Lawinen und Recht Lawinen und Recht
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Lawinen und Recht Lawinen und Recht
Eidg. Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF Lawinen und Recht Proceedings zum Internationalen Seminar vom 6.–9. November 2005 in Davos Lawinen und Recht Proceedings zum Internationalen Seminar vom 6.–9. November 2005 in Davos Redaktion Jürg Schweizer Herausgeber Eidgenössisches Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Davos 2006 Das Eidg. Institut für Schnee- und Lawinenforschung gehört zur Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, Birmensdorf Verantwortlich für die Herausgabe Dr. Jakob Rhyner, Standortsleiter, Davos Redaktion Jürg Schweizer, Eidg. Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF Layout Jacqueline Annen, Eidg. Forschungsanstalt WSL Druck: Gonzen Druck AG, Bad Ragaz Zitierung Schweizer, J. (Red.) 2006: Lawinen und Recht. Proceedings zum Internationalen Seminar vom 6.–9. November 2005. Davos, Eidg. Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF. 172 S. Bezugsadresse Eidg. Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF Bibliothek Flüelastrasse 11 CH-7260 Davos Dorf E-Mail: [email protected] Preis: CHF 26.– © 2006, Eidg. Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Davos Umschlag: Gerade noch entwischt (Foto: Archiv LWD Tirol). Lawinen und Recht Inhaltsverzeichnis Einleitung Introduction Introduzione 5 7 9 Grusswort Dr. Giusep Nay 11 Lawinenbildung und Lawinengefahrenbeurteilung – Denken oder Würfeln? Jürg Schweizer 13 Lawinenprognose Thomas Stucki 21 Strategische Methoden für den Skitourenfahrer Michael Larcher 35 Erkannte Gefahr ist halbe Gefahr: Langfristige Lawinenschutzmassnahmen Stefan Margreth 41 Reduktion des Lawinenrisikos mit temporären Massnahmen Lukas Stoffel 49 Umgang mit dem Lawinenrisiko auf Touren Paul Nigg 57 Skilehrer im Spannungsfeld Harald Riedl 63 Sécurité dans la station de ski Jean Louis Tuaillon 69 Offenhalten von Verkehrswegen – Lawinendienst Mattertal Bruno Jelk 77 Siedlungslawinenschutz am Beispiel Davos Hanspeter Hefti 91 Lawinenunfall = Gerichtsfall? Jürg Schweizer 95 Rechtliche Situation beim Lawinenunfall Patrick Bergamin 101 Missions et enjeux: le rôle de l’expert judiciaire en avalanches Richard Lambert 105 Befundaufnahme beim Lawinenunfall: was soll, was muss erhoben werden? Rudi Mair 109 Le régime francais de la responsabilité pénale appliquée aux accidents de montagne et d’avalanche Anne Manoha 115 Die rechtliche Situation beim Lawinenunfall Klaus Weber 125 Rechtspraxis bei Lawinenunfällen in Österreich Andreas Ermacora 135 Lawinenunfall – Die Rechtslage in der Schweiz Heinz Walter Mathys 139 3 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Sorgfaltspflichten von Sicherheitsverantwortlichen Workshop 1: Variantenfahren Workshop 2: Touren Workshop 3: Schneesportgebiete, -betriebe Workshop 4: Verkehrswege Workshop 5: Gemeindelawinendienste 151 155 156 164 168 Referenten und Autoren 172 4 Lawinen und Recht Einleitung Jürg Schweizer Lawinen und Recht sind zwei Bereiche, die nur wenige Berührungspunkte haben. Einerseits gibt es kaum rechtliche Grundlagen zu Lawinen, andererseits hat die Justiz nur selten mit Lawinen zu tun – glücklicherweise. Dennoch ist das Verhältnis nicht unbelastet, denn aufgrund des Freiraums entstehen oft Missverständnisse, und die Emotionen gehen hoch. Kommt dazu, dass Juristen auf der einen und Sicherheitsverantwortliche auf der anderen Seite nicht die selbe Sprache sprechen – das hat die Tagung (leider) auch bestätigt. Im besten Fall kann der Sachverständige oder Gerichtsgutachter zwischen den Welten eine Brücke schlagen. Ziel der Tagung war daher in erster Linie, die verschiedenen Welten zusammenzubringen und das gegenseitige Verständnis zu fördern. Wir wollten, banal ausgedrückt, die Angst der Sicherheitsverantwortlichen vor der Justiz verringern, und andererseits bei den Juristen, Richtern und Staatsanwälten das Verständnis für die Komplexität der Materie und damit verbunden die Unsicherheit bei der lawinentechnischen Beurteilung fördern. Um dieses Ziel zu erreichen, erachteten wir es als nützlich, die Situation im ganzen Alpenraum zu betrachten, und das Seminar international auszurichten. Im Januar 1994, als das SLF erstmals eine ähnliche Veranstaltung durchführte, war die Stimmung vorgängig alles andere als gut. Zwei folgenschwere Lawinenunfälle (1985 Samnaun, 1988 S-charl) hatten mit der Verurteilung des jeweils verantwortlichen Bergführers geendet. Die Urteile waren umstritten, vor allem das zweite zum Lawinenunfall am Monte San Lorenzo im Val S-charl, im Unterengadin. Dabei stand gerade auch das SLF in der Kritik, einerseits weil das Schweizerische Bundesgericht sich am Lawinenbulletin und dessen Interpretationshilfe orientierte, andererseits weil ein SLF-Mitarbeiter das Gerichtsgutachten verfasst hatte, und u.a. nicht darauf hinwies, dass die Gefahrenstufe im Lawinenbulletin nach dem Unfall – zu Recht oder nicht – von «mässig» auf «erheblich» angehoben wurde. Werner Munter wetterte, die Überbewertung des Lawinenbulletins habe in der Schweiz eine unselige Tradition. Nun, das Ende des geführten Skitourenfahrens, eine Befürchtung der Gegner des Urteils, ist nicht eingetreten. Dazu beigetragen haben wesentliche Fortschritte, einerseits in der Kommunikation zwischen Touren- und Sicherheitsverantwortlichen und dem SLF – die damalige Veranstaltung initiiert von SLF- Institutsleiter Dr. Walter Ammann war der Startschuss dazu, andererseits bei der Ausbildung, der Lawinenwarnung, und letztlich auch bei der Ausarbeitung der Sachverständigengutachten. Auch die AG Expertisen bei Bergunfällen hat zur Entkrampfung beigetragen und in Österreich und Frankreich Nachahmung gefunden. All dies hat, soweit ich das zu beurteilen vermag, vor allem im deutschsprachigen Bereich der Schweizer Alpen zu einer Beruhigung der Situation geführt. Im Jahre 1999 war bekanntlich ein aussergewöhnliche Lawinenwinter, und von Frankreich bis nach Österreich kam es zu folgenschweren Lawinenniedergängen. Die drei grössten riefen alle strafrechtliche Untersuchungen nach sich: Montroc bei Chamonix, Evolène im Wallis und Galtür/Valzur im Tirol. Während der Fall in Frankreich mit einer Verurteilung endete, wurden in Österreich die Verantwortlichen frei gesprochen. Das Gerichtsgutachten wurde von zwei SLF Mitarbeitern verfasst. Der Fall in der Schweiz, Evolène, – das SLF lehnte es ab, einen Sachverständigen zu delegieren –, wurde nach der Tagung im November 2005 in zweiter Instanz vor dem Walliser Kantonsgericht verhandelt. Da die erstinstanzliche Verurteilung bestätigt wurde, legten die Angeklagten beim Schweizerischen Bundesgericht Berufung ein. Der Kassationshof des Bundesgerichtes hat die Beschwerden Ende August 2006 abgewiesen. Viele weitere Fast-Unfälle sind im Februar 1999 passiert, an den meisten Orten bewährten sich die Massnahmen, resp. die Beteiligten hatten Glück, an wenigen Orten nur gab es Menschenleben zu beklagen. Zwar gab es in der Folge mehrere Strafuntersuchungen, aber im allgemeinem – wiederum auf die Schweiz bezogen – kam es nicht zu einer Welle von Verurteilungen, sondern die allermeisten Verfahren wurden eingestellt. Mir sind nur zwei Fälle bekannt, Leukerbad, wo eine künstlich ausgelöste Lawine zu erheblichem Sachschaden führte, und die Verantwortlichen verurteilt wurden, und eben Evolène. Im Gegensatz zur Veranstaltung im Jahre 1994, standen daher aus aktuellem Anlass Fragen zur Sicherheit von Strassen und Siedlungen mehr im Vordergrund als das Risikomanagement auf Skitouren. Aber auch im Bereich des Tourenfahrens sind mit der Entwicklung der strategischen Beurteilungsmethoden (Werner Munter’s Reduktionsmethoden) Fragen nach deren Relevanz im 5 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 gerichtlichen Verfahren aufgetaucht. Dazu beigetragen hat nicht zuletzt das Urteil zum Lawinenunfall im Jamtal (Dezember 1999). Das zivilrechtliche Urteil zum Jamtal-Unfall hatte zudem zur Folge, dass die kommerziellen Veranstalter heute gut beraten sind, wenn sie über ein Sicherheitskonzept verfügen. Qualitätssicherung ist angesagt. Nach einführenden Referaten («state-of-the-art») zum Thema Lawinen und Risikomanagement, und grundlegenden rechtlichen Aspekten haben die Berichte zur rechtlichen Situation bei der Beurteilung von Lawinenunfällen aus Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und der Schweiz gezeigt, dass in den Alpenländern doch erhebliche Unterschiede bestehen. In Frankreich hat ein neues Gesetz zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit zu etwelcher Verunsicherung geführt, gerade auch bei den Juristen. In Italien ist die unbeabsichtigte Lawinenauslösung ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das mit vergleichsweise hohen Strafen (1–5 Jahre Gefängnis) geahndet wird. In den deutschsprachigen Alpenländern Deutschland, Österreich und der Schweiz ist die Situation am ehesten vergleichbar, wobei in Deutschland bei der gerichtlichen Beurteilung den Verkehrsnormen höhere Bedeutung zukommt als in Österreich und der Schweiz, wo eher situativ – durchaus unter Berücksichtigung allgemein anerkannter Verhaltensregeln – beurteilt wird. In den fünf Workshops wurden denn auch die Sorgfaltspflichten hart diskutiert. Die im Tagungsband zusammengefassten Diskussionen können daher vereinzelt auch eher singuläre Standpunkte wiederspiegeln. Als zentraler Knackpunkt erwies sich in den Workshops die Definition von Standards, oder wie sich herausstellte besser ausge- 6 drückt, von «allgemein anerkannten Verhaltensregeln». So zeigte sich zum Beispiel, dass das, was zur Zeit in der Skitourenausbildung standardmässig gelehrt wird, nicht automatisch «Standards» im juristischen Sinne sind – sie sind es erst, wenn sie in der Praxis schon seit mehreren Jahren angewandt werden. Ein Beispiel: Das Tragen eines Lawinenverschüttetensuchgeräts auf einer Tour gilt als Standard, während strategische Beurteilungsmethoden wie die Reduktionsmethode (noch) nicht als Standard angesehen werden. Die Tatsache, dass nur wenige Lawinenunfälle rechtliche Konsequenzen haben, zeigt, dass die Rechtssprechung angemessen ist und dass die Sicherheitsverantwortlichen professionell arbeiten. Und genau das erwarten Bewohner und Touristen, und damit die Justiz: Die Verantwortlichen haben die Lage sorgfältig zu erfassen, zu beurteilen und zu prüfen, ob Massnahmen zur Risikoreduktion nötig sind. Wenn sie ihr Vorgehen zudem gut dokumentieren, haben sie wenig Grund, sich vor den rechtlichen Folgen zu fürchten, falls doch einmal ein Schaden eintreten sollte. Die rund 150 Teilnehmenden aus allen Alpenländern sowie Kanada, Spanien und Polen waren sich weitgehend einig: Wenn sich die Themen «Lawinen» und «Recht» berühren, bestehen keine unüberwindbaren Gräben. In diesem Sinne hat das Seminar eines seiner primären Ziele – das gegenseitige Verständnis zu fördern – erreicht. Allen Beteiligten, die zum guten Gelingen des Internationalen Seminars «Lawinen und Recht» und zur Drucklegung des vorliegenden Tagungsbandes beigetragen haben, möchte ich an dieser Stelle herzliche danken. Lawinen und Recht Introduction Jürg Schweizer Avalanches et droit sont deux domaines qui se rencontrent rarement. D’une part, il n’existe quasiment pas de textes législatifs sur les avalanches, d’autre part la justice doit rarement statuer sur des avalanches – fort heureusement. Les relations sont toutefois difficiles car l’espace laissé à l’interprétation suscite souvent des malentendus et provoque de vives émotions. A cela s’ajoute le fait que juristes et responsables de la sécurité n’utilisent pas le même langage – ce que la conférence a – malheureusement – démontré elle aussi. Dans le meilleur des cas, l’expert judiciaire réussira à former un pont entre les deux mondes. L’objectif du séminaire était de ce fait en premier lieu de rapprocher ces deux mondes différents et d’encourager la compréhension réciproque. Notre intention était simplement d’apaiser la peur des responsables de la sécurité face à la justice, et d’un autre côté de favoriser, chez les juristes, les juges et les procureurs, la compréhension de la complexité du sujet et par là même, de l’incertitude inhérente à l’évaluation des risques d’avalanches. Afin d’atteindre cet objectif, nous avons estimé nécessaire d’observer la situation au niveau de tout l’arc alpin, et de donner une dimension internationale à ce séminaire. En janvier 1994, lorsque l’ENA organisa pour la première fois une manifestation similaire, l’atmosphère en arrière-plan était tout sauf bonne. Deux accidents d’avalanche lourds de conséquences (1985 Samnaun, 1988 S-charl) avaient entraîné la condamnation du guide de montagne responsable. Les jugements furent controversés, en particulier le deuxième portant sur l’accident d’avalanche au Monte San Lorenzo dans le Val S-charl, en Basse-Engadine. L’ENA se retrouva lui aussi sous le feu de la critique, d’une part parce que le tribunal fédéral suisse s’était appuyé sur le bulletin d’avalanches et son aide à l’interprétation, d’autre part parce qu’un collaborateur de l’ENA avait rédigé l’expertise judiciaire sans avoir précisé, entre autres, que le niveau de danger dans le bulletin d’avalanches était, suite à l’accident, passé – à juste titre ou pas – de «limité» à «marqué». Werner Munter s’indigna, déclarant que la foi excessive dans le bulletin d’avalanches relevait d’une funeste tradition en Suisse. Finalement, la fin des randonnées à ski avec guide, crainte émise par ceux qui contestèrent le jugement, n’eut pas lieu. Y contribuèrent des progrès substantiels: dans la communication entre les responsables des randonnées et de la sécurité d’une part, et l’ENA d’autre part – le séminaire d’alors, initié par le directeur de l’ENA, Walter Ammann, en fut le point de départ; dans la formation, dans la prévision des avalanches et enfin dans l’élaboration des rapports d’expertise. Le groupe de travail «Expertises lors d’accidents de montagne» a aussi en partie désamorcé les tensions et trouvé un écho en Autriche et en France. Tous ces éléments ont, pour autant que je puisse en juger, permis d’apaiser la situation, en particulier dans la région germanophone des Alpes suisses. L’hiver 1999 est connu pour son nombre exceptionnel d’avalanches. De la France à l’Autriche, on a assisté à des avalanches aux conséquences dramatiques. Les trois plus importantes ont été suivies d’enquêtes pénales: à Montroc près de Chamonix, Evolène en Valais et Galtür/Valzur au Tyrol. Tandis que l’action en justice s’est terminée par une condamnation en France, les responsables ont été acquittés en Autriche. Dans ces deux cas, l’expertise judiciaire fut rédigée par deux collaborateurs de l’ENA. Le cas en Suisse à Evolène – pour lequel l’ENA refusa de déléguer un expert –, fut traité après le séminaire de novembre 2005 en deuxième instance devant le tribunal cantonal valaisan. Comme