Das Waldalgesheimer Fürstengrab - m
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Das Waldalgesheimer Fürstengrab Wissenschaftliche Belege zur Lokalisierung und Bewahrung der keltischen Grabstätte am Rande des Weltkulturerbes „Oberes Mittelrheintal“ Von Prof. Michael Schönherr Oktober 2006 Luftaufnahme vom 1.7.2005 mit überlagertem Magnetogramm von der Grabstelle St.-Jakobus-Str. 28 55442 Stromberg Tel: 06724 3302 Fax: 06724 6892 [email protected] 1 Inhaltsübersicht Einleitende Zitate Seite Vorwort und Rückblick 2 6 1. Übereinstimmende historische Grabortangaben 10 2. Vier wesentliche Neufunde 13 2.1 Schwarze Keramikscherbe 13 2.2 Keltisches Fibelfragment 15 2.3 Rest eines Ösenstifts vom Wagen 16 2.4 Bronzefund mit Mäanderzier 17 2.4.1 Chemische Analyse des Bronzefundes 18 2.4.2 Hinweis auf einen Bronzespiegel 22 3. Luftbildergebnisse 24 3.1 Die Grabstelle im Zentrum der Quellen 24 3.2 Vom Luftbild zur Grabkammer? 25 3.3 Die Zuverlässigkeit der Luftbildaussagen 26 4. Die Magnetometer-Prospektion vom 15.9.2005 27 5. Kritik an den Arbeiten der archäologischen Denkmalpflege 35 5.1 Grabungstätigkeit 2005 35 5.2 Bewertung der „Grabung“ 40 6. Urnenfragmente als weitere Schlüsselfunde 46 7. Zusammenfassende Erörterung der Ergebnisse 48 Anhang Danksagung 51 Vollständige Angabe der abgekürzt zitierten Literatur 52 2 I. Zitate zur Bedeutung des Waldalgesheimer Fundplatzes „Das Wagengrab [der Fürstin1 von Waldalgesheim] gilt als das reichste Latènegrab Deutschlands“ Prof. Helmut Birkhan, Lehrstuhl f. Keltologie, Österreichische Akademie der Wissenschaften, „Kelten, Bilder ihrer Kultur“, S. 17, 1999 „Der charakteristische Rankenstil dieser Schmuckstücke [aus dem Fürstinnengrab von Waldalgesheim] wurde namengebend für eine ganze Epoche der frühkeltischen Kunst“ Martin Kuckenburg, Vorgeschichtler, Buchautor, Wissenschaftsjournalist, GEO Magazin, „Die Kelten in Mitteleuropa“, S. 64, 2004,Theiss V. „Das einzigartige Grab von Waldalgesheim“ Prof. Konrad Spindler, Universität Innsbruck “Die frühen Kelten“, S.86, 1991, Reclam 1 Der Begriff „Fürstin“ wird auch hier verwendet, “Fürstengrab” hat sich allerdings im Zusammenhang mit Waldalgesheim eingebürgert und wird deshalb weiter benutzt, obwohl sich gemäß Kapitel 2.4.2 die Indizien für eine Frauenbestattung noch verstärkt haben. Eine Umbenennung in „Fürstinnengrab“ sollte ggf. im Konsens erfolgen. 3 II. Internationale Stimmen zum „Waldalgesheimstil“ in der keltischen Kunst Prof. Dr. Sabine Rieckhoff Professur für Ur- und Frühgeschichte Universität Leipzig Englischsprachiges Internet-Lexikon http://jfbradu.free.fr/celtes/les-celtes/cadre-art-celtes.htm#Waldalgesheim http://www.iisalessandrini.it/progetti/studenti/dgrizzi/celti/La%20civilta%20di%20latene.htm 4 III. Historische Zitate zur Ortslage des Keltengrabes (1) „Nahe an der Römerstrasse [Erbacher Weg], und zwar 500 Schritt nördlich der jetzigen Landstrasse und ebenso weit westlich von den äussern Häusern des Ortes [Waldalgesheim] liegt ein durch nichts ausgezeichneter flacher Acker, in welchem 1869 der Goldschatz gefunden wurde ...“ A. v. Cohausen, Oberst a.D., Conservator der Alterthümer zu Wiesbaden 1877 in „Grabhügel zwischen der untern Nahe und dem Hundsrücken“2 (2) „Die Sachen fanden sich beim Ausgraben einer Grube in einem Acker, etwa 5 Minuten vom Dorfe entfernt ...“ Baumeister Engelmann im Brief vom 31.Oktober 18693 (3) „Der Erbacher Weg liegt südlich und dicht hinter dem Waldalgesheimer Grabmal.“ Co-Ausgräber des Waldalgesheimer Fürstengrabs, Prof. Ernst Aus’m Weerth 1870 in: „der Grabfund von Waldalgesheim“4 (4) „Das Grab war auf dem Acker hinter dem Windrad.“ Günter Schmitt, Waldalgesheim, 2006. Er zitiert die Aussage seiner Großmutter, der Tochter des Grabfinders Peter Heckert, siehe Kapitel 1. Abb. 1 Der allen vier Zeitzeugnissen entsprechende Grabort im Gewann „Am Eicher Weg“, eingetragen in eine Landkarte aus dem 19. Jahrhundert. 2 COHAUSEN, Grabhügel, S. 333 3 JOACHIM, Waldalgesheim, S. 234 4 WEERTH, Grabfund, S. 8, dort Fußnote 4 5 IV. Zitat Dr. Rupprecht: „Hier ist kein Fürstengrab, nichts dergleichen“ 5 Landesarchäologe Dr. Rupprecht beim Ortstermin vom 14.10.05 auf einem 500 Schritt nördlich der Landstraße und ebenso weit westlich vom alten Waldalgesheim gelegenen und durch nichts ausgezeichneten flachen Acker stehend, 5 Gehminuten vom damaligen Dorf entfernt und 40 m hinter dem ehemaligen Windrad sowie dicht beim südlich vorbeiführenden ehemaligen Erbacher Weg. 5 ALLGEMEINE ZEITUNG Mainz-Bingen, siehe Seite 36 6 Vorwort und Rückblick Es läuft schon seltsam mit Waldalgesheim und dem, was es weltbekannt gemacht hat: Die obigen Zitate I – IV mögen ein Schlaglicht darauf werfen. Da besitzt man ein Grab, aus dem das Beste stammt, was Keltenkunst zu bieten hat, man hat aber vergessen, wo das „Fürstengrab“ einst war oder besser gesagt, man hat eine Grabstelle rekonstruiert, die im Bruchfeld des nahen Bergwerks untergegangen sein soll. Damit hat man es jahrelang gut sein lassen. Nun taucht 1997 eine bislang unbekannte Quelle aus 1877 auf. Sie stammt von Oberst a.D. August v. Cohausen, Conservator der Alterthümer zu Wiesbaden, einem der renommiertesten Archäologen der Zeit, der u.a. die Grabhügel im Langenlonsheimer Wald vermessen und kartografiert und der auf der „Großen Heide“ hinter Waldalgesheim/Genheim solche auch ausgegraben hatte. Cohausens Abhandlung liefert die einzige punktuelle Angabe zum Waldalgesheimer Fürstengrabort: „ 500 Schritt nördlich der Landstraße und ebensoweit westlich von den äußeren Häusern des Orts“6, also ganz woanders, als die bis 1997 kolportierte Grabstellenposition direkt am ehemaligen Ortsrand beim heutigen Kindergarten. Jene falsche Position war von einer nicht mehr entwirrbaren Autorenschaft, bestehend aus Landesamt für archäologische Denkmalpflege (Dr. Rupprecht, Dr. Zylmann), Heimatforscher Kurt Hochgesand und Monografieautor Prof. Joachim, mit vielen zusätzlichen Annahmen konstruiert worden. Abb. 2 Der den Zeitzeugenaussagen widersprechende Grabort, dargestellt in der Monografie von Joachim 7. Joachims Folgerung aus dem falschen Grabort : „ ... so dass sich heute ein breites, von Ost nach West verlaufendes Bruchfeld nördlich des neuen Ortes Waldalgesheim entlangzieht, dem inzwischen auch die Grabstelle zum Opfer gefallen ist. So sind hier Nachuntersuchungen unmöglich geworden.“ Siehe zum Vergleich den allen Zeitzeugnissen entsprechenden richtigen Grabort in Abb. 1, 5, 14. 6 COHAUSEN, Grabhügel, S. 333 ff. 7 JOACHIM, Waldalgesheim, S. 31ff. 7 Im Jahre 1997 konnte der Verfasser in seiner Abhandlung „Wo lag das Waldalgesheimer Fürstengrab“8 den richtigen Grabacker vorstellen, der sowohl Cohausen als auch allen anderen ortsbezogenen Zeitzeugnissen entspricht: Die heute nach der Flurbereinigung nicht mehr sichtbare, ca. 150 m lange und 5 m breite Parzelle Nr. 1723, später in Nr. 377 umbenannt. Neben den auf Seite 4 angegebenen ersten drei Aussagen konnte noch ein vierter Zeitzeuge ausfindig gemacht werden: der berühmte Ludwig Lindenschmit, Gründer des RömischGermanischen Zentralmuseums zu Mainz. Lindenschmit hatte die Identität zwischen Feldeigentümer und Grabfinder Heckert festgestellt9, und Heckert besaß in dem von Cohausen angegebenen Bereich nur diese eine Parzelle, welche somit der Grabacker ist. Danach geschah 2 ½ Jahre nichts, statt dessen kam der Hinweis vom Landesarchäologen, meine Abhandlung nicht zu veröffentlichen, um nicht Raubgräber anzulocken. Mein Vorschlag, das Landesamt möge doch selbst mit Metalldetektoren den Grabbereich absuchen, so dass für „Raubgräber“ nichts mehr zu holen wäre, wurde abgelehnt, ebenso mein schon damals gemachtes Angebot, das Gebiet mit gesponserter „Geomagnetik“ (vergleichbar dem „Röntgen“ am menschlichen Körper) zu durchleuchten. Somit scheiterte eine flächendeckende Suche mit modernen Mitteln, statt dessen erfolgte im September 1999 eine 2 Stunden dauernde befundlose Suchgrabung der archäologischen Denkmalpflege mit Entfernung der 25 cm dicken Humusschicht auf einer Fläche von 12 x 1 m10. Die genaue Lage der heute nicht mehr sichtbaren Parzelle 1723 war dabei nicht vom Geometer eingemessen worden, und so kann es sogar sein, dass das parallel dazu angelegte Suchgräbchen den Fundacker gar nicht berührt hat, es wurde jedoch zum Alibi-Gräbchen für alle, die sich am Waldalgesheimer Fürstengrab erfolglos versucht hatten oder denen es jetzt im Wege stand. Der von Anfang an informierte Waldalgesheimer Bürgermeister Dr. Hanke zeichnete 2002 hauptverantwortlich für einen Bebauungsplan, der die Fundackerparzelle und damit das Grab komplett überdeckt und der Zerstörung zuführen würde. Ein Einspruch der ebenfalls von Anfang an informierten Denkmalpflege ist nicht bekannt geworden. Der Bürgermeister ist offenbar Betreiber der Überbauung und damit Zerstörung der Grabstätte geworden - und zwar im vollen Wissen. In der SWR-Fernsehsendung vom 2.4.2005 sagte er mit Bezug auf das damals noch in Vorplanung befindliche Baugebiet: „Wir wissen, dass wir dort das Fürstengrab haben!“ 11 Er hat dies zusammen mit dem Waldalgesheimer Heimatforscher Kurt Hochgesand auch in der Neuauflage der von ihm herausgegebenen Festschrift so dokumentiert.12 8 SCHÖNHERR, Fürstengrab. Die Schrift enthält noch weitere Belege, sie war 1997 u.a. Dr. Rupprecht, Bürgermeister Dr. Hanke und dem Waldalgesheimer Heimatforscher Herrn Hochgesand übergeben worden. 9 LINDENSCHMIT, Waldalgeheim Blatt 5: „... der Eigenthümer des Feldes, welchem die Entdeckung glückte ... “ 10 SCHÖNHERR, Beweise, S. 10 11 VIDEOAUFZEICHNUNG der Abendschausendung vom 2.4.2005, Video - Cassette liegt vor 12 HOCHGESAND, HANKE, Festschrift 2002 und 2004 S. 49, 53. Die Schrift ist bei der Gemeindeverwaltung erhältlich. 8 Zwischenzeitlich hat der Bürgermeister mit seinem Gemeinderat die Entscheidung zur Erschließung des Gebiets getroffen, von einer Ausklammerung der Grabstelle ist nicht die Rede13. Abb. 3 Näherungsweise Abzeichnung des Neubaugebiets „Waldstraße 2“ Die Einblendung der heute nicht mehr sichtbaren, ca. 150 m langen und 5 m breiten Fundackerparzelle 1723 zeigt die von Bürgermeister und Gemeinderat Waldalgesheim vorgesehene flächendeckende Überbauung und damit endgültige Zerstörung der Reste der Waldalgesheimer Fürstengrabstelle. Der letzte noch unbebaute Bereich des gesamten Baugebiets ist abgedunkelt dargestellt, die Erschließungsmaßnahmen stehen bevor. 13 ALLGEMEINE ZEITUNG Mainz-Bingen vom 3.6.2006 9 Auch wenn zunächst eine angrenzende Sektion erschlossen wird, so ist es nach dem Beschluss jetzt jederzeit möglich, dass Planierraupe und Erschließungsbagger sich über den Fürstengrabbereich hermachen. Offensichtlich soll die Grabstelle also geopfert werden, und das in einem Land, in dem jeder ehemalige Römervillenrest auf freiem Feld Denkmalschutz genießt, und dabei haben wir schon 1000 Römervillen, jedoch weltweit nur einen Ort, der den Höhepunkt des keltischen Kunstschaffens markiert: „das einzigartige Grab von Waldalgesheim“ Seit den Eingaben, Briefen, Berichten14 und Vorträgen15 16 des Verfassers bis 2005 mit dem Ziel der weiteren Eingrenzung und Rettung der Grabstelle sind nun neue, teils spektakuläre Ergebnisse hinzugekommen. Hierüber ist nachfolgend zu berichten. Soweit für den Gesamtzusammenhang erforderlich, wird dabei im Einzelfall auch bereits früher Publiziertes mit hereingenommen, ergänzt durch neue Gesichtspunkte. Die Thematik dieser Abhandlung erfordert auch eine kritische Auseinandersetzung mit den Äußerungen und Handlungen der Personen, die für den zu befürchtenden Verlust der Grabstätte nach Ansicht des Verfassers die Verantwortung tragen. Seine Kritik bezieht sich nur auf diesen Punkt und will die Verdienste, welche die Genannten ansonsten haben oder haben mögen, nicht in Frage stellen! 