Okinawa Karate Kata - SHOTOKAN KARATE Helmut Kossen

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Okinawa Karate Kata - SHOTOKAN KARATE Helmut Kossen
Okinawa Karate Kata
Eine Einführung in die Kunst, Kata zu verstehen.
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Okinawa Karate
Inhalt
Inhalt................................................................................................................................................
Vorwort ............................................................................................................................................
Geleitwort von Dieter Fischer .........................................................................................................
Hinweise zur Benutzung ..................................................................................................................
Die Entwicklung des Karate ............................................................................................................
Okinawa ...........................................................................................................................................
Der chinesische Einfluss ..................................................................................................................
Das Waffenverbot.............................................................................................................................
Die Entwicklung zum Naha Te Kenpo .............................................................................................
Higashionna Kanryo........................................................................................................................
Das Kojo Dojo in Fukushu ..............................................................................................................
Miyagi Chojun - Die Entwicklung zum Goju Ryu............................................................................
Mabuni Kenwa .................................................................................................................................
Die Entwicklung zum Karate Do ....................................................................................................
Das Treffen der Meister 1936 ..........................................................................................................
Die Kata ...........................................................................................................................................
Die technische Bedeutung der Kata.................................................................................................
Die Prinzipien Hi, To und Yu...........................................................................................................
Kata als Quelle der Gesundheit .......................................................................................................
Die Namen der Kata ........................................................................................................................
Die vier Phasen des Lernens............................................................................................................
Saifa Kata Darstellung und Geisetsukumite ....................................................................................
Kata Erklärungen.............................................................................................................................
Seienchin Kata Darstellung und Geisetsukumite.............................................................................
Kata Erklärungen.............................................................................................................................
Shisochin Kata Darstellung und Geisetsukumite.............................................................................
Kata Erklärungen.............................................................................................................................
Naihanchi Kata Darstellung und Geisetsukumite............................................................................
Kata Erklärungen.............................................................................................................................
Ogi - tiefste Technik .........................................................................................................................
Kwappo Jutsu - Die Kunst der Wiederbelebung ..............................................................................
Anhang .............................................................................................................................................
Biographische Daten ......................................................................................................................
Die Kata Okinawas ..........................................................................................................................
Okinawa Karate Schulen und ihre Kata ..........................................................................................
Die 7 klassischen Tänze Okinawas ..................................................................................................
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Okinawa Karate
Vorwort
In Japan gibt es die Sorge vieler Lehrer des Budo, was ein Ausländer wohl über japanische
Kriegskünste zu sagen haben kann? Ist denn jemand aus einer anderen Kultur wirklich in der Lage,
Budo und seine tiefen Traditionen zu verstehen und zu erklären?
Ich kenne Dirk Ludwig seit vielen Jahren. Er übt und studiert sowohl Karate als auch Kobudo sehr
fleißig und ich war tief beeindruckt, weil er Budo nicht nur als Kampfsport verstand, sondern den
Geist der Kampfkünste für sehr wichtig hielt. Trotzt der glänzenden Welt des Wettbewerbs im
modernen Karate, übt er hauptsächlich Bujutsu. Seine Überzeugung und Liebe zu den Kriegskünsten
kann zu einem Signal auch für Japaner, in der Heimat des Karate, werden.
Ich freue mich darauf, auch in der Zukunft mit Herrn Ludwig nicht nur Karate und Kobudo zu
trainieren, sondern Budo und Künste, wie z.B. Teezeremonie und Zen, zusammen zu erleben um
daran zu wachsen.
Dirk, gambari masu! Wir wollen uns weiterhin bemühen.
Tanaka Hiromasa Karate Do Shihan
Geleitwort von Dieter Fischer
Sicher - es gibt heute viele Bücher über Martial Arts. Aber es gibt auch immer mehr Fragen. Schon
aus diesem Grund ist es zu begrüßen, wenn im vorliegenden Werk Aspekte zur Sprache kommen, die
in der bisherigen Forschung eher vernachlässigt wurden. Denn häufig stellt sich uns der Sinn und die
Bedeutung unserer Kampfkunst wie ein Puzzle dar, das sich zwar allmählich zusammensetzen lässt,
deren entscheidenden Bausteine wir jedoch nur von guten Lehrern erhalten. Meinen Erfahrungen nach
ist es auch eine Illusion, die tieferen geistigen Inhalte des Karate mit all seinen mythischen
Geheimlehren für sich allein oder über das pure Üben entschlüsseln zu wollen. Aber - so geheim
waren die Lehren letztendlich doch nicht...
Dieses Buch verbindet in einer einfachen und dadurch besonders guten Mischung die soziologischen
mit kulturellen sowie technischen Aspekten der Okinawa Kata und gibt einen tiefen Einblick in das
geschichtsträchtige Inselreich. Es ist als deutschsprachige Ausgabe eine Rarität - ungewöhnlich im
positiven Sinne, gut recherchiert und mitunter von einer Klarheit der Sprache, die recht erfrischend
ist.
Ich kenne Dirk Ludwig seit vielen Jahren und habe ihn als außergewöhnlichen Karateka kennen- und
schätzen gelernt - ein Karateka, der die Kampfkunsttechniken bis ins kleinste Detail hinterfragt. Wie
ich selbst ist er ein klarer Verfechter des alten Karate und trotzdem - oder gerade deshalb - auch dem
modernen gegenüber aufgeschlossen. Obwohl wir aus verschiedenen „Schulen" kommen, hatten wir
von vornherein einen Gedanken: Kampfkunst hat in seiner historischen Bedeutung weniger mit
schönen, als vielmehr mit realistischen Techniken zu tun und die persönliche Vervollkommnung setzt
voraus, eigene Stärken zu entwickeln. Denn die Prinzipien aller Kampfkünste gleichen den Gesetzen
des Universums. „Welchen Stil betreibst Du?", „Welches ist die beste Technik?" oder „Wer trainiert
in welcher Schule?" Diese Fragen und dazugehörigen Urteile sollten wir aus unserem Denken
streichen, ohne aber deshalb unsere Wurzeln zu verleugnen. Entscheidend ist vielmehr, „mein
persönliches" Karate zu entwickeln. Insofern will dieses Buch Wege zeigen, wie aus Kata individuelle
physische und psychische Stärken gewonnen werden können.
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Okinawa Karate
Hinweise zur Benutzung
Die Kunst, Kata zu verstehen, ist abhängig vom persönlichen Standpunkt des Betrachters. Insofern ist
auch die Übung der Kata abhängig von diesem Standpunkt. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob nun
diese oder jene Richtung des Bujutsu geübt und ob der Weg mit einem Schwert, der Faust oder einer
Tasse Tee gegangen wird. Entscheidend ist vielmehr die individuelle Einstellung, und zwar sowohl
physisch als auch psychisch. Insofern will dieses Buch seinen Leserinnen und Lesern neue, andere
und vielleicht inspirierende Gedanken vermitteln. Im Fokus steht deshalb, verschiedene
Hilfestellungen zu geben, wie der eigene Weg gefunden werden kann.
Bei der Beschreibung geschichtlicher Zusammenhänge bin ich mir wohl bewusst, dass nur eine
Annäherung an die Historie möglich ist, sind doch japanische Quellen oft ungenau oder von
politischen Interessen einzelner Organisationen durchdrungen. Auch lässt sich der Grundsatz,
verschiedene Theorien gegenüber zu stellen, nicht in jedem Fall beherzigen. Soweit sie von mir
recherchiert werden konnten, habe ich sie durch Anmerkungen und Fußnoten deutlich gemacht. Ich
weiß, sie sollten in den Text eingearbeitet werden - die Leser mögen es mir nachsehen. Dazu kommt
das die zur Zeit diskutierten Theorien, in den meisten Fällen, noch nicht veröffentlicht werden sollten.
Es handelt sich hier um erste Ansätze welche aber, in den kommenden Jahren, gewiss noch einige
sehr interessante Schlüsse in die Forschung einbringen werden. Oft genug wurden aber auch die
Nuancen, in der Sprache der Originaldokumente, sowie sich daraus ergebende unterschiedliche
Bewertungen nicht hinreichend genug verstanden und übersetzt.
Auch wenn ich mit einigen Schlüssen anderer Forscher nicht immer einverstanden bin, achte ich sie
und danke ihnen ausdrücklich für ihre Mühe und ihren Fleiß, ohne den meine eigene Arbeit nicht so
stark profitieren konnte. In den Anhang ist einiges Material eingefügt, das - so meine ich - von
Interesse sein kann. Sollte ich in einigen Punkten irren, habe ich falsch oder unzureichend zitiert und
übersetzt sowie falsche Schlüsse gezogen, bitte ich Sie, sich mit mir in Verbindung zu setzten, damit
ich meine Fehler berichtigen kann. Übersetzungen und Zitate längerer Passagen habe ich deutlich
gekennzeichnet, einzelne kleinere Abschnitte sind durch das Literaturverzeichnis abgedeckt. Das
Gewirr von Fußnoten wäre zu groß für einen Lesegenuss.
Für die meisten Begriffe benutze ich die japanische Aussprache. Ich denke, dass dadurch die
Beziehungen klarer herausgestellt werden können und sich eine einheitliche Leseweise ergibt. Da die
Entwicklung des Karate eng mit der japanischen Sprache und Kultur verknüpft ist, sollte dies
gerechtfertigt sein, zumal sowohl die Veröffentlichung des Karate, als auch die Beschreibung und
Erklärung im Wesentlichen in der japanischen Sprache stattgefunden haben und die heute noch
bekannten chinesischen Begriffe zum Teil auf Vermutungen basieren. Durch die Geheimhaltung
wurden keine Aufzeichnungen gemacht und fast alle bekannten chinesischen Namen sind lediglich
durch Lautumschrift überliefert. Ein Beispiel dafür gibt Funakoshi Gichin in seinen original
Manuskripten.
Es ist mir ein großes Anliegen, das Okinawa Karate als ein stilfreies Universum der Kampfkünste
darzustellen. Ich benutze zwar einige Kata, die mir wichtig sind und durch welche sich meine
Auffassungen am ehesten widerspiegeln, aber ich bin sicher, alle nicht beschriebenen Kata gehören
ebenso dazu.
Das Wichtigere als Schulen, Ryu oder Stile sind die Prinzipien der Kampfkunst, die eben auf alle
anderen Schulen genauso zutreffen und hier besprochen werden sollen. Sicher ist jedoch nur eines:
Jeder soll seine Kata finden, bei deren Üben er/sie sich wohl fühlt. Andere wesentliche Punkte sollen
einem weiteren Band, an dem ich arbeite, vorbehalten sein.
Lasse dich inspirieren und anregen, tiefer in die Kunst, Kata zu verstehen, einzudringen.
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Okinawa Karate
Abb. 1 Onegai shimasu (ouss) Bitte hilf mir1
Diese Kalligraphie ist ein Geschenk von Tanaka Hiromasa Sensei, meinem Lehrer. Ich verdanke ihm
das Wichtigste: Zu wissen, wie hart ich noch üben muss.
1
Gewöhnlich wird diese Formel gebraucht, um zum Kami-Za, dem Sitz der Götter, um Hilfe bei der
Bewältigung der Aufgabe zu bitten.
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Okinawa Karate
Die Entwicklung des Karate
Die historische Forschung sichtet, archiviert und analysiert Quellenmaterial, mit Hilfe dessen versucht
wird, ein recht genaues Bild von den Bedingungen zu bekommen, welche die Entwicklung des Karate
ermöglicht, geprägt oder verhindert haben. In jedem Fall gilt, je weniger Quellenmaterial zur
Verfügung steht, desto mehr muss sich der Forscher auf eigene analytische Fähigkeiten bei der
Wertung verlassen. Da ein historisches Faktum immer von vielen Einflüssen abhängig ist, muss die
Analyse zwingend alle Tatsachen, auch wenn sie scheinbar keine Rolle spielen, mit einbeziehen. Im
Falle des Karate stellt sich deshalb eine Hauptaufgabe: Es müssen die soziologisch-kulturellen
Gegebenheiten stärker als bisher üblich in die Forschung integriert werden. Diese Betrachtung liegt
auf der Hand, denn einige Techniken in den Kata reflektieren eben diese soziologisch-kulturellen
Bedingungen sehr genau, wie beispielsweise die lange und weite Kleidung, der Haarknoten, die Art
und Weise, den Gürtel zu binden und anderes mehr. Überdies erscheint mir die gesammelte
Veröffentlichung des vorhandenen Quellenmaterials dringend geboten, denn die aktuelle Forschung
orientiert sich, noch, zu stark an etwaigen politischen Präferenzen und spiegelt dieses Bemühen in
ihren Arbeiten wider. Eine Analyse der Entwicklung des Karate kann jedoch nur unter Einbeziehung
aller zur Verfügung stehenden Daten und Fakten gelingen.
Zur Einführung beschreibe ich kurz die japanische Gesellschaft dieser Zeit. Sie steht mit gewissen
Einschränkungen für die okinawanische und bietet die Möglichkeit, einige der angesprochenen
soziologischkulturellen Bedingungen in Okinawa besser zu verstehen. Die Organisierung der
Gesellschaft in sozialen Gruppen war im gesamten asiatischen Raum ähnlich und hat daher die
okinawanische Gesellschaft mit beeinflusst. Dazu kommt, dass Okinawa sowohl mit China als auch
mit Japan in engen Kontakt stand. Unter welchen Bedingungen dies geschah, wird in diesem Buch zu
beschreiben sein.
Dennoch gilt der Einfluss Japans auf Okinawa als gesichert und ist vermutlich stärker, als bisher
angenommen. Ich möchte fast behaupten, dass die chinesische Kultur zwar einen großen Anteil an der
okinawanischen Entwicklung hatte, aber doch partiell begrenzt blieb.
Man bedenke, die Satsuma überfielen und besetzten Okinawa. Selbstverständlich brachten sie ihre
Auffassungen sowie ihre Kultur mit und verbreiteten sie über mehrere Jahrhunderte. Zudem soll die
Sprache Okinawas ein japanischer Dialekt sein. Der erste König von Okinawa soll einer Verbindung
zwischen einer Frau von Okinawa und einem Japaner entstammen. Viele okinawanische Adelige
gingen nach Kyushu und lernten dort den Schwertkampf. Diese Beziehungen sind unter anderem
durch die Chronik Oshima Hikki2 belegt. Die verbreitetste Schwertschule in Okinawa war Jigen Ryu,
die bevorzugte Schule der Satsuma in Kyushu. Auch heute noch ist eine sehr enge Beziehung
zwischen Okinawa und Kyushu zu beobachten. Die Beschreibung der chinesischen Gesellschaft
darüber hinaus würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Die Leserinnen und Leser mögen mir dies
verzeihen.
Die japanischen Inseln sind seit mehr als 100.000 Jahren besiedelt, einer Zeit, als sie noch Teil der
Landmasse Asiens waren. Zu Beginn des 8. Jahrhunderts wurde in Nara die erste feste Hauptstadt des
Landes errichtet. Mehr als 70 Jahre, von 710 bis 784, residierte dort die kaiserliche Familie und
dehnte ihre Herrschaft über ganz Japan aus. Der japanische Kaiser, Tenno, der seine Herkunft von der
Sonnengöttin Amaterasu no Kami ableitete, war das Oberhaupt dieser Gesellschaft. Seit dem 7.
Jahrhundert erstarkten jedoch die territorialen Machthaber, deren jeweils stärkster als Shogun ab dem
8. Jahrhundert die Regierungsgewalt ausübte, während dem Tenno nur noch kultische Funktionen
zukamen. Im Laufe von mehreren Jahrhunderten entwickelte sich die japanische Gesellschaft zu
einem feudalen Ständesystem. Dieser Prozess setzte im 13. Jahrhundert ein und wurde gegen 1600
abgeschlossen. Ab dem 12. Jahrhundert gingen die Fehden der Feudalherren in einen permanenten
Krieg über, so dass die Bedeutung der Krieger stark zunahm. Das spiegelte sich auch in dem von
Shogun Yoritomo geschaffenen Ständesystem wider, das die Bevölkerung in zwei Gruppen einteilte;
1. höhere Kaste
Shogun3, Daimyo4 und Samurai5
2. niedere Kaste
Bauern, Handwerker, Kaufleute
2
Oshima Hikki , geschrieben 1762 von dem Gelehrten Tobe Ryoe
Militärverwalter
4
höhere Edelleute
5
eigentlich Diener, ihrer Bedeutung nach Ritter
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Okinawa Karate
Alle darüber hinaus existierenden Gruppen wurden und werden fast völlig ignoriert. Dies betrifft vor
allem sogenannte unreine Berufe, wie Fleischer 6, die koreanische Minderheit und andere. Zur
Aufrechterhaltung dieser Gesellschaftsstruktur war es nötig, sich einen ausgedehnten
Unterdrückungsapparat zu schaffen. Die Samurai wurden zu diesem Zweck mit weitreichenden
Privilegien ausgestattet. Sie besaßen zum Beispiel Steuerfreiheit und das Recht, einen Angehörigen
der niederen Kaste auf der Stelle zu töten. Diese Samurai wurden auf alle Landesteile verteilt und als
Polizisten und Steuerbeamte eingesetzt.
In der Zeit von 1599 - 1867 waren ca. 1.240 Bauernaufstände zu verzeichnen. Allgemein dauerten
vom 10. Jahrhundert bis in das 12. Jahrhundert hinein die Machtkämpfe zwischen dem Taira und dem
Minamoto Clan, in deren Verlauf die Taira unterlagen. Da sie immer noch viele Anhänger besaßen
und ihre Macht keineswegs endgültig gebrochen war, wurden sie mit einem Lehen auf Okinawa
bedacht.
Shogun leasu aus dem Clan der Tokugawa gründete 1603 sein Shogunat in Edo, dem heutigen Tokyo.
Dies war ein wichtiger Wendepunkt in der Geschichte. Die von Ieasu geschaffenen Formen des
Zusammenlebens beeinflussten die kommenden 265 Jahre stark. Als eine Maßnahme zur
Aufrechterhaltung der sozialen Struktur unternahm er den drastischen Schritt, Japans Tore vor der
Außenwelt fast vollständig zu schließen. Dies wurde notwendig, weil 1543 die ersten Europäer in
Japan gelandet waren. Im Gefolge der Kaufleute befanden sich Jesuiten. Ieasu befand die Feuerwaffen
als ebenso explosiv und gefährlich wie die Missionare.
Nach dieser Zeit der Abschottung wurde Japan 1853 von dem amerikanischen Kommodore Matthew
C. Perry mit seinen Kanonenbooten für den Handel geöffnet und die lange Isolationsperiode beendet.
Mit Japan verbindet Okinawa eine lange Geschichte, die ihre Spuren hinterlassen hat. Allerdings wird
wohl viel im Dunkel verbleiben und nie ganz aufgehellt werden können. Dennoch ist das, was sich
offenbart, überaus interessant für das Verständnis der Tradition der Kampfkünste Okinawas.
Okinawa
Die Vorgeschichte Okinawas ist heute nahezu ungeklärt. Sicher gibt es Fakten und Funde, die
allerdings für uns im Rahmen dieser Betrachtung nicht so interessant sind. Erste Kontakte mit China
fanden während der Sui7 Dynastie statt. Der chinesische Kaiser war auf der Suche nach dem Mythos
der Unsterblichkeit und der Verfahren der Herstellung von Gold aus Metall. Der Legende nach sollte
es irgendwo im Meer eine Insel geben, auf der ein Pilz der Unsterblichkeit zu finden sei. Zu diesem
Zweck schickte er Expeditionen in benachbarte Regionen. Sie landeten unter anderem auf Okinawa.
Japanische Expeditionen sind im 7. und 8. Jahrhundert ebenfalls auf Okinawa gelandet. Danach gibt
es für lange Zeit keine verlässlichen Aufzeichnungen, weder in chinesischen, japanischen noch in
okinawanischen Quellen, die über Kontakte berichteten. Zudem ist für die Geschichte des Karate die
Zeit spätestens ab dem 12. Jahrhundert interessant, weil sich hier erste Zusammenhänge zu einer
Entwicklung der Kampfkünste deuten lassen. Dennoch gilt: Kontakte sind nicht auszuschließen und
fehlende Quellen kein Indiz.
Um 1340 war Okinawa in drei Königreiche8 geteilt. Der chinesische Kaiser Chu Yuen Cheang der
Ming Dynastie stimmte damals zu, einen persönlichen Gesandten des Königs Satto der Ryu Kyu
Dynastie zu empfangen. Nach historischen Aufzeichnungen kam diese Einladung auf Wunsch des
Königs Satto selbst zustande, um andere mit seinem Status zu beeindrucken. König Satto sandte
seinen Bruder Taiki mit Huldigungen für den Kaiser nach China. Dies war der Beginn einer langen
Beziehung zwischen China und Okinawa.1372 wurde die Ryu Kyu Dynastie9 von dem chinesischen
Kaiser formell als ein Staat von China anerkannt.
6
Fleischer sind z.B. unrein, weil sie mit Innereien arbeiten. Im heutigen Japan sind diese
Ausgrenzungen zwar nicht mehr so stark, aber Vorurteile halten sich genau so hartnäckig wie in
unseren Breiten.
7
Sui Dynastie 560 – 618
8
Nanzan Chuzan und Hokuzan auch Miyama (drei Berge) genannt. Um 1314 setzte der Prozess der
Spaltung der drei Reiche ein und wurde gegen 1477 abgeschlossen. Um 1350 zerfiel das nördliche
Reich und um 1429 das südliche der drei Reiche.
9
China verhandelte mit Chuzan, dies war das zu dieser Zeit stärkste der drei Reiche.
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Okinawa Karate
Der Ming10 Kaiser war daran interessiert, eine gute Beziehung zu Okinawa zu fördern. Deshalb
schickte er jedes Jahr seine Gesandten mit Geschenken dorthin.
In Okinawa wurden diese Delegationen mit viel Aufregung in der Königsresidenz in Shuri
empfangen, und zwar bis 1867, also sogar nach der Invasion des japanischen Satsuma Clans
1609. Unter den damaligen Delegierten waren neben anderen erfahrenen Leuten viele Meister
des Kenpo. Während ihres Aufenthaltes in Shuri und Naha lehrten sie ihre Kunst den
okinawanischen Adligen und einigen Angehörigen ihres Standes. Die Ryu Kyu Dynastie
sandte bis 1874 jedes Jahr Schiffe nach China, die mit Kostbarkeiten für den Kaiser gefüllt
waren.
Abb. 2 Okinawa und seine Hauptschlösser zur Zeit der drei Reiche. Diese Zeit war gekennzeichnet durch
eine lange Periode politischer Machtkämpfe. In deren Verlauf die drei Reiche geeint wurden und zu
einem Gemeinwesen verschmolzen. Siehe auch Fußnoten 8 und 9.