la décision de première instance fut confirmée, les accusés firent appel auprès du tribunal fédéral suisse. La cour de cassation pénale du tribunal fédéral a rejeté les recours fin août 2006. De nombreux accidents ont pu néanmoins être évités de peu en février 1999. Les mesures ont fait leurs preuves dans la plupart des endroits, puisque rares ont été les accidents mortels, même si parfois la chance fut du côté des personnes concernées. Maintes enquêtes pénales ont certes été lancées par la suite mais en général – de nouveau en ce qui concerne la Suisse – on n’a pas assisté à une vague de condamnations, la grande majorité des procédures s’étant au contraire traduite par un non-lieu. Je n’ai connaissance que de deux cas, celui de Leukerbad où une avalanche déclenchée artificiellement a causé d’importants dommages matériels et où les responsables furent condamnés, et celui d’Evolène. En raison des sujets d’actualité et contrairement au séminaire de 1994, les questions sur la sécurité des routes et des habitations furent discutées plus intensivement que la gestion des risques lors de randonnées à ski. Mais dans le domaine des ran- 7 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 données à ski également, l’élaboration de méthodes d’évaluation stratégique (les méthodes de réduction de Werner Munter) a soulevé des questions sur leur pertinence dans la procédure judiciaire. Le jugement sur l’accident d’avalanche dans le Jamtal y a particulièrement contribué (décembre 1999). Le jugement en droit civil sur l’accident du Jamtal a aussi permis qu’aujourd’hui, les organisateurs commerciaux soient bien conseillés lorsqu’ils disposent d’un concept de sécurité. L’assurance de la qualité est le maître mot. actuellement enseigné à propos des standards dans la formation aux randonnées à ski, ne correspond pas automatiquement à des «standards» au sens juridique du terme – ils ne le deviennent que lorsqu’ils sont appliqués dans la pratique depuis plusieurs années. Un exemple: porter un détecteur de victimes d’avalanche dans une randonnée correspond à un standard, tandis que le recours à des méthodes d’évaluation stratégique comme la méthode de réduction n’est pas (encore) considéré comme tel. Après des exposés sur l’état des lieux en ce qui concerne les avalanches et la gestion des risques, ainsi que sur des aspects juridiques fondamentaux, les présentations sur la situation juridique lors de l’évaluation d’accidents d’avalanche en Allemagne, en France, en Italie, en Autriche et en Suisse, ont montré qu’il existait encore des différences marquées entre les pays alpins. En France, une nouvelle loi sur la responsabilité pénale a fait naître des incertitudes, y compris chez les juristes. En Italie, le déclenchement involontaire d’avalanche est un délit de mise en danger abstrait sanctionné par des peines comparativement élevées (1 à 5 ans d’emprisonnement). Ce sont les pays alpins germanophones – Allemagne, Autriche, Suisse – qui offrent la situation la plus similaire. Toutefois, en Allemagne, les normes ont plus de poids dans le jugement qu’en Autriche ou en Suisse où celui-ci repose plus sur du cas par cas – les règles de comportement généralement reconnues sont alors largement prises en considération. Les cinq groupes de travail ont également été le théâtre de vives discussions sur le devoir de diligence. Les discussions, résumées dans les actes du séminaire, reflètent ainsi parfois des avis plutôt singuliers. Le principal point d’achoppement dans les groupes de travail fut la définition des standards, ou comme cela a été mieux formulé, de «règles de comportement généralement reconnues». Il est apparu par exemple que ce qui est Le fait que seuls quelques accidents d’avalanche entraînent des conséquences juridiques, démontre que la jurisprudence est appropriée et que les responsables de la sécurité travaillent avec professionnalisme. Et c’est exactement ce qu’attendent les habitants et les touristes et par là même la justice: les responsables doivent dresser un état minutieux de la situation puis l’évaluer, et contrôler si des mesures de réduction des risques sont nécessaires. De plus, s’ils documentent consciencieusement leur façon de procéder, ils n’ont guère de raisons de craindre des conséquences juridiques si un dommage devait malgré tout survenir. Les quelque 150 participants originaires de l’ensemble des pays alpins, ainsi que du Canada, d’Espagne et de Pologne, se sont largement accordés sur un point: lorsque les thèmes «avalanches» et «droit» se rencontrent, il n’y a aucun fossé infranchissable. Dans ce sens, le séminaire a atteint l’un de ses principaux objectifs: encourager la compréhension réciproque. 8 Je tiens à remercier chaleureusement à cette occasion tous ceux qui ont fait de ce séminaire international «Avalanches et droit» un succès et ont aidé à l’impression des actes du séminaire. Traduction: Jenny Sigot Lawinen und Recht Introduzione Jürg Schweizer Le valanghe e il diritto sono due campi che apparentemente hanno poche affinità. Da un lato esistono relativamente poche basi giuridiche che fanno riferimento ad il tema delle valanghe, d’altra parte la giustizia, fortunatamente, solo raramente è confronta con la tematica delle valanghe. Tuttavia i rapporti le tra questi settori non sono esenti da conflitti, in quanto a seguito delle zone d’ombra che in questa materia inevitabilmente esistono, spesso possono sorgere dei malintesi e la componente emozionale può prendere il sopravvento. Inoltre bisogna considerare che, come (purtroppo) confermato anche dal convegno, i giuristi da un lato ed i responsabili della sicurezza dall’altro lato, di frequente non parlano la stesso linguaggio. Nel migliore dei casi il perito della giustizia puo’ creare un ponte tra questi diversi ambiti. Obiettivo principale del convegno era quindi quello di radunare questi diversi settori, allo scopo di incoraggiare la comprensione reciproca. Espresso in modo banale, il nostro intendimento era quello di attenuare la paura dei responsabili degli addetti della sicurezza verso la giustizia e, d’altra parte, di offrire a giuristi, giudici o avvocati un’occasione per meglio conoscere una materia – quella dei provvedimenti tecnici connessi alla protezione delle valanghe – estremamente complessa e inevitabilmente legata a dei fattori di incertezza. Per raggiungere questo obiettivo ci è sembrato utile esaminare la situazione a livello di intero arco alpino, organizzando quindi un convegno aperto ad una partecipazione internazionale. Nel gennaio del 1994, allorquando lo SNV (l’Istituto federale svizzero per lo Studio della Neve e delle Valanghe) organizzò un convegno dai contenuti simili, l’atmosfera che precedentemente regnava in questo ambito era tutt’altro che tranquilla. Due gravi incidenti valanghivi con esiti gravi (1985 a Samnaun e 1988 a S-charl) si erano risolti con la condanna delle guide alpine responsabili della sicurezza. Le relative sentenze furono oggetto di diatribe, specialmente nel caso di un incidente avvenuto nella Bassa Engadina, sul Monte San Lorenzo nella valle di S-charl. In questa vicenda anche l’SNV fu sottoposto a forti critiche: da un lato in quanto il giudice del Tribunale Federale svizzero fece riferimento al bollettino sulle valanghe e ai relativi criteri di definizione ed interpretazione, d’altra parte un collaboratore dell’SNV venne chiamato a produrre una perizia per il tribunale e, tra le altre cose, non fece riferimento al fatto che le scale di pericolo delle valanghe, dopo l’incidente – a ragione o a torto – venne aumentato dal grado «moderato» al grado «marcato». Werner Munter, una guida alpina, tuonò che la sovravalutazione del bollettino delle valanghe in Svizzera rappresenta una triste tradizione. Comunque, alla fine della gita sciistica, gli argomenti della controparte che avversavano la sentenza sono stati dichiarati come irricevibili. Un contributo essenziale in questo senso con sostanziali progressi è dovuto da un lato al miglioramento della comunicazione tra i responsabili delle gite escursionistiche e degli addetti alla sicurezza e dell’istituto SNV che, sotto l’impulso iniziale del responsabile dell’istituto Dottor Walter Amman, organizzò quel convegno nel 1994. Inoltre venne pure migliorata la formazione, la prevenzione delle valanghe e anche il procedura per l’elaborazione delle perizie oggettive. Anche il gruppo di esperti creato in Svizzera per occuparsi del tema delle perizie nel caso di incidenti in montagna ha contribuito a ridurre le tensioni ed è stato preso a modello anche in Austria e in Francia. Tutti questi fattori, per quanto l’autore è in grado di valutare, hanno permesso, specialmente nei paesi alpini di lingua tedesca, di rasserenare la situazione. L’anno 1999 è notoriamente stato un anno di valanghe eccezionale, dalla Francia all’Austria, si sono registrate numerose valanghe con conseguenze assai gravi. Le tre maggiori di esse hanno tutte portato all’istruzione di cause a livello giuridico: Montroc nella regione di Chamonix, Evolène in Vallese e a Galtür / Valzur nel Tirolo. Mentre l’evento francese si concluse con la condanna dei responsabili, in Austria i responsabili vennero giudicati come innocenti. Entrambe le perizie vennero redatte da collaboratori dell’Istituto SNV. Nel caso svizzero di Evolène, lo stesso istituto SNV si rifiutò di redigere la perizia, delegandola ad altri. Dopo il convegno del Novembre 2005 il caso venne trattato in seconda istanza dal tribunale cantonale Vallesano: la decisione della prima istanza venne contestata dalla parte imputata e fu oggetto di ricorsi presso il Tribunale Federale Svizzero. La corte di cassazione penale del Tribunale Federale bocciarono i ricorsi alla fine di Agosto 2006. Numerosi altri «quasi incidenti» accaduti nel febbraio 1999 nella maggior parte dei casi i provvedimenti presi ebbero successo e le persone coinvolte ebbero la fortuna dalla loro parte in quanto raramente pochi casi ebbero epilogo con perdite di vite umane. Vi furono comunque numerose inchieste penali, anche se pure in questo caso prendendo in 9 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 esame unicamente la situazione svizzera, non vi fu un’ondata di condanne in quanto nella maggior parte dei casi i procedimenti in corso vennero abbandonati A conoscenza dell’autore vi sono solamente due casi, Evolène e quello di Leukerbad, nel quale una valanga fatta scendere artificialmente provocò dei danni materiali considerevoli e dove i responsabili vennero condannati. Contrariamente al convegno organizzato nel 1994, in quello qui illustrato dai presenti atti, vennero maggiormente considerati le questioni attuali relative alla messa in sicurezza di strade ed insediamenti abitati, che non la questione della gestione del rischio durante le escursioni con gli sci. Tuttavia, anche nel campo delle gite in montagna con lo sviluppo dei metodi di valutazione del rischio di tipo strategico (metodologia di riduzione elaborata da Werner Munter) sono comunque emerse questioni rilevanti dal profilo giuridico. A questa situazione hanno peraltro contribuito anche la sentenza sull’incidente provocato da una valanga nella Jamtal del Dicembre 1999. La sentenza di diritto civile nel caso della Jamtal ha avuto quale effetto che chi organizza queste gite a scopo commerciale oggi viene molto meglio consigliato che in passato, potendo predisporre di concetti sulla sicurezza. Il tema in questo caso è quello della garanzia della qualità dei servizi offerti. Dopo una presentazione introduttiva sullo stato delle conoscenze («state-of-the-art») in materia di valanghe e delle problematiche legate alla gestione del rischio, sulle basi legali attualmente esistenti, vi sono state comunicazioni dedicate ad aspetti giuridici rilevanti considerati nell’esame di casi di sinistri provocati da valanghe in Germania, Francia, Italia, Austria e Svizzera. Questa serie di comunicazioni ha evidenziato come, tra i diversi paesi alpini, vi siano differenze considerevoli. In Francia la nuova legislazione sulla responsabilità penale ha condotto a una situazione di maggiore incertezza, anche tra i giuristi. In Italia chi provoca il distacco non intenzionale di una valanga viene giudicato per reato di pericolo astratto che che puo’ implicare condanne da 1 a 5 anni di detenzione. Nei Paesi di lingua tedesca Germania, Austria e Svizzera la situazione è maggiormente comparabile, anche se in Germania, nel caso di decisioni del giudice, le norme hanno un’importanza maggiore che non in Austria o in Svizzera dove le sentenze hanno carattere piuttosto situativo, trattandosi di considerare in modo piuttosto generale, le regole di comportamento riconosciute ed ammissibili. Nell’ambito dei cinque workshops sono stati comunque discussi anche il tema del dovere di diligenza. I risultati delle discussioni sono stati riassunti negli atti del convegno, anche se essi non sono assolutamente oggettivi, ma possono essere considerati alla stregua di punti di vista di 10 singoli casi specifici. Il punto centrale maggiormente controverso è soprattutto quello trattato nei gruppi di discussione dedicati alla definizione di standard, ovvero quello delle «regole di comportamento di validità generale». In questo caso, ad esempio, ciò che viene oggi considerato una formazione standard in materia di valanghe, non viene automaticamente assimilato a uno «standard» in senso giuridico. Comunque può assumere tale carattere unicamente quando esso è stato utilizzato a fini pratici e quindi sperimentato da diversi anni. Un esempio: il portare con se un strumento per la ricerca di persone sotterrate da valanghe durante una gita sciistica viene considerato come standard, mentre i metodi di valutazione di tipo strategico per la prevenzione e valutazione dei rischi, non sono (ancora) automaticamente considerati come degli standard. Il fatto che relativamente pochi incidenti di valanghe hanno conseguenze a livello giuridico mostra che il diritto può essere considerato come adeguato e che i responsabili della sicurezza in generale lavorano in modo ineccepibile dal punto di vista professionale. Questo è esattamente ciò che gli abitanti delle zone a rischio ed i turisti che le frequentano si aspettano ed è ciò che la giustizia considera come importante: i responsabili devono essere in grado di considerare in modo accurato la situazione, di valutare i rischi e di verificare dove dei provvedimenti per ridurre gli stessi sono necessari. Se essi sono inoltre in grado di documentare in modo assolutamente riproducibile il procedimento, in genere hanno pochi motivi per temere conseguenze a livello giuridico, nel caso in cui dovessero essere oggetto di denunce. Gli oltre 150 partecipanti provenienti da tutti i paesi alpini oltre che dal Canada, dalla Spagna e dalla Polonia erano in genere unanimi: quando i temi «valanghe e diritto» si incontrano, non vi sono necessariamente