14 SCHÖNHERR, Luftprospektion; SCHÖNHERR, Beweise; Vorträge: Bingen, Villa Katharina, 19.5.05 Waldalgesheim „Binger Höh“ 14.7.05 Waldalgesheim, Sitzung Gemeinderat 10.8.05 15 SCHÖNHERR: “Aerial Archaeology and new discoveries by a flying wing model” AP&A 2003 Congress, Ghent, Belgien, 11. Dezember 2003. 16 SCHÖNHERR: “Neue archäologische Entdeckungen durch Modellflugzeug-Prospektion und regelmäßige Befliegungen“ 5. Deutscher Archäologen-Kongress , Frankfurt (Oder) 4. April 2005. 10 1. Übereinstimmende historische Grabortangaben Im Jahre 2002 ist mir durch die Festschrift der Gemeinde Waldalgesheim (Anm. 12) bekannt geworden, dass der Urenkel von Peter Heckert, Herr Günter Schmitt, bereits vor vielen Jahren den Grabort bezeichnet hatte, was aber seinerzeit nicht ernst genommen und nicht publiziert worden war. Der Verfasser hat deshalb Herrn Günter Schmitt aufgesucht und um schriftliche Stellungnahme gebeten. Hier ist sie: Die 2006 vom Urenkel des Grabfinders abgegebene Erklärung zum Grabort ist eine gewichtige Bestätigung der vom Verfasser ermittelten Grabstelle17. 17 SCHÖNHERR, Fürstengrab S. 29 11 Abb. 4 Historische Aufnahme18 vom „Windrad“, Blickrichtung Nordost. Die Familie Heckert und ihre Nachfahren wohnten ca. 400m südöstlich vom Fotografenstandort in Pfeilrichtung „Waldalgesheim“. Von dort aus betrachtet kam die Grabstelle in die Verlängerung der Blickrichtung zum Windrad zu liegen, sie lag also genau „hinter dem Windrad“, wie Günter Schmitt die Information von seiner Großmutter, der Tochter des Grabfinders wiedergibt. Siehe auch Abb. 1, 5, 30 Im Buschwerk südöstlich der Grabstelle lassen sich heute noch die Montagepunkte des ca. 1960 demontierten Windrads feststellen. Jakob Como beschreibt die Position der Grabstelle Wegen der verblüffenden Übereinstimmung mit der windradbezogenen Ortsangabe soll nachfolgend der einzige spätere Zeuge noch zu Wort kommen, der mit Heckert (gest. 1906) und anderen Zeitzeugen noch sprechen konnte und der eine weitere schriftliche punktuelle Ortsangabe zur Grabstelle hinterlassen hat: Jakob Como. Der bekannte Binger Heimatforscher wird von Friedrich Rudolf Engelhardt19 so charakterisiert: 18 „Waldalgesheim, Unser Dorf und seine Menschen“ 2003 S. 49, Gemeinde Waldalgesheim, 19 Bingen vergibt jährlich den „Friedrich-Rudolf-Engelhardt-Preis“ in Erinnerung an seinen berühmten Historiker und Heimatforscher Geiger Verlag 72160 Horb am Neckar ISBN 3-89570-5 12 Como beschreibt das gefundene Grabinventar, u.a. Kanne, Eimer und 4 goldene Ringe, und zeigt somit dass er das Grab meint, welches wir heute „Waldalgesheimer Fürstengrab“ nennen Abb. 5 Comos Aussage zur Position der Grabstelle, grafisch verdeutlicht Waldalgesheim hatte 1924 keine glatte westliche Peripherie, sondern dort eine ausgeprägte Spitze. Como liefert eine Ortsangabe zum Fürstengrab, bezogen auf die „westlich gelegenen letzten Häuser“ und da kann es sich nur um diese Spitze handeln. Eine „dicht“ auf diese Spitze bezogene Abstandsangabe hat damit punktuellen Charakter. Die Information „dicht hinter den westlich gelegenen letzten Häusern“ kann nur heißen, dass ein wenig westlich vom letzten westlich gelegenen Haus entfernt, die Grabstelle liegt. Diese Aussage passt genau auf die ermittelte Grabstelle ca. 50 m vom westlich gelegenen letzten Haus entfernt, siehe Bild oben. Die vom Verfasser ermittelte Grabstelle ist der einzige Ort auf der Fundackerparzelle, der sowohl „dicht“ am Erbacher Weg (siehe Seite 4, dort 3. Zitat) liegt, als auch „dicht“ hinter den westlich gelegenen letzten Häusern von Waldalgesheim. Alle anderen Orte widersprechen wenigstens einer dieser Ortsbestimmungen. Das Grab kann insbesondere nicht am westlichen, durch die spätere Ersatz-Straße (heute Waldstraße) zerstörten Ende der Fundackerparzelle gelegen haben, denn es wäre dann 150 m von den westlich gelegenen letzten Häusern entfernt und das ist nicht mehr „dicht“ hinter diesen Häusern. 20 An der vom Verfasser bezeichneten Grabstelle treffen die Ortsangabe von Como und die Schmitt-Aussage „Hinter dem Windrad“ zusammen, und dort konvergieren auch alle anderen Zeitzeugenaussagen, wie sie unter III, Seite 4, angeführt sind! 20 Dass die Grabstelle nicht am Westende des Fundackers gelegen haben kann ergibt sich auch aus dem Brief des Waldalgesheimer Pfarrvikars Stierle vom 17.9.1870, der den schmalen Fundacker als von weiteren Parzellen flankiert beschreibt, was erst weiter östlich von der späteren Ersatzstraße zutrifft. Näheres: SCHÖNHERR, Fürstengrab, S. 13. 13 2. Vier wesentliche Neufunde Bereits 1997 konnte der Verfasser in seiner Abhandlung eine durch veränderte Boden- und Bewuchsmerkmale auffällige Stelle auf der Fundackerparzelle angeben und als wahrscheinliche Grabstelle benennen21. Dort wurden von ihm 1999 bis 2001 ohne Hilfsgerät einschlägige Neufunde von der Oberfläche aufgelesen und verzeichnet. 22 Abb. 6: Die Lesefunde des Verfassers. Das Bild zeigt die einskizzierten Positionen23 der 1999 bis 2001 aufgelesenen relevanten 28 Funde mit einem trotz Pflugverschleppung deutlichen Häufungs-Maximum. Ca. 80% sind Eisenfunde. Die Ziffern auf gelbem Hintergrund kennzeichnen mit höchster Wahrscheinlichkeit zum Fürstengrab und seinem Wagen gehörige Funde, von denen hier vorgestellt werden: Nr. Nr. Nr. Nr. 2.1 Schwarze Keramikscherbe Abb. 7.1 1 2 5 15 (Schwarze Keramikscherbe) (Fibelfragment) (Ösenstiftfragment) (Bronzestück) (siehe auch Kapitel 6) Die konkave Innenseite der Keramikscherbe 21 SCHÖNHERR, Fürstengrab S. 29 und S. 37. Die Bewuchsmerkmale wurden durch Fotos von der nahen Amalienhöhe aus festgehalten. 22 SCHÖNHERR, Beweise S. 7 – 9: dort wurden die Funde teilweise auch bearbeitet. 23 Der Koordinatennullpunkt in den neuen Darstellungen ab 2005 wurde entsprechend den Luftaufnahmeergebnissen etwas verändert, siehe ab Kapitel 4. 14 Abb. 7.2 Die konvexe Außenseite. Die schwarze Keramikscherbe zeigt keinerlei Spuren einer Drehscheibenbearbeitung, war also handgemacht. Abb. 7.3 Die Wandstärke ist 4,5 mm ~ fast ¼ Zoll Die schwarze, von Hand hergestellte und damit primitive, 4,5 mm dicke, gebrannte Keramikscherbe (Fund Nr. 1 vom 29.2.99) ergänzt das bei der Ausgrabung 1870 dem Bonner Ausgräber Prof. Ernst Aus’m Weerth begegnete „fast ¼ Zoll24 dicke Fragment vom Rande einer äusserst primitiven, gebrannten schwarzen Urne“. Diese sehr wahrscheinliche Zusammengehörigkeit wurde vom Verfasser bereits 1999 erkannt und dem Landesarchäologen samt Fundlageplan so mitgeteilt. Die Fundstelle der Scherbe liegt in unmittelbarer Nachbarschaft der 2005 von der archäologischen Denkmalpflege gefundenen Urnenbruchstücke. In Kapitel 6 wird darauf ausführlicher eingegangen. 24 1 Rheinisch-Preußisches Zoll beträgt ungefähr 26 mm. 15 2.2 Keltisches Fibelfragment Abb. 8.1 (Fund Nr. 2 vom 2.3.1999) Die Fibel, eine Art Sicherheitsnadel zum Zusammenhalten von Gewändern, war rasch wechselnder Mode unterworfen. Dementsprechend existiert eine Katalogisierung mit zeitlicher Einordnung keltischer Fibeltypen. Links die an der Grabstelle gefundene ca. 3 cm große eiserne Zierkugel einer Fibel nach Schema „La Tène B2“ (abgekürzt „LT B2“). Der hiermit bezeichnete Zeitraum beginnt etwa 320 bis 300 v. Chr. und steht am Ende der „La Tène B1“-Phase, und dort ist auch die Grablegungszeit der Waldalgesheimer Fürstin25. Abb. 8.2 Der keltische Kulturkreis hatte um 320 v. Chr. den ganzen Raum nördlich und östlich der Alpen erfasst, insbesondere auch entlang der Donau. In Blucina (Mähren, Donaubereich) wurden im Grab Nr. 20 u.a. eiserne Fibeln mit Zierkugeln gefunden, die identisch mit dem Waldalgesheim-Fund sind. Zum Vergleich wurde Fund Nr. 2 auf den Abdruck eines Berichts von Kruta26 gelegt und fotografiert. Kruta datiert das Blucina-Grab ebenfalls an den Beginn von LT B2, so dass die gefundene Zierkugel gut zur neuesten Fibelmode der Waldalgesheimer Grablegungszeit passt und mit größter Wahrscheinlich auch zum Grab gehört. Rudolf Echt sagt zur zeitlichen Zugehörigkeit dieser Art Fibeln: „Die folgende Stufe La Tène B wird in erster Linie an dem Grab von Waldalgesheim definiert: Hals- und Armringe mit Petschaftenden, Knotenringe ... Außerdem ... Fibeln mit Kugelzier auf dem zurückgebogenen Fuß ...“ 27 Echt bezieht sich auf die heute noch gültige Einstufung der Keltenzeit nach Reinecke. Charakteristisch hierfür sind Fibeln mit einer „Kugelzier“ am „zurückgebogenen Fuß“. Diese postulierte Kugelzier, typisch für die „Waldalgesheimzeit“, liegt nun mit dem Fund sogar direkt aus Waldalgeheim vor, eine verblüffende Bestätigung für Reineckes Ansatz und die Grabstelle! 25 JOACHIM, Waldalgesheim S. 211: „Das Waldalgesheimer Grab ist also in den Übergang von LTB1 zu LTB2 zu stellen“ 26 KRUTA: « LES TORQUES TORSADES EN FIL DOUBLE DE LA CHAMPAGNE ET LEURS ANALOGIES DANS L’Aire LATENIENNE DU Ve AU IIIe SIECLE AVANT J.-C. » in : « ACTES DU DEUXIENE SYMPOSIUM INTERNATIONAL D’HAUTVILLERS 8-10 OCTOBRE 1992 » 27 Echt, Reinheim, S. 231 16 2.3 Rest eines Ösenstifts vom Wagen Abb. 9.1 Das Bild links zeigt typische Ösenstifte aus keltischen Wagengräbern28. Es gibt offensichtlich zwei Arten: Erstens solche, die aus einem dicken Draht durch Umbiegen und Zusammenschweißen hergestellt wurden (Nr. 1, 3, 4) und zweitens solche, die wohl aus einem Stück geschmiedet wurden, wobei die Ösen-Öffnung im glühenden Zustand durch Eintreiben eines Dorns erzielt wurde (Nr. 2, 5). Abb. 9.2 Fund Nr. 5 vom 29.3.1999 Abb. 9.3 Das Fundstück im Vergleich Im Waldalgesheimer Grab fanden sich 1869 Teile eines zweirädrigen Keltenwagens samt Zaumzeug. Der Fund Nr. 5 lässt sich wegen der Verbreiterung und des beginnenden konkavkreisförmigen Ansatzes zu nichts anderem als einem Ösenstift nach Nr. 2 in Abb. 9.1 ergänzen. In Abb. 9.3 ist der Fund auf das Foto von restaurierten Ösenstiften29 gelegt, um die Zugehörigkeit zu verdeutlichen. Nachdem ein bei hiesigen Keltenwagen obligatorischer Ösenstift bislang nicht gefunden wurde, solche aber eigentlich vorhanden sein sollten, liefert Fund Nr. 5 eine lang vermisste Ergänzung und bestätigt gleichzeitig seine sehr wahrscheinliche Grabzugehörigkeit. Man darf annehmen, dass der Grabfinder Heckert, der den Fundacker noch jahrzehntelang bestellt hatt, ihm wertlos erscheinende und funktional unkenntliche rostige Eisenbruchstücke kaum beachtet haben dürfte, weshalb gemäß Abb. 6 viele weiterer Eisen-Kleinfunde vorliegen, die vom Verfasser aufgelesen werden konnten. 