40
laufen, besonders in den USA. Die Umorientierung bei Maccabi
geht auf das Jahr 2004 zurück. Treibende Kraft war die Abteilung
für Qualitätsmanagement. Schon 2005 wurde die Reform unter
dem Schlagwort »persönlicher Arzt« in elf Praxen, gelegen in
allen fünf Regionen, getestet. Nach anfänglicher Skepsis sind
nun sowohl die Zentrale als auch die meisten regionalen Untergliederungen von Maccabi von dem neuen Modell überzeugt und
haben es in ihre Arbeitspläne aufgenommen. Die meisten Patienten haben die Umstrukturierung bisher kaum bemerkt. Das
dürfte sich erst ändern, wenn eine Reihe Konsultationen stattgefunden haben.
Voraussetzungen für die Einführung waren zunächst Schulungsmaûnahmen. Pflegekräfte mussten in ihre neue Rolle als
Koordinatoren der Versorgung eingeführt werden und eine Informationsstruktur musste bereitstehen, eventuelle Fragen zu beantworten. Dann musste sichergestellt sein, dass die Parameter
zur Messung des klinischen Erfolges auch ausgewertet wurden.
Gelder mussten vorhanden sein, damit die ¾rzte eine Pflegekraft
einstellen konnten. Schlieûlich wurden einzelne Gesundheitsfachkräfte gezielt zu »Qualitätsvorbildern« gemacht: Sie erhielten
spezielle Unterweisung in Qualitätsverbesserung und wurden
angeleitet, ihre Erfahrungen auch in ihrer ärztlichen oder pflegerischen Kollegenschaft zu verbreiten.
Einige Mitglieder der Gewerkschaft selbstständiger ¾rzte, die
für Maccabi tätig sind, waren zunächst skeptisch bis ablehnend.
Die Gewerkschaft wurde aber von Anfang an einbezogen und
akzeptiert das neue Modell heute de facto. Die Gewerkschaft der
Krankenschwestern dagegen erkannte die Umorganisation als
Chance für die Aufwertung ihres Berufsstands und leistete aktive
Unterstützung bei der Einführung.
Literatur und Links
Wilf-Miron, Rachel, Ehud Kokia und Revital Gross. »Redesigning primary care services in Maccabi«. Health Policy
Monitor. September 2007. www.hpm.org/survey/is/a10/
3.
41
Neue Rolle
für Pflegekräfte
¾rztegewerkschaft
von Skepsis zu
stiller Akzeptanz
Bodenheimer, Thomas, Edward H. Wagner und Kevin
Grumbach. »Improving primary care for patients with
chronic illness. The chronic care model.« Journal of the
American Medical Association (288) 2002. 1775±1779.
Bodenheimer, Thomas, Edward H. Wagner und Kevin
Grumbach. »Improving primary care for patients with
chronic illness. The chronic care model, part 2«. Journal of
the American Medical Association (288) 2002. 1909±1914.
Wang, Margaret C., Jenny K. Hyun, Michael I. Harrison,
Stephen M. Shortell und Irene Fraser. »Redesigning
health systems for quality: Lessons from emerging practices«. Joint Commission Journal of Quality and Patient
Safety (32) 11 2006. 599±611.
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Drei Viertel der
Patienten erhalten,
was sie brauchen
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USA: Das »medizinische Zuhause« wird Wirklichkeit
Das »medizinische Zuhause«, jüngstes Produkt der Versorgungsforschung in den USA, ist dabei, Wirklichkeit zu werden. Das
Konzept sieht enge, technisch unterstützte Zusammenarbeit zwischen Arztpraxis, Hauskrankenpflege, Sozialarbeit und Apotheke
vor, basierend auf zentralen Leitlinien und auf evidenzbasierter
Medizin. Obwohl das Konzept zunächst vor allem für Kinder
gedacht war, werden besonders ältere Menschen profitieren, die
immer häufiger unter mehreren chronischen Erkrankungen leiden und mit der Steuerung der vielen Hilfsangebote überfordert
sind.
Auch Kinder bleiben jedoch eine wichtige Zielgruppe. Nach
einer Studie des Kinderärzte-Verbandes von 2003 erhalten Kinder
und Jugendliche im traditionellen System nur die Hälfte der Leistungen, auf die sie in dem neuen System rechnen könnten. Bei
42
Erwachsenen sehen die Zahlen ähnlich aus: 2006 fand der Commonwealth Fund heraus, dass im »medizinischen Zuhause«
74 Prozent ihren Bedürfnissen entsprechend betreut werden, im
herkömmlichen System dagegen nur 38 Prozent. Erste Pilotprojekte haben gute Ergebnisse hervorgebracht: Die Zahl der Krankenhauseinweisungen und besonders der Notaufnahmen ging
zurück, ebenso die Zahl der Fehltage, die chronisch Kranke einlegen mussten.
Entsprechend steigt der Druck zur Umsetzung des Modells.
Besonders stark machen sich für das neue System Kinderärzte
und Geriater, weil Kinder und alte Leute am stärksten davon profitieren würden. Aus der Pädiatrie stammt auch die Idee: Der Begriff »medizinisches Zuhause« (Medical Home) kam dort schon
1967 auf.
Die US-Kinderärzte-Akademie (AAP) gründete Lerngruppen
für Beschäftigte in den Agenturen der Bundesstaaten für Kinder
mit besonderen Bedürfnissen, die in das neue System einführen
sollen. Jede Agentur wählte drei Gruppenpraxen zur Mitarbeit aus.
Die Akademie für Hausärzte rief das Programm »TransforMED«
ins Leben, mit dem unionsweit 36 Gruppenpraxen auf das »medizinische Zuhause« umsteigen sollen.
Aber auch die ¾rzteschaft in den USA unterstützt die neue
Versorgungsform. Nach einem Vorschlag des American College of
Physicians sollen ¾rztegruppen ein Zertifikat bekommen, wenn
sie erfahrungsgestützte Richtlinien nutzen, das »Chronic Care«Modell anwenden, mit Patienten und deren Familien übergreifende Versorgungspläne erstellen, den Zugang zu ihren Praxen
erleichtern, Qualitätsindikatoren verwenden, Informationstechnologie nutzen und ihren Mitarbeitern fachliche Rückmeldungen geben.
Der Bundesstaat North Carolina schlieûlich zahlt ¾rzten, die das
»Zuhause« einführen, einen Bonus. Der Ostküstenstaat hat mit
integrierten Systemen gute Erfahrungen gemacht: Zwischen 2002
und 2004 sparten die acht Millionen Einwohner über 60 Millionen
Dollar durch Fallmanagement für chronisch Kranke.
Haupthindernis für eine flächendeckende Umsetzung des »medizinischen Zuhauses« ist das System der Kostenerstattung. Versicherer vergüten ¾rzten in der Regel nur Einzelleistungen. Wenn
¾rzte für ihre Arbeit ihrerseits auf andere Dienstleister zurückgrei43
Das medizinische
Zuhause kommt
aus der Pädiatrie
North Carolina
zahlt den Neuerern
einen Bonus
Haupthindernis:
Einzelleistungsvergütung
Drei Jahre
Erprobung bei
Medicare
IT verbessert
»compliance«
Vorbild:
Das »Chronic
Care«-Modell
fen, bleibt das im Erstattungssystem unberücksichtigt. Ein Demonstrationsprojekt von Medicare, dem staatlichen Versicherungsprogramm für über 65-Jährige, soll deshalb neben neuen Versorgungs- auch neue Vergütungsformen erproben.
Die Initiativen zur Einführung des »medizinischen Zuhauses« fallen in eine Testphase. Drei Jahre lang sollen Allgemeinärzte in acht Bundesstaaten für ihre chronisch kranken Patienten
jenseits der 65 das neue Modell erproben. Grundlage ist ein Konzept für die völlige Umgestaltung der Primärversorgung, wie es
das American College of Physicians entwickelt hat. Danach sollen
Arztpraxen eine umfassende patientenorientierte Versorgung
anbieten und sich zu diesem Zweck einem offiziellen Anerkennungsverfahren unterwerfen. Patient und Versorgungsteam arbeiten nach dem Modell dauerhaft zusammen.
Das »medizinische Zuhause« sticht aus den vielfältigen neuen
Versorgungsformen vor allem dadurch heraus, dass es stark mit
moderner Informationstechnologie unterlegt ist. Körpergewicht,
Blutdruck, Laborwerte eines einbezogenen Patienten werden
automatisch erfasst und in einem Computersystem mit Besuchen beim Arzt, beim Physiotherapeuten und in der Apotheke
zusammengeführt. Eine ins Pillendöschen eingearbeitete Waage
ermöglicht sogar die Kontrolle darüber, ob die verschriebenen
Medikamente auch wirklich eingenommen wurden.
Darüber hinaus sind die Teilnehmer mit einem Versorgungsteam vernetzt, zu dem Sozialarbeiter ebenso gehören können wie
etwa Ernährungsberater, Physiotherapeuten oder Apotheker. Hausarzt und Versorgungsteam verstehen sich als Lotsen, die den
Patienten durch die Versorgungslandschaft dirigieren. Solange er
dazu selbst in der Lage ist, soll der Patient eigene Entscheidungen treffen und dafür verständliche Informationen an die Hand
bekommen.
Ausgangspunkt für die Idee des »medizinischen Zuhauses« ist
das sogenannte »Chronic Care«-Modell des Arztes und Versorgungsforschers Ed Wagner (siehe Abbildung 4, S. 36), wie es der
kalifornische »Managed Care«-Plan Kaiser Permanente seit Jahren
erfolgreich anwendet. Es umschlieût Hilfen für chronisch Kranke
beim Selbstmanagement ebenso wie Neuerungen in der Versorgung: besondere Sprechstunden, neue Formen der Kooperation,
viel klinische Information und ein gut vorbereitetes, pro-aktives
44
Versorgungsteam. Ausgangspunkt ist der Patient mit seinen besonderen Bedürfnissen, nicht irgendeine vorhandene Versorgungsstruktur. Ambulant geht vor stationär; letztlich entscheidet, was
der Patient will. Auch vor den Grenzen des Gesundheitswesens
macht das Modell nicht halt, sondern greift ein ins Wohnumfeld
und in den Sozialsektor.
Während die »Disease Management«-Programme (DMP) etwa
für Diabetiker oder Herzpatienten von bestimmten Krankheiten
ausgehen, stellt Ed Wagners »Chronic Care«-Modell zum ersten
Mal radikal den einzelnen Patienten mit seinen individuellen Bedürfnissen in den Mittelpunkt. Die Idee vom »medizinischen Zuhause« geht noch einen Schritt weiter, führt das ursprünglich für
chronisch Kranke entwickelte Modell in die Regelversorgung ein.
Literatur und Links
Petigara, Tanaz, und Gerard Anderson. »Strategies to Implement ­Medical Homes¬ in the US«. Health Policy Monitor. Oktober 2007. www.hpm.org/survey/us/a10/5.
American Academy of Family Physician News Now (AAFP
NN). »36 Practices Selected: AAFP's TransforMED
Launches Project to Prove Innovative Model of Care«.
www.aafp.org/online/en/home/publications/news/newsnow/practice-management/20060405transformed.html.
American Academy of Family Physicians, American Academy of Pediatrics, American College of Physicians, and
American Osteopathic Association. Joint Principles of the
Patient-Centered Medical Home. Februar 2007. www.pcp
cc.net/node/14.
Barr, Michael, und Jack Ginsburg. »For the Health and
Policy Committee of the American College of Physicians«. The Advanced Medical Home: A Patient-Centered,
Physician-Guided Model of Health Care. Januar 2006.
Beal, Anne C., Michelle M. Doty, Susan E. Hernandez, Katherine K. Shea und Karen Davis. Closing the Divide:
How Medical Homes Promote Equity in Health Care. The
Commonwealth Fund, Juli 2007.
45
Centers for Medicare and Medicaid Services. Details for Medicare Medical Home Demonstration Project. Demonstration Projects and Evaluation Reports. 2007.
Starfield, Barbara, und Leiyu Shi. »The medical home, access to care, and insurance: a review of evidence«. Pediatrics (113) 5 2004. 1493±1498.
Strickland, Bonnie, Merle McPherson, Gloria Weissman,
Peter Van Dyck, Zhihuan Huang und Paul Newacheck.
»Access to the Medical Home: Results of the National
Survey of Children With Special Health Care Needs«.
Pediatrics (113) 5 2004. 1485±1492.
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Untersuchung
soll Schwächen
ausbügeln
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Spanien:
Neue Versorgungsmodelle werden verglichen und evaluiert
Auch in Spanien, besonders in der autonomen Region Katalonien,
sind in den letzten Jahren zahlreiche Modelle zu einer integrierten Versorgung entstanden, bei denen ¾rzte und Angehörige
anderer Gesundheits- und Sozialberufe organisiert zusammenarbeiten (siehe Gesundheitspolitik in Industrieländern 1, S. 38). Hervorgebracht wurden die Modelle meist von Problemen in der Praxis, und entsprechend den unterschiedlichen Problemen und der
jeweiligen rechtlichen und wirtschaftlichen Ausgangslage entwickelten sie sich sehr verschieden.
Die neuen Versorgungsformen in Katalonien werden seit 2006
wissenschaftlich verglichen und evaluiert. Einen entsprechenden
Auftrag hat die staatliche katalanische Krankenhausgesellschaft
einem »Dienst für Studium und Perspektiven der Gesundheit«
(Servicio de Estudios y Prospectivas de Salud, SEPPS) erteilt. Das
Ziel war, gute Erfahrungen nutzbar zu machen und Schwachpunkte auszubügeln.
46
Im Einzelnen sollten die verschiedenen Modelle zunächst ausführlich und Fall für Fall beschrieben werden. In einem zweiten
Schritt wurden dann die Erfahrungen der integrierten Einrichtungen sowie die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Ergebnisse analysiert. Dann ging es um die Auswirkungen der Modelle
auf das katalanische Gesundheitswesen. Schlieûlich wird die
Untersuchung auch praktisch: Gute Erfahrungen werden nicht
nur erforscht, sondern auch verbreitet. Weiteres Ziel war die Suche
nach anderen Feldern der Effizienzsteigerung und nach Möglichkeiten, neue Initiativen zu entwickeln.
Vereinheitlichung ist nicht unbedingt der Sinn der Erfassung.
Was dem systematischen Blick als planlos erscheint, lässt sich
mit gleichem Recht als Innovationsfreudigkeit beschreiben. Gemeinsam ist den unterschiedlichen Modellen immerhin, dass sie
effizienter sind und von den Nutzern als besser empfunden werden als die herkömmliche Praxis.
Weil sie so ungeplant entstanden sind, weisen die integrierten
Modelle schon auf den ersten Blick eine ganze Reihe von Unterschieden auf. Auffällig ist der Grad der Integration und Vernetzung, der erheblich differieren kann.
Am auffälligsten aber ist der Unterschied in der Form der
Zusammenarbeit: Angehörige verschiedener Gesundheitsberufe
können etwa räumlich ± Tür an Tür und Schreibtisch an Schreibtisch ± zusammenarbeiten und zum Beispiel Angestellte desselben Arbeitgebers sein. Sie können aber auch verschiedenen
Institutionen angehören oder aber selbstständig sein und bloû
virtuell, über Telefon und E-Mail, in Verbindung miteinander stehen.
Weitere Unterschiede lassen sich in der Rechts- und Eigentumsform finden. Neben privaten und öffentlichen Einrichtungen kommen auch gemischte Modelle vor. Unterscheiden lassen
sich die Organisationen zudem nach der Bevölkerungsgruppe,
an die sie sich wenden.
Dass die neuen Formen eine groûe Zukunft haben, steht
auûer Frage. Erforderlich wurden die Neuerungen allesamt in
Anbetracht der wachsenden Zahl chronisch kranker Patienten
und von Problemen wie Komorbidität und Abhängigkeit von
Hilfe. Alle diese Herausforderungen werden in den nächsten Jahren weiter zunehmen.
47
Good Practices
werden verbreitet
Planlosigkeit gilt
nicht unbedingt als
Nachteil
Unterschiede
im Grad der
Integration, . . .
. . . in Rechts- und
Eigentumsform
und bei Zielgruppe
Kooperation mit
staatlichem
Gesundheitssystem
Neue Modelle
vermeiden
unnötige Kosten
In Katalonien sind seit den frühen 90er Jahren 18 Einheiten
entstanden, die eine mehr oder weniger tief gehende, vernetzte
Gesundheitsversorgung betreiben. Sie sind nicht direkt Teil des
staatlichen Gesundheitssystems, kooperieren aber alle auf unterschiedliche Weise mit ihm. Den Anstoû gaben ursprünglich weniger Vorstellungen von integrierter Versorgung als vielmehr Impulse zur Kostendämpfung.
Aus den ersten Anstöûen hat sich rasch eine eigene Dynamik
entwickelt. Ohne Impulse von oben entstanden auf lokaler Ebene
Assistenzdienste für auf Hilfe Angewiesene und »Public Health«Initiativen. Zusätzlich schrieb die katalonische Regierung Pilotprojekte aus und kaufte in fünf verschiedenen geografischen Gebieten integrierte Dienste ein. Insgesamt aber war die Rolle des
Staates bei der Entwicklung der neuen Modelle eher schwach.
Vorangebracht haben die Idee vor allem ± und zwar aus wirtschaftlichen Impulsen ± die Krankenhausmanager und die auf
Sparpotenziale geeichten Gemeindeverwaltungen. Seit Neuestem
haben allerdings die neuen Versorgungsformen für die Politik
»hohe Priorität«.
Unter dem Strich kommt die Studie zu einem positiven Ergebnis. Die Integration verschiedener Versorgungsformen, wie sie
in den untersuchten Organisationen stattfindet, führt zu einem
Gewinn an Effizienz, Koordination und Kontrolle, zu einer Verringerung von Transaktionskosten und einer Abnahme von überflüssigen Dienstleistungen.
Alle diese Effekte könnten aber noch weit gröûer sein, so die
Studie. Der Grund ist, dass die Organisationen zwar stark auf
interne Integration gepolt sind, aber nicht reibungslos mit anderen Systemen kooperieren. Verstärken sollen sich auch die wirtschaftlichen und organisatorischen Anreize, auf neue Versorgungsformen umzusteigen. Ein klassisches Beispiel dafür sind
Vergütungsformen, die sich nicht an der Zahl der Patienten, sondern an der allgemeinen Bevölkerungszahl ausrichten, und Messungen des klinischen Erfolgs. Positiv hervorgehoben wird das
Experiment der Regionalregierung, die in einer Versuchsphase
drei der neuen Dienste nicht nach der Fall-, sondern nach der
Bevölkerungszahl entschädigt hat.
Ein Beispiel für eine neue Versorgungseinrichtung ist das
Gesundheitszentrum der Kleinstadt Castelldefels bei Barcelona.
48
Untypisch ist das Beispiel, weil es als einziges direkte staatliche
Finanzierung und privatrechtliche Organisation zusammenführt.
In seiner Neuheit und Ausgefallenheit ist es damit allerdings
schon wieder typisch.
Kataloniens Regierung wollte die Vorteile privatwirtschaftlicher
und öffentlicher Gesundheitszentren verbinden. Zu diesem Zweck
wurde in der Kleinstadt das Pilotprojekt eines privat wirtschaftenden, aber staatlich finanzierten Konsortiums ins Leben gerufen
und auf den Namen »Consorci Castelldefels de Salut d'Atenció
Primària« (CASAP) getauft. Anderswo in Katalonien obliegt die
Primärversorgung in der Regel den Zentren des »Katalanischen
Gesundheitsinstituts«. Diese Zentren wirtschaften mit öffentlichen
Mitteln nach den Regeln der öffentlichen Verwaltung. Daneben
existieren »assoziierte Basiseinheiten«, sogenannte ABEs ± private Firmen, die nach dem Vorbild britischer »fundholdings«
von mehreren frei praktizierenden ¾rzten getragen werden und
zu denen sich auch die meisten Organisationen der integrierten
Versorgung zählen.
Um diese ABEs hatte es politischen Streit gegeben: Von der
früheren konservativen Regionalregierung gefördert, um das Management der Primärversorgungszentren zu professionalisieren,
galten sie der sozialistischen Administration, die 2003 ins Amt
gewählt wurde, als Vorreiter einer Privatisierung des Gesundheitswesens. Öffentlich-private Mischformen wie jetzt in Castelldefels kannte man bisher nur im Krankenhauswesen.
2005 erhielt der Küstenort am südlichen Stadtrand von Barcelona als erste Gemeinde in Spanien für seine 24.000 Einwohner
ein öffentliches und zugleich autonom wirtschaftendes »CASAP«.
Das Konsortium richtete der Stadt neben dem bestehenden Gesundheitszentrum, das aus allen Nähten platzte, ein modernes,
hochwertig ausgestattetes Primärversorgungszentrum neuen Typs
ein. Zusätzlich zu den üblichen Versorgungsleistungen übernimmt das Zentrum auch so unterschiedliche neue Aufgaben
wie Ernährungsberatung, Tageschirurgie, Kampf gegen Nikotinsucht ± und erschlieût damit neue Einnahmequellen, indem es
den wohlhabenden Bewohnern von Castelldefels attraktive Angebote macht und die Fahrt nach Barcelona erspart. Träger des Konsortiums sind zu 70 Prozent das Katalanische Gesundheitsinstitut und zu 30 Prozent die Gemeinde. Das CASAP-Management
49
Pilotsystem in
Castelldefels,
Katalonien
Staatlich-private
Mischform
CASAP ± Primärversorgungszentrum
Personal motiviert;
Pflegekräfte
aufgewertet
kann wie eine Firma wirtschaften und sein Personal nach privatrechtlichen Grundsätzen einstellen. An das öffentliche Dienstrecht ist es nicht gebunden.
Bisher kann das Gesundheitszentrum von Castelldefels gute
klinische Ergebnisse vorweisen; Wartelisten gibt es nicht. Qualitätsprüfungen verliefen positiv. Das Personal ist nicht weniger
motiviert als bei privaten Einrichtungen. Pflegekräfte und Mediziner arbeiten gleichberechtigt. Wer ohne Termin kommt, den
empfängt zunächst die Pflegekraft, die über die weitere Behandlung entscheidend. Die Skepsis unter Gesundheitsberuflern
gegenüber der neuen Institution hat sich inzwischen gelegt. Kritiker fürchten allerdings mögliche staatliche Einflussnahme auf
Management-Entscheidungen.
Literatur und Links
Ferragut Ensenyat, Gabriel. »Evaluating Catalan Integrated
Health Care Schemes«. Health Policy Monitor. Oktober
2007. www.hpm.org/survey/es/a10/1.
Ferragut Ensenyat, Gabriel. »CASAP: A new form of primary care delivery«. Health Policy Monitor. Oktober
2007. www.hpm.org/survey/es/a10/2.
CRES. »Catalonia: Integrated HC Pilot Project«. Health
Policy Monitor. www.hpm.org/survey/es/a1/2.
Ibern Regµs, Pere. Integración asistencial: fundamentos, experiencias y vías de avance. Barcelona 2006.
Vµzquez Navarrete, María Luisa, und Ingrid Vargas Lorenzo.
Organizaciones Sanitarias Integradas. Un estudio de casos.
Barcelona 2007.
50
Krebs: Prävention und Versorgung
Krebs ist in den meisten Industrieländern nach Herz- und Kreislauferkrankungen die zweithäufigste Todesursache, in einigen,
wie in den Niederlanden, sogar die häufigste. Von den 58 Millionen Menschen auf der Welt, deren Leben im Jahr 2005 zu Ende
ging, starben nach einer Schätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 7,6 Millionen an bösartigen Tumoren.
Weltweit ist Krebs eine der häufigsten Todesursachen mit
steigender Tendenz: ¾ndert sich nichts Gravierendes, werden im
Jahr 2015 schon neun Millionen und im Jahr 2030 11,4 Millionen
Menschen weltweit am Krebs sterben. Bereits jetzt allerdings entfallen sieben von zehn Krebstoten auf die Entwicklungsländer.
Dort ist das Erkrankungsrisiko zwar geringer; dasselbe gilt
aber auch für die Heilungschance. Nach einer Formel der WHO
können bei früher Erkennung und angemessener Behandlung
40 Prozent aller Krebstode vermieden werden (zu allen Daten
siehe WHO 2007a).
In Deutschland fielen 2005 etwa 224.000 Menschen einer
Krebserkrankung zum Opfer; 94.000 unter ihnen waren noch
keine 70 Jahre alt. Die Zahl von 2005 entspricht 26,6 Prozent
aller Todesfälle; der Anteil, der auf den Krebs entfällt, wird in Jahren bis 2030 voraussichtlich noch leicht ansteigen (WHO 2007a).
Von den Krebstoten starben unter Männern in Deutschland die
meisten an Lungen- oder Bronchialkrebs, gefolgt von Geschwulsten des Dickdarms und der Prostata. Bei Frauen liegt der Brustkrebs an der Spitze der Todesursachen, vor Dickdarm- und Lungenkarzinomen.
Fast zwei Drittel der diagnostizierten Fälle weltweit führen
zum Tode. Die medizinische Krebsforschung konzentriert sich
seit Langem auf die genetischen und anderen Ursachen, die ge51
40 Prozent aller
Krebstode
vermeidbar
Deutschland: Fast
jeder Dritte stirbt
an Krebs
Krebsforschung
wartet auf
therapeutische
Durchbrüche
Trend zu nationalen
Aktionsplänen
Krebs im Zentrum
der slowenischen
EU-Ratspräsidentschaft
Im Kommen:
Reihenuntersuchungen, . . .
sunde Zellen zu Krebszellen mutieren lassen, und auf die Bedingungen, unter denen Tumoren wachsen. Groûe Durchbrüche
oder gar spektakuläre Forschungserfolge bleiben aber bisher aus.
In dieser Situation konzentriert sich diese Ausgabe von Gesundheitspolitik in Industrieländern auf Prävention und Früherkennung, auf Erleichterung des Zugangs zu adäquater Therapie und
auf verbesserte Palliativversorgung.
Zu einem Trend entwickeln sich umfassende nationale Aktionspläne gegen den Krebs, wie sie in Neuseeland (siehe Gesundheitspolitik in Industrieländern 5, S. 87±89), Australien (siehe Gesundheitspolitik in Industrieländern 2, S. 77) und Japan (siehe den
Bericht S. 57) aufgelegt wurden. Sie umfassen Screening-Programme in der Regel ebenso wie Verbesserungen in Ausbildung
und Patienteninformation und die Konzentration von Therapie
an besonders gut ausgestatteten Einrichtungen mit qualifiziertem
Personal. Im Pionierland Neuseeland gehören dazu die Primärprävention von lebensstil- und berufsbedingten Risiken und die
Vermeidung von karzinogenen Infektionen, wirksames Screening, effektive Diagnostik und Behandlung, mehr Lebensqualität
durch Betreuung der Betroffenen und ihrer Angehörigen, ein
besseres Leistungskontinuum und mehr Forschung und Gesundheitsberichterstattung.
In der Europäischen Union hat Slowenien die Krebsbekämpfung zu einem der Schwerpunkte seiner Ratspräsidentschaft im
ersten Halbjahr 2008 gemacht (siehe Albreht 2007). Wachsende
Unterschiede in den Überlebensraten und bei Qualitätsindikatoren zwischen den EU-Ländern rufen nach unionsweiten integrierten und zusammenführenden Programmen. In jedem Falle,
so die slowenische Gesundheitsministerin Zofija Mazej Kukovi›,
sei eine konzertierte Aktion erforderlich, mit der das Problem
Krebs in allen seinen Dimensionen angegangen werde.
Zahlreiche Länder konzentrieren sich wieder mehr auf Reihenuntersuchungen zur Früherkennung. Röntgenuntersuchungen auf Brustkrebs sind bereits die Regel. Ein umfassendes
Screening auf das Karzinom des Gebärmutterhalses durch den
sogenannten Pap-Abstrich ist in vielen Ländern Realität, u. a. in
Australien und Neuseeland sowie den skandinavischen Ländern.
In Australien und Groûbritannien wurde das Alter für kostenlose
Untersuchungen auf Dickdarmkarzinom auf die in Deutschland
52
bereits üblichen 55 Jahre herabgesetzt (siehe Gesundheitspolitik in
Industrieländern 7/8, S. 213). In den USA wird dem Screening
auf Dickdarmkrebs der gröûte Verdienst an der sinkenden Krebsmortalität zugerechnet.
Gröûerer Wert wird in vielen Ländern neuerdings auf die Versorgung Sterbender gelegt. Solange die Fachwelt noch in der Illusion lebte, den »Kampf gegen den Krebs« bald besiegen zu können,
neigte das Versorgungssystem dazu, Todkranke als »Niederlage«
zu betrachten und, statt sich näher mit ihnen zu beschäftigen,
den »Blick nach vorne« zu richten. Mit der wachsenden Bescheidenheit der Antikrebskämpfer stellt sich auch eine Besinnung
auf die Opfer ein (siehe beispielsweise »Israel: Palliative Versorgung im Leistungskatalog«; Gesundheitspolitik in Industrieländern 5,
S. 112).
Teil einer Strategie gegen den Krebs sind schlieûlich auch die
Rauchverbote, die neuerdings in vielen europäischen Ländern
für den öffentlichen Raum in Kraft getreten sind (siehe Gesundheitspolitik in Industrieländern 7/8, S. 225±236). Etwa 90 Prozent
der Fälle von Lungenkrebs betreffen Raucher.
Berechtigte Furcht vor der noch immer geheimnisvollen Krankheit und die lebhafte Anteilnahme der Öffentlichkeit an therapeutischen Fortschritten führen allerdings nicht immer dazu,
dass in der Krebspolitik wirklich rationale Entscheidungen gefällt
werden. Kritik aus der Fachwelt trifft zum Beispiel die dänische
Regierung, die Wartezeiten für Chemotherapien abschaffen will,
auch wenn sich damit die Wartezeiten für andere Behandlungen
verlängern (siehe den Bericht über Dänemark, S. 60).
Thema des Jahres ist die Impfung gegen die Infektion mit
sogenannten humanpathogenen Papillomviren (HPV) (siehe den
Bericht über die USA, die Schweiz, Neuseeland und Kanada,
S. 62). Seit 15 Jahren ist bekannt, dass zwischen HPV-Infektionen
und Karzinomen vor allem des Gebärmutterhalses ein Zusammenhang besteht. Seit 2006 hilft gegen die vier gefährlichsten
HPV-Viren eine Schutzimpfung, die drei intramuskuläre Injektionen in sechs Monaten verlangt. Danach tritt für fünf bis zehn
Jahre sichere Immunität ein.
Die vier ± von insgesamt über hundert ± Hochrisikotypen dieser Viren lösen Krebserkrankungen im Genitalbereich aus und
stehen darüber hinaus im Verdacht, zu einer Reihe von weiteren
53
. . . Palliativpflege, . . .
. . . Rauchverbote
Furcht führt auch
zu irrationalen
Entscheidungen
Neue Impfung
gegen Gebärmutterhalskrebs
Die meisten HPVInfektionen sind
völlig harmlos
HPV-Impfung
weltweit in der
Diskussion
Krebserkrankungen beizutragen. In bis zu 80 Prozent der bösartigen Tumore des Gebärmutterhalses ist einer der Hochrisikotypen nachweisbar (RKI 2007: 98).
Internationale Daten zur Prävalenz von HPV-Infektionen bei
Frauen zeigen eine groûe Schwankungsbreite (LBI 2007). Das Robert Koch-Institut kommt zu dem Schluss, dass sich rund 70 Prozent der sexuell aktiven Frauen im Lauf ihres Lebens mit HPV
infizieren, im Groûteil der Fälle jedoch ohne die Infektionen zu
bemerken (RKI 2007: 98). Nur bei einem Bruchteil der Infektionen handelt es sich um die beiden gefährlichsten Hochrisikotypen HPV 16 und 18, gegen die die neuen Impfstoffe vorrangig wirken ± eine US-Studie ergab einen Wert von 2,3 Prozent
für Frauen zwischen 14 und 59 Jahren (Dunne 2007). Auch Männer sind infiziert und fungieren als Überträger, erkranken aber
nicht.
Das Virus kann eine von ihm befallene Zelle dazu bringen,
sich unentwegt zu teilen. Im Normalfall allerdings verhindern
zelleigene Schutzmechanismen, dass es zu unkontrollierten Wucherungen kommt. In 70 Prozent der Fälle sind HPV-Infektionen daher nur vorübergehend (LBI 2007).
Bereits kurze Zeit nach der Markteinführung der neuen Impfung wurde sie in zahlreichen Ländern in den Leistungskatalog
aufgenommen. In Deutschland zahlt die gesetzliche Krankenversicherung seit Frühjahr 2007 die Impfung für Mädchen zwischen
12 und 17 Jahren (zum Hintergrund dieser Entscheidung siehe
Blum 2008). Andere Länder beschränken sich auf 11- und 12-Jährige (etwa Norwegen) oder Zehn- bis 13-Jährige (etwa Spanien).