dei fossati invalicabili. In questo senso il convegno ha pertanto centrato uno dei suoi obiettivi primari, quello di migliorare la comprensione tra le diverse parti. In questo contesto desideriamo ringraziare sentitamente tutti quelli che hanno contribuito alla riuscita del convegno «valanghe e diritto» e alla pubblicazione dei relativi atti. Traduzione: Fulvio Giudici Lawinen und Recht Der Präsident Korrespondenznummer 9.6.14 Internationales Seminar Lawinen und Recht Grusswort von Bundesgerichtspräsident Dr. Giusep Nay Sehr geehrter Herr Direktor Ammann Meine sehr verehrten Damen und Herren Nur zu gerne hätte ich Ihnen persönlich meine und die Grüsse des Schweizerischen Bundesgerichts überbracht, doch ist dies wegen einer kurzfristig aufgetreten Termin− kollision leider nicht möglich. Ich bereue dies umso mehr, als ich das Lawinenforum 1994 des SLF noch in bester Erinnerung habe, mit seinen interessanten Diskussionen unter Juristen und Schnee− und Lawinenexperten, ja gar unter Richtern und Verantwortlichen für die Lawinensicher− heit, die mit Strafverfahren konfrontiert waren. Diese direkten Kontakte waren für mich bei der Beurteilung von Lawinenunfällen stets eine wertvolle Erfahrung und Hilfe. Juristen beschäftigen sich mit Lawinen vornehmlich dann, wenn ein Unfall passiert ist und es darum geht, allfällige zivil− und strafrechtliche Verantwortlichkeiten zu klären. Wie Ihnen sicher auch schon aufgefallen ist, verstehen Juristen allerdings von der Mate− rie, mit der sie sich, sei es als Anwalt oder in meinem Fall als Mitglied des Bundes− gerichts, beruflich beschäftigen müssen, letztlich herzlich wenig. Das ist aber nicht nur in diesem Bereich so. So müssen sie etwa, ohne über medizinische Fachkenntnisse zu verfügen, beurteilen, ob ein Arzt nach einer missglückten Operation zivilrechtlich oder strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann oder nicht. Die Juristen sind daher auf die in den Prozessrechten vorgesehenen Sachverständigengutachten ange− wiesen. Jede rechtliche Beurteilung menschlichen Verhaltens steht und fällt mit der möglichst präzisen Feststellung des Sachverhalts. Die rechtliche Beurteilung ist das Kerngeschäft der Juristen. Die Feststellung des Sachverhalts können und müssen sie bei den ge− 11 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 wöhnlichen Lebensvorgängen alleine, ohne Beizug von Fachleuten, selber vornehmen. Lawinenniedergänge sind hingegen − das ist auch den Richtern und Juristen bewusst − höchst komplexe Ereignisse, die nicht nachzuvollziehen sind ohne Rückgriff auf Fach− wissen, wie es und bei Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, vorhanden ist und am SLF seit langem in kompetentester Weise erarbeitet, vermehrt und vermittelt wird. Ohne Fachleute, die in der Lage sind, konkrete Aussagen zu den Ursachen eines Lawinenniedergangs und dessen Vorhersehbarkeit zu machen sowie gegebenenfalls das Verhalten der Betroffenen unter alpinistischen Gesichtspunkten zu beurteilen, ist eine juristische Klärung allfälliger Verantwortlichkeiten schlechterdings ausgeschlossen. Entscheidend für eine erfolgreiche juristische Aufarbeitung eines Lawinenunfalles, mit welcher allfällige Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen oder entlastet werden können und, was mir persönlich noch wichtiger erscheint, ein Beitrag zur Vermeidung künftiger Unfälle geleistet werden kann, ist dabei die gute Zusammenarbeit zwischen den lawinenkundlichen, alpinistischen und weiteren Experten und den Juristen. Beide Seiten müssen sich dabei, was keineswegs immer einfach ist, strikt an ihre Aufgabe halten: erstere haben − und dies ausschliesslich − die Fakten zu liefern, letztere haben diese unter zivil− und/oder strafrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Ich danke dem SLF herzlich, dass es dieses Internationale Seminar durchführt, an welchem, wie ich sehe, auch die Aufgaben des gerichtlichen Experten thematisiert sind. Ihre Arbeiten und vor allem der internationale Meinungsaustausch werden gewiss einen grossen Beitrag zur Vertiefung des ganzen Wissens und u.a. auch des Verständnisses der Rollenverteilung zwischen Gericht und Fachleuten leisten. So wünsche ich Ihnen eine interessante, erspriessliche und angenehme Tagung im vorwinterlichen Davos. Lausanne, 3. November 2005 12 Lawinen und Recht Lawinenbildung und Lawinengefahrenbeurteilung – Denken oder Würfeln? Jürg Schweizer 1 Einleitung Lawinen sind eine der bedeutendsten Naturgefahren im Alpenraum. Sie zählen zu den Massenbewegungen und sind eine meteorologisch bedingte Naturgefahr. Bis heute sind Lawinen die einzige Naturgefahr – neben den rein meteorologischen Phänomenen Sturm und Starkniederschlag – vor der systematisch gewarnt wird. Seit 1945 gibt es in der Schweiz ein Lawinenbulletin. Entsprechend hat die Lawinenwarnung heute einen hohen Stand erreicht. Lawinenprognosen warnen Bewohner, Touristen und Benutzer von Verkehrswegen heute zuverlässig vor der herrschenden Lawinengefahr. «Vorhersage der Lawinengefahr für Mittwoch, ganzes Gebiet der Schweizer Alpen: Mässige Lawinengefahr.» Was heisst das nun, mässig? Wo und wann, unter welchen Bedingungen treten demnach Lawinen auf? Diese Frage können im Detail auch die erfahrensten Lawinenexperten (noch?) nicht beantworten. Mässige Lawinengefahr heisst, dass in einer bestimmten Region eine mittlere Wahrscheinlichkeit besteht, dass Schneesportler eine Lawine auslösen können. Die Frage nach dem genauen Ort und Zeitpunkt bleibt aber unbeantwortet. Grund dafür ist, dass Lawinen im Grunde genommen seltene Ereignisse sind und nur unter sehr bestimmten lokalen Bedingungen auftreten. Diese Bedingungen hängen vor allem vom Wetter und der Witterung ab. Das Wetter kann aber kleinräumig, und darauf kommt es an, sehr unterschiedlich sein. Diese lokalen Launen der Natur haben auch die allerbesten Wettermodelle nicht im Griff. Zudem ist nicht allein das aktuelle Wetter entscheidend, sondern die ganze Wetterentwicklung des Winters – gespeichert im Schneedeckenaufbau. 2 Schneebrettauslösung Lockerschneelawinen sind meist harmlos, können aber zum Tod durch Mitreissen und nachfolgenden Absturz führen. Die Hauptgefahr stellen in den meisten Situationen trockene Schneebrettlawinen dar. Dabei zerbricht in Sekunden eine ganze Schneetafel, bestehend aus Neuschnee oder Triebschnee, häufig zusammen mit Altschneeschichten, und gleitet auf einmal als Ganzes ab. Dadurch ist ein Entkommen für Schneesportler schwierig. Für eine Schneebrettlawine aus trockenem Schnee braucht es einige notwendige Zutaten: 1. Steiles Gelände (steiler als ca. 30 Grad), 2. Eine bestimmte Schichtung der Schneedecke, nämlich eine Schwachschicht oder ein schwacher Schichtübergang unter einer mindestens teilweise leicht gebundenen Schneeschicht (dem sogenannten Schneebrett), 3. Ein Vorkommen dieser Schichtung über eine grössere Fläche (einige 10 – 100 m2), 4. Ein annähernd kritisches Gleichgewicht zwischen Spannungen und Festigkeiten in der Schwachschicht oder an der Schichtgrenze unterhalb dem Schneebrett (zuweilen als metastabiler Zustand bezeichnet), 5. Ein auslösendes Moment (meist in der Form einer äusseren Störung, typischerweise ein Schneesportler oder ein bedeutender Neuschneezuwachs), und schliesslich 6. Eine Neigung der Schneedecke zur Bruchausbreitung. Neben den Gelände ist es also vor allem die Schichtung der Schneedecke und deren Ausbreitung (Stichwort flächige Variabilität) die entscheidend sind. Die Schneebrettlawine ist ein Bruchprozess, der im Kleinen beginnt. Bei natürlichen (oder spontanen) Lawinen kann er einige Zeit dauern, aber schliesslich in wenigen Sekunden ganze Geländeteile erfassten. Diese Vielfalt der Skalen, örtlich und zeitlich, stellt eine der grössten Herausforderungen dar für die realistische, physikalisch basierte Modellierung der Schneebrettauslösung. Was passiert genau, bevor eine Schneebrettlawine spontan abgleitet? In der schwachen Schicht oder an der schwachen Schichtgrenze kommt es lokal unter Scherbelastung am Hang zu einem Schädigungsprozess. Bindungen zwischen Schneekörnern brechen häufiger und schneller, als sich neue wieder bilden können. Hat sich eine genügend grosse Bruchfläche – der Initialbruch – gebildet, so kommt es zur sekundenschnellen Bruchausbreitung (Scherbruch allenfalls kombinierter Scher- und Druckbruch) und schliesslich nach dem Zugriss zum Abgleiten des Schneebrettes. Zwei Prozesse sind also wesentlich: erstens die Bruchbildung, zweitens die Bruchausbreitung. Festigkeit und Bruchzähigkeit sind daher zwei wichtige Schlüsselgrössen. Der Vorgang der Lawinenauslösung umfasst also vom Schneekristall 13 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 (Zehntelmillimeter) bis zum Lawinenhang (100 m) viele Grössenordnungen, die gleichzeitig zu untersuchen praktisch unmöglich ist. Schneesportler initiieren direkt durch ihre dynamische Zusatzbelastung einen Initialbruch – besonders anschaulich zeigen dies die sogenannten Wummgeräusche, die als Alarmzeichen gelten. Die Wirkung des Schneesportlers auf die Schneedecke hängt vom Schichtaufbau ab und nimmt generell mit der Tiefe rasch ab. Daher ist zum Beispiel ein Auslösung an eher schneearmen Stellen oder beim Übergang von Rinnen zu Mulden wahrscheinlicher als an Orten, wo die Schneedecke mächtig ist. Dort befinden sich allfällige Schwachschichten verhältnismässig weiter unten in der Schneedecke, wo der Einfluss der Schneesportler geringer ist. Die typische Skifahrerlawine (oder generell die von Personen ausgelöste trockene Schneebrettlawine) ist ca. 50 m breit und 150 m lang, wobei die Länge der abgeglittenen Schneetafel ca. 80 m ist. Die Anrisshöhe beträgt ca. 50 cm und das Anrissgebiet (steilste Hangpartie) ist ca. 38 bis 39 Grad geneigt. Bei einer mittleren Dichte von ca. 200 kg / m3 werden im Mittel somit bei einer typische Skifahrerlawine ca. 320 Tonnen Schnee umgelagert. Am häufigsten, nämlich in fast drei Viertel aller Fälle, werden Skifahrerlawinen in Nordost-, Nord- Nordwest und Osthängen ausgelöst, und zwar vor allem in kammnahen Mulden und Rinnen. 3 Lawinenbildung und Gefahrenbeurteilung Die Lawinenbildung lässt sich grundsätzlich von zwei Seiten angehen. Einerseits über den Weg der sogenannten lawinenbildenden Faktoren (Gelän- Bruchbildung Schädigungsprozess (mm – cm) de, Niederschlag, Wind, Temperatur und Strahlung und Schneedeckenaufbau), andererseits über die Mechanik der Lawinenauslösung. Der erste Weg führt zu relativen Aussagen über die Auslösewahrscheinlichkeit und wird erfolgreich von allen Lawinenwarndiensten begangen. Er ist der einzig praktikable Weg zur Lawinenbeurteilung, auch für den Schneesportler. Der zweite Weg führt theoretisch direkt zur Prognose der Stabilität im Einzelhang – ein Weg mit vielen Hindernissen und bescheidenen Fortschritten – der Weg, den die Forschung zu gehen versucht. Niederschlag, Wind, Temperatur und Strahlung sind relativ einfach zu messen und bewirken alle in erster Linie eine Zunahme der Belastung. Entscheidend ist aber meist, wie die Schneedecke beschaffen ist, ob es Schwachstellen gibt. Die Schneedecke ist aber die grosse Unbekannte. Nur indirekt bekommen wir Informationen geliefert über die Instabilität der Schneedecke, zum Beispiel über Alarmzeichen (Wummgeräusche, Risse, frische Lawinen). Zusätzlich können mit Schneedeckenuntersuchungen aktiv Informationen zum Schneedeckenaufbau gesucht werden. Dabei interessieren vor allem die Fragen: Hat es Schwachschichten oder kritische Schichtübergänge, und wenn ja, wie kritisch und wie verbreitet sind diese? Es gibt einige einfachen Regeln, die Rückschlüsse erlauben auf die Instabilität der Schneedecke. Dabei betrachtet man vor allem Korngrösse und Härte und deren Unterschiede von Schicht zu Schicht. Voraussetzung für eine Schneebrettlawine sind nämlich Diskontinuitäten. Je ausgeprägter die vertikale Schichtung, um so wahrscheinlicher ist die Lawinenbildung. Während vertikale Unterschiede die Lawinenbildung begünstigen, beeinträchtigen sie horizontale Unterschiede. Die flächige Variabilität der Schneedecke beeinflusst die Lawinenbildung ganz entscheidend und erschwert die Gefahrenbeurtei- Lawinenauslösung Bruchlokalisation (cm – dm) Bruchausbreitung (dm – 10 m) Abgleiten der Lawine (10 – 100 m) Sprengung Schneesportler Abb. 1: Schematische Darstellung der Prozesse, die zur Lawinenauslösung führen. 14 Lawinen und Recht lung. Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass die Schneedecke aber nicht völlig chaotisch ist, sondern dass die Variationen eine räumlichen Bezug haben und recht oft auch ausgeprägte Muster existieren. Dabei gilt es zu beachten, dass Variationen auf verschiedenen Skalen (Region, Einzugsgebiet, Hang, Schneedecke, Schneeschicht, Schneekorn) existieren, die unterschiedliche Gründe und für die Lawinenbildung unterschiedliche Konsequenzen haben können. So sind kleinräumige Variationen (10 cm), die durch den Wind entstehen, eher ungünstig für die Lawinenbildung, während Variationen auf der Skala 10 bis 100 m dazu führen können, dass im selben Hang, zum Beispiel mehr zum Rand hin eine Auslösung möglich ist, während die Auslösung mehr in der Mitte des Hanges wesentlich weniger wahrscheinlich ist. Theoretisch liesse sich durch gezielte Beobachtung der Schneeoberfläche die Variabilität abschätzen, wobei allerdings Änderungen, sozusagen in letzter Minute vor dem Einschneien zu wesentlichen Unsicherheiten füh- ren können. Grundsätzlich gilt aber: Die Schneeoberfläche von heute ist die potentielle Schwachschicht von morgen. Während die Entstehung von Schwachschichten an der Schneeoberfläche häufig recht uniform ist, ist deren Zerstörung vor allem durch den Wind stark von Zufälligkeiten beeinflusst. Der Wind verursacht ganz klar die grössten und unberechenbarsten Schneedeckenvariationen. Gefahrenbeurteilung heisst vor allem, in der grossen Vielfalt Muster zu suchen. 4 Vorhersehbarkeit Neben dieser grossen Vielfalt gibt es eine beständige Grösse: das Gelände. Lawinen brechen denn auch immer wieder – trotz stets anderer Bedingungen – an den selben Orten an. Nur deshalb ist es überhaupt möglich und sinnvoll, Schutzbauten zu erstellen. Daraus folgt, dass insbesondere Grosslawinen weitgehend voraussehbar sind, da nämlich kaum einmal eine derartige Lawine aus- Abb. 2: Typische Skifahrerlawine, die von den Hang querenden Skifahrern ausgelöst wurde. Bei einer Schneebrettlawine gleitet eine ganze Schneetafel ab. Die markante Anrissstirn entsteht durch den Zugriss, aber erst nachdem sich unterhalb der Schneetafel der primäre Scherriss ausgebreitet hat. Bei einer derartigen Skifahrerlawine kommen häufig mehrere Hundert Tonnen Schnee in Bewegung. 15 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Abb. 3: Durchscheinendes Profil am Lawinenanriss der in Abb. 1 gezeigten Schneebrettlawine. Unter dem rund 40 cm dicken Schneebrett erscheint hell und luftig die Schwachschicht, in der der Bruch erfolgte. Abb. 4: Nahaufnahme der Schwachschicht: eingeschneiter Oberflächenreif. Zwischen einer feinkörnigen Neuschneeschicht (oben) und einer grobkörnigen Altschneeschicht (unten) sind die filigranen, ca. 1 cm grossen Oberflächenreifkristalle gut erkennbar. 