Die geheimnisvolle Vier
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Die geheimnisvolle Vier
Berlin 29. märz 2007 | Jüdische Allgemeine Nr. 13/07 Die geheimnisvolle Vier | 21 „Es war ein großer Schock“ Alles über Pessach: Ein Tag des Lernens in der Brunnenstrasse Isaak Behar über den antisemitischen Vorfall in der Polizeischule Herr Behar, am 27. Februar wurden Sie Zeuge eines antisemitschen Vorfalls in der Polizeischule Ruhleben. Wie stellt sich das Geschehene jetzt für Sie dar? behar: Dieser ganze Vorfall hat mehrere Facetten: Wie ist das an die Öffentlichkeit geraten, was ist wirklich geschehen? Und: Steht dieser Vorfall in einem Kontext mit einem zunehmenden Antisemitismus? Tut er das? behar: Ja, ich denke schon. Ich bin ja kein Träumer zu glauben, es gebe keinen Antisemitismus in Deutschland mehr. Im Gegenteil, er wird lauter und gesellschaftsfähiger. Die Polizeischüler sollen gesagt haben, dass sie „nicht dauernd an den Holocaust erinnert werden“ wollen. Wie haben Sie auf die Äußerungen reagiert? behar: Es war ein großer Schock für mich und auch für den Lehrer. Es hat mich psychisch unheimlich angegriffen, dass mir als Holocaust-Überlebender jemand solche Aussagen offen ins Gesicht schleudert. Welche Reaktionen gab es bei den Schülern und dem Lehrer? behar: Hinter dieser Frage steht eigentlich, ob denn der Lehrer nicht eingegriffen habe. Aber da tut man ihm Unrecht. Er ist ein ausgezeichneter Lehrer und sein eigener Hintergrund lässt keine antisemitische Haltung zu. Das weiß ich. Lernen auf der Baustelle: Rund 50 Interessierte kamen am Sonntag zu den Vorträgen in die fast fertige Skoblo-Synagoge und die Räume der „Yeshivas Beis Zion“. von Michaela Golzmann In der Brunnenstrasse wird noch gebaut. Aber am vergangenen Sonntag sind es nicht die Handwerker, die geschäftig an der Renovierung und Restaurierung der Skoblo-Synagoge und des ganzen Gebäudekomplexes des Lernzentrums arbeiten. Diesmal „arbeiten“ die Schüler der „Yeshivas Beis Zion“ des Lauder Colleges. Hastig wandern sie über den Hof von einem Raum zum anderen. Denn bald ist Pessach, und sie wollen die Gelegenheit nutzen, den aus England, Russland und anderen Ländern angereisten Rabbinern bei ihren Ausführungen zum Auszug aus Ägypten zu lauschen. Josh Spinner, Rabbiner der Lauder Foundation und Initiator des Lernzentrums, steht voller Verwunderung über den Trubel mitten auf dem Hof und versucht zu dirigieren. Er zeigt, erklärt und hilft den Besuchern, ihren Platz zu finden.„Ich bin immer noch jedes Mal außer mir vor Glück, wenn ich sehe, was hier entsteht“, sagt er freudestrahlend. Er bittet nun die Anwesenden hinein. Das Lernen beginnt. Die Erläuterungen werden in deutscher, englischer und russischer Sprache gehal- Mo 2. April, 20.30 Uhr | Jüdisches Gemeindehaus, Fasanenstraße 79/80 1. Seder * Rabbiner Chaim Z. Rozwaski, Kantoren Isaak Sheffer und Simon Zkorenblut, Karten: 39 (erm.: 19/15) Euro, Jüdische Gemeinde zu Berlin, Tel. 030/ 880 28 0 Mo 2. April, 19.30 Uhr | Hotel Marriott, Inge-Beisheim-Platz 1. Seder * Rabbiner Yehuda Teichtal, Karten: 40 (erm.: 20) Euro, Chabad Lubawitsch Berlin, Telefon 030 / 212 808 30 Di 3. April, 20.45 Uhr | Jüdisches Gemeindehaus, Fasanenstraße 79/80 2. Seder * Rabbiner Yitshak Ehrenberg, Kantor Naftoli Wertheim, Karten: 39 (erm.: 19/15) Euro, Jüdische Gemeinde zu Berlin, Telefon 030/ 880 28 0 Di 3. April, 19.15 Uhr | Hotel Spreebogen, Alt-Moabit 99 2. Seder * Synagogengemeinde Hüttenweg, Kostenbeteiligung 30 (erm.: 15) Euro, E-Mail: [email protected] Di 24. April, 19.30 Uhr | Jüdisches Gemeindehaus, Fasanenstraße 79/80 Jom-Haazmaut-Feier * Ansprachen von Gemeindechef Gideon Joffe