28 Schönfelder Martin, „Das spätkeltische Wagengrab von Boé“ S. 211, Dissertation Philipps-Universität Marburg (2000) 29 Gleser Ralf, „Machtverlust der keltischen Elite“ aus „Archäologie in Deutschland“ Heft 3, 2001, S. 24 17 2.4 Bronzefund mit Mäanderzier Abb. 10.1 Die Besonderheit des 32 g schweren angeschmolzenen Bronzefundes (Nr. 15 vom 6.2.2000) wurde schon bei der Auffindung deutlich. Das Teil war vom Regen ein wenig freigewaschen, und beim Hochnehmen bildete sich bereits der im unteren Foto rot nachgezogene Wellenrankenansatz durch die in seinen Senken verbliebene Erde wunderbar ab. Der noch erhaltene, erhaben ausgeführte Relief-Linienschwung entspricht der Waldalgesheimzier wie er auf dem 1869 geborgenen goldenen Halsring begegnet, siehe nachfolgende Gegenüberstellung. Abb. 10.2 Eine Vorlage des Bronzeteils beim Landesamt fand kein Interesse, eine Besprechung im Römisch-Germanischen Zentralmuseum Mainz (RGZM) mit Herrn Prof. Dr. Markus Egg ergab die Bestätigung, dass Bronzeteile nach einer vorgeschichtlichen Brandbestattung in der Tat heute oft so begegnen. Die auf der Oberseite noch erhaltene ungestörte Wandstärke von fast 2 mm (siehe Abb. 10.1, dort ganz links) lässt auf ein ehemals massives gegossenes flächiges Gebilde / Gefäß schließen. Für den Guss spricht nach Ansicht des Verfassers auch das aus dem Hintergrund hervortretende Rankenrelief, welches nicht durch Eingravieren herstellbar ist, sondern praktisch nur durch Gießen. Abb. 10.3 Eine erste chemische Analyse durch Frau Dr. Greiff (RGZM) Anfang 2000 weist auf eine antimonreiche vorrömische Bronze hin, was zur Grablegungszeit der Waldalgesheimer Fürstin passt. Dr. Greiffs Analyse stammt von dem aufgehellten ca. 2 mm dicken flächig erhaltenen Teil (Pfeil). Abb. 10.4 Für die dem nachfolgenden Kapitel vorbehaltenen weiterführenden Analysen von Prof. Dr. Brey aus 2006 wurde vom selben flächigen Teil ein Stück abgezwickt (weiße Umrandung) und einer Röntgenfluoreszenzanalyse sowie einer Bleiisotopenanalyse unterzogen. 18 2.4.1 Chemische Analyse des Bronzefundes Die Röntgenfluoreszenzanalyse von Prof. Dr. Brey, Universität Frankfurt: Fortsetzung siehe nachfolgenden Anhang 19 Abb. 11.1 Abb. 11.2 Abb: 11.3 Die Röntgenfluoreszenzanalyse von Prof. Dr. Brey belegt eine Zinnbroze30 mit reichlichen 6% Antimon-Zusatz. Das Antimon „SbL“ rührt von den zur Keltenzeit vehütteten antimonreichen Kupfererzen, den Fahlerzen her. Deren Lagerstätten sind z.B. im Schwarzwald oder auch in der nahen Pfalz um Idar-Oberstein anzutreffen. Erst mit Beginn der hiesigen Römerherrschaft um das Jahr 0 wurde das Antimon konsequent aus den Bronzen eliminiert. Wir befinden uns aber beim Waldagesheimer Fürstengrab um 320 v. Chr. mitten in der Keltenzeit, und genau da hinein passt das „keltische Bronzestück“, auch im Hinblick auf die anderen Legierungsbestandteile. Das notwendige teure Zinn zur Bronzeherstellung kam übrigens aus Cornwall oder der Bretagne, und die wichtigste Verbindung dahin lief – auch für den etruskisch-italischen Zinnbedarf – nach Prof. Rieckhoff über Waldalgesheim!31 Bronze besteht größtenteils aus Kupfer. Das moderne und komplexe Verfahren der Bleiisotopenanalyse gestattet die Herkunft dieses Kupfers zu ermitteln, genau genommen, die Erzlagerstätte ausfindig zu machen, von der es stammt. 30 Die Bezeichnung „Bronze“ gilt streng genommen nur für Legierungen mit mindestens 60% Kupferanteil. Die aktuelle Analyse aus 2006 ergab jedoch 55% Kupferanteil „CuK“. Da der Fund schon längere Zeit unter „Bronze“ läuft, soll diese Bezeichnung zur Vermeidung von Unklarheiten beibehalten werden. 31 RIEKHOFF, „Die Kelten in Deutschland“ Theiss 2001 S. 57 in Verbindung mit S, 89 20 Das zu unterschiedlichen Zeiten und Konditionen in der Erdgeschichte entstandene Kupfer ist praktisch immer mit Uran vergesellschaftet. Dieses Uran zerfällt dann im Lauf der Zeit in verschiedene Bleiisotope, deren heutiges Verhältnis zueinander individuelles Kennzeichen einer jeden Kupfererz-Lagerstätte ist. Hat man nun die ans Kupfer gebundenen Bleiisotope einer Bronze ermittelt sowie deren Verhältnisse zueinander, kann man durch Vergleich mit den Bleiisotopenverhältnissen bereits untersuchter Kupferlagerstätten ggf. eine Identität feststellen und daraus die Herkunft des Kupfers ablesen. Das Verfahren hat seine Grenzen darin, dass nicht für alle Kupferlagerstätten die Bleiisotopenverhältnisse vorliegen. Jedoch lassen sich für ein ganzes Gebiet Paare von Bleiisotopenverhältnissen in einem Diagramm auftragen und in einer Streukurve darstellen. Wenn nun die Bleiisotopenverhältnisse bei einer untersuchten Probe in diese Streukurve hineinpassen, kann man den Lagerstättenort des Kupfers eingrenzen. Dieses Verfahren hat Prof. Dr. Brey bei der Waldalgesheim-Probe (Fund Nr. 15) angewandt und festgestellt, dass das Kupfer des keltischen Bronzestücks bestens in die Streukurve deutscher Kupferlagerstätten passt. Die Bleiisotopenanalyse von Prof. Dr. Brey: Fortsetzung auf nächster Seite 21 Abb. 12 Die Probe aus der beim Fürstengrab gefundenen keltischen Bronze (Fund Nr. 15) hat die Kennzeichnung ARC 141. Ihre Lage (rote Raute) mitten in der Streukurve deutscher Lagerstätten kennzeichnet sie als diesen zugehörig und nicht etwa aus dem Mittelmeerraum stammend. Eine weiter eingrenzende Lagerstättenbestimmung ist möglich, wurde aber noch nicht vorgenommen. 22 2.4.2 Hinweis auf einen Bronzespiegel Aber welchem Gegenstand entstammt das angeschmolzene Bronzestück? Das Teil mit partiell noch erhaltener Wandstärke von fast 2 mm und Wellenrankenansatz gemäß Waldalgesheimstil könnte der Rest einer gegossenen Opferschale sein, die nach mediterranem Vorbild mit der Fürstin zusammen außerhalb des eigentlichen Grabes auf dem Scheiterhaufen verblieb und der Verbrennungshitze eine Zeitlang ausgesetzt war. Neben dem hohen Antimongehalt zeigte sich in der chemischen Analyse von 2006 als weitere Auffälligkeit ein enorm hoher Zinngehalt von 26 – 32 % (Zinn: „SnL“, Seite 19). Dies bestätigt abermals die Herkunft des Bronzestücks von einem Gussteil, denn solche Bronzen lassen sich zur Herstellung flächiger Gebilde nicht mehr treiben, sie sind zu spröde. Übliche Bronzen enthalten viel weniger Zinn, zumal in der Antike, in der so hohe und verteuernde Zinngehalte nahezu unbekannt waren, allerdings mit Ausnahme der „Spiegelbronze“ zur Herstellung von Spiegeln32. Diese Spiegelbronzen haben Zinngehalte von 15 bis 40%, wobei der höchste Wert häufig erst auf der Spiegeloberfläche vorliegt und durch spezielle Beschichtung und Wärmebehandlung erzielt werden konnte. Die so gewonnenen Oberflächen ließen sich hervorragend polieren, und die damit gefertigten Spiegel waren beliebte Beigaben in Frauengräbern des Mittelmeerraumes, vornehmlich bei den Etruskern und Griechen. Aber auch in hiesigen etruskisch-griechisch inspirierten Keltengräbern fanden sich Bronzespiegel, so in Hochheim/Taunus und im Fürstinnengrab von Reinheim, dem ein knappes Jahrhundert älteren Pendant zum Waldalgesheimer Fürstengrab33. Ruolf Echt schreibt zum Reinheimer Spiegel: 34 „Die Spiegelscheibe ist aus Bronze mit durchschnittlich etwa 14 Gew.-% Zinn und geringen Anteilen Blei hergestellt. Der hohe Zinnanteil lässt auf eine besondere Legierung zur Erzielung einer hochreflektierenden Oberfläche schließen. Dazu trägt bei, daß die Oberfläche von einer hauchdünnen Schicht mit viel höherem Zinnanteil gebildet wird - stellenweise beträgt der Zinnanteil über 40 Gew.-%“. Unser angeschmolzenes Bronzestück war starker Hitze bis zum Schmelzpunkt ausgesetzt, und da hatte sich ein ggf. bestehender hoher Konzentrationsunterschied im Zinngehalt möglicherweise mehr ausgeglichen. Wie auch immer, Bronzen mit ca. 30% Zinnanteil heißen „Spiegelbronzen“, und da muss man auch hier zuerst von einem Spiegel ausgehen, zumal der ursprüngliche Blechcharakter mit konstanter Wandstärke von knapp 2 mm, der wohl die Spiegelfläche wahrscheinlich repräsentiert, noch deutlich erhalten ist, siehe z.B. Abb. 10.3, 10.4, 11.3. 32 Die spätkeltischen “Potin-Münzen” haben auch hohen Zinngehalt, sind hier aber weggelassen, weil sie auch Silber enthalten, nur ein paar Gramm wiegen und für das 32 g schwere Bronzestück nicht in Frage kommen. 33 Eigentlich müsste es anstatt „Fürstengrab“ auch in Waldalgesheim „Fürstinnengrab“ heißen, noch bestätigt durch den wahrscheinlichen Spiegelfund. Es hat sich aber hier die vom männlichen Adelstitel abgeleitete Bezeichnung eingebürgert, die auch in dieser Abhandlung beibehalten werden soll. 34 ECHT, Reinheim S. 112 23 Die chemische Analyse von Prof. Dr. Brey hat also für das angeschmolzene Bronzeteil35 ergeben: a) Aufgrund der Legierungszusammensetzung mit hohem Antimonanteil handelt es sich um eine typisch keltenzeitliche Bronze. b) Aufgrund des hohen Zinnanteils handelt es sich um eine Spiegelbronze. Damit ist die wahrscheinlichste Erklärung für das angeschmolzenen Bronzeteil die, dass es einem Bronzespiegel entstammt, welcher der Waldalgesheimer Fürstin auf den Scheiterhaufen mitgegeben worden war. Die Verbrennung fand nicht im Grab statt, sondern daneben, wie es der ca. 7 m südöstlich vom Fundmaximum und querab zur Pflügerichtung gemachte Fund auch nahe legt. Die bestens erhaltenen Waldalgesheimer Grabschätze sprechen nicht gegen eine Brandbestattung. Im Gegenteil, reiche unverbrannte Grabbeigaben (einschließlich Wagen) sind keine Seltenheit bei frühlatènezeitlichen Fürstengräbern mit Brandbestattung, wie Echt belegt36. Gegen 300 v. Chr. wird in der Keltenwelt ohnehin die Brandbestattung allmählich zur Regel – es gibt keinen Grund, das Waldalgesheimer Fürstengrab auf eine Körperbestattung festzulegen. Zusammenfassend ist also festzuhalten: Es wurde ein angeschmolzenes Bronzestück auf freiem Feld gefunden, was immer Hinweis auf eine fürstliche Brandbestattung ist. Die Bleiisotopenanalyse hat bestätigt, dass das Kupfer in der Bronzelegierung aus einer heimischen Lagerstätte stammt. Das Bronzeteil besteht auch aus typisch keltischer antimonreicher Legierung, die hier wegen des hohen Zinnanteils zusätzlich eine sehr selten vorkommende teure Spiegelbronze ist. Diese legt einen frühlatènezeitlichen Spiegel nahe, wie er hier ausschließlich in keltischen Fürstinnengräbern auftritt. Zusammen mit dem Wellenrankenansatz im Waldalgesheimstil ist der Fundort des Bronzestücks somit alleine schon fast in der Lage, das Fürstengrab zu lokalisieren, um so mehr in Vergesellschaftung mit den anderen Funden. Abb. 13 Bild aus „Die Vorgeschichte Hessens“, Konrad Theiss-Verlag Stuttgart 1990 Seite 288. Der frühlatènezeitliche keltische Bronzespiegel aus Hochheim (Taunus). Falls die Bronzespiegel Verzierungen aufwiesen, waren diese auf der Rückseite und bestanden meist aus Gravuren. Kostbare gegossene Spiegel besaßen beim etruskischen Spiegel-Vorbild auch ReliefVerzierungen, und eine solche wäre wegen des reliefierten Wellenrankenansatzes auch beim „Waldalgesheim-Spiegel“ ggf. anzunehmen. 35 Die Aussage gilt nur für das blechartig erhaltene Teil, von dem die Probe genommen wurde, siehe Abb. 9.4 36 ECHT, Reinheim S. 217: „Wenn gerade die überreich mit Gold und kostbaren Gefäßen ausgestatteten Fürsten in Schwarzenbach Grab1, Eigenbilzen und Asperg, Kleinaspergle verbrannt wurden, zeigt das, welch hoher Anspruch mit dieser Bestattungsart verbunden war.“ 24 3. Luftbildergebnisse Nachfolgend werden fünf typische Luftbilder aus den Jahren 2002 bis 2005 in einer Serie dargestellt und die damit dokumentierten Ergebnisse besprochen. Auf allen Bildern sind die seit der Flurbereinigung 1955 am Boden nicht mehr wahrnehmbaren, aber von den Zeitzeugen genannten Wege „Erbacher Weg“ (Römerstraße37) und „Eicher Weg“ (führt zur Latène B-Siedlung38) als helle geradlinige und im schrägen Winkel aufeinander zulaufende Streifen gut zu erkennen. Im Zwickel zwischen den beiden Wegen erstreckt sich entlang den Traktorspuren die heute unsichtbare Fundackerparzelle 1723, und auf ihr gibt es eine einzige und immer dieselbe auffällige Stelle: die Grabstelle (Pfeile). Von dort stammen alle Funde und auf ihr konvergieren alle grabortbezogenen Zeitzeugenaussagen. 