Die unterschiedlichen Empfehlungen drücken die unterschiedlichen Strategien und Annahmen aus, also für welches Alter
etwa der erste Sexualkontakt angenommen wird.
Inzwischen mehren sich bei einigen die Zweifel. Einige kritische Wissenschaftler bemängeln, dass die Erstattung bereits entschieden worden war, obwohl noch diverse Fragen zur neuen
Impfung offen sind. So ist die Dauer des Impfschutzes noch
unklar, ebenso wie Sicherheit und Effektivität bei einer eventuell
nötigen Auffrischung (LBI 2007). Dadurch unterscheiden sich
auch die Berechnungen zur Kosteneffektivität noch erheblich:
Die Kalkulationen zu den Kosten pro gewonnenem Lebensjahr
schwanken in Europa zwischen 11.400 Euro in Dänemark über
54
28.800 Euro in Frankreich bis 60.000 Euro in Norwegen und
64.000 Euro in Österreich.
Gesundheitsökonomen diskutieren nun, ob eine allgemeine,
öffentlich finanzierte Impfung junger Mädchen wirklich der richtige Zugang im Kampf gegen den Gebärmutterhalskrebs ist. Den ±
zumindest derzeit noch ± hohen Kosten für den Impfstoff und
dem beträchtlichem Aufwand, den es erfordert, die immerhin
mit drei Spritzen verbundene Impfung zu popularisieren, steht
eine in Industrienationen relativ niedrige und obendrein sinkende Inzidenz dieser Krebsart gegenüber: Unter den in Deutschland im Jahr 2004 neu an Krebs erkrankten Frauen leiden nur
drei Prozent an einem Karzinom des Gebärmutterhalses, wie es
besonders häufig von humanpathogenen Papillomviren verursacht
wird (RKI 2008: 12).
»Public-Health«-Experten fürchten zudem, die Impfung könnte
die Teilnahmequoten der Vorsorgeuntersuchungen senken. Da
jedoch auch andere HPV-Arten Krebs auslösen können, ist die regelmäûige Vorsorge auch für geimpfte Frauen weiterhin notwendig (RKI 2007: 97).
Da Langzeituntersuchungen ausstehen, ist noch nicht ausgemacht, welche der beiden präventiven Strategien die besseren
Ergebnisse bringt. Einige Experten kommen zu dem Schluss, dass
eine Verbesserung der Krebsprävention die sinnvollere Alternative
sein könnte (LBI 2007, Rosenbrock 2007).
Literatur und Links
Albreht, Tit. »Cancer ± main topic of Slovenia's EU Presidency«. Health Policy Monitor. Oktober 2007. www.hpm.
org/survey/si/a10/3.
Blum, Kerstin. »HPV vaccination in Germany«. Health
Policy Monitor. Januar 2008. www.hpm.org/survey/de/
b10/1.
Dunne, Eileen F., et al. »Prevalence of HPV Infection
Among Females in the United States«. JAMA ± Journal
of the American Medical Association (297) 2007. 813±819.
http://jama.ama-assn.org/cgi/content/abstract/297/8/
813.
55
Zweifel am Sinn
flächendeckender
Impfung
Impfung ersetzt
den Abstrich nicht
Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment. Ökonomische Evaluation der Impfung gegen humane
Papillomaviren in Österreich. Wien 2007.
Robert Koch-Institut. Epidemiologisches Bulletin. Aktuelle
Daten und Informationen zu Infektionskrankheiten und
Public Health 12 2007.
Robert Koch-Institut/Gesellschaft der epidemiologischen
Krebsregister in Deutschland e. V. Krebs in Deutschland
2003±2004. Häufigkeiten und Trends. 6. überarbeitete
Auflage. Berlin 2008.
Rosenbrock, Rolf. »HPV-Impfung ± Durchbruch in der
Krebsprävention?«. März 2007. www.forum-gesundheits
politik.de.
Wenderlein, J. Matthias. »Humanpathogene Papillomviren und Zervixkarzinom ± Entwicklung und derzeitiger
Stand der ersten Impfstoffe gegen humanpathogene Papillomviren: Kostenfaktor diskutieren«. Deutsches ¾rzteblatt (105) 1±2 2008. 23.
WHO. Cancer. www.who.int/cancer/en. 2007a.
WHO Europe. »Can we prevent cervical cancer?«. Entre
Nous ± The European Magazine for Sexual and Reproductive
Health (64) 2007b. www.euro.who.int/document/ens/
en64.pdf.
56
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Japan: Aktionsplan gegen den Krebs
soll Versorgung besser integrieren
Mit einem ganzen Bündel von Maûnahmen will die japanische
Regierung die Versorgung von Krebskranken im Lande verbessern. Ziel eines nationalen Aktionsplans gegen den Krebs, den
die Regierung bis ins Jahr 2011 umsetzen will, ist die Entwicklung einer integrierten, umfassenden und koordinierten Versorgung. Die Schwerpunkte liegen auf der weiteren Verbreitung von
Strahlen- und Chemotherapie und von Palliativversorgung sowie
dem Aufbau eines Krebsregisters.
Mit dem Aktionsplan erhöhte die Regierung den Haushaltstitel für eine bessere Krebsversorgung von 41 Milliarden Yen
(252 Millionen Euro) jährlich, die schon nach dem Zehnjahresplan vorgesehen waren, auf 53,4 Milliarden Yen (328 Millionen
Euro). Zwei Drittel des Betrages gehen in Forschung und Entwicklung. Es bleibt aber noch immer ein stattlicher Rest für die
Integration der Versorgung, für bessere Aus- und Fortbildung
und andere Maûnahmen.
Integration heiût, dass Strahlen- und Chemotherapie ebenso
von einer Hand koordiniert werden sollen wie Akuttherapie und
Palliativpflege, sodass der Patient nicht von einer Abteilung oder
einem Versorgungsbereich in den anderen wandert. Bessere Heimkrankenpflege soll nicht nur den Patienten, sondern auch den
Nöten der pflegenden Angehörigen Aufmerksamkeit schenken.
Krankenhäuser sollen landesweit besser für Krebstherapie gerüstet werden und Patienten so in allen Landesteilen gleichen Zugang
zur Behandlung ermöglichen. Auch die eigene Meinung und der
individuelle Lebensstil des Kranken sollen bei der Therapie stärker als bisher Berücksichtigung finden.
Weitere Ziele des Aktionsplans sind eine breitere Nutzung
von Screening-Programmen, mehr klinische und epidemiologische Forschung und allgemein ein gröûerer Aufwand an Arbeits57
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Zwei Drittel für
Forschung und
Entwicklung, . . .
. . . der Rest
für bessere
Versorgung
Ziel: Ein Fünftel
weniger Krebstote
unter 75 Jahren
Aktionsplan wurde
zum Top-Thema
der groûen Politik
kräften für diesen Sektor der Forschung, Therapie und Versorgung.
Innerhalb von zehn Jahren soll eine spürbare Senkung der
Zahl der Krebstoten erreicht werden. Die Zielzahl liegt bei 20 Prozent weniger Krebsmortalität bei den unter 75-Jährigen. Auûerdem sollen die Leiden der Krebskranken gemindert und die Bürde
ihrer Angehörigen erleichtert werden.
Die Probleme der Krebsversorgung sind seit den späten 90er
Jahren beständig in der Diskussion. 2004 prägten die Medien für
Patienten, die vergeblich nach angemessener Versorgung suchen,
den populären Begriff vom »Krebsflüchtling«. Immer wieder
wird eingefordert, dass Kranke stärker an ihren Behandlungsplänen und allgemein an den Grundsätzen der Krebsversorgung
mitwirken sollten, um die Versorgung wirklich um den Patienten
zu zentrieren.
Der Krebs-Aktionsplan wurde im Sommer 2006, in den letzten
Monaten der Regierung von Junichiro Koizumi, sogar zu einem
politischen Thema ersten Ranges. Die Initiative ging zunächst
von der oppositionellen Demokratischen Partei aus, wurde dann
aber von den regierenden Liberaldemokraten mit einem eigenen
Gesetzentwurf aufgegriffen. Umgesetzt werden konnte der Plan,
obwohl allseits vehement befürwortet, erst nach einem Abkommen zwischen Regierung und Opposition. Befeuert wurde die
Auseinandersetzung darum auch von zivilgesellschaftlichen Organisationen der Krebspatienten, deren Aktivitäten in den Medien
auf groûe Resonanz stieûen.
Mit seinen einzelnen Bestimmungen ist der Aktionsplan Teil
einer umfassenden, auf zehn Jahre angelegten Antikrebsstrategie, die schon zwei Jahre zuvor beschlossen worden war. Ein
Bericht, der am Anfang dieser Strategie stand, machte die landesweite Verbreitung von Krebstherapien zum zunächst wichtigsten
Ziel. Einem neu gebildeten Rat für Krebsversorgung und -prävention beim Minister für Gesundheit, Arbeit und Soziales sollen
¾rzte und Angehörige anderer Gesundheitsberufe ebenso angehören wie spezialisierte Juristen und betroffene Krebspatienten.
Krebszentren, regional angesiedelt bei den 47 Präfekturen,
haben den Auftrag, besonders gute Krebsversorgung zu gewährleisten, Versorgungsmaûstäbe zu entwickeln und Personal auszubilden (siehe Matsuda 2007b). Sie und einige spezialisierte Kran58
kenhäuser sollen nach dem Aktionsplan nun auch die Maûstäbe
für die integrierte Versorgung entwickeln.
Neben dem generellen Ziel sieht die Zehnjahresstrategie etliche Einzelmaûnahmen vor: Neu entwickelte Medikamente sollen
rascher zugänglich, Palliativpfleger gründlicher ausgebildet, neue
Heimpflegemodelle entwickelt werden. Klinisch Tätige und die
Patienten selbst sollen besseren Zugang zu klinischen Informationen bekommen, aus stationärer Behandlung Entlassene sich
gemeinsam mit ähnlich Erkrankten bei einem spezialisierten
niedergelassenen Arzt zusammenfinden. Geplant ist auch, lokale
Krebszentren anhand neuer Standards zu aktualisieren und ihre
Arbeit zu begutachten.
Daneben stehen präventive Ziele: Mit allgemeinen Informationen ± über das Internet und ausgebildete Präventionsberater ±
sowie mit spezieller, patientenzentrierter Beratung für Erkrankte
soll die Aufgeschlossenheit für Prävention und Therapie erhöht
werden. Mehr Krankenhäuser sollen an der Registrierung von
Krebsfällen teilnehmen und die Krebsforschung soll sich stärker
der Öffentlichkeit und der Beteiligung von Patienten öffnen.
Literatur und Links
Matsuda, Ryozo. »National Action Plan on Cancer Care«.
Health Policy Monitor. Oktober 2007a. www.hpm.org/
survey/jp/a10/5.
Matsuda, Ryozo. »Detailed planning for secure health care
delivery«. Health Policy Monitor. März 2007b. www.hpm.
org/survey/jp/a9/3.
Japanese Cabinet. National Action Plan on Cancer Care.
Reported to the Diet in June 2007.
59
Bündelweise
konkrete Einzelmaûnahmen
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Krebstherapie noch
immer nicht
sofort verfügbar
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Dänemark: Keine Wartezeiten und
bessere Versorgung für Krebspatienten
Krebspatienten sollen in Dänemark schneller Zugang zu adäquater Behandlung finden: Ein neuer Aktionsplan verkürzt die Zeit,
die zwischen Überweisung und erster Untersuchung vergehen
darf, auf 48 Stunden. Nach einem ersten Plan aus dem Jahre
2001 durften von der Überweisung zur Erstuntersuchung noch
zwei Wochen, von dann bis zur ersten Strahlentherapie und von
der Entlassung bis zum Beginn der Nachsorge noch einmal je
vier Wochen vergehen. Ein zweiter Krebs-Aktionsplan im Jahr
2005 konzentrierte sich dann mehr auf Prävention und den Ablauf von »Patienten-Karrieren«.
Erst 2007 stellte sich heraus, dass die Ziele des Jahres 2001
nicht überall erreicht worden waren und dass die Verantwortung
dafür zwischen landesweiten und regionalen Einrichtungen
nicht klar verteilt war.
Nach der Abklärung der Verantwortlichkeiten schlug die Versammlung der dänischen Regionen der Regierung dann neue,
präzisere Richtlinien vor:
± Die Regionen garantieren Akutuntersuchung und Therapie für
Fälle von Hals- und Lungenkrebs, Dickdarm- und Mastdarmkarzinom innerhalb von 48 Stunden nach der Überweisung.
Für weitere Therapien und für Nachsorge sind Wartezeiten, so
nicht medizinisch indiziert, überhaupt nicht mehr zulässig.
± Die Regionen schaffen im Rahmen des allgemeinen Screenings gegen Brustkrebs feste Wege für Patientinnen durch
Untersuchung und Therapie.
± Für jede der fünf erwähnten Krebsformen schafft jede Region
einen Koordinator, der die Wege der Patienten verfolgt und
auf mögliche Staus oder Engpässe achtet.
± Die Regionen berichten monatlich über den Stand der Krebsbehandlung und teilen dabei auch die Wartezeiten mit.
60
± Die Regionen machen mögliche personelle, organisatorische
und technologische Hürden aus und entwickeln Pläne, diese
Hürden abzubauen.
± Die Versammlung der Regionen tritt mit der Regierung in Finanzierungsverhandlungen und übernimmt es auch, den Aktionsplan mit den betroffenen Berufsvertretungen abzustimmen.
Als Vorbild schwebten der Versammlung sogenannte »Versorgungspakete« aus standardisierten diagnostischen und therapeutischen Verfahren und mit festen Zeitvorgaben vor. Besonders
gute Erfahrungen mit dieser Form der Beschleunigung von Krebstherapien hat das Krankenhaus im süddänischen Vejle gemacht.
Nichtsdestoweniger wies der Minister die Selbstverpflichtung
der Regionen als unzureichend zurück und verlangte,
± alle Krebskranken künftig als Akutpatienten zu behandeln
± spezielle »Patientenpakete« mit klinischen Richtlinien zu erstellen
± dabei nationale Standards für Wartezeiten festzulegen
± klinische Daten zu erfassen und publizieren
± die Patienteninformation auszubauen
± Kontaktpersonen für Patienten zu schaffen, die zugleich als Koordinatoren fungieren.
»Versorgungs-
Neu ist an den Bestimmungen, für die der Minister einen nicht
näher spezifizierten Kostenbeitrag der Zentralregierung versprach,
vor allem die Qualifizierung von Krebspatienten als Akutkranke.
Dahinter steht eine langjährige Forderung der Dänischen Krebsgesellschaft.
Experten befürchten nun, dass die Regionen unter dem Druck
des Ministeriums ihre Ressourcen einfach in Richtung Krebstherapie umschichten. Während die Wartezeiten für Krebspatienten
kürzer würden, würden die für andere Kranke eben länger.
Krebspatienten
Literatur und Links
Vrangbñk, Karsten. »Treatment guarantee and care packages for cancer«. Health Policy Monitor. Oktober 2007.
www.hpm.org/survey/dk/a10/4.
61
pakete« mit festen
Zeitvorgaben
endlich als Akutkranke anerkannt
Appel, Michael O. »The National Cancer Action Plan«. Health Policy Monitor. Oktober 2004. www.hpm.org/survey/dk/a4/1.
Mùller Pedersen, Kjeld. »National cancer plan (2)«. Health
Policy Monitor. November 2006. www.hpm.org/survey/
dk/a8/5.
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Hersteller ficht
für allgemeine
Impfung
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USA, Schweiz, Neuseeland, Kanada:
HPV-Impfungen Sache der Allgemeinheit?
Seit der Pharma-Konzern Merck, Sharp & Dohme mit Gardasil
einen Impfstoff gegen die Infektion mit Humanen Papillomviren
(HPV) entwickelt hat, stehen Behörden, Krankenversicherungen
und staatliche Gesundheitsdienste weltweit vor der Frage, ob und
gegebenenfalls wem sie die Impfung empfehlen und erstatten
sollen. Gardasil immunisiert gegen einige Typen der Viren, die
im Verdacht stehen, ein Risikofaktor für Gebärmutterhalskrebs
zu sein.
Der Hersteller und manche wissenschaftliche Gesellschaften
setzen sich mit Vehemenz für eine allgemeine Impfung der weiblichen Bevölkerung ein, die möglichst vor dem ersten Sexualkontakt erfolgen sollte. Die Impfung ist ± zumindest derzeit ± noch
sehr teuer; in Österreich etwa ist eine Strecke von drei Injektionsdosen für 495 Euro zu haben, in Deutschland für 465 Euro, in der
Schweiz für 700 Franken (422 Euro), in Kanada allerdings schon
für 400 kanadische Dollar (276 Euro). Ob der Preis bei breiter
Anwendung und damit drastisch höheren Verkaufszahlen ± wie
zu erwarten wäre ± sinken wird, bleibt abzuwarten ± auch, ob
dies gegebenenfalls einzelne Länder zur Voraussetzung der Aufnahme in den Leistungskatalog machen werden.
62
Einige Kritiker wenden ein, dass die HPV-Impfung noch nicht
gründlich genug erforscht sei, um schon in den Leistungskatalog
von Kassen und Gesundheitsdiensten aufgenommen zu werden.
Gardasil immunisiere nur gegen bestimmte Typen des Virus,
und es stehe zu befürchten, dass, wenn diese ausgeschaltet würden, ihre karzinogenen Funktionen von Mutanten wahrgenommen würden. Zudem lasse sich Gebärmutterhalskrebs bei dem
empfohlenen allgemeinen Screening ohnehin bis zu 90 Prozent
erkennen und ausschalten (siehe auch S. 55 ff.).
Die wichtigsten Hürden der Zulassung hat Gardasil passiert:
Im Juni 2006 wurde es in den USA, im September desselben Jahres in der Europäischen Union zugelassen. Was die Aufnahme in
die Leistungskataloge angeht, entscheidet jedes Land wiederum
einzeln. Die Skala reicht dabei von begeisterter Zustimmung bis
zu skeptischer Ablehnung.
Die erste ± und gleich eine turbulente ± Debatte um die HPVImpfung hat sich im US-Bundesstaat Kalifornien entwickelt.
Schon Ende 2006 hatte die demokratische Abgeordnete Sally Lieber einen Entwurf ins kalifornische Parlament eingebracht, nach
dem vom Sommer 2008 an alle Sechstklässlerinnen in dem USBundesstaat gegen HPV geimpft werden sollten. Später wurde
der Entwurf zur Überarbeitung wieder zurückgezogen. Aber das
Thema war gesetzt.
Obligatorische Impfprogramme sind in Kaliforniens Schulsystem Standard; würde die Impfung mit Gardasil ins Programm
aufgenommen, wäre eine sehr weitgehende Immunisierung
jedes nachwachsenden Geburtsjahrgangs gesichert. Eltern können die Impfung nur aus religiösen, moralischen oder medizinischen Gründen ablehnen. Für die Ablehnung aus medizinischem
Grund müssen sie ein Attest des Arztes vorlegen, aus dem hervorgeht, warum ihr Kind nicht geimpft werden kann.
Für die Initiative hatte Kalifornien auch den Segen der zuständigen Fachinstanz: Schon gleich nach der Zulassung von Gardasil hatte das unionsweite Beratungskomitee für Impfpraxis die
Durchimpfung aller elf- und zwölfjährigen Mädchen empfohlen.
Bei so früher Impfung wird im Alter zwischen 13 und 26 Jahren
allerdings noch mindestens eine Auffrischungsimpfung nötig.
Trotz der positiven Empfehlung geriet die Initiative der Abgeordneten Lieber rasch ins Zwielicht. Als die Öffentlichkeit erfuhr,
63
Öffentliche
Debatte begann
erst nach
der Zulassung
Kalifornien:
HPV im staatlichen
Impfprogramm
Befürwortern
wird Befangenheit
nachgewiesen
In Genf und im
Wallis ist Impfung
schon kostenlos
dass Liebers Ehemann Merck-Aktien hielt, zog die Demokratin
ihren Namen von der Unterstützerliste zurück. Der gegenwärtig
federführende Abgeordnete Ed Hernandez gab auf Befragen zu,
dass er für seine Kampagne Konzerngelder bekommen hatte. Das
habe sein Urteil aber nicht beeinflusst. Die alarmierte Öffentlichkeit lieû sich mit dem Statement nicht beruhigen.
Kritiker wandten ein, dass seit der Zulassung zu wenig Zeit
verstrichen sei, als dass man den Sinn der Durchimpfung schon
verlässlich beurteilen könne. Auch die Anstrengungen des Herstellers, Einfluss auf die politische Entscheidung zu nehmen, verstärkten die Skepsis noch.
Nach Kalifornien haben inzwischen 21 US-Bundesstaaten die
Aufnahme von Gardasil in Schulimpfprogramme erwogen. In
Michigan scheiterte ein Entwurf im Parlament. In Texas wurde
die HPV-Impfung durch einen Erlass des Gouverneurs Rick
Perry eingeführt. Kritiker fanden später heraus, dass Perry gut
mit einem führenden Merck-Lobbyisten befreundet war und der
Gouverneur selbst für seinen Wahlkampf eine Merck-Spende
über 85.000 Dollar (59.000 Euro) erhalten hatte.
In der Schweiz dagegen herrscht weitgehend Zustimmung.
Die Bundesimpfkommission empfiehlt offiziell die Impfung
aller Mädchen zwischen elf und 14 Jahren, für eine Übergangszeit auch der 15- bis 19-Jährigen. Das Eidgenössische Departement des Innern hat im November 2007 beschlossen, dass ab
Anfang 2008 die Kosten für die HPV-Impfung von der Krankenversicherung übernommen werden, sofern diese im Rahmen von
kantonal organisierten Programmen durchgeführt wird. Drei
Kantone haben solche Programme direkt eingeführt, in anderen
Kantonen sind entsprechende Programme in Vorbereitung. Ein
Merkmal dieser Programme sind verbindliche Qualitätsstandards
und der zentrale, kostengünstige Einkauf des Impfstoffs durch
die Kantone. Die Programme sollen die Information der Zielgruppen sicherstellen und für die vollständige Impfung mit drei
Dosen und Auffrischimpfungen sorgen.
Eine Kosten-Nutzen-Analyse hat ergeben, dass bei einer Impfung 26.000 Franken (15.660 Euro) pro gesundem Lebensjahr
gespart werden. Die Analyse unterstellt allerdings die strittige
Annahme, dass durch die Impfung 98 Prozent der Fälle von
Gebärmutterhalskrebs vermieden werden können.
64
Neuseeland hat seine Zulassung für Gardasil im Juli 2006
ausgesprochen, noch vor der Europäischen Union. Seither streiten Interessengruppen sowie die Fachverbände der Gynäkologen
für die allgemeine Impfung. Der Gebärmutterhalskrebs steht bei
der Inzidenz unter den Karzinomen in Neuseeland an achter
Stelle. In Neuseeland sind Präventionserfolge traditionell sehr
unterschiedlich auf die Volksgruppen verteilt: Trotz allgemeinen
Screenings sind Maori-Frauen und Pazifik-Insulanerinnen doppelt so häufig vom Gebärmutterhalskrebs betroffen wie andere.
Die Pharma-Industrie bemüht sich mit aggressivem Marketing, Gardasil im Impfprogramm für elf- bis 15-jährige Mädchen
unterzubringen. Politischer Druck kommt meist in Form von
offenen Briefen, auch von Fachärzteverbänden wie den Gynäkologen, den Kinderärzten, den Sexual- und Allgemeinmedizinern
sowie vom Forschungszentrum der Universität Auckland.
Das Gesundheitsministerium zögert und wendet ein, noch gebe
es keine überzeugende Kosten-Nutzen-Analyse. Eine Arbeitsgruppe
des Hauses hat allerdings empfohlen, entweder 15-Jährige mit
den drei Injektionsdosen oder aber ± im Falle, dass auch eine Auffrischung finanzierbar wäre ± schon die 11- bis 13-Jährigen zu
impfen. In Australien, dessen Gynäkologen mit den neuseeländischen Kollegen in einem einzigen Verband zusammengeschlossen sind, werden die 11- und 12-Jährigen gegen HPV geimpft.
Berufen kann das Ministerium sich mit seiner Haltung auf
die abwartende Stellungnahme der Leiterin des Screening-Programms auf Gebärmutterhalskrebs, Hazel Lewis. Sie verweist auf
ungelöste Fragen und empfiehlt, mit der Einführung noch zu
warten. Neuseelands Screening-Programm gegen Gebärmutterhalskrebs gilt als sehr erfolgreich: 70 Prozent der Zielgruppe nehmen daran teil. Seit die Früherkennungsuntersuchungen eingeführt wurden, sind die Erkrankungsrate um die Hälfte und die
Mortalität um 65 Prozent zurückgegangen. Bei Maori-Frauen
und Pazifik-Insulanerinnen dagegen lässt die Teilnahmerate mit
50 bzw. 45 Prozent zu wünschen übrig.
Sollte die HPV-Impfung eingeführt werden, müssten nach Auffassung der Screening-Expertin zunächst folgende Fragen geklärt
werden:
± Wer soll geimpft werden und ist eine Auffrischungsimpfung
nötig? Gegenwärtig werden die Kosten für eine Alterskohorte
65
Neuseeland:
Impfung rivalisiert
mit Screening
Warten auf überzeugende KostenNutzen-Analyse
Screening-Expertin
bezweifelt
Überlegenheit der
Impfung
±
±
±
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Kanada:
Netzwerk für
Frauengesundheit
skeptisch
auf 10 Millionen neuseeländische Dollar (5,25 Millionen Euro)
geschätzt.
Wie soll das Screening für Geimpfte aussehen? Genauso wie
das jetzige? Lassen sich dabei Kosten sparen?
Wie lässt sich Aufklärung für die Mädchen und ihre Eltern in
das Impfprogramm integrieren?
Wenigstens zu Beginn könnte die Impfung die gesellschaftliche Ungleichheit bei der Inzidenz von Gebärmutterhalskrebs
noch verstärken ± dann nämlich, wenn die Impfung nicht exzessiv unter Maori-Frauen und Pazifik-Insulanerinnen beworben wird.
Soll die Impfung auch Jungen angeboten werden, die ja als
Überträger fungieren können?
Zurzeit jedenfalls überwiegen die Bedenken. Eine allgemeine HPVImpfung wäre teuer und würde sich gegen ein Problem richten,
das an Bedeutung ohnehin abnimmt. Das Hauptziel, nämlich
die besonderen ethnischen Zielgruppen besser zu schützen,
könnte die Impfung kaum besser erreichen als das relativ erfolgreiche Screening. Überdies könnte die Impfung auch eine falsche
Sicherheit hervorrufen und die Akzeptanz für das Screening senken. Lieûe dann die Schutzwirkung der Impfung wegen Mutationen nach einer Weile nach, könnten die Erkrankungsraten am
Ende sogar wieder steigen.
In Kanada hat schlieûlich die Zentralregierung auf Empfehlung des nationalen Impfkomitees gleich nach der Zulassung
von Gardasil für Impfprogramme 300 Millionen kanadische Dollar (207 Millionen Euro) in den Haushalt des Jahres 2007 eingestellt. Wer den Impfstoff bekommen und ob der Zugang kostenlos sein soll, ist die Entscheidung der Provinzen und Territorien.
Die weitaus gröûte Provinz, Ontario, bietet etwa 84.000 Mädchen
in den achten Klassen die kostenlose Impfung an. ¾hnliche
Angebote machen auch Nova Scotia, Neufundland und Labrador
sowie Britisch-Kolumbien.
Eine Debatte um die Impfung entbrannte in Kanada erst, als
die politischen Beschlüsse schon gefallen waren. Viele Forscher
und das Netzwerk für Frauengesundheit hätten sich mehr Erfahrungen vor der Einführung breiter Impfprogramme gewünscht.
Eine stark beachtete wissenschaftliche Arbeit beurteilte das Pro66
gramm als verfrüht und kam zu der Annahme, dass eine ähnlich
hohe Investition in Abstrichuntersuchungen mehr Wirkung gezeigt hätte. Das Impfkomitee und die nationale Gesundheitsagentur verteidigten dagegen ihre Entscheidung.
Nach den Erkenntnissen des Netzwerks für Frauengesundheit
scheitert angemessene einschlägige Primärversorgung in Kanada
am Fehlen weiblicher Fachkräfte, an Zeitmangel, direkten und
indirekten Kosten für die Betroffenen, an der Kinderversorgung,
sprachlichen und kulturellen Unterschieden, Sicherheitsbedenken wegen Missbrauchserfahrungen und der Haltung von ¾rzten
gegenüber dem Gebärmutterhalskrebs. Zudem könne die Impfung von männlichen Jugendlichen die Verbreitung des Virus
verringern.
Auf der anderen Seite steht, neben den so rasch überzeugten
Behörden, das Lobbying von Merck Frosst, der kanadischen Herstellerfirma von Gardasil.
Befürworter und Kritiker teilen aber die Auffassung, dass die
Impfung in jedem Falle nur Teil einer breiteren Strategie sein
kann, die auch ein gesundes Sexualverhalten und Lebensstilentscheidungen einschlieût ± beispielsweise nicht zu rauchen und
Präventionsangebote wahrzunehmen.
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70
Krankenkassen: Payer und Player
Nach den Regeln der neoklassischen Wirtschaftslehre, wie sie in
den 90er Jahren weltweit wieder in Mode kamen, sind die Rollen
von Anbieter und Nachfragendem, Käufer und Verkäufer stets
und überall klar zu trennen. Will man Kosten vermeiden, müssen sie zunächst eindeutig einem Wirtschaftssubjekt zugeordnet werden. Wer das versäumt, beschwört nach dieser Lehrmeinung die Gefahr herauf, dass Kosten unkontrolliert wuchern.
Es fehlt ihnen der Gegenspieler. Wer an einer Leistung direkt
oder indirekt verdient, wird kein oder nur ein schwer kalkulierbares Interesse daran haben, diese Leistung auch so billig wie möglich zu erbringen; dieses Interesse hat nur der Leistungsempfänger.
Für den Gesundheitssektor bedeutet der ökonomische Imperativ, dass öffentliche Krankenkassen wie private Krankenversicherer oder, in steuerfinanzierten Systemen, der Staat sich streng
auf die Rolle des Finanziers (Kostenträgers) zu beschränken haben.
Für die Rolle des Anbieters (Leistungserbringers) sind danach
andere Systeme zuständig. Oftmals handelt es sich dabei um den
Privatsektor, oder aber ± nach dem »purchaser-provider split« ±
um vom Finanzier getrennte staatliche Institutionen. Das deutsche Gesundheitswesen kommt dem neoklassischen Ideal also
durchaus nahe: Die Kassen übernehmen bzw. erstatten die Kosten der Versorgung. Auf das Angebot aber nehmen sie im Prinzip nur indirekt ± als Groûkunden ± Einfluss.
Damit hat Deutschland ± wie auch Frankreich ± nach herrschender Wirtschaftslehre die sauberste Variante gewählt: Die
Kassen wachsen als Finanziers in die Rolle des Wächters über
die Kostenentwicklung und achten darauf, die Zahl der Leistungen angemessen und die Preise im Rahmen zu halten. Die privat
71
Liberale Lehre:
Krankenkassen
nur Finanziers
Payer und Player
in einem
Kassen zeigen,
dass es auch
billiger geht
Trend zu Kassen
als Player
organisierten Anbieter wetteifern wie die Händler auf dem Markt
um das beste Produkt und/oder den niedrigsten Preis.
Andere Systeme kennen die Trennung von Kostenträger und
Leistungserbringer nicht oder handhaben sie weniger streng. Bei
den israelischen Krankenkassen ist der Finanzier ± trotz einer
Öffnungsklausel aus der Mitte der 90er Jahre ± meistens zugleich
der Anbieter. Man geht nicht in die nächstgelegene oder in
irgendeine Klinik, sondern in die Klinik seiner Krankenkasse. In
der Primärversorgung tätige ¾rzte sind zu 99 Prozent entweder
direkt bei einer der vier Kassen angestellt oder als fester Vertragspartner an eine Kasse gebunden (Rosen 2003: 6). Die gröûte
Krankenkasse, Clalit, hält zugleich jedes dritte Akutkrankenbett
im Lande vor (Rosen 2003: 8).
Aber auch in Ländern, die im Prinzip die deutsche und französische Trennung von Kostenträger und Leistungserbringer vollzogen haben, bieten Kassen manchmal eigene Dienste an. Teils
tun sie es einfach »aus historischen Gründen«, etwa weil organisatorische Trägheit sie daran hindert, den abstrakten Geboten der
Wirtschaftslehre zu folgen. Teils aber auch mit Hintergedanken:
etwa um einem gröûeren, in seiner Bedeutung unbestrittenen,
aber eben auch teureren Privatsektor produktive Konkurrenz zu
machen. Diese Rolle spielen etwa kasseneigene Ambulatorien in
Österreich, deren Bedeutung in den letzten Jahrzehnten allerdings stark zurückgegangen ist (Hofmarcher und Durand-Zaleski 2004: 212).