Um diese Geschenke vor Piraten und Plünderern zu schützen, waren sowohl die Mannschaft als auch
die mitreisenden Adligen gut bewaffnet und in den Kampfkünsten ausgebildet. So erscheint es
glaubhaft, dass dies einer der Gründe war, warum sich auf so einer kleinen Insel die Kamptechniken
zu einer kultivierten Kunst entwickelten. Okinawa musste in der Lage sein, diese Schiffsmissionen zu
schützen.
Es gibt heute drei recht verlässliche und belegbare Theorien, die für eine Entwicklung des Karate
Zeugnis geben können. Kampfkunst, oder in der Zeit davor Kampftechniken, gab es in allen Epochen
und in allen Kulturen der Menschheitsgeschichte, so auch in Okinawa. Aber dafür, dass sich eine so
hohe Kunst entwickeln konnte, bedurfte es des chinesischen Einflusses. In dem Buch „1000 Jahre
Geschichte von Okinawa" wird 131411 erwähnt, dass Bo Jutsu während der Anji12 Zeit gelehrt wurde.
Dies scheint ein Beleg dafür. Nachfolgend will ich diese drei Theorien kurz erläutern.
10
Ming Dynastie 1368 – 1644
Nach Inoue Motokatsu, Ryukyu Kobujutsu Jo Chu Ge Satsu (Ryukyu Kobujutsu. vol. 3), 1985
12
Anji Zeit 1127 – 1271
11
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Okinawa Karate
Allerdings muss auch hier klar sein, dass sich eine Entwicklung recht selten an nur drei Tatsachen
messen lässt und sicher sind auch die Kampfkünste in ihrer Evolution von vielen Faktoren abhängig
gewesen und sind es noch immer. Rückschlüsse aber lassen sich nur auf konkrete Tatsachen ziehen.
Bei der Kultivierung des Karate haben sicherlich einige heute noch nicht bekannte Faktoren eine
zuträgliche Rolle gespielt und sind im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten. Machen wir also nicht
den Fehler, eine Entwicklung, welche sich im Laufe mehrerer Jahrhunderte abgespielt hat, auf ein
paar belegbare Theorien zu reduzieren. Unsere eigene Geschichte mag Anlass dafür sein, einen
„größeren, weiteren" Blick für die Zeit in Okinawa zu bekommen.
Abb. 3 Goju Ryu Karate Do
Der chinesische Einfluss
1392 wurde während der Regierungszeit des Königs Satto eine Gemeinschaft von ausgebildeten
chinesischen Kämpfern und Mönchen13 in das okinawanische Dorf Kume gesandt, um dort zu leben.
Damit waren die Menschen dieses Dorfes verantwortlich für die Angelegenheiten des Handels und
der Kommunikation zwischen China und Okinawa, beispielsweise für die Verteilung und
Veröffentlichung der diplomatischen Dokumente und die Ausstattung der Boten, Dolmetscher und
Schiffsführer.
Diese Chinesen, die sich in Kume niedergelassen hatten, lehrten den dort ansässigen Menschen das
chinesische Kenpo. Als Folge gingen okinawanische Adlige für einige Zeit nach China, um dort an
der Quelle Kenpo zu studieren. Die Ryu Kyu Niederlassung14, die sich zu dieser Zeit in der Provinz
Fukushu (heute Fukien/China) durch den okinawanischen König etabliert hatte, beherbergte diese
Leute. Dort befand sich auch das spätere Kojo Dojo, das für die Entwicklung des Naha Te Kenpo
interessant sein wird. Ein Resultat der Ära des Königs Satto war, dass das chinesische Kenpo schnell
in Okinawa eingeführt wurde.
1701 markiert einen weiteren Schritt des chinesischen Einflusses: Wanshu kommt nach Okinawa. Es
gibt hierzu keine oder fast keine Belege. Dennoch scheint es sicher, dass er im Zuge der chinesischokinwanischen Beziehungen in Okinawa gearbeitet hat und Kenpo verbreitete. Die Ausbildung in den
Kampfkünsten gehörte in jener Zeit, neben dem Studium der Klassiker, zum Standart für Angehörige
der Oberschicht. Eine weitere Theorie besagt, dass Kushanku oder auch Kosukun15 das Karate nach
Okinawa gebracht haben soll und der Lehrer von Sakugawa gewesen ist.
Dieser Theorie zufolge wurde im Jahre 1762 ein Schiff nach Kyushu mit Abgaben für den Okinawa
beherrschenden Satsuma Clan gesandt. Jedoch konnte das Schiff Kyushu nicht erreichen und landete
in Tosa, der alte Name für die Provinz Kochi auf der Insel Shikoku. Ein Passagier war nach den alten
Unterlagen Shiohira Pechin, ein offizieller Gesandter Okinawas, welcher die kämpferischen
Traditionen Okinawas erklärte.
Im Kapitel drei der alten Chronik „Oshima Hikki" wird der Dialog mit Shiohira Pechin geschildert.
Dort ist zu lesen, dass Kosukun oder Kushanku von 1756 bis 1762 mit einigen seiner Schüler nach
Okinawa kam. Wörtlich heißt es: „...Der chinesische Gesandte Gong Xiangjun kam in Begleitung
mehrerer Schüler nach Okinawa, wo er der heimischen Bevölkerung die Tradition einer der Kenpo
Richtungen übergab." Sicher ist dies eine der verlässlichsten Quellen16.
13 Dies sind die sogenannten 36 Familien. Hauptziel ihrer Arbeit in Okinawa war es, die chinesische
Kultur nach Okinawa zu bringen und den Kontakt zu China aufrecht zu erhalten.
14 Ryu Kyu Kann
15 Kushanku - chinesisch, Kosukun -japanisch, auch bekannt als Gong Xiangjun
16 Dieses Manuskript scheint auch einen Beleg dafür zu liefern, dass die Geheimhaltung eben doch
nicht so Streng gehandhabt wurde, wie vielfach, gerade in Europa, angenommen wird. Die
Geheimhaltung betraf demzufolge jene Gruppen der Gesellschaft, die auch sonst als „niedrig"
angesehen wurden. In den eigenen Klassen jedoch gab es einen regen Austausch, ohne diesen eine so
hohe Kunst auch nicht entstehen konnte.
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China war zu dieser Zeit die prägende Kultur im asiatischen Raum und mit der Entdeckung des
Schießpulvers, des Papiers und vieler anderer Dinge eine der großen Kulturen der Welt. Die
Kampfkünste sind von mehreren wesentlichen Faktoren bestimmt worden. Zum einen ist die
traditionelle chinesische Medizin sowohl integraler Bestandteil als auch Motor bei der Entwicklung
der Kampftechniken zu einer so hohen Kunst gewesen. Zum anderen ist der Einfluss der Religion und
Philosophie unübersehbar.
Aber auch die feudalistischen Gesellschaftsmaxime sind zu berücksichtigen. Sie tragen zweifellos
einen Hauptanteil und sind für die Kampfkünste von erheblicher Bedeutung. Wenn man bedenkt, dass
im mittelalterlichen Japan Schwerter zum Teil an Verurteilten oder vermeintlichen Verbrechern
„getestet" wurden, mag dies deutlich werden. Die Bedingung dafür ist ein Bild des Menschen, wie es
in feudalistischer Zeit existierte. Experimente an Menschen oder Tieren waren bis in das 19.
Jahrhundert hinein durchaus üblich und auch heute noch lesen wir in Geschichten von diesen
Tatsachen.
An diesen Gegebenheiten lässt sich ermessen, wie kompliziert es ist, einen Einfluss auch nur
annähernd objektiv beschreiben zu wollen, ohne eine wertende Haltung einzunehmen. Karate ist für
mich Lebensweg, und ich bin froh, es so studieren zu können, wie es heute ist. Gleichzeitig aber lehne
ich die Mittel und Methoden der Frühzeit ab. Das ist Evolution, oder Lernen, im besten Sinne des
Wortes.
Die Veränderung der Gesellschaft setzt notwendigerweise auch einen Prozess der Veränderung
gesellschaftlicher Ausdrucksformen in Gang. Karate ist zweifellos eine Ausdrucksform der
menschlichen Kultur und hat diesen Veränderungsprozess in einzigartiger Weise reflektiert. Denken
wir im Rahmen dieser Betrachtung einmal an die Einführung der Feuerwaffen und der damit
verbundenen drastischen Erweiterung der kriegerischen Möglichkeiten in unseren Breiten. Die
deutliche Verbesserung der Transporttechnik etwa hatte zur Folge, dass nun mit einem Schlag viel
größere Heere über ausgedehntere Distanzen „bewegt" werden konnten und, gewissermaßen als
Resultat, waren die Feinde viel weiter entfernt, was sich eben auch in der Ausdrucksform unserer
Kultur, in unserem Denken und Handeln niederschlug.
Abb. 4 Waffen des Okinawa Kobudo. Dieses Bild
zeigt einen Teil der Sammlung von Inoue Motokatsu,
dem Nachfolger von Taira Shinken.
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Okinawa Karate
Das Waffenverbot
Noch ein weiterer Grund markiert die Entwicklung sowohl des Karate Jutsu als auch des
Kobujutsu: das Waffenverbot. Um 1470 führte der Zusammenbruch der Sho Dynastie zu einer
Periode politischer Unruhen. Nachfolgend etablierte sich 1477 eine neue Sho Dynastie. Die erste
Erklärung des neuen Königs Sho Shin verbot jedermann, vom Adligen bis zum Bauern, das Tragen
von Schwertern17. Anschließend ordnete er die Konfiszierung aller Waffen an, um sie in seinem
Schloss in Shuri bewacht unterzubringen. König Sho Shins bedeutendste Tat war es zu verlangen,
dass alle Mitglieder des Adels, die unbewaffnet waren, mit ihren Familien in die königliche
Hauptstadt zu kommen und dort zu leben hatten. Dies ermöglichte ihm, potentielle rebellische
Kriegsherren im Auge zu behalten. Nach der Entwaffnung des Adels entstanden als Konsequenz zwei
Kampfschulen. Eine, bekannt als Je", wurde von den Mitgliedern des Adels entwickelt und
praktiziert. Später wurde das Shuri Te18 auch als Bushi Te19 bezeichnet. Die andere ist bekannt als
Ryu Kyu Kobujutsu. Diese Schule, entwickelt und praktiziert von den Bauern und Fischern, nahm die
Benutzung einfacher Fischerei und Landwirtschaftswerkzeuge als Waffen für den Nahkampf auf.
Wir können also generell von drei recht plausiblen Theorien, wie das Karate nach Okinawa
gekommen ist, ausgehen. Wahrscheinlich ist, dass ein Zusammenwirken aller drei - die politischen
Beziehungen zu China und in diesem Zuge die Ansiedlung der 36 Familien in Kume, die
Waffenverbote und Kushankus Reise nach Okinawa und nicht zu vergessen, der Handel mit dem
gesamten asiatischen Raum - dazu beigetragen haben, chinesisches Kempo in Okinawa bekannt zu
machen und zu kultivieren. Das Training in beiden bewaffneten und unbewaffneten Künsten musste
unter äußerster Geheimhaltung an einem abgelegenen Platz nach Einbruch der Dunkelheit
durchgeführt werden. Viele Meister des Karate glauben heute, dass das Verbot des Tragens von
Waffen durch König Sho Shin eine weise Entscheidung war!
Okinawas goldene Jahre, die bis 1609 andauerten, waren geprägt durch den Handel mit China und
anderen asiatischen Ländern. 1609 fiel der auf Kyushu ansässige Satsuma Clan in Okinawa ein und
eroberte Shuri. Okinawa wurde zwangsweise ein Marionettenstaat Japans. Aber sogar nach der
Invasion in Okinawa zwang Shogun Ieasu die Okinawaner eine loyale Fassade zum chinesischen
Kaiser aufrecht zu erhalten. Ebenso hielt die japanische Besatzungsmacht in Okinawa das
Waffenverbot aufrecht. Einer der Gründe dafür war, dass sie vorgaben, die politische Situation nicht
verändern zu wollen. Dieses „zweite Waffenverbot" setzte die Geschichte von Okinawa fort.
Nach der Meiji Restauration20 in Japan wurde Okinawa 1879 offiziell zum japanischen Territorium21
erklärt. Diese Entscheidung beschwor einen Streit zwischen den Okinawanerv herauf. Einige
unterstützten die Bewegung, ein Teil Japans zu werden, während andere wiederum befürworteten, ein
Teil Chinas zu bleiben.Durch diese lange Geschichte ausländischer Unterdrückung haben die
Okinawaner offensichtlich verstanden, wie wichtig die innere Stärke als ein Mittel des
Zurechtkommens mit physischer Not ist.
Dieses Prinzip ist auch heute noch integrierter Bestandteil des Karatetrainings22. So sehen die
Okinawaner Karate als eine Möglichkeit, sich sowohl physisch als auch psychisch zu disziplinieren.
Abb. 5 Ryu Kyu Kobujutsu
17
Einige Quellen beziehen sich auch auf die Daten 1588 durch Shogun Hideyoshi für das zweite und
1429 durch den chinesischen General Sho Hashin (auch Sho Shin, mit anderer Schreibweise) für das
erste Waffenverbot.
18
Hand aus Shuri
19
Hand der Ritter
20
1868, sie schloss die Herrschaft der Tokugawa von 1603-1868 mit dem Ziel ab, den japanischen
Kaiser, Tenno, wieder in seine alte Macht einzusetzen. Bis zu dieser Zeit wurde die nominelle Macht
im Staate durch den Shogun, dem Militärmachthaber, ausgeübt, während dem Tenno nur noch
kultische Funktionen zukamen.
21
Okinawa wurde eine Provinz, japanisch Ken genannt
22
Durch die Erkenntnis, dass das Starke das Schwache besiegt, sind Übungen geschaffen worden, um
selbst diese Stärke zu erlangen.
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Okinawa Karate
Die Entwicklung zum Naha Te Kenpo
Als 1867 in der Residenz in Shuri die chinesische Delegation zu den Krönungsfeierlichkeiten eintraf,
wurde ein festliches Programm ausgearbeitet, um der ganzen Zeremonie einen Rahmen zu geben.
Dieses Programm sah unter anderem eine Vorführung der klassischen Tänze Okinawas sowie eine
Demonstration der Kampfkünste vor. Auf Grund der historischen Akten, die auch einen Bericht dieser
Demonstrationen enthielt, wurde klar, dass die Dörfer um Kumemura Nam Pa Kenpo gelernt hatten.
Von den Gästen dieser Feier wurde das Nam Pa Rakan Kenpo ryukyuisiert und man beschloss, es
fortan Naha Te (Hand aus Naha) zu nennen. Offiziell geschah das viel später. Einer der Teilnehmer
war Saü Shoi (1816-1907).
Er ist in der Generation nach dem Binjin23 (Fall des Haarknotens) aufgewachsen. Dieser Haarknoten
spielt in den alten Geisetsukumite24 der Kata eine wichtige Rolle. Aus diesem Grund soll auch in
diesem Rahmen darauf verwiesen werden. Sai Shoi, die japanische Aussprache seines Namens ist
Kojo, hat an der Universität von Beijing (Peking) studiert und war drei Mal im Reich der Mitte. Es ist
als wahrscheinlich anzusehen, dass er dabei auch Hoko Ha Kenpo lernte, aber die Mitglieder der Kojo
Familie waren gute Nam Pa Kämpfer und blieben ihrer Schule treu. Die Kojo Familie hat zur
Systematisierung des Naha Te wichtige Beiträge geleistet. Sai Shoi war einer der drei wichtigsten
Beamten mit dem Titel Oyakata (Fürst). Alle Mitglieder der Kojo Familie waren Adlige von hohem
Stand.
Shin Eri Ranpo und Aragaki Yosho gehörten beide der Pechin Klasse (Ritter) an. Sie hatten auch die
Demonstration für das Fest bei der Krönungsfeierlichkeit gegeben. Es ist daher anzunehmen, dass sie
Nam Pa Kenpo lernten. Das Üben des Kenpo in Okinawa war ein eisernes Privileg der Adligen und
die Kampfkünste wurden bis dahin nie außerhalb ihrer Kaste weitergegeben.
Higashionna Kanryo
Higashionna Kanryo wurde 1853 als Sohn eines Brennholzhändlers
geboren. Die Familie verkaufte hauptsächlich Holz aus Kerama
(mehrere kleine Inseln um Okinawa). Durch den Verkauf von
Brennholz konnte die Familie aber nicht reich werden und so
musste Kanryo mit zehn Jahren seinem Vater bei der Arbeit zur
Hand gehen. Mit einem kleinen Schiff wurde das Holz von der Insel
Kerama geholt und man sagt, dass Higashionna Kanryo sehr starke
Beine und Hüften bekommen hat, weil er für lange Zeit dieses
Schiff steuerte.
Als Kanryo etwa 17 Jahre alt war begann er bei Aragaki Yosho mit
dem Karatetraining. Die Higashionna Familie hatte zwar eine
geschäftliche Beziehung zur Familie Aragaki als Brennholzlieferant, war aber nicht von gleichem Stand. Niemand weiß, warum Aragaki ihm Karate zeigte, denn
es durfte Personen, „die nicht von gleichem Stand" waren, keinesfalls gelehrt werden.
Möglicherweise hat er die Ernsthaftigkeit bei Kanryo bewundert und eine Begabung für Karate
entdeckt.
23
Dieser Haarknoten wurde in Okinawa nach chinesischer Mode getragen. Als ein Symbol der
Männlichkeit wurde er oft und gerne angegriffen, daher zielen einige Geisetsukumite darauf ab.
Funakoshi Gichin widmet in seinem Werk „Karate-Do, mein Weg" dem Fall des Haarknotens eine
Geschichte.
24
Geisetsukumite - Erklärungskumite
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Okinawa Karate
Aragaki Yosho wurde wahrscheinlich wegen seines Charakters Maya (Katze) genannt. Drei Jahre
nach der Vorführung bei den Feierlichkeiten ging er als Übersetzer nach China und Higashionna
wurde zu Kojo Taitei zur weiteren Ausbildung gegeben. Kojo Taitei heißt auf chinesisch Sai Nyoi.
Sein Karate war offensichtlich sehr gut und sein Goken25 so hart, dass er mit zwei Schlägen eine Kuh
erschlagen konnte. Selbst von seinem Lehrer Wart Shinzan26, der als erster Budoka in Fukushu
berühmt wurde, wird überliefert, wie überrascht er über Kojo Taiteis Goken war und meinte, es sei die
stärkste Faust in Okinawa. Kojo Taitei, wird berichtet, war ein sehr aufgeschlossener und fröhlicher
Mensch.
Er mochte die Übung im Garten nicht und trainierte am Strand. Durch diesen Schritt meinen einige
Forscher, war er der Erste27, der Karate an die Öffentlichkeit brachte. Ganz unzweifelhaft steht aber
fest, dass es nicht üblich war, in der Öffentlichkeit zu üben. Seine Übung war besonders anstrengend.
Higashionna aber hielt durch und sein späteres Karate wurde davon geprägt.
Nach einigen Jahren wollte Higashionna nach China. Es kann sein, dass er nach Ogi (tiefste Technik)
forschen wollte. Weil er kein reicher Mann war, ist es wahrscheinlicher, dass er nach China wollte,
um Geld zu verdienen. Der Hafen von Naha war zu dieser Zeit der einzige offizielle Hafen für den
Handel mit Fukushu. Dort trieben sich viele Leute herum, die in China28 ihr Glück finden wollten. Es
war demnach nicht leicht, eine Passage nach China zu bekommen. Diese Schiffe hießen „to ichi be".
Higashionna aber hatte Glück, er konnte durch seine Kenntnisse der Schiffahrt einen Schiffseigner
kennenlernen. Im März 1872 reiste er illegal nach China. Über sein Leben in Fukushu gibt es mehrere
Geschichten. Einige Forscher meinen, er habe weiter Brennholz verkauft, andere wiederum berichten,
er verkaufte Medizin, um sein Leben zu bestreiten. Wenn man bedenkt, dass er erst viel später das
Menkyo Kaiden29 und vermutlich auch die Ausbildung in traditioneller Medizin - von Ryuru Ko
erhalten hat, ist es eher wahrscheinlich, dass er Brennholz verkaufte. Fest steht allerdings, dass er
viele Jahre Kenpo lernte und vermutlich hat Kojo Taitei ihm einen Empfehlungsbrief mitgeben. Er
war immerhin in einem fremden Land und Kojos erster Lehrer war Wan Shinzan. Einige Jahre später
ging er dann zu Ryuru Ko, um bei ihm zu lernen. Später kehrte Higashionna im Juni 1887 nach
Okinawa zurück. Dies geschah zunächst illegal über mehrere Inseln, denn die Situation für
Heimkehrer war keinesfalls klar.
Nach seiner Rückkehr konnte er zunächst keine Arbeit finden und musste wieder als Händler sein
Brot verdienen. Das von Shogun Yoritommo geschaffene japanische Ständesystem siedelt die
Händler noch unter den Bauern an, da sie nicht produzieren. Sein Leben war dennoch besser als
früher, denn er konnte sein Wissen über die Pharmakologie für den Handel nutzen. Zwei Jahre später
wurde sein Dojo, das erste speziell für Karate, in Okinawa eröffnet. Viele Jahre lang konnte er keine
guten Schüler finden und unterrichtete die Kinder der Umgebung, bis dann Miyagi Chojun und Kyoda
Juhatsu in späteren Jahren zu ihm kamen. Beide wurden seine wichtigsten Schüler. Miyagi stellte das
Naha Te Konzept seines Lehrers in Japan vor und ab 1930 nannte er diese Richtung Goju Ryu. Somit
ist Goju Ryu eine der großen Schulen des Ryu Kyu Kenpo. Higashionna konnte diese Entwicklung
nicht mehr erleben. Er starb 1917 (andere Quellen behaupten 1915), im Alter von 63 Jahren.
25
Harte Faust
Funakoshi Gichin schrieb in Karate-Do Kyohan, dass er Militär Attache in Okinawa war und noch
andere Schüler hatte. Unter anderem: Shimabuku, Higa, Senaha, Nagahama, Aragaki und Kuwae.
27
Eine meiner Meinung nach recht absurde These. Nur weil die Möglichkeit bestand, eine Übung zu
beobachten, ist noch kein Schluss über eine Veröffentlichung zu ziehen.
28
Das China der Qing Dynastie 1644-1911 war ein Magnet für den gesamten asiatischen Raum.