3.1 Die Grabstelle im Zentrum der Quellen Abb. 14.1 Aufnahme 5.7.02. Im Frühsommer 2002 zeigte die Grabstelle ihre typische Form: Eine größere helle Fläche mit Innenstruktur (Pfeil), daneben östlich eine kleinere helle Fläche und westlich ein bis zwei kleinere helle Flächen, alle entlang der schlanken Fundackerparzelle angeordnet. Diese einzigen Auffälligkeiten auf der Parzelle müssen die Spuren von Grab und Grabung sein. Von der oberen zur linken Bildmitte verläuft die Spur des früheren Eicher Wegs, von der Bildmitte nach unten die Spur des ehemaligen Erbacher Wegs. Abb. 14.2 Im linken Bild wurde eine Flurkarte des 19. Jahrhunderts transparent dem Luftbild überlagert, die Fundackerparzelle ist rot nachgezogen. Ebenso sind die von den Zeitzeugen zur Lokalisierung der Grabstelle angegebenen Bezugspunkte und Wege gekennzeichnet. Die historischen Verkehrswege Erbacher Weg und Eicher Weg bilden ein schräg auf dem Kopf stehendes „Y“, welches mit seinen zwei Schenkeln in gleichen Abständen die Grabstelle flankiert. Diese symmetrische Einbindung der Grabstelle ist sicherlich kein Zufall! 37 WEERTH, Grabfund S. 8, Fußnote 4: „ ... vermuthe ich in dem ... Erbacher Wege, der sich als Feldweg durch eine ungewöhnliche Breite und gerade Richtung auszeichnet, ein Stück der Römerstraße. Er liegt südlich und dicht hinter dem Waldalgesheimer Grabmal ...“ 38 JOACHIM, Waldalgesheim S. 36, dort Abb. 15, dort Fundstelle Nr. 2 25 3.2 Vom Luftbild zur Grabkammer? Es ergibt sich die Frage, ob das Luftbild noch die Strukturen erkennen lässt, welche eine seit langem von Pflug und Ausgrabungen heimgesuchte Grabkammer abbilden. Abb. 15.1 Aufnahme 30.6.02 Bei den Analog-Aufnahmen vom Frühsommer 2002 zeigte die auffällige Fläche auf der Fundackerparzelle in ihrer Mitte deutliche, rechtwinklig zueinander und schräg zur Pflügerichtung angeordnete positive Bewuchsmerkmale. Die Auflösungsleistung von Analog-Kamera und Scanner waren hier so gut, dass eine weitere Vergrößerung dieser Fläche vorgenommen wurde, um die Innenstruktur ggf. deuten zu können. Abb. 15.2. Aus Abb. 15.1 wurde der Bereich der hellen Fläche (Pfeil) kontrastiert und vergrößert. Ihre innere Struktur ließ sich danach zu einem Grabkammer-ähnlichen Quadrat mit 2 bis 3 m Seitenlänge ergänzen. Die (nachgezeichnete) Spur fußt auf Bewuchsänderungen, die ihre Ursachen in quadratisch angeordneten chemisch/physikalischen Bodenveränderungen haben müssen, wie sie z.B. eine verwitterte Grabkammerwandung hinterlassen haben könnte. Abb. 15.3 Aufnahme 14.6.04 In Blickrichtung Nord zeigen sich auf dieser Aufnahme vom Juni 2004 wiederum Grab und Grabung mit den 3 bis 4 aufgehellten Flächen, die entlang der parallel zu den Traktorspuren verlaufenden Fundackerparzelle angeordnet sind. Die große helle Fläche (Pfeil) zeigte 2004 und 2005 in ihrer Mitte am gleichen Ort und gleich orientiert wie auf Abb. 15.2 ein dunkles, diagonal liegendes Quadrat, welches damit wiederum der Schatten der ehemaligen Grabkammer sein kann. Im Bereich der hellen Flächen (mit teils dunklen Innenflecken) konvergieren alle Zeitzeugenaussagen, sie liegen auf dem Fundacker, von dort stammen alle Neufunde. Insofern muss dort auch die Fürstengrabkammer gewesen sein, und entsprechende Bewuchsmerkmale können sie belegen. Weiteres dazu in Kapitel 5.2. 26 3.3 Die Zuverlässigkeit der Luftbildaussagen Nachfolgend werden 2 Luftaufnahmen aus unterschiedlichen Jahren einander gegenübergestellt. Auf beiden Bildern sind die ehemaligen Wege: „Eicher Weg“ und „Erbacher Weg“ wieder als Bewuchsmerkmale abgebildet, ferner tritt die Grabstelle erneut mit den 3 aufgehellten Flächen und jeweils innen liegenden Abdunkelungen zu Tage. Eine grabungsanaloge Schichtabtragung (Abb. 16.2) gestattete erstmals den Vergleich zwischen Luftbild und Grabung betr. Sichtbarmachung archäologischer Spuren in diesem Gebiet. Abb. 16.1 Im Trockenjahr 2003 konnte die Luftprospektion auch die (mit dünnen Punkten markierte) schwache Bewuchslinie eines möglichen Kreisgrabens ans Tageslicht bringen39. Äußerst prägnant hat das Luftbild auch den ehemaligen Erbacher Weg (Römerstraße) bis in kleinste Details seiner seitlichen Gräben aus der Vergangenheit zurückgeholt. Abb. 16.2 Aufnahme 26.6.05. Im Juni 2005 wurde über die ehemalige Trasse des Erbacher Wegs hinweg die Humusschicht analog zu einer Grabung abgetragen, um eine feste Fahrfläche zur Installation eines Strommasts zu schaffen. Dort ist allerdings vom ehemaligen Erbacher Weg dann überhaupt nichts mehr zu sehen, und ein Landesarchäologe könnte, etwa beim Strommast stehend, vor der Presse leicht behaupten: „Hier ist kein Erbacher Weg, nichts dergleichen“ (siehe analoge Fürstengrabnegierung Seite 36). Vergleicht man jedoch mit Abb. 16.1, so ist augenscheinlich belegt, dass die Luftbildarchäologie hier weit zuverlässiger ist. Sie kann folglich bei diesen Geländeverhältnissen auch die Spur eines Grabs aufdecken, von dem man nach einem GrabungsSuchschnitt mittels Schichtabtragung nichts sieht! (Näheres hierzu in Kap. 5.2) 39 Keltengräber sind häufig von Steinkreisen und/oder Kreisgräben umgeben. Sie auch SCHÖNHERR, Luftprospektion, S. 15ff. 27 4. Die Magnetometer-Prospektion vom 15.9.2005 Vor einer Grabung auf freiem Feld nutzt heute die archäologische Fachwelt neben der Luftbildarchäologie die vergleichsweise preiswerte Magnetometer-Prospektion („Geomagnetfeldmethode“), namentlich dann, wenn das, was man sucht, nicht genau bekannt ist. Vom „Waldalgesheimer Fürstengrab“ kennt man bislang ja nur das, was drin war. Man weiß jedoch nicht, was heute von diesem Grab im Boden ist und wo es genau liegt. Die Magnetometer-Prospektion misst das durch Bodeneingriffe (z.B. eine humos verfüllte Eingrabung) veränderte irdische Geomagnetfeld wie eine vieltausendfach verstärkte Kompassabweichung und stellt dies in einer Magnetfeld-Karte bildlich dar: einem „Magnetogramm“. Das Verfahren entspricht der Vorgehensweise in der Operationsmedizin: Aus Durchleuchten, z.B. Röntgen, und danach gezieltem Operieren wird in der Archäologie geomagnetisches Durchleuchten und danach gezieltes Graben. Dr. Rupprecht, Archäologische Denkmalpflege Mainz, hat dieses dem Landesamt schon 1999 gesponsert angebotene Verfahren abgelehnt und auch 2005 für seine angekündigte Suchgrabung nicht vorgesehen. Der Verfasser hat deshalb auf eigene Kosten das ganze in Frage kommende Gelände von der Fa. Posselt & Zickgraf GbR am 15.9.2005 mit der Magnetometer-Methode untersuchen lassen40. Die Firma ist mit ihren Glauberg-Untersuchungen und –Entdekkungen weltbekannt geworden. Zur Vorbereitung wurde das Gelände zwischen ehemaligem Eicher Weg und Ersatzstraße (heute Waldstraße) per Maßband eingeteilt und durch Pfosten (Rote Punkte) markiert (Abb. 17). Auf dem herbstlichen Stoppelfeld sind allerdings keine archäologische Spuren zu sehen, solche treten hier nur im Frühsommer deutlich auf! Abb. 17: Das relative Koordinatensystem zur geomagnetischen Untersuchung sowie zur Grabungsplanung41. Die x-Achse verläuft ungefähr entlang der ehemaligen 5 m breiten und 150 m langen Fundackerparzelle Nr. 1723 (siehe z.B. Abb. 14.2) und parallel zur nördlich vorbeiführenden Ersatzstraße (Waldstraße) (Foto vom 15.9.05) Der absolute Koordinatenursprung wurde im Geobasissystem gemäß TK25 und Landesamt für Vermessung Koblenz näherungsweise ermittelt zu: r3416080 h5536070, Stand 10.6.200642 40 41 42 POSSELT, Prospektion Aufgrund der Luftbildergebnisse wurde ab 2005 der Koordinatenursprung gegenüber 1999 (Abb.6) etwas verändert, er liegt jetzt (ab einschließlich Abb. 17) um 4 m weiter in x-Richtung und ca. 1 m weiter in y-Richtung. Posselt, Prospektionen: dort S. 3 sowie Abb. 1 28 Abb. 18 Das ca. 7300 m² umfassende Magnetogramm vom 15.9.05, einprojiziert in eine SenkrechtLuftaufnahme des Verfassers vom 13.9.05. Die x-Achse kennzeichnet den ungefähren Verlauf der Fundackerparzelle Nr. 1723. Der Nullpunkt des Achsenkreuzes befindet sich an der nominalen Grabstelle, und das ist ungefähr in der Mitte der relevanten Störungen. Das Magnetogramm umfasst in x-Richtung +70 m und -80 m; in y-Richtung +30 m und -20 m, zusammen also 150 x 50 m, entsprechend 7500 m² mit einer Aussparung im 4. Quadranten. 29 Es geht hier um die „Grabstelle“. In dem von den Zeitzeugen angegebenen Grabortbereich hatte Heckert nur einen einzigen Acker: die ca. 150 x 5 m große und damit ca. 750 m² umfassende Parzelle Nr. 1723, resp. 377 (siehe Abb. 14.2), und Heckert hatte das Grab ja auf seinem eigenen Acker gefunden, vgl. Anmerkung 9. Gemäß weiteren schriftlichen Zeugenaussagen befindet sich die Grabstelle nicht an den Enden der langen Parzelle, sondern mittig43: Das Grab war hinter dem Windrad und dicht hinter den westlich gelegenen letzten Häusern, wie wir in Kapitel 1 gesehen haben. Noch engere Eingrenzungen gestatteten die Streufunde, siehe Kapitel 2. Nach der Luftprospektion, welche durch charakteristische Bewuchsmerkmale die weitere Eingrenzung der Grabstelle bestätigt hat, kommt der Blick unter die Erdoberfläche mit der Magnetometer-Prospektion in Frage, wonach entsprechend dem gewonnenen Magnetogramm gezielt gesucht werden kann. Aber was suchen wir und was kann erwartet werden? Bei „Fürstengrab“ denkt der Laie an geheimnisvolle Grabkammern tief unter der Erde voll Silber und Gold. Tatsächlich ist das Waldalgesheimer Fürstengrab schon immer unauffällig gewesen und hat nicht von ungefähr zwei Jahrtausende ohne Beraubung überstanden, und das noch ganz nah an einer der wichtigsten kelten- und römerzeitlichen Ost-West-Verbindungen nördlich der Alpen (Ausoniusstraße). So nah am Erbacher Weg gelegen, wie es die Zeitzeugen beschreiben, müssen ununterbrochen Menschen, auch Eroberer und Räuberbanden, direkt am Grab vorbeigezogen sein. Die Grabstelle kann nicht reich ausgesehen haben und besaß wahrscheinlich nur eine moderate Überhügelung, die später vielleicht ein hässlicher Steinhaufen - der einstige Grabkammerschutz - dominierte, der niemanden anlockte. Auch bald nach der Ausgrabung war auf dem „durch nichts ausgezeichneten flachen Acker“44 nichts mehr zu sehen, und wenig später war die Grabstelle allgemein vergessen, außer in der Familie des Grabfinders Heckert und deren Nachfahren. Das Vergessen infolge Fehlens auffälliger Spuren ist ein Hinweis darauf, dass das Grab nicht weit unter die Erdoberfläche eingetieft gewesen sein konnte. Entsprechend wurden die Grabungen von den Zeitzeugen auch als jeweils kurze Angelegenheit beschrieben. Es müssen also auch nach den Grabungen von 1869/70 nur gering mit Humus verfüllbare Eintiefungen verblieben sein, so dass die von der Grabstelle herrührenden Boden- und Bewuchsmerkmale schwach und zunächst unauffällig blieben. So verbarg sich die Grabstätte auch noch lange der Luftprospektion, bis es dem Verfasser schließlich über mehrjährige Befliegungen doch gelang, im Bereich des Fundackers einschlägige Bewuchsmerkmale an immer derselben Stelle zigmal aufzunehmen45, siehe z.B. Abb. 14 bis 16. Es war genau die Stelle, wo zuvor