Nach neoklassischer Lehre stellt das israelische wie das österreichische Modell eine ordnungspolitisch unsaubere Vermischung der
Rollen dar, die Kosten verschleiert und damit in die Höhe treibt.
Ungeachtet dieser akademischen Weisheit geht der Trend in
jüngster Zeit allerdings wieder in die andere Richtung: Vom reinen »Payer« werden die Krankenkassen vermehrt zum »Player«.
In der Schweiz sind schon seit 1995 Krankenkassen neuen Typs
entstanden, die zugleich Leistungen anbieten (Hofmarcher und
Durand-Zaleski 2004: 209). Dieselbe Tendenz kommt auch im
deutschen Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung zum Ausdruck, das im April 2007 in
Kraft trat und die Vertragsfreiheit der Kassen ausweitet.
Hintergrund des neuen Trends ist die Erkenntnis, dass Kostenkontrolle rein aus der Rolle des Finanziers nicht so gut funk72
tioniert, wie die Lehre suggeriert. Besonders im Gesundheitswesen
erfordert das Urteil über Leistungen und damit auch über deren
Kosteneffizienz ein solches Maû an Sachverstand, dass die üblichen Marktmechanismen nicht greifen. Ob eine Leistung im Einzelfall angemessen ist und ob sie kosteneffizient erbracht wurde,
kann in vielen Fällen weder der Leistungsempfänger noch der
Finanzier angemessen beurteilen. Kassen sind manchmal selbst
dann überfordert, wenn ihnen gut aufbereitete statistische Daten
zur Verfügung stehen. Die Wissenschaft kennt das Problem als
»asymmetrischen Informationsstand« (Hofmarcher und DurandZaleski 2004: 207).
Diese Überforderung kommt die Versicherten teuer. Wenn ¾rzten ihre individuellen therapeutischen Entscheidungen mittels
Durchschnittswerten vorgegeben werden, wehren sie sich häufig
mit dem Hinweis auf schwer verallgemeinerbare Einzelfälle. Wirklich zufriedenstellend kontrollieren können die Kassen solche Einwände nicht, denn konkret ist immer nur der Einzelfall. Was die
Kassen an »erfahrungsbasierter Therapie« und »best practice«
dagegensetzen mögen, ist dagegen immer nur eine Abstraktion.
Was den »purchaser-provider split« angeht, legt die Erfahrung
inzwischen Ernüchterung nahe. Das Axiom der Kostentransparenz, wie es die Wirtschaftslehre propagiert, hatte bei diversen
Gesundheitsreformen in Groûbritannien Pate gestanden. Das Ergebnis war aber keine Kostendämpfung. Vielmehr führten die
Reformen dazu, dass die privaten Leistungserbringer wesentlich
mehr Freiheiten genieûen durften. Was der nationale Gesundheitsdienst in seiner Rolle als Kostenkontrolleur einsparte, investierte er zu Beginn der NHS-Modernisierung in Saläre und damit
in Anreize für private Leistungserbringer.
Gerade im deutschen Gesundheitswesen wird die Entfremdung der Krankenkassen von der traditionell ärztedominierten
Versorgung seit Langem als Problem empfunden. Eine besonders
schmerzliche Lücke zwischen dem Sachverstand der Anbieter
und dem der Kassen klafft in der zahnärztlichen Versorgung. Ein
abgeschirmter Berufsstand und ein kartellartiger, aber gesetzlich
garantierter Ausschluss von Konkurrenz verhindern bis heute,
dass sachkundige Zahnärzte die Qualität der Arbeit ihrer Kollegen wirksam kontrollieren. Mit Vertrauensärzten und dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen, die individuelles Verschrei73
Konkreter
Einzelfall vs.
verallgemeinerte
»best practices«
Groûbritannien:
Kosten klar,
aber hoch
Deutschland:
Entfremdung
zwischen Kassen
und Leistungserbringern
Frankreich und
Japan: Finanzier
und Anbieter zu
scharf getrennt
Israels Mischsystem nicht
ohne Probleme
bungsverhalten kontrollieren sollen, dem »Bundesausschuss Zahnärzte und Krankenkassen« und schlieûlich dem »Gemeinsamen
Bundesausschuss« (G-BA) lieû sich das Problem von jeher nur
ungenügend unter Kontrolle bringen. Den Anbietern blieb die
Macht, das Notwendige und Zweckmäûige zu definieren; das
macht es ihnen möglich, sich in der gesundheitspolitischen Diskussion in die Rolle des »Anwalts der Patienten« zu begeben und
in deren ± vermeintlichem oder tatsächlichem ± Interesse auf der
Besonderheit jedes Einzelfalls zu bestehen.
Frankreich, das an der scharfen Trennung zwischen Finanzier
und Anbietern einstweilen festhält, steht nun bei erhöhten Zuzahlungen vor einer Debatte, in der die ökonomische Logik der
Krankenkassen und die medizinisch-fachliche der Leistungserbringer voraussichtlich besonders hart aufeinandertreffen werden
(siehe den Bericht aus Frankreich, S. 75). In Japan schlieûlich
soll die Kluft zwischen der staatlichen, nach kameralistischen
Kriterien wirtschaftenden Volksversicherung, und dem dynamischen Sektor der Anbieter nun mit dem Einzug einer regional
strukturierten Zwischenebene verkleinert werden (siehe den Bericht aus Japan, S. 79).
Der Gedanke, Finanzier- und Anbieterfunktion voneinander zu
trennen, ist nicht per se obsolet. In welche sachfremden Zwänge
ein System geraten kann, in dem der »Payer« zugleich ein »Player«
ist, illustriert das israelische Beispiel. Nach den gegenwärtigen
Plänen der Regierung soll eine neue, fünfte Krankenkasse vorwiegend zu dem Zweck geschaffen werden, die vorhandenen staatlichen Groûkrankenhäuser auszulasten (siehe den Bericht aus
Israel, S. 83). Statt diesem oder jenem ökonomischen Dogma zu
folgen, werden Gesundheitspolitiker daher künftig gut daran
tun, für ihr System eine genuine Lösung zu finden.
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Frankreich: »Schutzschild« gegen zu hohe Zuzahlungen
Gebietet eine Kasse nur über die Finanzierung, ist die Versuchung
groû, Probleme auf die Versicherten abzuwälzen, statt bei den
Anbietern zu sparen. Franzosen leisten neben ihren Versicherungsbeiträgen im Bedarfsfall schon heute hohe Zuzahlungen
zu stationärer und ambulanter Behandlung und zu Arzneimitteln. Diese Zuzahlungen werden aber von den Zusatzversicherungen, den »Mutuelles«, die fast jeder hat, bislang aufgefangen.
Nun sollen die Zuzahlungen mit dem Programm von Präsident
Nicolas Sarkozy auf weitere Leistungen ausgedehnt werden und
bestehende noch weiter steigen. Die Vorschläge stoûen aber in
der Öffentlichkeit auf groûen Widerstand.
Die Selbstbeteiligung soll so sehr erhöht werden, dass Teile
der Bevölkerung durch sie vom Arztbesuch abgehalten werden
könnten. Nach dem Programm Sarkozys etwa soll der erste Euro,
75
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Befreiungen für
überproportional
Belastete
Befreiung gilt für
Krankheiten,
nicht für Kranke
den ein Arztbesuch kostet, nicht mehr erstattet werden, bis eine
jährliche Grenze von 50 Euro erreicht ist. Dazu sollen 50 Cent
für jedes gekaufte Medikament sowie für Besuche bei nicht ärztlichen Leistungserbringern und zwei Euro für jeden Krankentransport einbehalten werden, erneut mit einer jährlichen Zuzahlungsgrenze von 50 Euro. Mit den gesparten Geldern sollen neue
Versorgungsbedarfe, etwa von Alzheimer-Kranken, finanziert
werden. Gleichzeitig steht bis zum Sommer 2008 eine öffentliche
Diskussion über die Finanzierung des Gesundheitswesens auf
der politischen Agenda ± eine neue Aufteilung der Finanzierungszuständigkeiten zwischen verpflichtender (gesetzlicher) Krankenversicherung und freiwilliger Zusatzversicherung ist angekündigt.
Dass die Zuzahlungen bereits heute immer mehr Bedürftigen
den Zugang zu Leistungen versperren, wird als Problem zwar allgemein erkannt. Am generellen Prinzip soll sich nach dem Willen der Regierung allerdings nichts ändern. Stattdessen soll für
Geringverdiener nun ein »Schutzschild« eingeführt werden, der
sie gegen übermäûige Belastungen wappnen soll. Gemeint sind
mit dem »Schutzschild« (cordon sanitaire) Befreiungen, Höchstund Schwellenbeträge, wie sie auch das deutsche Krankenversicherungssystem kennt. Über die genaue Ausgestaltung des
Schutzsystems wird in Fachkreisen intensiv diskutiert.
Ausgenommen von Zuzahlungen ist in Frankreich schon jetzt,
wer zu den sieben Prozent der Bevölkerung mit dem geringsten
Einkommen gehört, und wer laut der Diagnose eines Arztes unter
einer von 30 »schweren und teuren Krankheiten« auf einer staatlichen Liste leidet. Dazu zählen etwa Krebs, schwere chronische
und langwierige psychische Krankheiten.
Von der Zuzahlung befreit sind in letzterem Fall aber nicht
die Kranken, sondern die Krankheiten. Wer an Krebs leidet, bekommt also seine Zytostatika umsonst, muss aber für alle Medikamente gegen Leiden, die mit dem Krebs nicht ± oder nicht
beweisbar ± in unmittelbarem Zusammenhang stehen, genauso
zuzahlen wie jeder andere auch.
Berechnungen legen nun nahe, dass es sich dabei um eine
künstliche, von der Sache her nicht zu rechtfertigende Unterscheidung handelt. Krank sein ist teuer: Nach einer Schätzung
zahlen 16 Prozent der Patienten, die an einer »schweren und teu76
ren Krankheit« leiden, trotz Befreiung im Jahr mehr als 500 Euro
allein für ambulante Behandlungen zu. Von denen, die nicht an
einer »schweren und teuren Krankheit« leiden, sind nur neun
Prozent so stark belastet.
Der Hohe Rat für die Krankenversicherung hat ausgerechnet,
dass darüber hinaus 2,3 Millionen Franzosen im Jahr mehr als
500 Euro für ihre stationäre Behandlung ausgeben müssen. Die
meisten von ihnen verfügen allerdings über eine freiwillige Zusatzversicherung, zumeist bei einer »Mutuelle« auf Gegenseitigkeit, die diese hohen Zuzahlungen abdeckt. Für acht Prozent der
Bevölkerung ± zumeist aus einkommensärmeren Schichten ± gilt
das aber nicht.
Der noch näher zu bestimmende »Schutzschild« soll nicht nur
besonders anfälligen Bevölkerungsgruppen den Weg zu medizinischer Versorgung ebnen. Gleichzeitig sollen die Schwellen und
Ausnahmen des Versicherungssystems und die Mittel der Ausgabenkontrolle vereinfacht werden.
Aufgebracht hat die Idee vom Schutzschild Martin Hirsch,
ein angesehener Politiker und Sozialaktivist, der bisher die Emmaus-Stiftung des Arbeiterpriesters AbbØ Pierre leitete. Sarkozys
Strategie der Öffnung, die auch dem sozialistischen Auûenminister Bernard Kouchner ins Amt half, machte aus Hirsch den
»Hochkommissar für die Solidarität gegen die Armut«. Er fürchtete eine zu hohe Belastung für Einkommensschwache unter Sarkozys neuem System der Zuzahlungen.
Gemeinsam mit dem Gesundheitsminister gab Hochkommissar Hirsch bei zwei Experten ein Gutachten über die verschiedenen Möglichkeiten eines »Schutzschilds« in Auftrag. Die möglichen Modelle lassen sich nach dem Gutachten grob in zwei
Gruppen aufteilen: in die »zielorientierten« und die »rückzugsorientierten«.
Nach dem »zielorientierten« Modell wird auf alle ambulanten
Gesundheitsleistungen so lange eine immer gleiche prozentuale
Zuzahlung erhoben, bis das fixierte Jahresmaximum erreicht ist.
Ausgenommen von den Zuzahlungen sind nur Schwangere und
Sozialhilfeempfänger, die schon jetzt eine ganze Reihe von Leistungen unentgeltlich gewährt bekommen. Für die Festsetzung
des Jahresmaximums sind wiederum zwei Prinzipien möglich:
entweder der gleiche Betrag für alle oder ein Maximum, gemes77
Die meisten
Franzosen sind
gegen Zuzahlungen
versichert, . . .
. . . den Rest soll
der Schutzschild
schützen
Zwei Arten, den
»Schutzschild«
anzufertigen
Populistische
Scheindiskussion
Auswirkungen auf
die freiwillige
Versicherung
sind unklar
sen am Haushaltseinkommen. Nach einem Vorschlag sollen für
die Höhe des Jahresmaximums fünf Einkommensgruppen gebildet werden. Für ambulante und stationäre Behandlung sollen
verschiedene Jahresmaxima gelten.
Nach dem »Rückzugsmodell« sollen unterschiedlich hohe
prozentuale Zuzahlungen erhoben werden, je nachdem, ob der
Versicherte an einer teuren und langwierigen Krankheit leidet
oder nicht.
Die Verlierer, so die beiden Experten, wären in beiden Fällen
die Patienten mit der »schweren und teuren Krankheit«, die für
ihre besonderen Ausgaben zurzeit von Zuzahlung ausgenommen sind. Wie viel die anderen gewinnen könnten, hinge von
der Höhe des Jahresmaximums ab. Läge es bei 900 Euro, würden
fünf Prozent der Bevölkerung profitieren, bei 400 Euro wären es
schon 26 Prozent. Soll derselbe Betrag einbehalten werden, so
müsste der prozentuale Selbstbehalt bei dem hohen Jahresmaximum 25 Prozent, beim niedrigen Jahresmaximum aber 40 Prozent betragen. Den meisten Versicherten allerdings könnte es
egal sein: Sie haben ohnehin eine Zusatzversicherung.
Die öffentliche Debatte konzentriert sich einstweilen noch auf
die erhöhten Zuzahlungen, wie Präsident Sarkozy sie durchsetzen will; vom »Schutzschild« für die, die sich das neue System
nicht mehr werden leisten können, ist bisher noch kaum die
Rede. In Fachkreisen herrscht Skepsis, dass das Modell zu kompliziert sein könnte. Einfacher wäre, heiût es, Minderbemittelten
die fehlende Zusatzversicherung einfach zu schenken.
Grundsätzliche Kritiker wenden sich dagegen, dass chronisch
Kranke unter dem Regime des »Schutzschilds« doppelt leiden
müssten: einmal unter den physischen und psychischen Folgen
ihrer Krankheit und dann noch unter Zuzahlungen, von denen
sie gegenwärtig noch ausgenommen sind.
Noch nicht recht absehbar sind für die Gutachter die möglichen Wirkungen des »Schutzschilds« auf die freiwillige Krankenversicherung, die sich ja vor allem von der Risikoabdeckung für
Zuzahlungen nährt. Nimmt das finanzielle Risiko ab, weil die
gesetzliche Krankenversicherung nicht mehr so exzessiv Selbstbehalte abgreift, können die Prämien für die Zusatzversicherung
sinken. Gut möglich ist aber auch, dass viele Versicherte das
Risiko dann für vernachlässigbar halten und aus ihren Verträgen
78
aussteigen. Übrig blieben am Ende allein die Hochrisikopatienten. Ausgerechnet sie müssten dann besonders hohe Prämien
zahlen.
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Japan: Dezentrale Beiträge und
ein neues Versicherungssystem für Hochaltrige
In Japan werden zwei Komponenten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gründlich reformiert: (1) die von der Regierung gemanagte Krankenversicherung (RKV), d.h. der Teil der
GKV, der für die Angestellten in kleinen Firmen ohne eigene
Betriebskrankenkassen zuständig ist, und (2) die »Gesundheitsversorgung der ¾lteren« (Gd¾), das die Krankenkassen übergreifende GKV-System für ältere Personen. Die Reform betrifft zum
einen institutionelle Zuständigkeiten und zum anderen die Finanzierung. So wird der bisher nationale Beitragssatz in der RKV
79
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Dritte Ebene
zwischen
Versicherten und
Verwaltung
Ursprünglich
andere Pläne
Neue Gesellschaft
setzt für jede
Region die
Beiträge fest
regionalisiert, und die über 75-Jährigen in der Gd¾ sollen sich
künftig, ihrem Einkommen entsprechend, an ihren Krankheitskosten beteiligen ± bei einer besseren Versorgung, wie beteuert wird.
Mit der Gesundheitsreform des Jahres 2006 hat Japan die
RKV, die rund 28 Prozent der Bevölkerung versichert und bisher
von der Regierung selbst zentral gemanagt wird, auf neue Füûe
gestellt: Die Zuständigkeit wird einer bis Oktober 2008 zu gründenden »nationalen Krankenversicherungsgesellschaft« übertragen und innerhalb dieser wesentliche Aufgaben an regionale Einheiten weiter dezentralisieren. Die Reform folgt dem Trend, die
Aufgaben staatlicher Groûverwaltungen an kleinere, spezialisierte
Einheiten zu delegieren; eine Privatisierung ist nicht damit verbunden. Die Ziele der Reform sind: den Verwaltungsangestellten
mehr Verantwortung zu übertragen, das Management zu verbessern, die finanzielle Stabilität zu erhöhen, eine bessere Verwaltungspraxis anzuregen und mehr Gerechtigkeit zu schaffen.
Das Reformvorhaben sah ursprünglich anders aus: Die Regierung wollte die RKV dezentralisieren und zu diesem Zweck der
schon bestehenden und mit anderen Aufgaben befassten staatlichen Agentur für soziale Sicherheit unterstellen. Dann aber geriet eben diese Agentur wegen Misswirtschaft in der Öffentlichkeit wie auch im Parlament unter heftigen Beschuss.
Als Konsequenz aus den Attacken gründete das Ministerium
eine Arbeitsgruppe zur Reform der Agentur. In ihrem Bericht
schlug die Arbeitsgruppe vor, die Agentur gleich ganz aufzulösen
und nur für die Verwaltung der öffentlichen Krankenversicherung eine eigene Körperschaft zu bilden. Die Regierung folgte dem
Vorschlag. Der Betriebsbeginn für die neu zu gründende »Nationale Krankenversicherungsgesellschaft« wurde für Oktober 2008
angesetzt.
Eine wesentliche Kompetenz der neuen Gesellschaft soll die
Festsetzung der Beitragssätze sein. Unter einem Geschäftsführer, der vom Gesundheitsministerium ernannt wird, soll die neue
Gesellschaft in allen 47 Präfekturen Filialen ins Leben rufen.
Damit sollen regionale Präferenzen besser umgesetzt werden.
Für die Ebene jeder einzelnen Präfektur soll in Zukunft auch der
Beitragssatz festgelegt werden. Auf Basis der demographischen
Verhältnisse und der Höhe der Einkommen soll die Gesellschaft
den Beitragssatz so festsetzen, dass Einnahmen und Ausgaben
80
einander die Waage halten. Die Festsetzung der regionalen Beitragssätze erfolgt jedoch zentral; die Filialen müssen nur gehört
werden. Das letzte Wort schlieûlich hat der Minister.
Ein ebenfalls neuer landesweiter Ausgleich analog zum deutschen Risiko-Struktur-Ausgleich ist dazu da, entstehende Ungleichgewichte auszugleichen. Für das Erheben der Beiträge ist
nach wie vor der Staat zuständig. Jedes Jahr soll die Gesellschaft
berichten und alle zwei Jahre eine Finanzprognose für die nächsten fünf Jahre erstellen.
Erwartet wird von der Reform vor allem eine Vereinfachung
der Verwaltung. Probleme könnten allerdings entstehen, weil nun
die Eintreibung der Beiträge und ihre Verwaltung nicht mehr in
einer Hand sind ± ein Argument, das ja auch in Deutschland
gegen den Gesundheitsfonds ins Feld geführt wurde, das aber
verkennt, das dies in der Mehrzahl der Bismarck'schen Sozialversicherungsländer inzwischen der Fall ist. Dass es mit der Dezentralisierung der Beitragssätze zu regionalen Verwerfungen kommen könnte, wird weniger problematisch gesehen. Schlieûlich
hat die neue Gesellschaft ja die Mittel, solchen Verwerfungen
über einen Finanzausgleich entgegenzuwirken.
Gleichzeitig mit der Dezentralisierung sah Japan sich gezwungen, sein System der Alterskrankenversicherung zu reformieren.
Seit den 80er Jahren waren Japaner ab dem 70. Geburtstag nach
besonderen Regeln versichert: Sie entrichteten neben ihren Versicherungsbeiträgen nur Zuzahlungen von 10 Prozent, während
der Rest der Bevölkerung Zuzahlungen in Höhe von 30 Prozent
leistete. Die rapide Alterung der japanischen Gesellschaft hat dieses System nun an seine Grenzen gebracht und wurde umgestaltet. So wurde die Grenze, ab der Personen der Gd¾ angehören,
von 70 auf 75 Jahre angehoben. Zugleich wurden die Zuzahlungen für besserverdienende ¾ltere in zwei Stufen auf 20 Prozent
und später 30 Prozent angehoben (siehe Gesundheitspolitik in Industrieländern 7/8, S. 80). Künftig sollen die über 75-jährigen Versicherten nun auch noch höhere Beiträge zahlen, um so das Gd¾System nachhaltiger zu finanzieren. Auch organisatorisch wurde
das System umgestaltet; die Zuständigkeit liegt nunmehr seit
April 2008 bei den Präfekturen.
Den Anstoû für eine grundsätzliche Reform gab das Parlament.
Mit der Gesundheitsreform von 2006 erteilten die Abgeordneten
81
Eintreiben und
Verwaltung der
Beiträge getrennt
Zuzahlungen
künftig auch
für Patienten
über 75
Diskussion sowohl
ethisch als auch
finanziell
Rasanter
demographischer
Wandel ist teuer
Trotz Grundsatzdebatten ± am
Ende zählt die
Beitragshöhe
der Regierung den Auftrag zu einer Neuorientierung der Gd¾.
Kurz darauf rief die Regierung eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe zusammen, bestehend aus einem Gesundheitsökonomen, vier ¾rzten,
einer Gemeindekrankenschwester und drei Patientenvertretern.
Die Arbeitsgruppe sollte zunächst die kontroversen ethischen
Fragen behandeln, die sich an die Versorgung alter und sterbender Menschen knüpfen. Als Grundlagen für ein System der
Zukunft definierte die Arbeitsgruppe als verbindliche Werte
zunächst allgemein das Leben, die Würde und die Sicherheit der
alten Menschen. Nach verbreiteter Auffassung klaffen Werte und
Realität auch in Japan auseinander. So sterben hier 80 Prozent
der Menschen in medizinischen Einrichtungen statt, wie es sich
die meisten wünschen, in der Familie.
Seinem ethischen Zugang entsprechend beschränkt das Papier sich nicht auf Finanzierungsprobleme, sondern enthält auch
Vorschläge zur Verbesserung der Palliativpflege und der Versorgung chronisch Kranker, konkret eine bessere Integration der
Leistungen verschiedener Anbieter.
Hintergrund des noch vagen Reformvorhabens ist die rasante
Alterungsrate. Hatten 1990 noch 4,84 Prozent der japanischen
Bevölkerung das 75. Lebensjahr vollendet, so waren es im Jahr
2000 schon 7,1 Prozent. Demographen erwarten, dass der Trend
sich unvermindert fortsetzt: Für 2010 werden schon 10 Prozent
über 75-Jährige prognostiziert, für 2020 gar 15 Prozent. Japaner
haben auf der Welt die höchste Lebenserwartung. Jungen, die im
Jahr 2003 geboren wurden, stehen nach der Statistik vor einer
Lebenszeit von 78,4 Jahren, Mädchen leben im Durchschnitt
sogar mehr als 85 Jahre (zum Vergleich Deutschland: Jungen
76,2 und Mädchen 81,8 Jahre). Der Weltrekord hat seinen Preis:
Schon im Jahre 2005 entfielen auf die Gruppe der Alten 28,8 Prozent der gesamten Gesundheitskosten Japans. Die Ausgaben der
Pflegeversicherung sind in den Betrag noch nicht eingerechnet.
Ein konkretes Ergebnis hat die rege öffentliche Debatte noch
nicht hervorgebracht. Bei aller Allgemeinheit, Wertgebundenheit
und Grundsatzorientierung konzentrieren sich alle Beteiligten
doch auf die Frage, wie das neue Versicherungssystem für alte
Menschen konkret aussehen soll, wie hoch die Beiträge und Zuzahlungen ausfallen und wie sich das finanzielle Risiko auf die
Betroffenen und die Jüngeren verteilt.
82
Literatur und Links
Matsuda, Ryozo. »Delegation of Government-Managed
Health Insurance«. Health Policy Monitor. Oktober 2007.
www.hpm.org/survey/jp/a10/3.
Matsuda, Ryozo. »Delivering appropriate care for the aged«.
Health Policy Monitor. März 2007. www.hpm.org/survey/
jp/a9/2.
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Israel: Eine fünfte Krankenkasse für wechselnde Zwecke
Nach jahrelanger Diskussion ermöglicht ein Kabinettsbeschluss
in Israel die Gründung einer fünften Krankenkasse ± wenn auch
einer ganz anderen als zunächst geplant. Was eine Konkurrenz
und Herausforderung für das öffentliche Versicherungssystem
hätte werden sollen, wird nun aller Voraussicht nach eher zu
einem weiteren Pfeiler des Systems ± und zu einem, der ausgerechnet die staatlichen Groûkrankenhäuser einer früheren Epoche stützen soll.
Am Anfang der Debatte stand die Idee des Finanzministeriums, die bestehenden vier Kassen mittels privater Konkurrenz
zu effizienterem Wirtschaften anzuregen. Nach dem Eintritt der
Arbeiterpartei in die Regierung machte sich gegen diese Intention allerdings Skepsis breit. Im Vordergrund stand nun die Sorge,
dass die neue Kasse sich die guten Risiken sichern und den bestehenden vier anderen die schlechten überlassen könnte. Jetzt
schlieûlich soll die Idee von der fünften Kasse doch noch Wirklichkeit werden ± wenn auch in erheblich modifizierter Form.
Nach dem ursprünglichen Plan hätte die neue Kasse als einzige gewinnorientiert wirtschaften dürfen. Sie hätte zudem pro
83
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Private Konkurrenz
für bestehende
Kassen
Neue Kasse sollte
nur »Payer«, nicht
»Player« sein
Konflikt zwischen
Finanz- und
Gesundheitsminister
Die Fachwelt
war skeptisch
Die fünfte Kasse ±
im neuen Gewand
Versichertem weniger öffentliche Mittel bekommen als die anderen Krankenkassen. Auf diese Weise hätte sie unter Beweis stellen
sollen, dass man mit dem verfügbaren Geld besser wirtschaften
und die Verwaltungskosten niedrig halten kann (siehe Gesundheitspolitik in Industrieländern 4, S. 66).
Auch hätte die neue Kasse nach dem ursprünglichen Plan
keine neue Gesundheitsinfrastruktur ± wie Krankenhäuser und
Polikliniken ± schaffen sollen, sondern lediglich die Behandlung
ihrer Mitglieder in bestehenden Einrichtungen finanzieren dürfen ± also nicht »Player«, sondern nur »Payer« sein. Auch das
war ein Bruch mit dem überkommenen System: Normalerweise
unterhalten Krankenkassen in Israel selbst in groûem Stil Versorgungseinrichtungen.
Treibende Kraft hinter dem Vorhaben war, den fiskalischen Zielen der Reform entsprechend, der Finanzminister. Im Gesundheitsministerium dagegen bestanden von Anfang an Bedenken,
die sich auf die Gleichheit und Gerechtigkeit im System richteten. Befürchtet wurden relative Nachteile vor allem für ¾ltere
und chronisch Kranke. Irgendwie würde eine gewinnorientiert
arbeitende Kasse Wege finden, sich von schlechten Risiken fernzuhalten, so die Befürchtung ± und sei es durch die Wahl der
Filialen, die man zur Kostenreduktion vorwiegend in den wohlhabenden Zonen der groûen Städte ansiedeln würde.
Die Initiative zur Gründung der fünften Kasse entwickelte
sich schleppend. Zwar fand sie Freunde, vor allem unter den privaten Anbietern im Gesundheitswesen ± etwa den Apothekern,
die hofften, dass eine private Krankenkasse mehr bei privaten
Anbietern einkaufen würde als eine öffentliche. Aber in der
Öffentlichkeit und in gesundheitspolitischen Fachkreisen überwog die Skepsis.
Das Adva-Institut für Sozialforschung, das sich der Idee der
sozialen Gerechtigkeit verbunden fühlt, geiûelte den Vorstoû als
Ergebnis »neoliberaler Ideologie« und Bedrohung für eine allgemein zugängliche Gesundheitsversorgung. Schlieûlich blieben
sogar Zweifel, ob sich überhaupt ein Versicherungskonzern finden würde, der unter den schwierigen Bedingungen und in dem
kritischen Umfeld in das Geschäft einstiege.
2007 initiierte das Sheba Medical Center, mit 1.700 Betten der
gröûte Krankenhauskomplex im Lande, ein neues Konzept für
84
die fünfte Krankenkasse. Wie die bestehenden vier Kassen sollte
sie nach den Vorstellungen des Betreibers nicht gewinnorientiert
arbeiten. Um »Rosinenpickerei« der neuen Kasse bei der Einschreibung der Versicherten zu verhindern, sollte sie im ersten
Jahr nach der Aufnahme des Geschäftsbetriebs 40.000 und nach
drei Jahren schon 130.000 Mitglieder zählen.
Auch die anfängliche Bestimmung, dass die neue Kasse keine
eigenen Einrichtungen vorhalten sollte, wurde aufgegeben. Dafür
verband sich die Idee der fünften Kasse von nun an mit einem
ganz anderen Zweck. Staatliche Krankenhäuser, wie das riesige
Sheba-Hospital in Zentral-Israel, führen seit Langem Klage darüber, dass die groûen Kassen wie Clalit und Maccabi ihnen keine
Patienten mehr überweisen. Stattdessen dirigieren die groûen
Kassen ihre Mitglieder lieber in ihre eigenen Einrichtungen ±
etwa in das neue Assuta-Krankenhaus in Tel Aviv, das Maccabi
gehört. In der letzten Zeit hat sich dieser Trend noch verschärft:
Clalit und Maccabi schicken, um Kosten zu sparen, inzwischen
selbst ihre Krebspatienten und andere Schwerkranke nicht mehr
in die groûen staatlichen Häuser. Diese allerdings tragen weitgehend die Last der Forschung und der Spitzenversorgung.
Hinzu kommt, dass die beiden gröûten Kassen ihre Kleinchirurgie-Patienten neuerdings gern an kleinere Privatkliniken überweisen. Diese Praxis nimmt den staatlichen Krankenhäusern den
einzigen Zweig, in dem sie noch wirtschaftlich arbeiten können.
Der Streit um die Überweisungen wirft ein Schlaglicht auf die
Probleme von Systemen, in denen Finanzierung und Versorgungsangebot in einer Hand sind.
Um sich von interessegeleiteter Überweisungspraxis unabhängig zu machen, sind die groûen staatlichen Krankenhäuser an
einer direkten Verbindung mit einer Kasse interessiert. Nur wenn
sie »ihre« Kasse haben, glauben sie, lässt sich im israelischen System auf längere Sicht ein Zustrom an Patienten sichern, der ihnen
das wirtschaftliche Überleben sichert. So galt (wie erwähnt) die Klinik Sheba als treibende Kraft hinter dem neuen Konzept für die
fünfte Kasse.
Ob das ursprüngliche Ziel, über Konkurrenz die Effizienz der
bestehenden Krankenkassen zu bessern, auch wirklich erreicht
wird, stöût bei Experten auf Zweifel. Die neue Kasse steht bereits
jetzt in dem Verdacht, bessere Leistungen nur rund um ihre eige85
Harte Konkurrenz
zwischen
Krankenhäusern
Groûkliniken
wollen »eigene«
Kasse
Wem nützt,
wem schadet
Kasse Nr. 5?
nen Zentren anzubieten, also etwa in der Nähe des Sheba-Krankenhauses bei Tel Aviv. Sicher ist zunächst nur, dass die bestehenden Krankenkassen Mitglieder und damit Einnahmen verlieren
würden, ihre Infrastruktur aber nicht in gleichem Maûe einschränken könnten ± wenigstens dann nicht, wenn der Mitgliederschwund sich gleichmäûig auf ganz Israel erstreckt. Entsprechend müssten sie eher teurer als billiger werden.