29
Menkyo Kaiden besagt, dass der Übende das System vollständig gemeistert hat. Ob Higashionna
das Menkyo Kaidon bekommen hat, ist strittig. Hier behaupten einige Forscher, er hat es bekommen,
Patrick McCarthy dagegen meint, zu dieser Zeit gab es ein solches System noch nicht. Unstrittig
dagegen ist, dass Higashionna viele Jahre übte und so ein großes Wissen sammelte. Selbst wenn er
kein vergleichbares Papier bekam, war sein Wissen und Können doch außergewöhnlich und dürfte
nicht weniger als das „Menkyo Kaiden" gewesen sein. Ich vertrete daher die Ansicht, dies auf sein
Können zu beziehen. Ein erhaltenes Papier scheint mir nicht wichtig. Obgleich dadurch der Nachweis
fehlt, können auch andere Wege in Betracht kommen. Die mündliche Bekanntmachung ist ein
solcher, wenn man die Zeit und ihre Gegebenheiten in Betracht zieht. Die Ausbildung in
Pharmakologie dagegen ist unstrittig und aus diesem Grund sehe ich ein Menkyo Kaiden als zwar
nicht nachgewiesen, aber dennoch als denkbar an.
26
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Okinawa Karate
Higashionna Kanryo ist zweifellos einer der großen Meister des Naha Te und hat heutige
Auffassungen31 wesentlich bestimmt. Seine Zusammenstellungen der Kata prägen noch heute das
Goju Ryu. Wenngleich diese durch seine Schüler weiter entwickelt wurden, zählen sie doch zu den
bestimmenden Komponenten in vielen Schulen des Okinawa Karate.
Das Kojo Dojo in Fukushu
1867 verließ Kojo Kaho mit dem Schiff Okinawa, auf dem sich auch die Delegation zur
Krönungsfeier befand. Er hatte in Fukushu studiert und Bo Jutsu gelernt.
Als 1879 die Ryu Kyu Inseln offiziell zu japanischem Territorium erklärt wurde, glaubte er, nicht
mehr nach Hause zurückkehren zu können und ließ sich in Fukushu nieder. Die Niederlassung
Okinawas befand sich zu dieser Zeit an der Südostseite des Schlosses. Dort eröffnete er 1874 das
später berühmte Kojo Dojo. Es war 50 Tsubo (1 Tsubo = 3,30 m) groß. Er war der Meister und
begann dort zu lehren. Zu dieser Zeit wurde es „Fukushu Kojo Dojo" genannt. Viele Okinawaner, die
nach der Japanisierung32 nicht mehr in Okinawa leben wollten, emigrierten nach Fukushu. Lehrer im
Kojo Dojo waren einige Meister unter den Emigranten, wie z.B. Makabe Kyoei und Matsuda
Tokusaburo.
Matsuda Tokusaburo sagte, dass auch Higashionna oft im Dojo33 war. Er hat in den langen Jahren
seines Aufenthaltes das „Menkyo Kaiden" von Ryu Ka Ken (Ryu Familiensystem) erhalten und lernte
auch Kasatsu Ho (töten und wiederbeleben) sowie Yaku Gaku Ho (Pharmakologie). Beide Systeme
sind Teil der geheimen Überlieferung sowohl des chinesischen Kenpo als auch des Naha Te. Ein
Forschungsprojekt34 neueren Datums untersuchte beispielsweise die Auswirkungen des Bubishi auf
das Goju Ryu.
31
Obgleich heute schon andere Theorien diskutiert werden etwa die Frage, wie groß war sein Einfluss
auf die heutigen Auffassungen wirklich, gehe ich weiterhin von seiner großen Bedeutung aus. Er hat
die nachfolgenden Meister, Miyagi und Juhatsu, ausgebildet und deren Schüler entwickelten heutige
Auffassungen. Dabei benötigten sie aber die Inspiration Ihres Lehrers.
32
Diese betraf vor allem Menschen, die aktiv die „chinesische Option" befürwortet hatten bzw. in
China arbeiteten. Unklar ist, ob es in der Tat Repressionen gab oder nicht. Es sieht eher so aus, als ob
es zu keinen nennenswerten Benachteiligungen kam, denn schon einige Jahre später setzte eine
Rückwanderungswelle ein.
33
Hier wiederspricht Patrick McCarthy dieser Aussage und meint, dass weder Higashionna noch
Uechi Kanbun im Dojo üben konnten. Higashionna war nicht vom Stande und Uechi hatte einen
Sprachfehler. Beides Gründe, einen Menschen aus der „Gesellschaft" auszuschließen.
34
Tokashiki, Okinawa Karate-Do Hiden Bubishi Shinshaku (Okinawa Karate-Do Bubishi: eine neue
Interpretation), 1995, meines Erachtens eines der besten Bücher auf diesem Gebiet.
Seite 15 von 97
Okinawa Karate
Miyagi Chojun - Die Entwicklung zum Goju Ryu
Miyagi Chojun wurde 1888 in Higashi Machi Naha Shi35 als Sohn eines
Arzneimittelhändlers geboren. Als er klein war, hieß er Matsu. In den
ersten Jahren wurde er in die Honke36 adoptiert und bekam seinen
bekannten Namen Chojun. Die Hauptfamilie war aufgrund des
Außenhandels, den sie mit Fulcushu in China betrieb, die reichste Familie
in Naha. Es wird gesagt, dass er während seiner Schulzeit im Alter von 14
Jahren mit dem Karatetraining bei Higashionna begann. Miyagi hat gleich
ein Jahr nach Beendigung der Schule geheiratet und im Geschäft der
Familie gearbeitet. Sein Karate vernachlässigte er jedoch zu keinem
Zeitpunkt. Als er 20 Jahre alt war, wurde er zum Militär nach Kumamoto
zum 5. Bataillon eingezogen. Dieses 5. Bataillon spielte für viele Meister
des Karate eine wichtige Rolle. Dort diente er drei Jahre. Nach dieser Zeit
reiste er aufgrund seiner Arbeit und natürlich wegen des Trainings zum
ersten Mal nach Fukushu.
Im Herbst 1917 starb sein Lehrer Higashionna Sensei und er kehrte nach Naha zurück, um die
Trauerfeier zu organisieren, da Higashionna keine Familie mehr hatte. Sein erster Besuch in Fukushu
dauerte deshalb nur sechs Monate. In den folgenden Jahren sollte er aber noch viele Male nach China
reisen, um zu forschen und zu arbeiten. Einmal reiste er durch Korea nach Beijing und zweimal nach
Hawaii, um Karate zu erweitern, sowie viele Male auf die Hauptinsel nach Honshu. Diese Reisen
waren möglich, weil seine Familie sehr viel Geld hatte. Über die Hälfte dieses Vermögens wurde für
den Unterhalt der Familie sowie von Freunden ausgegeben. Er hat nicht viel im Geschäft gearbeitet,
sondern sich mehr für das Karate und seine Forschung interessiert.
Die große Wende für sein Karate kam, als er einen Vortrag von Kano Jigoro über Budo hörte. Kano
war zu dieser Zeit Leiter des Kodokan37. 1927 kam Kano Egoro38 mit vielen Schülern ein zweites Mal
nach Okinawa. Bei dieser Gelegenheit wurde für ihn ein Embu39 im Karate organisiert. Dieses Embu
wurde von Yabe Kenstu, Hanagi Nagashike, Hisaba Kosaku, Kiyabu Chotoku, Miyagi Chojun,
Mabuni Kenwa und deren Schülern gegeben. Miyagi stand neben Kano und erklärte das Naha Te. Die
Persönlichkeit Kanos beeindruckte Miyagi sehr und Kano seinerseits förderte Miyagi, so dass er sich
um seine Forschung, die Entwicklung und Erweiterung des Karate, kümmern konnte.
Im Mai 1928 war er zum ersten Mal in Honshu, um das Budokusai (jährliche Budovorführung) des
Budokuden40 (Halle der Kriegstugenden) in Kyoto zu besuchen. Nach diesem Ereignis bekam er
Gelegenheit, an den Universitäten von Kyoto und Kansai eine Demonstration zu geben. Dies war der
erste Schritt zur Erweiterung nach flonshu. Bis zu dieser Zeit wurde das Karate ausschließlich nach
Ortsnamen benannt und der Budosai war der Anlass dafür, den Namen in Goju Ryu zu ändern.
Miyagi holte sich die Anregung dafür aus den beiden Kapiteln „kempo dai johakku" (acht wichtige
Wörter des Kenpo) und „ho goju don to" (Art des weichen Einnehmens und Herauslassens). Diese
Kapitel stammen aus der „Bibel des Karate", dem Bubishi41. Im Mai 1935 legte Miyagi die Prüfung
zum Kyoshi Gou im Butokuden ab und wurde in der Folge zum Leiter des Dai Nippon Butokukai
Okinawa Branch ernannt. Er war der erste Träger dieses Titels im Karate. Nach seiner Rückkehr nach
Okinawa gründete er den ersten Karateverband42, zu dem die wichtigsten Meister Okinawas gehörten.
1942 reiste er ein letztes Mal nach Tokio.
35
Nördlicher Teil von Naha City
Hauptfamilie, wie in Europa auch, gab es verschiedene Familienzweige. Die Hauptfamilie
entspricht in etwa der Familie der Erben der Eltern, in der Regel der Erstgeborene Sohn. Alle anderen,
wie Onkel, Tanten und deren Nachkommen wurden nicht mehr zur Hauptfamilie gerechnet.
37
Kodokan erste Judoschule Japans, 1882 in Tokio gegründet von Kano Jigoro
38
Begründer des Judo 1860- 1938 und Vorsitzender des NOK sowie der Japan Athletic Association
39
Vorführung zu besonderem Zweck, oder besondere Übung von mehreren Schülern
40
Butokuden in Kyoto, gegründet unter der Regentschaft von Kaiser Kammu 781-805) als
Ausbildungsstätte für Offiziere.
41
Diese Enzyklopädie der Kampfkunst wurde 1621 in China verfasst und erreichte Jahre später auch
Okinawa.
42
Zen Karate Do Shinko Kyokai, er bezahlte alles aus seinem eigenen Vermögen.
36
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Okinawa Karate
Auf der Rückreise nutzte er noch einmal die Gelegenheit, in Kyoto Station zu machen, und gab bei
den Universitäten von Kyoto und der Ribumeikan43 Lehrgänge. Miyagi starb 1953. Zu dieser Zeit war
Okinawa von den Amerikanern besetzt. Dieser Umstand spielte bei der Verbreitung von Karate eine
entscheidende Rolle. Von den USA aus gelangte Karate in alle Teile der Welt.
Mabuni Kenwa
Shito Ryu ist eine der großen Richtungen des Karate in Japan und wurde
gegründet von Mabuni Kenwa. Er lebte von 1889 bis 1952. Mabuni Kenwa
begann mit dem Karatetraining unter Itotsu, als er 13 Jahre alt war und blieb bei
ihm bis zu seinem Tod. Sein Freund Miyagi Chojun stellte ihn dann Higashionna
Kanryo vor und er studierte bei ihm die Tradition des Naha Te. Zusätzlich zu den
beiden Richtungen Shuri und Naha Te hatte er die Möglichkeit, mit Aragaki
Seisho zu üben, von dem er die Kata Unshu, Sochin, Niseishi, Aragaki Sai und
Aragaki Bo Kata lernte. Mit Miyagi Chojun lernte er bei Go Genki, Hakutsuru
Ken Kempo. Die Kata Nipaipo, Paipuren und Hakutsuru sind aus dieser Schule in
das Shito Ryu eingeflossen.
1929 ging Mabuni nach Osaka und begann in verschiedenen Dojo zu unterrichten,
unter anderem im Sei Shi Kan Dojo von Kokuba Kosei, dem Gründer des Motobu
Ha Shito Ryu. 1934 nannte er seine Schule Shito Ryu nach den Kanji seiner
beiden Lehrer Itosu und Higashionna. Mabunis Schule wurde dann 1939 offiziell im Dai Nippon
Butokukai registriert. Ebenfalls 1939 gründete er den Vorläufer des heutigen Dachverbandes Shitokai.
Sein ältester Sohn Kanei übernahm die Führung, welche er noch heute inne hat. Mabuni Kenwa starb
am 23. Mai 1952 im Alter von 63 Jahren. Nach seinem Tod trennten sich einige seiner führenden
Schüler und gründeten eigene Organisationen, jeder mit dem Zweck, das authentische Karate weiter
führen zu wollen.
Mit Mabunis Vision eines einheitlichen und alle Kata umfassenden Karate Okinawas ist ein
interessanter Weg gezeigt worden, eine wirkliche Einigung aller Karateübenden zu initiieren. Leider
scheitert ein solcher Gedanke erfahrungsgemäß an wirtschaftlichen oder politischen Interessen.
Die Kata in einigen Teilen anders zu üben, bereichert uns, statt uns zu trennen. Der Gedanke, das
wirkliche und wahre Karate üben zu wollen, zwingt notwendigerweise zur Beantwortung der Frage,
was denn der Inhalt des wahren und einzigen Karate ist? In der Antwort liegt gleichsam das Problem.
Der reine Selbstverteidigungsgedanke scheint mir zu wenig, um in jeder Situation bestehen zu
können. Jeder legt für sich fest, was denn der Inhalt für sie oder ihn ist. Was fehlt, ist das Wissen um
die Vielfältigkeit der Menschen und mit ihnen ihres Geistes.
Abb. 6 Das Hauptquartier des Shito Ryu Verbandes in
der Provinz Saitama unweit von Tokio
43
Universität der Arbeiterbewegung
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Okinawa Karate
Die Entwicklung zum Karate Do
Aus heutiger Sicht betrachtet stellt das alte Karate scheinbar einen Anachronismus der Geschichte
dar. Dies um so mehr, als der Friedensbegriff in der Gesellschaft immer zwingender und eindeutiger
formuliert und artikuliert wird, ja werden muss. Zu keiner Zeit konnte in der Tat das alte Karate mit
seiner auf feudalistischen Grundprinzipien beruhenden Definition des Begriffes Selbstverteidigung, in
der ein Menschenleben nicht viel zählt, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Zur
Erhaltung wurde es notwendig, diese alte Kunst mit neuen Inhalten auszustatten, deren Gefährlichkeit
einzuschränken, um sie so für eine neue Epoche zu rüsten. Das Karate Do wurde geboren.In jüngster
Zeit wird weltweit ein Trend sichtbar, der dahin zielt, über den sportlichen Aspekt hinaus die Wurzeln
zu erforschen, um so tiefer in das alte, voll Weisheit steckende Karate zu dringen. Ich will dennoch
nicht verhehlen, dass ich immer ein glühender Anhänger des alten, traditionellen um im besten Sinne
anachronistischen Karate war. Die Entwicklung im 20. Jahrhundert soll im Rahmen dieses Buches
nicht so ausführlich beschrieben werden. Zum einen ist dieser Teil der Entwicklung schon eingehend
diskutiert worden, zum anderen ist die Entwicklung im Japan des beginnenden 20. Jahrhunderts von
starken nationalistischen Tendenzen geprägt, so dass die Beschreibung und Analyse ein eigenes Buch
füllen könnte. Mehrere Ereignisse sollen dennoch kurz angerissen werden.
Itotsu, Anko schuf 1905 die Pinnan Kata, um sie an den Schulen als Teil des Unterrichts einzuführen.
Diese wurden dann auch folgerichtig als Mittel erkannt, die Jungen in den Schulen schon auf den
Wehrdienst vorzubereiten. Bei ärztlichen Untersuchungen stellte man die sehr gute, körperliche
Verfassung einiger Karateschüler fest. Das sollte einer der Anstöße sein, Karate 1908 an den Schulen
Okinawa einzuführen. Ebenfalls 1905 benutzte Hanashiro, Chomo zum ersten Mal das Kanji44 Kara in
seinem Buch45 Karate Kumite, statt des bis dahin gebräuchlichen Kara, auch gelesen als China. Dieses
alte Kanji bedeutet Tang und meint die Tang Dynastie in China. Es wurde zu dieser Zeit benutzt, um
allgemein China zu benennen. Aus diesem Grund bedeutete die Benutzung des Kanji, Hand aus
China. Ein weiterer wichtiger Schritt im beginnenden 20. Jahrhundert und der vorausgegangenen
Veröffentlichung war zweifellos die Vorstellung des Karate für die japanische Öffentlichkeit. Zu
diesem Zweck reisten Funakoshi Gichin, Miyagi Chojun, Mabuni Kenwa und andere zur Hauptinsel
Honshu sowie ins Herz der Nation46, um dort Karate bekannt zu machen. Funakoshis Rolle bei der
Veröffentlichung ist indes umstritten.
Bernard Bordas schreibt dazu „....Funakoshi brachte seine eigene Auffassung als Ryu Kyu Kempo
Karate nach Japan. Diese eigene Auffassung wurde nie anerkannt. Er hatte im Gegensatz zu Ohtsuka
Hironori47, dem Gründer von Wado Ryu und seinem Schüler, nie irgendwelche Titel und Ehrungen
erhalten. Dies mag ein Indiz dafür sein." Und in der Tat ist über ihn in der Literatur48 nicht sehr viel
zu lesen. Sicher, in den Veröffentlichungen des Shotokan Karate gibt es einiges. In allen anderen,
insbesondere okinawanischen Veröffentlichungen jener Zeit, ist es merkwürdig still um Funakoshi
und sein Bemühen. Darüber hinaus sahen die maßgeblichen Meister49 Okinawas das Karate, welches
Itotsu vorstellte, als einen misslungenen Versuch an und gingen hart damit ins Gericht. Wörtlich sagte
Kojo Kaho, „.... Die Leute aus Shuri, brechen die Tradition und verstehen nichts vom Karate......"
Heute wird gerne behauptet, dass Funakoshis Sohn Giko die entfernten kämpferischen Aspekte
wieder zufügte und weiter gab. Eine erneute Verbindung nach Okinawa kam dennoch nie mehr
zustande und heute ist das Shotokan Karate in Okinawa selbst nicht sehr verbreitet. Zweifellos aber ist
Funakoshi Gichin eine der großen Gestalten des Karate im vergangenen Jahrhundert und sein Platz in
der Geschichte ist ihm sicher.
44
Chinesische Schriftzeichen, die auch in Japan benutzt werden
Erschienen im August 1905
46
Herz der Nation wurde Tokio genannt
47
Man erklärte ihn noch zu Lebzeiten zu einem nationalen Schatz
48
Allerdings hatte Funakoshi sehr viele Verbindungen zu den auf Honshu lebenden Okinawanerv. Bei
Taira Shinken übte er zum Beispiel über 17 Jahre Kobudo.
49
Belegt ist darüber hinaus die gegenseitige tiefe Abneigung von Motobu Choki und Funakoshi
Gichin. Motobu beleidigte Funakoshi mehrmals öffentlich und verglich sein Karate mit einer Gitarre,
außen schön aber innen hohl. Mehr noch, Motobu meinte, Funakoshi ist auf Grund seines
verschlagenen Charakters in der Lage, andere Leute zu betrügen und bezog dies auf das Karate.
Vergleiche Kaku Kozo, Ryobukai, Tokyo 1993 S. 13 ff.
45
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Okinawa Karate
Er war es, der die philosophischen Hintergründe verstand und durch sein Verhalten reflektierte. Wir
können aus diesem Grund auch verstehen, warum die Linie des Shotokan Karate bei allen Aktivitäten
der okinawanischen Karate Gemeinde keine besondere Rolle spielte. Shotokan ist aber eine der
großen japanischen Schulen und weltweit eine der mitgliederstärksten Richtungen des Karate.
1927 veranlasste die Okinawa Präfektur, dass Ryu Kyu Kenpo offiziell in drei Strömungen geteilt
wurde. Naha, Shuri und Tomari Te. Diese Einteilung geschah, weil es in der Zeit vorher nicht üblich
war, Schulen und Stile im Karate zu benennen. Offensichtlich sollte eine Kunst, die aus China kam,
aber all ihre Traditionen und Wurzeln in einem anderen Land hatte, nicht mit eigenen Namen benannt
werden. Dies war vielmehr ein Prozess, an dessen Ende erst eine eigene Namensgebung stehen
konnte, als das Karate eine auf Okinawa heimische, eigene Kunst wurde. Viele waren erstaunt
darüber, denn man veranlasste eine Einteilung, die ohnehin schon lange im Volk bestand, nun
offiziell. Mit dieser Einteilung ließ sich administrativ besser umgehen und das Karate für offizielle
Vorhaben nutzen.
Einige Meister gingen in die Welt. Miyagi Chojun machte Karate in Hawaii bekannt. Er unterrichtete
dort von April 1934 bis Februar 1935. Yabu Kentsu reiste 1927 nach Amerika. Yabu besuchte seinen
Sohn Kanden in Los Angeles und gab eine Demonstration im amerikanischen Okinawa Klub und
unterrichtete ebenfalls in Hawaii.
Wichtiger aber scheint mir die Tatsache zu sein, dass fast alle heute bekannten philosophischen
Strategien aus dem Bushido Kodex der Samurai in das Karate eingeflossen sind. In Okinawa sah man
Karate als Selbstverteidigung an und beschäftigte sich mit diesen Strategien nur partiell. Durch diesen
Umstand war die Verbreitung des Karate auf die Hauptinsel Ilonshu ein wichtiger Schritt für das
Karate-Do, wie wir es heute kennen.
Es kann sein, dass einige Historiker dies als Grund sehen, wenn sie sagen, dass in Okinawa die tiefen
Inhalte aus China nicht bekannt waren. Zieht man die angesprochenen soziologisch-kulturellen
Bedingungen in Betracht, ist dies glaubhaft. Ein schönes Beispiel liefert Funakoshi Gichin in seinem
Buch „Karate-Do, mein Weg."
Mit der Besetzung Okinawas durch die Amerikaner begann auch für die Verbreitung des Karate eine
neue Zeit. Viele der dort stationierten Gls waren an der Verbreitung in die Welt beteiligt. Die USA
verfügen deshalb über ein sehr großes traditionelles Lager und sind außerhalb Japans führend.
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Okinawa Karate
Abb. 10 sitzend v.l. Kyan Chotoku, Yabu Kentsu,
Hanashiro Chomo, Miyagi Chojun und stehend v.l.
Gusukuma Shimpan, Chitose Tsuyoshi, Chibana
Choshin, Nakasone Kenwa
Abb. 11 Itotsu Anko 10 Übungsanweisungen
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Okinawa Karate
Das Treffen der Meister 1936
Dieses Treffen ist für die historische Forschung von besonderer Bedeutung, weil hier das erste Mal
originale Gesprächsprotokolle zur Auswertung vorliegen. An Hand dieser Quelle ist es möglich, einen
Eindruck von den Problemen dieser Zeit im Karate zu bekommen und es lässt sich sehr gut
nachvollziehen, welche Konsequenzen zur Lösung die Teilnehmer erarbeitet haben. Ich möchte im
Rahmen dieses Buches nur einige kleine Zitate einfügen. Das gesamte Gespräch liegt in Buchform50
vor.