die Neufunde gemacht 43 Vgl. SCHÖNHERR, Beweise S. 4 - 7 44 COHAUSEN, Grabhügel, S. 333 45 SCHÖNHERR, Luftprospektion, S. 12 30 wurden, wo die Zeitzeugenaussagen konvergieren und wo jetzt auch die MagnetometerProspektion eine Konzentrierung eher schwacher, aber dennoch signifikanter Auffälligkeiten festgestellt hat. Diese müssen vom Grab einschließlich seiner Peripherie und von den Ausgrabungen stammen. Was ist „die“ Grabstelle beim Fürstengrab? Ist es der Bereich des ehemaligen Grabhügels? Ist es die ehemalige Grabkammer, die aber vielleicht von den Ausgräbern oder vom Pflug oder vom Zahn der Zeit in ihre Bestandteile zerbröselt wurde und als solche nicht mehr existiert? Welches Grab kommt in Frage, wenn, wie in der Frühlatènezeit nicht unüblich, im selben Fürstengrabdereich mehrere Gräber waren? Bestand überhaupt ein Grabhügel und gab es überhaupt eine hölzerne46 Grabkammer? Wie lag die (der) Bestattete oder gab es gar keine Leiche, weil eine Brandbestattung mit nur schwer zu findendem Leichenbrand vorlag? Letztlich bestätigen solche Fragen die neuere wissenschaftliche Erkenntnis, dass die Grabkammer allein nie das einzige Forschungsziel sein darf, es ist das nähere Umfeld genau so wichtig. Nach 7 Jahren regelmäßiger Befliegung mit weit über 1000 Luftaufnahmen kann man bereits eine übergeordnete Eingrenzung vornehmen: Bewuchsauffälligkeiten konzentrieren sich im Bereich der Parzelle 1723 auf eine Fläche von ca. 10 x 20 m47, äußerstenfalls 15 x 40 m (Abb. 14 bis 16). Es ist dies genau die Zone, von der die Funde stammen und an der alle Zeugenaussagen konvergieren (Abb. 6 und 28). Diesen Bereich hat auch ganz unabhängig die Magnetometer-Prospektion jetzt als archäologisch relevant enthüllt 48 . Es ist naturgemäß nicht möglich, mit absoluter Sicherheit auseinanderzudividieren, welche der auf kleiner Fläche konzentrierten und nur wenige Meter auseinander liegenden Auffälligkeiten die Fürstengrabkammer kennzeichnen und welche einer Sekundärbestattung oder Nachgrabung zuzuordnen wären. Es ist also der ganze auffällige Bereich von 10 x 20 m (mit Reserven 15 x 40 m) als „Grabstelle“ zu bezeichnen. Die nachfolgend dargestellten Magnetogramme sind mit ihren Koordinaten alle gemäß den Angaben in Abb. 17 ausgerichtet. Die Lage im Gelände ergibt sich aus Abb. 18 oder dem Titelbild dieser Abhandlung. In der Auswertung der Fa. Posselt & Zickgraf wird das 7300 m² umfassende Magnetogramm in 6 verschiedenen Empfindlichkeitsstufen dargestellt, hier wird auf die Stufe 5 zurückgegriffen, weil sie die archäologisch relevanten Stellen am besten wiedergibt. Die Ziffern am linken und am unteren Bildrand geben die Koordinatenabstände in m vom Nullpunkt an. Der „Geomagnetfeld-Teppich“ hat also eine Ausdehnung von 150 x 50 m, wobei die x-Achse ungefähr entlang der 5 m breiten Fundackerparzelle Nr. 1723 verläuft. 46 Weerth, Grabfund S. 12 “…im oberen Grabe lagen die Goldringe…auf Resten einer Holzunterlage umher”. Aus dieser Prof. Aus’m Weerth mitgeteilten Sekundärinformation und weiteren Hinweisen wird in der Fachwelt wohl zurecht auf das Vorhandensein der Fürstengrab-üblichen hölzernen Grabkammer geschlossen. 47 SCHÖNHERR, Luftprospektion S. 10-17 48 POSSELT, Prospektion S. 10, 11 31 Abb. 19 Das zur Weiterbearbeitung ausgewählte Magnetogramm Nr. 5, Graustufe A49 Das Magnetogramm „5 A“ ist hier einmal ohne Einträge (ganz oben) und einmal mit Nachzeichnung und Beschriftung relevanter Merkmale (oben) dargestellt. Man erkennt (wie im Luftbild) links unten und rechts jeweils die Spuren der heute nicht mehr vorhandenen historischen Wege „Erbacher Weg“ und „Eicher Weg“, die in den Fünfzigerjahren anlässlich der Flurbereinigung entfernt und nivelliert worden waren. In der Mitte sind die Fürstengrab-relevanten Störungen Nr. 1 – 4 eingetragen, die sich ja in Reichweite der Fundackerparzelle Nr. 1723 befinden müssen, und diese lief ungefähr entlang der x-Achse und endete rechts am Eicher Weg. Da sich die relevanten archäologischen Störungen um den Koordinatennullpunkt konzentrieren, wird nachfolgend nur dieser Bereich abgehandelt, und zwar in einem Ausschnitt von ± 40 m in der x-Achse, die Ausdehnung in der y-Achse bleibt unverändert bei +30 m und -20 m. 49 POSSELT, Prospektion Abb. 3, 4, 5 32 Abb. 20 Posselt schreibt zu den Störungen um das Koordinatenzentrum:50 „ ... [Dort] liegt eine 5m mal 5m große quadratische Anomalie[2], die zwar schwach, aber eindeutig begrenzt ist. Sie wird an ihrem nordöstlichen Rand von einem amorph rundlichen, rund 10 m am größten Durchmesser messenden Bereich aus kleinteiligem stärker magnetischem Material überdeckt [1]. Am nordöstlichen Ende der beschriebenen Zone liegt eine Gruppe eng beieinander liegender Anomalien [4], die sich problemlos mit typischen archäologischen Befunden ... erklären lassen“. Die Einzeichnungen und Bezifferungen stammen vom Verfasser. Es wurde der von Posselt nicht angesprochene Bereich 3 mit hereingenommen, da er sowohl auf dem Magnetogramm als auch auf den Luftbildern auffällt. Die Nr. 1 tritt nur auf Luftbildern deutlich in Erscheinung. Der ehemalige „Eicher Weg“ ist im Magnetogramm kaum zu sehen51, hingegen bestens auf den Luftbildern, siehe z.B. nachfolgende Abb. 21. Dies dokumentiert die partielle Überlegenheit der Luftbilder in der Aufdeckung archäologischer Spuren auch gegenüber der Magnetik. 50 51 POSSELT, Prospektion S. 11 POSSELT, Prospektionen S. 10 “ Demgegenüber ist der Eicher Weg nahe des nordöstlichen Bildrandes als verfüllter Hohlweg relativ schwach in den Messungen zu erkennen, während er im Luftbild als deutliche, scharf begrenzte Spur zu sehen ist.“ 33 Die Bewuchsmerkmale auf dem entzerrten Luftbild (Aufnahme 29.6.2005) zeigen eine deutliche Übereinstimmung, aber auch Ergänzungen zum Magnetogramm (vorige Seiten). Auffällig sind im Luftbild über ein Dutzend dunkler Flecken, vor allem rechts im Bild. Diese rühren von Strohpaketen her, die ab Mitte 2004 dort für längere Zeit lagerten. Offensichtlich sind bei deren Verrottung Kompostierungsprodukte in den darunter liegenden Boden eingesickert und haben dort im nächsten Jahr zu verbesserten Wachstumsbedingungen für das Getreide geführt. Das Magnetogramm konnte dies nicht abbilden, es hat auch das dunkle Quadrat 1, welches als Grabkammerspur in Frage kommt, praktisch nicht verzeichnet. Merkmal 1 ist aber auch auf früheren Luftbildern vorhanden52 (siehe auch Abb. 14 – 16), wovon die spätere Grabung 2005 nichts gesehen hat: Schwache archäologische Spuren kann offensichtlich nur das Luftbild über den Pflanzenwuchs sichtbar machen – wie Lackmuspapier, siehe auch Abb. 16.1. Das Grab könnte also an der Stelle 1 oberhalb des gewachsenen Bodens aufgelegen haben und dort gemäß seiner Rechteckform mit seinen Zerfallsprodukten eine veränderte Bodechemie hergestellt haben, welche nur das Luftbild über das dort veränderte Pflanzenwachstum entdecken konnte. Das markante Quadrat Nr. 2 wurde auf dem Magnetogramm entdeckt und konnte hernach auch auf den früheren Luftbildern aus 2005 nachvollzogen werden, siehe obige Abb. 21. 52 SCHÖNHERR, Luftprospektion S. 11, S. 14-17 34 Abb. 22 In das Magnetogramm mit den archäologisch auffälligen Stellen sind hier die früher gemachten relevanten Funde eingeblendet, siehe auch Kapitel 2. Die Pflugfurchenrichtung verläuft in diesem Gebiet stets in Richtung der horizontalen Achse. Es fällt die Streuung der Funde entlang dieser Achse durch Verschleppung von Pflug und Egge auf, ebenso das Zusammenfallen ihres Maximums inmitten der archäologisch relevanten Störungen im Umfeld der Grabstelle. Zusammenfassendes zur Geomagnetik-Untersuchung Die Geomagnetik hat im Konvergenzbereich der Zeitzeugenaussagen und am gleichzeitig dort befindlichen Fundmaximum archäologisch vielversprechende Strukturen festgestellt. Neu entdeckt wurde ein schräg zu den Ackerfurchen angeordnetes Quadrat (2) von knapp 4,5 m Seitenlänge. Das im Luftbild besonders ausgeprägte dick gepunktet eingezeichnete Rechteck/Quadrat (1) konnte im Magnetogramm nicht erkannt werden. Die Stellen (3) und (4) treten in beiden Prospektionsverfahren gut sichtbar zutage wie auch auf den Luftbildern Abb. 14 - 16. Da die parallel zur Horizontalachse verlaufende 5 m breite ehemalige Fundackerparzelle nicht vom Geometer eingemessen worden war, steht betr. ihre Lage in y-Richtung eine Unsicherheit von ca. ± 2,5 m an, so dass auf dem hiermit 10 m breiten möglichen Fundackerstreifen alle 4 Auffälligkeiten als Grabkammerstelle(n) in Frage kommen. So kann es z.B. sein, dass (1) die Fürstengrabkammer (siehe auch Abb. 15.2, sowie Abb. 21) kennzeichnet und (2) ein Nebengrab, es ist auch das Umgekehrte denkbar. Es ist auch dieselbe Relevanz der Stellen (3) und (4) möglich, genauso wie das Vorhandensein von Grabungsspuren bei allen Stellen. 35 5. Kritik an den Arbeiten der archäologischen Denkmalpflege 5.1 Grabungstätigkeit 2005 Zwischen 26. September und 10. Oktober 2005 fand eine Sondierungs-Grabung der archäologischen Denkmalpflege Mainz statt. In diesem Zusammenhang sind die „Probleme“ der Landesarchäologie mit dem Grabort leider nochmals deutlich zu Tage getreten. Es ist nun mal eine Tatsache, dass unter Beteiligung des Landesamts für archäologische Denkmalpflege (Dr. Rupprecht, Dr. Zylmann) und Kurt Hochgesand der Öffentlichkeit in Unkenntnis der Cohausen-Angabe jahrzehntelang ein falscher Grabort genannt wurde, siehe Seite 6. Darf man aus diesem Kreis ein Engagement für den wahren, allen Zeitzeugnissen und Funden entsprechenden Grabort erwarten?53 Die potentielle Gegnerschaft hat sich nicht reduziert, seit gemäß den Bebauungsbeschlüssen am Grabort Baulandgewinne winken, die entsprechend einer Aussparung der Grabstellenfläche sinken würden. Weil der Landesarchäologe das dortige Fürstengrab pauschal negiert, besitzt Bürgermeister Dr. Hanke ein bequemes Alibi für den lukrativen Überbauungsplan ohne Aussparung der Grabstelle. Mit der jetzigen Bestätigung des neu gefundenen Graborts müssten Fehler und Versäumnisse eingestanden werden, was den Verantwortlichen unmöglich erscheinen mag, schon der rechtlichen und finanziellen Folgen wegen. Konsequenterweise wird auch eine Grabung durch unbefangene Dritte ausgeschlossen. So hatte der Verfasser in der Sitzung des Gemeinderats Waldalgesheim vom 10.8.2005 in Anwesenheit des Landesarchäologen ein mögliches Angebot des Mainzer Ordinarius für Vor- und Frühgeschichte Prof. Dr. C. Pare angesprochen, welcher eine mit adäquatem Aufwand zu erfolgende, ca. halbjährige Grabungskampagne seines Instituts am wahrscheinlichen Fürstengrabort ab Frühjahr 2006 in Aussicht gestellt hatte. Eigentlich die beste Lösung für alle Seiten und im wesentlichen kostenlos für Landesamt und Gemeinde sie wurde von Dr. Rupprecht abgelehnt. Der Verfasser ist der Ansicht, dass von vorneherein schon klar war, was bei der Grabung herauskommen sollte, nämlich „Nichts“, und hatte dies auch geäußert. 54 Auf den 2 nachfolgenden Seiten ist das der Presse dann entsprechend verkündete Grabungsergebnis abgedruckt. Jedoch Ironie des Schicksals: Der als „ernüchternd“ bezeichnete Fund einer „handgemachten Urne“ ist ganz im Gegensatz zur dort kolportierten Meinung eben gerade ein schlagender Beleg für das Fürstengrab! Siehe dazu Kapitel 6. 