Auch die Befürchtung, dass die neue Kasse sich die Rosinen
aus dem Kuchen picken könnte, ist noch immer nicht ausgeräumt. Zwar wird erwartet, dass die fünfte Kasse mehr Auswahlmöglichkeiten, kürzere Wartezeiten beim Facharzt und eine bessere Verbindung zwischen dem primären, dem sekundären und
dem tertiären Sektor der Gesundheitsversorgung bieten könnte.
Auf der anderen Seite könnte der neue Konkurrent sich aber verlockt fühlen, mit guten, vor allem aber mit gut sichtbaren Leistungen die jungen und gesunden Beitragszahler anzusprechen
und die chronisch kranken und älteren Patienten eher auf Distanz zu halten.
Literatur und Links
Gross, Revital, Reuven Kogen, Shlomo Noi und Noa Ecker.
»Establishing a Fifth Sick Fund«. Health Policy Monitor.
Oktober 2007. www.hpm.org/survey/is/a10/4.
Gross, Revital, Alec Aviram und Gabi Ben Nun. »For profit
Health plan«. Health Policy Monitor. April 2005. www.
hpm.org/survey/is/a5/5.
Gross, Revital, Alik Aviram, Gabi Ben Nun und Boaz Lev.
»For-profit Sick Fund«. Health Policy Monitor. Oktober
2004. www.hpm.org/survey/is/a4/1.
86
Qualitätssicherung:
Jagd auf bewegliche Ziele
Nach den Debatten über Kostendämpfung im Gesundheitswesen,
wie sie in vielen Industriestaaten in der zweiten Hälfte der 70er
Jahre entbrannten, folgte logisch die Debatte über Qualität: Eine
Gesellschaft, die sich der steigenden Kosten für das Gesundheitswesen bewusst war, verlangte für ihr Geld wertvolle und zweckmäûige Dienstleistungen.
In Deutschland ist Qualitätssicherung seit 1993 rechtsverbindlicher Bestandteil der ärztlichen Versorgung. Eine erste Initiative ± zur Senkung der Sterblichkeit bei der Geburt ± geht auf
die Jahre 1975 bis 1977 zurück. Historisches Urbild einer erfahrungsbasierten Qualitätssicherung ist die Entdeckung des zeitlebens verkannten Pioniers Ignaz Semmelweis (1818±1865). Der
ungarische Gynäkologe fand durch Beobachtung heraus, dass die
Müttersterblichkeit in einer Abteilung des Wiener Krankenhauses, in der ¾rzte und Medizinstudenten die Geburtshilfe betrieben, viel höher lag als in einer anderen, wo Hebammenschülerinnen ausgebildet wurden. Semmelweis entdeckte, dass die Mediziner sich ihre Hände bei Obduktionen mit pathogenen Keimen
verschmutzt hatten, und empfahl die Desinfizierung mit Chlorkalk.
Trotz vieler Anstrengungen gibt es bis heute weltweit kein allgemein und dauerhaft anerkanntes System, Qualität im Gesundheitswesen zu beurteilen. In der Geburtshilfe hat das System
zwar eine 150-jährige Tradition. Manche Fachgebiete aber, wie
die Innere Medizin, gelten immer noch als besonders schwierig.
Die Messbarkeit des Ertrages, Voraussetzung für jede sinnvolle
Definition von Qualität, stöût auf grundsätzliche Schwierigkeiten, denn Gesundheit ist ein schwer objektivierbarer Wert. Die
Kriterien für die Qualitätsmessung müssen, neuen Erkenntnis87
Die alte Idee des
Händewaschens
Qualität ist
messbar ± ist
Qualität messbar?
Auditing und
Tracer-Methode
Benchmarking
dient als Indikator
und als Anreiz
sen und veränderten Patientenwünschen entsprechend, immer
wieder neu angepasst werden.
Qualität im Gesundheitswesen ist ein bewegliches Ziel ± und
zudem eines, das mitunter schneller von der Stelle rückt, als wir
uns darauf zubewegen.
Besser steht es um die Methoden, anerkannte Qualitätsindikatoren in die Wirklichkeit umzusetzen. Effizient, aber auch aufwendig ist das Auditing, bei dem neutrale Fachärzte, zum Beispiel Kollegen aus einer anderen Stadt oder einem anderen
Krankenhaus, nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Krankenakten studieren und nach Unstimmigkeiten auswerten.
Leichter, aber nur auf bestimmte Probleme anwendbar, ist die
sogenannte »Tracer«-Methode. Dabei werden Patienten mit bestimmten Diagnosen, die als eine Art Leitmerkmale über das
Funktionieren eines Gesundheitssystems Auskunft geben sollen,
in ihren Karrieren verfolgt. Typische »tracer«-Diagnosen sind in
der Chirurgie zum Beispiel der Leistenbruch, der Oberschenkelhalsbruch, die Blinddarmentzündung, Gallensteine und Dickdarmkrebs. Die Idee ist, dass, wenn für diese Diagnosen Fortschritte erzielt werden, diese notwendig auch anderen Patienten
zugute kommen.
Die systematischen Probleme der Qualitätssicherung im Gesundheitswesen treten besonders da zutage, wo vergleichende
Messung von Fortschritten, sogenanntes Benchmarking, als Indikator und Anreiz eingesetzt wird. In Estland und Neuseeland
werden traditionelle, auf leicht Messbares beschränkte Leistungsanalysen für Kliniken verlangt (siehe die Berichte aus Estland,
S. 91, und aus Neuseeland, S. 92). In Kanada erstellen sogenannte Qualitätsräte jährlich zu einzelnen Themen Berichte und
geben konkrete Empfehlungen ab (siehe den Bericht aus Kanada,
S. 94).
Ein sich selbst tragendes System der Qualitätssicherung ist
mit solchen Anstrengungen aber noch lange nicht geschaffen.
Diesem ehrgeizigen Ziel hatte sich eine niederländische Initiative verschrieben, mit der stationäre Versorgung »schneller« und
»besser« hätte werden sollen. Vorbild war die 100.000-Lives-Kampagne in den USA, die sich zum Ziel gesetzt hatte, durch Vermeidung ganz bestimmter, vorab ausgemachter Fehler 100.000
Leben zu retten (Mappes-Niediek und Blum 2007). Nach der nie88
derländischen Idee hätte Fehlervermeidung im Krankenhaussystem selbst ihren systematischen Ort finden sollen. Obwohl das
Land auf dem Gebiet der Qualitätssicherung eine ehrwürdige
Tradition und einige hochqualifizierte Institutionen vorweisen
kann, blieb das Vorhaben stecken. Wenige Ziele wurden messbar
erreicht, vieles blieb im Ungefähren (siehe den Bericht aus den
Niederlanden, S. 98).
Wie in der Industrie wird im Prinzip auch im Gesundheitswesen zwischen Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität unterschieden.
Unter Strukturqualität fasst man üblicherweise die personellen,
technischen, baulichen und rechtlichen Voraussetzungen eines
Systems zusammen: hier also etwa den Betreuungsschlüssel in
der Pflege, die Ausstattung des Operationssaals oder die Möglichkeit für den Patienten, in angemessener Zeit in einem Krankenhaus behandelt zu werden. Die Prozessqualität umfasst Kriterien
wie Erfüllung professioneller Standards in der Pflege oder die
Anwendung dieses oder jenes Pflegesystems. Die Ergebnisqualität schlieûlich gibt Auskunft darüber, was ein System ± unter
welchen Voraussetzungen und auf welche Weise auch immer ±
am Ende hervorbringt: wie viele gelungene Operationen, wie viele
ausgeheilte Tumore, aber auch wie viele Druckgeschwüre vom
langen Liegen oder wie viele Krankenhausinfektionen. Auch die
in Befragungen ermittelte Zufriedenheit der Patienten gehört hierher.
Ein allgemeiner Trend in der Qualitätssicherung geht weg von
der Methode Versuch und Irrtum und hin zu erfahrungsbasiertem Handeln. Nach diesem Prinzip werden Fehler systematisch
ausfindig gemacht, analysiert und zur Verbesserung der Praxis
genutzt. Zweck solcher Initiativen sind nicht Sanktionen, sondern
Fehlervermeidung. Haupthindernis für die Durchsetzung dieses
(im Grunde nicht mehr so neuen) Denkens ist noch immer der
sogenannte »Semmelweis-Reflex«: die hochmütige, reflexhafte
Ablehnung einer einfachen, auf Beobachtung gegründeten Erkenntnis durch eine gut ausgebildete Fachwelt.
Diesem Gedanken sind zum Beispiel Aktionen verpflichtet wie
»Jeder Fehler zählt«, ein Fehlerberichts- und Lernsystem für deutsche Hausarztpraxen. Ziel ist ein System, in dem der Bericht über
Fehler nicht beschämendes Eingeständnis, sondern Merkmal von
89
Struktur-,
Prozess- und
Ergebnisqualität
Der »SemmelweisReflex«: Angst vor
Neuem, Angst vor
Sanktionen
Jeder Fehler zählt:
Ziel Fehlervermeidung
Lernfähigkeit und Transparenz ist. Voraussetzung ist aber eine
Kultur, die das freie und vorurteilslose Erörtern eigener Fehler
überhaupt erst ermöglicht. Diesem Ziel dient zum Beispiel eine
Initiative zum Zeugenschutz in Australien, die allen Mut machen
will, im Interesse der Sache über Fehler anderer zu berichten
(siehe den Bericht aus Australien, S. 101).
Literatur und Links
Breckenkamp, Jürgen, Christiane Wiskow und Ulrich Laaser. »Progress on Quality Management in the German
Health System ± a long and winding road«. Health Research Policy and Systems (7) 5 2007. 1±11.
European Observatory on Health Systems and Policies
(Hrsg.). »Role of information in assuring quality of services ± case studies on England, Denmark, Norway and
Sweden«. Euro Observer, Herbst 2007.
Sawicki, Peter. »Qualität der Gesundheitsversorgung in
Deutschland«. Medizinische Klinik. (100) 11 2005. 755±
768.
Mappes-Niediek, Norbert, und Kerstin Blum. »Mit Transparenz zu mehr Qualität ± Wie Patienten anderswo informiert werden«. gesundheitsmonitor ± Newsletter der
Bertelsmann Stiftung. Ausgabe 3/2007. 8±11.
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Estland:
Krankenhäuser nehmen am »Path«-Programm der WHO teil
Sechs estnische Krankenhäuser, vier zentrale und zwei regionale,
wollen am »Path«-Programm der WHO teilnehmen und haben
dazu untereinander schon einmal ein Netzwerk gebildet. Das
»Path«-Programm, dessen Name sich von den englischen Anfangsbuchstaben für »Instrument der Leistungsbeurteilung für Qualitätsverbesserung in Krankenhäusern« ableitet, ist vom europäischen
Regionalbüro der Weltgesundheitsorganisation aufgelegt worden
und läuft seit 2004. Ziel ist, Krankenhausmanager vom Sinn von
Leistungsbeurteilung zu überzeugen. Dazu werden Daten von
über 200 Krankenhäusern in zehn europäischen Ländern zusammengeführt (siehe Gesundheitspolitik in Industrieländern 4, S. 57).
Die Zusammenführung der Daten hat den Zweck, den Managern eine Rückmeldung über die Leistungen ihrer Häuser zu
geben und ihren Blick über den nationalen Tellerrand hinaus zu
weiten. Mehrkosten sind damit nicht verbunden, denn die erhobenen Daten sind auch anderweitig nutzbar. Eben diese Tatsache wird
allerdings nicht durchweg als erfreulich empfunden: Bei manchen Kliniken bestand anfangs die Sorge, dass die nationale Krankenkasse die Daten für andere Zwecke ausschlachten könnte ±
etwa um Mittelkürzungen zu begründen. Das Misstrauen ist aber
inzwischen weitgehend ausgeräumt.
Leistungs- und Qualitätsmessungen waren bei den letzten
Gesundheitsreformen in Estland nicht vorrangig. Vor allem ausländische Experten haben das immer wieder angemerkt. Einige
Indikatoren wurden zwar entwickelt, aber nicht angewendet. Immerhin wurde ein Qualitätshandbuch aufgelegt, und die meisten
Krankenhäuser fragen die Patienten nach ihrer Zufriedenheit
oder messen Qualität auf andere Weise. Von der Teilnahme am
»Path«-Programm erhoffen sich die Esten, dass sie eine bisher
kaum vorhandene Kultur der Leistungsmessung etabliert.
91
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Sinneswandel:
Kliniken wollen
Feedback über
eigene Leistungen
Für eine Kultur der
Leistungsmessung
Literatur und Links
Koppel, Agris, und Ain Aaviksoo. »Performance Assessment Tool for Estonian hospitals«. Health Policy Monitor. Oktober 2007. www.hpm.org/survey/ee/a10/2.
Pðlluste, Kaja, Jarno Habicht, Ruth Kalda und Margus
Lember. »Quality improvement in the Estonian health
system-assessment of progress using an international
tool«. International Journal for Quality in Health Care.
(18) 6 2006. 403±413.
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Krankenhäuser
vergleichbar
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Neuseeland: Qualitätsparameter orientiert am Patienten
Die vierteljährlichen Berichte, die über die Qualität der neuseeländischen Krankenhäuser Auskunft geben, müssen künftig umgeschrieben werden: Neue Bewertungsparameter konzentrieren
sich auf Transparenz und Nützlichkeit, orientieren sich generell
stärker an den Interessen der Patienten und erfassen zum Beispiel die Wartezeiten präziser.
Die regelmäûigen Bewertungen, genannt »Hospital Benchmark Information« (HBI), sollen die Krankenhäuser der neu gegründeten 21 Gesundheitsbezirke im Land miteinander vergleichbar machen und als Unterstützung für Verbesserungen bei
der Effizienz und Qualität der Versorgung dienen.
Zu den 15 Parametern zählen die sogenannte Triage-Zeit, die
es dauert, bis ein Patient der richtigen Abteilung zugewiesen
wird, die Patientenzufriedenheit, die durchschnittliche Aufenthaltsdauer, Wiederaufnahmen im Akutbereich, Krankenhausinfektionen und eine Reihe von organisatorischen Dingen wie der Patientenumsatz oder die Zahl der Arbeitsunfälle. Tabelle 1 zeigt alle
92
15 Parameter, die derzeit für die HBI-Berichte erhoben werden,
und zeigt auf, welche Parameter bei der Überarbeitung verändert
oder entfernt wurden.
Tabelle 1: Parameter der Qualitätsberichte
neuseeländischer Krankenhäuser
Neue, alte und frühere, inzwischen entfernte Parameter
Unverändert
Verändert
Neu
Entfernt
Personalstabilität
bzw. -umsatz
Krankenstand
Akute Wiederaufnahmen
Personalstabilität
Erkrankungen
und Unfälle am
Arbeitsplatz
Versorgungsassoziierte
»Staphylococcusaureus«-Infektionen
Aufnahmen am
Tage der Operation
Prozentsatz
erledigter bzw.
geklärter
Beschwerden
Patientenzufriedenheit
Tagesbehandlungen
Nicht erschienene
Angemeldete
Nutzung der
Ressourcen
Durchschnittliche
Verweildauer
Triage-Zeit bei Notfällen
Einnahmen aus
Anlagen
Vertragserfüllung
Verhältnis Kredite/
Aktiva
Verhältnis
Investititonsausgaben/
Abschreibung
Einnahmen aus
angelegten
Überschüssen
Personalkostenrate
Verhältnis Umsatz/
Einnahmen
Quelle: New Zealand Ministry of Health. DHB Hospital Benchmark Information: Report for the
Quarter July±September 2006.
Die Überarbeitung der Indikatoren, die auch in Zukunft weiter
verbessert werden sollen, zog sich einige Jahre länger hin als
erwartet. Den Ausschlag gab schlieûlich das Argument der Transparenz. Formuliert wurden die neuen Parameter von einer eigens
zu diesem Zweck gebildeten Arbeitsgruppe aus Gesundheitsministerium und den 21 Gesundheitsbezirken. Die 38 Mitglieder ±
29 davon aus 15 verschiedenen Bezirken und neun aus dem
Ministerium ± teilten sich in Arbeitsgruppen auf. Die Überarbeitung dauerte drei Monate, und bis zum Endbericht dauerte es
noch weitere vier.
93
Neuformulierung
der Indikatoren
dauerte Jahre
Literatur und Links
Walton, Lisa, und Nicholas J. Goodwin. »Public hospital
benchmarking«. Health Policy Monitor. Oktober 2007.
http://www.hpm.org/survey/nz/a10/2.
Ministry of Health. DHB Hospital Benchmark Information: Report for the Quarter July-September 2006. Wellington: Ministry of Health 2007. www.moh.govt.nz/
moh.nsf/indexmh/dhb-hospital-benchmark-informationreport-julsep06?Open.
Ministry of Health. DHB Hospital Benchmark Information: Report for the Quarter October±December 2006.
Wellington: Ministry of Health 2007. www.moh.govt.nz/
moh.nsf/indexmh/dhb-hospital-benchmark-informationreport-octdec06?Open.
Ministry of Health. 2007/2008 DHB Reporting Requirement
S. Part B, p7. Wellington: Ministry of Health 2006.
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
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Kanada: Gesundheitsrat gibt Qualitätsempfehlungen
Seit Kanada einen sogenannten Gesundheitsrat hat, können die
allgemeine und die Fachöffentlichkeit in regelmäûigen Berichten
nachlesen, wie es um das kanadische Gesundheitswesen steht.
Eingerichtet wurde der Gesundheitsrat im Jahre 2003 durch
ein Übereinkommen zwischen Föderation, Provinzen und Territorien (siehe Gesundheitspolitik in Industrieländern 2, S. 74). Die
Einrichtung ist Teil eines Zehnjahresplans zur Stärkung der Gesundheitsversorgung, der für verschiedene Reforminitiativen den
Betrag von 41,3 Milliarden kanadischen Dollar (27,5 Milliarden
Euro) bereithält. Dem Gesundheitsrat kommt in dem Zusammen94
hang die Rolle zu, das Verantwortungsgefühl zu heben und vor
allem mehr Transparenz zu schaffen. Zu diesem Zweck soll der
Rat die Qualität, Effektivität und Nachhaltigkeit des Gesundheitswesens beurteilen. Der erste Bericht zu Fragen des Zugangs
wurde 2005 veröffentlicht; 2007 betrachtete der Gesundheitsrat
die kanadische Evaluationskultur im Gesundheitswesen und die
Transparenz über die Qualität der Versorgung. Ein im Jahr 2006
veröffentlichter Bericht beschäftigte sich speziell mit Fragen der
Versorgungsqualität und betrachtete vier Themenbereiche: Patientensicherheit, den Einsatz von Informationsverarbeitung für
die Qualitätssicherung, die »Qualitätsräte« in einigen Provinzen
sowie Gesundheitsindikatoren und öffentliche Berichterstattung.
Erstes Thema im Qualitätsbericht von 2006 war die Patientensicherheit. Ein für diesen Zweck geschaffenes Institut, ins Leben
gerufen 2003 von den Premierministern der Provinzen, hat seither eine Kampagne unter dem Titel »Sicherere Gesundheitsversorgung jetzt!« geführt. Das Ziel war, in Krankenhäusern und
anderen Einrichtungen sechs bestimmte Maûnahmen zur Vermeidung von Tod und Behinderung anzuregen: die Einrichtung
von Schnellreaktionsteams, die Versorgung mit erfahrungsgestützter Therapie für Herzinfarktpatienten, Vorsorge gegen Irrtümer
bei der Medikamentenvergabe und gegen Blutvergiftung nach
Katheterisierung, Vorbeugung von Infektionen in der Chirurgie
und von Lungenentzündungen durch Ventilatoren. 135 Krankenhäuser beteiligen sich, und ihre Zahl steigt weiter.
Parallel dazu unternimmt die Zulassungsbehörde Anstrengungen, Patientensicherheit stärker schon in die Zulassungsbedingungen für Gesundheitseinrichtungen einzubetten. Neue Einrichtungen sind danach gehalten, eine betriebsinterne Sicherheitskultur
zu schaffen, die Kommunikation zwischen Versorgern und Patienten effektiver zu gestalten, für Sicherheit bei der Verabreichung
von gefährlichen Arzneien zu sorgen, den sicheren Gebrauch von
Infusionsmaterial zu gewährleisten, eine sichere Arbeitsumgebung
zu schaffen und Krankenhausinfektionen zu vermeiden.
Der Gesundheitsrat schlägt nun vor, dass die bisher freiwillige
Zulassungsprüfung zur Pflicht wird und dass die Prüfberichte
für die Zulassung veröffentlicht werden. Auûerdem empfiehlt
der Rat, neu darüber nachzudenken, ob Opfer von verunglückten
Operationen oder von Infektionen nicht auch dann entschädigt
95
Rat soll
Verantwortungsgefühl und
Transparenz
schaffen
Rege Beteiligung
an Projekt für
Patientensicherheit
Sicherheit schon
bei Zulassung
groûschreiben
Elektronische
Krankenakte soll
Versorgungsqualität steigern
Regionen sollen
vergleichbar
werden
werden sollen, wenn die Klinik kein nachweisbares Verschulden
trifft.
Ebenfalls im Übereinkommen von 2003 beschlossen die Föderation, die Provinzen und die Territorien die sogenannte »Telegesundheit« zu einer Priorität zu machen und neue Technologien
besonders in entlegenen Gegenden einzusetzen, an denen Kanada
reich ist. Wie in vielen anderen Ländern soll zunächst eine Art elektronische Krankenakte eingeführt werden. Bis 2010 soll für über
50 Prozent der Kanadier eine solche Akte vorhanden sein. Hinzu
kommen Speicher für die Resultate bildgebender Diagnoseverfahren, Arzneimittel- und Laborwert-Informationssysteme. Hier empfahl der Gesundheitsrat ein entschlosseneres Herangehen, mehr
Mitteleinsatz und eine bessere Vorbereitung der Öffentlichkeit.
Einige Provinzen ± Britisch-Kolumbien, Manitoba und Saskatchewan ± sind bei der Entwicklung von Arzneimittel-Informationssystemen weiter als andere. Das elektronische Rezept ist in
Kanada noch nicht die Norm. Dass nur acht Prozent der ¾rzte
das Verfahren anwenden, hängt manchmal mit unvollständiger
Dokumentation zusammen, liegt aber auch oft daran, dass der
Arzt beim Verordnen gerade keinen Computer zur Hand hat.
Der Gesundheitsrat schlägt vor, elektronische Verordnungen und
die elektronische Krankenakte zu verlinken.
Unterstützung kommt vom Gesundheitsrat für die Qualitätsräte, die sich in den Provinzen Saskatchewan (siehe Gesundheitspolitik in Industrieländern 1, S. 27), Alberta, Ontario und QuØbec
gebildet haben ± und die Empfehlung, solche Räte bis auf die
lokale Ebene herab zu schaffen.
Schlieûlich hat der Rat sich auch mit den jährlichen Statusberichten der Gesundheitsministerkonferenz beschäftigt. Die Berichte beschreiben den Stand des Gesundheitswesens und beziehen sich dabei auf Struktur-, Verlaufs- und Ergebnisindikatoren
wie Wartezeiten, diagnostische und medizinische Ausstattung,
Personalstand, Mortalitätsraten u. a. Die Berichte seien schwer
vergleichbar, so die Kritik des Rates. Sie beruhten manchmal auf
überholten Zahlen und enthielten nicht genug finanzielle Daten,
sodass nicht immer ersichtlich sei, wie viel Mittel wohin gegangen seien. Deshalb empfiehlt der Gesundheitsrat, die Berichte an
definierte Gesundheitsziele zu binden und jedes Jahr den Fortschritt zu messen.
96
Literatur und Links
MacAdam, Margaret. »Health Council of Canada: Quality
of Care Renewal«. Health Policy Monitor. Oktober 2007.
www.hpm.org/survey/ca/a10/1.
Barker, Paul. »An Assessment of the Health Council of Canada«. Presentation. Annual Meeting of the Canadian
Political Science Association. Winnipeg 2004.
Fooks, Cathy, und Lisa Maslove. »Co-operation for quality
in Canada?«. Health Policy Monitor. Oktober 2003. www.
hpm.org/survey/ca/a2/3.
Fooks, Cathy, und Lisa Maslove. »Accountability in Health
Care«. Health Policy Monitor. April 2004. www.hpm.org/
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Health Council of Canada. Health Care Renewal in Canada:
Measuring Up? Annual Report 2007. Ottawa 2007. www.
healthcouncilcanada.ca/en/index.php?option=com_
content&task=view&id=136&Itemid=115.
Health Council of Canada. Health Care Renewal in Canada:
Clearing the Road to Quality. 2006 Annual Report. Ottawa
2006. www.healthcouncilcanada.ca/en/index.php?option=
com_content&task=view&id=70&Itemid=72.
97
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Top-Manager
geben Tipps zur
Rationalisierung
Externe
Evaluierung der
Ergebnisse
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Niederlande: Schneller ist nicht immer besser
»Sneller beter«, ein ehrgeiziges Projekt zur Verbesserung der Krankenhausversorgung in den Niederlanden (siehe Gesundheitspolitik
in Industrieländern 2, S. 76), ist nach eindrucksvollen Anfangserfolgen nun in den Mühen der Ebene angekommen. Eine erste
Bilanz zeigt, dass weitere Erfolge vor allem da winken, wo die Beteiligten die positiven Auswirkungen selber spüren ± dann etwa,
wenn sie über eingesparte Beträge selbst verfügen können.
Aufgelegt wurde das Programm mit dem eigenwilligen Titel ±
zu Deutsch »schneller, besser« ± von der Regierung aus christdemokratischer CDA, der rechtsliberalen VVD und der Mitte-linksPartei der Neuen Demokraten D66, die von 2002 bis 2007 an der
Macht war. Am Anfang stand ein Auftrag an vier Spitzenmanager der niederländischen Privatwirtschaft, Rationalisierungsvorschläge zu unterbreiten und dafür die Erfahrungen aus ihren
eigenen Branchen zu nützen. Was die vier Industriekapitäne ±
Peter Bakker vom Postzusteller TPG, Rein Willems von Shell,
Johan van der Werf von der Lebensversicherung Aegon und Ad
Scheepbouwer von der Telekom-Gesellschaft KPN ± als ihre Vorschläge unterbreiteten, deckte sich im Wesentlichen mit dem,
was auch das Qualitätsinstitut »Centraal begeleidingsorgaan voor
interdisciplinaire toetsing« (CBO) schon herausgefunden hatte.
Organisatorisch wurde das Programm »Sneller beter« beim
staatlichen Gesundheitsforschungsinstitut »Nederlandse organisatie voor gezondheidsonderzoek en zorginnovatie« (ZonMw)
angesiedelt. Partner sind CBO und die Erasmus-Universität in
Rotterdam. Für die wissenschaftliche Evaluierung sind andere
Einrichtungen zuständig: Nivel, das Institut für die Erforschung
der Primärversorgung, die Freie Universität Amsterdam und die
Universität von Maastricht.
Der zweite Schritt nach der Konsultation der Spitzenmanager
war die Formulierung von sorgfältig ausgewählten Indikatoren,
98
die verraten sollten, wo Defizite bestanden und Verbesserungen
möglich waren. Ein Arbeitskreis fand zusammen mit der Krankenhausgesellschaft, dem Verband der Universitätskliniken und
dem Fachärzteverband eine stattliche Reihe von originellen Parametern. So sollte zum Beispiel erhoben werden, wie oft in den
ersten 72 Stunden nach einer Operation der Schmerzlevel eines
Patienten über den Wert sieben auf der zehnteiligen Schmerzskala steigt. Gezählt wurde auch, wie viele Operationen weniger
als 24 Stunden vor dem Termin wieder abgesagt wurden, wie
viele Arbeitsstunden Notfallmediziner auf regulären Intensivstationen leisteten oder der Prozentsatz der Diabetiker, die innerhalb eines Jahres zum Augenarzt gehen. Aus den Indikatoren
wurde für jede Einrichtung eine »Diagnose« erstellt. Mit neuen
Messungen der alten Indikatoren sollte so zugleich der Grad der
Verbesserung gemessen werden können.
In einem dritten Schritt wurden auf Basis der Diagnose
»Leuchtturm-Projekte« ausgemacht. Um den Schwung in der
Aktion zu erhalten, wählten die Organisatoren fünf Felder aus,
auf denen relativ leicht und vor allem schnell Fortschritte zu erkennen sein würden. Ausgewählt wurden 24 Krankenhäuser von
insgesamt 98, die dann wiederum in drei Blöcke aufgeteilt wurden. In den ersten Block kamen die acht voraussichtlichen Spitzenreiter, die anderen 16 in die beiden anderen Blöcke.
Die fünf Felder, auf denen es besonders gut und schnell gehen
sollte, waren
± Patientensicherheit, einschlieûlich Dekubitus-Prophylaxe, Bekämpfung von postoperativen Wundinfektionen, sichere Arzneimittelverabreichung und Berichterstattung über besondere
Vorfälle
± Patientenlogistik, einschlieûlich Produktivität am Operationstisch, reibungslose Arbeitsorganisation ohne unproduktive
Wartezeiten und Verfahrensausgestaltung
± Patientenbeteiligung
± Qualität im professionellen Handeln
± Leitungskapazität und Organisationsentwicklung.
Auf allen diesen Feldern wurden messbare Ziele vorgegeben. Zu
diesen Zielen zählte zum Beispiel, dass die Wartezeit für einen Besuch in der Ambulanz nicht länger als eine Woche betragen durfte.
99
Wie viele
Diabetiker gehen
zum Augenarzt?
Auf fünf Feldern
wurde ein
»Durchbruch«
geplant
Fortschritte nur da,
wo Ergebnis
sichtbar ist
»Spitzenreiter«:
Nur jeder fünfte
erfüllt die
Erwartungen
Die Produktivität bei Operationen sollte um 30 Prozent steigen,
die Zahl der gescheiterten Therapien um 50 Prozent sinken. Auf
den Stationen sollten nicht mehr als fünf Prozent der Patienten
unter Wundschmerz leiden. Am Ende des Programms sollte jedes
fünfte niederländische Krankenhaus die Ziele erreicht haben.
Der Block der ersten acht Kliniken, der Spitzenreiter also, ist
auf seine Fortschritte hin inzwischen abschlieûend wissenschaftlich evaluiert worden. 77 Projektteams, so die Bilanz, haben genau
113 Verbesserungen erreicht. Ob ein Fortschritt erzielt wird,
hängt nach dem Urteil der Evaluatoren stark davon ab, ob die Beschäftigten die Ergebnisse auch sehen und Anerkennung dafür
bekommen, indem man ihnen zum Beispiel Gelegenheit gibt, sich
an neue Verbesserungen zu wagen.
Auch unter den Spitzenreitern hatte nur jedes fünfte Krankenhaus die angestrebten Verbesserungen tatsächlich in einem
Jahr umgesetzt ± eine Vorgabe, die eigentlich für alle Krankenhäuser, und nicht bloû für die stärksten hätte gelten sollen. Bei
einem Drittel der Top-Krankenhäuser jedoch waren die Ziele
definitiv nicht erreicht worden. Beim groûen Rest der Projekte
wurde nicht recht klar, wie erfolgreich sie eigentlich waren. Positive Auswirkungen des Programms waren in jedem Falle der systematische Zugang, die Einbeziehung der Klinikleitungen und
der Enthusiasmus der Beteiligten. Kein Krankenhaus konnte nur
Erfolge oder nur Fehlschläge verbuchen. Was den wirtschaftlichen Gewinn betrifft, schnitten die Projekte zur Logistik, etwa
zur Produktivität bei Operationen, besser ab als etwa die Projekte
zur Patientensicherheit. Die Einbeziehung der Klinikleitung erwies sich überall als schwierig.
Literatur und Links
Spreeuwenberg, Cor. »Sneller Beter: improving health
care quality«. Health Policy Monitor. Oktober 2007.
www.hpm.org/survey/nl/a10/1.
Helderman, Jan-Kees, und Anniek Peelen. »Benchmarking: Stimulating efficiency & innovation«. Health Policy
Monitor. April 2004. www.hpm.org/survey/nl/b3/1.
100
Wagner, Cordula, Michele Dückers und Monique de
Bruijn. Doing the right things right; results and diffusion of
large-scale improvement actions. Utrecht 2006.
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Australien: Schutz für jeden, der einen Fehler aufdeckt
Trotz manch gesetzlicher Zeugenschutzmechanismen stehen Angestellte im Gesundheitswesen, die Kunstfehler, Vergehen und
Fehlentwicklungen in ihrem Arbeitsumfeld öffentlich machen,
überall auf der Welt im Konflikt zwischen Loyalität und gesellschaftlicher Verantwortung. In Australien sollen Beschäftigte nun
weiter ermutigt werden, die Mängel, von denen sie Kenntnis bekommen, auch zu melden.