Teilgenommen haben; Nakasone, Kenwa (1886-1978) Hanashiro, Chomo (1869-1945) Kyan,
Chotoku (1870-1945) Motobu, Choki (18711944) Chibana, Choshin (1885-1969) Kiyoda, Juhatsu
(1886-1967) und Miyagi, Chojun (1888-1953).Ausgerichtet wurde dieses Treffen vom Ryu Kyu
Shinposha (Ryu Kyu Zeitungsverlag). Besondere Gäste aus Politik und Militär waren ebenfalls
anwesend. Anhand dieses Textes ist nachvollziehbar, warum Toudi in Karate51 geändert werden
sollte, vor allem aber, warum eine Einigung der Schulen angestrebt wurde. Nakasone, Kenwa sagte
dazu, „...Manchmal stellen verschiedene Fachausdrücke ein Problem dar, denn es ist schwierig, einen
Vortrag ohne einheitliche Begriffe zu präsentieren, welche universell verstanden werden können.
Eine Geste kann vom Publikum verstanden werden, aber es ist schwieriger, sich in Zeitungen oder
anderen Medien verständlich zu machen. Die Voraussetzung dafür sind einheitliche Fachausdrücke."
Fukushima, Kitsuma meinte, um dieses Problem zu unterstreichen, "Es wurden viele Karate Sekten51
vor kurzer Zeit gegründet, aber meiner Meinung nach wäre es besser, wenn alle vereint wären. Ohne
Rücksicht auf den Unterschied zwischen den Stilen in Shuri und Naha sollte ein einheitlicher
japanischer Lehrplan geschaffen werden. Kendo hatte auch rund zweihundert Stile, aber sie wurden
vereint in der gegenwärtigen japanischen Kendo-Kata Vereinigung. ... Wenn Sie Karate üben, kann
dies auch vereint werden und es würde sich überall fortpflanzen. Zum Beispiel können wir sagen, dass
wir 1. zehn Arten von japanischer Kata entwickeln, 2. wir benutzen japanische Namen für sie, 3.
vereinheitlichen Sie die Kata Techniken und ihre Inhalte, um die anwendbaren Prinzipien von Angriff
und Verteidigung unterzubringen, 4. benutzen Sie eine übliche Kleidung53, 5. Wettbewerbsfähige
Elemente müssen studiert werden, 6. planen Sie Turniere für Karate Do."
Ein Ergebnis dieses Treffens war, dass verschiedene Bücher54 verlegt wurden, worin ein Versuch
unternommen wurde, ein einheitliches Katasystem zu schaffen. Eine überaus interessante Lektüre,
welche zeigt, dass dieser Teil mit der Schaffung der Pinnan Kata durch Itotsu lange nicht
abgeschlossen war und welche unterschiedlichen Auffassungen von der zu lehrenden Technik
existierten. Obwohl sich verschiedene Interpretationen einiger Meister in den heute bekannten
Schulen und Richtungen durchgesetzt haben, blieb die Grundidee indes unverändert und hat sich als
tragendes Konzept in allen nachfolgenden Schulen etabliert.
Nachzulesen ist dieses Gesprächsprotokoll in mehreren Veröffentlichungen. Es bereichert nicht nur
den Forscher, sondern auch den interessierten Laien, der von der Geschichte lernen will. Die
Bemühungen der Meister, die Anerkennung durch das Butokukai in Kyoto zu finden, zeigen
gleichzeitig deren Dilemma.
50
Erste Veröffentlichung von Toyama, Kanken 1963 in seinem Buch Karate Do Daiho Kan. Übersetzt
ins Englische von Patrick McCarthy, 1994, als Arbeitspapier der IRKRS. 1999 bei Tuttle in einem
Sammelband verschiedener Aufsätze, ebenfalls von McCarthy, erscheinen.
51
Endgültig anerkannt wurde die Schreibweise Karate Do im Dezember 1933 durch den Dai Nippon
Butokukai. Allerdings waren auch hier andere Meister eigenständig genug, sich nicht oder nur bedingt
einer solchen Regelung zu unterwerfen. Eine Rolle spielte sicher auch, dass die Schreibweise Toudi,
Okinawa betraf und Karate auf Japan bezogen wurde. Als klar war, dass auch das Okinawa Karate
einer Änderung unterzogen werden musste, um in der neuen Zeit zu bestehen, setzte sich die neue
Schreibweise endgültig auf Okinawa durch.
52
Gemeint sind sicherlich Schulen, ein religiöser Hintergrund ist aber auch denkbar.
53
Weißes Karate Gi, nach der Tradition der Samurai. Weiß ist die Farbe des Todes und symbolisiert
den Gedanken, ohne irdische Wünsche zu üben, mit Klarheit und Reinheit der Seele.
54
Karate Do Daikan - Karate Do großer Überblick, verschiedene Autoren 1938. In diesem Buch sind
unter anderem einige der Teilnehmer des Treffens zu sehen.
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Okinawa Karate
Es war wichtig, sich offiziell anerkennen55 zu lassen, damit die staatliche Förderung gewährleistet
war. Diese Förderung war möglich, weil der Butokukai vom Kaiserhaus mit großzügigen finanziellen
Spenden bedacht wurde. Andererseits bedeutete es auch die Aufgabe alter Traditionen und
Überlieferungen. Ein völlig neues System, sowohl des Übens als auch der Weitergabe des Karate an
die Schüler, musste geschaffen werden. Eine einheitliche Kleidung, ein Gürtelsystem und öffentliches
Üben waren in Okinawa bis dahin nahezu unbekannt. Viele der traditionellen Meister standen dem
Neuen ablehnend, ja feindlich gegenüber, aber die Kampfkünste wurden durch den Butokukai
organisiert und geleitet, es war einfach ein muss, dabei zu sein. Wie dem auch sei, ohne diese
Veröffentlichung hätten wir im Westen wohl nicht die Chance gehabt, Karate zu erlernen.
Die Änderung des Toudi in das Karate-Do war ein langer Prozess, der von Rückschlägen und
Fortschritten geprägt war. Jahre und Kulturkreise später kann die Beschreibung nur unvollkommen
gelingen. Einen Eindruck von den Schwierigkeiten zu vermitteln ist besonders gewagt, wenn die
Seitenzahl begrenzt ist und die vorhandenen Quellen nicht sehr stark unser heutiges Interesse
spiegeln. Ein häufig gemachter Fehler, gerade im Westen, ist die Verurteilung der Meister für das
Hausnehmen der kämpferischen Inhalte der Kata und deren öffentliches Unterrichten. Wir müssen
allerdings berücksichtigen, dass wir bei so einer Beurteilung nicht nur unser eigenes Interesse
bemühen. Ich glaube vom Standpunkt der Meister in Okinawa aus war die Entscheidung richtig und
notwendig. Wer die alten Inhalte lernen und das Karate so tief wie möglich verstehen möchte, dem
bietet sich auch heute noch Gelegenheiten.
Miyamoto Musashi schrieb es etwa so in seinem Buch der fünf Ringe56: „Zu den Künsten und
Geschicklichkeiten, von denen seit Urzeiten gesprochen wird, gehört die sogenannte Kunst des
Vorteils", wenn wir aber von der Kunst des Vorteils sprechen, können wir sie nicht lediglich auf die
Handhabung des Schwertes begrenzen. Auch die Kunst der Schwertführung als Ganzes erschöpft sich
nicht in der einfachen Beherrschung ihrer Handhabe; so kann der Weg zur militärischen Meisterschaft
nicht beschritten werden. Meiner Ansicht der Gesellschaft zufolge machen die Menschen aus den
Künsten Gegenstände des Kommerzes und halten sich selbst für Waren; auch ihre Utensilien stellen
sie als Handelsprodukte her. Indem ich das Oberflächliche vom Wesentlichen zu unterscheiden
versuche, befinde ich, dass diese Einstellung noch weniger Wirklichkeitsgehalt als die von Zierrat hat.
Das Gebiet der Kampfkünste kennzeichnet sich häufig durch Prahlerei, durch effekthascherische
Volkstümlichkeit und durch Gewinnsucht, sowohl seitens ihrer Lehrer als auch seitens derjenigen, die
sie zu erlernen trachten. Das Ergebnis wurde einmal so geschildert: „Die Laienhaftigkeit in der Kunst
des Kämpfens ist eine Quelle ernsthafter Wunden."
Abb. 12 Eine schöne Briefmarke Okinawas, Teil einer Serie
über die Traditionen der Ryu Kyu Inseln
55
Um den Wunsch nach Anerkennung zu verstehen, muss man auch die Gesellschaft dieser Zeit in
Betracht ziehen. Es war so gut wie unmöglich, eine größere Aktivität außerhalb dieser Gesellschaft
durchzuführen. Ein öffentliches Unterrichten stellt ohne Frage eine solche dar. Diesem
„Gruppenzwang" verdanken wir die Möglichkeit, Karate zu üben. Eine allzu kritische Haltung ist
deshalb nicht in unserem Interesse. Dazu kommt, dass eine Beurteilung der damaligen Verhältnisse
aus heutiger Sicht nahezu unmöglich ist.
56
Heyne, Esoterisches Wissen, Das Buch der fünf Ringe, München 1996, S 38 ff
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Okinawa Karate
Die Kata
Ich will versuchen, soweit möglich, auf das Weitergeben von Geschichten bei der Beschreibung zu
verzichten. Nicht in jedem Fall wird dies auch gelingen, denn Fakten sind, auf Grund der früheren
Geheimhaltung, spärlich gesät, vieles muss zur Zeit noch Vermutung bleiben und wird durch neuere
Forschungen untermauert oder widerlegt.
„Es gibt viele Wege einen Berg zu erklimmen, aber nur ein Mond ist auf dem Gipfel zu sehen!"
Was eigentlich ist Kata57? Diese Frage dürfte sich jeder Karate Ka schon gestellt und beantwortet
haben. Wir wissen heute recht viel über die Prinzipien, welche eine Kata verkörpert. Um diese Frage
einigermaßen schlüssig beantworten zu können, sind wir auf viele Vermutungen angewiesen, wir sind
nicht endgültig in der Lage, ein Phänomen zu erklären, welches sich mit der menschlichen Kultur im
Laufe von einigen tausend Jahren entwickelt hat. Gleichwohl gibt es der Kata vergleichbares Lernen,
sowohl in allen Kulturen, als auch in allen Epochen der Menschheitsgeschichte, und es sind gerade
diese Prinzipien, welche uns unsere Entwicklung beflügelt und möglich gemacht haben. Denken wir
nur an unsere eigene Vergangenheit und daran, wie ein Handwerk weitergegeben wurde und wird.
Die verschiedenen Handgriffe und Fertigkeiten zu erlernen geschieht auch hier durch „Kata".
Historisch gesehen ist Kata oder Hsing58 eine Sammlung von Möglichkeiten und Taktiken, um auf
eine physische und psychische Bedrohung reagieren zu können. Ein Werkzeug gewissermaßen,
welches unsere eigenen Fähigkeiten aufzeigt und in der Folge kultiviert. Wahrscheinlich aus der
Notwendigkeit heraus, sich zu verteidigen, übte man zuerst Schläge, Blöcke und Tritte, sowohl
bewaffnet als auch unbewaffnet.
Einige fortgeschrittene Anwender erkannten den Wert der Übung und fügten ihrerseits weitere
Anwendungen hinzu. So bildeten sich im Laufe vieler Jahre komplexe Systeme des Übens heraus,
welche durch empirische59 Forschungen jeweils ergänzt und vervollkommnet wurden. Besonders
Meister mit profunden spirituellen Überzeugungen und einer tiefen gesellschaftlichen Philosophie
bewahrten die Kata über die Jahrhunderte und entwickelten sie zu ihrer heutigen Form.
„ ...die Notwendigkeit zur Selbstverteidigung muss sich in historischer Zeit, auf Grund von
Feindseligkeiten, die dem Menschen innewohnen, entfaltet haben.", schreibt Miyagi Chojun in seinem
1934 erschienenen Karate Do Geisetsu60 - Karate Do Erklärung.
Karate war immer Selbstverteidigung und nie dazu gedacht, in einer Arena gegen einen Angreifer
angewendet zu werden. Dies schließt natürlich solche Bunkai Techniken in den Kata nicht aus,
sondern diese fördern die Entwicklung und bringen Vorteile gegen Angreifer mit weniger Erfahrung.
Generell lässt sich feststellen, dass rund 80% der Menschen nichts von Selbstverteidigung oder
allgemein von physischer Gewalt verstehen. Aus diesem Grund kann man davon ausgehen, dass die
Angriffe in erster Linie würgen, fassen, umklammern und ähnliche sein werden. Es scheint klar, dass
jemand, der wütend ist und über geringe Kenntnisse verfügt, das tun wird, was in der Natur des
Menschen liegt oder was ihm als möglich erscheint. Dadurch sind die Erklärungskumite in den Kata
in erster Linie darauf ausgerichtet, diese Angriffe abzuwehren. Natürlich gibt es auch andere Formen
der Verteidigung, aber diese Angriffe dienen als Basis, gewissermaßen als Grundkonzept. Kata zeigt
uns also, wie, wo, wann, womit und vor allen Dingen warum wir Techniken anwenden können. Sie
bringt alle notwendigen Werkzeuge zusammen und lehrt darüber hinaus den Weg zur
Vervollkommnung sowohl des Körpers als auch des Geistes.
57
Form, Figur, Muster der Kata vergleichbar ist auch das Lernen eines Handwerkes. Zuerst erwirbt
man grundlegende Techniken, in der Folge davon werden die Techniken wiederum mit Hilfe von
Grundübungen oder deren Erweiterungen verfeinert.
58
Hsing ist der chinesische Ausdruck für Kata
59
beobachtend
60
Dieser Text ist handgeschrieben und nur einige Seiten stark. Eine englische Übersetzung wurde von
Patrick und Yuriko McCarthy 1993 angefertigt. 1999 ist auch eine Sammlung seiner Texte bei Tuttle
erschienen, unter anderem Karate Do Geisetsu.
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Okinawa Karate
Aber, Kata lehrt nicht von alleine, sondern wir müssen uns bemühen, die Bedeutungen zu
entschlüsseln. Und noch eines erscheint wichtig: Kata ist ein in sich geschlossenes perfektes System,
das nur Bedeutung hat, wenn wir Übenden uns ihm vollständig unterwerfen. Das setzt voraus, bei
einem guten Lehrer zu lernen, denn nur er ist in der Lage, unseren Fortschritt auf dem Weg
einzuschätzen und neue Aufgaben zu stellen, um Stillstand zu verhindern.
Mehr noch. Die Demonstration einer Kata verlangt das Offenbaren unserer Seele und unseres
Herzens. Sie verlangt ein Bewusstsein, welches eine höhere Absicht deutlich macht, sie verlangt die
Arbeit an uns selbst. Ohne all dies wird eine Kata immer nur eine Turnübung sein und wir sind nicht
in der Lage, uns über ein Anfängerstadium hinaus auf einer tieferen Ebene zu bewegen. Diese tiefere
spirituelle Ebene allerdings ist wichtig, um wiederum technische Inhalte umfassender verstehen zu
können. Eines ist ohne das andere weniger als das Halbe.
Auch in der Diskussion, ob man in Japan üben muss, halte ich die Argumente einiger für nicht
stichhaltig, denn in Japan oder Okinawa ist das Budo Teil einer langen und tiefen Tradition, die
einzuschätzen wir nicht ohne weiteres in der Lage sind, mehr noch, ein Lehrer stellt immer nur eine
Aufgabe, die geeignet ist, den jeweiligen Abschnitt, die Stufe, auf der sich der Schüler befindet, zu
beschreiben und dem Schüler einen Weg aus seinem gerade aktuellen Dilemma zu zeigen. Der
Schüler aber ist noch nicht in der Lage, über diese Stufe hinaus zu schauen und zu wissen, was sich
dahinter verbirgt. Dennoch hört man oft nach ein paar Wochen der Übung in Japan, dieser oder jener
Lehrer61 wisse nichts und die Sprecher selbst haben es besser verstanden.
Einen lebenslangen Weg nach ein paar Wochen oberflächlicher Übung verstehen zu wollen, ist nicht
möglich und die Wahrscheinlichkeit, einen guten Lehrer zu finden, ist in Japan größer als in Europa.
Kurz, wenn man auf der Suche nach Ogi, der tiefsten Technik ist, dann kann man dies im
Ursprungsland des Budo finden.
Vor allem aber halte ich eine allzu kritische Einstellung der modernen japanischen Budotradition
gegenüber für kontraproduktiv, sie wird uns nur in eine Haltung der Ablehnung bringen, durch welche
wir nicht oder nur ungenügend die Inhalte sehen können. Der Streit, ob Wettkampf oder nicht, spaltet
die Lager und man steht sich häufig unversöhnlich gegenüber. Die Wettkampftradition in den
japanischen Dojo aber bindet die Kinder an das Karate und vermittelt ihnen den Spaß am Lernen,
später dann, schon erwachsen, können sie sich mit anderen, tieferen Inhalten auseinander setzten,
weiter lernen und sich verbessern. Dazu kommt, dass in den japanischen Schulen eine sehr
arbeitsintensive Lernatmosphäre gepflegt wird, die Kinder somit ein Gegengewicht zur
Stressbewältigung benötigen. Eine Übung nach klassischem Muster scheint mir nur ungenügend dazu
in der Lage zu sein.
Es gibt nur ein Karate - Fäuste, Füße, also kurz alle Waffen des menschlichen Körpers, alle
energetischen Schemata funktionieren nach nur einem Prinzip und die Kata entwickelten sich zu den
heute bekannten Formen in einem langen Prozess, welcher noch immer nicht abgeschlossen ist.
Nachdem die Okinawaner durch langes Lernen in China sowie bei den in Okinawa lebenden
chinesischen Meister, aber auch nicht zu vergessen, die Satsuma in Kyushu, sich soweit emanzipiert
hatten, dass sie eigene Meister hervorbrachten, konnten sie die Übungen nach ihren Bedürfnissen
zusammenstellen und zum Teil eigene Formen dieser Übungen entwickeln. Dieser Prozess setzte im
frühen 19. Jahrhundert ein. Er hat einen großen Anteil am heutigen Okinawa Karate und steht
ebenfalls als Symbol für die eigenständige Entwicklung Okinawas während wechselseitiger fremder
Bevormundung, ohne jedoch die kulturellen Einflüsse von verschiedenen Seiten zu leugnen.
Die Beziehungen zu China nach dem Opiumkrieg62 1840 wurden zunehmend durch den Schmuggel
gekennzeichnet. So wurde durch den illegalen „Handel" eine weitere Möglichkeit für die Okinawaner,
in China zu lernen und chinesische Konzepte mit nach Hause zu bringen, eröffnet.
61
Ich beziehe mich generell auf Lehrer in den Dojo, nicht auf Lehrer großer Vereinigungen. Der Weg
verlangt eine persönliche Beziehung zu einem Lehrer über viele Jahre des Übens und nicht der
Schüler bestimmt den Schluss.
62
Opiumkrieg 1839, er wurde von ausländischen Kolonialmächten angezettelt, als die chinesische
Regierung das Opiumverbot, welches sie einige Jahre vorher erlassen hatte, endlich durchsetzen
wollte. Vor allem europäische Händler verdienten an diesem Handel und versuchten mit Hilfe dieses
Krieges ihre Pfründe zu sichern.
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Okinawa Karate
Viele Okinawaner reisten aber auch nach Fukushu, um an der Niederlassung Okinawas in China zu
arbeiten. Bei dieser Gelegenheit konnten sie im von Kojo Kaho geleiteten Dojo Kenpo erlernen. Man
sieht heute die direkte Linie des Naha Te63 auch deshalb von Aragaki über Kojo, Higashionna, Miyagi
bis Kyoda.
Aragaki hat bei den Chinesen in den Dörfern Okinawas gelernt und von ihm sind Sanchin, Sesan,
Sanseru und Suparinpei überliefert. Dies sind die ältesten Kata des Naha Te. Diese erste Gruppe von
Kata und die zweite Gruppe, bestehend aus Sepai, Seifa, Seienchin, Shisochin und Kururunfa, wurden
dann in der Folge von Higashionna weitergegeben. Miyagi lernte sie bei ihm und fügte die beiden
Gekisai Kata sowie Tensho hinzu. Heute nennt man diese Schule Goju Ryu. Ein ähnliches Konzept
wie das Goju Ryu verkörpert das bekannte Uechi Ryu. Hier findet man alle wesentlichen Naha Te
Kata, aber der Ausdruck und das Wesen sind anders. Immer noch sieht man den chinesischen
Ursprung sehr deutlich. Es werden viele Techniken mit offener Hand64 ausgeführt. Uechi Kanbun
begründete diese Richtung und Uechi Ryu gehört heute zu großen Stilen in der Karatewelt.
Nakaima Norisato lernte von Ryuru Ko65 im Kojo Dojo in Fukushu eine weitere Gruppe von Naha Te
Kata. Ohan, Pachu, Anan, Paiku, Haiku und Paiho. Sie wurden lange Zeit als Hauskata nur von Vater
zu Sohn weitergegeben und erst in der letzten Zeit öffentlich gelehrt. Heute werden sie im Ryuei Ryu
unterrichtet. Zur gleichen Schule gehört auch die Übung der 15 klassischen chinesischen Waffen.
Aus dem Hakutsuru Ken Kenpo66 von Go Genki kommt die Kata Papurian. Als das Naha Te aus
China nach Okinawa kam, war es eine in sich geschlossene, perfekte Schule67 und ist aus diesem
Grund von den anderen Richtungen Shuri Te und Tomari Te relativ unbeeinflusst geblieben. Ein
Unterschied dieser beiden Konzepte ist die Kraftentfaltung.
Im klassischen Naha Te wird die Atmung aus dem Tanden benutzt, um die Technik kraftvoll zu
machen. Bei Shuri und Tomari Te wird die Kraft aus dem Bein/Stand über die Hüfte in die Technik
gebracht. Die Konzepte der Kata beider Richtungen sind auf diesen Unterschied ausgelegt. Obwohl
auch hier zu sagen ist, eine solche Unterscheidung hat es in dieser Zeit wahrscheinlich nicht gegeben.
Sicher sind beide Richtungen von unterschiedlichen chinesischen Konzepten beeinflusst, doch dürfte
dieser Einfluss nicht so stark gewesen sein, um eine strikte Trennung schon in jener Zeit zu
definieren.