16 Lawinen und Recht Abb. 5: Während der Rücken im Vordergrund abgeblasen oder zumindest sehr rauh und variabel ist, sehen die meisten Hänge sehr homogen aus. Nicht zuletzt deshalb ist der Aufstieg über Rücken sicherer als durch Mulden. Auf den Rücken können sich nämlich meist keine zusammenhängenden Schwachschichten bilden. serhalb eines bekannten Lawinenzuges zu Unzeiten niedergeht. Überraschungen sind aber nicht ausgeschlossen, und der genaue Zeitpunkt ist nicht vorhersehbar, ebenso wenig wie das genaue Ausmass im Auslaufgebiet. Bei den von Schneesportlern ausgelösten Lawinen ist die Situation etwas komplizierter, da Schneesportler sehr verschiedenes Gelände befahren. Dadurch wird auch der Ort der Auslösung zunehmend von Zufälligkeiten bestimmt, die nicht vorhersehbar sind. Auch für von Schneesportlern ausgelöste Lawinen gilt, dass voraussehbar ist, in welchem Gelände Lawinen grundsätzlich möglich sind. Zeiten erhöhter Auslösewahrscheinlichkeit lassen sich ebenfalls recht zuverlässig prognostizieren, wobei auch bei erhöhter Auslösewahrscheinlichkeit und damit erhöhter regionaler Lawinengefahr die Auslösewahrscheinlichkeit in einem bestimmten Einzelhang relativ gering sein kann. Schwierig wird die Beurteilung für Schneesportler bei mittlerer Auslösewahrscheinlichkeit, die zudem über längere Zeit andauern kann. In solchen Situationen erhöhter Unsicherheit kommt dem defensiven Verhalten bei der Risikoreduktion besondere Bedeutung zu. Besonders wesentlich wird die Frage, wie gross Lawinen werden können. Bei der Beantwortung können Kenntnisse über den Schneedeckenaufbau helfen. Letztlich ist es aber aufgrund der Schneedeckenvariabilität nicht möglich, den genauen Ort und Zeitpunkt der Auslösung zu prognostizieren. 5 Schluss 70 Jahre Lawinenforschung haben zwar viele Geheimnisse gelüftet, aber der genaue Ort und Zeitpunkt eines Lawinenabganges lassen sich auch heute nicht vorhersagen. Wohl aber zu einem bestimmten Grade das Gelände, wo Lawinen zu erwarten sind, und die Zeit. Es gibt ganz klar Lawinenzeiten, in denen die Wahrscheinlichkeit einer Auslösung grösser und daher eher mit Lawinen zu rechnen ist. Auf diesen Tatsachen beruht unter anderem die Lawinenwarnung. Wäre die Lawinengefahr nicht zu einem gewissen Grade voraussehbar, so wäre die Zahl der Lawinenopfer auf Verkehrswegen und in Siedlungen nicht verhältnismässig gering – Zeugnis der hohen Professionalität der Sicherheitsverantwortlichen. Gefahrenbeurteilung heisst im Wesentlichen Muster erkennen – auf verschiedenen Skalen. Die Muster 17 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 haben ursächliche (z. T. erkennbare) Komponenten und zufällige (nicht erkennbare) Komponenten, und die Mischung kann variieren. Dadurch spielen auch Zufälligkeiten eine wesentliche Rolle, aber Lawinenprognosen oder generell Lawinengefahrenbeurteilungen durch erfahrene Sicherheitsverantwortliche – deren Trefferquote auch schon mit derjenigen von Bauernregeln verglichen wurde – sind zuverlässiger als Würfeln. Denken oder Würfeln? Sowohl als auch: Beobachten und Kombinieren mit dem Erfahrungsschatz (Denken) und Berücksichtigen der Unsicherheiten (Zufälligkeiten, d. h. Würfeln) sind Voraussetzungen für eine risikobasierte Entscheidungsfindung. Dr. Jürg Schweizer studierte Umweltphysik an der ETH Zürich und promovierte in Glaziologie. Seit 1990 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am SLF mit Spezialgebiet Lawinenbildung. Er ist verantwortlich für die Lawinenausbildung von Lawinensachverständigen (IFKIS) und hat in den letzten 10 Jahren in über 20 Fällen Gerichtsgutachten zu Lawinenunfällen verfasst. Résumé: Formation des avalanches et évaluation du danger – Réflexion ou coup de dés? Les avalanches constituent une des principales sources de danger naturel dans l’espace alpin. Elles font partie des mouvements de masse et dépendent des conditions météorologiques. Jusqu’à l’heure actuelle, les avalanches sont le seul danger naturel – à côté des phénomènes purement météorologiques que sont les tempêtes et les fortes précipitations – qui font l’objet de mises en garde systématiques. Depuis 1945, la Suisse diffuse un bulletin d’avalanches. Grâce à ce travail, les prévisions d’avalanches ont atteint aujourd’hui un niveau élevé de qualité. Elles mettent en garde les habitants, les touristes et les usagers des voies de communication avec une bonne fiabilité contre le danger d’avalanche actuel. «Prévisions du danger d’avalanche pour mercredi sur l’ensemble du territoire des Alpes suisses: danger limité d’avalanche.» Mais que signifie en réalité danger limité? Où, quand et dans quelles circonstances les avalanches se produiront-elles lorsqu’on parle de danger limité? A ces questions même les experts en avalanches les plus expérimentés ne peuvent pas (encore?) répondre. Danger limité d’avalanche signifie que, dans une région déterminée, il y a une probabilité moyenne que des adeptes des sports de neige puissent déclencher une avalanche. Les questions de savoir où précisément et quand restent cependant sans réponse. La raison en est que les avalanches sont au fond des phénomènes rares qui ne se produisent que dans des conditions locales très déterminées. Ces conditions dépendent surtout du temps à un endroit donné et de la météo en général. Le temps peut en effet être très variable sur de petits espaces. Et c’est précisément cela la question. Ces humeurs locales de la nature, même les modèles 18 météorologiques les plus sophistiqués ne peuvent pas les maîtriser. De plus, il n’y a pas que le temps actuel qui joue un rôle déterminant, il y aussi l’évolution météorologique tout au long de la saison hivernale et qui est emmagasinée dans la constitution du manteau neigeux. A côté de cette grande diversité, il y a une constante: la configuration du terrain. Les avalanches se déclenchent régulièrement – en dépit de conditions sans cesse changeantes – aux mêmes endroits. Ce n’est d’ailleurs qu’à cause de cela qu’il est possible et logique de mettre en place des constructions de protection. On peut en déduire que plus particulièrement les grandes avalanches sont largement prévisibles, car des avalanches de ce genre ne se déclenchent guère de manière imprévisible en dehors d’un couloir d’avalanche connu. Aucune surprise n’est cependant exclue et ni le moment précis, ni l’ampleur exacte dans la zone de dépôt ne sont prévisibles. Dans le cas des avalanches déclenchées par des adeptes des sports de neige, la situation est un peu plus complexe, car les sportifs empruntent des zones ayant des configurations très diverses. La zone de déclenchement dépend donc en grande partie d’éléments aléatoires qu’on ne peut pas prévoir. Fondamentalement, la formation d’une avalanche peut être abordée de deux côtés. D’une part, par la voie de ce qu’on appelle les facteurs qui interviennent dans la formation d’une avalanche (le terrain, les précipitations, le vent, la température, le rayonnement et la constitution du manteau neigeux), et d’autre part par la voie de la mécanique de déclenchement d’une avalanche. La première voie mène à des conclusions relatives sur la probabilité de déclenchement et est empruntée avec succès par tous les services de prévisions d’avalanches. C’est la seule voie praticable pour l’évaluation des avalanches pouvant également être empruntée par les adeptes des sports de neige. La seconde voie mène théoriquement et directement aux prévisions relatives à la stabilité d’une pente déterminée – une voie semée de nombreuses embûches sur laquelle les progrès sont modestes – c’est la voix de la recherche. Une question centrale à cet égard est de savoir comment la diversité – c’est-à-dire la variabilité – influence le processus de formation des avalanches. Les influences sont en effet multiples. Selon l’angle sous lequel on examine le problème, les mêmes influences peuvent agir en faveur ou à l’encontre de la formation d’une avalanche. Même si 70 années de recherche sur les avalanches ont levé de nombreux secrets, l’endroit et le moment supposé du départ d’une avalanche ne peuvent pas encore être prévus aujourd’hui. On peut cependant savoir dans une certaine mesure sur quel terrain il faut s’attendre à des avalanches et à quel moment. Il y a clairement des heures d’avalanches au cours desquelles la probabilité d’un déclenchement est plus grande et pendant lesquelles il faut donc s’attendre à des avalanches. C’est entre autres sur ces faits que se fondent les prévisions d’avalanches. Si le danger d’avalanche ne pouvait pas être prévu jusqu’à un certain degré, le nombre de victimes d’avalanches sur les voies de communication et dans les zones habitées ne serait pas relativement faible – cela témoigne du haut degré de professionnalisme des responsables de la sécurité. Même si Lawinen und Recht des éléments aléatoires jouent également un rôle essentiel, les prévisions d’avalanches ou, d’une manière générale, les évaluations du danger d’avalanche par les responsables expérimentés de la sécurité – dont l’exactitude est parfois comparée à celles des dictons populaires – sont plus fiables que des coups de dés. La réflexion n’est donc pas interdite. Dr Jürg Schweizer a étudié la physique de l’environnement à l’ETH Zurich et a présenté une thèse de doctorat en glaciologie. Depuis 1990, il est collaborateur scientifique à l’ENA dans le domaine spécialisé de la formation des avalanches. Il est responsable de la formation des experts en avalanches (IFKIS) et a rédigé au cours des 10 dernières années des rapports d’expertise concernant plus d’une vingtaine d’accidents d’avalanche à l’attention des tribunaux. Riassunto: Formazione delle valanghe e valutazione del pericolo valanghe: riflettere o tirare i dadi? Le valanghe sono uno dei più imponenti pericoli naturali che si possono verificare sulle Alpi. Un pericolo naturale che rientra nei movimenti delle masse e che è causato da fenomeni meteorologici. Sino ad oggi le valanghe sono infatti l’unico pericolo naturale, insieme ai fenomeni puramente meteorologici «tempesta» e «forti precipitazioni», per il quale esiste un servizio di prevenzione sistematico. In Svizzera il bollettino delle valanghe esiste ormai dal 1945 e possiamo dire che oggi l’attività di prevenzione contro questo fenomeno ha raggiungo standard molto elevati. Al giorno d’oggi le previsioni sulle valanghe avvertono in modo affidabile gli abitanti, i turisti e gli utenti del traffico sull’esistenza di un pericolo di valanghe. «Previsione del pericolo di valanghe per la giornata di mercoledì: intero territorio delle Alpi svizzere: moderato pericolo di valanghe». Ma cosa significa esattamente «moderato»? Dove, quando e in quali condizioni si verifica quindi una valanga? A questa domanda non sono (ancora?) in grado di dare una risposta neanche i più esperti del settore. «Moderato pericolo di valanghe» significa che in una determinata regione è mediamente probabile che gli appassionati di sport invernali possano causare il distacco di una valanga. La questione sul luogo e il momento esatto rimane tuttavia irrisolta. Il motivo è dovuto al fatto che in fin dei conti le valanghe sono fenomeni piuttosto rari, che si verificano solo in circostanze molto particolari. Queste ultime dipendono soprattutto dalle condizioni meteorologiche, che possono però variare notevolmente, ed è questo proprio il punto, nell’ambito di minime distanze. Questi «capricci» locali della natura non possono essere controllati neanche dai migliori modelli meteorologici. Inoltre c’è da dire che in questi casi non giocano un ruolo determinante solo le condizioni meteo momentanee, ma l’intera evoluzione del tempo lungo tutto l’inverno, che è «memorizzata» nella struttura del manto nevoso. A fianco di tutte queste variabili c’è anche un fattore stabile: il terreno. Perché le valanghe, nonostante la presenza di condizioni sempre diverse, si distaccano sempre dagli stessi punti. Ed è proprio per questo motivo che è possibile e opportuno realizzare le opere di difesa da valanghe. Ne consegue quindi che soprattutto le valanghe di grandi dimensioni sono largamente prevedibili, perché sino ad oggi non si è mai verificato che una simile valanga uscisse dalla sua traccia. Ma eventuali sorprese non possono essere escluse e il momento esatto non è prevedibile, come non sono prevedibili le sue dimensioni nella zona di deposito. Per quanto riguarda invece le valanghe provocate da chi pratica sport invernali la situazione è un po’ più complicata, perché questi ultimi percorrono terreni molto diversi. Anche il luogo del distacco è quindi sempre più determinato da casualità impossibili da prevedere. La formazione di una valanga può fondamentalmente essere analizzata attraverso due diverse strade. Da un lato, attraverso la strada dei fattori che contribuiscono alla formazione di una valanga (terreno, precipitazioni, venti, temperatura, irradiazione e struttura del manto nevoso) e, dall’altro, attraverso la meccanica del distacco. La prima strada conduce a previsioni relative sulla probabilità di distacco e quindi viene percorsa con successo da tutti i servizi di prevenzione valanghe. Questa è l’unica strada praticabile per valutare il pericolo di valanghe, anche per l’appassionato della neve. Dal punto di vista teorico, la seconda conduce direttamente alla previsione della stabilità del singolo pendio. Una strada con molti ostacoli e scarsi progressi: la strada del futuro. La questione centrale è dunque quella di determinare in che modo la molteplicità di questi fattori, cioè la «variabilità», influisce sul processo di formazione di una valanga. In realtà questi fattori sono molteplici, senza contare che lo stesso fattore può favorire o contrastare la formazione di una valanga, a seconda della scala di valutazione. 70 anni di studi sulle valanghe hanno certamente svelato molti segreti, ma il luogo e il momento esatti in cui si distaccherà una valanga non sono ancora oggi prevedibili. Sicuramente è però possibile prevedere una determinata pendenza del terreno dove sono attese eventuali valanghe e il periodo di tempo. Esistono infatti determinati periodi di tempo in cui la probabilità di distacco è maggiore e in cui si prevedono quindi maggiormente eventuali valanghe. Su questi dati di fatto si basa il servizio di prevenzione valanghe. Se il pericolo di valanghe non fosse prevedibile entro determinati limiti, il numero delle vittime da valanga sulle strade e nei centri abitati non sarebbe relativamente basso, grazie anche all’alta professionalità dei responsabili della sicurezza. Anche se le casualità giocano un ruolo altrettanto importante, i bollettini delle valanghe o in generale le valutazioni del pericolo di valanghe fatte da addetti alla sicurezza con una certa esperienza (che ci azzeccano sempre, come i proverbi contadini) sono molto più affidabili dei dadi. Pensare non è vietato. Il Dott. Jürg Schweizer ha studiato fisica ambientale presso l’ETH di Zurigo e ha conseguito il dottorato in glaciologia. Dal 1990 è collaboratore scientifico presso l’Istituto SNV nella specialità formazione di valanghe. Responsabile della formazione di esperti di valanghe (IFKIS), negli ultimi 10 anni ha redatto oltre 20 perizie legali in altrettanti incidenti da valanga. 