53 Heimatforscher Kurt Hochgesand bekennt sich mittlerweile zu dem vom Verfasser gefundenen Grabacker, vgl. Seite 7 und Anmerkung 12 54 Im Brief an Dr. Rupprecht vom 2.3.2005, 7 Monate vor der Grabung 36 37 38 Abb. 23.1 Die Grabungsfläche, die der Landesarchäologe festgelegt hatte, bestand aus einem 10 x 10 m großen Quadrat mit dem Mittelpunkt an dem vom Verfasser im Gelände markierten Koordinatenursprung, der identisch mit dem Nullpunkt auf den Magnetogrammen ist. Die maximale Grabungstiefe war 20 bis 30 cm mit einigen zusätzlichen Vertiefungen. Basis der 3 Abbildungen ist eine VertikalLuftaufnahme des Verfassers vom 11.10 05 nach Abschluss der Grabung. Auf den Fotos ist zufällig auch Heimatforscher Kurt Hochgesand mit einem Maßband zu Gange, welches von oben nach unten durch die Grabungsmitte gelegt ist. Abb. 23.2 Die Grabungsgrenze zeigt, wie die archäologisch ebenfalls relevanten Stellen 2, 3 und 4 von der Grabung ausgeklammert worden waren. Auf meine Frage, wann denn das Grabkammer-relevante Quadrat (2) untersucht werde, erklärte Grabungsleiter Dr. Klingenberg, dass der Landesarchäologe dessen Angrabung untersagt habe. Die Grabungsaktion wurde danach beendet. Abb. 23.3 Eingeblendet sind die relevanten Funde, die der Verfasser 1999 bis 2001 aufgelesen hatte, das meiste davon Metallfunde. (Der Neuzeit sicher zugehörige Funde sind nicht dargestellt) Die bunt umrandeten Fundkreise 1, 2, 5, 13, 15, 24 kennzeichnen die mit größter Wahrscheinlichkeit zum Fürstengrab gehörigen Funde, sie wurden in Kapitel 2 teilweise schon angesprochen. Das Landesamt konnte bei seiner Grabung keine relevanten Metallfunde vorweisen. Es hatte zur Suche nur das ungeeignete Metallsuchgerät „CS 220“ bereitgestellt und die früheren Funde des Verfassers anlässlich der Negierung des Fürstengrabs beim Pressetermin verschwiegen. 39 Abb. 24: Auf der Suche nach Fürstengrab-Funden mit „Spielzeug“-Detektor CS 220 Der laut Werbung für „Young people, beach use und holydays“ oder als „Aktiv-Spielzeug“ angebotene Metalldetektor zeigte bei dem vom Verfasser hierzu mitgebrachten und auf den Boden gelegten Fibelfund (Kapitel 2.2) vor Zeugen ca. 1 cm Ansprech-Reichweite. Die beim Pressetermin vom 14.10.05 geäußerte Ansicht des Landesarchäologen, wegen der Abgrabung Schicht für Schicht reiche das Billigst-Gerät mit einer Niedrigst-Reichweite aus, wäre bei 1 cm Schichtdicken nachvollziehbar gewesen, tatsächlich waren die jeweils abgegrabenen Erdschichten mindestens 10 cm stark, siehe letztes Grabungsfoto in obiger Abb. 24. Im Gegensatz zu den vom Regen freigewaschenen Oberflächenfunden des Verfassers sind Metallfunde bei der Grabung in diesem Gebiet ohnehin in lehmiger Erde eingepackt, rostbraun und für das Auge nahezu unsichtbar. Es war somit von vornherein zu erwarten, dass mit dem Spielzeuggerät und den ausgeführten Abgrabungs-Schichtdicken kaum eine Chance auf relevante Metallfunde bestand! 40 5.2 Bewertung der „Grabung“ Abb. 25: Zur Entstehung des verkündeten Grabungsergebnisses. Dort wo die Luftaufnahmen (z.B. Abb. 15.2 und 21) die Auffälligkeit 1 abbilden, stellt das Magnetogramm, welches in den gewachsenen Boden55 hinein sieht, innerhalb der weißen Grabungsgrenze keine starken Spuren fest. Das ist auch nicht verwunderlich, wenn, wie häufig, das Fürstengrab oberhalb des gewachsenen Bodens angelegt war und somit dort heute keine signifikanten Magnetfeldstörungen auftreten. Bei Abb. 20 ist ohnehin belegt worden, dass das Magnetogramm bestehende archäologische Sachverhalte teils nicht abbildet. Im Übrigen ist gemäß Abb. 16.1 und 16.2 schon nachgewiesen, dass das Abtragen von Humusschichten, wie hier bei der 2005er Grabung geschehen, die vorhandenen und im Luftbild erkannten archäologischen Spuren auch vernichten anstatt sichtbar machen kann. Durch Verschweigen dieser Tatsachen sowie der schon vorliegenden relevanten Funde, durch Beschränkung der Grabung auf diese Stelle 1 (siehe Grabungsgrenze in Abb. 25) und durch Fehlinterpretierung des dennoch gelungenen Urnenfundes ließ sich beim Ortstermin am 14.10.05 den anwesenden Laien das Grabungsergebnis vormachen, „hier [sei] kein Fürstengrab, nichts dergleichen.“ Es folgt eine detaillierte Analyse. Wie tief steckte das Fürstengrab in der Erde? Die archäologisch relevante Stelle 1 hat im Magnetogramm (siehe Abb. 25) keine spezifische Spur hinterlassen, hingegen deutlich auf Luftbildern. In den Jahren 2002 und 2005 (Abb. 15.2, 15.3, 16.2, 21) war dort eine rechteckige Abzeichnung schräg zu den Ackerfurchen deutlich und in typischer Grabkammergröße und Form vorhanden. Die auf Luftbildern eingebrannten Spuren unterschiedlichen Pflanzenwachstums basieren auf physikalisch/chemischen Bodenveränderungen, in denen oder über denen die Pflanzen wurzeln. Die abgezeichneten archäologischen Spuren sind damit genauso relevant wie die im Magnetogramm oder bei der Grabung 55 Der „gewachsene Boden“ beginnt unterhalb der gemäß Abb. 27, 28 ca. 30 cm dicken Humusschicht, welche in der landwirtschaftlichen Praxis auf diesem Acker vom Pflug zu ca. ¾ erreicht und durchgemischt wird. 41 entdeckten Spuren. Bei nur schwachen oder nur chemisch vorhandenen Spuren kann die Luftbildarchäologie mit dem verstärkenden Pflanzenwachstums-Indikator weit besser sein als der Blick mit bloßem Auge auf den staubigen Boden nach einer Schichtabtragung , wo man bisweilen gar nichts sieht, wie Abb. 16.2 belegt. Der Grabort an Stelle 1 war mit Hinweis auf ungestörten gewachsenen Boden negiert worden. Die AZ vom 18.10.05 (Seite 36) schreibt dazu: „Doch die Experten fanden an der Stelle nur gewachsenen Boden „wie die Natur ihn geschaffen hat“. Hier sei von Menschenhand niemals etwas bewegt worden. Eingriffe von Menschenhand hätte man nachweisen können, machte Rupprecht deutlich.“ Das Problem besteht nun aber darin, dass vom Landesarchäologen vorgegeben wird, das Fürstengrab müsse im gewachsenen Boden gesteckt haben, wozu dort einst von Menschenhand Boden habe bewegt werden müssen, etwa zum Herstellen einer Grube für die Grabanlage. Tatsächlich waren viele latènezeitliche Fürstengräber, zu denen auch das Waldalgesheim-Grab gehört, nicht oder nur wenig in die seinerzeitige Erdoberfläche eingetieft.56 Sie lagen also komplett oberhalb des heutigen gewachsene Bodens, der sich dann heute unberührt darstellen muss. Die nötige Erdschicht über der Grabkammer besorgte in diesen Fällen der obligatorische Grabhügel. Gibt es Belege, wie weit das Waldalgesheimer Grab eingetieft war? Der schon zitierte Bonner Prof. Ernst Aus’m Weerth hat am 7. November 1870, also etwa ein Jahr nach Grabentdeckung, selbst in Waldalgesheim gegraben, darüber geschrieben und noch einige wichtige Funde gemacht.57 Aus’m Weerth schreibt:58 „Die auf das Sorgsamste eingesammelten Nachrichten ergaben die Wahrscheinlichkeit der Anlage eines T u m u l u s und unter diesem eines D o p p e l g r a b e s. Der Annahme eines flachen Grabes widerstritt die allzuwenig mächtige Erdschicht über den Fundstücken; denn schon mit dem Pfluge war man wiederholt auf die Feldsteine gestoßen und noch über diesen, also kaum 1’ [kaum ein Fuß] unter der Erde, lag der Goldschmuck ... Unverkennbar war der Charakter des Doppelgrabes durch die vollständige Theilung der o b e r e n Fläche mit den Goldsachen von der die Bronzen bergenden unteren vermittelst einer ... Steinbettung und war von unregelmäßigen 1’ dicken Feldsteinen ohne Mörtel gebildet ... Die Anordnung der Gegenstände im unteren Grabe zeigt an einem Ende desselben die beiden Bronzegefäße aufrecht stehend ... “ Aus’m Weerth, der die ursprüngliche Grabung nicht mitgemacht hat, aber mit dem Grabfinder und ersten Ausgräber Heckert auf gutem Fuße stand59, hat sich die Fundlagen berichten lassen 56 ECHT, Reinheim S. 138: „Es gibt offenbar neben halb eingetieften ... auch ebenerdige Holzkammern ... ebenso wie vollständig unter die Erdoberfläche versenkte Grabkammern“ 57 WEERTH, Grabfund S. 10 ff. 58 WEERTH, Grabfund, S. 12 ff. 59 Prof. Aus’m Weerth hat von Heckert die Grabfunde über einen Zwischenhändler für das Museum Bonn erworben 42 und favorisierte ein Doppelgrab. Es ist hier nicht der Platz, auf diese gewagte Theorie näher einzugehen, sondern die maximale Grabeintiefung zu ermitteln. Weerth hat ja als Ausgräber die gesamte Eintiefungshöhe vor sich gehabt und seine Doppelgrabtheorie daran ausrichten müssen. Aus’m Weerth sagt: „über den Steinen, also kaum 1’ unter der Erde lag der Golschmuck ... “ 1’ oder 1 Fuß sind etwa 30 cm, kaum 1 Fuß sind ca. 20 cm, was auch gut dazu passt, dass man mit dem Pflug wiederholt auf diese Steine gestoßen war. Es beginnen also 20 cm unter der Erde Steine. Es ist eine „Steinbettung, gebildet von 1’ dicken Feldsteinen“. Feldsteine liegen in der Regel nicht mit ihrer maximalen Abmessung hochkant sondern flach. Dann haben wir ungefähr eine 20 cm dicke Steinschicht, „Steinpflaster“ bei Weerth in seiner Fußnote 3 genannt. Unter diesem Steinpflaster lagen die Bronzen. Heute geht die Fachwelt mit gutem Recht davon aus, dass das „Steinpflaster“ der Rest der beim Grabkammereinbruch herabgestürzten Steinpackung war, mit welcher die Kammer vor Aufschüttung des Grabhügels, wie häufig bei Fürstengräbern, eingedeckt worden war. Die aufrecht stehend gefundene ca. 30 cm hohe Röhrenkanne stand „am Ende der Grabes“, also an der Grabkammerwandung. Es besteht kein Anlass, sie wegen der nahezu unbeschädigten Auffindung nochmals ein Stockwerk tiefer als die „Bronzen“ eingegraben und geschützt anzunehmen, denn sie war schon geschützt: Mit Steinen bedeckte Holzgrabkammern brechen aus statischen Gründen zuerst in der Mitte ein, so dass Gegenstände an der Kammerwand noch lange erst durch das verbliebene Holzdachfragment und später durch ggf. einfließenden Ton60 geschützt bleiben können, so auch hier, wo die besterhaltene aller Röhrenkannen herstammt. Abb. 26 Oben: Beispiel eines keltischen Grabhügels mit auf der Erdoberfläche aufliegender Grabkammer.61 Rechts: Beispiel für eine nur in der Mitte eingebrochene Grabkammerdecke62 60 WEERTH, Grabfund S. 18: „Die, neben dem durch Regen und Wässer in die Kanne gelangten Thon, in derselben aufgefundene brennbare, erdige Materie ist ...“ 61 RIEKHOFF, Die Kelten in Deutschland, Theiss 2001 S. 178 62 BAITINGER, Die Ahnen der Glauberger (2002) S. 21 in „Das Rätsel der Kelten“ Theiss Verlag Stuttgart 43 Fassen wir also zusammen: 20 cm unter der 1870er Erdoberfläche beginnen Steine mit einer Schichtdicke von 20 cm. Darunter befinden sich die tiefstliegenden Funde, und da muss der Kammerboden sein, wo sie abgestellt waren: Joch, Halsring, die Bronzen, Beinringe, Zierbleche, Zierringe, Anhänger und eiserne Radreifenreste. Geben wir diesen Teilen noch eine von eingeflossener Erde gebildete Schichtdicke von 10 cm, so kommen wir auf eine Eintiefung des Grabkammerbodens unter die 1870er Erdoberfläche von 20 cm + 20 cm + 10 cm = 50 cm. Nachdem der gewachsene Boden an der Grabungsstelle schon 30 bis 35 cm unter der Erdoberfläche beginnt, müsste die Grabkammer also 15 cm bzw. 20 cm in den heutigen gewachsenen Boden eingetieft gewesen sein. Aber das ist die falsche Rechnung, denn sie geht von der heutigen Erdoberfläche aus! Im Jahr 1870 war der Grabhügel noch nicht ganz abgetragen, es waren gut und gern noch 20 bis 30 cm davon, auf eine große Fläche unauffällig verteilt, vorhanden. So werden keltische Fürstengräber häufig aus der Luft oder vom pflügenden Bauern dann entdeckt, wenn die Abtragung des ursprünglichen Grabhügels ein gewisses Maß erreicht hat, aber noch nicht vollständig erfolgt ist, so geschehen z.B. am Glauberg63 oder in Hochdorf64. Wir dürfen also die Eintiefungsrechnung, bezogen auf die heutige Oberfläche, ohne weiteres mit einem Guthaben von 20 bis 30 cm anheben und kommen damit zur Lösung, dass der Kammerboden und damit der tiefste Punkt des Grabs 0 bis 15 cm oberhalb des heutigen gewachsenen Bodens lag, der damit ungestört bleiben konnte. Die Negierung des Fürstengrabes an Stelle 1 mit dem Hinweis auf angeblich „niemals von Menschenhand bewegten, gewachsenen Boden“ ist also nicht haltbar! Abb. 27 Der gewachsene Boden beginnt im NW-Quadranten 30 cm unter der heutigen Oberfläche 63 „Vom Hügelaufbau wurden nur noch Reste gefunden, die sich ... 