Im Naha Te Konzept werden die Arme wie die vielen „Arme des Kraken"68 benutzt und die Beine wie
die einer Katze, also leicht und gleitend beim Gehen. Vor allen Dingen aber wird beim Naha Te auf
den Gebrauch der Arme Wert gelegt. Mit den Füßen tritt man nur bis zur Gürtelhöhe. Ein Ursprung
kann die Ibuki Atmung sein, bei der man versucht, sich durch Spannung der Muskeln unempfindlich
gegen Vitalpunktschläge zu machen69. Wenn nun aber der Körper unempfindlich ist, greift man die
verbleibenden schwer zu schützenden Stellen an, wie die Gelenke der Beine. Zudem sind hohe
Fußtritte für einen wirklichen Kampf erfahrungsgemäß nicht geeignet.
Im Gegensatz zu dem von der Nam Pa Rakan Ken Kenpo Linie stammende klassische Naha Te
entwickelten sich zwei andere Schulen ebenfalls durch die enge Verbindung zu China.
63
Auch, mit anderen zusammen, Shorei Ryu genannt, es soll im Shorei Tempel in Fukushu China
entstanden sein.
64
Genannt Kaisho, in diesem Prinzip wird auf schnelle Bewegungen der Hände Wert gelegt, die bei
einem Kampf unerlässlich sind. In den neueren Kata wurde die offene Hand in eine geschlossene
umgewandelt. Der Schüler ist sowohl im Geist, als auch in der Technik nicht mehr flexibel genug.
Der Sinn der Änderung ist, die kämpferischen Prinzipien zu verstecken.
65
Xie Zhongxiang, 1852-1930, von Higashionna, Kanryo der Tradition entsprechend großer Bruder
genannt. Der Suffix Ko bedeutet großer Bruder. 1883, ein Jahr nachdem Higashionna nach Okinawa
zurückkehrte, eröffnete er sein Dojo in Fukushu.
66
Hakutsuru - Kranich, Ken - Faust, Kenpo - Kunst, Weg
67
Einige Forscher meinen, es gab in Okinawa nie einen Unterschied zwischen den Schulen, nur
zwischen den Lehrern.
68
Gemeint ist hier die Übung Kakie oder auch klebende Hände.
69
Es gibt auch die Behauptung, dass durch harte Feldarbeit die Leute nicht mehr in der Lage und
willens waren, komplizierte Techniken zu üben.
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Okinawa Karate
Die nördliche Linie des Hoko Ha Kenpo hat hier zur Entstehung der klassischen Schulen des Shuri
und Tomari Te beigetragen. Die Unterschiede dieser beiden Schulen sind nur sehr gering und aus
diesem Grund soll hier im weiteren Verlauf auch der in Okinawa übliche Name Shorin Ryu gebraucht
werden.
Tomari70 ist der zweite Hafen Okinawas, in dem nach einem Taifun ein Mann Namens Channan71
landete. Nach diesem wurden von Itosu die allseits bekannte Pinnan Kata benannt. Inwieweit
Channan diese Kata beeinflusste, ist nicht genau zu definieren. Fest steht allerdings, dass die Pinan
Kata mit all ihren Abweichungen und Änderungen, die sie erfahren haben, unser ganzes heutiges
Karate, vor allem das Shorin Ryu und alle aus ihm hervorgegangen Schulen, geprägt haben.
Alle im Tomari Te geübten Kata wurden auch im Shuri Te geübt, dennoch gibt es viele verschiedene
Interpretationen von einer Variante. Ganz auffällig wird dies, wenn man die Passai Kata betrachtet,
die erstaunlich viele Varianten aufweist. Tomari no Passai hat zwar in etwa dasselbe Schnittmuster
wie Matsumura no Passai oder Shimpaku no Passai, ist aber dennoch eine andere Kata. Jede dieser
Varianten wurde von ihrem Meister anders interpretiert.
Aus diesem Grund gibt es so viele Varianten und Interpretationen von einer Kata. Matsumura no
Passai ist wahrscheinlich am nähesten am historischen Original. Die in der in Japan geübten Formen
der Bassai sind ein Mix aus verschiedenen Varianten. ltosu teilte diese in Dai und Sho. Eine weitere
Kata ist die Kushanku72 (Kosukun), von der es ebenfalls mehrere Interpretationen gibt. Aus Tomari
stammt die Chatanyara no Kushanku.
Die direkte Linie dieser Kata wird aber in Shuri gesehen, weil sich Kushanku in Shuri aufgehalten hat
und diese Kata wahrscheinlich dort einführte. In Shuri wurde von dieser Kata unter anderem die
Variante Shi-Ho (vier Richtungen) geübt. Die Originalversion dieser Kata heißt bei Itosu vermutlich
Sho. Jion, Ein und Jitte waren in alter Zeit eine Kata. Leider ist heute nicht mehr zu ermitteln, wann,
von wem und zu welchem Zweck die Kata geteilt wurde. Das Shorin Ryu gehört zur Gruppe des Dai
Koshiki (große alte Richtung). Kennzeichen dieser Richtung ist die vorrangige Benutzung von
Zenkutsu Dachi und Naihanchi Dachi, leichte Schritte und viele Keri-Waza (Fußtechniken). Damit
sich der Sinn dieser Technik vollständig erschließt, ist es vor allem anderen notwendig, die korrekte
Form des Keisetsukumite73 zu üben.
Abb. 13 Eine mögliche Ausführung des Age Uke mit anschließender Technik
Leider kann man heute nur allzu oft beobachten, dass die Kata verändert werden, ohne den richtigen
Hintergrund zu kennen. Diese Haltung ist nicht ohne Kritik hinzunehmen, denn sie führt unter
anderem dazu, dass sich das Gefüge der Kata verändert und im schlimmsten Fall ganz verschwindet.
Besonders gravierende Formen dieser Veränderung hat das alte Karate durch seine sportliche Variante
erfahren.
70
Der einzige offizielle Hafen für den Handel war allerdings Naha, daher ist Bedeutung von Tomari
als Hafenstadt begrenzt.
71
Über Channan gibt es zwei Hypothesen, die erste besagt, dass er ein Mann aus Fukushu in China
war und der, nachdem er in Okinawa „landete", Kenpo unterrichtete. Die zweite ist dagegen ein wenig
abenteuerlich, einige Forscher schreiben, dass Channan Bushi Matsumura war. Diese Hypothese wird
in Japan gerne benutzt, ist aber durch keine Tatsache zu belegen.
72
Ein großer Teil dieser Kata ist in die Pinnan Kata eingeflossen, man sagt etwa 70%, und in der Tat,
die Techniken ähneln sich stark.
73
Erklärungskumite oder auch Katabunkai
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Okinawa Karate
Die Kata stellt jedoch ein hoch komplexes System der Übung dar, welches sich in vielen
Jahrhunderten der Forschung entwickelt hat und auf Erkenntnissen basiert, deren Grundlage unter
anderem die chinesische Medizin ist. In diesem Sinne ist es durchaus mit einem Ökosystem
vergleichbar.
Mabuni Kenwa stellte zu diesem Problem fest, „Das Wichtigste beim Karate sind die formalen
Übungen. Sie enthalten alle Strategien des Angriffs und der Verteidigung. Deshalb muss man den
Sinn der Kata gut verstehen und sie richtig anwenden. Obwohl einige möglicherweise annehmen, dass
man die Kata ignorieren und nur den Sparring praktizieren kann, wird eine solche Einstellung niemals
zu einem echten Fortschritt im Karate führen. Die Ursache liegt darin, dass Schläge und Blöcke sowie
die Technik des Angriffs und der Verteidigung in Tausenden von Varianten vorkommen und das man
nicht alle im Zweikampf ausprobieren kann...".
Abb. 14 Ein klassischer Angriff, auch in Kata geübt
Die Naihanchi Kata, in Japan Tekki genannt, wird erst in Naihanchi Dachi und mit den alten
Keisetsukumite wirklich sinnvoll. Der sportliche Wert indessen bleibt davon unberührt. Ohne das
Verständnis dieser komplexen Zusammenhänge kann aber eine Änderung nicht im Sinne der Übenden
sein.
Natürlich ist damit nicht die Veränderung gemeint, die von so hervorragenden Experten wie Miyagi
Chojun, Mabum Kenwa, Funakoshi Gichin und vor ihnen Itosu Anko oder anderen vorgenommen
wurden, sie wussten zweifellos den Wert der Kata zu erhalten. Sicher geschah dies versteckt und
hintergründig, aber um so mehr intellektuellen Spaß hat man beim Entschlüsseln. Den deutlichsten
Aufschwung aber nahm das Karate nach dem zweiten Weltkrieg. Der Sieg der Amerikaner über Japan
wurde im Volk als Sieg über die eigenen Fähigkeiten angesehen, man empfand sich als minderwertig,
was einen Verlust moralischer Werte nach sich zog.
Karate wurde auch hier wieder als Mittel verstanden, diese moralischen Werte erneut zu beleben. Dies
geschah durch die in einem Dojo geübte Disziplin. Bei der Übung des Budo fand man Möglichkeiten,
sich der eigenen Fähigkeiten wieder bewusst zu werden.
Abb. 13 Block gegen einen Kopfstoß
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Okinawa Karate
Die Evolution der Kata zu den heute bekannten Formen reflektiert einen gesellschaftlichen
Wandlungsprozess. Die Notwendigkeit bestimmter Techniken oder Ausführungen in den Kata besteht
nicht mehr. So zum Beispiel das Abbinden der Kleidung, um gegen Angriffe mit dem Speer gerüstet
zu sein, das Wegdrücken langer Kimonoärmel, um einen freien Ellenbogen zu haben, wie in der Kata
Shisochin, bzw. das Ausziehen der Kleidung, wie in der Kata Happoren oder Suparinpai, und anderes
mehr.
Diese Ausführung verschiedener Techniken ist seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr erforderlich, da wir
keine Kleidung tragen wie in vergangenen Jahrhunderten, so dass sich diese Techniken verändert
haben, ja verändern mussten.
Für den Historiker oder historisch interessierten Laien ist das Wissen um diese Verfahren wichtig und
bewahrenswert. Für die Kata allerdings ist es nicht länger notwendig und deshalb ist eine
Veränderung auch von grundlegender Bedeutung und zu begrüßen.
Wir können in den heutigen Formen viele andere und heute wichtige Anwendungen studieren und
lernen. Ich selbst habe großen intellektuellen Spaß beim Entdecken der alten Formen und verstehe
dadurch die Kata, wie sie jetzt geübt werden, besser und tiefer. Von Wert allerdings sind die
„modernen" Formen der Okinawa Kata allemal und wir sollten uns weniger dem Streit über
„richtiges" und „falsches" Karate hingeben, sondern einfach nur üben.
Abb. 15 In den Kata enthaltene Kampfstrategien
Die technische Bedeutung der Kata
Zum besseren Verständnis der Anwendungen in den Kata hat Patrick McCarthy74 die Zahl der
möglichen Angriffe analysiert und identifiziert. ...Wir sind heute in der Lage, 36 verschiedene Arten
zu identifizieren und durch Kombinationen, z.B. Höhe des Angriffs ergibt das 72 Möglichkeiten der
physischen Gewalt gegen einen anderen Menschen. Beide Zahlen addieren sich zur mythischen Zahl
108. Zur Darstellung dieser 108 verteidigungsrelevanten Themen gibt es 18 Kata oder grundlegende
Übungsformen.....
Manche Historiker gehen deshalb auch davon aus, dass einige Kata mit Zahlnamen belegt wurden. So
gibt es in der Kata Sepai zum Beispiel 18 Schläge, die jeweils auf Punkte unter die Muskeln des
Gegners zielen, aber dies für eine solche Begründung heranziehen zu wollen, liegt meines Erachtens
nicht im Rahmen der Bedeutung der Kata. Vielmehr ist ein Verweis auf die buddhistischen
Traditionen schon eher ein glaubhafter Hinweis auf den Ursprung der Namensgebung, denn eines der
wichtigsten Ziele in der Übung der Kampfkünste ist die Entwicklung der Persönlichkeit. Die
Fähigkeit zur Selbstverteidigung dient dagegen als Vehikel, mit dem die mentale, spirituelle und
kulturelle Entwicklung des Schülers inspiriert und gesteuert werden soll.
74
Koryu Journal, Ausgabe 3/99, Kokusai Ryu Kyu Karate Jutsu Ken Kyokai, (Internationale Karate
Forschungsgesellschaft), gegründet von Patrick McCarthy in Japan.
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Okinawa Karate
Jede Schule zeigt in der Kata ihre eigene Interpretation dieser Möglichkeiten und hat versteckte
Prinzipien als Teil der Überlieferung in den Techniken der Kata unsichtbar für jeden Uneingeweihten
verborgen. Die Aufgabe besteht nun darin, lange Jahre zu lernen, um durch Hingabe und
Beharrlichkeit die Fähigkeit zu erwerben, das Verborgene auch zu sehen. Hingabe, Beharrlichkeit und
Demut sind die Maxime, durch welche die Verantwortung des Schülers im Umgang mit der „Waffe"
Karate reflektiert wird. Sie sind die Prinzipien, die wir lernen sollen und durch deren Beachtung wir
Michi, die Straße, zu Do, dem Weg, werden lassen. So gesehen ist die folgende Aufzählung einiger
klassischer Prinzipien der technischen Übung nichts als das Zeigen auf das Vehikel.
Einmal gefragt, ob Uechi Ryu geheime Prinzipien beinhaltet antwortete Kanyei Uechi75; ... ja es hat,
aber sie sind nicht wirklich geheim und werden nicht als solche unterrichtet. Sie können durch lange
Übung und Praxis entdeckt werden!
Abb. 16 Durch Nähe im Kampf jede weitere Aktion unmöglich machen
75
Entnommen Bishop Mark Karate Okinawan Karate Teachers, styles and secret techniques, A&C
Black London, 1995, S. 46
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Okinawa Karate
Beim Üben der Kata können einige Gesichtspunkte hilfreich sein, sie bilden den ersten Baustein, eine
Kata zu analysieren und helfen auf dem Weg:
1. Es gibt kein Richtig und kein Falsch. Jede Anwendung reflektiert eine bestimmte Art zu kämpfen.
2. Stelle dir die Übung der Technik als realen Kampf vor und führe jede Technik aus, als ob du es
mit einer Selbstverteidigungssituation zu tun hast. Analysiere dazu, wie du angreifen würdest.
3. Die Richtung der Übung oder das Schrittdiagram ist nichts als ein Hilfsmittel und muss der realen
Situation angepasst werden.
4. Überlege selbst, welche Anwendungen in Betracht kommen können. Sind deine Überlegungen
praktikabel, ist ein Teil des Weges zurückgelegt. Du wirst Dich verbessern mit jeder neuen
Anwendung, die du lernst.
5. Sieh nicht einen Angreifer von links, dann einen von rechts, sondern nur einen Angreifer in der
gesamten Kata. Natürlich können mehrere Gegner angreifen, aber für die Übung ist das nicht
hilfreich, denn es lenkt unsere Konzentration schon auf den „nächsten", während wir noch mit
dem Ersten „kämpfen". Jede Kombination steht für sich.
6. Eine Kata ist ein in sich geschlossenes System, übe daher immer eine Kata ausreichend, bevor du
mit einer nächsten beginnst. Es ist wenig sinnvoll, schon „hohe" Kata zu üben, wenn die ersten
noch nicht richtig beherrscht werden. Vertraue deinem Lehrer, er weiß um deine Schwierigkeiten
und wird dir helfen, sie zu überwinden.
7. Frage immer auch andere Lehrer und höhere Schüler.
8. Gehe einen Schritt nach dem anderen. Wenn du eine Straße überquerst, beginnst du auch nicht an
der gegenüberliegenden Seite, sondern dort, wo du bist. Beginne am Anfang, nicht am Ende.
9. Jetzt bist du in der Lage, die folgenden Hinweise zu verstehen und ihnen zu folgen. Lass dich
nicht entmutigen, sei kreativ, denn Kata ist kein Gefängnis.
Die fundamentalen Übungsinhalte der Kata sind die folgenden vier. Sie bilden das Rüstzeug, durch
welches sich alle anderen technischen Systeme ableiten lassen.
1. Techniken der Selbstkontrolle Wirkungen von Schlägen minimieren, die Fähigkeit der
Selbstheilung sowie die Stärkung der eigenen, uns innewohnenden, mentalen Kraft kultivieren.
2. Techniken des Niederschlagens Durch das Lähmen der motorischen Fähigkeiten des Angreifers
eine erneute Attacke verhindern.
3. Angriffe auf das Atmungssystem Durch das Verhindern des Strömens der Luft im Körper des
Angreifers die Fähigkeit zu einem erneuten Angriff ausschließen.
4. Methoden des Paralysierens Hindern des Angreifers an weiterer Bewegung.
Daraus ergeben sich die folgenden Varianten sowohl des Angriffs als auch der Verteidigung, sie sind
integrierter Bestandteil jeder klassischen Kata. Alle Inhalte in den Kata stehen nicht alleine, sondern
sind miteinander verwoben. Sie sind allein betrachtet nicht in der Lage, eine alles umfassende
Kampfkultur zu entwickeln.
1. Kyushu Jutsu Stimulierung der Nerven durch Schlag, Druck oder Hebel und dadurch
hervorgerufene Reaktionen des Körpers.
2. Shime Waza Abdrücken oder Quetschen der Blutgefäße und Atemorgane durch Hebel und
Würgen, dazu zählen auch Beinhebel.
3. Kansetsu Waza Verdrehen der Knochen und Blockieren der Gelenke.
4. Nage Waza Wurfvarianten sind Fuß- und Hüftwürfe, Handund Schulterwürfe sowie Opferwürfe
aus allen Positionen.
5. Bunkai Jutsu Blocken, Schlagen und Treten, Gegenangriffe und Angreifen der inneren Organe
durch Druck, Tritte oder Schläge.
6. Ne Waza: Bodenkampf.
7. Tuite Jutsu Greifen und Pressen anderer Zonen am Körper, die nicht durch Knochen geschützt
sind sowie das Zerstören der Bindegewebsstrukturen wie Sehnen, Knorpel. Zusammenpressen
verwundbarer Zonen am Körper.
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Okinawa Karate
Die natürlichen Waffen sowie Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Selbstverteidigung, welche durch das
Üben der Kata ausgebildet werden, sind:
1. Schläge und Stöße mit allen Körperteilen.
2. Blöcke ebenfalls mit allen Körperteilen, das sind neben den Armen und Beinen auch der Kopf
sowie der Körper.
3. Tritte sowie fegende und blockierende Bewegungen mit den Füßen.
4. Benutzen der offenen Hände und der Finger zum Fassen, Schlagen und Stoßen.
5. Stände und Fußmanöver wie Ausweich- und Meidbewegungen, um die Techniken effektiver zu
machen und eine kontrollierte Selbstverteidigung zuzulassen.
6. Kontrollieren, die Fähigkeit einen Angriff zu fangen und dadurch zu blockieren bzw. jeden
weiteren Angriff unmöglich zu machen, um einen Gegenangriff erfolgreich durchzuführen.
Ein letzter wesentlicher Punkt bei der Betrachtung der Kata sind die sogenannten Grundsätze des
Übens. Sie umfassen sowohl die technische als auch die spirituelle Seite und obwohl wir nicht immer
alles verstehen können, was jenseits unserer Welt liegt, will ich versuchen, diese Prinzipien näher zu
untersuchen. Sie stehen gewissermaßen als wesentlicher Inhalt über allen technischen Fertigkeiten
und fördern die Effektivität der körperlichen Übung.
1. Yoi no Kishin, die geistige Vorbereitung umfasst einerseits, das allumfassende Wesen der Dinge
zu verstehen, als auch die eigene Unzulänglichkeit innerhalb dieses Kreises. Mehr noch und
wichtiger als das (kann es Wichtigeres geben?) sollen wir unser Bemühen dahin lenken, nicht zu
fühlen und zu denken, kurz nicht zu wollen. Es umfasst gleichermaßen alle Maxime, welche hier
aufgeführt sind.
2. Inyo, heißt das Verstehen von Ursache und Wirkung. Ying und Yang, Hart und Weich, Mond und
Sonne, werde ich hart angegriffen, ist der Konter weich. Schlage ich hier, geschieht das. Es
umfasst das genaue Wissen um die Punkte und ihre Wirkung, den Fluss des Blutes und nicht
zuletzt wie, wann und wohin geht das Ki.
3. Maai, die Distanz, das Fühlen wo der Gegner ist und wie er sich bewegt, es verlangt aber, Tai
Sabaki, die Bewegungsmöglichkeiten des Körpers zu kennen.
4. Tai no shinshuku, Aufbau und Funktion des Körpers kennen, das Wissen um die
biomechanischen Grundsätze, nach denen der menschliche Körper funktioniert.
5. Chikara76 no Kyojaku, die richtige Power für eine Technik kennen, damit sie funktioniert.
Dieses setzt ein Training am Makiwara voraus. Man sagt, dass nach drei Jahren der täglichen
Übung am Makiwara der Übende in der Lage ist, einzuschätzen, wie tief die Wirkung im Körper
ist. Punkte und Löcher schlagen ist ein Unterschied, da Löcher tiefer liegen als Punkte. Die
Wirkung ist ebenfalls unterschiedlich. Wird ein Loch geschlagen, sind die inneren Organe
betroffen und Punkte ergeben Schmerzen.
6. Kiai, bedeutet, das Sammeln und Einsetzten des Ki. Es gibt drei verschiedene Methoden des Kiai,
welche unterschiedlichen Zwecken dienen.
7. Ju no Ri, ist das Prinzip der Bereitwilligkeit, sich dem Unglück nicht zu widersetzten, zu sein wie
ein junger Baum im Wind.
76
R. Habersetzer beschreibt diesen Begriff mit Muskelkraft und nimmt an, dass die starke
Kraftentfaltung in den okinawanischen Kata nur deshalb geübt wird, weil sie die diffizilen
chinesischen Inhalte nicht verstehen konnten. Ich stimme ihm zu, was den Anfang der Überlieferung
betrifft, also etwa das 12. Jahrhundert. Wir wissen heute sicher, dass viele Okinawaner für lange Zeit
in China waren, um dort zu arbeiten, zu forschen und zu lernen und viele Chinesen ihrerseits in
Okinawa. Ich gehe deshalb nicht davon aus, dass dies ein ernstzunehmendes Argument ist, sondern
meine, dass im Laufe der Weitergabe die tiefste Technik sehr wohl auch von Okinawanern gelernt
und verstanden wurde. Higashionna Kanryo war viele Jahre in China, kaum anzunehmen, dass er dort
nur ein paar Kata und deren technische Aspekte lernte.