und Ilan Mor, Gesandter des Staates Israel; Musik von Zion Dahan (Festival) und Hila Bronstein (Bro’Sis); Feuerwerk; Eintritt frei ten. Die deutsche Version des Vortrags hält der in Mannheim geborene Rabbiner Shmuel Macner, der als Teenager nach Israel gereist war, um in einer Jeschiwa zu lernen. Nachdem er in den Jeschiwot Ofakim und Mir in Jerusalem studiert hatte, erhielt er seine Rabbiner-Smicha und kehrte nach Europa zurück, um sich mit jüdischer Ausbildung zu beschäftigen. Er arbeitete als Direktor von jüdischen Schulen in Basel, Luzern und Antwerpen. „Die geheimnisvolle Vier“, begann Macner seinen Vortrag, „was bedeutet diese Zahl im Zusammenhang mit dem Auszug aus Ägypten und dem Sederabend?“ Macner erläuterte, dass die Vier in der PessachHaggada und den Schriften über Pessach und seinen Traditionen in verschiedenen Zusammenhängen vorkomme. Die Zahl sei eine Art Mittelpunkt, um den sich Themen, Ideen, Sprüche und Kommentare drehen. Das Trinken von vier Bechern Wein beim Seder wurde zum Beispiel aus der Tora abgeleitet: „Ich hatte den Becher des Pharao in meiner Hand und nahm die Beeren; ich presste sie in den Becher des Pharao und reichte dem Pharao den Becher. Das sprach Josef zu ihm: Dies ist die Deutung: Die drei Ranken bedeuten drei Tage. Nach drei Tagen wird der Pharao dein Haupt erheben und dich wieder in dein Amt einsetzen. Du wirst dem Pharao seinen Becher reichen so wie früher, als du sein Mundschenk warst.“ Das Wort Becher erscheint in der biblischen Textpassage (1. Buch Moses 40, 11-13) vier Mal. Daher hätten die Weisen angewiesen, zum Sedermahl vier Gläser Wein zu trinken. Die vier Fragen, die am Pessachabend am Sedertisch gestellt werden sollen, seien ursprünglich auch deshalb in die Haggada eingearbeitet worden, um gerade die Zahl Vier zu betonen, ergänzt Marcner. Die vier Söhne der Haggada repräsentieren die vier wichtigsten Persönlichkeitstypen: den Weisen, den Bösen, den Einfachen und denjenigen, der nicht zu fragen versteht. Der Weise beschäftige sich mit den Pessachvorschriften, um sie zu lernen. Der Böse entfernt sich aus der Gemeinde Israels und verwirft die Pessachgesetze. Der Einfache will ganz allgemein wissen, was an Pessach besonders sei. Und schließlich sei es Pflicht der Gläubigen, so Macner, demjenigen, der nicht zu fragen versteht, alles zu erklären. Nicht zuletzt spielte auch im Leben Moses die Vier eine wichtige Rolle. Foto: Marco Limberg Schließlich sei sein Wirken erst durch vier Frauen möglich geworden, erläuter Macner. Die eine sei Jochwed, Mutter von Moses. Sie war es, die auf dem Höhepunkt der ägyptischen Unterdrückung den Mut gehabt habe, ein Kind zur Welt zu bringen. Die zweite Frau war Mirijam, die Schwester von Moses. Sie hatte über Moses gewacht, als er im Korb den Fluss hinunter getrieben sei, bis er von der Tochter des Pharaos aufgenommen wurde. „Die dritte Frau war die Tochter des Pharaos, die gemäß der Überlieferung Batya hieß. Sie hatte den Mut gehabt, ein israelitisches Kind zu retten und es als ihr eigenes im Palast aufzuziehen.“ Die vierte im Bunde war Zipporah, Moses Frau. „Sie hat Moses die Vollkommenheit zwischen Mann und Frau gelehrt“, so Macner. Schließlich besteht auch das hebräische Wort für Vollkommenheit aus vier Buchstaben. Vollkommen sind die Räume der „Yeshivas Beis Zion“ und der Skoblo Synagoge zu diesem Pessachfest noch nicht. „Mit der Fertigstellung rechnen wir im kommenden Jahr“, sagt Rabbiner Spinner. „Wir sind zwar noch nicht fertig, aber fangen mit dem Lernen schon mal an.