Für das mutige Durchbrechen institutioneller Schweigeregeln
kennt das Englische den Begriff »whistleblowing«: Ein Beteiligter
bläst laut die Alarmpfeife, wenn er Fehlverhalten wahrnimmt.
Das darf nicht mit dem deutschen »Verpfeifen« verwechselt werden, sondern entspricht unserem »Alarm schlagen«.
Australien hat seit 1993 kontinentweit und in allen seinen
Staaten und Territorien eine spezielle »Whistleblower«-Gesetzgebung entwickelt: Wer illegale, unmoralische oder illegitime
Praktiken seines Arbeitgebers oder eines Kollegen aufdeckt, ist
vor Nachteilen geschützt. Dem liegt die Einschätzung zugrunde,
dass »Whistleblower« in der Organisation des ganzen öffentlichen Sektors eine wichtige Rolle spielen.
Eine besondere Richtlinie bestätigt diese Einschätzung auch
im klinischen Bereich. Zu denken ist hier vor allem an unnötige
Todesfälle und Schädigungen von Patienten. Vorkommnisse aus
jüngerer Zeit haben den Schluss nahegelegt, dass die Schutzmechanismen noch nicht ausreichen.
101
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Wer etwas
bemerkt, bläst in
die Alarmpfeife
Vorhandener
Zeugenschutz
unzureichend
Angst vor
Kollegenschelte?
Für »Whistleblower« ein
schwieriges
Terrain
Grundelement der bestehenden Gesetzgebung zum Thema ist
die Verpflichtung der Regierung, einem angeblichen Missstand,
etwa einer berichteten Geldverschwendung oder Bedrohungen
für die Gesundheit oder Sicherheit von Menschen, auch nachzugehen. Gleichzeitig muss die Regierung die Identität desjenigen schützen, der den Missstand gemeldet hat. Disziplinarische
oder strafrechtliche Verfolgung ist ausgeschlossen. Wer sie trotzdem anstrengt, begeht eine Übertretung.
Geprüft werden soll nun, ob der gesetzliche Schutz ausreicht
und ob die organisatorischen Abläufe im Gesundheitswesen das
»whistleblowing« als letzten Ausweg begünstigen oder nicht. Verdachtsannahme ist dabei, dass Meldungen entweder ganz unterbleiben oder aber dass jemand, der sich trotzdem dazu durchringt, fortan mit dem Misstrauen der Kollegenschaft zu kämpfen
hat.
Gleichzeitig mit der Gesetzgebung zum Zeugenschutz haben
australische Kliniken Initiativen zur Qualitätsverbesserung unternommen. Wichtigstes Mittel dazu war ± wie im gröûten Bundesstaat New South Wales ± die Berufung eines Direktors für Unternehmensführung und eines für Beschwerden zuständigen Ombudsmanns. In den Richtlinien für Unternehmensführung, wie
sie in den Kliniken von New South Wales gelten, ist zum Beispiel
festgehalten, welcher Umgang mit einer Beschwerde gepflogen
werden soll: Sie hat laut Vorschrift ernst genommen und ordentlich
untersucht zu werden, und der Beschwerdeführer hat eine Antwort verdient. Von seiner Geheimhaltung der Identität des Beschwerdeführers oder seinem Schutz vor Repressalien ist nicht
die Rede.
Das Gesundheitswesen richtet, verglichen mit anderen öffentlichen Sektoren, noch zusätzliche Barrieren gegen das »Whistleblowing« auf. Der enge Rahmen aus Zulassungsbestimmungen,
Berechtigungsnachweisen, Beurteilung durch Kollegen, Berichterstattung über Unfälle und Mortalitätsraten, Prüfungen und
Strategien zum Umgang mit Risiken lässt für den Schutz von
»Whistleblowern« wenig Platz. Schlieûlich behindern Unternehmenskultur und Berufsethos die Bereitschaft des Einzelnen, sich
mitzuteilen.
102
Literatur und Links
Haas, Marion. »Reducing barriers to whistleblowing«.
Health Policy Monitor. Oktober 2007. www.hpm.org/survey/
au/a10/4.
Brown, Alexander J. »Public Interest Disclosure Legislation
in Australia: towards the next generation. Report for
Australian Research Council ­Linkage¬ Project ­Whistling While They Work¬«. www.griffith.edu.au/centre/
slrc/whistleblowing/.
Brown, Alexander J. »Privacy and the public interest disclosure: when is it reasonable to protect ­whistleblowing¬ to the media«. Privacy Law Bulletin. (4) 2 2007.
19±28.
Faunce, Thomas A., und Stephen N. Bolsin. »Three Australian whistleblowing sagas: lessons for internal and external regulation«. Medical Journal of Australia. (181) 1
2004. 44±47.
Kruger, Paula. »Doctor pays high price after whistleblowing«. Australian Broadcasting Commission News, Montag 27. August 2007.
McMillan, John. »Freedom of Information and Whistleblower Legislation: an Australian perspective«. Paper delivered to the 9th Asian Ombudsman Association Conference. Hongkong, 30. November 2005.
NSW Health. Policy Directive. Complaint or Concern
about a Clinician ± Principles for Action. Document
number PD2006_007. Januar 2006.
103
Arzneimittel: Tauziehen zwischen
Finanziers und Herstellern
Steigende Arzneimittelkosten machen in vielen Ländern einen
wichtigen Anteil an den wachsenden Gesundheitskosten aus. Gemessen an der Kaufkraft sind die Ausgaben für Medikamente
pro Person in den letzten 25 Jahren in Deutschland auf das Vierfache, in Frankreich auf das Fünffache, in den USA auf das Achtfache und in Kanada sogar auf das Neunfache gestiegen (Mossialos et al. 2004: 4; siehe Tabelle 2). In allen Industrieländern sind
diese Kosten, die sich im Wesentlichen aus dem steigenden Verkaufsvolumen ergeben, seit langem Gegenstand eines beständigen Tauziehens zwischen den Pharma-Herstellern und ihren mit
weitem Abstand gröûten Kunden, den Krankenkassen oder den
staatlichen Gesundheitsdiensten.
Das Kräftemessen findet an vielen Fronten statt: Die allermeisten europäischen Länder nehmen per Gesetz und Verordnung
direkt Einfluss auf die Preisbildung für Medikamente (siehe Gesundheitspolitik in Industrieländern 7/8, S. 187). Überall geht es um
die Förderung von Generika sowie um die Preise für neu eingeführte Medikamente und für solche, deren Patent abgelaufen ist.
Wo für die Preisbildung für neue Produkte andere, groûzügigere
Regelungen gelten als für den Nachbau eingeführter Präparate,
kommen Scheininnovationen auf den Markt, die von echten Neuerungen zu unterscheiden Aufgabe neutraler Fachbehörden ist und
deren Prüfung die Kapazitäten oft genug lahmlegt. Weitere Streitpunkte sind Rabatte für Apotheker, Rabatte für Krankenkassen,
Packungsgröûen und in Deutschland auch immer noch die Einführung einer »Positivliste«.
Von einem multizentrischen Markt mit seinen vielen Akteuren, wie er bei anderen Produkten bis in die Feinheiten der Preisbildung hinein funktioniert, kann auf dem Pharmasektor kaum
105
Fast alle Länder
nehmen Einfluss
auf Preisbildung
Gesundheitsmarkt
im herkömmlichen
Sinne
106
1,0
1,3
Quelle: OECD-Gesundheitsdaten 2007.
1,2
1,5
1,5
1,9
1,9
0,8
USA
1,4
1,2
1,1
Spanien
1,1
1,2
1,1
1,7
1,0
1,2
1,1
1,6
1,7
1,8
1,2
1,6
0,8
2005
0,8
1,2
0,9
1,4
1,4
1,4
1,7
1
1,4
0,7
1,2
2000
Schweiz
0,9
0,9
1,1
1,4
1,2
1,5
1,1
1,6
1,0
1,3
0,7
0,9
1995
Polen
Österreich
0,8
0,6
0,6
Kanada
Niederlande
1,4
Japan
0,8
1,6
0,7
Groûbritannien
1,4
0,9
1,1
Frankreich
0,7
0,7
0,7
Finnland
1,2
Neuseeland
1,1
Deutschland
0,6
0,7
1990
Korea
0,5
0,5
1980
Dänemark
Australien
Gesamtausgaben für Arzneimittel
(als Prozent BIP)
9,0
21,0
8,0
11,9
8,5
21,2
12,8
16,0
10,7
13,4
6,0
8,0
1980
9,2
17,8
10,2
9,6
13,8
36,5
11,5
21,4
13,5
16,9
9,4
14,3
7,5
9,0
1990
8,9
19,2
10,0
9,1
11,0
14,8
33,5
13,8
22,3
15,3
16,0
14,1
12,9
9,1
11,2
1995
11,7
21,3
10,7
11,8
11,7
29,5
15,9
18,7
18,2
15,5
13,6
8,8
13,9
2000
12,4
22,9
10,4
28,0
11,6
12,4
27,3
17,7
16,4
16,3
15,2
8,9
2005
Gesamtausgaben für Arzneimittel
(als Prozent der Gesamtgesundheitsausgaben)
8,7
64,0
66,7
81,1
24,7
67,6
66,5
46,7
73,7
49,9
43,7
1980
12,5
71,7
66,6
74,6
11,5
32,9
61,1
66,6
61,9
47,4
73,1
34,2
44,8
1990
16,4
71,1
53,3
58,2
88,8
70,1
15,7
33,3
68,3
63,5
62,2
45,3
70,8
48,6
54,0
1995
19,2
73,5
60,8
68,4
58,3
30,8
35,4
66,0
67,9
50,2
72,2
48,7
55,5
2000
24,2
72,5
67,7
37,9
72,8
66,0
50,2
38,7
68,9
56,3
73,3
55,8
2005
Öffentliche Ausgaben für Arzneimittel (als Prozent der Gesamtausgaben für Arzneimittel)
96
76
60
60
67
123
62
108
62
127
53
56
1980
251
155
208
137
136
130
200
240
134
253
131
247
114
118
1990
325
229
257
205
200
184
178
284
345
211
331
201
286
167
195
1995
535
324
341
335
264
230
399
367
454
267
358
209
334
2000
792
517
436
243
409
290
360
589
554
380
498
276
2005
Arzneimittelausgaben pro Kopf
(US$ PPPs)
Tabelle 2: Arzneimittelausgaben in den OECD-Staaten des Internationalen Netzwerks Gesundheitspolitik (1990±2005)
die Rede sein. Ein positiver Wettbewerb ist hier unerreichbar, weil
auf dem Gesundheitsmarkt verschiedene Formen von Marktversagen vorherrschen. In einem funktionierenden Markt verfügt
der Käufer über alle notwendigen Informationen über Qualität,
Wirkung und Preis eines Medikaments; die Leistung, die er einkaufen will, ist vorher klar definiert; der Käufer kann klare Präferenzen entwickeln und diese dann in seinem Kaufverhalten frei
umsetzen. Der Gesundheitsmarkt und noch deutlicher der Arzneimittelmarkt erfüllen keine dieser Bedingungen. Lieûe man den
Herstellern unter den gegebenen Bedingungen wie in einer echten Marktwirtschaft volle Freiheit der Preisbildung, führte dies
nicht zu einer Preisregulierung, sondern zu einem Markt, in dem
der Verkäufer seine Vormachtstellung gegenüber dem Kunden
zum eigenen Vorteil nutzt (Light und Walley 2004: 348).
Entsprechend trifft hier weniger das Bild von einem Marktals das von einem Kampfplatz zu, auf dem sich zwei Parteien
gegenüberstehen und jeden Meter Boden verteidigen. Auf der
einen Seite findet sich dort im Prinzip ein einziger prosperierender Industriezweig, der weltweit agiert und Verluste im einen
Land wenigstens zeitweise durch Gewinne im anderen ausgleichen kann. Auf der anderen Seite stehen die Staaten, die Steuerzahler und in beitragsfinanzierten Krankenkassensystemen wie
dem deutschen auch Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Wo der Markt nicht funktioniert, versucht man meist, die Entscheidung über Zulassung, Erstattung und Preisbildung einer
Behörde oder einer kundigen Schiedsstelle zu überlassen (siehe
Gesundheitspolitik in Industrieländern 5, S. 44). Die diskrete Regelung aller möglicher Streitfragen durch eine allseits respektierte
Autorität funktioniert aber in einer skeptischen und mit Informationen überfütterten Gesellschaft immer schlechter. Nichts bleibt
unhinterfragt, nicht alles wird verstanden, aber alles kann zum
Gegenstand öffentlicher Debatte werden. Das gilt erst recht im
Gesundheitswesen, weil Gesundheit jeden angeht.
Nach den Gesetzen populärer Medien schlägt der schicksalhafte Einzelfall jedes strukturelle Argument. Einmal in einem
Fernsehsender oder einer Illustrierten angekommen, hat ein noch
so geschickt entworfenes Präventionsprogramm, das Zehntausende Krebstote vermeidet, gegen die Rettung eines Einzelnen aus
sicht- und nachvollziehbarer Not keine Chance. Diese Erfahrung
107
Kein Markt,
sondern ein
Kampfplatz
Mediengesellschaft
schürt Emotionen
statt Argumente
Australien:
zwei Klassen von
Arzneimitteln
Ob Spanien oder
Finnland:
Reformen
schlugen fehl
Spanien: Kein
Paradigmenwechsel
muss die polnische Regierung machen, seit sie die Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln an das Kosten-Nutzen-Verhältnis
bindet (siehe den Bericht über Polen, S. 112). Prompt tauchten in
den Medien Fälle von Patienten auf, die ihre liebgewonnenen
Medikamente nicht mehr bezahlt bekamen. Eigentliche Zielscheibe der Kampagne ist nach Meinung polnischer Experten die
Positivliste erstattungsfähiger Arzneimittel.
Aber auch wo keine solchen öffentlichen Kampagnen gefahren werden, verschafft doch deren theoretische Möglichkeit der
Pharma-Partei Munition. Konflikte, bei denen das Arsenal hilfreich werden kann, gibt es allenthalben genug. In Australien hat
eine Reform zwei Klassen von Arzneimitteln geschaffen: Je nachdem, ob sie kopiert oder innovativ sind, gelten unterschiedliche
Regelungen für die Preisbildung. Die Klassifizierung eines neu
entwickelten Produkts als »innovativ« ist stets strittig; leicht lassen sich Patientengruppen ausfindig machen, für die die neue,
wenn auch gar nicht revolutionäre Entwicklung dennoch eine
Verbesserung darstellt. Auch eine mögliche Pressekampagne kann
da ihre Wirkung tun (siehe den Bericht über Australien, S. 114).
Unter ähnlichen Bedingungen hat eine ursprünglich groû angelegte Reform der Arzneimittelpolitik in Finnland zu einem kläglichen Ergebnis geführt (siehe den Bericht über Finnland, S. 117).
Eine Bestimmung, nach der Mittel gegen Bagatellerkrankungen
von der Erstattung ausgenommen sind, blieb gegen den Widerstand der Pharma-Industrie zwar formal bestehen, wurde in der
Praxis aber wirkungslos: Nicht ein Präparat wurde wirklich ausgeschlossen. Die Aufhebung der Generika-Pflicht für Arzneimittel, die in anderen EU-Ländern patentiert sind, hielt die PharmaIndustrie schlieûlich für Verluste schadlos, die sie gar nicht erleiden musste. Einzige sichtbare Auswirkung der lange debattierten
Reform blieb schlieûlich, dass man jetzt Nikotinersatzprodukte
auch auûerhalb von Apotheken kaufen kann ± eine Bestimmung,
die den Apothekern, nicht aber der Pharma-Industrie missfällt.
¾hnlich gescheitert ist eine Reform in Spanien, wo sich der
Verband der Pharma-Industrie direkt mit den politischen Parteien auseinandersetzte (siehe den Bericht über Spanien, S. 119).
Sogar mögliche Versorgungsengpässe sollten drohen, argumentierte der Verband. Wie bei hoher öffentlicher Aufmerksamkeit
der Applaus zwischen Regierung und Pharma-Industrie verteilt
108
wäre, führte der Verband mit seinem populären Angebot vor,
Geld in die Forschung für Medikamente gegen seltene Krankheiten zu investieren.
Kompensation für die Schwächung des öffentlichen Interesses in einer für individuelle Schicksale mobilisierbaren Mediengesellschaft ist nicht leicht zu bekommen. Weder die Rückkehr
zur unbestrittenen Autorität, die hinter verschlossenen Türen
und ohne Debatte entscheidet, noch die Kapitulation ist ein möglicher Ausweg. Der einzig saubere, wenn auch kurzfristig wenig
verheiûungsvolle Weg ist nach dem gemeinsam formulierten Urteil des Arztes James Sabin und des Philosophen Norman Daniels
die Flucht nach vorn: Entscheidungen nach öffentlicher, transparenter Abwägung, mit fairen Verfahren, die auch eine Berufung
zulassen (Daniels und Sabin 2002).
Literatur und Links
Costa-Font, Joan, und David McDaid. »Pharmaceutical policy in Spain«. Eurohealth. (12) 4 2006. 14±17.
Daniels, Norman, und James E. Sabin. Setting Limits Fairly.
Can We Learn to Share Medical Ressources? New York
2002.
Light, Donald W., und Tom Walley. »A framework for containing cots fairly«. Regulating pharmaceuticals in Europe:
an overview: striving for efficiency, equity and quality. Hrsg.
Elias Mossialos, Tom Walley und Monique Mrazek.
WHO 2004. 348±358.
Mossialos, Elias, Tom Walley und Monique Mrazek. »Regulating pharmaceuticals in Europe: an overview«. Regulating pharmaceuticals in Europe: an overview: striving
for efficiency, equity and quality. Hrsg. Elias Mossialos,
Tom Walley und Monique Mrazek. WHO 2004. 4±37.
109
Transparenz als
einziger Ausweg
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Preis unabhängig
vom Nutzen
Büro für fairen
Handel übt Kritik
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Groûbritannien:
Arzneimittelpreise sollen sich am Wert orientieren
Wie die meisten Industriestaaten nimmt auch Groûbritannien
direkt Einfluss auf die Bildung von Arzneimittelpreisen. Ein gesetzliches »Regulierungsschema für Pharmazeutika-Preise« (PPRS)
orientiert sich am Gewinn, den die Hersteller machen dürfen.
Die Firmen können den Preis für einzelne, neu auf den Markt
gebrachte Arzneimittel frei festsetzen, wenn sie damit ein bestimmtes Verhältnis zwischen ihrem Gesamtumsatz und ihrem
Gewinn nicht überschreiten. Damit ist sichergestellt, dass die
Pharma-Hersteller ihre Marktposition nicht für erpresserische
Preisbildung nützen. Nun soll das System so reformiert werden,
dass der Wert jedes einzelnen Arzneimittels besser erkennbar ist.
Zur Ermittlung wertgerechter Preise sind Kosten-Nutzen-Analysen
geplant.
Im gegenwärtigen System der Preisbildung können die Arzneimittelhersteller die Preise neuer Produkte frei festlegen. Doch
ihr Gesamtgewinn ist reguliert: Überschreiten sie eine festgelegte
maximale Gewinngrenze, sind sie gezwungen, die Preise ihrer
Produkte entsprechend zu reduzieren. Wie und welche Produktpreise sie reduzieren, bleibt den Herstellern überlassen und hat
nichts mit dem »Nutzenwert« einzelner Produkte zu tun.
Das PPRS-System funktioniert schon seit 50 Jahren. Kontrolliert wird das Verhältnis von Umsatz zum Gewinn alle fünf Jahre.
Entsprechend finden auch alle fünf Jahre die pauschalen Preissenkungen statt.
Kritik an dieser Methode der Preisregulierung übt das staatliche Büro für fairen Handel (Office of Fair Trading ± OFT). Nach
den Vorstellungen des Büros soll künftig die Kosteneffizienz über
die Marktchancen von Arzneimitteln entscheiden. Das würde die
Pharma-Hersteller anregen, mehr innovative Produkte auf den
Markt zu bringen, so die Hoffnung. Darüber hinaus sollen auf
110
diese Weise von den 11,2 Milliarden Euro, die der Nationale Gesundheitsdienst (NHS) für Pharmazeutika ausgibt, 700 Millionen
Euro für überflüssige Medikamente eingespart werden.
Nach den Vorstellungen des OFT-Büros sollen Kosten-NutzenAnalysen vom Hersteller schon bei der Zulassung eines Medikaments vorgelegt werden. Bietet ein Präparat keinen hinreichenden Nutzen für das Geld, wird der Preis neu verhandelt. Dasselbe
soll für alle Medikamente gelten, deren Patente auslaufen. Von
dem Moment an, argumentiert das Büro, sind sie Generika, und
deshalb müssten von da an ganz andere Kriterien für die Preisbildung gelten.
Kosten-Nutzen-Analysen sind dem britischen Gesundheitswesen nicht mehr fremd, seit die Regierung 1999 das National
Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) ins Leben
gerufen hat. Das Institut unterwirft schon jetzt medizinische
Dienstleistungen solchen Analysen. Die Ausweitung der Tätigkeit auf die Preisbildung bei Arzneimitteln läge damit in der
Logik der Entwicklung.
Noch allerdings ist das neue System nicht präzise umrissen
und noch weniger Gegenstand einer öffentlichen Diskussion.
Widerstände aber kommen bereits aus der Pharma-Industrie: Sie
fürchtet zweckwidrige Auswirkungen auf Forschung und Entwicklung. Dabei haben die bisherigen Kosten-Nutzen-Analysen
von NICE eher zu einer Steigerung der Arzneimittelausgaben
geführt, da die Hersteller ihre Preise oft so kalkulieren, dass der
Kosten-Nutzen gerade noch unterhalb des vom NICE angewendeten Schwellenwertes liegt. Zudem ist wertbasierte Preisbildung
in vergleichbaren Ländern wie Schweden, Australien und Kanada
schon Wirklichkeit geworden ± und letztendlich auch in Deutschland mit den neu eingeführten »Höchstpreisen« auf der Basis
von Kosten-Nutzen-Evaluationen durch das Institut für Wirtschaftlichkeit und Qualität im Gesundheitswesen (IQWiG) beabsichtigt. Eingeführt werden kann das neue Prinzip frühestens
2010, wenn das PPRS-System zwischen Staat und Pharma-Herstellern neu verhandelt wird.
111
Kosten-NutzenAnalysen in
Groûbritannien
nicht neu
Pharma-Industrie
bangt um
Forschung und
Entwicklung
Literatur und Links
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hpm.org/survey/uk/a10/1.
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2007. 545±58.
Department of Health. »Dept of Health to reopen negotiations on the PPRS«. Government News Network. 2. August 2007. www.gnn.gov.uk/environment/fullDetail.asp?
ReleaseID=304805&NewsAreaID=2&NavigatedFrom
Department=False.
Webb, David J., und Andrew Walker. »Value-based pricing
of drugs in the UK«. Lancet. (369) 9571 2007. 1415±1416.
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Öffentlichkeit
leicht
manipulierbar
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Polen: Arzneimittelpolitik im Scheinwerferlicht
Um eine vergleichsweise bescheidene Reform der Erstattung für
Arzneimittelkosten ist eine öffentliche Debatte entbrannt. Das umstrittene Gesetz bringt die polnischen Bestimmungen des Jahres
2001 mit neuen EU-Richtlinien in Einklang (siehe Gesundheitspolitik in Industrieländern 7/8, S. 208±210). Zweck ist, bei geänderten Regeln für die Erstattung für alle Patienten den gleichen Zugang zu Arzneimitteln offenzuhalten und ökonomisch rationale
Regeln für die Erstattung zu erreichen. Aus verschiedenen Erstattungslisten soll in Zukunft eine Positivliste erstattungsfähiger
Arzneimittel werden.
Unstrittig ist sowohl die Anpassung an europäische Richtlinien als auch der Grundsatz, das Kosten-Nutzen-Verhältnis eines
Medikaments zur Grundlage der Erstattung zu machen. Trotzdem
finden sich die wesentlichen Akteure ± Patienten, Pharma-Indus112
trie, Gesundheitsminister und nationaler Gesundheitsdienst ± in
konkreten Fragen meistens auf verschiedenen Seiten. Regierung
und Gesundheitsdienst treten für strengere Preiskontrolle ein,
die Pharma-Industrie ist dagegen. Die Öffentlichkeit, einschlieûlich der Patienten, erweist sich als schwankend und leicht manipulierbar. Den stärksten Eindruck auf sie machen einzelne, vom
Fernsehen und der Presse kolportierte Fälle, in denen Patienten
ihre gewohnten Medikamente nicht mehr erstattet bekommen.
Die Pharma-Industrie kämpft nach wie vor gegen die Positivliste mit erstattungsfähigen Arzneimitteln, auch wenn sie ihre Haltung zurzeit nicht offen zu Markte trägt. Sie überlässt das Feld
stattdessen den Medien, die ohnehin kampagnenartig gegen die
Zustände im Gesundheitswesen zu Felde ziehen. Neben der Korruption unter Gesundheitsfachkräften, Bestechung durch PharmaKonzerne und der Auswirkung von Streiks auf Kranke steht auch
die Erstattung von Medikamenten und Therapiekosten im Fokus
der Aufmerksamkeit.
Die Haltung der übrigen Anbieter im Gesundheitswesen
schwankt. Besonders die ¾rzte sehen sich unter Druck, seit Fernsehsender Antikorruptions-Shows produzieren. Auf der anderen
Seite steht der Berufsstand unter dem Einfluss der Pharma-Industrie. So beschwerten sich die ¾rzte über die neue Bestimmung,
nach der sie auf jedes Rezept die Versicherungsnummer des Patienten schreiben müssen. Bisher war es gängige Praxis, dass
man sich ein Medikament auf den Namen von jemand anderem
ausstellen lieû. Die ¾rzte argumentieren, für solche Extra-Handgriffe hätten sie nicht genug Zeit: Die Vergütung für die Behandlung von Patienten sei zu gering und als Folge davon die Zahl
der Patienten pro Tag zu hoch.
Allgemein werden Medikamente in Polen nur von Krankenhäusern kostenlos abgegeben. Für vom Arzt verschriebene Arznei zahlt der Patient zu. Alle Arzneimittel werden in zwei grundsätzliche Klassen eingeteilt: Grundmedikamente und sogenannte
Zusatzmedikamente. Bei Grundmedikamenten von der Positivliste und bei eigens zubereiteter Arznei fällt ein fester Satz an,
während bei den Zusatzmedikamenten 30 bis 50 Prozent des
Preises vom Patienten zu tragen sind. Bei den Grundmedikamenten beträgt die Zuzahlung maximal einen Euro, bei zubereiteter Arznei maximal vier Euro.
113
¾rzte teils unter
Druck, teils unter
Pharma-Einfluss
Generika,
innovative und
»einzigartige«
Medikamente
Für die Aufnahme in die Liste werden alle Medikamente in
drei Kategorien eingeordnet: Generika, innovative sowie »einzigartige« Medikamente, die nicht ersetzt werden können, weil sie
die einzigen sind, die eine bestimmte therapeutische Wirkung
entfalten. Generika werden nur erstattet, wenn sie einen Test auf
Bioäquivalenz bestanden haben. Ihr Preis muss um 30 Prozent
unter dem eines Markenmedikaments liegen. Innovative Medikamente werden nach dem Gesetz dann erstattet, wenn das KostenNutzen-Verhältnis nachgewiesenermaûen stimmt.
Literatur und Link:
Mokrzycka, Anna. »Changes in the drug reimbursement
system«. Health Policy Monitor. Oktober 2007. www.
hpm.org/survey/pl/a10/3.
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Australien: Preisreform schafft zwei Klassen von Arzneimitteln
Das sogenannte Arzneimittel-Leistungspaket (Pharmaceutical Benefit Scheme ± PBS), das den Australiern subventionierten Zugang
zu Medikamenten ermöglicht, musste wegen hoher Ausgabensteigerungen gründlich reformiert werden. Ziel war, mehr Gewinn
aus der Konkurrenz unter den Generika zu ziehen und zugleich
einige Medikamente aus der Preiskonkurrenz herauszunehmen.
Aus einer Formel wurden so zwei: Gruppe eins umfasst jetzt
Markenpräparate, die nicht gegen ähnliche Produkte ausgetauscht
werden können. Zu dieser Gruppe gehören patentgeschützte, aber
auch einige nicht patentgeschützte Arzneimittel. Zur Gruppe
zwei schlieûlich gehören alle Medikamente, für die es wenigstens
ein klinisches ¾quivalent gibt ± also die meisten Generika.
Nach der Reform soll es für Medikamente der Gruppe eins
keine verpflichtende Preisreduzierung geben. Auch die Formel
114
für die Gruppe zwei wurde geändert. Bisher (d.h. bis Juli 2008)
mussten alle Medikamente um 12,5 Prozent billiger werden, sobald ein neues klinisches ¾quivalent beim PBS registriert wurde.
Künftig sollen Medikamente der Gruppe 2, bei denen die Preiskonkurrenz niedrig ist, zusätzlich in den nächsten drei Jahren
um zwei Prozent jährlich billiger werden. Wo hohe Konkurrenz
herrscht, ist ein einmaliger Preisabschlag um 25 Prozent vorgesehen.
Erwartet wird nun, dass die Arzneimittelhersteller Argumente
suchen und gewiss auch finden werden, um ihre Produkte in die
Gruppe eins einzuordnen: etwa dass ihr Präparat wenigstens für
bestimmte Patientengruppen einen höheren Wert darstellt als ein
mögliches Konkurrenzprodukt und diesem also klinisch nicht
äquivalent ist. Um ihr Präparat in die Gruppe eins zu hieven,
müssen die Hersteller lediglich geltend machen können, dass ihr
Arzneimittel nicht »auf der Ebene des einzelnen Patienten austauschbar« ist.
Daneben will die Regierung garantieren, dass die verordneten
Preisabschläge bei den Generika auch wirklich beim Verbraucher
ankommen. Bisher sind die Reduktionen häufig bei den Apothekern hängengeblieben, weil Konkurrenz zwischen den Herstellern
die Endpreise unter die Erstattung durch das PBS fallen lieû.
Die neue Regelung ist schon ein Kompromiss. Ursprünglich
hatte die Regierung verfügt, dass alle Arzneimittel nach Ablauf
der Patentfrist pauschal um 12,5 Prozent billiger würden. Die
Maûnahme stieû auf Protest bei den Pharma-Herstellern. Vier
Firmen setzten die niedrigeren Preise nicht um; für ihre Produkte müssen Versicherte jetzt rund drei Euro und Nichtversicherte sogar gut 18 Euro zuzahlen. Eine Herstellerfirma konnte
die Regierung von der höheren Wirksamkeit eines ihrer Präparate überzeugen und damit der Preissenkung entgehen. Die
zweite Runde der Reform kam nun in Abstimmung mit den
Pharma-Herstellern zustande ± obwohl deren Bedenken nicht
ausgeräumt wurden.
Zusätzlich sollen Apotheken für jedes abgegebene Medikament, dessen Preis den PBS-Erstattungsbetrag nicht überschreitet, knapp einen Euro zusätzlich verrechnen können. Die Bestimmung soll den Apotheken einen Anreiz bieten, Generika gegenüber Markenpräparaten den Vorzug zu geben.
115
»Unersetzliche«
Medikamente ohne
Preisreduzierung
Pauschale
Reduzierung nicht
umgesetzt
Werden Preissenkungen
durch Zuzahlungen
kompensiert?
Kritiker bemängeln, dass die Preise in den beiden neu geschaffenen Gruppen von Arzneimitteln nicht aufeinander bezogen
sind. Ist ein Medikament in der Gruppe eins, muss es nach klinischer Prüfung nicht mehr ± bzw. darf sogar weniger ± wirksam
sein als ein Präparat der Gruppe zwei, und es darf trotzdem
mehr kosten. Überdies herrscht die Befürchtung, dass Generika
nach der neuen Regelung in Australien immer noch teurer
wären als in vergleichbaren Industrieländern. Bisher gelten neue
Medikamente in Australien als vergleichsweise billig und Generika als vergleichsweise teuer. Von anderer Stelle kam der Hinweis, dass die Einführung der Gruppe eins Folge eines Freihandelabkommens mit den USA sei. Es wird befürchtet, dass an die
Stelle verordneter Preisreduzierungen künftig höhere Zuzahlungen treten könnten und dass die Kämpfe um Patentierung neuer
Wirkstoffe noch erbitterter ausgetragen werden könnten.
Literatur und Links
van Gool, Kees. »Pharmaceutical prices: reforms 2007«.
Health Policy Monitor. Oktober 2007. www.hpm.org/
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Faunce, Thomas. »Reference pricing for pharmaceuticals:
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116
ric drugs and proposed changes to the Pharmaceutical
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Monitor. Oktober 2005. www.hpm.org/survey/au/a6/2.