19 Lawinen und Recht Lawinenprognose Wie entsteht ein Lawinenlagebericht – Möglichkeiten und Grenzen Thomas Stucki 1 Einleitung 2 Der Text basiert auf den Gegebenheiten in der Schweiz. Auf wesentliche, länderspezifische Abweichungen wird fallweise hingewiesen. In den Grundsätzen ist das Vorgehen aber in allen Alpenländern sehr ähnlich (z. B. Vorgehen bei der Einschätzung, Verwendung der europäischen Lawinengefahrenstufenskala). Das Referat vorfolgt drei Ziele: – das Aufzeigen der Datengrundlagen – ein Verständnis für den Prozess der Einschätzung der Lawinengefahr zu erreichen und – die Möglichkeiten und Grenzen des Lawinenbulletins aufzuzeigen Auf die einzelnen Prozesse, die die Entwicklung der Lawinengefahr beeinflussen, kann an dieser Stelle nur anhand von Beispielen andeutungsweise eingegangen werden (lawinenbildende Faktoren; siehe «Lawinenbildung und Lawinengefahrenbeurteilung», S. 13). Auch auf Analysetools und organisatorische Abläufe wird nicht eingegangen. Diese sind länderspezifisch sehr unterschiedlich und für die Erläuterung der behandelten Thematik nicht relevant. Wetter a Höhenlage Exposition Hangneigung Form Oberflächenbeschaffenheit a Die Lawinenprognose basiert auf einer vielfältigen Datenbasis, welche in Tabelle 1 für den Lawinenwarndienst der Schweiz in einer groben Übersicht dargestellt ist. Zusätzlich zu den dort aufgeführten, institutionalisierten Datenquellen stehen noch weitere Quellen im Internet zur Verfügung wie zum Beispiel Webcams, Skitourenforen oder Wetterinformationen. Grundsätzlich können die Grundlagendaten gemäss der Einteilung der lawinenbildenden Faktoren (Abb. 1) in «Wetter» und «Schneedecke» unterteilt werden: Im Bereich «Wetter» (Quelle: Wetterdienste, Messnetze für die Lawinenwarnung) stehen Daten von automatischen Stationen im Vordergrund, weil die meisten benötigten Grössen automatisch und rund um die Uhr erfasst werden können. Ergänzt werden diese Informationen durch die täglichen Meldungen der Beobachter. Sie können die Parameter wie zum Beispiel Wettererscheinungen oder die Schneefallgrenze beobachten. Die Neuschneemessung kann insofern zuverlässiger sein, als zum Beispiel Windeinfluss eindeutig beobachtet und gemeldet werden kann (Tab. 1). Schneedecke Schichtung Schwachschichten Schichtübergänge Schneetemperatur Wassergehalt Variabilität mechanische Eigenschaften a Stabilität Auslösewahrscheinlichkeit Verbreitung der Gefahrenstellen Grösse / Typ der Lawinen a Neuschnee Wind Lufttemperatur Strahlung Luftfeuchtigkeit Gelände Datengrundlagen Gefahrenstufe Einschätzung der Lawinengefahr: Faktorenkombination und -gewichtung, Regeln, Erfahrungswerte a Abb. 1: Die lawinenbildenden Faktoren Wetter, Gelände, Schneedecke bestimmen die Schneedeckenstabilität. Daraus wird die Gefahrenstufe abgeleitet. 21 HNW DS HS Ts Tss Sf Ps TSA Wasserwert des Neuschnees Dichte des Neuschnees Schneehöhe Schneetemperaturen Schneeoberflächentemperatur Schneeoberflächenbeschaffenheit Einsinktiefe (mit Rammsonde oder Ski) Triebschneeansammlungen 1d 1d 0.5h 1d 1d 1d 1d (1d) 1d Beurteilung der Lawinengefahr Bemerkungen/Zusatzinformationen 2w (1d) (1d) (1d) 2w 1d 1d 2w (1d) 1d 1d 2w (1d) 1d 1d [x] [x] [x] 1h 1h 1h 1h 1h (1d) 1h 1h 1h 1h 1h 1h 1h 1h (x) ja/nein x x x x WB x x x x Berichte AWB HNP x x x x x x x täglich ... stündlich ...wöchentlich teilweise, sporadisch geschätzt Modelliert x x x x Wettermodelle EZMWF DWD 1d ...h ...w (...) (...)* [...] x x x x x x aLMo Prognoseprodukte der Wetterdienste aLMo: AlpenModell MeteoSchweiz (6h-Zeitschritte bis 72h) EZMWF: Wettermodell vom Europäischen Zentrums für Mittelfristprognosen (12h-Zeitschritte bis 8 Tage) DWD: Wettermodell vom Deutschen Wetterdienst (6h- und 12h-Zeitschritte bis 7 Tage) 1d 1d 1d (x) (1d) 1d 1d (1d) 0.5h 2w 2w 0.5h 2w 1d 1d 0.5h 1d 1d [3h] [6h] 1d (1d) 1d FP Flachfeldprofile (1d) (1d) 0.5h 1h 0.5h 0.5h (1d)* 1d (1d)* (1d)* [3h] 1d 1d GB Automatisch Stationen Radar IMIS ENET ANETZ Satellit 1d 1d 1d 1d Lawinenabgänge HP Hangprofile mit Stabilitätstest Wummgeräusche, Risse in der Schneedecke Schneegrenze an N- und S-Hängen Sun HN Neuschnee (gefallen) W Ap Wettererscheinungen Luftdruck (QNH) Sonnenscheindauer Tpsy Tdp Sfg Schneefallgrenze Taupunkttemperatur RSWR RH Kurzwellige, reflektierte Strahlung Relative Luftfeuchtigkeit Feuchttemperatur HN P VW Ta Neuschnee (erwartet) Niederschlag (Regen, Schnee geschmolzen) Wind (Richtung, Stärke, Mittel, Maxima) Lufttemperatur Messungen, Beobachtungen und Beurteilungen mit Angabe der Meldeintervalle AbParameter Beobachter kürzung VG RB MS HP fett: wichtigste, lawinenbildende Faktoren, kursiv: Stabilitätsinformationen VG: Vergleichsstationen SLF IMIS: Interkantonales Mess- und Informationssystem RB: Regionale Beobachter SLF ENET: Ergänzungsmessnetz MeteoSchweiz / SLF MS: Messstellen SLF ANETZ: Automatisches Messnetz MeteoSchweiz HP: Höhenprofiler SLF WB: Wetterberichte GB: Geländebeobachter AWB: Alpenwetterbericht freiwillige Rückmeldungen HNP: Neuschneeprognose (2x12h und 2x24h Zeitschritte) Schneedecke 22 Wetter Tab. 1: Grobe Übersicht über die institutionalisierten Datenquellen und die Parameter des Lawinenwarndienstes SLF Davos Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Lawinen und Recht Die Stärke der Beobachter liegt in der Erfassung von Daten zum Bereich «Schneedecke» (Quelle: Beobachter, Sicherheitsverantwortliche, Bergführer, Skitourenleiter und -geher sowie eigene Felduntersuchungen des Lawinenwarndienstes). Zwar sind auch hier einige Grössen automatisch messbar und werden auch vom automatischen Stationsnetz erfasst, allerdings müssen mehrere Schlüsselgrössen von Hand und Auge erhoben werden. Dies betrifft im wesentlichen die Untersuchung des Schneedeckenaufbaus (Schneeprofile und Stabilitätstests) oder die Beobachtung der Schneeoberfläche, von Triebschnee, abgegangener Lawinen oder so genannter Alarmzeichen (Wummgeräusche, Risse in der Schneedecke). Wenn diese vorhanden sind, deuten sie auf eine erhöhte Lawinengefahr hin. Auch eine Beurteilung der regionalen Lawinengefahr sowie die Möglichkeit, zusätzliche Informationen zu übermitteln, gehören zum Repertoire der meisten Beobachter. Eigene Felduntersuchungen des Lawinenwarndienstes dienen dem Vergleich der eigenen Vorstellung vom Schneedeckenaufbau mit der Realität sowie der (örtlich beschränkten) Überprüfung der Prognose. Das Schneedeckensimulationsmodell SNOWPACK, welches am SLF Davos entwickelt wird, wie die schon seit Jahren in Frankreich im Einsatz stehende Modellkette SAFRAN-CROCUS-MEPRA (Wetter- und Schneedeckensimulationsmodell) sollen die Möglichkeit schaffen, aus automatisch erhobenen Daten den Schneedeckenaufbau im lawinenrelevanten Gelände zu berechnen und Schlüsse auf die Schneedeckenstabilität zu ziehen. Für den Prognosezeitraum stehen unterschiedliche Produkte der Wetterdienste zur Verfügung. Neben Wind und Temperatur ist der zu erwartende Neuschnee die zentrale, aber auch am schwierigsten prognostizierbare Grösse. Wenn der Neuschnee für die weitere Entwicklung der Lawinengefahr eine Schlüsselgrösse ist (d. h. wenn sich ohne Neuschnee die Lawinensituation nicht wesentlich verändern würde), kann die Lawinenprognose, mindestens regional, entsprechend unsicher sein. 3 Beispiel eines Lawinenbulletins In Abbildung 2 ist ein Lawinenbulletin dargestellt. Die Struktur ist in allen Ländern ähnlich und beginnt mit einem «Flash», der den Kernpunkt der aktuellen Situation hervorhebt. Dann folgt eine Beschreibung der allgemeinen Schnee-, Lawinen und Wettersituation (hier «Allgemeines»). Je nach Ausgabezeitpunkt des Bulletins wird anschliessend eine Aussage über die für die weitere Entwicklung der Lawinensituation zentrale Wetterent- wicklung gemacht (hier «Kurzfristige Entwicklung»). Im Kern des Lawinenbulletins steht die Prognose der Lawinengefahr. Sie ist in unterschiedliche Regionen unterteilt. Sie gibt pro Region Auskunft über die Gefahrenstufe (Stufe 1 – gering, Stufe 2 – mässig, Stufe 3 – erheblich, Stufe 4 – gross, Stufe 5 – sehr gross, Tab. 2), die besonders gefährlichen Geländeteile, Expositionen und Höhenlagen. Nach Bedarf und Möglichkeit werden auch an wenig erfahrene Schneesportler Verhaltenstipps abgegeben. Diese Handhabung ist allerdings länderspezifisch sehr unterschiedlich, einzelne Länder verzichten ganz auf Verhaltenstipps. Eine Tendenz der Lawinengefahr über die nächsten (meist zwei) Tage schliesst das Bulletin ab. 4 Einschätzung der Lawinengefahr 4.1 Einleitung Bei der Einschätzung der Lawinengefahr werden zunächst die charakteristischen Eigenschaften der Schnee- und Lawinensituation herausgearbeitet. Dann wird die Gefahrenstufe aus der 5teiligen europäischen Gefahrenstufenskala (Tab. 2) bestimmt. Hinter jeder Gefahrenstufe stecken typische Merkmale und einheitlich verwendete Begriffe. Die Gefahrenstufe ist abhängig von der Auslösewahrscheinlichkeit von Lawinen (Stabilität der Schneedecke), der Verbreitung der Gefahrenstellen sowie der Grösse und Anzahl der zu erwartenden Lawinen. Diese Eigenschaften werden durch die lawinenbestimmenden Faktoren, wie sie in Abbildung 1 dargestellt sind, beeinflusst. Für die Beurteilung im Lawinenbulletin werden die Faktoren «Wetter» und «Schneedecke» aufgrund der oben erwähnten Datengrundlagen berücksichtigt. Der Faktor «Gelände» findet Eingang in der Bezeichnung der besonders gefährdeten Geländeteile. Für die Datenauswertung stehen verschiedene Werkzeuge zur Verfügung, auf die hier nicht näher eingegangen wird. Auch die organisatorischen Abläufe finden hier keine spezielle Erwähnung. Sie sind länderspezifisch unterschiedlich und basieren auf unterschiedlichen Voraussetzungen. Im Folgenden wird der Prozess der Einschätzung näher beschrieben. 4.2 Prozess der Prognose der Lawinengefahr Die in Abbildung 1 unter «Wetter», «Schneedecke» und «Gelände» dargestellten, lawinenbildenden Faktoren müssen gemäss der zu beurteilenden Situation analysiert, gewichtet und kombiniert werden. Die Vielfalt an Kombinationsmöglichkei- 23 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Eidgenössisches Institut für Schnee- und Lawinenforschung Institut Fédéral pour l'Etude de la Neige et des Avalanches Istituto Federale per lo Studio della Neve e delle Valanghe Institut Federal per la Perscrutaziun da la Naiv e da las Lavinas Nationales Lawinenbulletin Nr. 85 vom Donnerstag, 6. Februar 2003, 17:00 Uhr Verbreitet grosse Lawinengefahr Allgemeines Am Donnerstag setzte sich das stürmische Wetter mit Schneefall nördlich des Alpenhauptkammes fort. Es blieb kalt mit minus 12 Grad auf 2000 m. In den vergangenen 5 Tagen fielen in der Höhe folgende Schneemengen: Alpennordhang und Unterwallis: 80 bis 200 cm; übrige Schweizer Alpen 30 bis 80 cm. In den Regionen mit sehr grossen Neuschneemengen ist der Schneedeckenaufbau besser als inneralpin. Das bedeutet, dass auch in den Regionen mit weniger Neuschnee mit Spontanlawinen gerechnet werden muss, weil dort weniger Zusatzbelastung für eine Lawinenauslösung nötig ist. Der Wind hat zum Teil mehrere Meter hohe Schneeansammlungen erzeugt. Diese sind vorerst noch instabil. Zahlreiche Lawinen sind zum Teil sehr gross abgegangen und haben Schaden angerichtet. Kurzfristige Entwicklung Langsam wird der Nordstau schwächer und die Niederschläge enden vorübergehend. Am Freitagabend kommt eine Warmfront. Sie bringt eine Temperaturerhöhung von rund 10 Grad auf 3000 m und rund 5 Grad auf 2000 m sowie etwas Schneefall. Die Mengen liegen im Bereich von 5 bis 20 cm mit Schwerpunkt am östlichen Alpennordhang. Die Nordwinde nehmen etwas ab, bleiben aber so stark, dass sie in Kammlagen weiterhin Schnee verfrachten können. Vorhersage der Lawinengefahr für Freitag Alpennordhang; Unterwallis; nördliches Wallis; Mattertal; Goms; Gotthardgebiet; Surselva; Nordbünden: Grosse Lawinengefahr Die Gefahrenstellen befinden sich an Steilhängen aller Expositionen oberhalb von rund 1500 m. Spontane Lawinen sind weiterhin zu erwarten, auch wenn im Westen der Höhepunkt der Lawinenaktivität bereits überschritten ist. Sicherheitsmassnahmen sollten beibehalten oder erst nach Abklärung am Morgen gelockert werden. Die Verhältnisse abseits gesicherter Pisten sind ungünstig. Die Situation für Schneesportler ist sehr heikel. Beschränkung auf mässig steiles Gelände wird dringend empfohlen. Übriges Oberwallis; übriges nördliches und mittleres Tessin; übriges Graubünden: Erhebliche Lawinengefahr Spontanlawinen sind vor allem inneralpin noch möglich. Die Hauptgefahr besteht an Triebschneehängen aller Expositionen oberhalb von rund 2000 m. Vor allem in den Regionen mit weniger Neuschnee, also z.B. im Wallis und in Graubünden können Lawinen leicht ausgelöst werden und grössere Ausmasse annehmen. Besonders eingewehte Rinnen und Mulden sind kritisch zu beurteilen. Mittleres Tessin: Mässige Lawinengefahr Tendenz für Samstag und Sonntag Wahrscheinlich fällt im Osten am Samstag noch Schnee. Die Temperaturen bleiben unverändert. Am Sonntag ist es in allen Regionen sonnig mit Wolken und milder. Die Lawinengefahr geht langsam zurück, für Schneesportler bleibt es aber sicher heikel. Zusätzliche Informationen: ‘Fax auf Abruf’ (Fr. 1.49/Min) 0900 59 2020 Liste aller Faxprodukte SLF 0900 59 2025 Schneehöhenkarte (bei wesentlicher Änderung) 0900 59 2026 Neuschneekarten täglich 0900 554 338 Alpenwetterbericht MeteoSchweiz Wetterinformation in Zusammenarbeit mit MeteoSchweiz Regionale Lawinenbulletins (Fr. 1.49/Min) 0900 59 20 31 Zentralschweiz 0900 59 20 32 Unterwallis / VD Alpen 0900 59 20 33 Oberwallis 0900 59 20 34 Nord- und Mittelbünden 0900 59 20 35 Südbünden 0900 59 20 36 Berner Oberland 0900 59 20 37 Östlicher Alpennordhang Abb. 2: Beispiel eines nationalen Lawinenbulletins aus der Schweiz. 