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Okinawa Karate
8. Kokyu77, das Synchronisieren des Atems. Bewegung und Atmung sind Teile des Ganzen. Ohne
die Atmung kann die Bewegung, ein Fauststoß zum Beispiel, nicht seine volle Wirksamkeit
entfalten. Der Atem erst synchronisiert alle nötigen körperlichen Aktivitäten und fokussiert die
Kraft auf ein Ziel.
9. Bunkai78, das Verstehen der Prinzipien der Verteidigung. Diese sind auch in den neuen Formen
der Kata enthalten, wurden aber sehr versteckt. Dennoch, auch in diesen Formen gehört das
Prinzip dazu.
10. Zanshin, geistige Wachsamkeit. Wach aber kann nur sein, wer sich eine Haltung der
Nachgiebigkeit, der Freundlichkeit und Toleranz erarbeitet hat, denn die konträre Haltung hält
unsere Seele fest und hindert sie.
11. Seishi o Choetsu, das Überschreiten der Gedanken an Tod und Leben. Nur wer frei ist von allen
Begierden kann ohne Furcht reagieren, er ist gleichsam bereit für das Unvermeidliche.
Karate ist Kata, Kata ist Karate
77
Dieses Prinzip ist nicht zu verwechseln mit der ibuki Atmung. Die Unterschiede sind gravierend.
Die Form der harten Spannung, wie bei der Ibuki Atmung praktiziert, kann zu einer Verengung der
Blutgefäße und des Abschnürens der Lymphgefäße führen. Diese Methode der Atmung, von Miyagi
eingeführt, ist heute sehr umstritten.
78
Funakoshi schreibt dazu in seinen 20 Geboten, dass sich, während sich die physische Konfrontation
ändern kann, dennoch die Prinzipien der Verteidigung gleich bleiben. Daher sollte man diese
Prinzipien üben.
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Die Prinzipien Hi, To und Yu
Die drei elementarsten Regeln79 des Kampfes werden in den Kata in den meisten Fällen am Anfang
durch dreimaliges stilisiertes Vorgehen mit einer Kombination von Techniken geübt. Sie stellen
gewissermaßen die Grundlage dar, auf der alle anderen in den Kata geübten Vorgehensweisen
basieren und aufbauen, da sie die erste Reaktion des Verteidigers auf einen Angriff sind. Diese
Möglichkeiten des prinzipiellen Reagierens zeigen das Grundprinzip des Verteidigens und sollten
besonders sorgfältig geübt werden. Die dargestellten Beispiele sind auf einige beschränkt, finden sich
aber in allen Kata des Okinawa Karate wieder.
1. Hi: Das Vermeiden anderer Angriffe durch das Benutzen der Kraft des Angreifers.
2. To: Gegen einen anderen Angriff benutzt man Kraft, um selbst den Gegner angreifen zu können.
3. Yu: Gegen einen Angriff bewegt man sich weg, man weicht aus, um dann selbst zum Angriff
übergehen zu können.
Bei diesem ersten Prinzip
geht es vorrangig darum,
einem Angriff auszuweichen
und die volle Kraft des
Angreifers, die er in den
Schlag gelegt hat, gegen ihn
selbst einzusetzen.
Das bedeutet: Weiche dem
Schlag aus und wenn der
Angreifer
mit
voller
Spannung in seiner Stellung
steht, gehe sofort zum
Gegenangriff über. Dies ist
allerdings
leichter
geschrieben als getan. Es
gehören lange Jahre der
Übung dazu, dieses Prinzip
zu verstehen und dann auch
praktisch nutzbar für die
eigene Technik zu machen.
Bitte beachten; Der Schlag
mit Ippon Ken geht nicht
zum Solar Plexus!
Abb. 17 Bild 1 - 5 Prinzip Hi
79
vergleiche Tokashiki, Okinawa Karate-Do Hiden Bubishi Shinshaku (Okinawa Karate-Do Bubishi:
eine neue Interpretation), 1995, Seite 134 ff.
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Okinawa Karate
Abb. 18 Bild 1-5 Prinzip To
Hier ist gemeint, dass man den Angreifer mit der eigenen Körperkraft zu besiegen versucht. Denke
daran, du musst durch den ersten Block den Angreifer aus seiner sicheren Haltung bringen, um dann
zu versuchen, diese kurze „Verwirrung" zu nutzen. Auch hier gilt, es sieht leichter aus, als es ist, da
ein „guter" Angreifer nur wenige 10-tel Sekunden in seiner Haltung stehen bleiben wird. Beide
Strategien, einen Angriff abzuwehren, sind in den Kata enthalten und müssen so geübt werden, um
die Kata mit Leben zu füllen.
Abb. 19 Bild 1-2 Prinzip Yu, führe die Bewegung des Angreifers weiter
Alle drei beschriebenen Wege des Verteidigens sind als Grundkonzepte in die Kata eingebaut und
können durch fleißiges Lernen erkannt und erfahren werden. Allen Techniken der Kata liegen sie
zugrunde. Wenn du also eine Analyse der Kata wagst, gehe zuerst einmal davon aus. Diese
Überlegungen erleichtern dir den nächsten Schritt. Hast du nun herausgefunden welche Techniken in
den Kata zu diesen drei Prinzipien passen, kannst du an die Analyse der Technik gehen.
Als erstes solltest du dich fragen, warum dient gerade diese Technik diesem Zweck, dann frage dich,
welche Ausführung kann hier versteckt sein. Also, ist es ein Pressen verwundbarer Zonen am Körper,
oder ist es doch „nur" Schlagen und Treten. Der daraus folgende Schritt ist schon etwas komplizierter.
Nun musst du kritisch deine eigene Technik durchleuchten. Ist das, was ich hier als
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Okinawa Karate
Verteidigungshandlung gerade tue, sinnvoll und - vor allem anderen - hat meine Technik denn
wirklich die beabsichtigte Wirkung?! Wenn du dir klarmachst, dass Ikken hissatsu mit einem Schlag
töten bedeutet, weißt du sicher noch nicht, ob es auch dein Schlag kann. Aus diesem Grund ist eine
selbstkritische Haltung nötig. Lass dir nicht aus Büchern erzählen, wenn jemand Karate übt, kann er
dies oder jenes erreichen, sondern prüfe dich immer selbst und sei wachsam gegenüber deiner
Selbstzufriedenheit!
Kata als Quelle der Gesundheit
Zusätzlich zu den gewohnten Möglichkeiten der Selbstverteidigung vor physischer Gewalt stellt Kata
auch ein tiefgründig, ganzheitlich und therapeutisches Konzept dar. Metaphysisch gesehen ist die
Kata sogar noch mehr. In der Tat, Kata ist der einzige Grund dafür, das Karate als eine ritualisierte
und stilisierte Tradition noch heute existiert. Wir sind mehr ein Produkt der Kata, als die Kata ein
Produkt von uns ist. Zunächst einmal stärkt das Üben der Kata die Knochen und Muskeln, welche
helfen, die Biomechanik zu maximieren. Durch die ständige Kontraktion der Muskeln wird der
Aufbau des Muskelgewebes angeregt und gefördert.
Die Fähigkeit, Energie freizusetzen, wird durch das Lernen, den Atem zu regulieren und das
Synchronisieren unserer körperlichen Aktivität verbessert. Atmung ist das Mittel, Geist und Physis
zusammen zu führen, in der Übung der Kata ist dies der wichtigste Punkt. Auf Grund dieser Elemente
ist Kata eine ausgezeichnete Quelle, Ki Energie zu kultivieren, die sowohl innerlich als auch äußerlich
eine unglaublich therapeutische Wirkung auf den Körper hat.
Die Kata verbessert sowohl die Konzentration, als auch die Koordination, und die Funktionen von
verschiedenen inneren Organen des Körpers. Die gesteuerten Atemtechniken, das kräftige Drehen des
Körpers und das Schwingen der Glieder, aber auch die Kontraktion der Muskel, verhindern das
Verkalken von Blut-und Lymphgefäßen und verbessern die Funktionen des Skeletts sowie des
Muskelgewebes und der Verdauungsorgane. Somit ist die Kata eine ausgezeichnete sportliche
Aktivität und als solche kann sie eine heilende Wirkung auf chronische Krankheiten wie hoher
Blutdruck, Gastritis, Herzprobleme, TB, Arthritis und Zuckerkrankheit haben.
Kurz, Kata hilft, einen gesunden Körper, schnelle Reflexe und starke Bewegungen zu entwickeln.
Zudem fördert die tägliche Übung die innere Ruhe, und wo Konflikte existieren, stellt sich das
Gleichgewicht in den persönlichen Beziehungen wieder her. Karate kann uns bis ins hohe Alter
begleiten und eine Hilfe sein, die Stürme des Lebens zu überstehen und gesund zu bleiben.
Durch falsch verstandene Ausführung der Übungen kann man sich allerdings auch sehr schädigen.
Bei zu harter Atmung und zu langer und kräftiger Kontraktion der Muskel werden die Blut-und
Lymphgefäße abgeschnürt und die Versorgung mit Sauerstoff unterbrochen, wodurch Schädigungen
entstehen können.
Abb. 20 Juhatsu Kyoda leitet eine Gruppe Schüler beim Katatraining an. Dieses Bild
entstand 1937 vor dem Schloss Shuri, dem ehemaligen Sitz der Ryu Kyu Dynastie.
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Die Namen der Kata
Es gibt kaum ein so verwirrende Kapitel in den Kriegskünsten, wie die Namen der Kata und deren
Bedeutung für den Kampf, sie sind ein Mysterium. Dieses aufzubrechen sind wir nicht, oder nur
unzureichend, in der Lage. Viele der Namen sind Symbole aus der chinesischens80 buddhistischen
Tradition. Die Zahl 108 hat zum Beispiel eine besondere Bedeutung innerhalb des Buddhismus. Sie
meint, jeder Mensch hat 108 boshafte Eigenschaften. An jedem 31. Dezember des Jahres wird die
Glocke 108 mal geschlagen, um diese Eigenschaften zu vertreiben. In der Kata Suparinpei wird sie
nach folgendem Schema berechnet: 36 x 3. 36 ist Sanseru, die Zahl 3 bedeutet Zukunft, Heute und
Vergangenheit. Die 36 wird berechnet aus der Formel 6 x 6. Die ersten 6 sind Augen, Nase, Mund,
Zunge, Körper und Geist. Die zweiten 6 sind Farbe, Stimme, Schmecken, Riechen, Berühren und
Urteilen. Sepai Nummer 18 wird ähnlich berechnet, 6 x 3. Die 6 ist hier gleich, wie die zweite 6 von
Sanseru.
Einer Legende zufolge werden 36 Hauptpunkte für das Kämpfen benannt, diese wurden dann auf 72
erweitert und beide ergeben wiederum 108. Diese ersten 36 Punkte sind: 9 Punkte, die den Tod
verursachen, weitere 9 Punkte, welche das Neuralsystem angreifen, 9 Schmerzpunkte und 9
Lähmungspunkte. Jede Kata mit Namen wie 24 (Nijushiho), 36 (Sanseru), 54 (Gojushiho) oder 108
(Suparinpei) reflektiert eine besondere Methode, diese Punkte anzugreifen und enthüllt ihre
Spezialität. Die Kata 18 (Sepai) greift zum Beispiel 18 Punkte, welche unter den Muskeln liegen, an.
Diese Erklärungen scheinen mir recht stichhaltig zu sein. Am Ende hat jeder Lehrer seine eigene
Interpretation dafür und wird gemäß seiner Vorliebe die Namen und deren Bedeutungen beschreiben.
Die Bedeutung der Kata für unsere Übung sowohl körperlich - zur Gesunderhaltung und
Selbstverteidigung -, als auch mental zur Stressbewältigung bleibt davon unberührt. Dieser Wert steht
über allem und wird durch Namen der Kata oder Eigenarten und Vorlieben der Lehrer nicht tangiert.
Hito Kata wa San Nen Für jede Kata braucht es drei Jahre Übung! Daran sollten wir uns orientieren,
denn nur dann sehen wir die Hintergründe klarer und tiefer, dann erst sind wir in der Lage, mit dem
Herzen zu sehen, denn unser Verstand bringt uns oft vom Wege ab, er verwirrt und drängt uns,
unseren Wünschen nachzugeben.
80
G. Schönberger bezieht die Bezeichnung der Kata mit Zahlen auf die Anzahl der Techniken, die in
ihr geübt werden. Eine weit verbreitete Auffassung.
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Die vier Phasen des Lernens
Die vier Phasen des Lernens sind für alle Übenden gleichermaßen gültig. Ich benutze hier die
Definition von Patrick McCarthy. Sie ist als freie Wiedergabe der Beschreibung „ Martial Arts
Instructor Diploma Program" entnommen und wird so am „ Australia College of Natural Medicine"
verwendet.
Nyumon : (Einführungsstufe) Der Ausdruck Nyumon verweist auf jemanden, der durch ein Tor geht.
In den Kampfkünsten wird er benutzt, um die Phase und den Prozess zu beschreiben, in der ein neuer
Schüler in die Theorie und Praxis der Kampfkünste eingeführt wird.
1. Die Phase 1 beginnt mit einer Zeit der intensiven Entwicklung der Fähigkeiten des Schülers, dem
die Grundlagen der Kampfkünste durch ununterbrochene, automatisierende Übungsformen
gelehrt werden. Dem Schüler werden die Etikette und zugehörigen Rituale sowie deren Wert und
Bedeutung näher gebracht. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf dem Erlernen von sechs
Grundübungsformen, welche die Entwicklung der Grundwerkzeuge ermöglichen. Diese für die
Selbstverteidigung grundlegenden Fähigkeiten beinhalten: 1. Schlagtechniken, 2. Fußtechniken,
Tritte und ähnliches, 3. Verteidigungspositionen, Fußarbeit und Körperbewegung, 4. Techniken
der offenen Hand, 5. Formen der Kraftübertragung, 6. ablenken, fassen und blockieren eines
Angriffes. Im weiteren Verlauf von Nyumon erlernt der Schüler einige Formen und erhält einen
Einblick in das Partnertraining.
2. Die philosophische und konzeptionelle Basis der Übung der Kampkünste: die historische
Entwicklung ihrer Gesetze und Prinzipien, kampfkunstspezifische Regeln der Etikette und
zeremonielle Rituale. Legt die Grundlagen für das weitere Studium, welches auf dem Verständnis
der Philosophie und der modernen Begriffe basiert.
3. Führt in Theorie und Praxis der Kampkünste ein. Legt die Grundlagen für die Zukunft des
Schülers in Bezug auf Wissen und Technik.
Shokyu : (Vorbereitungsstufe) Durch das Ziel, die symbiotische Beziehung zwischen Grundschule
und Anwendung zu erkennen, ist diese Stufe charakterisiert. Es handelt sich um eine Übergangsphase,
in der die Schwerpunkte auf der Entwicklung geistiger und körperlichen Fähigkeiten liegen.
1. Die zweite Phase baut auf die erste auf, vervollständigt diese und ermöglicht neue, tiefere
Einsichten. Während das Training aus der ersten Phase fortgesetzt wird, liegt ein neuer
Schwerpunkt darauf, zu ergründen, wie und warum Techniken in einer bestimmten Art ausgeführt
werden.
2. Führt den Schüler in die Konzepte bioelektrischer Energie ein, deren Zirkulation im Körper und
ihre Beeinflussbarkeit durch Vitalpunkte sowie die Lokalisation, soweit sie in den Kampkünsten
von Bedeutung ist.
3. Baut auf dem erworbenen Wissen und den entsprechenden Fähigkeiten auf und ermöglicht den
Eintritt in die Shokyu Phase, in der die symbiotische Beziehung zwischen Grundschule und
Anwendung erkannt werden soll und ein Schwerpunkt auf der Entwicklung körperlicher und
geistiger Fähigkeiten gelegt wird.
Chukyu : (Zwischenstufe) Der Schüler ist nun in der Lage, die Prinzipien, auf denen die Techniken
basieren, zu verstehen und umzusetzen. Chukyu stellt insofern einen kritischen Punkt auf dem Weg
des Lernens dar, als dass eine angemessene Reaktion auf körperliche Gewalt und Angriffe methodisch
lediglich durch formale Übungen vermittelt wird.
1. In dieser Zwischenstufe werden Trainingsinhalte der vorhergehenden Phasen weiter geführt. Der
Schüler wird in die Lage versetzt, Verletzungsrisiken zu erkennen. Während die körperlichen
Fähigkeiten sich weiterhin verbessern, wird nun der Schwerpunkt auf die Anwendungen des
bisher Gelernten gelegt.
2. Erklärt die Grundlagen der in den Kampkünsten verwendeten Strategien, und wie diese zur
Entwicklung von Fähigkeiten, die von Bedeutung für Leben und Führungsrollen sind, genutzt
werden können.
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3. Der Schüler lernt Trainingsmethoden kennen, welche die korrekte Ausführung der Grundlagen,
auf denen jede Technik basiert, und das Verständnis dieser fördert.
Jokyu : (Fortgeschrittenenstufe) Der Schüler soll nun lernen, seine Fähigkeiten zu verfeinern und die
unterschiedlichen Elemente seiner bisherigen Ausbildung miteinander in Beziehung zu setzen, was
eine der Grundvoraussetzungen für ein effektives Reagieren auf einen Angriff darstellt. Es sollen die
Fähigkeiten zur Aneignung neuer Erkenntnisse, zur Integration dieser in bereits vorhandenes Wissen
und damit zur Erweiterung des Wissens und der Fähigkeiten vermittelt werden, denn diese sind die
Grundvoraussetzung für das weitere, tiefere Lernen. Jokyu stellt den letzten Teil der Grundausbildung
dar, keinesfalls jedoch beschließt diese Phase das Lernen. Die weitere Verfeinerung von Wissen und
Fähigkeiten wird fortwährend neue Türen öffnen, wodurch der Lernprozess zu einem ewig
andauernden Vorgang wird.
1. Erweitert das Wissen des Schülers über die Übung und die Grundlagen der Kampfkünste, indem
Verbindungen zwischen den Kampfkünsten anhand von Übungen, Techniken und festen Formen
analysiert und bewertet werden.
Der Schüler verfeinert seine Fähigkeit, alle Elemente in ihrem gegenseitigen Zusammenhang zu
sehen, was für eine effektive Antwort auf einen Angriff unbedingt notwendig ist. Die Grundlage für
das weitere Lernen in einem immerwährenden Lernprozess wird geöffnet.
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Saifa Kata Darstellung und Geisetsukumite
Anfang und Ende der Kata wurden jeweils separat dargestellt, um die herausragende Bedeutung im
Rahmen des mentalen Übens deutlich heraus zu arbeiten! Konzentriere dich auf diese drei Haltungen
in besonderer Weise.
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Kata Erklärungen
Abb. 21 Bild 1-5 Erklärung der Bewegungen 1-12
Führe diese Bewegungen immer so aus, als ob nicht nur diese Anwendungen möglich sind. Denke
daran, diese Erklärung ist nur eine von vielen möglichen Anwendungen. Für die Befreiung aus einem
Haltegriff gilt: Gehe möglichst nah an den Angreifer heran, damit machst du seine nächste Aktion
unwirksam oder störst sie zumindest erheblich, wodurch du Zeit für weitere Abwehraktionen erhältst.
Abb. 22 Erklärung der Bewegungen 13-15
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Abb. 23 Erklärung der Bewegung 16 - 21 Teil 1
Der angenommene Angriff bei dieser Abwehr ist der Versuch einer Umklammerung. Dieser Angriff
wird schon im Vorfeld durch eine Stopptechnik zum Schlüsselbein des Angreifers ausgeführt. Im
Anschluss sofort mit einer zweiten Technik nachsetzen. Auch hier können auch andere Angriffe
angenommen werden.
Abb. 24 Erklärung der Bewegungen 16 - 21 Teil 2
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Abb. 25 Seite 79 und 80 Bild 1-8 Erklärung der Bewegungen 22 – 30
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Abb. 26 Bild 1-3 Erklärung der Bewegung 32-34 Diese
Technik ist eine direkte Weiterführung des Prinzips To
Die Kata Saifa ist für die Übung der Fähigkeit zur Selbstverteidigung von zentraler Bedeutung.
Das erste Mal wird hier das Prinzip To in einer realen und kampfträchtigen Situation unter
Einbeziehung der Kata geübt. Die Kata Saifa greift schon einige sehr wichtige Punkte aus dem
Tuite auf und lehrt deren Einbindung in das Training.
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Seienchin Kata Darstellung und Geisetsukumite
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Kata Erklärungen
Abb. 27 Bild 1 Erklärung der Bewegungen 6,12 und 18
Abb. 28 Bild 1-3 Erklärung der Bewegungen 7 - 11 ff.
Beachte auch hier, alle Erklärungen sind nur Möglichkeiten. Die Angriffe reflektieren eine Situation,
welche uns überall überraschen kann. Weitere Erklärungen sind durchaus üblich. Die hier
vorgestellten Techniken bilden einen ersten Grundstock, von dem aus sich weitere Erklärungen
ableiten. Die hier vorgestellten Techniken beinhalten noch nicht die ganze Tiefe aller Möglichkeiten.
Abb. 29 Erklärung der Bewegungen 24 und 25
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Abb. 30 Erklärung der Bewegungen 26 - 32
Für die Bewegungen 24 und 25 gilt: Das Schlagen der Faust in die Hand ist eine Form des mentalen
Übens. Dabei macht man sich immer wieder bewusst, dass die Faust oder der Ellenbogen, um nur
zwei Arten zu nennen, den Körper des Angreifers trifft. Dies ist vor allem wichtig, wenn man alleine
nur Kata über einen längeren Zeitraum üben kann.
Abb. 31 Erklärung der Bewegungen 30 - 33 sowie der Bewegungen 36 - 40
Abb. 32 Erklärung der Bewegungen 33 und 34
Beachte beim Üben der Techniken das folgende: Ich habe bei der Darstellung bewusst auf einige
Techniken verzichtet, welche mir zu gefährlich erschienen. Sie sollten nur im Dojo gezeigt und geübt
werden. Dies gilt ebenso für einige Details, deren Erläuterungen ich hier aus gleichem Grund
ausnehme.
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Abb. 33 Bild 1 Erklärung der Bewegungen 41 und 42 und Bild 2 Erklärung der Bewegung 53
Die Kata Seienchin ist zunächst eine Kata, die mit einiger Kraft geübt wird. Aber sie ist ebenso, wie
alle anderen Kata, auch entgegengesetzt ausführbar. Ich will dies an einem Beispiel erläutern. Die
Bewegungen 26-32 bedeuten: Erst einmal gehe ich, nach dem Ausweichen, mit Kraft in die
Bewegung des Angreifers herein und zerstöre seine Haltung, um einen weiteren Angriff zu
verhindern. Bin ich nun nicht so stark, dies zu tun, benutze ich meinen Verstand. Ich lasse ihn
angreifen und drücke mich gewissermaßen an der Kraft des Opponenten aus seiner Linie heraus - am
Ende habe ich das gleiche Ergebnis. Die Kata müssen nach unseren Möglichkeiten ausgeführt werden.