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Finnland: Raucher-Kaugummi einziger sichtbarer Erfolg
der Arzneimittelreform
Finnlands Arzneimittelreform (siehe Gesundheitspolitik in Industrieländern 6, S. 112) zeitigt erste ± höchst widersprüchliche ± Ergebnisse: Die Preise sind generell gesunken, und Nikotinersatzprodukte sind leichter zugänglich und auch billiger geworden.
Der Anwendungsbereich von Generika aber ist geschrumpft.
Eckpunkte der Reform waren der Ausschluss einiger Arzneimittel von der Erstattung, eine fünfprozentige Senkung der
Höchstpreise im Groûhandel und die Freigabe des Verkaufs von
Nikotinersatzprodukten in Geschäften, Kiosken und an Tankstellen, wenn dort auch Zigaretten verkauft werden. Nicht mehr erstattet werden Präparate, wenn sie nur gegen Bagatellerkrankungen wirken, keinen signifikanten Nutzen darstellen oder nicht
zur Behandlung einer Krankheit gebraucht werden. Zuvor waren
Medikamente nur dann von der Erstattung ausgeschlossen, wenn
sie zu teuer waren. Damit der finnische Markt für die Pharma-Industrie interessant bleibt, wurden Medikamente mit Patenten in
fünf europäischen Ländern von der obligatorischen Substitution
durch ein Generikum ausgenommen.
Als schwierig erwies sich der Ausschluss der schwach wirksamen Medikamente von der Erstattung. Die Definitionen »Baga117
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Keine Erstattung
mehr bei Bagatellerkrankungen
Groûhandelspreise
um fünf Prozent
gesenkt
Nikotinersatzprodukte nicht
mehr nur
in Apotheken
tellerkrankung«, »nur zeitweiser Gebrauch« und »unbedeutender Nutzwert« erwiesen sich als uneindeutig, und wenn etwas als
»schwach wirksam« beurteilt wurde, galt das oft für bestimmte
Patientengruppen nicht. Tatsächlich wurde nicht ein einziges
Medikament ausgeschlossen.
Erfolgreich dagegen war die fünfprozentige Senkung der Preise
im Groûhandel. Die Pharma-Hersteller hatten gegen die Regelung protestiert und vorab angekündigt, sie müssten einige Medikamente ganz aus dem Erstattungsbereich herausnehmen, wenn
die Preissenkung wahr würde. Der Drohung folgten aber keine
Taten. Als Folge der Preissenkung gingen die Gesamtausgaben
für Arzneimittel von 2006 auf 2007 um 0,7 Prozent zurück, nachdem sie im Jahr zuvor noch um 6,7 Prozent gestiegen waren. Auf
der anderen Seite wurde die Einschränkung der Generika-Pflicht
teurer als die erwarteten 20 Millionen Euro. Nachdem es dafür
wie zu erwarten Kritik hagelte, gehen Experten davon aus, dass
die Bestimmung bald wieder auf die Tagesordnung kommt.
Die Freiverkäuflichkeit von Nikotinersatzprodukten galt als
eine Art Tabubruch: Bisher gilt in Finnland für alle Medikamente
strikte Apothekenpflicht. Schon im Januar 2007, gleich nach Inkrafttreten der Reform, wurden die Präparate auûer in den etwa
1.000 Apotheken auch in 2.375 Geschäften, an 355 Tankstellen
und 714 Kiosken verkauft. Der Umsatz mit den Präparaten stieg
um stolze 41 Prozent, von denen ein Teil allerdings bloû Füllung
der Lager war, und die Preise sanken wegen der Konkurrenz und
dem Wegfall der Apothekengebühr um 15 Prozent. Derzeit sind
die Präparate in Apotheken teurer als anderswo. Dafür findet
man hier aber das breitere Sortiment. Eine ministerielle Arbeitsgruppe hat empfohlen, den Verkauf von Nikotinersatzprodukten
künftig auch in Restaurants und in solchen Geschäften zu gestatten, die keine Zigaretten verkaufen.
Literatur und Links
Vuorenkoski, Lauri. »Reform on pharmaceuticals ± Follow
up«. Health Policy Monitor. Oktober 2007. www.hpm.
org/survey/fi/a10/5.
118
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Spanien: Reform scheitert an der Pharma-Industrie
Starke Einflussnahme von Pharma-Industrie, Arbeitgebern und
¾rzteschaft hat eine geplante Reform der Preisbildung bei Arzneimitteln weitgehend scheitern lassen. Mit der Förderung der
allgemeinen Konkurrenz und eines gröûeren Marktanteils für
Generika hätte die Reform eigentlich einen paradigmatischen
Wandel in der spanischen Arzneimittelpolitik einleiten sollen.
Heraus kam ein weiterer Schritt auf dem seit langem begangenen Weg, durch Preiskontrolle und üppige Regulierung eine
Dämpfung der Ausgaben zu erreichen (siehe Gesundheitspolitik in
Industrieländern 7/8, S. 196; und Gesundheitspolitik in Industrieländern 5, S. 58).
Übrig blieben von den Reformzielen ein 20-prozentiger Preisabschlag auf alle Medikamente, die länger als zehn Jahre auf
dem Markt sind und für deren Wirkstoff es in Spanien noch kein
Generikum gibt, sowie die Einführung der sogenannten »Bolar«Bestimmung, die es einem konkurrierenden Hersteller erlaubt, die
Markteinführung eines Generikums schon dann vorzubereiten,
119
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Preisabschlag für
Altmedikamente
Kein Wandel zu
mehr Rationalität
im Verbrauch
Pharma-Industrie
drohte mit Versorgungsengpässen
wenn der Patentschutz für das kopierte Arzneimittel noch läuft.
Mit dem neuen Gesetz kann der Herstellerpreis schrittweise herabgesetzt werden, wenn der errechnete Referenzpreis (in Deutschlands gesetzlicher Krankenversicherung »Festbetrag« genannt)
um 30 Prozent darunter liegt. Medikamente mit bio-äquivalentem Wirkstoff schlieûlich werden in eine Gruppe mit gleichem
Referenzpreis eingeordnet. Stellen die Arzneimittel einen zusätzlichen therapeutischen Nutzen dar, werden sie für fünf Jahre von
der Bestimmung ausgenommen. Hinzu kommen ein Verbot von
Rabatten, eine kodifizierte Vormachtsrolle für die ¾rzte und die
Stärkung der Wächtermechanismen.
Die Referenzpreise stellen nach dem neuen Gesetz das arithmetische Mittel der drei billigsten Tagesdosen für eine bio-äquivalente Arzneimittelgruppe dar. Präparate, für die der Hersteller
die verordneten Preisabschläge nicht umsetzt, werden vom nationalen Gesundheitsdienst nicht mehr finanziert. Wie oft der Referenzpreis neu ermittelt wird, ist nun in das Ermessen der Behörde gestellt.
Experten stellen der Reform kein gutes Zeugnis aus. Ein eigentlich erforderlicher spürbarer Wandel, der sich auf mehr Rationalität beim Arzneimittelverbrauch hätte richten sollen, bleibe aus.
Darüber hinaus verhindere die Reform in ihrer groûen Bandbreite sogar die Anwendung intelligenterer Erstattungsmechanismen, etwa von erfahrungsgestützten Informationsmechanismen,
die eine selektive Finanzierung von Medikamenten je nach ihrem
therapeutischen Nutzen ermöglichen würden. Für diesen Zweck
müsse eine hoch spezialisierte und von den Interessen der Beteiligten unabhängige Agentur geschaffen werden. Vermisst werden
überdies deutliche Fortschritte bei der Festlegung von Kriterien,
mit denen die Bereitschaft gemessen wird, für Innovationen im
Sinne eines besseren Kosten-Nutzen-Verhältnisses zu forschen.
Befürchtet wird nun, dass sich der Preisanstieg trotz möglicher kurzfristiger Entlastung fortsetzt. Hauptgründe sind zum
einen, dass die Anreize zur Kostenersparnis zu schwach sind,
zum anderen der Mangel an Konkurrenz in allen Phasen der Produktion, des Absatzes und des Verkaufs.
Die Pharma-Industrie hatte im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens davor gewarnt, dass die Reform das Wachstum und die
Innovationskraft der Branche gefährde und dass es sogar zu Ver120
sorgungsengpässen kommen könne. Erleichtert wurde ihr Einfluss durch die Konzentration des Gesetzgebungsverfahrens auf
die zentrale Ebene. Initiativen von Regionen und des sogenannten Interterritorialen Rates, die sich alle auf eine weitergehende
Reform gerichtet hätten, wurden so ausgeschaltet. Die ¾rzteschaft lieû sich mit einer Stärkung ihrer Rolle zufriedenstellen:
Ein Arzt kann nunmehr Generika verordnen, ohne dass der Apotheker stattdessen ein Markenpräparat abgeben dürfte.
Abbildung 5: Positionen zur Reform der Arzneimittelpolitik in Spanien
Positionen
sehr unterstützend
1
kein
Einfluss
2
4
5
6
7
3
sehr großer
Einfluss
stark dagegen
1
Patienten/Verbraucher
5
Regionalregierungen
2
Ärzte, Generika-Hersteller
6
Apotheker
3
Zentralregierung
7
Pharma-Industrie, Pharmazeutischer Großhandel
4
Pflegekräfte
Quelle: Ferragut 2007.
121
Pharma-Verband
bietet Tauschhandel
Im Laufe der Debatte kam es zu einer scharfen Konfrontation
zwischen Farmaindustria, dem spanischen Verband der pharmazeutischen Industrie, sowie dem Arbeitgeberverband auf der
einen und dem Verband der Generika-Hersteller auf der anderen
Seite (siehe auch Abbildung 5). Gegenstand war das Patentsystem. Um zu demonstrieren, welches Verhängnis von der geplanten Reform drohte, hielt Farmaindustria mehrere Treffen mit
politischen Parteien ab. Schlieûlich bot der Verband an, bis 2012
300 Millionen Euro in die Erforschung von ausgefallenen Krankheiten zu stecken, wenn das geplante neue Patentsystem nicht
verabschiedet würde.
Umgesetzt werden die neuen Bestimmungen vom Interterritorialen Rat des nationalen Gesundheitsdienstes. Dort hält die
Zentralregierung eine Stimmenmehrheit. Eine Evaluierung der
Folgen des Gesetzes ist nicht vorgesehen. Der Spareffekt wird von
der Regierung auf eine Milliarde Euro im Jahr 2007 geschätzt. Unabhängige Experten erwarten dagegen von der Reform nur moderaten Einfluss und beklagen, die wirklichen Probleme des spanischen Arzneimittelmarktes seien nicht angegangen worden.
Literatur und Links
Ferragut Ensenyat, Gabriel. »Update on Pharmaceutical
Policy in Spain«. Health Policy Monitor. Oktober 2007.
www.hpm.org/survey/es/a10/4.
Puig-Junoy, Jaume. »Pharmaceutical Plan For The Spanish
NHS«. Health Policy Monitor. April 2005. www.hpm.org/
survey/es/a5/3.
Sµnchez, Elvira. »Rationalizing use of drugs and health
products«. Health Policy Monitor. April 2006. www.hpm.
org/survey/es/a7/3.
122
Mehr Wahlmöglichkeiten
durch Privatisierung und Gutscheine?
Versuche, die ewige Auseinandersetzung über das rechte Verhältnis von Markt und zentraler Planung radikal nach einer Seite hin
aufzulösen, sind heute die Ausnahme. Der ideologische Grundsatzstreit im Gesundheitswesen ist einem pragmatischen Herangehen gewichen. Überall werden Elemente von Angebot und
Nachfrage und Elemente zentraler Planung auf mehr oder weniger glückliche Weise miteinander kombiniert (siehe Gesundheitspolitik in Industrieländern 5, S. 18±30). Dem entspricht auf der
Finanzierungs- und der Angebotsseite die Vielfalt von staatlichen,
halbstaatlichen, gemeinnützigen und privaten Akteuren.
Das heiût nicht, dass das Verhältnis von Markt und Planung,
öffentlicher und privater Organisation dem politischen Streit schon
entzogen wäre. Im Gegenteil: Gerade weil es ständig um die
Balance beider Elemente geht, wird anhaltend diskutiert und verhandelt. Nur die Extreme auf beiden Seiten können eben wenig
überzeugen.
Privat organisiert und gewinnorientiert ist in der weltweiten
Übersicht besonders häufig die Anbieterseite ± und hier besonders
die Primärversorgung und die ambulanten Pflegedienste. Seltener
sind auch Krankenhäuser so organisiert. Auf der Finanzierungsseite bestehen, zumindest in Industrieländern, fast überall kollektive Systeme, als Staat oder als gesetzliche Pflichtversicherung
organisiert. Eine Teilprivatisierung stellen auf der Finanzierungsseite aber die zunehmenden Zuzahlungen dar, die Erkrankte aus
eigener Tasche bezahlen müssen (WHO 2002: 4±8).
Rein staatliche, nach den Regeln der öffentlichen Finanzverwaltung betriebene Systeme verkommen nach der Erfahrung über
die Zeit zur reinen Kulisse, hinter der sich eine illegale, aber sehr
rege und besonders rigorose Marktwirtschaft etabliert. Eine rein
123
Befürworter und
Gegner dauerhaft
mobilisiert
Staatliche Systeme
als Kulisse für
Marktrigorismus
Markteuphorie
wich der
Ernüchterung
Jedem Land
seine eigene
Organisation
administrative Rationierung der knappen Gesundheitsleistungen
lässt sich unter den Bedingungen von Demokratie und Marktwirtschaft nicht ohne Weiteres durchsetzen. Mit »schuld« daran
ist die Schwerfälligkeit administrativer Systeme, bedingt vor allem
durch die Pflicht zu Gleichbehandlung, Transparenz und Nachvollziehbarkeit, die sie gegenüber privaten Akteuren ins Hintertreffen setzt.
Auf der anderen Seite ist auch die Euphorie über die Segnungen des Marktes im Gesundheitswesen, wie sie weltweit in den
frühen 80er Jahren aufkam und bis weit in die 90er hinein vorhielt, der Ernüchterung gewichen. In den USA, dem Kernland
marktwirtschaftlichen Denkens, treten inzwischen Arbeitgeber
und wertkonservative Politiker für eine allgemeine Krankenversicherung ein. Neue, bessere Versorgungsformen legen zudem
wieder kollektive Organisationsformen nahe.
Unwiderlegbares Argument der Marktskeptiker ist das der
asymmetrischen Information: Wer als Kunde vernünftig auswählen will, muss das Angebot kennen und beurteilen können ± in
der hoch spezialisierten Medizin eine unerfüllbare Anforderung.
Dass der Patient wie der Käufer »zu Markte geht«, ist schon als
Metapher schief: Viele Patienten und eben jene, die den höchsten
Bedarf haben, können gar nicht gehen. Nicht zuletzt lässt sich
klar nachweisen, dass in privat orientierten Systemen der Anteil
der Gesundheitskosten am Bruttoinlandsprodukt am höchsten ist.
Wie im Einzelnen marktwirtschaftliche Elemente und geplante
Ressourcenverteilung zueinander ins Verhältnis gesetzt werden,
orientiert sich nicht an der weltweit gültigen, abstrakten Zweckmäûigkeit, sondern viel stärker an nationalen Kulturen (siehe
WHO 2002: 3). Wo die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen absolut gesetzt wird und jeder als seines Glückes Schmied gilt, ist
die Tendenz zu Marktmechanismen am gröûten. In den gefestigten Nationalstaaten des »alten Europa«, mit seinen alten sozialstaatlichen Traditionen, stehen Gerechtigkeit und Solidarität im
Wertesystem weit oben. Die Verteilung der Ressourcen nach
individueller Zahlungskraft, so die verbreitete Überzeugung, hat
da haltzumachen, wo es um Leben und Tod geht. Wenn es hier
zu Privatisierungstendenzen kommt, dann bewegen diese sich
auf einem Spektrum, in dem hybride Formen groûen Raum einnehmen (siehe Abbildung 6).
124
Abbildung 6: Das Kontinuum der Privatisierung
Hybride Organisationen
Neue Organisationsformen
Interne Transformation
»Public-PrivatePartnerships«
Komplette
Privatisierung
Outsourcing
Quelle: WHO Europe 2007: 247.
Auf den ersten Blick Refugium einer »klaren« im Sinne von ideologisch reinen Organisation des Gesundheitswesens ist der Stadtstaat Singapur (siehe den Bericht über Singapur, S. 127). Aber
auch hier beschränkt sich der Staat nicht nur darauf, seine Bürger für den Krankheitsfall zum individuellen Sparen zu nötigen,
sondern hat diese »MediSave«-Gesundheitssparkonten mit einem
Subventionssystem für Krankenhausaufenthalte untermauert
(siehe Gesundheitspolitik in Industrieländern 7/8, S. 84±85). Ein
genauerer Blick verrät aber auch, warum das in Singapur funktioniert: Das Gesundheitswesen ist ein prosperierender Exportsektor und zieht Patienten aus ganz Asien an. Vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, ist es damit ein Aktivposten. Die
Zahl der Krankenhausbetten, ständige teure Innovationen: Was
anderswo als volkswirtschaftlicher Kostenfaktor mit groûem Aufwand eingedämmt wird, wird in Singapur mit staatlicher Hilfe
noch gefördert.
Umgekehrt nutzt das nicht minder kleine Dänemark das Ausland, um den eigenen Krankenhäusern produktive Konkurrenz
zu machen: Wer zu lange auf eine Operation warten muss, soll
sich auf Kosten des nationalen Gesundheitsdienstes im Ausland
± oder in einer dänischen Privatklinik ± behandeln lassen dürfen
(siehe den Bericht über Dänemark, S. 130).
In groûen Flächenstaaten funktioniert der Rückgriff auf das
Ausland nicht. Hier kann die marktwirtschaftliche Ordnung des
Gesundheitswesens vielmehr erhebliche negative Folgen in der
125
Singapur und
Dänemark:
Rückgriff auf
das Ausland
Marktorientierung
führt zu
regionalen
Verwerfungen
Staatliches
Gegensteuern
ist schwierig
Siedlungsstruktur nach sich ziehen. Wo die Kaufkraft gering ist,
siedeln sich keine privaten Anbieter an, sodass für Teile der Bevölkerung wichtige Versorgung praktisch unerreichbar wird. Wo
die Kaufkraft hoch ist, ballen sich dagegen die Spezialisten und
erzeugen sich die Nachfrage in ihrer schon bestens versorgten
Klientel zur Not selbst. Beides kann Ab- und Zuwanderung verstärken.
In Frankreich hat die private Organisation der Hauskrankenpflege zu einer krass ungleichen Verteilung von Ressourcen vor
allem im regionalen Rahmen geführt: Paris und Umgebung
sowie die Côte d'Azur sind stark über-, periphere Regionen auf
dem Lande dagegen ebenso stark unterversorgt (siehe den Bericht über Frankreich, S. 132). Jetzt muss der Staat wieder eingreifen. ¾hnliche Erfahrungen hat Finnland mit seiner extrem
niedrigen Bevölkerungsdichte gemacht: Ein Gutscheinsystem für
ambulante Leistungen will in den entlegenen Gebieten nicht
funktionieren (siehe den Bericht über Finnland, S. 134).
Um den regionalen Personalmangel zu lindern, haben auch
das streng föderale Kanada und Australien wieder landesweit
anerkannte Abschlüsse einführen müssen. In Kanada stellen die
Provinz- und Territorialregierungen detaillierte Pläne für die
Fachkräfteentwicklung in den nächsten zehn Jahren auf und setzen dabei auch auf neue sektorübergreifende Berufsbilder (siehe
Gesundheitspolitik in Industrieländern 7/8, S. 172±174). Auch Australien arbeitet an einem Zehnjahresplan, der frühere Fehlsteuerungen bei der Personalentwicklung korrigieren soll. Vor allem
will man die Registrierung von medizinischem Personal entbürokratisieren, mehr Ausbildungs- und Studienplätze schaffen und
die Ausbildungsqualität verbessern (siehe Gesundheitspolitik in
Industrieländern 7/8, S. 177±179).
Literatur und Links
Atun, Rifat. »Privatization as decentralization strategy«.
Decentralization in Healthcare. WHO 2007. 246±272.
Busse, Reinhard, Anette Zentner und Sophia Schlette. »Finanzierung und Privatisierung«. Gesundheitspolitik in
Industrieländern 5. Gütersloh 2006. 18±43.
126
WHO Europe. The Role of the Private Sector and Privatization in European Health Systems. Handreichung zur 52.
Sitzung des Regionalkomitees Europa. Kopenhagen
2002. www.euro.who.int/document/rc52/edoc10.pdf.
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Singapur: Das teuerste Gesundheitswesen ist gerade gut genug
Während andere Staaten danach trachten, ihre Gesundheitsausgaben zurückzufahren, baut Singapur seine Kapazitäten um etliche Milliarden Dollar aus. Grund ist die steigende Nachfrage aus
dem Privatsektor: Die Zahl der ausländischen Patienten wächst
jährlich um 20 Prozent; zwischen 2002 und 2005 hat sich ihre
Gesamtzahl von 200.000 auf 400.000 verdoppelt. Die halb staatliche, halb private Firma Singapore Medicine nutzt den Zustrom,
die hinterindische Metropole zu einem regionalen Gesundheitszentrum zu machen. Vier von fünf Ausländern lassen sich in privaten Einrichtungen behandeln.
Etwa 21 Prozent der Krankenhausbetten in Singapur gehören
gewinnorientierten Investoren, zumeist Aktiengesellschaften. Das
Gesundheitsministerium sucht gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium und der Stadtentwicklungsbehörde nach passenden
Grundstücken für weitere Privatkliniken. Künftig sollen auch Ausländer hier Krankenhäuser betreiben können. Beliebt als Standorte
sind vor allem die Gelände bestehender öffentlicher Krankenhäuser. Hier befinden sich drei der vier ausgemachten möglichen
Neubaugrundstücke.
Allgemein wird erwartet, dass die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen von hoher Qualität in Singapur in den nächsten
Jahren noch stark ansteigen wird. Grund dafür ist zum einen der
angestrebte Anstieg der Bevölkerungszahl um zwei auf 6,5 Mil127
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Gesundheitsministerium sucht
Klinikstandorte
Mehr Einwohner,
mehr Gesundheitstouristen
Regierung
will mehr
private Betten
Gemeinsames
Unternehmen der
»Singapore
Incorporated«
lionen Menschen. Der weitaus gröûte Anteil an dem Anstieg soll
bei den stagnierenden Geburtenzahlen auf die Immigration entfallen. Zum anderen strebt die Regierung an, bis zum Jahr 2012
die Zahl der ausländischen Patienten auf eine Million zu heben.
Der Gesundheitstourismus soll einen Umsatz von drei Milliarden Dollar bringen und 13.000 neue Arbeitsplätze schaffen.
Schon seit 1993 verfolgt die Regierung die Strategie, den privaten Anteil an den Krankenhausbetten von 20 auf 30 Prozent zu
steigern. Hemmender Faktor waren allerdings stets die enormen
Immobilienpreise in dem räumlich beengten Stadtstaat.
Die Reaktionen der Öffentlichkeit und der Fachwelt auf die
Ausbaustrategie waren bisher eher gedämpft. Vor allem unter
den eingesessenen Einwohnern Singapurs herrschte die Befürchtung, dass der dynamische Ausbau nur den Ausländern zugutekommen würde. Besondere Skepsis machte sich gegenüber der
Praxis breit, auf dem Gelände öffentlicher Krankenhäuser private
Abteilungen zu gründen: Über kurz oder lang würden die Einheimischen dabei zu kurz kommen. Die Regierung trat der Skepsis
aber mit einem offenbar überzeugenden Argument entgegen:
Gerade bei seltenen Krankheiten sei die Zahl der Einwohner zu
klein, als dass ¾rzte mit ihnen genügend Erfahrungen sammeln
könnten. So kämen die vielen Ausländer auf Dauer auch den einheimischen Patienten zugute.
Der asiatische Markt für derlei Gesundheitstourismus wird
für die nächsten fünf Jahre auf sieben Milliarden Singapur-Dollar
(etwa 3,5 Mrd. Euro) geschätzt. Immer mehr Kunden kommen
aus Indien und China. Singapur genieût als Anbieterland von
Gesundheitsleistungen in Asien den besten Ruf. Die Hälfte aller
von der Joint Commission International anerkannten Krankenhäuser steht hier. Konkurrenz machen dem Stadtstaat vor allem
Thailand und Indien.
Singapurs geringe Gröûe und daraus folgende Flexibilität stellen sich dabei als Vorteile heraus. Die Behörden arbeiten zusammen für das gemeinsame Ziel (siehe Abbildung 7). So bemüht
sich die Agentur für Wirtschaftsentwicklung um die Ansiedlung
von einschlägigen Investoren, während die Agentur für Handelsentwicklung sich um die regionale Expansion der örtlichen Versorgungsanbieter kümmert. Die Tourismusbehörde übernimmt
das internationale Marketing und arbeitet gemeinsam mit dem
128
Abbildung 7: Positionen zum geplanten Ausbau des
privaten Gesundheitssektors in Singapur
Positionen
sehr unterstützend
2
1
3
4
kein
Einfluss
sehr großer
Einfluss
5
stark dagegen
1
Hotels, Reiseveranstalter
4
öffentliche Krankenhäuser
2
Tourismusbehörde, Agentur für Handelsentwicklung,
private Krankenhäuser
5
Öffentlichkeit
3
Gesundheitsministerium,
Agentur für Wirtschaftsentwicklung
Quelle: Lim 2007.
Gesundheitsministerium an marktgerechten Versorgungsstrukturen. Seit 2006 hilft auch die Unternehmensberatung McKinsey
bei der Entwicklung und Umsetzung von Strategien.
129
Literatur und Link
Lim, Meng Kin. »Singapore to expand health services«.
Health Policy Monitor. Oktober 2007. www.hpm.org/sur
vey/sg/a10/4.
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Wer seine
Patienten warten
lässt, verliert sie
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Dänemark: Konkurrenz für öffentliche Krankenhäuser
Dänen, die innerhalb eines Monats keine Aufnahme in einem
öffentlichen Krankenhaus gefunden haben, können sich neuerdings auf Kosten des öffentlichen Gesundheitsdienstes in Privatkliniken behandeln lassen. Das Prinzip gilt eigentlich schon seit
1993; nur betrug die Wartezeit damals drei Monate. 2002 wurde
sie auf zwei Monate verkürzt.
Sinn der Regelung war ursprünglich, die Wartezeiten in den
öffentlichen Krankenhäusern zu verkürzen. Als Wartefrist wurde
die Zeitspanne zwischen Überweisung und Beginn der Therapie
definiert. Die Konkurrenzklausel gilt nicht nur für dänische, sondern auch für ausländische Kliniken. Mit der Verkürzung der
Wartefrist auf einen Monat tritt zugleich die Bedingung in Kraft,
dass die aufnehmende Privatklinik einen Behandlungsvertrag
mit der zuständigen dänischen Regionalbehörde schlieût. Auûerdem muss klargestellt sein, dass kein anderes öffentliches Krankenhaus im Lande die Therapie übernimmt.
Durchgesetzt wurde die neue kürzere Wartezeit von der liberal-konservativen Regierung, die dafür im Parlament auch die
Unterstützung der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei
fand. 59 Abgeordnete stimmten dafür, 49 dagegen. Der politische
Widerstand konzentriert sich bei den Sozialdemokraten. Unter
den öffentlichen Anbietern herrscht Skepsis; die neue zulässige
Wartezeit wird als zu kurz empfunden. Als Finanziers sind auch
130
die Regionalregierungen nicht glücklich mit der Reform: Behandlungen in Privatkliniken oder im Ausland sind meistens teurer
als die in öffentlichen Krankenhäusern.
Jedoch scheint die Reform langsam auch die ursprünglichen
Ziele der Regelung zu erreichen. Signale aus öffentlichen Krankenhäusern lassen den Schluss zu, dass dort die Kapazitäten noch
ausgeweitet werden können. Manche Regionalregierungen haben
»Garantie-Kliniken« eingerichtet, die versprechen, alle Patienten
vor Ablauf der Wartefrist aufzunehmen. Sie bekommen dafür
höhere Vergütungen von der Regionalregierung. Andere Krankenhäuser sehen sich durch die verbesserte Auftragslage bei den
Privaten zunehmend dem Problem ausgesetzt, geeignetes Personal zu finden. Privatkliniken zahlen in der Regel besser.
Ein weiteres Problem wird in den entstehenden »dualen Arztpraxen« gesehen: ¾rzte dürfen neben ihrer Tätigkeit für den
öffentlichen Gesundheitsdienst auch in Privatkliniken praktizieren. Dabei sind sie nicht selten versucht, der lukrativeren Privatpraxis mehr Energie zu widmen als ihrem Hauptarbeitgeber. Im
Ergebnis kann der öffentliche Gesundheitsdienst in dem Maûe
an Attraktivität verlieren, wie der Privatsektor gewinnt. Am Ende
stünde eine schleichende Privatisierung. Appelle, das doppelte
Praktizieren zu unterbinden, blieben auf Regierungsseite bislang
ungehört.
Gewinner der Entwicklung sind in jedem Falle die privaten
Einrichtungen, die sich auf einem deutlich höheren Niveau zu
stabilisieren beginnen. Ebenfalls zu den Gewinnern zählen Patienten, die dringend eine Operation benötigen, und indirekt auch
¾rzte und andere Gesundheitsberufler, die zwischen mehr Arbeitsplätzen auswählen können. Zu den Verlierern zählen die Regionen, die sich preistreibender Personalkonkurrenz ausgesetzt
sehen und an Privatkliniken hohe Sätze bezahlen müssen.
Eine Evaluierung des Konkurrenzsystems hat bei Patienten
und Krankenhausmanagern eher positive Ergebnisse zutage gefördert. In Privatkliniken wird allerdings Klage über mangelnden
Informationsfluss von den öffentlichen Kliniken geführt.
Die Zahl der Patienten, die die Möglichkeit zu auswärtiger
Behandlung in Anspruch nehmen, ist nichtsdestoweniger geringer als erwartet. Für möglichst wohnortnahe Behandlung wird
oft auch eine längere Wartezeit in Kauf genommen. Der Verdacht,
131
Mehr Kliniken
garantieren rasche
Aufnahme
Öffentliche
Krankenhäuser in
Personalnöten
Patienten und
Manager sind
zufrieden
dass die Privatkliniken sich die Rosinen aus dem Kuchen picken
und nur leicht und preiswert zu behandelnde Patienten aufnehmen könnten, hat sich in einer Untersuchung des Dänischen Gesundheitsinstituts dagegen nicht bestätigt.
Literatur und Links
Socha, Karolina, und Mickael Bech. »Extended free choice
of hospital ± waiting time«. Health Policy Monitor. Oktober 2007. www.hpm.org/survey/dk/a10/1.
The Government Platform »New Goals«. Februar 2005.
www.statsministeriet.dk/publikationer/UK_reggrund05/
New_Goals.pdf.
The Ministry of Health and Interior. Health care in Denmark. August 2002. www.im.dk/publikationer/health
care_in_dk/healthcare.pdf.
The Ministry of Health and Interior. The local government
reform ± in brief, Dezember 2005. www.im.dk/publika
tioner/government_reform_in_brief/Kommunal_UK_
screen.pdf.
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
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Frankreich:
Pflegekräfte werden aufgewertet und besser verteilt
Ein Abkommen zwischen den Krankenschwestern-Gewerkschaften und der nationalen Krankenversicherung gibt Pflegekräften
mehr Kompetenzen und damit eine stärkere Rolle in klinischer
und technischer Versorgung alter Menschen, die auf fremde Hilfe
angewiesen sind. Um örtliche Versorgungsengpässe zu überwinden, soll zudem die regionale Aufteilung strenger gehandhabt wer132
den. Mittel dazu sind Zulassungsbeschränkungen für Pflegedienste
in überversorgten Gebieten und Anreize, sich in unterversorgten
Gegenden niederzulassen.
Die Bestimmungen im Einzelnen:
± Die Tarife, auch die für die Anfahrt, werden generell angehoben.
± Krankenschwestern wird die Befugnis zur Ausführung zusätzlicher medizinischer Leistungen für alte Menschen mit
chronischen Krankheiten und für Präventions- und Gesundheitsförderungsmaûnahmen erteilt. Wer bestimmten Behandlungsplänen folgt, etwa für Diabetiker, bekommt einen Bonus.
Frühere Abkommen hatten dagegen meistens auf Kontrolle
der Pflegetätigkeit gesetzt.
± Krankenschwestern können künftig in gröûerem Umfang
selbst über die Verordnung von Medikamenten und die Anwendung von Therapien entscheiden.
± Das Krankenpflege-Examen wird, anders als bisher, mit dem
Hochschulabschlusssystem abgeglichen und dem Bachelor
gleichgestellt.
± Bestimmungen zu einer besseren Verteilung der Hauskrankenpflegedienste zwischen über- und unterversorgten Gebieten können erst nach einer Gesetzesänderung in Kraft treten.