24 Rückmeldungen: Gratis-Tel.: 0800 800 187 Gratis-Fax: 0800 800 188 Internet: http://www.slf.ch Email: [email protected] WAP: wap.slf.ch erheblich gross sehr gross 3 4 5 Die Schneedecke ist allgemein schwach ver festigt und weitgehend instabil. Die Schneedecke ist an den meisten Steilhängen* schwach verfestigt. Die Schneedecke ist an vielen Steilhängen * nur mässig bis schwach ver festigt. Die Schneedecke ist an einigen Steilhängen * nur mässig ver festigt, ansonsten allgemein gut ver festigt. Die Schneedecke ist allgemein gut verfestigt und stabil. Schneedeckenstabilität – extreme Steilhänge: besonders ungünstig bezüglich Neigung (meist steiler als etwa 40 Grad), Geländeform, Kammnähe, Bodenrauhigkeit – Steilhänge: Hänge steiler als rund 30 Grad – mässig steiles Gelände: Hänge flacher als rund 30 Grad * im Lawinenbulletin im allgemeinen näher beschrieben (z.B. Höhenlage, Exposition, Geländeform)t Sehr ungünstige Verhältnisse. Verzicht empfohlen. Ungünstige Verhältnisse. Viel Erfahrung in der Lawinenbeurteilung erforderlich. Beschränkung auf mässig steiles Gelände / Lawinenauslaufbereiche beachten. Teilweise ungünstige Verhältnisse. Erfahrung in der Lawinenbeurteilung erforderlich. Steilhänge der angegebenen Exposition und Höhenlage möglichst meiden. Mehrheitlich günstige Verhältnisse. Vorsichtige Routenwahl, vor allem an Steilhängen der angegebenen Exposition und Höhenlage. Allgemein sichere Verhältnisse. Auswirkungen für Personen ausserhalb gesicherter Zonen / Empfehlungen – spontan: ohne menschliches Dazutun – Exposition: Himmelsrichtung, in die ein Hang abfällt – exponiert: besonders (der Gefahr) ausgesetzt Akute Gefährdung. Umfangreiche Sicherheitsmassnahmen. Exponier te Teile mehrheitlich gefährdet. Dort sind Sicherheitsmassnahmen zu empfehlen. Auslösung ist bereits bei geringer Zusatzbelastung ** an zahlreichen Steilhängen wahrscheinlich. Fallweise sind spontan viele mittlere, mehr fach auch grosse Lawinen zu er warten. Spontan sind viele grosse Lawinen, auch in mässig steilem Gelände zu erwar ten. Exponierte Teile vereinzelt gefährdet. Dort sind teilweise Sicherheitsmassnahmen zu empfehlen. Kaum Gefährdung durch spontane Lawinen. Keine Gefährdung. Auswirkungen für Verkehrswege und Siedlungen / Empfehlungen Auslösung ist bereits bei geringer Zusatzbelastung ** vor allem an den angegebenen Steilhängen möglich. Fallweise sind spontan einige mittlere, vereinzelt aber auch grosse Lawinen möglich. Auslösung ist insbesondere bei grosser Zusatzbelastung ** vor allem an den angegebenen Steilhängen möglich. Grosse spontane Lawinen sind nicht zu erwar ten. Eine Lawinenauslösung ist allgemein nur bei grosser Zusatzbelastung ** an vereinzelten Stellen im extremen Steilgelände möglich. Spontan sind nur Rutsche und kleine Lawinen möglich. Lawinen-Auslösewahrscheinlichkeit ** Zusatzbelastung: – gross (z.B. Skifahrergruppe ohne Abstände, Pistenfahrzeug, Lawinensprengung) – gering (z.B. einzelner Schneesportler, Schneeschuhgeher) mässig 2 Erklärungen: gering 1 Gefahrenstufe Tab. 2: Kurzversion der Europäischen Gefahrenstufenskala. Mehr Details sind in den Interpretationshilfen der Lawinenwarndienste zu finden, wie z.B. unter www.slf.ch – Die Spalten Auswirkungen für Verkehrswege und Siedlungen / Empfehlungen und Auswirkungen für Personen ausserhalb gesicherter Zonen / Empfehlungen werden nicht in allen Ländern angewendet. Lawinen und Recht 25 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Abb. 3: Schematische Darstellung zur Einschätzung der Lawinengefahr. Die römischen Ziffern beziehen sich auf den Text sowie die Tabelle 3. 26 Lawinen und Recht Tab. 3: Fragen zum Schema in Abbildung 3 I) Analyse Ist-Zustand: Wetterablauf seit der letzten Prognose – Hat sich am Wetterablauf gegenüber der Prognose etwas geändert, was auf die Lawinengefahr einen Einfluss hat? Welches ist/sind der/die lawinenrelevante/n Parameter? – Niederschlag (Regen, Schnee)? —> Qualität (trocken, feucht, locker, windgepresst)? Quantität (mehr, weniger als erwartet)? – Wind? —> andere Richtung, stärker, schwächer? Wo liegt Triebschnee? Welche Beschaffenheit hat er? – Temperatur? —> abweichende Entwicklung? – Einstrahlung/Abstrahlung/Abschattung? —> mehr oder weniger oder früher oder später Sonne resp. klare Nacht (Frühjahr)? – Luftfeuchtigkeit —> allenfalls für weitere Entwicklung wichtig (Oberflächenreif)? II) Analyse Ist-Zustand: neue Erkenntnisse aus der Schneedecke – Welche neuen Schneedeckeninformationen passen zur Prognose, welche nicht? Weshalb nicht? Ausreisser? Ist ein neues Muster zu erkennen? Gibt es Informationen, wo vorher keine vorhanden waren? – Gibt es neue Schneeprofile oder/mit Stabilitätstests? Entsprechen diese der Erwartung? – Gibt es Lawinenbeobachtungen (Sicht?)? Auslösebedingungen (Schneedeckenstabilität, Zusatzbelastung, Gelände)? Häufigkeit? Grösse? Überraschungen? Begründung? – Reagiert die Entwicklung der Lawinengefahr auf den Faktor (Wetter, Schneedecke) sensibel, wie ich das erwartet habe? Oder nicht? – Wie gross ist der Einfluss der abweichenden Informationen auf meine Einschätzung? Muss ich die Einschätzung korrigieren? Muss ich die Regionen anpassen? – Liegt die Abweichung innerhalb der Tendenz (die Gefahr ist weniger oder mehr gestiegen als angenommen) oder ausserhalb der Tendenz (die Gefahr hat nicht ab, sondern zugenommen)? Weshalb? Wo stehe ich in der Gefahrenentwicklung? III) Kurzfristige Wetterentwicklung (in engem Zusammenhang mit IV) / 1 Tag – Wie entwickeln sich die einzelnen Wetterfaktoren? – Welches sind die lawinenrelevanten Wetterfaktoren für den Prognosezeitraum? Gibt es eine diesbezügliche Veränderung in der Entwicklung? – Wie gross ist der Einfluss resp. die Bandbreite eines Faktors bis die Gefahr um eine Stufe ansteigt (zB Neuscheemenge, Temperaturanstieg, Windgeschwindigkeit)? – Gibt es mögliche verstärkende oder hemmende Faktorenkombinationen? IV) Entwicklung der Schneedecke (in engem Zusammenhang mit III) / 1 Tag – Wie genau reagiert die Schneedecke (und die Stabilität) auf die Wetterfaktoren? An der Oberfläche, insgesamt, langsam, schnell, verzögert, gar nicht? – Welche Parameter und Prozesse wirken stabilisierend (+), welche destabilisierend (-) auf die Schneedecke? Was ergibt sich in der Bilanz? Gibt es einen Tagesgang der Lawinengefahr? – Handelt es sich um eine Neuschee- oder Altschneesituation? – Was dominiert? Trockene oder nasse Lawinen? – In welcher Region gibt es die grössten Unsicherheiten? Wo weiss ich im Moment zu wenig? Wo kann ich das akzeptieren? Wo muss ich mich um zusätzliche Information bemühen? – Was lässt sich (regional) über die Auslösebereitschaft, die Verbreitung der Gefahrenstellen, die Anzahl und Grösse der zu erwartenden Lawinen bez. der Lawinengefahr folgern und aussagen? V) Festlegung der Gefahrenstufe / 1 Tag – Auslösebereitschaft, Verbreitung der Gefahrenstellen, Anzahl und Grösse der zu erwartenden Lawinen, Angaben zum Gelände? – Was ist die längerfristige Tendenz? – Auf welchen Umstand muss ich im Bulletin speziell hinweisen (allenfalls Verhaltenstip für Unerfahrene)? – In welcher Region ist die Entwicklung der Lawinengefahr am anfälligsten auf eine, von der Prognose abweichende Wetterentwicklung? Absprache mit Dienst Regional. 27 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 ten und die situative Gewichtung einzelner Faktoren sind die Herausforderung bei der Erstellung der Lawinenprognose. Regeln und Erfahrungswerte fliessen in diesen Prozess ein. Auch das erfahrungsbasierte Gefühl unterstützt mit zunehmender Erfahrung den PrognostikerIn bei der Entscheidfindung. Lückenhafte, manchmal auch widersprüchliche Informationen müssen bewertet und priorisiert werden. In Abbildung 3 ist ein Ablaufschema dargestellt, anhand dessen im Folgenden der Prozess von der Analyse bis zur Prognose erläutert wird. Die römischen Ziffern beziehen sich auf die entsprechenden Stellen in Abbildung 3. I + II) Analyse Ist-Zustand: Wetterablauf seit der letzten Prognose und neue Erkenntnisse aus der Schneedecke Vor jeder neuen Prognose wird eine Analyse des Ist-Zustandes vorgenommen, auf dem die Prognose aufbaut. Diese Ist-Zustands-Analyse ist meist ein laufender Prozess, indem der PrognostikerIn eingegangene, neue Informationen zur Schneedecke und den Wetterablauf (Abb. 1) mit der Prognose des Vortages vergleicht. Auf die Erstellung der Prognose hin wird dann dieses Wissen verdichtet und führt zum Ist-Zustand. Dieser ist keine Verifikation der vorangegangenen Prognose in wissenschaftlichem Sinne, sondern die bestmögliche, auf der vorhandenen neuen Datenbasis abgestützte Ist-Zustandsbeschreibung (Anmerkung: Aus unserer Sicht sind für eine wissenschaftlich fundierte Verifikation vom Prognosedienst unabhängige und möglichst objektive Informationen nötig. Im Zentrum stünden zahlreiche Schneedeckenstabilitätsuntersuchungen, die eine Stabilitätsverteilung erkennen liessen – ein für operationelle Zwecke und für die Schweiz flächendeckende Anwendung zu aufwändiges Unterfangen und wahrscheinlich eher auf eine Region zu beschränken). Eine Bestätigung der Prognose des Vortages oder eine Anpassung fliesst dann direkt in die neue Prognose ein. Wird eine Abweichung der Prognose des Vortages vom Ist-Zustand festgestellt, so sind zwei Fälle zu unterscheiden: a) Liegt die falsche Einschätzung innerhalb der längerfristigen Tendenz, so hat sie in der Regel die relevanten Prozesse erfasst, ist aber meist einer Verzögerung oder Beschleunigung unterlegen. Die Lawinengefahr ist also z. B. langsamer angestiegen als vorhergesehen, die höhere Stufe wird aber z. B. einen Tag später tatsächlich erreicht. b) Liegt die falsche Einschätzung aber ausserhalb der längerfristigen Tendenz, so muss von einer echten Fehlprognose ausgegangen werden, weil meist die falschen Prozesse berücksichtigt wurden. Es wurde also z. B. ein Ansteigen der Gefahr vorhergesagt, in der Analyse des IstZustandes hat sich aber eher eine Abnahme 28 herausgestellt, die noch weiter andauern dürfte. Besonders anfällig auf solche Fehler sind Situationen im Frühjahr (Nassschneelawinen) oder länger andauernde Schneefallperioden mit unsicheren Niederschlagsprognosen, aber relativ rascher Stabilisierung der Schneedecke. Eine wissenschaftlich fundierte Verifikation zur Feststellung der Trefferquote existiert nach wie vor nicht. Eine Erhebung durch Bergführer des DAV Summit Club im Winter 2002 / 03 attestiert den Lawinenwarndiensten der Alpenländer eine Trefferquote in den Lawinenbulletins von 85 bis 90 % (d. h. dass in 10 bis 15 % der Fälle eine lokale Anpassung der Gefahrenstufe nötig war). Gemäss unserer eigenen Einschätzung ist diese Trefferquote eher zu hoch angesetzt. III) Kurzfristige Wetterentwicklung Bei der Erstellung der Prognose steht zunächst die Frage im Zentrum, wie sich während des Prognosezeitraumes (Nacht und Tag) das Wetter entwickelt. Aus der Erfahrung der Ist-ZustandsAnalyse werden diejenigen Faktoren besonders berücksichtigt, die auf die Entwicklung der Lawinengefahr den grössten Einfluss haben. Es kann sich natürlich auch eine neue Faktorensensibilität ergeben (z. B.: zunächst fiel der Neuschnee bei nur mässigem Wind auf eine schwache Schneedecke, dann folgte eine rasche und deutliche Erwärmung mit sonnigem Wetter). Sind zum Beispiel Altschneeoberfläche, Neuschnee und Wind (eine typische und häufige Kombination) die Schlüsselfaktoren, so stellt sich z. B. auch die Frage, wie viel Neuschnee fallen kann, bis die Lawinengefahr um eine Stufe ansteigt. Bei günstiger Beschaffenheit der Altschneeoberfläche und schwachem Wind können es z. B. 30 bis 40 cm sein, bei ungünstiger Beschaffenheit der Altschneeoberfläche und starkem Wind 10 bis 20 cm. In vielen Situationen kann sich die Unsicherheit in der Neuschneeprognose auf die Lawinenprognose auswirken, besonders wenn wirklich die Neuschneemenge der sensible Faktor ist und in der Regel in Kombination mit einem ungünstigen Schneedeckenaufbau). In manchen Fällen ist die Lawinenprognose gegenüber Unsicherheiten der Neuschneeprognose tolerant oder sogar bis zu einem gewissen Grad resistent, v. a. bei kleinen Niederschlagsmengen und günstigem Schneedeckenaufbau. Die wichtigsten Wetterfaktoren (Abb. 1), die für die Entwicklung der Lawinengefahr relevant sind, werden im Lawinenbulletin festgehalten (Schweiz: «Kurzfristige Entwicklung»). Dies ermöglicht dem geübten Leser einen Einblick in die Faktorenanalyse. Damit hat er die Möglichkeit, bei Abweichungen von der Prognose auch den Inhalt des Bulletins in die richtige Richtung anzupassen. Lawinen und Recht IV) Entwicklung der Schneedecke Die Abschätzung der Schneedeckenentwicklung steht in sehr engem, iterativem Zusammenhang mit der Entwicklung des Wetters (vgl. III), wie oben angeführte Beispiele bereits zeigen. Zielgrössen sind die Auslösebereitschaft von Lawinen, die Verbreitung der Gefahrenstellen sowie die Anzahl und Grösse der zu erwartenden Lawinen. Es geht hier im wesentlichen darum abzuschätzen, welche Faktoren (Abb. 1) und Prozesse basierend auf dem Ist-Zustand auf die Schneedecke stabilisierend (+) oder destabilisierend (–) wirken und was sich in der Bilanz ergibt. Oft gibt es auch einen Tagesgang (z. B. im Frühjahr) zu berücksichtigen. All diese Überlegungen werden vom Lawinenprognostiker jeweils für unterschiedliche Klimaregionen durchgeführt. Es wird unterschieden, ob es sich um eine «Neuschneesituation» (dabei ist die Verbindung zwischen Neuschnee und Altschneedekke ungenügend und der Neuschnee gleitet als Lawine ab) oder um eine «Altschneesituation» (die Schwachschicht ist innerhalb der Altschneedecke und bei Auslösung gleitet auch Altschnee ab) handelt. Wichtig ist hier auch, besondere Unsicherheiten (wenn vorhanden) bewusst zu machen und zu klären, wie mit diesen umzugehen ist. Solche Unsicherheiten haben ihren Ursprung meist z. B. in Informationslücken und in unterschiedlichen oder widersprüchlichen Informationen. Es muss entschieden werden, in welchem Falle zusätzliche Informationen beschafft werden müssen (z. B. telefonisch) oder wo von der wahrscheinlichsten Entwicklung ausgegangen werden kann. Die Organisation des Lawinenwarndienstes in der Schweiz sieht vor, solche Unsicherheiten am Briefing, an dem die diensthabenden drei Prognostiker anwesend sind, zu thematisieren. Eine Dokumentation des Entscheidfindungsprozesses sowie der bestehenden Unsicherheiten unterstützt den Lernprozess. Zudem hilft sie, eine allfällige Fehlprognose nach zu vollziehen. In der Schweiz konzentriert sich der Lawinenwarndienst auf die Dokumentation der benützten Unterlagen und das stichwortartige Festhalten der wichtigsten Eigenschaften einer Situation, Unklarheiten oder Fehleinschätzungen. Eine solche, je nach Gebietsgrösse auch detaillierter mögliche Dokumentation, ist auch lokalen Lawinendiensten sehr zu empfehlen. V) Festlegung der Gefahrenstufe Die umfassenden Überlegungen zur Auslösewahrscheinlichkeit von Lawinen, der Verbreitung der Gefahrenstellen sowie der Anzahl und Grösse der zu erwartenden Lawinen führen zur Festlegung der Gefahrenstufe. Dabei wird zunächst die erwartete, kurzfristige Entwicklung (vgl. Abschnitt III) abgeschätzt. In der Europäischen Gefahrenstufenskala (Tab. 2) sind die entsprechenden Definitionen festgehalten. Zusätzlich werden auch die Überlegungen zum besonders gefährdeten Gelände (Geländeform: Steilhänge, Kammlagen, Rinnen und Mulden, Exposition und Höhenlage) festgehalten. Im Lawinenbulletin wird die Lawinengefahr und nicht das Lawinenrisiko angegeben. Allgemein versteht man unter einer «Gefahr» einen möglicherweise ablaufenden, gefährlichen Prozess (La- Gefahr – Risiko Gefährlicher Prozess Schaden Abb. 4: Allgemein versteht man unter einer «Gefahr» einen möglicherweise ablaufenden, gefährlichen Prozess (Lawine, Murgang, Erdbeben, Flutwelle). Mit der «Gefahr» wird aber nichts darüber ausgesagt, ob der Prozess im Einzelfall tatsächlich abläuft und zu Schaden (Personen- oder Sachschaden) führt. Ob ein Schaden eintreffen kann, hängt davon ab, ob sich im Wirkungsbereich des gefährlichen Prozesses Personen oder Sachwerte befinden (Quelle: Kienholz). 