0,7m über die keltische Oberfläche erhoben“ Herrmann, Fritz-Rudolf, “Der Glauberg ...“ S. 99, in “Das Rätsel der Kelten vom Glauberg”, Theiss 2002 64 “ ... die noch 1,5 m hohe Geländekuppe ... ” Biel Jörg, „der Keltenfürst von Hochdorf“, S. 7, Theiss 1985 44 Der Bericht von Aus’m Weerth lässt die vorgeführte Eintiefungsrechnung problemlos zu, so übrigens auch L. Lindenschmits Bericht65. Wir haben auch bei Lindenschmit die „Steine, welche den Feldbau hindernten“ (bei Aus’m Weerth stößt der Pflug dran), und gleich unter den Steinen die mit Knochen vergesellschafteten Funde, die auf Niveau des Grabkammerbodens liegen müssen, dessen Eintiefung sich damit gleich berechnen lässt wie oben bei Aus’m Weerth. Wie lassen sich die Bewuchsmerkmale an Stelle 1 erklären? Vorausgesetzt, dass an der Stelle 2200 Jahre lang ein mit Steinen bedecktes Grab mit viel organischer Substanz, wie oben skizziert, am Boden auflag: mit Holzboden, Holzkammer, Holzdecke, hölzernem Streitwagen und weiteres, dann sorgen Feuchtigkeit und Diffusion dafür, dass gelöste Kompostierungsprodukte nach unten wandern. Ferner bewirkt die schwere Steinpackung, dass alles unter ihr verpresst und am Austausch mit der Umgebung weitgehend gehindert wird. Nach der Ausgrabung sind die ehemaligen Schichten unter dem Grab gemäß quadratischer Grabgeometrie immer noch chemisch/physikalisch ein wenig verändert, im Grabungsstaub unsichtbar, jedoch sichtbar gemacht durch die sensiblen Wachstumsindikatoren des dort wachsenden Getreides. Ein anderer oder zusätzlicher Effekt kann darin liegen, dass die Ausgräber 1869/70 unter der ehemaligen Grabkammer ein paar cm tiefer und leicht in den gewachsenen Boden hinein gegraben haben, um zu sehen, ob da wirklich nichts mehr kommt. Nach Zuschütten gibt es dann dort bis heute eine etwas dickere Humusschicht, welche die Pflanzen durch besseres Wachstum honorieren. Abb. 28 mit gepunktet gekennzeichneter sich absenkender Humuskuhle lässt auch einen solchen Schluss zu. Abb. 28: Im NO-Quadranten reicht der Beginn des gewachsenen Bodens (gepunktet) bis 35 cm unter die heutige Oberfläche und bildete eine Kuhle. 65 LINDENSCHMIT, Waldalgesheim. Blatt 5: „So viel ist gewiss, dass derselbe [Der Eigenthümer des Feldes, welchem die Entdeckung glückte] beim Wegräumen von Steinen, welche den Feldbau hinderten, zunächst überrascht wurde durch die Auffindung großer T h i e r k n o c h e n, ... und aufgebracht darüber alles, was er neben und unter den Knochen fand ... so wenig beachtete, dass er nicht allein die für Kaffeekessel gehaltenen Bronzegefäße, sondern auch die blinkenden Goldringe auf dem Felde liegen ließ ... “ 45 Es ist also nach der Zeugenaussage des Ausgräbers Aus’m Weerth, nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten und nach den Funden ohne weiteres möglich und nicht unwahrscheinlich, dass das auf den Luftbildern gemäß Abb. 15, 16, 21 abgezeichnete dunklere Quadrat (Stelle Nr. 1) die Spur der Grabkammer des Waldalgesheimer Fürstengrabs ist. Man könnte aber auch den Bericht des Kreuznacher Pfarrers Huysen66 hinzuziehen oder die Meldung der Koblenzer Zeitung vom 22.10.186967 und käme dann auf größere Eintiefungen, die bis ca. 30 cm und mehr in den heutigen gewachsenen Boden hineinreichen müssten. Von keinem der Autoren dieser Berichte ist jedoch die persönliche Anwesenheit oder gar eine Tiefenmessung belegt. Man überschätzt auch leicht die Tiefe einer Grube, wenn die umgebende Aushuberde die optische Tiefe erhöht, und wenn es wie damals, wenige Tage nach dem Grabfund, natürlich auf die gehobenen Schätze und nicht auf genaueste Eintiefungsangaben ankam. Hingegen liefert Prof. Aus’m Weerth persönlich vor Ort aufgenommene detaillierte Fuß- und Zollangaben, welche zuverlässige Werte und die Verwendung eines Zollstocks sehr wahrscheinlich machen. Dennoch wollen wir die Möglichkeit eines etwas in den heutigen gewachsnen Boden eingetieften Fürstengrabs nicht vollständig ausschließen. Damit wären dann die im Magnetogramm auffälligen Stellen 2, 3 und 4 gefragt. Diese wurden aber von der archäologischen Denkmalpflege gar nicht angegraben, sondern ausgeklammert (siehe Abb. 23.2, 25, 29). Da sich an einer frühlatènezeitlichen Fürstengrabstelle selten nur ein einziges Grab befindet, kann es nun z.B. sein, dass die Stelle 1 die Fürstengrabkammer abbildet und Stelle 2 ein Sekundärgrab. Es ist auch das Umgekehrte denkbar. Es spielen auch die Spuren 3 und 4 in dem Puzzle mit sowie natürlich die Spuren der Ausgräber und Nachsucher. Ist es möglich und nötig, hier weiter aufzugliedern? Ich denke, eine unvoreingenommene, sorgfältige und länger dauernde Grabung unbefangener Personen mit entsprechender Vorbereitung, geeignetem Suchgerät und Durchschlämmen des ausgehobenen Bodens könnte weitere Aufschlüsse bringen. Auf jeden Fall befindet sich die Waldalgesheimer Grabstätte definitiv hier auf den 10 x 20 m entlang der Fundackerparzelle und um das Koordinatenzentrum herum (Abb. 17, 18, 30) - die Zeugenaussagen, die Funde, die Luftbilder und das Magnetogramm belegen es. Dieser Bereich wäre mindestens zu schützen, am besten 15 x 20 m , also 300 m², die Fläche eines halben Bauplatzes. Inmitten dieses Bereichs fanden sich bei der Sondierungsgrabung 2005 auch Urnenreste, über deren Bedeutung als weitere Schlüsselfunde das nachfolgende Kapitel berichtet. 66 Huysen in „Zehnter Bericht des antiquarisch-historischen Vereins für Nahe und Hunsücken“ S. 3, 1869, Kreuznach 67 SCHONHERR, Fürstengrab, dort Anlage 1 46 6. Urnenfragmente als weitere Schlüsselfunde In der Allgemeinen Zeitung Mainz-Bingen vom 18.10.2005 steht anlässlich der Grabungspressekonferenz von Dr. Rupprecht (siehe Seite 36): „Einzig Scherben einer Urne und Abfall aus den vergangenen 200 Jahren seien bei der Grabung gefunden worden.“ Zum selben Sachverhalt steht im Wochenblatt Bingen vom 20.10.2005 (siehe Seite 37): „Die Funde waren allerdings ernüchternd: Hausmüll der letzten 200 Jahre und Reste einer handgemachten Urne wurden in dem Areal entdeckt.“ Der Landesarchäologe verbindet also Reste einer handgemachten Urne mit Hausmüll der letzten 200 Jahre und die suggestive Wirkung ist klar: dort kann kein Fürstengrab sein, statt Gold, wie der Laie hoffen mag, ist dort Müll. Offensichtlich ist eine primitive handgemachte Urne kein standesgemäßes Behältnis für die Waldalgesheimer Fürstin. Das mag stimmen, und trotzdem ist dieser Urnenfund ein weiterer Schlüssel zum dortigen Fürstengrab! Wir lesen nämlich bei Aus’m Weerth, der selber ausgegraben hatte und ein Doppelgrab mit zwei Bestattungen übereinander favorisiert:68 „Die Anordnung der Gegenstände im unteren Grabe zeigte am einen Ende desselben die beiden Bronzegefässe aufrechtstehend ... und in der Mitte die größere Menge der Bronzefragmente ... und am anderen Ende den Wagenreif ... und die Ringe ... Auch hier fehlen die Spuren von Leichenbrand, da man dafür ein vereinzelt aufgefundenes Stück Holzkohle wohl kaum ansehen kann; daher ist für beide Gräber anzunehmen, dass das Todtenopfer auf einer anderen als der Begräbnisstätte stattfand. Ebenso wenig wurden Knochenreste entdeckt. Ein fast ¼” [¼ Zoll] dickes Fragment vom Rande einer äusserst primitiven, gebrannten schwarzen Urne welche in ihrer Beschaffenheit einen gewaltigen Abstand von den vollendet gearbeiteten Bronzegefässen gezeigt haben muss - lässt vermuthen, dass eine solche zur Aufnahme der Asche eines der beiden Verstorbenen diente.“ Prof. Aus’m Weerth hat also bei der Ausgrabung des Waldalgesheimer Fürstengrabs das Randstück einer äußerst primitiven schwarzen Urne gefunden. Dr. Rupprecht hat ebenfalls die Reste einer handgefertigten und so primitiven Urne gefunden, dass er sie in der Bedeutung für das Fürstengrab mit Hausmüll der letzten 200 Jahre in einen Topf wirft. Dr. Rupprechts Urnenscherben waren auch schwarz und entsprachen der von Aus’m Weerth angegebenen Wandstärke. Ein wunderbarer Beleg für das Fürstengrab, wenn 1870 der Ausgräber das Fragment einer Urne beschreibt und 2005 der Ausgräber auf einen entsprechenden, zu dem Fragment passenden Urnenrest stößt. Nicht irgendwo, sondern auf der Suche nach demselben Fürstengrab an der höchst verdächtigen Stelle! 68 WEERTH, Grabfund S. 12 47 Wir haben schon fünf Zeitzeugenaussagen für den dortigen Grabort, wir haben die einschlägigen Luftbild- und Magnetogramm-Auffälligkeiten, wir haben die zur Grablegungszeit gehörige Fibel sowie Teile vom beigegebenen zweirädrigen Wagen, ebenso haben wir ein Bronzestück mit Waldalgesheim-Zier in typisch keltenzeitlicher Legierung und wir haben jetzt noch als Schlüsselfunde die Urnenteile vorliegen: primitiv, wie sie der Ausgräber 1870 vorfand, schwarz, wie sie der Ausgräber beschreibt und mit einer Wandstärke, wie sie der Ausgräber bemessen hat. Alles einschlägige Funde am gleichen Ort. Nur ein Zufall? Nein, 10 Zufälle, 10 einschlägige Funde, Dokumente, Luftbilder, Magnetogramme und jetzt noch die Urne, alle zufällig zusammentreffend im gleichen Ortsbereich? Das geht nur zusammen, wenn hier die wahre Fürstengrabstätte vorliegt! Abb. 29: Grabungsluftbild vom 11.10.05 Schwarzes Kreuz: Urnenfund (Rupprecht) Große schwarze Markierungen: 1: Grabkammerrelevante Stelle (Luftbild) 2: Grabkammerrelevante Stelle (Magnetogramm) 3: Auffälligkeit Grab/Grabung? 4: Auffälligkeit Grab/Grabung? Gelbe Markierungen Funde siehe Kap. 2: 1, 24 schwarze Keramikscherben (Urne) 2 Fibel (LTB2), 5 Ösenstift (Wagen) 15 Spiegelfragment (Waldalgesheimstil) In das obige Luftbild von der Grabungsstelle sind gelb die eindeutig zum Grab passenden früheren Lesefunde (Kapitel. 2) eingeblendet. Schwarz eingezeichnet sind die aus Magnetogramm und Luftbild erhaltenen auffälligen Strukturen 1- 4. Das Kreuz kennzeichnet das 2005 ausgegrabene Urnenscherbenhäufchen, ca. 25 – 30 cm unter der heutigen Oberfläche und wenig über dem gewachsenen Boden gefunden. Dabei lag wohl noch ein wenig Leichenbrand. Der Ausgräber fand schon 1870 das dazu passende Urnen-Randfragment in der Grabstätte. Somit kann es sein, dass die Urne im Fürstengrab stand und der Leichenbrand zur Fürstin gehört. Es kann genauso sein, dass das Fragment von einem knapp außerhalb stehenden Urnengrab durch die früheren Ausgräber oder vom Pflug in das Fürstengrab verschleppt wurde. Die Anordnung in obiger Abb. 29 würde Letzteres nahe legen. Die schwarzen Umrissskizzen Nr. 3 und 4 und vor allem Nr.1 sind allerdings als Näherungen zu verstehen, die weder auf den Meter genau sein müssen noch Vollständigkeit beanspruchen! Die Vergesellschaftung der Urne mit dem Fürstengrab ist durch den Ausgrabungsbericht von 1870 belegt. Dies hätte zur Beurteilung der Bedeutung des jetzigen Urnenfundes nicht übersehen oder verschwiegen werden dürfen! Dies sowie die Umbiegung des Schlüsselfundes zu einem „ernüchternden“ Urnenfund und zu einem Argument gegen das dortige Fürstengrab ist das 48 letzte Glied in einer Kette unverzeihlicher Grabungs- und Interpretationsfehler, die für die Zerstörung der Grabstätte verantwortlich sein könnten. 