± Erstmalig wird ± analog zu den ¾rzten ± auch für Pflegekräfte
ein Nationaler Rat eingerichtet, der in etwa die Funktionen
einer deutschen Kammer erfüllen soll. Anders als der ¾rzterat
soll der Pflegerat aber nicht vom Staat finanziert werden.
Das neue System soll dem Beruf mehr Anerkennung und mehr
Attraktivität verschaffen und die schon tätigen Hauskrankenschwestern besser im Land verteilen. Besonders der regionale Ausgleich gestaltet sich schwierig, weil die ungleiche Verteilung auch
sehr ungleiche Einkommen nach sich zieht. Ein besonderes Problem ist Unterversorgung da, wo sich auch wenige Allgemeinärzte
niederlassen. Die Übertragung von Kompetenzen auf Krankenschwestern und ihre bessere Verteilung sollen das Problem mildern.
Die Gewerkschaft der Pflegekräfte in Krankenhäusern schloss
sich dem Abkommen nicht an. Klinisch tätige Pflegekräfte profitieren nicht von den finanziellen Anreizen und fürchten darü133
Gesellschaftliche
Anerkennung für
den Pflegeberuf
Pflegekräfte in
Krankenhäusern . . .
. . . und niedergelassene ¾rzte
sind kritisch
ber hinaus, dass der vereinbarte Pflegerat Privatisierungstendenzen fördern könnte. Widerstände besonders gegen den Mechanismus der regionalen Verteilung kommen von den niedergelassenen
¾rzten. Sie fürchten, dass nach den Krankenschwestern auch sie
Objekt einer geografischen Umverteilung werden könnten.
Literatur und Link
Naiditch, Michel. »New nursing regulation«. Health Policy
Monitor. Oktober 2007. www.hpm.org/survey/fr/a10/2.
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Für Gemeinden
ist Eigenleistung
oft günstiger
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Finnland: Kaum Nachfrage nach Versorgungsgutscheinen
Schon seit 2004 besteht ein gesetzlicher Rahmen für ein System
von Gutscheinen, die Patienten für kommunale Sozial- und Gesundheitsdienste und besonders für Hauskrankenpflege eintauschen können (siehe Gesundheitspolitik in Industrieländern 2, S. 20).
Die Einführung des neuen Systems gestaltete sich allerdings
schleppend. Ein Gesetz von 2007 hat das Ziel, den Gebrauch der
Gutscheine besonders in der Hauskrankenpflege auszuweiten.
Eine Arbeitsgruppe soll nun weitere Vorschläge für die Anwendung des Systems machen.
Haupthindernis für die Verbreitung ist eine Bestimmung, die
den Kommunen die Ausgabe von Gutscheinen freistellt und es
den Klienten erlaubt, die Dienste auf Wunsch auch direkt von
der Gemeinde zu beziehen. Ohne die Gemeinde geht es nicht,
denn Anbieter brauchen vorab von dort eine Genehmigung. Die
hat daran nicht unbedingt ein Interesse: Geht es um Hauskrankenpflege, kann der Zuzahlungsbetrag für Patienten, die einen
Gutschein einlösen, höher sein als bei direkter Dienstleistung
der Gemeinde. Für andere Dienste gilt das allerdings nicht.
134
Bis Anfang 2007 hatten etwa 25 Prozent der Gemeinden das
Gutscheinsystem eingeführt. In den meisten Fällen können die
Gutscheine gegen Hilfe im Haushalt, Putzdienste und informelle
Hilfen durch Angehörige eingetauscht werden. Im Jahr davor
hatten rund 4.000 Klienten solche Gutscheindienste in Anspruch
genommen. Die Anbieter sind zumeist sehr kleine private Firmen.
Die Hauptstadt Helsinki allerdings ging über das übliche
Muster hinaus und vergab Gutscheine auch für zahnärztliche Betreuung. Der Grund dafür ist der Zahnärztemangel in der Stadt
mit den entsprechenden langen Wartezeiten. Mit den Gutscheinen können die Patienten zu privat praktizierenden Zahnärzten
gehen und dort zu den gleichen Sätzen Behandlung finden wie
im kommunalen Gesundheitszentrum.
Das Programm der aktuellen Regierung sieht generell eine
Ausweitung privat angebotener Dienstleistungen vor (siehe Vourensoski 2007b). Besonderer Wert wird dabei auf eine Kundenbeziehung zwischen den Empfängern und Anbietern von Gesundheitsleistungen gelegt.
Die Gemeinden stehen dem neuen System grundsätzlich positiv gegenüber. Noch stärker gilt das für den Privatsektor, der sich
davon einen gröûeren Markt erhofft. Auf der politischen Ebene
streiten rechts und links seit geraumer Zeit über die Grundsatzfrage, welche Rolle der private Sektor im Gesundheitswesen künftig spielen soll.
Dass die Einführung so schleppend vorangeht, liegt vor allem
daran, dass beinahe die Hälfte der Gemeinden Hilfe im Haushalt
und Hauskrankenpflege als integrierten Dienst anbieten. In diesen Fällen wäre es wenig praktikabel, wenn die eine Leistung
direkt von der Gemeinde und die andere über die Gutscheine
von privaten Firmen angeboten würde. Darüber hinaus mangelt
es in schwach besiedelten Gebieten an Anbietern. Schlieûlich
gibt es für Gemeinden mit funktionierenden eigenen Diensten
keinen Anreiz, Private zu beauftragen.
Ein Bericht über erste Erfahrungen mit dem Gutscheinsystem
kommt indessen bei Gemeindevertretern und Klienten zu gleichermaûen positiven Ergebnissen. Die Anbieter haben in der Regel
nur wenige Klienten mit Gutscheinen, hoffen aber, dass deren
Zahl zunimmt.
135
Helsinki: Mit
Gutschein zum
privaten Zahnarzt
Grundsatzstreit
zwischen rechts
und links
Erste Beurteilung
kommt zu
positivem Ergebnis
Die ganze Reform stellte sich als lange nicht so einschneidend
heraus wie ursprünglich erwartet. Mit dem neuen Gesetz dürfte
die Zahl der Gutscheingemeinden ebenfalls nur mäûig ansteigen.
Literatur und Links
Vuorenkoski, Lauri. »Vouchers in social and health care ±
follow up«. Health Policy Monitor. Oktober 2007a. www.
hpm.org/survey/fi/a10/4.
Volk, Raija, und Tuula Laukkanen. »The use of service
vouchers in municipalities in Finland«. Reports of the
Ministry of Social Affairs and Health 2007: 38. www.stm.
fi/Resource.phx/publishing/documents/11722/summary_
en.htx.
Vuorenkoski, Lauri. »The government programme for the
years 2007±2010«. Health Policy Monitor. Oktober 2007b.
www.hpm.org/survey/fi/a10/1.
136
Das Internationale Netzwerk
Gesundheitspolitik
Seit 2002 arbeiten in dem Netzwerk gesundheitspolitische Experten aus inzwischen 20 Ländern zusammen, die über aktuelle
Themen und Entwicklungen der Gesundheitspolitik berichten.
Ziel des Netzwerks ist es, die Lücke zwischen Forschung und
Politik mit halbjährlichen Informationen darüber, was sich gesundheitspolitisch bewegt und bewährt hat ± und was nicht, zu verringern.
Kriterium für die Auswahl der Länder für die systematische
Betrachtung im Rahmen des Netzwerks waren einschlägige gesundheitspolitische Reformerfahrungen oder Innovationen, die die
deutsche Debatte bereichern könnten.
Netzwerkpartner sind Fach- und Forschungsinstitutionen mit
ausgewiesener Expertise in Gesundheitspolitik, Gesundheitsökonomie, Gesundheitsmanagement oder »Public Health«. Das Netzwerk ist somit interdisziplinär; die Experten und Expertinnen sind
Ökonomen, Politikwissenschaftler, Mediziner und Juristen. Viele
von ihnen haben Erfahrung als Politikberater, andere solche in
international vergleichender Gesundheitssystemforschung.
137
Australien
Centre for Health Economics, Research and Evaluation
(CHERE), University of Technology, Sydney
Dänemark
Institute of Public Health, Health Economics, University of
Southern Denmark, Odense
Deutschland
Bertelsmann Stiftung, Gütersloh; Fachgebiet Management
im Gesundheitswesen (MiG), Technische Universität Berlin
Estland
PRAXIS, Center for Policy Studies, Tallinn
Finnland
National Research and Development Center for Welfare and
Health (STAKES), Helsinki
Frankreich
Institut de Recherche et Documentation en Economie de la
SantØ (IRDES), Paris
Groûbritannien
LSE Health & Social Care, London School of Economics and
Political Science
Israel
Smokler Center for Health Policy Research,
The Myers-JDC-Brookdale Institute, Jerusalem
Japan
Kinugasa Research Organization, Ritsumeikan University,
Kyoto
Kanada
Canadian Policy Research Networks (CPRN), Ottawa
Niederlande
Department of Health Organization, Policy and Economics
(BEOZ), Faculty of Health Sciences, University of Maastricht
Neuseeland
Centre for Health Services, Research and Policy,
University of Auckland
Österreich
Institut für Höhere Studien (IHS), Wien
Polen
Institute of Public Health, Faculty of Healthcare,
Medical College, Jagiellonian University, Krakau
Schweiz
Institute of Microeconomics and Public Finance (MecoP),
Università della Svizzera Italiana, Lugano
Singapur
Department of Community, Occupational and
Family Medicine, National University of Singapore (NUS)
Slowenien
Institute of Public Health of the Republic of Slovenia,
Ljubljana
Spanien
Research Centre for Health and Economics
(Centre de Recerca en Economia i Salut, CRES),
University Pompeu Fabra, Barcelona
Südkorea
Department of Health Policy and Management,
School of Public Health, Seoul National University
USA
Institute for Global Health (IGH), University of California,
Berkeley/San Francisco; Department of Health Policy and
Management, Johns Hopkins Bloomberg School of Public
Health, Baltimore
138
Vorbereitung und Vorgehen der Berichterstattung
Für die Berichterstattung wurden Politikfelder, in denen Reformen dringend nötig sind, identifiziert und diese in die folgenden
Gruppen eingeordnet:
± nachhaltige Finanzierung von Gesundheitssystemen (Hauptfinanzierungsquelle und Verteilung von Finanzmitteln, Vergütung der Leistungsanbieter)
± Fachkräfteentwicklung
± Qualität der Gesundheitsversorgung
± Leistungskatalog und Prioritätensetzung
± Zugang zu Gesundheitsleistungen
± Nutzerorientierung des Systems und Stärkung der Patienten
± politischer Kontext, Dezentralisierung und öffentliche Verwaltung
± Organisation des Gesundheitssystems und integrierte Versorgung
± Pflege chronisch Kranker und älterer Menschen
± Rolle der Privatwirtschaft
± neue Technologien
± Arzneimittelpolitik
± Prävention
± »Public Health«
Auswahlkriterien
Für jede der halbjährlichen Erhebungen berichten die Netzwerkpartner über bis zu fünf aktuelle gesundheitspolitische Reformthemen. Kriterien für die Wahl der Berichtsthemen sind:
± Bedeutung und Reichweite
± Auswirkung auf den Status quo
± Innovationsgrad (im nationalen und internationalen Vergleich)
± Medienpräsenz/öffentliche Aufmerksamkeit.
Zu jedem Thema füllen die Partner einen Fragebogen aus, um
die Reformidee oder -politik sowie den Entwicklungsprozess zu
beschreiben und zu bewerten. Abschlieûend geben die Berichterstatter zu den zu erwartenden Ergebnissen und Auswirkungen
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der Reform ihre Einschätzung ab und beurteilen die beschriebene Politik im Hinblick auf Systemabhängigkeit bzw. Übertragbarkeit auf andere Systeme.
Eine kleine Grafik illustriert die Entwicklungsstufen des
Reformprozesses.
Eine Reformidee oder -politik muss nicht notwendigerweise
alle Stadien durchlaufen. Je nach Dynamik des Prozesses kann
eine Reformentwicklung innerhalb des Beobachtungszeitraumes
auch einzelne Phasen überspringen.
± Unter »Idee« werden neue oder erneut aufgegriffene Ansätze
gefasst, die zunächst in unterschiedlichen Fachkreisen diskutiert werden. Hierunter fallen auch »Ideen« in einem noch
sehr frühen Stadium ± fernab von Politik oder formaler Einführung. Auf diese Weise entsteht eine Art »gesundheitspolitischer Ideenspeicher«, der es erlaubt, die Dynamik von Reformideen von ihrer Entstehung bis zu ihrer Umsetzung,
ihrem Verschwinden oder ihrer Ablehnung über die Zeit und
über Regionen hinweg zu beobachten.
± »Pilotprojekt« steht für Neuerungen, Modellvorhaben oder
Pilotprojekte, die auf lokaler oder institutioneller Ebene erprobt
werden.
± »Strategiepapier« umfasst formale politische Statements (Eckpunkte, Weiû- oder Grünbücher) oder Stellungnahmen. Hierunter ist auch die Phase wachsender Akzeptanz von Ideen in
einschlägigen Fachkreisen, wie z. B. der ¾rzteschaft, zu verstehen.
± Der Begriff »Gesetzgebung« steht hier für alle Stufen der Gesetzgebung ± vom Einbringen eines Gesetzentwurfes über die
parlamentarische Debatte nebst Anhörungen und Einflussnahme der gesundheitspolitischen Akteure, Entscheider und
Interessengruppen und sonstiger treibender Kräfte bis hin
zur Verabschiedung oder Ablehnung des Entwurfs.
140
± »Umsetzung« beschreibt alle Maûnahmen in der Phase der
Implementierung und praktischen Anwendung der Reform.
Diese Phase setzt nicht notwendigerweise eine vorangegangene Gesetzesänderung voraus, sie kann auch Ergebnis eines
erfolgreichen Modell- oder Pilotprojektes im Sinne der Anwendung von »best practice« sein.
± »Bewertung« benennt alle gesundheitspolitischen Reformen
oder Ansätze, die während des Beobachtungszeitraumes evaluiert werden. Hier beschriebene Auswertungen können intern
oder extern sowie als Zwischen- oder Abschlussevaluierung
erfolgen.
± »Wandel« schlieûlich kann die Folge einer Evaluation oder
den Endpunkt einer Entwicklung beschreiben.
Politikbewertung
Für den vorliegenden Bericht wurden drei von fünf Bewertungskriterien exemplarisch ausgewählt: Medienpräsenz, strukturelle
Wirkung und Übertragbarkeit. Gemäû der Bewertung und Expertenmeinung der Berichterstatter wird die Ausprägung dieser
Merkmale jeweils auf einer Skala von fünf Stufen grafisch dargestellt und dient als Anhaltspunkt für detaillierte Analysen:
± »Medienpräsenz«: Hier wird bewertet, welchen Stellenwert
ein gesundheitspolitisches Reformthema hatte bzw. wie viel
Aufmerksamkeit ihm zuteil wurde und welche Rolle Presse,
Rundfunk oder Internet in der öffentlichen Diskussion und
Meinungsbildung dabei gespielt haben. Die Skala reicht von
»sehr niedrig« (links) bis »sehr hoch« (rechts).
± »Strukturelle Wirkung«: Dieses Kriterium beschreibt den
strukturell-systemischen Aspekt und die Bedeutsamkeit der
Reform. Die Endpunkte der Skala sind mit »marginal« (links)
bzw. »fundamental« (rechts) bezeichnet.
± »Übertragbarkeit«: Dieses Merkmal zeigt an, inwieweit eine
Reform in einen anderen Kontext übertragbar ist. Die Bewertung der Experten erfolgt als Einschätzung zwischen den Extremen »stark systemabhängig« (links) und »systemneutral«
(rechts).
141
Die folgende Grafik illustriert beispielhaft eine Reform, deren
Struktureffekt der Experte für allenfalls marginal hält, was mit
einer nur geringen Medienpräsenz einhergeht, die er jedoch für
bedingt übertragbar auf andere Gesundheitssysteme hält:
Medienpräsenz
Strukturelle Wirkung
Übertragbarkeit
Projektmanagement
Das Themenfeld Gesundheit der Bertelsmann Stiftung organisiert und koordiniert die halbjährlichen Erhebungen des Internationalen Netzwerks Gesundheitspolitik und entwickelte, mit Unterstützung des Fachgebiets »Management im Gesundheitswesen«
der Technischen Universität Berlin, den halbstandardisierten Fragebogen.
Sämtliche Reformberichte der letzten neun Befragungsrunden
können auf der Website des Netzwerks, www.healthpolicymonitor.
org, recherchiert und eingesehen werden. Dort ist auch das unveröffentlichte Arbeitspapier Gesundheitspolitik in Industrieländern
1/2003 erhältlich. Sowohl die vollständigen Reformberichte auf
der Website als auch diese Publikation stützen sich auf die von
den Partnerinstitutionen ausgefüllten Fragebögen und geben nicht
notwendigerweise den Standpunkt der Bertelsmann Stiftung wieder.
142
Reformverzeichnis nach Ländern
Land, Thema, Titel, Ausgabe, Seite
Australien
Arzneimittelpolitik
Reform der Arzneimittelbewertung wegen Freihandelsabkommen mit den USA; V, 50
Preisreform schafft zwei Klassen Arzneimittel; X, 114
Alternde Gesellschaft
Politische Strategie für eine alternde Gesellschaft; II, 19
Evaluation im Gesundheitswesen
Evaluation von HealthConnect; VI, 24
Fachkräfteentwicklung
Strategie gegen Pflegenotstand; II, 79
Maûnahmen gegen langjährige Fehlsteuerungen in der
Personalplanung; VII/VIII, 177
Finanzierung
Anreizsystem für private Krankenversicherungsverträge; I, 15
Produktausweitung der privaten Krankenversicherung;
VII/VIII, 86
Zurück zu öffentlicher Finanzierung zahnärztlicher Versorgung;
IX, 84
143
Informationstechnologien
HealthConnect ± netzwerkbasierte elektronische Patientenakte;
V, 74
Leitliniendatenbank für Krebstherapie; VI, 84
Integrierte Versorgung
Bilanz zu Pilotstudien in der Versorgung chronisch Kranker;
III, 30
Change Management für Hausärzte; III, 32
Chronic Care Collaboratives; VI, 49
Optionen für Versorgung von Krebspatienten; VI, 55
Psychische Gesundheit
»beyondblue« ± nationale Initiative gegen Depression; IV, 18
Psychotherapie wird erstattet; IX, 54
»Public Health« und Prävention
Krebsinstitut mit hochgesteckten Zielen; II, 77
Darmkrebs-Screening zukünftig ab 55 Jahren; VII/VIII, 213
Bundesstaaten zahlen freiwillig für »Public Health«; IX, 108
Qualitätsverbesserung und Qualitätsmanagement
Schutz für jeden, der einen Fehler aufdeckt; X, 101
Vergütung
Vergütung der Hausärzte; IV, 52
Dänemark
Alternde Gesellschaft
Wahlfreiheit bei sozialen Dienstleistungen; II, 27
Arzneimittelpolitik
Gesundheitsökonomische Evaluierung von Arzneimitteln; II, 54
Evaluation im Gesundheitswesen
Evaluation des DRG-Systems; VI, 37
144
Finanzierung
Säumnisgebühren für unzuverlässige Patienten; IV, 41
Informationstechnologien
Elektronische Patientenakte in Krankenhäusern; III, 62
Einführung der elektronischen Patientenakte in Krankenhäusern
verzögert sich; VI, 73
Krankenhausreform
Konkurrenz für öffentliche Krankenhäuser; X, 130
Organisationsreform
Die Suche nach der richtigen Aufgabenteilung ± Krankenhäuser,
Landkreise und Anreizsysteme; I, 23
Neuordnung der Verwaltungsebenen; III, 47
Verwaltungs- und Krankenhausreform unter Dach und Fach;
IV, 84
Patientenorientierung und Partizipation
Der Patient zuerst; III, 19
»Public Health« und Prävention
Mehr Schilder statt weniger Rauch; V, 110
Qualitätsverbesserung und Qualitätsmanagement
Keine Wartezeiten und bessere Versorgung für Krebspatienten;
X, 60
Estland
Informationstechnologien
Nationales Gesundheitsinformationssystem; VI, 75
Patientenorientierung und Partizipation
Hausarzt-Hotline 24/7; VII/VIII, 124
Qualitätsverbesserung und Qualitätsmanagement
Krankenhäuser nehmen am »Path«-Programm der WHO teil; X, 91
145
Zugang zum Gesundheitssystem
Zahntourismus und EU-Steuern verteuern Zahnversorgung;
IX, 89
Finnland
Arzneimittelpolitik
Erfolgreiche Aut-idem-Regelung; II, 59
Unabhängige Arzneimittelinformation für ¾rzte; II, 62
Einschränkungen für Generika; IV, 82
Teure Arzneimittel für seltene Erkrankungen; V, 56
Umfassendes Arzneimittelreformpaket; VI, 112
Raucher-Kaugummi einziger sichtbarer Erfolg der
Arzneimittelreform; X, 117
Finanzierung
Reformvorschlag für »Managed Care«; II, 70
Wertgutscheine für Gesundheits- und Sozialleistungen; III, 20
Zusatzgebühren für ambulante Krankenhausbehandlung; IV, 37
Kaum Nachfrage nach Versorgungsgutscheinen; X, 134
Informationstechnologien
Patient bleibt Herr seiner Daten; IX, 113
Krankenhausreform
Reform der Krankenhausfinanzierung; I, 24
Organisationsreform
Das Kainuu-Experiment; III, 48
Gemeindeverbünde übernehmen Primärversorgung; IX, 71
Primärversorgung
Forschung in Primärversorgungszentren; V, 117
Regierung setzt kürzere Wartezeiten durch; VII/VIII, 41
»Public Health« und Prävention
Senkung der Alkoholsteuer als Folge des EU-Beitritts; V, 102
Rauchverbot in Kneipen und Restaurants; VII/VIII, 230
146
Qualitätsverbesserung und Qualitätsmanagement
Zentralisierung und Qualität der hochspezialisierten Versorgung;
I, 30
Krankenhausbewertung für höhere Kosteneffektivität;
VII/VIII, 133
Zugang zum Gesundheitssystem
Besserer Zugang zu zahnärztlichen Leistungen für Erwachsene;
VII/VIII, 78
Frankreich
Alternde Gesellschaft
Reform der Versorgung hilfsbedürftiger Menschen; II, 38
Altenpflege als »fünfte Säule« der Sozialversicherung; X, 18
Arzneimittelpolitik
Neuordnung der Kostenübernahme durch Nutzenbewertung;
II, 47
Liberalisierung der Preise für innovative Arzneimittel; II, 54
Fachkräfteentwicklung
¾rztemangel ± unklare Daten und Konsequenzen; VI, 94
Zukunftsplan gegen drohenden ¾rztemangel; VII/VIII, 175
Pflegekräfte werden aufgewertet und besser verteilt; X, 132
Finanzierung
Diskussion um Reform der Finanzierung; II, 67
»Schutzschild« gegen zu hohe Zuzahlungen; X, 75
Integrierte Versorgung
Reform der häuslichen Krankenpflege; I, 37
Krankenhausreform
»Hôpital 2007«; V, 37
Krankenhausreform mit Nebenwirkungen; IX, 73
147
Medizinische Ethik
Novelle des Bioethik-Gesetzes; III, 65
Primärversorgung
Verbesserte Koordination der Gesundheitsversorgung; IV, 50
»Public Health« und Prävention
Fünfjahresplan öffentliche Gesundheit; I, 40
»Public Health«-Gesetz mit vielen Gesundheitszielen; III, 38
Anspruchsvolles »Public Health«-Konzept gefährdet; V, 82
Jugendliche auch bei Gratisversorgung schwer erreichbar; IX, 86
Qualitätsverbesserung und Qualitätsmanagement
Benchmarks zur Reduzierung von Krankenhausinfektionen;
VII/VIII, 130
Vergütung
Niedergelassene ¾rzte blockieren Vertragssystem; II, 72
Hausarztsystem in der Mangel von ¾rzten und Privatversicherungen; V, 40
Zugang zum Gesundheitssystem
Hoher Rat zur Zukunft der Krankenversicherung; III, 80
Krankenversicherungsgutscheine für Bedürftige; IV, 28;
VII/VIII, 113
Groûbritannien
Alternde Gesellschaft
Versorgungsstandards für ältere Menschen; II, 25
Reform der Pflegefinanzierung vertagt; II, 29
Arzneimittelpolitik
Bilanz nach vier Jahren Arzneimittelbewertung durch NICE;
II, 52
Arzneimittelpreise sollen sich am Wert orientieren; X, 110
148
Bedarfsorientierte Versorgung
Praxiseigene Budgets für Hausärzte; VII/VIII, 51
Das 12. NICE Arbeitsprogramm: Bewertung von »Public
Health«-Programmen und neuen Technologien; VII/VIII, 54
Fachkräfteentwicklung
Hausärzte und Gesundheitserzieher für unterversorgte Regionen;
VI, 102
Finanzierung
Alternativen zur staatlichen Finanzierung des Gesundheitswesens;
I, 21
Stärkung des privaten Sektors; I, 22
Integrierte Versorgung
»Disease Management« nach amerikanischem Vorbild; III, 28
Reform von Pflege und Sozialdienst; VI, 57
Krankenhausreform
Neue Formen stationärer Versorgung (NHS Foundation Trusts);
I, 25
Patientenorientierung und Partizipation
Wahlfreiheit und Nutzerorientierung im National Health Service;
III, 17
Organisationsreform
10 Jahre Labour-Gesundheitsreformen ±
mehr Markt, mehr Wahl; VII/VIII, 37
Primärversorgung
Neuer Vertrag für Hausärzte; IV, 47
Praxiseigene Budgets für Hausärzte; VII/VIII, 51
Bürger entscheiden bei Primärversorgung mit; VII/VIII, 122
Psychische Gesundheit
Angebotsvielfalt für psychisch Kranke; IX, 51
149
»Public Health« und Prävention
Wanless-Gutachten zu »Public Health«-Strategien; III, 39
Nationales Screening-Programm für Darmkrebs; V, 89
Qualitätsverbesserung und Qualitätsmanagement
NHS Foundation Trusts; IV, 59
Vergütung
Neues Vergütungssystem für Zahnärzte; VII/VIII, 181
Zugang zum Gesundheitssystem
Zähneknirschende Patienten; IV, 42
Fortschritte bei der Verkürzung von Wartezeiten; VI, 115
Israel
Alternde Gesellschaft
Informationsbroschüre zur Pflegeversicherung kommt mit der
Zeitung; VII/VIII, 126
Maûgeschneiderte Versorgung für ¾ltere; VII/VIII, 152
Pflegeleistungen werden ausgeschrieben; X, 29
Evaluation im Gesundheitswesen
Audit für Krankenhauszulassung; VI, 32
Fachkräfteentwicklung
Ambulante Ausbildung von Fachärzten; VI, 98
Informationstechnologie
Institutionsübergreifende elektronische Patientenakte; VI, 71
E-Learning für ¾rzte zum Thema Frauengesundheit; VII/VIII, 64
Integrierte Versorgung
Ein Duo ersetzt den allein praktizierenden Arzt; X, 39
Organisationsreform
Private Konkurrenz für öffentliche Kassen; IV, 66
Eine fünfte Krankenkasse für wechselnde Zwecke; X, 83
150
Palliative Versorgung
Palliative Versorgung im Leistungskatalog; V, 112
Groûe Nachfrage nach Kursen in Palliativversorgung; IX, 115
Primärversorgung
Qualitätsverbesserung in der Primärversorgung; IV, 55
Psychische Gesundheit
Behandlung von psychischen Störungen in der Primärversorgung;
VII/VIII, 60
Tauziehen um Psychiatrie-Ambulanzen; IX, 47
»Public Health« und Prävention
Krankenkassen übernehmen Verantwortung für Vorsorge
bei Kindern; V, 84
Sharons Erkrankung steigert Interesse für Schlaganfallprävention;
VII/VIII, 222
Zugang zum Gesundheitssystem
Zuzahlungen, Zugang, Gerechtigkeit; IV, 30
Japan
Alternde Gesellschaft
Pflegestützpunkte als Pflichtleistung; X, 25
Fachkräfteentwicklung
Erstmals Arbeitserlaubnis für philippinische Pflegekräfte;
VII/VIII, 169
Finanzierung
Anhebung der prozentualen Zuzahlungen; I, 14
Höhere Zuzahlungen für ältere Menschen; VII/VIII, 80
Dezentrale Beiträge und ein neues Versicherungssystem
für Hochaltrige; X, 79
151
Integrierte Versorgung
Aktionsplan gegen den Krebs soll Versorgung besser integrieren;
X, 57
Organisationsreform
Plan zur Fusion der Versicherungsträger; IV, 76
»Public Health« und Prävention
Anstrengungen für ein »Gesundes Japan 21«; III, 41
Blutspendeverbot zum Schutz vor Creutzfeld-Jakob-Erkrankung;
V, 91
Kanada
Fachkräfteentwicklung
Interdisziplinäre Weiterbildung; VI, 96
Personalmangel im Gesundheitswesen erzwingt neue
Maûnahmen; VII/VIII, 172
Integrierte Versorgung
Staatlicher Krankenversicherungsschutz umfasst nun auch
akute Nachsorge; I, 36
Hausarztnetze in Ontario; III, 33
Integrationsnetzwerke in Ontario; VI, 54
Nutzerorientierung und Partizipation
Gesundheitsrat für öffentliches Verantwortungsbewusstsein;
III, 25
Visionen für das Gesundheitswesen der Zukunft; IX, 34
Psychische Gesundheit
Nationale Strategie für psychische Gesundheit; VII/VIII, 57
»Public Health« und Prävention
HPV-Impfungen Sache der Allgemeinheit?; X, 62
152
Qualitätsverbesserung und Qualitätsmanagement
Saskatchewan: Unabhängige Kommission zur Qualitätsverbesserung; I, 27
Unabhängiger Rat für Gesundheitspolitik; II, 74
Barcelona und MontrØal vergleichen ihre Gesundheitseinrichtungen; IV, 61
Institut für Patientensicherheit; V, 69
Gesundheitsrat gibt Qualitätsempfehlungen; X, 94
Zugang zum Gesundheitssystem
Verliert die Garantie auf Krankenversorgung an Bedeutung?;
IV, 39
Neuseeland
Alternde Gesellschaft
Abschaffung der Vermögensprüfung; II, 31
»Aging in Place« ± Projekte und Evaluation; VII/VIII, 146
Arzneimittelpolitik
Weiterhin Direktwerbung; II, 63
Weiterhin uneingeschränkte Werbung bei Arzneimitteln?;
VII/VIII, 205
Evaluation im Gesundheitswesen
Auf dem Weg zur Gesundheitsfolgenabschätzung; IX, 37
Fachkräfteentwicklung
Weiterentwicklung pflegerischer Versorgung; VII/VIII, 165
»Performance Evaluation« Programme; VI, 34
Finanzierung
Vorauszahlung für allgemeinärztliche Behandlung; I, 14
Geringere Zuzahlungen für Hausarztbesuche; VII/VIII, 82
Informationstechnologien
Elektronische Risikoanalyse bei Herzkrankheiten und Diabetes;
VI, 82
153
Organisationsreform
Zwischenbilanz nach Rückkehr zur dezentralen Gesundheitsversorgung; III, 58
Primärversorgung
»Primary Health«-Organisationen; I, 41
Primärversorgung für besonders bedürftige Patienten; IV, 49
Geringere Zuzahlungen für Hausarztbesuche; VII/VIII, 82
Psychische Gesundheit
Landesweites Konzept für psychische Gesundheit; IV, 20
