Idee und Realität der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft

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Idee und Realität der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Wintersemester 2015/2016
Seminar: Moderne und Individualisierung
Prof. Dr. Michael von Engelhardt
Referenten: Carmen Demer, Felix Leikauf, Stanislav Oievetski, Sonja Stöhr
Datum: 23.11.2015
2.) Politisierung des Gesellschaftsmodells „Volksgemeinschaft“
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Politische und strukturelle Gleichschaltung als erste große Maßnahme
Ziel: Auflösung der parlamentarischen Demokratie
Abschaffung der Landtage, Kreistage ,etc. sowie später den Landesregierungen
durch das Gleichschaltungsgesetz
Aufhebung der Weimarer Verfassung mit ihren individuellen Bürgerrechten
Gesetz über Neuaufbau des Reiches
Einführung des Einparteiensystems
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Gegenbewegungen gegen die Individualisierung der Moderne
- Idee und Realität der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft
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1.) Vom Gemeinschaftsbegriff zur Volksgemeinschaft
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Die Entwicklung zur Volksgemeinschaft
Jugendbewegungen: Jugendbewegungen (um 1900), wie der „Wandervogel“
schufen eine Verbundenheit. Bedürfnis nach Gemeinschaft. Zwar nicht-parteilich,
nach Ausbruch des 1. WK wurden sie jedoch zunehmend militärisch-politisch.
Das Kriegserlebnis: Kameradschaftsgeist im 1.WK hat große Euphorie entfacht,
Weimarer Republik war für viele eine Ernüchterung. Innere Nachkriegsproblematik
wurde rein auf das neue System projiziert, „Revolution von rechts“ wollte ein
Gemeinschaftskonzept erreichen, dass die Parteistrukturen aufhebt.
Gemeinschaft in der Praxis: Bekanntestes Gemeinschaftsideal sind die
rechtsradikalen Artamenen. Mit „Blut und Boden“-Ideologie eine bessere deutsche
Rasse schaffen. Viele bekannte Nazis waren auch in dieser Bewegung und die
NSDAP übernahm viel derer Merkmale.
Nationalsozialistische Konzepte der Volksgemeinschaft
Die Anti-Gesellschaft: Anti-Parlamentarismus war nach dem 1.WK stark verbreitet,
Weimarer Republik galt in vielen Köpfen als falsch. Das Parteisystem zerfiel und
wurde abgelehnt. NSDAP galt damals mehr als soziale Bewegung und bekam
dadurch großes Ansehen – „Volksdeutschland vs. Parteiendeutschland“
Die Blutsgemeinschaftschaft: Eine Volksgemeinschaft als Zusammenschluss von
Menschen mit gemeinsamen Blut. Aufteilung des Weltbildes in Eigen-/FremdVölkisch.
Die totale Gemeinschaft: Ziel war eine totale arisches Volk zu schaffen. Durch die
Zugehörigkeit zur arischen Rasse ist es die Pflicht das arische Blut zu erhalten und
zu säubern. „Einer für alle- alle für das Volk“.
Alle Staatsgewalt (Judikative, Legislative, Exekutive) in den Händen Hitlers
Personelle Gleichschaltung
Leben des Volkes nun streng organisiert, v.a. in bürokratischer Hinsicht
Aufbrechen alter Bindungen und Einführung neuer (HJ, BDM, KdF)
Entkonfessionierung
Körperliche Entwicklung vor Geistlicher
Egalisierung durch Arbeit
 Abschaffung der Deklassierung durch Arbeit
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Durch radikale Säuberung von der Gesellschaft zur Gemeinschaft
zunächst kulturelle, politische und soziale Aussonderung:
 Veränderungsmaßnahmen hinsichtlich der Kultur
 „ausgeschlossen ist, wer nicht ausdrücklich eingeschlossen ist“
 Ausgrenzung durch Bildung von Randgruppen: Juden, Asoziale, Andersdenkende,
Homosexuelle, etc.