7. Zusammenfassende Erörterung der Ergebnisse Es geht um Lokalisierung und Bewahrung der Fürstengrabstätte, deren Position im Lauf der Zeit in Vergessenheit geriet und die jetzt einem Baugebiet zum Opfer fallen soll 69 . Der Verfasser konnte bereits 1997 die potentielle Grabstelle anhand neu gefundener und neu bewerteter Zeitzeugenaussagen grob lokalisieren und bis 1999 aufgrund von Boden- und Bewuchsmerkmalen weiter eingrenzen und darüber berichten, siehe Fußnote 8. Seither kamen weitere Bestätigungen hinzu. Von 1999 bis 2001 wurden 28 relevante Lesefunde von der vermuteten Grabstelle gemacht, von denen mindestens 4 nahezu mit Sicherheit dem Fürstengrab zuzuordnen sind und die in Kapitel 2 vorgestellt wurden. Im Jahre 2000 hatte der Verfasser die Luftbildarchäologie mit Modellflugzeugen so weit entwickelt, dass damit bis 2006 weit über 1000 Luftbilder vom Grabstellenbereich gewonnen wurden. Die Luftbildmethode wurde auch mit dem Beispiel „Waldalgesheim“ auf internationalen Kongressen vorgestellt. Im Frühjahr 2005 entstand der spezielle Luftbildbericht zu Waldalgesheim, worin die Grabstelle vielfach abgebildet ist, siehe Fußnote 14. Die seit Mitte 2005 neu hinzugekommenen Belege: Neue Luftbildergebnisse, die Magnetik-Untersuchung, die neuen Fundanalysen, insbesondere die Bronzeanalyse, der neue Urnenfund, die bestätigende Aussage vom Urenkel des Schatzfinders und die dazu passende Grabortangabe von Como haben ausnahmslos die Grabstelle bekräftigt, gleichwohl nahegelegt, mit dem Begriff „Grabstelle“ auch die Peripherie des Grabes mit zu umfassen, wie das heute für Fürstengräber selbstverständlich ist. Möglicherweise sind mehrere Gräber an der Grabstelle miteinander vergesellschaftet, möglicherweise kennzeichnet die 2005 ergrabene Urnenfundstelle ein solches Sekundärgrab. Es kann auch sein, dass die Urnenreste und der auf ihnen liegende Leichenbrand zur Waldalgesheimer Fürstin gehören, wie der Ausgräber von 1870 Aus’m Weerth mutmaßt. Auf eine fürstliche keltische Brandbestattung (einer Frau) weisen ohnehin die neuerlichen Analysen des angeschmolzenen Bronzeteils mit den Legierungsbestandteilen eines keltischen Spiegels entschieden hin. „Das Gesamte ist mehr, als die Summe seiner Teile“ dieser Satz gilt auch für die auf Indizien und Teilbelegen aufbauende gesamte Beweiskraft zur Lokalisierung der Grabstelle. So konvergieren alle vorgestellten Belege nicht nur auf ein und derselben Stelle, sie sind auch alle untereinander konsistent, rasten sozusagen ineinander ein. 69 Die angeführten Geländebezüge, Zeitzeugen, Luftbild/Magnetogramm-Ergebnisse und Funde sind in den vorigen Kapiteln eingehend besprochen worden und werden hier nicht nochmals belegt. 49 Dies soll auf dem nachfolgenden Lageplan, Abb. 30 nochmals grafisch verdeutlicht werden. Abb. 30 Luftbild vom Grabort am 13.9.2005 mit einprojiziertem Magnetogramm, den von Zeitzeugen benannten Geländebezügen und den Fundstellen. Es bedeuten: Erbacher Weg, Eicher Weg: Historische Wege, ca. 1955 entfernt (Flurbereinigung) Windrad: Standort des Windrads 1911 – 1960 Westlich gelegenes letztes Haus (1924): das westlich gelegene letzte Haus von Waldalgesheim im Jahre 1924, als Como den Grabort angab Grabstelle: Das Fürstengrab samt Peripherie, ca. 20 x 10 m, mit Reserven ggf. bis 40 x 15 m Gelbe Kreise: Fundstellen von Urnenscherben, Fibel, Ösenstift und Bronzestück Schwarzes Kreuz: Urnenfund bei der Grabung 2005 Schwarze Umrisse: Grab/Grabungsspuren auf Luftbild und Magnetogramm X-Achse: ungefährer Verlauf der 5 m breiten und 150 m langen Fundackerparzelle Nr. 1723, die sich zwischen Erbacher Weg und Eicher Weg erstreckte Die Fundackerparzelle ist belegt durch die von Cohausen angegebenen Koordinaten und die von Lindenschmit angegebene Identität von Feldeigentümer und Schatzfinder Die einskizzierte Grabstelle ist dadurch belegt, dass: a) sie sich auf der Fundackerparzelle befindet (Zeitzeugen Cohausen, Lindenschmit) b) sie sich dicht am Erbacher Weg befindet und nördlich davon (Zeitzeuge und Ausgräber Aus’m Weerth ) c) sie sich dicht hinter den westlich gelegenen letzten Häusern von Waldalgesheim befindet (Historiker Jakob Como 1924) 50 d) sie sich nördlich hinter dem ehemaligen Windrad befindet (Urenkel des Schatzfinders) e) sich auf ihr grabrelevante Spuren im Luftbild zeigen f) sich auf ihr grabrelevante Spuren im Magnetogramm zeigen g) auf ihr ein zur Grablegungszeit gehöriges Fibelfragment gefunden wurde h) auf ihr ein zum Grabinventar (Wagen) passender Teil eines Ösenstifts gefunden wurde i) auf ihr ein mit Wellenrankenansatz (Waldalgesheimstil) verziertes angeschmolzenes Bronzestück gefunden wurde: - wie es typisch für eine vorgeschichtliche fürstliche Brandbestattung ist, - dessen Legierungsbestandteile es als eine von hiesigen Kelten hergestellte antimonreiche Zinnbronze ausweisen - das wegen des sehr hohen Zinnanteils zugleich eine Spiegebronze ist, nach derzeitiger Kenntnis nur geeignet für Spiegel, wie sie hier in keltischen Fürstinnengräbern vorkommen (Reinheim, Hochheim) j) auf ihr der Landesarchäologe bei der Grabung 2005 Urnenreste fand, welche höchstwahrscheinlich das Urnenfragment ergänzen, welches der 1870-Ausgräber im Fürstengrab gefunden und beschrieben hat (Aus’m Weerth) Im Prinzip würden ein oder zwei Belege, etwa die Grabort-Zeugnisse von Schmitt und Como, zur Bestätigung der Fürstengrabstelle ausreichen. Dass mindestens 10 Belege zugleich an der Stelle konvergieren und sich gegenseitig ergänzen, kann keinen begründeten Zweifel mehr am wiedergefundenen Standort des ehemaligen Wadalgesheimer Fürstengrabs aufkommen lassen! Im Denkmalschutzgesetz Rheinland-Pfalz heißt es zu den schützenswerten Kulturdenkmälern: „Kulturdenkmäler ... sind Zeugnisse ... des künstlerischen Schaffens ..., Spuren oder Überreste menschlichen Lebens ..., an deren Erhaltung und Pflege ... aus wissenschaftlichen oder künstlerischen Gründen ... oder zur Förderung des geschichtlichen Bewusstseins oder der Heimatverbundenheit ... ein öffentliches Interesse besteht.“ Die unter dem Boden nachgewiesenen Spuren, die wissenschaftliche Ergiebigkeit der Neufunde, darunter die Bronze und die Urne mit Leichenbrand, belegen, dass „Spuren und Überreste menschlichen Lebens“ an der Grabstelle noch vorhanden und weitere zu erwarten sind, so dass eine Unterschutzstellung im öffentlichen Interesse steht und gesetzlich notwendig ist. Das Waldalgesheimer Fürstengrab, das reichste Latènegrab Deutschlands, markiert mit dem in alle Sprachen übernommenen „Waldalgesheimstil“ den Gipfelpunkt keltischen Kunstschaffens. Dies allein rechtfertigt schon die Unterschutzstellung der Stelle, wo dieses Weltkulturerbe ans Licht gekommen ist! 51 Danksagung Der Verfasser bedankt sich für die vielfältige Hilfe, welche diese Abhandlung ermöglicht hat. Herr Günther Schmitt, der Urenkel des Grabfinders Peter Heckert, konnte für aufschlussreiche Gespräche und eine schriftliche Stellungnahme zum Grabort gewonnen werden. Herr Prof. Dr. Markus Egg eröffnete mir Studienmöglichkeiten im Römisch-Germanischen Zentralmuseum (RGZM) und stand für manche Frage im Zusammenhang mit den Funden beratend zur Seite, ebenso Herr Dr. Martin Schönfelder, der auch eine Erstanalyse des Bronzestücks durch Frau Dr. Susanne Greiff, ebenfalls RGZM, vermittelte. Prof. Dr. Gerhard Brey vom Frankfurter Institut für Geowissenschaften, Abt. Petrologie und Geochemie, hat freundlicherweise an dem Bronzefund eine Röngenfluoreszenzanalyse sowie eine Bleiisotopenanalyse durchgeführt, die wesentliche neue Aufschlüsse erlaubten. Der Restaurator Herr Detlef Bach hat die zahlreichen Eisenfunde mit Mikro-Sandstrahlgebläse freigelegt und eine erste Konservierungsbehandlung vorgenommen. Der bekannte Luftprospekteur, Herr Prof. Otto Braasch, stand mir jahrelang beratend und fördernd bei der Entwicklung der Luftprospektion mit Modellflugzeugen zur Seite. Herr Martin Posselt von der Fa. Posselt & Zickgraf Prospektionen führte im Fürstengrabbereich eine engagierte und sorgfältige Geomagnetik-Untersuchung durch und ermöglichte umfassenden Einblick unter den Boden. Bei den umfangreichen Quellenrecherchen fand ich in Herrn Reisek von der Heimatwissenschaftlichen Zentralbibliothek Bad Kreuznach seit nunmehr einem Jahrzehnt stets kompetente Hilfe. Herr Rechtsanwalt Rudolf Renner, Gemeinderat in Waldalgesheim, war eine unersetzliche Stütze bei kommunalen Fragen und den Versuchen, die Grabstelle zu bewahren. In den Dank schließe ich auch den Binger Stadtrat Herrn Hasso Mansfeld mit ein. Abschließend bedanke ich mich noch bei Herrn Diplombibliothekar Holger Riesch, FH Bingen, für das Korrekturlesen und seine vielen wertvollen Hinweise und Verbesserungen. Ebenso danke ich meiner lieben alten Freundin Renate Schick aus Stuttgart, welche die Endredaktion übernommen hat. Michael Schönherr 52 Vollständige Angabe der abgekürzt zitierten Literatur Bei den angegebenen Internet-Adressen bitte Kleinschreibung beachten! COHAUSEN, Grabhügel Cohausen, A.v. „Grabhügel zwischen der untern Nahe und dem Hundsrücken“ Annalen des Vereins für Nassauische Alterthumskunde und Geschichtsforschung, Vierzehnter Band 1877 www.m-schoenherr.de/wa/cohausen.pdf 6 Mb ECHT, Reinheim Echt, Rudolf „Das Fürstinnengrab von Reinheim Studien zur Kulturgeschichte der Früh-LaTène-Zeit“ BLESA 2, Bliesbrück-Reinheim 1999 HOCHGESAND, HANKE, Festschrift Hochgesand, Kurt, Hanke, Gerhart „Das keltische Fürstengrab von Waldalgesheim“ Festschrift zur Erinnerungsfeier am 18.Oktober 1869 Waldalgesheim, 2004 JOACHIM, Waldalgesheim Joachim, Hans-Eckart „Waldalgesheim, Das Grab einer keltischen Fürstin“, Bonn 1995 www.m-schoenherr.de/wa/joachim.pdf LINDENSCHMIT, Waldalgesheim (nur S. 31) Lindenschmit L. „Grabfund bei Waldalgesheim“ erschienen in: Alterthümer unserer heidnischen Vorzeit, III, Mainz 1871/81 www.m-schoenherr.de/wa/lindenschmit.pdf POSSELT, Prospektion SCHÖNHERR, Fürstengrab 3 Mb Schönherr, Michael „Wo Lag das Waldalgesheimer Fürstengrab? Eine neue Ortsbestimmung, basierend auf bislang ungenutzten Quellen“, Stromberg, 1997, 1999 www.m-schoenherr.de/wa/fuerstengrab97.pdf SCHÖNHERR, Luftprospektion 3 Mb Posselt, Martin „Geophysikalische Prospektion zur Lokalisierung des „Fürstengrabes von Waldalgesheim“ Magnetometer-Prospektion am 15. September 2005 Poselt & Zickgraf Prospektionen GbR, Traisa 2006 www.m-schoenherr.de/wa/posselt.pdf 8 Mb Schönherr, Michael „Das Grab von Waldalgesheim am Boden und aus der Luft. Ergebnis der Prospektionen von 1999 bis 2004, Stromberg, Januar 2005 www.m-schoenherr.de/wa/luftbild.pdf WEERTH, Grabfund 0,2 Mb 3 Mb Aus’m Weerth, Ernst „Der Grabfund von Wald-Algesheim, Fest-Programm zu Wickelmanns Geburtstag am 9.December 1870“ Vorstand des Vereins von Alterthumsfreunden im Rheinlande, Bonn 1870 www.m-schoenherr.de/wa/weerth.pdf Hauptseite: www.m-schoenherr.de/wah/rettung.htm 14 Mb