“ Kunst für Kinder WIZO Berlin veranstaltet Wohltätigkeitsauktion im Stilwerk von Daniela Breitbart Noch liegt der kleine hölzerne Hammer ruhig auf dem Rednerpult. „Liebe Jäger und Sammler, liebe Besserverdienende“ begrüßt Auktionator Hans Peter Plettner mit einem charmanten Schmunzeln die Gäste der „WIZO Art 2007“ im Forum des Stilwerks. Trotz strahlendem Sonnenschein ist der Saal über den Dächern von Berlin gut gefüllt. Die Besucher warten gespannt auf die Versteigerung der 31 Objekte, die entlang den Wänden aufgebaut sind: Gemälde, Skulpturen und eine antike Kommode. Eineinhalb Stunden und knapp 100 Hammerschläge später sind die Wände leer – 37.500 Euro war den Bietern die moderne Kunst wert. Die meisten Bilder haben die Künstler selbst gestiftet. „Viele sind schon lange Freunde unserer Organisation“, sagt Michal Gelerman, Vorsitzende der Berliner Zweigstelle der Women’s International Zionist Organisation (WIZO). Eine davon ist Annette Schultze. Ihre Kampfpause erlöste 1.300 Euro, die Stoppelfeldchefin kam für 500 Euro unter den Hammer. „Ich Begehrt: Kunst bei „WIZO Art 2007“ Foto: Heilke Heller mache mit, weil ich die WIZO-Frauen ins Herz geschlossen habe“, sagt Schultze. Diese wollen mit dem Geld die Helene und Nadine de Rothschild-Kindertagesstätte in Jerusalem unterstützen, eine Einrichtung für Kinder vor allem aus zerrütteten Familien, die vernachlässigt oder misshandelt wurden. Das Besondere: Der Kindergarten bietet auch Kurse und psychologische Betreuung für Eltern an, damit sie aus ihrer schwierigen Lebenssituation herauskommen. „So kann verhindert werden, dass die Kinder in Pflegefamilien untergebracht werden müssen“, sagt Gelerman. Der Kindergarten ist nur eines von insgesamt 18 WIZO-Projekten in Deutschland. „Wir wollen, dass wir mit verschiedenen Aktivitäten identifiziert werden – deshalb haben wir nicht nur Kindergärten, sondern auch Frauenhäuser, Seniorenheime und Jugendclubs auf unserer Liste“, sagt Gelerman. „Wo Hilfe gefragt ist, ist WIZO da.“ www.wizo-ev.org Was geschah danach? behar: Wir haben uns eineinhalb Stunden lang mit den Polizeianwärtern auseinandergesetzt. Wir wollten eine Diskussion. Die jungen Menschen sollen alles aussprechen dürfen. Wir wollen in einen Dialog treten. Wenn die Schüler andere Ansichten haben, dann sollen sie die bitte äußern. Das funktioniert nor- Isaak Behar Foto: Stephan Pramme malerweise fantastisch. Zeitweise entwickelt sich jedoch ein „falscher Kameradschaftsgeist“. Das heißt, dass einige nicht ihren Mund aufmachen mögen, auch wenn sie anderer Meinung sind. Ich weiß, dass es Schüler in dieser Gruppe gab, die diese Meinung nicht teilten. Ich habe Beweise dafür. Welche? behar: Das möchte ich nicht sagen. Der Polizeipräsident Dieter Glietsch und ich sind übereingekommen, die Ermittlungen durch zusätzliche Äußerungen nicht zu behindern. Sind Sie mit der Aufklärung dieses Vorfall seitens der Polizeischule zufrieden? behar: Ich wünschte mir, dass überall, wo Antisemitismus wahrnehmbar wird, so reagiert wird. Der Polizeipräsident hat öffentlich versichert, dass wenn sich die Vorwürfe bestätigen sollten, diese Schüler für den Polizeidienst nicht geeignet sind. Sie sind seit über 18 Jahren als Zeitzeuge in der Polizeischule im Einsatz. Machen Sie weiter? behar: Was soll mich hindern? Der Vorfall zeigt doch, wie wichtig diese Aufklärungsarbeit ist. Bis Februar 2008 bin ich ausgebucht. Ich berichte mit dem gleichen Format ja auch in Schulen und bei der Bundeswehr. Die Polizei will, dass ihre Schüler mir, einem Holocaust-Überlebenden, gegenüber sitzen. Das Schicksal einer einzigen Person ist doch leichter nachvollziehbarer als die Geschichtsdaten. Und das sollte genutzt werden, so lange es Überlebende noch direkt vermitteln können. Mit dem Gemeindeältesten sprach Christine Schmitt.