29 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 wine, Murgang, Erdbeben, Flutwelle). Mit der «Gefahr» wird aber nichts darüber ausgesagt, ob der Prozess im Einzelfall tatsächlich abläuft und zu Schaden (Personen- oder Sachschaden) führt. Ob ein Schaden eintrifft, hängt davon ab, ob sich im Wirkungsbereich des gefährlichen Prozesses Personen oder Sachwerte befinden (Abb. 4). Wollte man über mögliche Schäden eine Aussage machen, so müsste das «Risiko» beurteilt werden. Dieses setzt einerseits einen gefährlichen Prozess, andererseits durch einen solchen möglicherweise gefährdete Personen oder Objekte voraus. Eine alleinige «Risiko»-Beurteilung im Lawinenbulletin würde eine einheitliche, über Raum und Zeit vergleichbare und zur Grundlage für Aktivitäten im freien Wintergelände dienende Information verunmöglichen (Grenzen des Lawinenbulletins). Die Beurteilung des Risikos gehört auf die lokale Stufe (vgl. Kap. 5) und muss vom Anwender des Lawinenbulletins vorgenommen werden. Es wird deshalb im Lawinenbulletin zur Herausgabe der Gefahrenstufe nicht unterschieden, ob es 5 sich beim prognostizierten Tag um einen Wochentag oder ein Wochenende handelt – oder: An einem sonnigen Wochenende in der Hochsaison wird die Gefahrenstufe nicht präventiv höher angesetzt als an einem Wochentag in der Zwischensaison. Das Erhöhen der Gefahrenstufe ist meist an einen meteorologisch eindeutig feststellbaren Prozess gebunden, wie z. B. Neuschnee, Sturm oder eine markante Erwärmung, und es erfolgt in der Regel relativ rasch (Stunden bis wenige Tage). Das Erhöhen der Gefahrenstufe ist deshalb auch relativ einfach vorzunehmen und zu kommunizieren. Eine Abnahme der Lawinengefahr ist deutlich schwieriger einzuschätzen und auch zu kommunizieren, besonders dann, wenn sie langsam vor sich geht (mehrere Tage). Eine Abnahme der Lawinengefahr ist weniger deutlich, im Einzelfall auch gar nicht direkt an äusserlich sichtbare Prozesse gebunden, sondern kann nur durch Schneedeckenuntersuchungen und Stabilitätstests oder eine Abnahme der Lawinenaktivität nachvollzogen werden. Möglichkeiten und Grenzen des Lawinenbulletins Möglichkeiten Grenzen In der Kernaussage informiert das Lawinenbulletin regelmässig (von zwei Mal täglich wie in der Schweiz bis nach Bedarf mehrmals pro Woche in anderen europäischen Ländern) über die regionale Entwicklung der Lawinengefahr. Im Falle der Schweiz können zwischen dem Nationalen Lawinenbulletin, das am Vorabend erscheint, und den Regionalen Lawinenbulletins, die am Morgen herausgegeben werden, aus zwei Gründen Abweichungen in der Einschätzung entstehen: a) Durch eine unerwartete Veränderung der Situation über Nacht resp. durch neue Informationen, die eine Anpassung der Einschätzung nötig machen. b) Die Regionalen Lawinenbulletins werden vorwiegend in graphischer Form publiziert und lassen daher einen höheren Detaillierungsgrad zu. Damit können Regionen feiner unterteilt werden als im Nationalen Lawinenbulletin (solche Abweichungen werden möglichst vermieden, wobei dadurch die Aufzählung der Regionen in den Nationalen Lawinenbulletins kompliziert und schwer verständlich werden kann). Das Lawinenbulletin enthält deutlich mehr als nur eine Gefahrenstufe. Zusätzliche Informationen zur allgemeinen schnee- und lawinenrelevanten Wettersituation sowie nähere Angaben zur Lokalisierung der besonders gefährdeten Geländeteile sind fester Bestandteil und werden wenn nötig ebenfalls regional differenziert. Die Abfassung der Lawinenbulletins ist immer eher generell. Naturgegebene Umstände (z.B. fliessende Grenzen, lokale Unterschiede, zeitliche (manchmal schnelle) Veränderungen), die regionale Informationsdichte und schwer zu prognostizierende Neuschneemengen sind die wesentlichsten Gründe dafür. Bei regionalen Differenzierungen muss berücksichtigt werden, dass diese Differenzierungen keine scharfen Grenzen beinhalten und die Übergänge, sowohl zwischen den Gefahrenstufen der Regionen, Höhenlagen und Expositionen naturgemäss nicht scharf, sondern fliessend und von unterschiedlicher Bandbreite sind. Dasselbe gilt für einen Tagesgang der Lawinengefahr, wie er im Frühjahr typisch ist. 30 Lawinen und Recht Die Gefahrenstufen werden in Europa einheitlich nach dem Schema der 5teiligen europäischen Gefahrenstufenskala verwendet, die seit 10 Jahren im Einsatz ist. Damit wird weitestgehend sichergestellt, dass die Grundlage für die Einschätzung der Lawinengefahr in den unterschiedlichen Ländern dieselbe ist. Dies ist vor allem in grenznahen Regionen und für Personen wichtig, die sich in verschiedenen Ländern bewegen. Die Gefahrenstufen sind verbal umschrieben. Eine Gefahrenstufe ist nicht eindeutig definiert, sondern kann sich aus unterschiedlichen Ausprägungen von Auslösebereitschaft, Verbreitung der Gefahrenstellen sowie Anzahl und Grösse der Lawinen zusammensetzen. Auch das erklärt Übergangsbereiche zwischen den Gefahrenstufen. Auch ein gemeinsames Glossar zur Erklärung von viel verwendeten Begriffen dient dem besseren, grenzüberschreitenden Verständnis. In Übersee kommen dieselben Gefahrenstufen in ähnlicher Form zur Anwendung. Die Lawinenbulletins richten sich an unterschiedliche Benutzergruppen, die von der breiten Öffentlichkeit bis zur professionellen Anwendung reichen. Es sind erst erste Ansätze vorhanden, die Lawinenbulletins auf die unterschiedlichen Benutzergruppen abzustimmen. Mit Zusatzprodukten wie z.B. Schneehöhenkarten, Neuschneekarten, Schneedeckenstabilitätskarten und WinterAktuell wird die Interpretation des Lawinenbulletins unterstützt und die Information ergänzt. Für Sicherheitsdienste stehen spezielle Informationskanäle mit zusätzlichen Produkten zur Verfügung. Das Lawinenbulletin wird auf allen möglichen Verteilkanälen publiziert, so dass es für alle zugänglich ist. Für nicht-graphische Verteilkanäle wie z.B. das Telefon müssen Regionen aufgezählt werden. Das verringert die Verständlichkeit gegenüber einer Karte. In den Medien werden die Informationen immer wieder stark gekürzt und die Gefahrenstufen durch Vermischen von Fachausdrücken und allg. Sprache, v.a. das Wort «gross», teils nicht korrekt wiedergegeben. Diesem Umstand muss durch eine möglichst gute Zusammenarbeit entgegen gewirkt werden. Das Lawinenbulletin dient als Basisinformation. Für Lawinensicherheitsfachleute, die in speziellen Kursen ausgebildet werden und über eigene, lokale Informationen verfügen, legt es den Grundstein für eine verfeinerte lokale Einschätzung. Für den touristischen Bereich hat der Stellenwert des Lawinenbulletins mit der Einführung der unterschiedlichen strategischen Methoden im letzten Jahrzehnt deutlich an Gewicht gewonnen. Nie kann in einem Lawinenbulletin eine Einzelhangbeurteilung vorgenommen werden. Der genaue Auslösezeitpunkt sowie die eigentlichen Lawinenanrissflächen können im voraus nicht bestimmt werden. Es braucht Umsetzungsarbeit durch den Benutzer, die regionale Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Lawinen (Gefahrenstufe) auf den Einzelhang herunter zu brechen (Ja/Nein-Entscheidung). Zusätzliche lokale Informationen (eigene Messungen und Beobachtungen sowie Gebietskenntnis und eine entsprechende Ausbildung) sind dazu nötig, das Lawinenbulletin allenfalls anzupassen (regionale Beobachtungen, Abweichung begründen) und in Zusammenhang mit der lokalen Situation zu bringen. Dies alles hilft, eine möglichst gute Einschätzung der lokalen Situation vorzunehmen, jetzt auch unter der Berücksichtigung eines möglichen Risikos. Das allfällige Ergreifen von örtlich bedingten Massnahmen muss durch den Benutzer im Gelände entschieden werden (Warntafel resp. -leuchte, Strassensperrung, künstliche Lawinenauslösung, Evakuation) und darf nicht zwingend und alleine auf die Gefahrenstufe im Lawinenbulletin abgestützt sein. Eine Festlegung von Auslösezeitpunkt und Lawinengrösse ist aber auch unter Einbezug aller Informationen und Erfahrung nur sehr bedingt in Form von Zeitbereichen und erfahrungsbasierten Annahmen möglich. 31 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Das Lawinenbulletin beschreibt die Gefahr und nicht das Risiko. Folgende Situation kann für die Kommunikation der Lawinengefahr eine grosse Herausforderung bedeuten: Über ein Wochenende nimmt die Lawinengefahr von der Stufe 4 (gross) am Samstag auf Stufe 3 (erheblich) am Sonntag ab. Am Samstag herrschen sehr schlechte Sichtverhältnisse, am Sonntag ist das Wetter strahlend schön. Folglich sind am Sonntag, allein schon aufgrund des besseren Wetters, viel mehr Leute im freien Gelände unterwegs als am Samstag. Deshalb ist aufgrund der höheren Präsenzwahrscheinlichkeit die Wahrscheinlichkeit für einen Lawinenunfall am Sonntag grösser als am Samstag (Risiko), obwohl die Lawinengefahr am Sonntag kleiner ist als am Samstag. Geschehen am Sonntag Lawinenunfälle, wird dieser Tag als gefährlicher wahrgenommen als der Samstag. Wer mit der Materie und Terminologie nicht vertraut ist, wird sich fragen, weshalb die Lawinengefahr im Lawinenbulletin zurückgenommen wurde. Das Lawinenbulletin gilt für das freie Gelände ausserhalb der durch die lokalen Sicherheitsdienste zu sichernden Gebiete, also ausserhalb der kontrollierten Abfahrten (Abfahrtsrouten und Pisten). In häufig durch Wintersportler befahrenen Hängen ist die Schneedecke oft stabiler als in selten befahrenen Hängen. Im viel befahrenen Variantenbereich ist dieser Effekt oft besonders ausgeprägt. Die Grenze zum wenig befahrenen Gelände ist zwar im Einzelfall scharf, aber abhängig von der Jahreszeit und der Schneelage von Jahr zu Jahr variabel und für das Publikum (nach einem Schneefall) nicht nachvollziehbar. Für den viel befahrenen Bereich sind gegebenenfalls alle Warnungen zu hoch (Lawinenbulletin, Bergbahn) und erwecken beim Gast einen falschen Eindruck («Es gibt keine Lawinen, also ist die Warnung falsch»). Erst wenn der Gast sich aus dem viel befahrenen Bereich hinausbegibt, bewegt er sich in Gelände, für das die Einschätzung gilt. Ein Problembereich, mit dem Erfahrene in der Regel umgehen können. Für Unerfahrene ist der richtige Umgang mit dieser Situation schwierig. 6 Les données de base peuvent être réparties dans deux domaines: la météo et le manteau neigeux. Comme données météorologiques, on dispose d’une multitude d’informations quotidiennes (valeurs de mesure, bulletins, modèles prévisionnels ou webcams provenant des services météorologiques ou des réseaux de mesure pour les prévisions d’avalanches). Par rapport à cela et par rapport à l’importance pour l’évaluation du danger d’avalanche, il y a des informations moins denses fournies par le manteau neigeux (les profils stratigraphiques relevés toutes les deux semaines sur des plans horizontaux et des pentes raides avec des tests de stabilité, les observations quotidiennes relatives aux avalanches et à la constitution de la surface neigeuse fournies par les observateurs, les responsables des services de sécurité, les guides de montagne, les guides de randonnées et les randonneurs ainsi que les analyses de terrain effectuées par le service des avalanches). Pour l’élaboration des prévisions d’avalanches, il y a lieu – en se basant sur les données fondamentales ainsi sur des relevés situationnels dans les régions particulièrement critiques – d’évaluer l’influence de la météo (précipitations, vent, température de l’air, rayonnement) et du terrain (configuration, altitude, exposition, région) sur la constitution du manteau neigeux. De ces données, Literatur Eidgenössisches Institut für Schnee- und Lawinenforschung (Hrsg.) 2004: Lawinenbulletins und weitere Produkte des Eidg. Institutes für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Davos. Mitteilungen Eidg. Institut für Schnee- und Lawinenforschung. 50 (7. Aufl .): 36 S. Europäische Lawinenwarndienste: www.lawinen.org Thomas Stucki ist Leiter des Lawinenwarndienstes am Eidgenössischen Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF Davos. Résumé: Comment est rédigé un bulletin d’avalanches? L’exposé se fonde sur la situation en Suisse. Lorsque c’est nécessaire, il est fait référence à des différences propres au pays. Du point de vue des principes, la procédure est cependant très comparable dans tous les pays alpins (p.ex. utilisation de l’échelle européenne du danger d’avalanche). 