Aber bedenke dabei folgendes: Zu leicht geben wir uns geschlagen und meinen, das übersteige bei
weitem die Fähigkeiten, die wir haben, also gehe ich den „zunächst" leichteren Weg, ohne zu wissen,
wie tief mein Können eigentlich reicht. Frauen denken oft, sie sind körperlich schwach, ohne ihre
wirkliche Stärke zu kennen, oder andersherum, Männer, die oft denken, sie seien stark, ohne zu
wissen, dass sich stark und schwach nicht an unserer körperlichen Verfassung festmachen lässt. Aber
jeder der kämpft, egal auf welchem Weg, verliert einen Teil seiner selbst!
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Shisochin Kata Darstellung und Geisetsukumite
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Kata Erklärungen
Abb. 34 Bild 1 - 5 Erklärung der Bewegungen 4 -13, siehe auch Prinzip To
Beim Üben dieser Kombination von verschiedenen Techniken ist folgendes wichtig und sollte
unbedingt beachtet werden: Die hier gegebene Erklärung ist das Prinzip To - in anderen Kata, etwa
mit geschlossener Faust ausgeführt, ist das Prinzip Hi gemeint. Diese Prinzipien des Kämpfens sind
von essentieller Bedeutung und sollten größte Beachtung erfahren.
Abb. 35 Bild 1 - 3 Erklärung der Bewegungen 14 und 15
Hier ist ein Angriff zum Hals dargestellt. Bedenke, es muss aber nicht so sein. In Betracht kommt
genauso ein anderer Angriff, etwa mit einem Stock oder der Faust. Das „einzige" was hier geübt wird,
ist das Herunterreißen eines Angriffs. Dies kann eben auch bei einem stockbewehrten Arm passieren,
dann natürlich mit einer Drehung des Körpers.
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Abb. 36 Erklärung der Bewegungen 16 - 22
Abb. 37 Erklärung der Bewegungen 24 - 27
Noch einmal, die hier gezeigten Techniken sind nur die Spitze des Eisbergs, der weitaus größere Teil
verbirgt sich im Untergrund. Diese Tatsache kann nicht oft genug angesprochen werden, damit dies
auch wirklich Eingang bei uns findet.
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Abb. 38 Bild 1 - 3 Erklärung der Bewegung 38 und 39 mit
verschiedenen daraus resultierenden Techniken
Bei Bild 1 kann der vordere Arm auch als „Sichtblende" für einen nachfolgenden Fußangriff gesehen
werden. Durch diese Möglichkeit erweitet sich unser Spektrum erheblich. Aber es ist
wahrscheinlicher, dass diese erste Bewegung mit dem Prinzip To zu tun hat und die Ausgangsbasis
dieser Technik darstellt, auf der alle weiteren Aktionen beruhen. Bedenke auch hier, es gibt keine
endgültige und einzig wahre Bedeutung. Es gibt nur technisch Machbares oder Blödsinn.
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Naihanchi Kata Darstellung und Geisetsukumite
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Diese Kata wird in der Stellung Naihanchi Dachi ausgeführt und ist m.E. auch nur in dieser Stellung
für den Kampf geeignet. Es mag Experten geben, welche aus einer tiefen Kiba Dachi dieselben
Aktionen ausführen können. Die meisten von uns werden dies allerdings kaum zustande bringen,
schonen aber die Knie ganz erheblich durch Naihanchi Dachi. Bedenke, es sind nicht nur die Knie,
welche wir unser Leben lang benötigen, sondern alle anderen Körperteile müssen ebenso geschont
werden. Durch falsche Ausführung einer Technik im Karate belasten wir unsere Gelenke unnötig
stark.
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Kata Erklärungen
Abb. 39 Erklärung der ersten Bewegung
Merke auch hier wieder die drei Prinzipien des Kampfes. Sie bilden den Ausgangspunkt für die
nachfolgenden Aktionen. Sie sind m.E. die wichtigsten Inhalte, welche das Kämpfen verständlich
machen können.
Abb. 40/Seite 116 und 117 Bild 1-6 Erklärung der Bewegung 13 – 18
Bei diesen Techniken ist der Arm unter dem blockenden Arm eine versteckte Technik. Seitwärts
kämpfen bedeutet Ausweichen zur Seite. Siehe auch die drei Prinzipien Hi, To und Yu oder Sen, Sen no
Sen und Ata no Sen.
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Abb. 41 Bild 1 und 2 beziehen sich auf die Erklärung der Bewegungen
12 und 13, wobei Bild 3 eine der möglichen Abschlüsse bildet.
In der Originalversion dieser Kata wird diese Bewegung nicht so hoch gemacht, sondern nur zur Seite,
so dass die Faust etwa in Höhe des Kopfes ist. Ich habe dies zur besseren Verständlichkeit dargestellt,
wie es in der Tekki auch gemacht wird.
Dem Bunkai tut es allerdings keinen Abbruch, im Gegenteil, die Abwehrbewegung nach oben
auszuführen ist für die folgenden Aktionen sogar von Vorteil, denn ich bin besser in der Lage
auszuweichen und alle nachfolgenden Techniken besser zu planen.
Abb. 42 Erklärung der Bewegung 19 und 20, sowie 33.
In der Kata wird die Endstellung dieser Aktion dargestellt. Es gibt verschiedene Wege, um in diese
Endstellung zu gelangen. In Betracht kommen etwa auch Abwehrtechniken gegen Angriffe mit dem
Messer. Aber bevor du gegen ein Messer zu kämpfen übst, analysiere erst, wie man mit einem Messer
angreifen kann. Sonst endet dies in einem Fiasko. Bei dieser Bewegung ist die Aktion beider Arme
besonders wichtig, aus diesem Grund lege auch besonderes Augenmerk darauf. Die klassischen Kata
reflektieren jede Situation, in die ein Mensch kommen kann. Es ist daher nicht nötig, besonders
effektive neue Karaterichtungen zu begründen.
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Ogi - tiefste Technik
Über die tiefste Technik ist schon viel geschrieben worden. In den meisten Fällen gehen diese
Erklärungen über mystische Definierungsversuche nicht hinaus. Schlimmer noch, es werden Theorien in
die Welt gesetzt, die mit dem eigentlichen Verständnis nicht viel gemein haben und m.E. ein völlig
falsches und verzerrtes, willkürliches Bild vermitteln. Hier ist oft der Wunsch Vater des Gedankens.
Ogi umfasst sowohl eine technische, als auch eine spirituelle Komponente. Es nur auf die technische
Bedeutung zu reduzieren, hieße, auf eine der wichtigsten und für die Entwicklung einer „guten Technik"
bedeutsamsten Seiten zu verzichten. Ein Verzicht, der ungeahnte Konsequenzen in sich birgt. Natürlich
hielt man bestimmte Techniken, bestimmte Ausführungen geheim. Dies betraf vor allen Dingen die
Strategien des Kämpfens. Also wie, mit welcher Methode und vor allem wann der Angreifer am besten
besiegt werden kann.
Die Kampfkünste zu erlernen bedeutet, eine Strategie an die Hand zu bekommen, wie ich mein Leben
leben kann. Oder besser noch, wie ich verantwortungsbewusst mit der gelernten Technik umgehen kann.
Nicht nur um den Angreifer zu schützen, sondern vor allen Dingen um mich selbst vor Gedanken und
Handlungen zu bewahren, die mich wegführen von meiner eigenen Menschlichkeit, meinem Sein als
Mensch unter anderen Menschen. Eine „wie du mir so ich dir" Haltung ist gar nicht so weit entfernt vom
Beginn eines Seins, welches mit Hass und Unnachgiebigkeit unsere eigene Seele zerstört. Mehr noch,
sie ist geeignet, die uns umgebene Gesellschaft mit dem gleichen „Virus" zu infizieren. Dann aber ist ein
Leben mit Freundlichkeit, Toleranz und Nächstenliebe nur noch sehr schwer möglich. Wer aber wollte
in einer solchen Gesellschaft leben, einer Gesellschaft, die geprägt ist von Neid, Gier und Missgunst. So
sind wir selbst diejenigen, welche dafür arbeiten müssen. Selbstverständlich ist es möglich, zu sagen,
sollen doch die anderen dies auch tun. Solange ich mich in einer solchen Gesellschaft bewegen muss,
sollte ich mich anpassen. Einer muss beginnen und warum nicht wir ?
Um diese Frage zu beantworten, gibt es einige Strategien, von denen ich zwei kurz erläutern will. Eines
muss aber klar sein: Lehren kann auch
hier nicht das Buch. Es kann anregen, inspirieren und auf den Weg bringen.
„Karate ni sente nashi" Im Karate greift man nicht an. Ein Satz, den fast jeder Karate Ka kennt und
schätzt, aber oft nur ungenügend versteht. Warum greift man nicht an? Diese Frage und deren
Beantwortung ist die Essenz, gewissermaßen das Wesen der Kampfkünste. Die Techniken des Karate
können für den Angreifer oft tödlich enden oder er kommt bestenfalls mit einer schweren Verletzung
davon. Will ich das?! Oder besser gefragt, bedeutet mir meine Seele nicht ebenso viel, wie es eine
andere tun sollte? Will ich riskieren, meiner eigenen Seele die Kraft der Vergebung zu entziehen, um
eines kurzlebigen Gefühles des Triumphes willen? Dieser Triumph ist in der Tat nur von kurzer Dauer
und kann sich nicht als tiefe Einsicht in uns verbreitern und Fuß fassen. Er wird sich in einiger Zeit
verflüchtigen und wir benötigen den nächsten Triumph für unser Heil. Damit nicht genug. Wir
Menschen sind nur dann Menschen, wenn wir andere als solche sehen und akzeptieren und unser
Menschsein nicht über ein anderes Menschsein erheben. Alle Geschöpfe sind gleichermaßen Menschen
und verdienen uns, wie wir sie verdienen!
Daraus folgt, gewissermaßen als Bedingung, die Notwendigkeit eines Lehrers, der die Bezeichnung
auch verdient, denn der Schüler als Dieb, oder lernen durch Stehlen bezieht, sich nicht auf das Stehlen
materieller Güter, sondern meint das Stehlen der Lehre. Gelegentlich eines Aufenthaltes in Japan bei
meinem Lehrer kritisierte er die Ausführung einer Technik von mir auf folgende Weise: Er kam,
während ich noch übte, und ohne mich eines Blickes zu würdigen zeigte er die richtige Ausführung der
Technik, ging weiter und interessierte sich offensichtlich nicht mehr für mich. Ob ich verstand oder
nicht war ihm scheinbar egal. Im ersten Moment war ich ärgerlich und meinte, dies sei japanischer
Hochmut gegenüber einem Ausländer. Doch weit gefehlt. Tanaka Sensei zeigte mir auf diese Weise
mehr als nur die Ausführung einer Technik. Er zeigte mir, dass Lernen immer stattfinden muss, denn:
Jemand der nicht vom Sehen lernt, kann auch nicht vom Hören lernen! Ich muss meinen Lehrer
beobachten und sehen, wie er Konflikte regelt, wie er sich in der Gesellschaft bewegt, wie er mit
vermeintlich klaren Tatsachen umgeht.
Ich muss sehen, wie er sich verhält, um an ihm mich selbst zu messen. Oft beurteilen wir zu früh und zu
falsch, um dann in einer Weise zu reagieren, die nicht viel besser ist als die des anderen. Durch diese
starre
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Haltung unseres Denkens, wo es nicht angebracht ist, lassen wir keinen Ausweg zu. Aber ein Ausweg
ist mitnichten ein Fluchtweg, er ist vielmehr die Möglichkeit, eine friedvolle Umgebung zu fördern, die
uns selbst auch wieder zugute kommt. Eigentlich ist das Lernen und Verstehen dieser Prinzipien nichts
als Eigennutz, im besten Sinne des Wortes. Wir fühlen uns wohl in einer Gesellschaft, die uns annimmt
wie wir sind, wir sind gewissermaßen in der Gemeinschaft von freundlichen Menschen geborgen.
Andere Menschen fühlen ebenso. Warum können wir dann nicht eine Gesellschaft, die uns alle birgt,
schaffen? Mit einer Seele voller Verständnis für die Schwächen des anderen, die mich ja auch plagen,
lebt es sich viel leichter, als wenn ich mich über alles ärgern „muss".
Das Beschriebene ist meine Sicht der Dinge, es stellt weder in Frage, noch konkurriert es mit anderen
Auffassungen, es ergänzt bestenfalls und will anregen. Es gibt nur ein Karate, in dem Schulen und
Techniken, vor allem aber Richtig und Falsch, ohne Bedeutung sind. All dies baut nur Grenzen auf und
schafft die Möglichkeit, Gegensätze zu provozieren. „Na ja, die machen die Kata anders", ist noch die
mildeste Bezeichnung, die oft genug zu hören ist. Tun sie das wirklich? Wir alle streben dem selben Ziel
zu, dass ist es, was uns eint. Wenn viele Menschen in Urlaub fahren, reisen sie mit den verschiedensten
Verkehrsmitteln - Autos, Flugzeugen oder mit der Bahn. Sehen wir die anderen auf dem „falschen"
Vehikel, um anzukommen? Entsprechend ist es bei den Kampfkünsten. Einer bevorzugt modernes
Karate, ein weiterer mag das alte, der nächste wieder schwört auf Aikido. Gemessen werden alle gleich,
nicht nach ihrer Schule, sondern nach ihrer Persönlichkeit. Die zu bilden ist der Zweck des Dojo, des
Ortes zum Studium des Weges.
Antoine de Saint-Exupery schrieb in seinem kleinen Prinzen, „...richtig sehen kann man nur mit dem
Herzen." Unser Herz kann nicht beeinflusst werden durch den Verstand durch Gedanken, Wünsche und
Hoffnungen. Wir sind und wir leben unser Leben mit und aus unserem Herzen. In Japan sagt man dazu
Kokoro, die Herzkraft. Bemühen wir uns deshalb, nicht nur unsere Wünsche zu sehen, sondern lassen
wir mehr unser Herz zu Wort kommen.
Achte die Schlange nicht deshalb gering, weil sie keine Hörner hat,
niemand weiß, ob aus ihr nicht einst ein Drache wird.
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Okinawa Karate
Abb. 43 Bun Bu Ryo Do - Der zweifache Weg, von Tanaka Hiromasa Sensei
Der zweifache Weg bedeutet, dass sich jeder, der sich mit dem Kampf auf körperlicher Ebene
auseinandersetzt, sich auch auf eine andere Ebene, die Kunst zum Beispiel, begeben muss, damit der
Kampf im Kopf nicht die Überhand gewinnt, weil er ein Gegengewicht durch die Auseinandersetzung
mit dem Schönen bekommt. Dies ist eine der wichtigsten Strategien zur Entwicklung eines guten
Karate.
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Okinawa Karate
Kwappo Jutsu - Die Kunst der Wiederbelebung81
Die Techniken der Reanimation oder Wiederbelebung sind Teil der geheimen Überlieferung aller
großen Karateschulen. Diese wurden, wie andere Teile auch, als tiefste Technik bezeichnet. Es gibt
Aufzeichnungen82 über die Wirkungsweisen. Ich will hier vier wichtige Fertigkeiten erläutern und auf
ihre Wirkungsweisen eingehen. Jeder Karatelehrer sollte diese Techniken ausführlich studieren und
kennen.
Ein wichtiger Grund für das Erlernen dieser Techniken ist zudem eine Tatsache philosophischer Natur.
Stellen wir uns einmal folgende Situation vor: Wir werden angegriffen und verteidigen uns, wie wir es
gelernt haben, mit einer Technik, die den Angreifer in das Reich der Träume schickt. So weit so gut.
Wir haben uns gewehrt und sind mit heiler Haut davon gekommen. Nun könnte man sagen, das genügt
und der Angreifer hat bekommen, was er verdient. Nur so einfach ist dies mitnichten, denn wir haben
durch langes, ausdauerndes Training unter anderem am Makiwara eine Schlagkraft entwickelt, die der
Vernichtungswirkung einer Waffe gleichkommt. Alleine durch diese Tatsache haben wir die
Verpflichtung angenommen, uns damit auseinander zusetzen, denn in uns selbst wird ein Mechanismus
in Gang gesetzt, welcher uns an seinem Ende in die eine oder in die andere Richtung drängt. Ein nicht
nur verantwortungsvoller Umgang mit den uns gegebenen Fähigkeiten, welche die Fähigkeiten der
meisten Menschen bei weitem übersteigt, muss angemahnt werden. Nicht unbedingt, um einen
Angreifer zu schützen, sondern um uns selbst vor dem Hochmut zu bewahren, der uns in einen Kreislauf
stürzt, dem wir nichts entgegen zusetzen haben als unsere Seele voller Vergebung, ein Geist also, der
geprägt ist durch das Wissen um die Schwächen der Menschen und der weiß, dass auch wir nur mit
knapper Not diesem Kreislauf entkommen sind.
So oft ich darüber nachdenke wird mir immer bewusster, welche Größe und Tiefe das Karate
eigentlich hat. Wie unbedeutet ich mich gegen das Prinzip ausnehme. Ich kann nichts tun, als mich
ihm zu beugen und alles zu versuchen, ihm gerecht zu werden. Wohl wissend, dass ich mich ihm nur
nähern kann!
Traumatische Verletzungen sind einerseits in einem Dojo möglich und andererseits auch bei einer
Auseinandersetzung außerhalb die gängigsten Formen der Bewusstlosigkeit;
1. Thorax Trauma durch Stoß oder Tritt gegen den Solar Plexus
2. Schädel Trauma durch Fall, Schlag oder Stoß auf den Kopf
3. sowie der Stoß in den Unterleib
Die beschriebenen Verfahren versuchen durch die Erschütterungen von Zonen und Punkten einen
Reflex im Nervenzentrum zu provozieren, die in einem Zusammenhang mit ihm stehen. Dafür bedient
man sich der natürlichen „Waffen" des Karateka, besonders der Hand- und Fußballen, Knie und der
Faust. Mehrere Wiederholungen sind nötig, um ein Resultat zu erzielen. Man beginnt mit schwachen
Stößen ohne große Intensität. Der Stoß wird auf dem Punkt gleitend ausgeführt. Wenn nach einigen
Versuchen keine Wirkung erzielt wird, ist es besser einen Arzt zu verständigen. Erlangt er/sie das
Bewusstsein zurück, sollte man ihn/sie auf dem Boden belassen, ansprechen, tief ein- und ausatmen
lassen, um damit das Schwindelgefühl zu bekämpfen.
Die erste Methode ist eine energetische Behandlung. In Fällen von Ohnmacht bringt sie recht gute
Resultate. Die Reflexzone finden wir zwischen den Schulterblättern, es ist der 7. Wirbel. Sehr gut
tasten kann man diesen Punkt, wenn der Kopf nach vorne geneigt ist. Die Position des Ohnmächtigen
ist am besten auf dem Boden sitzend, die Beine ausgestreckt und der Kopf nach vorne geneigt. Man
greift mit der linken Hand vor die Brust des Ohnmächtigen, um ihn zu stützen. Drei Arten der
Behandlung werden gewöhnlich mit der rechten Hand ausgeführt. Erstens, ein kurzer Schlag mit dem
Handballen. Siehe Abb. 44. Führe den Schlag mit der Schulter aus und lasse den Arm gebeugt. Setzt
die Wirkung ein, schlägt man mit einem „Peitschenhieb", um danach ein wenig zu klopfen.
81
Einige Teile sind als freie Wiedergabe aus, Habersetzter Roland, Karate-Do - techniques supcrieures
et strategie du combat pour ceintures noires, Amphora 1989, Seite 315 ff, entnommen.
82
Im Bubishi, die Bibel des Karate, Übersetzung von Patrick McCarthy, Tuttle 1995 sowie
Ergänzungen, Berichtigungen und Anmerkungen zum Bubishi (interne Arbeitsblätter) gibt es hierzu
einige Erläuterungen.
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Okinawa Karate
Abb. 44 Energetische Behandlung in Fällen von Ohnmacht
Das gleiche Verfahren kann mit einer Nakatata Ippon Ken angewendet werden Abb. 44. Dies kann
auch, bei einem Scheitern beider Methoden, mit dem Knie gemacht werden. Ergreife die Person,
platziere dein Knie wiederum zwischen den Wirbeln und stimuliere durch reibende und pochende
Bewegungen.
Abb. 45 Gegenmaßnahme bei einem Trauma im Beckenbereich
Erreicht wird durch diese Methoden eine Ausdehnung der Aorta, die Kontraktion des Herzens und
eine Zunahme des Blutdruckes.Die zweite Methode bezieht sich auch darauf, verschwundene Reflexe
wieder zu beleben. Vor allem bei Traumen im Beckenbereich oder durch einen Schlag in den
Unterleib sind diese Methoden hilfreich.
Platziere ihn/sie wiederum aufrecht sitzend vor dich, halte ihn/sie bei den Schultern und stoße mit
dem Fuß. Abb. 45. Das Bein ist gebeugt und wird nicht mehr als 20 cm zurückgezogen. Der Schlag
kommt aus der Hüfte, es trifft der Fußballen. Der Schlag sollte fest ausgeführt werden.
Bei einem Schlag oder Tritt in die Hoden können die Hoden in den Bauchraum rutschen. In diesem
Fall setze den Verletzten auf den Boden, fasse ihn unter die Arme, hebe ihn etwa 15 cm hoch und
lasse ihn wieder fallen, siehe Abbildung. Ein paar Wiederholungen sollten genügen. Eine Kontrolle
durch den Hausarzt ist in jedem Fall geraten und sollte nicht unterlassen werden.
Abb. 46 Gegenmaßnahmen bei einem Tritt in die Hoden
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Okinawa Karate
Eine dritte wirksame Methode der Hilfe bei einem Trauma des Unterleibes ist das Schlagen der
Fußsohle mit, siehe Abb. 47, Ippon Ken oder Shuto. Shuto kann man anwenden, wenn der Punkt nicht
genau lokalisiert werden kann. Die Techniken des Kuatsu müssen mit aller geistigen Konzentration,
deren wir fähig sind, ausgeführt werden. Ein fester Wille ist eines der entscheidenden Kriterien für ein
wirksames Kuatsu.
Abb. 47 Gegenmaßnahme bei einem Trauma des Unterleibes.