- erbbiologische und rassische Auslese
- darauf folgend radikale Formen der Ächtung bis hin zur Vernichtung:
 Besserungs-, Arbeits- und Konzentrationslager, Verfolgungen, Folter, etc.
 Vier Stufen der Judenvernichtung:
1. Phase (1933-1935): Ausschluss aus dem öffentlichen Leben
2. Phase (1935-1938): Isolierung, Auswanderstrategie
3. Phase (1938-1941): Hass und Terror gegen Juden
4. Phase (1941- 1945): Ausführung der „Gesamtlösung“ der Judenfrage
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3.) Hitler als Personifizierung der Volksgemeinschaft
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Gründe für die Sehnsucht nach dem "Führer"
Negative Perzeption der Weimarer Republik (ökonomische, politische und soziale
Dauerkrise)
Revanchistische Tendenzen in Folge des verlorenen Weltkrieges und der Bedingungen
des Versailler Vertrages
Wunsch nach gesellschaftlicher Einigung
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Das "Führerprinzip" als Herrschaftsmechanismus
Überwindung des Dualismus von Staat und Gesellschaft
"Führer" als Umsetzung des gemeinschaftlichen Willens, da aus dem einfachen Volke
kommend = "Führer trägt die Gemeinschaftsgehalte in Sich"
Nur der "Führer" überblickt die volle Tragweite gemeinschaftlicher Aufgabe
(übernatürliche Fähigkeiten)
Verkörperung und Grant für die Volksgemeinschaft
Völlige Durchdringung der Gesellschaft vom Hitler-Kult ("Deutscher Gruß", quasi
gottähnlicher Status)
Hitler als soziale Autorität (Kritik an Partei oder an einzelnen Behörden, nie an Hitler)
Religiöse Stilisierung Hitler (z.B. Darstellungen in den Medien)
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4.) Permanente Inszenierung
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Lebensraum-Eroberungskrieg
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13.3.1938: Eroberung und "Anschluss" Österreichs. Hitler: "Gleiches Blut gehört in
ein gemeinsames Land"
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Siege über Frankreich, Dänemark und Norwegen stärkten den Glauben an die
Unbesiegbarkeit der Volksgemeinschaft und an den Führungsstil Hitlers
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Vernichtungskrieg
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weitere Ausbreitung der Kriegsstätten in ganz Europa
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rassische Aussiebung der Bevölkerung des neuerworbenen Gebieten
("Germanisierung"): v.a. Juden und slawische Rasse wurden "ausgerottet"
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31. Millionen Menschen sollten umgesiedelt, vertrieben oder getötet werden (nur
ein Bruchteil konnte mit Nachweisen einer deutschen Herkunft bleiben) -->
Deutsche Volksliste 1941 zur "Eindeutschung" in vier Gruppen so wurden
insgesamt nur 2,75 Mio. Menschen eingedeutscht
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Der totale Krieg
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großangelegte rassenpolitische Großvernichtung von nichtgemeinschaftswürdigen Menschen
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18.2.1943 - Erklärung des Totalen Krieges: gesellschaftliche Ressourcen müssen
nun ausschließlich dem Krieg geopfert werden
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Beginn der Zweifel an einem starken und vereintem Volk, Arbeit nur noch aus
Zwang und Gewohnheit
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19.3.1945: Kriegsende durch Hitler "Verbranntes- Erde - Befehl"
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Ende des 2. Weltkrieges war gleichzeitig auch das Ende der Volksgemeinschaft
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Folge: Deutschland wurde durch Alliierte in vier Besatzungszonen aufgeteilt