»Public Health« und Prävention
Nationaler Aktionsplan für Kampf gegen Krebs; V, 87
100 Prozent rauchfrei; V, 108
»Let's beat« Diabetes; VII/VIII, 215
Suizid-Präventionsstrategie 2006±2016; VII/VIII, 217
HPV-Impfungen Sache der Allgemeinheit; X, 62
Qualitätsverbesserung und Qualitätsmanagement
Nationale Strategie für Qualität im Gesundheitswesen; II, 75
Qualitätsparameter orientiert am Patienten; X, 92
Niederlande
Alternde Gesellschaft
Monopole bei der integrierten Versorgung für ¾ltere; II, 22
Ziele für eine Reform der Pflege; II, 28
Dezentralisierung der Verantwortung für gesundheitsbezogene
Sozialleistungen; VII/VIII, 141
Fachkräfteentwicklung
»Nurse practitioners«; II, 78
Finanzierung
Rationierung von Gesundheitsleistungen; I, 16
154
Organisationsreform
Neues Krankenversicherungssystem; IV, 68
Gesetz zur sozialen Unterstützung (WMO); IV, 86
Krankenversicherungsreform; VI, 107
Gesundheitsreform 2006 ± was lange währt, wird endlich gut,
oder gezielte Salami-Taktik?; VII/VIII, 23
Krankenversicherungssystem 2006 ± erste Ergebnisse; IX, 16
Patientenorientierung und Partizipation
Personengebundene Budgets in der ambulanten Pflege und
sozialen Hilfe; III, 22
Qualitätsverbesserung und Qualitätsmanagement
Obligatorische Qualitätssicherung; I, 31; II, 76
Schneller ist nicht immer besser; X, 98
Österreich
Alternde Gesellschaft
Zehn Jahre Bundespflegegeld; II, 42
Familienhospizkarenz; II, 44
Turbulente Debatte um 24-Stunden-Pflege; X, 21
Arzneimittelpolitik
Umfassendes Arzneimittelpaket soll Kosten senken; II, 50
Finanzierung
Anpassung der Krankenversicherungsbeiträge; I, 13
Informationstechnologien
Gesundheitstelematikgesetz; VI, 79
Organisationsreform
Regionale Gesundheitsagenturen; III, 50
Gesundheitsreform 2005; IV, 70
»Strukturplan Gesundheit« stärkt die Länder; VII/VIII, 31
Mit Länderinitiativen zu mehr Koordination und Bürgernähe;
IX, 28
155
Patientenorientierung
Gesetz zum Schutz des eigenen Willens; VII/VIII, 128
»Public Health« und Prävention
Preispolitik, Rauchverbot und Telefon-Hotline zur Reduktion
des Tabakkonsums; VII/VIII, 232
Polen
Arzneimittelpolitik
Mehr Transparenz bei der Arzneimittelvergütung; VII/VIII, 198
Arzneimittelpolitik im Scheinwerferlicht; X, 112
Evaluation im Gesundheitswesen
Agentur für »Health Technology Assessment«; VI, 30
Krankenhausreform
200 Krankenhäuser sollen aufgegeben werden; IX, 64
Schweiz
Alternde Gesellschaft
Reform der Pflegefinanzierung bis 2005 vertagt; II, 40
Evaluation im Gesundheitswesen
Programm Evaluation Komplementärmedizin; VI, 26
Tessin: Wie Politik auf Gesundheit wirkt; IV, 22
Finanzierung
Referendum für die Reform der Finanzierung der
gesetzlichen Krankenversicherung; I, 20
Kopfprämien belasten Familien und Geringverdiener; II, 65
Kontrahierungszwang bleibt bestehen; II, 71
Regierung weiter auf Reformkurs; III, 77
Soziale Gerechtigkeit im Kopfprämiensystem; V, 33
156
Informationstechnologie
Gesundheitskarte und elektronisches Gesundheitsnetz ±
das Modellprojekt im Tessin; VI, 68
Krankenhausreform
Auf dem Weg zu einem nationalen Krankenhauswesen; IX, 67
Organisationsreform
Soziale Gerechtigkeit in einem föderalen Staat; III, 52
Neubeginn für integrierte Versorgungsnetzwerke; IV, 72
»Public Health« und Prävention
Präventionsgesetz soll für Transparenz und Gleichheit sorgen;
VII/VIII, 219
HPV-Impfungen Sache der Allgemeinheit?; X, 62
Singapur
Alternde Gesellschaft
Integration stationärer Leistungen von Akutversorgung bis Reha;
VII/VIII, 144
Fachkräfteentwicklung
Weiterbildungsstandards für Allgemeinmedizin; VI, 104
Finanzierung
ElderShield ± neue Pflege-Zusatzversicherung; I, 18
Höhere Auszahlungsgrenzen bei MediSave und MediShield;
I, 19
Finanzierung ambulanter »Disease Management«-Programme;
VII/VIII, 111
MediSave muss nachsteuern; IX, 100
Das teuerste Gesundheitswesen ist gerade gut genug; X, 127
Informationstechnologien
Transparenz im Web senkt Krankenhaustarife; V, 116
Outsourcing von Röntgenbefundnahme nach Indien; VII, 183
157
Integrierte Versorgung
Ambulante DMPs für chronisch Kranke; VII/VIII, 68
Medizinische Ethik
Revision des Organspendegesetzes; III, 68
Organisationsreform
HealthConnect ± ein gemeindebezogenes Versorgungsmodell;
IV, 75
Zugang zum Gesundheitssystem
Reform der Hochrisikoversicherung MediShield; VII/VIII, 84
Slowenien
Fachkräfteentwicklung
Unabhängige Fachärzte; VI, 100
Kampf gegen Mangel an Krankenschwestern; VII/VIII, 179
Finanzierung
Risikostrukturausgleich bei Zusatzversicherungen; VII/VIII, 116
Pflegeversicherung steht vor der Tür; IX, 105
Spanien
Alternde Gesellschaft
Castilla y LØon Vorreiter bei Integration von medizinischer und
sozialer Versorgung; II, 23
Nationale Pflegeversicherung; VII/VIII, 107
Arzneimittelpolitik
Neue Festbetragsregelung mit Nebenwirkungen; II, 56
Arzneimittelreform im dezentralisierten Gesundheitssystem;
V, 58
Gesetzesentwurf zur Rationalisierung des Arzneimittelverbrauchs;
VII/VIII, 196
Reform scheitert an der Pharma-Industrie; X, 119
158
Finanzierung
Toledo-Abkommen zur Pflegefinanzierung; II, 36
Informationstechnologien
Landesweites elektronisches Rezept; III, 63
Elektronische Verschreibung von Arzneimitteln; VII/VIII, 201
Integrierte Versorgung
Pilotvorhaben zur integrierten Versorgung in Katalonien; I, 38
Das Denia-Modell; VI, 51
Neue Versorgungsmodelle werden verglichen und evaluiert;
X, 46
Organisationsreform
Erste ökonomische Bilanz der Dezentralisierung; III, 55
»Public Health« und Prävention
Schwaches Antitabakgesetz; V, 105
Qualitätsverbesserung und Qualitätsmanagement
Die Debatte um Qualität und Dezentralisierung; I, 32
Barcelona und MontrØal vergleichen ihre Gesundheitseinrichtungen; IV, 61
Zugang zum Gesundheitssystem
Verbesserter Zugang zu fachärztlichen Diensten und
Medikamenten für illegale Einwanderer; IV, 33
Südkorea
Arzneimittelpolitik
Trennung von Verschreibung und Abgabe von Arzneimitteln;
II, 60
Finanzierung
Ausweitung des Leistungskatalogs; VI, 110
159
Organisationsreform
Einheitskasse ± mehr soziale Gerechtigkeit; II, 68
»Public Health« und Prävention
Erhöhung der Tabaksteuer; III, 42
Tabaksteuer und Gesundheitsförderung; V, 107
Gesundheitsförderung durch traditionelle Medizin;
VII/VIII, 211
Qualitätsverbesserung und Qualitätsmanagement
Bewertung von Krankenhäusern; IV, 63
USA
Alternde Gesellschaft
Medicare zahlt für verschreibungspflichtige Medikamente;
II, 33
Arzneimittelpolitik
Kalifornien reimportiert Medikamente aus Kanada; III, 74
Kalifornien: Reimport verschreibungspflichtiger Medikamente;
IV, 80
Evidenzbasierte Arzneimittellisten; V, 53
Kalifornien: Gesetz zur Sicherheit von Kosmetika; VI, 108
Medicare Part D eingeführt; VII/VIII, 192
Fachkräfteentwicklung
Kalifornien: Mehr Patientensicherheit durch Pflegeschlüssel;
II, 80
Finanzierung
Steuergutschriften zum Erwerb der Krankenversicherung
für Nicht-Versicherte; I, 47
Erste Erfahrungen mit Gesundheitssparkonten; VII/VIII, 91
Medicare-Prämie jetzt einkommensabhängig; IX, 103
Informationstechnologien
Elektronische Verschreibung von Arzneimitteln; VII/VIII, 201
160
Integrierte Versorgung
Medicare-Pilotprojekte zur Versorgung chronisch Kranker; VI, 46
Das »medizinische Zuhause« wird Wirklichkeit; X, 42
»Public Health« und Prävention
Verbot von Softdrinks an Schulen in Kalifornien; III, 44
Kampf gegen die Übergewichtsepidemie; V, 99
HPV-Impfungen Sache der Allgemeinheit?; X, 62
Qualitätsverbesserung und Qualitätsmanagement
Kalifornien: Geld folgt Leistung. Eine Initiative mehrerer
»Managed Care«-Unternehmen; I, 33
Gesetz für Patientensicherheit und Qualitätsverbesserung; V, 66
»Hospital Compare«; V, 71
Zugang zum Gesundheitssystem
Pläne für die Reform der staatlichen Krankenversicherungen
Medicaid und SCHIP; I, 44
Kalifornien: »Managed Care«-Träger für arbeitgebergebundene
allgemeine Krankenversicherung; I, 48
Hawaii: Neuerlicher Gesetzentwurf für eine allgemeine Krankenversicherungspflicht; I, 49
Kalifornien: Eine Million Beschäftigte erhalten Krankenversicherungsschutz; II, 69
Oregon: »Oregon Health« Plan ± der Anfang vom Ende; III, 70
Kalifornien: Volksabstimmung zu Arbeitgeberpflichtversicherung;
III, 73
Kalifornien: Telefonsteuer zur Notfallversorgung nicht
mehrheitsfähig; IV, 35
Krankenversicherungspflicht für alle; V, 18
Preisnachlässe für verschreibungspflichtige Medikamente
für unversicherte Kalifornier; VII/VIII, 89
CMS veröffentlicht Preise für Krankenhausleistungen;
VII/VIII, 96
Massachusetts ± Krankenversicherung für alle; VII/VIII, 105
Lücken werden geschlossen ± Pragmatismus statt Ideologie;
IX, 20
161
Reformverzeichnis nach Themen
Thema, Land, Titel, Ausgabe, Seite
Alternde Gesellschaft
Australien
Politische Strategie für eine alternde Gesellschaft; II, 19
Dänemark
Wahlfreiheit bei sozialen Dienstleistungen; II, 27
Frankreich
Reform der Versorgung hilfsbedürftiger Menschen; II, 38
Altenpflege als »fünfte Säule« der Sozialversicherung; X, 18
Groûbritannien
Versorgungsstandards für ältere Menschen; II, 25
Reform der Pflegefinanzierung vertagt; II, 29
Israel
Informationsbroschüre zur Pflegeversicherung kommt
mit der Zeitung; VII/VIII, 126
Maûgeschneiderte Versorgung für ¾ltere; VII/VIII, 152
Pflegeleistungen werden ausgeschrieben; X, 29
Japan
Pflegestützpunkte als Pflichtleistung; X, 25
163
Neuseeland
Abschaffung der Vermögensprüfung; II, 31
»Aging in Place« ± Projekte und Evaluation; VII/VIII, 146
Niederlande
Monopole bei der integrierten Versorgung für ¾ltere; II, 22
Ziele für eine Reform der Pflege; II, 28
Dezentralisierung der Verantwortung für gesundheitsbezogene
Sozialleistungen; VII/VIII, 141
Österreich
Zehn Jahre Bundespflegegeld; II, 42
Familienhospizkarenz; II, 44
Turbulente Debatte um 24-Stunden-Pflege; X, 21
Schweiz
Reform der Pflegefinanzierung bis 2005 vertagt; II, 40
Singapur
Elder-Shield ± Neue Pflege-Zusatzversicherung; I, 18
Integration stationärer Leistungen von Akutversorgung bis Reha;
VII/VIII, 144
Slowenien
Pflegeversicherung steht vor der Tür; IX, 105
Spanien
Castilla y LØon Vorreiter bei Integration von medizinischer und
sozialer Versorgung; II, 23
Nationale Pflegeversicherung; VII/VIII, 107
USA
Medicare zahlt für verschreibungspflichtige Medikamente; II, 33
164
Arzneimittelpolitik
Australien
Reform der Arzneimittelbewertung wegen Freihandelsabkommen mit den USA; V, 50
Preisreform schafft zwei Klassen Arzneimittel; X, 114
Dänemark
Gesundheitsökonomische Evaluierung von Arzneimitteln; II, 54
Finnland
Erfolgreiche Aut-idem-Regelung; II, 59
Unabhängige Arzneimittelinformation für ¾rzte; II, 62
Einschränkungen für Generika; IV, 82
Teure Arzneimittel für seltene Erkrankungen; V, 56
Umfassendes Arzneimittelreformpaket; VI, 112
Raucher-Kaugummi einziger sichtbarer Erfolg der
Arzneimittelreform; X, 117
Frankreich
Neuordnung der Kostenübernahme durch Nutzenbewertung; II, 47
Liberalisierung der Preise für innovative Arzneimittel; II, 54
Groûbritannien
Bilanz nach vier Jahren Arzneimittelbewertung durch NICE;
II, 52
Arzneimittelpreise sollen sich am Wert orientieren; X, 110
Neuseeland
Weiterhin Direktwerbung; II, 63
Weiterhin uneingeschränkte Werbung bei Arzneimitteln?;
VII/VIII, 205
Österreich
Umfassendes Arzneimittelpaket soll Kosten senken; II, 50
Polen
Mehr Transparenz bei der Arzneimittelvergütung; VII/VIII, 198
Arzneimittelpolitik im Scheinwerferlicht; X, 112
165
Spanien
Neue Festbetragsregelung mit Nebenwirkungen; II, 56
Arzneimittelreform im dezentralisierten Gesundheitssystem; V, 58
Gesetzesentwurf zur Rationalisierung des Arzneimittelverbrauchs;
VII/VIII, 196
Reform scheitert an der Pharma-Industrie; X, 119
Südkorea
Trennung von Verschreibung und Abgabe von Arzneimitteln; II, 60
USA
Kalifornien reimportiert Medikamente aus Kanada; III, 74
Kalifornien: Reimport verschreibungspflichtiger Medikamente;
IV, 80
Evidenzbasierte Arzneimittellisten; V, 53
Kalifornien: Gesetz zur Sicherheit von Kosmetika; VI, 108
Medicare Part D eingeführt; VII/VIII, 192
Evaluation im Gesundheitswesen
Australien
Evaluation von HealthConnect; VI, 24
Dänemark
Evaluation des DRG-Systems; VI, 37
Groûbritannien
Das 12. NICE Arbeitsprogramm: Bewertung von »Public
Health«-Programmen und neuen Technologien; VII/VIII, 54
Israel
Audit für Krankenhauszulassung; VI, 32
Neuseeland
Auf dem Weg zur Gesundheitsfolgenabschätzung; IX, 37
Polen
Agentur für »Health Technology Assessment«; VI, 30
166
Schweiz
Programm Evaluation Komplementärmedizin; VI, 26
Tessin: Wie Politik auf Gesundheit wirkt; IV, 22
Fachkräfteentwicklung
Australien
Strategie gegen Pflegenotstand; II, 79
Maûnahmen gegen langjährige Fehlsteuerungen in der
Personalplanung; VII/VIII, 177
Frankreich
¾rztemangel ± unklare Daten und Konsequenzen; VI, 94
Zukunftsplan gegen drohenden ¾rztemangel; VII/VIII, 175
Pflegekräfte werden aufgewertet und besser verteilt; X, 132
Groûbritannien
Hausärzte und Gesundheitserzieher für unterversorgte Regionen;
VI, 102
Israel
Ambulante Ausbildung von Fachärzten; VI, 98
Japan
Erstmals Arbeitserlaubnis für philippinische Pflegekräfte;
VII/VIII, 169
Kanada
Interdisziplinäre Weiterbildung; VI, 96
Personalmangel im Gesundheitswesen erzwingt neue Maûnahmen;
VII/VIII, 172
Neuseeland
Weiterentwicklung pflegerischer Versorgung; VII/VIII, 165
»Performance Evaluation«-Programme; VI, 34
Niederlande
»Nurse practitioners«; II, 78
167
Singapur
Weiterbildungsstandards für Allgemeinmedizin; VI, 104
Slowenien
Unabhängige Fachärzte; VI, 100
Kampf gegen Mangel an Krankenschwestern; VII/VIII, 179
USA
Kalifornien: Mehr Patientensicherheit durch Pflegeschlüssel;
II, 80
Finanzierung
Australien
Anreizsystem für private Krankenversicherungsverträge; I, 15
Produktausweitung der privaten Krankenversicherung;
VII/VIII, 86
Zurück zu öffentlicher Finanzierung zahnärztlicher Versorgung;
IX, 84
Dänemark
Säumnisgebühren für unzuverlässige Patienten; IV, 41
Finnland
Reformvorschlag für Managed Care; II, 70
Wertgutscheine für Gesundheits- und Sozialleistungen; III, 20
Zusatzgebühren für ambulante Krankenhausbehandlung; IV, 37
Kaum Nachfrage nach Versorgungsgutscheinen; X, 134
Frankreich
Diskussion um Reform der Finanzierung; II, 67
»Schutzschild« gegen zu hohe Zuzahlungen; X, 75
Groûbritannien
Alternativen zur staatlichen Finanzierung des
Gesundheitswesens; I, 21
Stärkung des privaten Sektors; I, 22
168
Japan
Anhebung der prozentualen Zuzahlungen; I, 14
Höhere Zuzahlungen für ältere Menschen; VII/VIII, 80
Dezentrale Beiträge und ein neues Versicherungssystem
für Hochaltrige; X, 79
Neuseeland
Vorauszahlung für allgemeinärztliche Behandlung; I, 14
Geringere Zuzahlungen für Hausarztbesuche; VII/VIII, 82
Niederlande
Rationierung von Gesundheitsleistungen; I, 16
Österreich
Anpassung der Krankenversicherungsbeiträge; I, 13
Schweiz
Referendum für die Reform der Finanzierung der
gesetzlichen Krankenversicherung; I, 20
Kopfprämien belasten Familien und Geringverdiener; II, 65
Kontrahierungszwang bleibt bestehen; II, 71
Regierung weiter auf Reformkurs; III, 77
Soziale Gerechtigkeit im Kopfprämiensystem; V, 33
Singapur
Höhere Auszahlungsgrenzen bei MediSave und MediShield; I, 19
Finanzierung ambulanter Disease-Management-Programme;
VII/VIII, 111
MediSave muss nachsteuern; IX, 100
Das teuerste Gesundheitswesen ist gerade gut genug; X, 127
Slowenien
Risikostrukturausgleich bei Zusatzversicherungen; VII/VIII, 116
Spanien
Toledo-Abkommen zur Pflegefinanzierung; II, 36
Südkorea
Ausweitung des Leistungskatalogs; VI, 110
169
USA
Steuergutschriften zum Erwerb der Krankenversicherung für
Nicht-Versicherte; I, 47
Erste Erfahrungen mit Gesundheitssparkonten; VII/VIII, 91
Medicare-Prämie jetzt einkommensabhängig; IX, 103
Informationstechnologien
Australien
HealthConnect ± netzwerkbasierte elektronische Patientenakte;
V, 74
Leitliniendatenbank für Krebstherapie; VI, 84
Dänemark
Elektronische Patientenakte in Krankenhäusern; III, 62
Einführung der elektronischen Patientenakte in Krankenhäusern
verzögert sich; VI, 73
Estland
Nationales Gesundheitsinformationssystem; VI, 75
Finnland
Patient bleibt Herr seiner Daten; IX, 103
Israel
Institutionsübergreifende elektronische Patientenakte; VI, 71
E-Learning für ¾rzte zum Thema Frauengesundheit; VII/VIII, 64
Neuseeland
Elektronische Risikoanalyse bei Herzkrankheiten und Diabetes;
VI, 82
Österreich
Gesundheitstelematikgesetz; VI, 79
Schweiz
Gesundheitskarte und elektronisches Gesundheitsnetz ±
das Modellprojekt im Tessin; VI, 68
170
Singapur
Transparenz im Web senkt Krankenhaustarife; V, 116
Outsourcing von Röntgenbefundnahme nach Indien;
VII/VIII, 183
Spanien
Landesweites elektronisches Rezept; III, 63
Elektronische Verschreibung von Arzneimitteln; VII/VIII, 201
USA
Elektronische Verschreibung von Arzneimitteln; VII/VIII, 201
Integrierte Versorgung
Australien
Bilanz zu Pilotstudien in der Versorgung chronisch Kranker;
III, 30
Change Management für Hausärzte; III, 32
Chronic Care Collaboratives; VI, 49
Optionen für Versorgung von Krebspatienten; VI, 55
Frankreich
Reform der häuslichen Krankenpflege; I, 37
Groûbritannien
»Disease Management« nach amerikanischem Vorbild; III, 28
Reform von Pflege und Sozialdienst; VI, 57
Israel
Ein Duo ersetzt den allein praktizierenden Arzt; X, 39
Japan
Aktionsplan gegen den Krebs soll Versorgung besser integrieren;
X, 57
Kanada
Staatlicher Krankenversicherungsschutz umfasst nun auch akute
Nachsorge; I, 36
171
Hausarztnetze in Ontario; III, 33
Integrationsnetzwerke in Ontario; VI, 54
Singapur
Ambulante DMPs für chronisch Kranke; VII/VIII, 68
Spanien
Pilotvorhaben zur integrierten Versorgung in Katalonien; I, 38
Das Denia-Modell; VI, 51
Neue Versorgungsmodelle werden verglichen und evaluiert;
X, 46
USA
Medicare-Pilotprojekte zur Versorgung chronisch Kranker; VI, 46
Das »medizinische Zuhause« wird Wirklichkeit; X, 42
Krankenhausreform
Dänemark
Konkurrenz für öffentliche Krankenhäuser; X, 130
Finnland
Reform der Krankenhausfinanzierung; I, 24
Frankreich
»Hôpital 2007«; V, 37
Krankenhausreform mit Nebenwirkungen; IX, 73
Groûbritannien
Neue Formen stationärer Versorgung (NHS Foundation Trusts);
I, 25
Polen
200 Krankenhäuser sollen aufgegeben werden; IX, 64
Schweiz
Auf dem Weg zu einem nationalen Krankenhauswesen; IX, 67
172
Leistungskatalog, siehe Finanzierung
Medizinische Ethik
Frankreich
Novelle des Bioethik-Gesetzes; III, 65
Singapur
Revision des Organspendegesetzes; III, 68
Organisationsreform
Dänemark
Die Suche nach der richtigen Aufgabenteilung ± Krankenhäuser,
Landkreise und Anreizsysteme; I, 23
Neuordnung der Verwaltungsebenen; III, 47
Verwaltungs- und Krankenhausreform unter Dach und Fach;
IV, 84
Finnland
Das Kainuu-Experiment; III, 48
Gemeindeverbünde übernehmen Primärversorgung; IX, 71
Groûbritannien
10 Jahre Labour-Gesundheitsreformen ±
mehr Markt, mehr Wahl; VII/VIII, 37
Israel
Private Konkurrenz für öffentliche Kassen; IV, 66
Eine fünfte Krankenkasse für wechselnde Zwecke; X, 83
Japan
Plan zur Fusion der Versicherungsträger; IV, 76
Niederlande
Neues Krankenversicherungssystem; IV, 68
Gesetz zur sozialen Unterstützung (WMO); IV, 86
173
Krankenversicherungsreform; VI, 107
Gesundheitsreform 2006 ± was lange währt, wird endlich gut,
oder gezielte Salami-Taktik?; VII/VIII, 23
Krankenversicherungssystem 2006 ± erste Ergebnisse; IX, 16
Neuseeland
Zwischenbilanz nach Rückkehr zur dezentralen Gesundheitsversorgung; III, 58
Österreich
Regionale Gesundheitsagenturen; III, 50
Gesundheitsreform 2005; IV, 70
»Strukturplan Gesundheit« stärkt die Länder; VII/VIII, 31
Mit Länderinitiativen zu mehr Koordination und Bürgernähe;
IX, 28
Schweiz
Soziale Gerechtigkeit in einem föderalen Staat; III, 52
Neubeginn für integrierte Versorgungsnetzwerke; IV, 72
Singapur
HealthConnect ± ein gemeindebezogenes Versorgungsmodell;
IV, 75
Spanien
Erste ökonomische Bilanz der Dezentralisierung; III, 55
Südkorea
Einheitskasse ± mehr soziale Gerechtigkeit; II, 68
Palliative Versorgung
Israel
Palliative Versorgung im Leistungskatalog; V, 112
Groûe Nachfrage nach Kursen in Palliativversorgung; IX, 115
174
Patientenorientierung und Partizipation
Dänemark
Der Patient zuerst; III, 19
Estland
Hausarzt-Hotline 24/7; VII/VIII, 124
Groûbritannien
Wahlfreiheit und Nutzerorientierung im National Health Service;
III, 17
Kanada
Gesundheitsrat für öffentliches Verantwortungsbewusstsein;
III, 25
Visionen für das Gesundheitswesen der Zukunft; IX, 34
Niederlande
Personengebundene Budgets in der ambulanten Pflege und
sozialen Hilfe; III, 22
Österreich
Gesetz zum Schutz des eigenen Willens; VII/VIII, 128
Pflege, siehe Alternde Gesellschaft
Primärversorgung
Finnland
Forschung in Primärversorgungszentren; V, 117
Regierung setzt kürzere Wartezeiten durch; VII/VIII, 41
Frankreich
Verbesserte Koordination der Gesundheitsversorgung; IV, 50
175
Groûbritannien
Neuer Vertrag für Hausärzte; IV, 47
Praxiseigene Budgets für Hausärzte; VII/VIII, 51
Bürger entscheiden bei Primärversorgung mit; VII/VIII, 122
Israel
Qualitätsverbesserung in der Primärversorgung; IV, 55
Neuseeland
»Primary Health«-Organisationen; I, 41
Primärversorgung für besonders bedürftige Patienten; IV, 49
Geringere Zuzahlungen für Hausarztbesuche; VII/VIII, 82
Psychische Gesundheit
Australien
»beyondblue« ± nationale Initiative gegen Depression; IV, 18
Psychotherapie wird erstattet; IX, 54
Groûbritannien
Angebotsvielfalt für psychisch Kranke; IX, 51
Israel
Behandlung von psychischen Störungen in der Primärversorgung; VII/VIII, 60
Tauziehen um Psychiatrie-Ambulanzen; IX, 47
Kanada
Nationale Strategie für psychische Gesundheit; VII/VIII, 57
Neuseeland
Landesweites Konzept für psychische Gesundheit; IV, 20
»Public Health« und Prävention
Australien
Krebsinstitut mit hochgesteckten Zielen; II, 77
176
Darmkrebs-Screening zukünftig ab 55 Jahren; VII/VIII, 213
Bundesstaaten zahlen freiwillig für »Public Health«; IX, 108
Dänemark
Mehr Schilder statt weniger Rauch; V, 110
Finnland
Rauchverbot in Kneipen und Restaurants; VII/VIII, 230
Senkung der Alkoholsteuer als Folge des EU-Beitritts; V, 102
Frankreich
Fünfjahresplan öffentliche Gesundheit; I, 40
»Public Health«-Gesetz mit vielen Gesundheitszielen; III, 38
Anspruchsvolles »Public Health«-Konzept gefährdet; V, 82
Jugendliche auch bei Gratisversorgung schwer erreichbar;
IX, 86
Groûbritannien
Wanless-Gutachten zu »Public Health«-Strategien; III, 39
Nationales Screening-Programm für Darmkrebs; V, 89
Israel
Krankenkassen übernehmen Verantwortung für
Vorsorge bei Kindern; V, 84
Sharons Erkrankung steigert Interesse für Schlaganfallprävention; VII/VIII, 222
Japan
Anstrengungen für ein »Gesundes Japan 21«; III, 41
Blutspendeverbot zum Schutz vor Creutzfeld-Jakob-Erkrankung;
V, 91
Kanada
HPV-Impfungen Sache der Allgemeinheit?; X, 62
Neuseeland
Nationaler Aktionsplan für Kampf gegen Krebs; V, 87
100 Prozent rauchfrei; V, 108
»Let's beat« Diabetes; VII/VIII, 215
177
Suizid-Präventionsstrategie 2006±2016; VII/VIII, 217
HPV-Impfungen Sache der Allgemeinheit?; X, 62
Österreich
Preispolitik, Rauchverbot und Telefon-Hotline zur Reduktion des
Tabakkonsums; VII/VIII, 232
Schweiz
Präventionsgesetz soll für Transparenz und Gleichheit sorgen;
VII/VIII, 219
HPV-Impfungen Sache der Allgemeinheit?; X, 62
Spanien
Schwaches Antitabakgesetz; V, 105
Südkorea
Erhöhung der Tabaksteuer; III, 42
Tabaksteuer und Gesundheitsförderung; V, 107
Gesundheitsförderung durch traditionelle Medizin;
VII/VIII, 211
USA
Verbot von Softdrinks an Schulen in Kalifornien; III, 44
Kampf gegen die Übergewichtsepidemie; V, 99
HPV-Impfungen Sache der Allgemeinheit?; X, 62
Qualitätsverbesserung und Qualitätsmanagement
Australien
Schutz für jeden, der einen Fehler aufdeckt; X, 101
Dänemark
Keine Wartezeiten und bessere Versorgung für Krebspatienten;
X, 60
Estland
Krankenhäuser nehmen am »Path«-Programm der WHO teil;
X, 91
178
Finnland
Zentralisierung und Qualität der hochspezialisierten Versorgung;
I, 30
Krankenhausbewertung für höhere Kosteneffektivität;
VII/VIII, 133
Frankreich
Benchmarks zur Reduzierung von Krankenhausinfektionen;
VII/VIII, 130
Groûbritannien
NHS Foundation Trusts; IV, 59
Kanada
Saskatchewan: Unabhängige Kommission zur Qualitätsverbesserung; I, 27
Unabhängiger Rat für Gesundheitspolitik; II, 74
Barcelona und MontrØal vergleichen ihre Gesundheitseinrichtungen; IV, 61
Institut für Patientensicherheit; V, 69
Gesundheitsrat gibt Qualitätsempfehlungen; X, 94
Neuseeland
Nationale Strategie für Qualität im Gesundheitswesen; II, 75
Qualitätsparameter orientiert am Patienten; X, 92
Niederlande
Obligatorische Qualitätssicherung; I, 31; II, 76
Schneller ist nicht immer besser; X, 98
Spanien
Die Debatte um Qualität und Dezentralisierung; I, 32
Barcelona und MontrØal vergleichen ihre Gesundheitseinrichtungen; IV, 61
Südkorea
Bewertung von Krankenhäusern; IV, 63
179
USA
Kalifornien: Geld folgt Leistung.
Eine Initiative mehrerer »Managed Care«-Unternehmen; I, 33
Gesetz für Patientensicherheit und Qualitätsverbesserung; V, 66
»Hospital Compare«; V, 71
Vergütung
Australien
Vergütung der Hausärzte; IV, 52
Frankreich
Niedergelassene ¾rzte blockieren Vertragssystem; II, 72
Hausarztsystem in der Mangel von ¾rzten und Privatversicherungen; V, 40
Groûbritannien
Neues Vergütungssystem für Zahnärzte; VII/VIII, 181
Zugang zum Gesundheitssystem
Estland
Zahntourismus und EU-Steuern verteuern Zahnversorgung;
IX, 89
Finnland
Besserer Zugang zu zahnärztlichen Leistungen für Erwachsene;
VII/VIII, 78
Frankreich
Hoher Rat zur Zukunft der Krankenversicherung; III, 80
Krankenversicherungsgutscheine für Bedürftige; IV, 28;
VII/VIII, 113
Groûbritannien
Zähneknirschende Patienten; IV, 42
Fortschritte bei der Verkürzung von Wartezeiten; VI, 115
180
Israel
Zuzahlungen, Zugang, Gerechtigkeit; IV, 30
Kanada
Verliert die Garantie auf Krankenversorgung an Bedeutung?;
IV, 39
Singapur
Reform der Hochrisikoversicherung MediShield; VII/VIII, 84
Spanien
Verbesserter Zugang zu fachärztlichen Diensten und
Medikamenten für illegale Einwanderer; IV, 33
USA
Pläne für die Reform der staatlichen Krankenversicherungen
Medicaid und SCHIP; I, 44
Kalifornien: »Managed Care«-Träger für arbeitgebergebundene
allgemeine Krankenversicherung; I, 48
Hawaii: Neuerlicher Gesetzentwurf für eine allgemeine Krankenversicherungspflicht; I, 49
Kalifornien: Eine Million Beschäftigte erhalten Krankenversicherungsschutz; II, 69
Oregon: Oregon Health Plan ± der Anfang vom Ende; III, 70
Kalifornien: Volksabstimmung zu Arbeitgeberpflichtversicherung; III, 73
Kalifornien: Telefonsteuer zur Notfallversorgung nicht mehrheitsfähig; IV, 35
Krankenversicherungspflicht für alle; V, 18
Preisnachlässe für verschreibungspflichtige Medikamente für
unversicherte Kalifornier; VII/VIII, 89
CMS veröffentlicht Preise für Krankenhausleistungen; VII/VIII, 96
Massachussetts ± Krankenversicherung für alle; VII/VIII, 105
Lücken werden geschlossen ± Pragmatismus statt Ideologie; IX, 20
181