Dieses kurze Kapitel ist nur zur Anregung gedacht. Du solltest bei Interesse Kurse bei einem Institut
besuchen, um dies richtig zu erlernen. Ich weiß, die Beschreibung im Rahmen eines Buches kann eine
Lehre von Herz zu Herz nicht im geringsten ersetzen.
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Okinawa Karate
Anhang
Hier werden im Anhang einige Tafeln dargestellt, die Entwicklungen und Querverbindungen deutlich
machen sollen. Sie stellen m.E. ein Reservoir dar, um dem Forscher einen Überblick zu ermöglichen.
Für manche Namen gibt es möglicherweise abweichende Schreibweisen, auch bei manchen Daten
gibt es unterschiedliche und missverständliche Datierungen in den zur Verfügung stehenden Quellen.
Ich beziehe mich im wesentlichen auf japanische Quellen und Forscher. Andere Datierungen habe ich,
soweit bekannt, deutlich gemacht.
Die Dojoregeln83 sind im Anhang eingefügt um zu zeigen, wie sie in Japan interpretiert werden. Diese
Interpretation stellt keineswegs eine verbindliche Richtlinie dar. Sie ist für mich ein entscheidendes
Kriterium des Übens. In diesem Bereich gibt es kein muss, sondern ein kann, obgleich ich meine, dass
durch das Befolgen dieser Regeln das Üben klarer wird.
Das Dojo ist ein heiliger Ort, in dem wir unsere physische und mentale Konstitution trainieren. Die
Schüler sollten das Dojo respektieren und die folgenden Regeln einhalten:
1. Der Schüler sollte den Trainingsplan einhalten und nicht zu spät zum Training kommen.
2. Bevor du das Dojo betrittst, lege Kleidung wie Hut, Mantel und Schal ab. Nach dem Ausziehen
der Schuhe am Eingang stelle diese ordentlich hin. Sollten andere Schuhe unordentlich stehen,
dann ordne diese auch.
3. Wenn ein älterer Schüler hinter dir am Eingang steht, lass ihn zuerst eintreten.
4. Beim Eintritt in das Dojo sage „onegai shimasu" (Bitte hilf mir), klar und freundlich.
5. Nach dem Eintritt in das Dojo zeige Respekt durch Verbeugen zum Dojo-Schrein.
6. Sei immer höflich zu deinen Lehrern, älteren Schülern und Älteren.
7. Gehe vor dem Training zur Toilette.
8. Versuche deine Trainingskleidung immer sauber und ordentlich zu halten. Übe nur in einem
sauberen Gi.
9. Sei deiner physischen Konstitution bewusst.
10. Halte deine Finger- und Fußnägel kurz, um Verletzungen anderer Schüler zu vermeiden, wenn ihr
zusammen übt.
11. Iß eine Stunde vor dem Training nichts mehr.
12. Vergiss nicht, dich aufzuwärmen, bevor du mit dem Training beginnst, auch wenn du alleine übst.
13. Wenn du dem Training im Dojo folgst, sitze in aufrechter Haltung (in Seiza) und strecke deine
Beine nicht aus. Lege die Hände auf die Beine.
14. Wenn ein Lehrer zum Beginn des Trainings ruft, stell dich in die Reihe mit dem Gesicht zum
Dojo-Schrein.
15. Wenn der Lehrer „Mukuso!" sagt, schließe die Augen, konzentriere dich auf die Mitte (Tanden).
16. Während der Übung höre aufmerksam auf den Rat des Lehrers.
17. Wenn du Trainingsgeräte benutzt, behandle sie vorsichtig und lege sie nach dem Training
ordentlich an ihren Platz zurück.
18. Wenn dir dein Lehrer Ratschläge gibt, höre aufmerksam zu und vergiss nicht zu zeigen, daß du
den Rat gehört und verstanden hast.
19. Jeder Schüler sollte seine körperliche Kondition kennen. Zwinge dich nicht, Unmögliches zu tun.
20. Der Lehrer sollte immer die körperlichen Voraussetzungen jedes Schülers beachten. Mache eine
kurze Pause nach der Hälfte des Trainings.
21. Mache fünf Minuten vor dem Ende des Trainings die Schlussübungen mit allen Schülern
zusammen.
22. Wenn die Schlussübungen beendet sind, setze dich in „Seiza".
23. Mache dich selbst ruhig und still, konzentriere deinen Geist und sage die Gebote des Dojo.
24. Mache eine Verbeugung zum Lehrer, älteren Schülern und allen anderen mit Respekt und
Anerkennung.
25. Die Anfänger und Schüler mit bunten Gürteln sollten die älteren Schüler fragen, wenn sie etwas
wissen möchten. Es ist immer wichtig, etwas über Karate zu erfahren.
26. Vergiss nicht, allen zu danken, die dir Hinweise zum Karate geben.
83
Freie Wiedergabe aus Higaonna Morio, Traditionel Karatedo/Okinawa Goju Ryu, Minato
Resaerch/Japan Publications, 1989 Seite 15.
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Okinawa Karate
27. Extrem heiße Bäder sind nicht gut für dich, und du solltest auch nicht zu lange baden.
28. Zigaretten schädigen deine Gesundheit auf vielerlei Weise. Rauchen hat keinen ausgleichenden
Moment.
29. Hast du dich verletzt, trainiere erst nach der kompletten Verheilung wieder mit vollem Einsatz.
Sieh während dieser Zeit dem Training zu.
30. Vergiss nicht beim Verlassen des Dojo „Arigato gozaimashita" (Vielen Dank) oder „Shitsurei
shimasu" (Entschuldigung) zu sagen.
Abb. 48 Die ewige Faust von Tanaka Hiromasa Sensei
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Okinawa Karate
Biographische Daten
Diese Daten basieren auf der Forschung von Patrick McCarthy und Mark Bishop.
Takahara Peichin
Chatan Yara
Soeishi Denuchi
Kushanku
Makabe Choken
Higa Pechin
Chinen Chikudoun Pechin
Teruya Kishin
Sakugawa Kanga
Munehisa Yoshitaka
Bushi Matsumura
Sai Shoi
Kuwae Chotsu
Itarashi Chodo
Nakaima Norisato
Chibana Choshin
Hamahiga Peichin
Yamachi Okina
Maeda Yoshionaga
Azato Anko
Choken Kraka
Itosu Ankoh
Ishimine Peichin
Kojo Isei
Kiyuna Peichin
Kojo Iko
Kojo Taitei
Tokumine Peichin
Shin Eri Rampo
Miyazato Peichin
Aragaki Seisho
Kanagusuku Ufuchiku
Tozan(Oyadomari)Okina
Chinen (Yamane) Chinen
Kojo Isho
Sueyoshi Jino
Yamashiro Okina
Shingaki Okina
Matsumura Nabe
Tawadano Meigantu
Higashionna Kanryo
Komesu Ushi Okina
Kuwae Ryosei
Yamane no Chinen Sanda
Kishimoto Soko
Kanegawa Gimu
Kinjo Kamae
Yoshimura Tomoyoshi
Yabu Kentsu
Nakaima Kenchu
1688-1755
1741-1812
1752-1825
1756-1762 in Okinawa
1769 oder 73-1823 oder 1827
1791-1870
1797-1881
1804-1864
1733-1815,1782-1838 oder 1843
1806-1850
1809-1901
1816-1907
1814-1880
1818-1863
1819-1879
1819-1870
1820-1904
1823-1891
1826-1890
1827-1906
1829-1891
1830 oder1832-1915
1835-1889
1836-1891
?
1838-1907
1838-1907
?
1838-1904
1839-1905
1840-1920
1841-1926
1841-1906
1842-1928 oder 1843-1925
1846-1910
1846-1920
1849-1910
1848-1911
1850-1930
1851-1920
1853-1917
1854-1929
1858-1920?
1862-1928
1862-1945
1862-1921
1863-1945
1866-1945
1866-1937
1867-1945
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Okinawa Karate
Kaneshima Shinbi
Funakoshi Gichin
Hanashiro Chomo
Aragaki Okina
Kyan Chotoku
Motobu Choki
Iha Kotatsu
Yabiku Moden
Kina Shoshi
Chibana Choshin
Tokuda Ambun
Kiyoda Juhatsu
Oshiro Chojo
Matayoshi Shinko
Toyama Kanken
Miyagi Chojun
Hohan Sokon
Mabuni Kenwa
Gusukuma Shimpan
Kamiya Jinsei
Nakasone Genwa
Gima Shinken
Taira Shinken
Chinen Masami
Chitose Tsuyoshi
Higa Seiko
Arakaki Ankichi
Fujita Seiko
Nakama Choso
Shinzato Jinan
Shimabukuro Zenryo
Funakoshi Giko
Kudaka Kori
Shimabukuro Taro
Tamae Hiroyasu
Nagamine Shoshin
Tomoyose Ryusei
Shimabukuro Tatsuo
Yamaguchi Gogen
Maeshiro Chotoku
Shimabukuro
Higa Yuchoku
Yoshizato Shintaro
Yagi Meitoku
Sakagami Ryusho
Inoue Motokatsu
Kinjo Hiroshi
Mabuni Kenei
Miyahara Masahide
Nakazato Shugoro
Higa Seitoku
Nakazato Joen
Matayoshi Shinhou
Arakaki Seiki
Hayashi Teruo
1868-1921
1868-1957
1869-1945
1870-1924
1870-1945
1871-1944
1873-1928
1878 oder 1882-1941
1882-1980
1885-1969
1886-1945
1886-1967
1887-1935
1888-1945
1888-1966
1888-1953
1889-1982
1889-1952
1890-1954
1894-1964
1894-1978
1896-1989
1897-1970
1898-1975
1898-1984
1898-1966
1899-1929
1899-1966
1899-1982
1901-1945
1904-1969
1904-1945
1905-1990
1906-????
1906-1985
1907-1997
1907-1977
1908-1975
1909-1989
1909-1979
1909-1975
1910-1994
1910-????
19121915-1993
1918-1992
191819181918-1945
192019211922192219241924-
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Okinawa Karate
Iwata Manzo
Shimabukuro Eizo
Higa Seikichi
Mabuni Kenzo
Murakami Katsumi
Onishi Eizo
Fuse Kise
Kuniba Shiyogo
Kinjo Akio
Nakamoto Masahiro
19241925192719271927193219351935-1992
19361938-
Die Kata Okinawas
Tomari Te Kata
Naihanchi; sie ist vermutlich die Originalversion.
Kushanku;
Chatanyara
no........... wahrscheinlich auch von ihm überliefert.
Passai; Tomari no......, Shimpaku no......, Matsumura no..... ist wahrscheinlich die Originalversion
Ananku; von Kyan überliefert, wird gesagt
Rohai; möglicherweise von Matsumura Sokon
Chinto; sie ist wahrscheinlich von Matsumora Kosaku weitergegeben.
Jitte
Useshi
Wankan
Wanshu; von Maeda weitergegeben.
Seshan; von Matsumura Sokon überliefert, wird gesagt.
Shuri Te Kata
Naihanchi; Kihonkata, Originalversion war eine, Itosu hat die Kata geteilt, wahrscheinlich ist die
erste das Original
Pinnan; (Channan) von Itosu. Heute als Kihonkata in verschiedenen Schulen des Shorin Ryu
Passai; bei Itosu Dai und Sho, es gibt jedoch noch andere Arten. Sie soll von Oyadomari stammen
Kushanku; Originallinie Hoko Ha und Shuri
Jion
Jiin; alle drei waren eine Kata, wann sie geteilt wurden, ist unklar
Jitte
Chinto
Chinte
Rohai; es gibt von ihr verschiedene Koshiki85 Varianten, bei
Sochin; eine Version bei Itosu und eine im Naha Te
Niseishi/Gojushiho: 24, es gibt einige Koshiki Kata, bei Itosu Dai und Sho, sie könnte von
Matsumura Sokon überliefert worden sein.
Unshu: Wolkenhand
Wankan
Wanshu/Empi: Flug der Schwalbe
Ananku
Seshan; im Naha Te gleiche Richtung, aber hier typisch Shuri Te
Nepai/Nipaipo; 28, von Go Genki aus dem Hakutsuru Ken Kenpo
85
Koshiki - Alte Richtung
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Okinawa Karate
Naha Te
Kata Sanchin: drei Schlachten
Sesan; diese ersten vier Kata wurden aus den Dörfern der in Okinawa lebenden Chinesen über
Aragaki weitergegeben, es sind die ältesten Kata
Sepai: 18
Sanseru:36
Suparinpai: 108
Saifa; Kata 11-9 wurden von Higashionna an Miyagi weitergegeben
Seienchin; Eindringen in die Festung
Shisochin; 4 kämpfende Affen Kururunfa: 17
Gekisai; zwei Kihonkata, von Miyagi, Angriff zerstören
Tensho; bedeutet sechs mögliche Fähigkeiten und zeigt den tiefsten Sinn von Goju Ryu
Ohan; die folgenden Kata wurden von Nakaima weitergegeben, er lernte sie von Ryuru Ko im Kojo
Dojo
Pachu
Anan
Paiku
Haiku
Paiho
Papurian; acht Schritte hintereinander, von Matayoshi Morihiro weitergegeben
Okinawa Karate Schulen und ihre Kata86
Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie stellt jedoch ein Arbeitsmittel dar, aus
diesem Grund soll sie im Anhang erscheinen. Notwendige Ergänzungen werden im Laufe der Zeit
zugefügt. Es handelt sich hierbei um eine Aufzählung der auf Okinawa ansässigen Schulen. Alle auf
der Hauptinsel (Honshu) oder weltweit existierenden Schulen mit ihren Kata aufzuführen, ergäbe eine
riesige Enzyklopädie und würde den Rahmen dieses Buches sprengen.
Nihon Kempo
1. Gekkisai 2. Seisan 3. Passai sho/dai 4. Gojushiho 5. Sepai 6. Seienchin 7. Kushanku 8. Chintou
9. Suparinpei 10. Pinnan 1-5
Shotokan
l. Heian 1-5 (von Mabuni) 2. Tekki 1-2 3. Bassai dai/sho 4. Kanku dai/sho 5. Gojushiho dai/sho 6.
Nijushiho 7. Gankaku 8. Empi 9. Hangetsu 10. Matsukaze 11. Jion 12. Jitte 13. Meikyo 14. Jiin 15.
Chinte 16. Takyoku 17. Unsu
Matsubayashi Ryu
1. Fukyugata 1-2 2. Pinan 1-5 3. Naihanchin 1-3 4. Ananko 5. Wankan 6. Rohai 7. Wanshu 8. Tomari
Patsai 9. Gojushiho 10. Yara Kusanku
Kobayashi Ryu
1. Pinnan 1-5 2. Naihanchi 1-3 3. Passai dai/sho 4. Kusankun dai/sho 5. Chintou 6. Jion 7. Seisan
8. Unsu 9. Chinte 10. Ananko 11. Wanshu 12. Jitte 13. Rohai 14. Wankuan 15. Ein 16. Gojushiho
Matsumura Seito Ryu
1. Pinan 1-5 2. Naihanchin 1-3 3. Seisan 4. Kusanku 5. Rohai 6. Gojushiho 7. Hakutsuru
86
Vergleiche Bishop, Mark Okinawan Karate, Teachers, styles and secret techniques 1995 A&C
Black (Publishers) Ltd, London S 171 ff.
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Okinawa Karate
Shobayashi Ryu
1. Pinan 1-5 2. Naihanchi 1-3 3. Passai dai/sho 4. Kusankun dai/sho 5. Chintou 6. Gojushiho 7. Seisan
8. Ananko 10. Wansu 11. Sanchin 12. Seiunchin
Okinawan Shorinji Ryu
1. Kyan no Ananku 2. Matsumura no Seisan 3. Matsumura no Naihunchi 4. Maeda no Wansu
5. Oyadomari no Patsai 6. Matsumura no Gojushiho 7. Matsumura no Chintou 8. Yara no Kushanku
Uechi Ryu/Kojo Dojo
1. Sanchin 2. Sanseru 3. Seisan 4. Kanchin (Uechi) 5. Kanshiwa (Uechi) 6. Kanshu (Uehara Saburo)
7. Sechin (Uehara Seiki) 8. Seru (Uechi)
Isshinryu
1. Seisan 2. Seiunchin 3. Naihanchin 4. Wansu 5. Yabu Chinto 6. Sanchin 7. Yara Kusanku 8. Suansu
(Shimabuku)
Okinawa Kempo
1. Ananko 2. Chintou 3. Yabu Kusanku 4. Naihanchi Hanashiro 5. Kuniyoshi Niseishi 6. Motobu
Patsai 7. Pinan 1-5 Hanashiro 8. Sanchin 9. Kuniyoshi Seisan 10. Wansu
Isshimine Ryu
1. Kamati Sanchin 2. Naihanchi 3. Passai
Chito Ryu
1. Shihohai 2. Niseishi 3. Rohai sho/dai 4. Seisan 5. Bassai 6. Chintou 7. Tenshin 8. Sochin
9. Kushanku 10. Sanshiru 11. Ryusan 12. Rochin 13. Sanchin
Kenyu Ryu
1. Pinan 1-5 2. Itosu Passai sho/dai 3. Kusanku sho/dai 4. Chintou 5. Matsumura no Passai 6. Koshiki
no Passai 7. Gojushiho 8. Niseiha 9. Rohai 10. Passai no Itsu 11. Sanchin 12. Tensho 13. Seisan
14. Suparinpei
Shoreikan
1. Fukyu dai ichi 2. Fukyu dai ni 3. Gekkisai 1-3 4. Gekkiha 1-2 5. Hakutsuru
6.
Sanchin
7.
Sanchin 8. Tensho 9. Seiunchin 10. Shisochin 11. Sanseru 12. Seipai 13. Seisan 14. Kururunfua
15. Suparinpei
Shintoyoshi Ryu Jujutsu
1. Pinan 1-5 2. Naihanchin 3. Kushanku 4. Seisan 5. Chintou 6. hon 7. Bassai
Shiroryu Kempo
1. Sanchin 2. Seisan 3. Pinan 4. Naihanchi 5. Kusanku 6. Gojushiho 7. Passai 8. Seiunchin 9. Seipai
Gusukuma ha Shitoryu
1. Sanchin 2. Pinan 3. Naihanchi 4. Passai 5. Gojushiho 6. Kusanku 7. Chinto
1. Tai Sabaki 1-3 2. Pinan 1-5 3. Naihanchi 1-3 4. Aoyagi 5. Gojushiho 6. Passai 7. hin 8. Jion
9. Niseishi 10. Wansu 11. Sochin 12. Unsu 13. Shimpa
Yuishinkai
1. Pinan 1-5 2. Naihanchi 1-3 3. Passai dai/sho 4. Passai koshiki
5. Kusanku sho/dai 6. Shiho Kushanku 7. Chinto 8. Gojushiho 9. Seisan 10.Itosu Wansu 11. Chinte
12. Jion 13. hin 14. Jitte 15. Rohai 1-3 16. Aragaki Sochin 17. Aragaki Unshu 18. Aragaki Niseishi
19. Funakoshi Wanshu 20. Gekkisai 1-2 21. Saifa 22. Sanchin 23. Seisan 24. Seiunchin 25. Sanseru
26. Seipai 27. Kururunfua 28. Suparinpei
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Okinawa Karate
Goju Ryu
1. Gekkisai (Miyagi) 2. Tensho (Miyagi) 3. Saifa 4. Sanchin 5. Sanseru 6. Seiunchin 7. Shisochin
8. Seisan 9. Seipai 10. Kururunfa 11. Suparinpei
Bugeikan
1. Naihanchi 2. Pinan 3. Seisan 4. Sochin 5. Jitte 6. Niseishi 7. Chinotu 8. Passai dai/sho/chu 9. Jion
10. Anaku 11. Koshiki Kushanku 12. Takemura Kushanku 13. Nidanbu 14. Sanpabu
Pangainoon Ryu
1. Shimpa 2. Sanchin 3. Sanseru 4. Seisan Matayoshi Kobudo
Yabiku Ryu
1. Kihongata 1-2 2. Uke no kata 3. Seme no kata 4. Taikatame 5. Yabiku no sho/dai 6. Urawaza
Kobudo Kata bo sho/dai, Nunchaku sho/dai, sai sho/dai, Tuifa, Eku
Kojo Ryu
1. Hakuryu 2. Hakutsuru 3. Kako
Ryuei Ryu
1. Sanchin 2. Seisan 3. Sanseru 4. Seiunchin 5. Ohan 6. Pachu 7. Ananko 8. Paiku 9. Heiku 10. Paiho
Tomarite
1. Rohai 2. Wankan 3. Wanshu 4. Wando 5. Naihanchi 6. Chinto 7. Passai 8. Kusanku 9. Rinkan
Toon Ryu
1. Sanchin 2. Rokkishu 3. Seisan 4. Sanseru 5. Pechurrin 6. Nepai
Die 7 klassischen Tänze Okinawas
Gerade in den letzten Jahren wird in Okinawa von den ansässigen Karate Meistern eine andere
Theorie sehr ausführlich diskutiert: Die Weitergabe von Karatetechniken, ja sogar das Verstecken
von ganzen Kata, in den klassischen Tänzen Okinawas.
Betrachtet man diese Tänze, oder Teile davon, fallen in der Tat Übereinstimmungen der
Bewegungen in den Tänzen mit verschiedenen Techniken des Karate oder Kobudo auf. Dazu
kommt, dass die okinawanischen Tänze nicht so grazil sind, wie in anderen Teilen Asiens. Der
abschließende Beweis für diese Theorie ist allerdings noch nicht erbracht und ich halte diese
Hypothese doch für zumindest gewagt. Dennoch ist es ein wichtiger Bestandteil der Kultur
Okinawas, aus diesem Grund will ich die folgende Aufzählung auch in den Anhang einfügen. Es ist
sicher sehr interessant, diese Tänze zu sehen und dann selbst zu werten, und es gibt einige zum Teil
interessante Literatur zu diesem Gebiet.
1. Shudun : (einige langsame Geschwindigkeiten) Hand, Fuß und Körper bewegen sich in
verschiedenen Geschwindigkeiten
2. Inoha Bushi : (Der Rhythmus von Inoha) In diesem Tanz zeigt eine junge Frau starke
Emotionen
3. Yanagi : (Die weinende Weide) Die Weide verkörpert das klassische Te Konzept in diesem
Tanz
4. Amakawa : (Universum) verkörpert Himmel und Erde
5. Chikuden Bushi : (Rhythmus des Reisfeldes) fertigen eines Reiskuchens
6. Kasekake : (drohende Spindel)
7.
Motonuchibana : (Blume eine Seite mit roten und eine Seite mit weißen Blüten)