(Selbsterfahrung: ein geächtetes Volk zu sein)
Vergemeinschaftlichung des Alltags
Volksgemeinschaft erlebbar machen (z.B. Freizeitlager, KdF Urlaubsreisen und
kulturelle Angebote)
Bekräftigung des kollektiven Anspruchs in aufwendig inszenierten Veranstaltungen wie
den Reichsparteitagen oder dem Reichserntedankfest
Wohlfahrtsstaat durch Leistung des Einzelnen an der Volksgemeinschaft (auch
"Kampf" für gemeinschaftliche Interessen)
Propagierung der Volksgemeinschaft
Begleitung des Gemeinschaftserlebnisses durch "volkstümliche" Propaganda =
Volksgemeinschaft im medialen Rahmen umgesetzt
Kommunikation im Schwarz-Weiß Schema
 Inklusion in der Volksgemeinschaft und gleichzeitige Exklusion des "Feindlichen"
5.) Realität der Volksgemeinschaft
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Volksgemeinschaft als Schicksalsgemeinschaft
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Wehrgemeinschaft:
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expansive Außenpolitik: Ideologien wie die Säuberung (hauptsächlich des eigenen
Landes), aber auch gewaltsame Eroberung von neuen Lebensräumen, um Basis
für Existenz des eigenen Volkes zu schaffen (auch: verhindern, dass eigene Rasse
ausstirbt aufgrund "Platzmangel")
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Folge: Ausbruch des zweiten Weltkrieges
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Um erfolgreicher gegen Feinde vorgehen zu können musste eine innere, saubere
und starke Gemeinschaft gebildet werden
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so wurde am 16.3.1935 der Versailler Vertrag gebrochen, um die
Wiedereinführung der Wehrpflicht zu besiegeln
1936: Vier- Jahres- Plan zur Wiederaufrüstung und Stärkung der Wehrmacht
Oktober 1933 Gesetz mit dem Namen "Reichsnährstand" eingeführt: eigene
inländische Landwirtschaft sollte autark arbeiten
Anstieg der Beschäftigungszahlen, sowie die Frauenquote (Arbeit für die
Gemeinschaft, das Volk Militarisierung der Arbeit)
am 1.10.1939 zum ersten Angriff auf Polen
Das Erbe – ein gewaltsames Ende der Volksgemeinschaft
"Das Dritte Reich bringt sich um. Doch die Leiche heißt Deutschland." (Erich Kästner, 1945)
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Ende der Volksgemeinschaft durch Hitlers Selbstmord und der späteren Kapitulation
Deutschlands
schlimmste Folge des Krieges waren die nationalsozialistische Erziehung und deren
Gedankengut der Deutschen (noch Jahrzehnte später spürbar)
Deutschland wurde von für Außenstehende mit dem Hakenkreuz gleichgesetzt
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6.)
Verhinderte Umerziehung der Volksgenossen
"Entnazifizierung" des Volkes, Bestrafung der höheren Politiker/ Macht- und
Befehlsinhaber
Jugend am schwersten mit nationalsozialistischem Gedankengut verdorben
unmenschliche Taten sollten Deutschen als Erziehungsidee vorgehalten werden
(Kinofilme mit Szenen der Holocausts, Rundgänge in KZ's)
Menschen distanzierten sich dadurch jedoch eher anstatt die Schuld bei sich zu suchen
(Schuldzuweisung an Repräsentanten der Volksgemeinschaft)
Relikte der Volksgemeinschaft
„positive“ Relikte: Hitlers ausgebaute Autobahnen, Volkswagen, vorbildliche
Mutterschutzgesetz und Verbesserungen in der Forschung und der Medizin
(beispielsweise: Sterilisation oder die Anti-Baby Pille)
Geburtenstarke Jahrgänge drängten nach 1945 auf den Arbeits- und Heiratsmarkt und
kurbelten somit die Wirtschaft erneut an
Hitler und seine Führungsstile bleiben für immer Mahnmale der deutschen Gesellschaft
und Geschichte
Quelle
Janka, Franz. (1997): Die braune Gesellschaft. Ein Volk wird formatiert, Stuttgart.