32 Lawinen und Recht on déduit des conclusions pour la stabilité du manteau neigeux ou la répartition des endroits dangereux et donc pour la probabilité de déclenchement d’avalanches. La multitude de possibilités de combinaison et le poids des différents facteurs en fonction de la situation constituent un véritable défi lors de l’élaboration des prévisions d’avalanches. A cela s’ajoute qu’il y a parfois des informations incertaines (comme par exemple les prévisions de précipitations), lacunaires ou contradictoires qui jouent également un rôle dans l’imprécision des prévisions. Dans sa partie principale, le bulletin d’avalanches informe quotidiennement les différents usagers (le public en général, mais également les utilisateurs professionnels) sur le développement du danger d’avalanche. Au moyen des cinq degrés de danger de l’échelle européenne du danger d’avalanche (faible, limité, marqué, fort, très fort), le bulletin d’avalanches donne une vue régionale générale de la probabilité de survenance et du nombre possible ainsi que de l’ampleur des avalanches. On apprécie le danger et non le risque. Le bulletin d’avalanches indique les parties du terrain où il faut s’attendre à des endroits particulièrement critiques. D’autres prestations telles que par exemple les cartes du danger, les cartes d’enneigement, les cartes de neige fraîche, les cartes de stabilité du manteau neigeux ou «JournalBlanc» facilitent l’interprétation et complètent l’information. C’est surtout en combinaison avec les méthodes stratégiques pour le randonneur à ski que le bulletin d’avalanches a acquis, au cours de la dernière décennie, une grande importance comme information de base. Le contenu du bulletin d’avalanches est toujours plutôt général et comporte des imprécisions. Ceci résulte, d’une part, des circonstances naturelles (absence de frontières nettes), des possibilités d’évaluation (compréhension des processus et disponibilité des données fondamentales) ainsi que de la formulation des prévisions. Les limites entre deux niveaux de danger différents sont toujours progressives et les zones de chevauchement sont variables. Le bulletin d’avalanches couvre des zones en dehors des domaines qui relèvent de la responsabilité des services locaux de sécurisation, c’est-à-dire en dehors des descentes contrôlées (itinéraires de descentes et pistes). Le point précis de décrochement ainsi que la superficie de rupture proprement dite d’une avalanche ne peuvent être déterminés à l’avance avec précision (il n’y a pas d’évaluation individuelle des pentes). Pour l’application sur le terrain, il convient dans tous les cas de vérifier le degré de danger indiqué dans le bulletin d’avalanches sur la base des informations locales (observations et mesures propres) et, si nécessaire, il faut adapter les indications du bulletin. La prise éventuelle de décision en fonction des conditions ponctuelles appartient à l’usager du bulletin d’avalanches sur le terrain. Thomas Stucki est directeur du Service des avalanches à l’Institut fédéral pour l’étude de la neige et des avalanches, ENA, Davos. Riassunto: Come nasce un bollettino delle valanghe? Questa relazione si basa sulla situazione in Svizzera. Eventuali divergenze importanti adottate in altri paesi verranno espressamente citate. La procedura di base è comunque molto identica in tutti i paesi dell’arco alpino (p.es. utilizzo della scala europea del pericolo di valanghe). I dati su cui si basa la previsione possono essere suddivisi in dati meteorologici e dati del manto nevoso. Sotto forma di dati meteorologici è disponibile una grande quantità di informazioni quotidiane (valori rilevati, resoconti, modelli di previsione, webcam, fonte: servizi meteorologici, reti di rilevamento per la prevenzione contro le valanghe). Rispetto a questa ricca fonte di dati e in relazione alla loro importanza ai fini della valutazione del pericolo di valanghe, il manto nevoso fornisce invece meno informazioni: un profilo stratigrafico ogni 14 giorni su terreno pianeggiante e su pendii ripidi con test di stabilità, osservazioni quotidiane di valanghe e delle caratteristiche del manto nevoso. Fonte: osservatori, responsabili della sicurezza, guide alpine, guide e partecipanti di escursioni scialpinistiche e indagini sul campo effettuate dal servizio di prevenzione valanghe). Sulla base dei dati disponibili e di indagini mirate nelle zone particolarmente critiche, per realizzare un bollettino delle valanghe è necessario valutare quali in flussi esercitano il tempo (precipitazioni, venti, temperatura dell’aria, irradiazione) e il terreno (orografia, altitudine, esposizione, regione) sulla struttura del manto nevoso. Da questi dati è possibile trarre conclusioni sulla stabilità del manto nevoso, ovvero sulla diffusione dei punti pericolosi e quindi sulla probabilità di distacco di eventuali valanghe. La varietà delle possibilità di combinazione e il peso esercitato a livello locale da alcuni fattori sono le sfide che deve affrontare chi scrive il bollettino delle valanghe. Non bisogna poi dimenticare che in tutti questi dati confluiscono spesso anche informazioni parzialmente incerte (p.es. incertezza nella previsione delle precipitazioni), lacunose o contraddittorie, che danno il loro contributo all’indeterminatezza delle previsioni. La funzione principale del bollettino delle valanghe è quella di informare quotidianamente i vari utenti (sia il vasto pubblico che l’utente professionista) sull’evoluzione del pericolo di valanghe. Con i cinque gradi della scala europea del pericolo di valanghe (debole, moderato, marcato, forte, molto forte) viene fornita una panoramica regionale e generica sulla probabilità di distacco e sulle possibili quantità/dimensioni delle valanghe. Il bollettino, che valuta il pericolo e non il rischio, segnala le regioni in cui è prevista la presenza di punti particolarmente critici. Attraverso ulteriori prodotti, come p.es. carte di pericolo, carte dell’altezza del manto nevoso, carte della neve fresca, carte della stabilità del manto nevoso o «WinterAktuell», l’interpretazione del bollettino viene sostenuta e l’informazione integrata. Soprattutto in relazione ai metodi strategici per lo scialpinista, negli ultimi decenni il bollettino delle valanghe ha assunto un’importanza sempre maggiore come mezzo principale di informazione. I contenuti del bollettino sono sempre piuttosto generici e caratterizzati da una certa indeterminatezza. Ciò è 33 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 dovuto a situazioni naturali (assenza di limiti netti) indotte dalla valutabilità (comprensione dei processi e della base di dati) e dalla stesura della previsione. I limiti tra un grado di pericolo e l’altro sono sempre molto labili e con margini molto variabili. Il bollettino delle valanghe vale solo per le zone dove si pratica il fuoripista, ovvero al di fuori delle piste delimitate e protette dai locali servizi di protezione civile (sentieri e piste di discesa). Il momento esatto in cui si verificherà il distacco e le effettive superfici di frattura non possono essere determinati con precisione in anticipo (nessuna valutazione del singolo pendio). Per la messa in pratica delle informazioni contenute nel bollettino delle valanghe, il grado di pericolo ivi indicato deve in ogni caso essere integrato con informazioni locali (rilievi e osservazioni fatte personalmente) e se necessario adeguato alla situazione specifica. L’eventuale adozione di provvedimenti indotti dalla situazione locale deve essere decisa sul posto dall’utente del bollettino delle valanghe. Thomas Stucki è direttore del servizio prevenzione valanghe presso l’Istituto Federale per lo Studio della Neve e le Valanghe SNV di Davos. 34 Lawinen und Recht Strategische Methoden für den Skitourenfahrer Michael Larcher 1 Einleitung Das jüngste Kapitel in der praktischen Lawinenkunde, das heute allgemein als «strategische Lawinenkunde», oder – treffender – als «strategische Methoden» bezeichnet wird, wurde vom Schweizer Bergführer Werner Munter eingeleitet. Mit seiner «Formel 3 x 3» und der später entwickelten «Reduktionsmethode» (1996 /1997) begründete Munter eine neue Herangehensweise an das Thema Lawine und schuf neue «Werkzeuge», um JA / Nein-Entscheidungen im freien Skiraum systematisch herbeizuführen und diese hinsichtlich ihres Risikopotentials zu bewerten. Im folgenden sollen die Grundlagen dieser Entwicklung skizziert und die heute verbreiteten Risiko-Management-Konzepte kurz vorgestellt werden. 2 Die Geschichte In Werner Munter’s 1992 (2. Aufl.) erschienenen «Neuen Lawinenkunde» kann man die eigentliche «Neue Lawinenkunde» bestenfalls erahnen. Zwar finden wir bereits dort die «Formel 3 x 3 zur ganzheitlichen Beurteilung der Lawinengefahr» (S. 114), dennoch ist Munter hier noch stark der «analytischen Lawinenkunde» verpflichtet und die Messung der basalen Scherfestigkeit mittels Rutschblockversuch wird als «Entscheidungshilfe zur Beantwortung der Frage «to go or not to go» (S. 102) angeboten. Noch wesentlicher: es fehlt die enge Verknüpfung von Gefahrenpotential und Hangneigung in Form von Obergrenzen- bzw. «Limit»-Empfehlungen, die dann 1997 in «3 x 3 Lawinen» bzw. in der Reduktionsmethode eine Schlüsselrolle erhalten. Munter selbst auf die Frage, was für Ihn den Ausschlag gab: «Ende der 80er Jahre wurde mir endgültig klar, dass die analytische Lawinenkunde eine Sackgasse darstellte, aus der man nur entweichen konnte, wenn man eine Wende um 180° machte. Das hochkarätige Problem schien unlösbar: in Minutenschnelle JA /NEIN-Entscheide zu fällen bei Unsicherheit, Zufall und Komplexität, von denen Menschenleben abhängen. Zur Verfügung stehen nur die Sinnesorgane und unser beschränkter Verstand! [...] Ich habe in der Lawinenkunde die Frage der Schneedeckenstabilität – ein hochkomplexes Patchwork – ersetzt durch die Frage nach dem Risiko oder einfacher durch die Frage, WANN, bei welchen Verhältnissen, verzich- ten wir WO auf welche Hänge? Welche Kombinationen aus ‹Verhältnissen + Gelände + Mensch› sind gute, welche schlechte Risiken? Was ist ein gutes, was ein schlechtes Risiko (Frage nach dem Risikostandard). Um ein konkretes Beispiel zu geben: WANN, bei welcher Gefahrenstufe, ergibt die Extremkombination ‹extrem steil + Sektor Nord + unverspurt› ein gutes Risiko? Diese Fragen können wir auch dann beantworten, wenn wir die Stabilität des konkreten Einzelhangs nicht kennen. Die unfallträchtigste Kombination habe ich mit Rasterfahndung herausgefiltert: den todgeilen Dreier (ERHEBLICH + extrem steil + Sektor Nord).» (bergundsteigen 4/05, S. 16) 3 Bausteine der strategischen Methoden Nach nun mehr als fünf Jahren Neue Lawinenkunde lassen sich deutlich Chancen und die Eckpfeiler dieser Methoden erkennen. Die wesentlichen Merkmale sind: 1. Die Strukturierung des Entscheidungsprozesses Gerade in der Ausbildung ist dieses Merkmal von immenser Bedeutung. Das Chaos im Prozess der Entscheidungsfindung wurde abgelöst durch einen Katalog präziser Fragestellungen, die dem Tourenskifahrer den Weg zu JA /NEIN-Entscheidungen weisen. 2. Die Obergrenzen-Empfehlung Vielleicht das Herzstück und das revolutionärste Element der strategischen Methoden bilden die sogenannten Obergrenzen-Empfehlungen (auch «Limits» genannt). Dabei wird das allgemeine Risikopotential, das in der Gefahrenstufe des Lawinenlageberichts seinen verdichteten Ausdruck findet, in Beziehung gesetzt zur Hangneigung. Am Beispiel der elementaren Reduktionsmethode: Verzicht auf Hänge mit einer Neigung von 35° und mehr bei Gefahrenstufe ERHEBLICH. 3. Standardmassnahmen Standardmassnahmen bilden einen dritten Eckpfeiler strategischer Methoden und meinen jene Massnahmen, die routinemässig – also unabhängig von der konkret erkannten Gefahr – durchzuführen oder anzuwenden sind. Ein Beispiel: das Überprüfen der LVS-Geräte am Ausgangspunkt von Skitouren oder Varianten (LVS-Check). Oder z. B. die Empfehlung einer «Standard-Notfallausrüstung» (LVS + Schaufel + Sonde). 35 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 4 Die elementare Reduktionsmethode Die Methoden Die durch 3 x 3 und die Reduktionsmethode grundgelegten Konzepte bildeten die Vorlage für weitere strategische Methoden: In Österreich entwickelten Larcher und Purtscheller das Konzept «Stop or Go» (1998), Engler und Mersch in Deutschland die Entscheidungsinstrumente «SnowCard» (2000) und «Faktorencheck» (seit 80iger Jahre). Im folgenden eine kurze Beschreibung jener Methoden, die heute eine grössere Verbreitung aufweisen. 4.1 Die Reduktionsmethode (und ihre Ausformulierungen) Elementare Reduktionsmethode Als «Hauptgrundsatz der praktischen Lawinenkunde» bezeichnet Munter jene Kurzfassung der Reduktionsmethode, die wir heute als «elementare Reduktionsmethode» kennen: Bei MÄSSIG geht man in allen Expositionen nicht über 39°, bei ERHEBLICH nicht über 34° und bei GROSS beschränken wir uns auf mässig steiles Gelände (unter 30°). Bei Gefahrenstufe nicht über 2 MÄSSIG 3 ERHEBLICH 4 GROSS 39° 34° 30° Reduktionsmethode: Risikoformel + Reduktionsfaktoren Als die «eigentliche» Reduktionsmethode wird heute jene Form verstanden, in der mithilfe der Risikoformel ein verbleibendes Restrisiko ermittelt wird. Es ist übrigens die einzige Methode, die mit konkreten Zahlen arbeitet und dadurch erstmalig eine Quantifizierung des Risikos ermöglicht. In der Risikoformel zur Berechnung des Restrisikos wird das Gefahrenpotential dividiert durch Reduktionsfaktoren. Die Werte für das Gefahrenpotential resultieren aus Munter’s umfangreichen Untersuchungen der mittleren Schneedeckenstabilität (MISTA), die ihn zur Erkenntnis führten, dass sich das Gefahrenpotential von Gefahrenstufe zu Gefahrenstufe verdoppelt, also ein exponentielles Die [eigentliche] Reduktionsmethode Risiko gemäss Reduktionsmethode (RRM) Gefahrenpotential RRM = ⭐1 Red.faktor x Red.faktor Gefahrenstufe Gefahrenpotential 1 GERING 2 2 MÄSSIG 4 3 ERHEBLICH 8 Bei der lokalen Einschätzung des Gefahrenpotentials können Zwischenwerte geschätzt werden. Einige Reduktionsfaktoren (RF) können kombiniert werden, in diesem Fall multiplizieren sie sich. Die Reduktionsfaktoren und ihre Kombinationen Nr. 1 oder Nr. 2 oder Nr. 3 steilste Hangpartie 35–39° (weniger als 40°) steilste Hangpartie um 35° steilste Hangpartie 30–34° (weniger als 35°) RF 2 RF 3 RF 4 erstklassig Bei ERHEBLICH muss ein erstklassiger RF gewählt werden Nr. 4 oder Nr. 5 oder Nr. 6 Nr. 7 Verzicht auf Sektor NORD (NW-N-NE) Verzicht auf nördl. Hälfte (WNW-N-ESE) Verzicht auf die im Lawinenlagebericht genannten kritischen Hang- und Höhenlagen (= Schnittmenge) ständig befahrene Hänge RF 2 RF 3 zweitklassig RF 4 RF 2 Die zweitklassigen RF sind ungültig bei nassem Schnee Nr. 8 oder Nr. 9 oder Nr. 10 grosse Gruppe mit Entlastungsabständen kleine Gruppe (2–4 Personen) kleine Gruppe mit Entlastungsabständen Entlastungsabstand mind. 10 m im Aufstieg, in der Abfahrt mehr Aus: Werner Munter, 3 x 3LAWINEN. 2003, S.12. 36 RF 2 RF 2 RF 3 drittklassig Lawinen und Recht Wachstum aufweist. Daher können die Gefahrenstufen der Europäischen Gefahrenskala auch nicht mit dem tatsächlichen Gefahrenpotential gleichgesetzt werden, sondern müssen als Exponent zur Basis 2 verwendet werden: Gefahrenstufe 1 ergibt als Potential: 21 = 2; Gefahrenstufe 2 ergibt als Potential: 22 = 4; Gefahrenstufe 3 ergibt als Potential: 23 = 8 usw. Die Reduktionsfaktoren, die Munter in erst-, zweitund drittklassige Faktoren einteilt, gewinnt Munter vorrangig aus der Unfallstatistik. Die Verteilung der tödlichen Unfälle auf die jeweilige Exposition und die Steilheit von Schneebrettlawinen bildet dafür die Grundlage. Die Schlussfolgerung daraus: 54% der Unfälle weisen Hangneigungen mit 40° und mehr auf, daher ergibt ein Verzicht auf diese Neigungsklasse eine Halbierung des Risikos (RF 2). Oder: ca. 2/3 der Lawinentoten finden sich in den Expositionen WNW-ESE, also auf der Nordhälfte. Ein Verzicht auf diese Expositionen ergibt eine Risikoreduktion um den Faktor 3 (RF 3). Den bei diesem Risikokalkül zu erreichenden Wert 1 (oder kleiner), bezeichnet Munter als reine «Willkür» und dieser hänge einzig davon ab, wie viel Unfälle man bereit sei zu akzeptieren. Die Risikoreduktion auf 1 zwinge in jedem Fall zu defensiven Entscheidungen mit Reserven und wird gerade im Hinblick auf Verantwortungsträger (Bergführer, Jugendleiter) empfohlen. Reduktionsmethode: Goldene Regel – Entscheidungsmatrix auf dem Bierdeckel Mit der goldenen Regel bietet Munter dem Skitourengeher die Möglichkeit, seine Reduktionsmethode anzuwenden, ohne rechnen zu müssen. Diese Form eines Schnell-Checks entwickelte Munter zuletzt noch weiter zur «Entscheidungsmatrix auf dem Bierdeckel» (Abb. 1). 4.2 Stop or Go In Österreich wurde 1998 von den Bergführern Michael Larcher und Robert Purtscheller der Impuls durch Munter’s Reduktionsmethode aufgenommen und das Risiko-Management-Konzept «Stop or Go» entwickelt (Abb. 2). Die Tourenführer des Oesterreichischen Alpenvereins waren bei der Konzeption dieses Sicherheitskonzepts die primäre Zielgruppe. Die zwei Pfeiler von Stop or Go: 1. Die Entscheidungsstrategie von Stop or Go arbeitet mit der elementaren Reduktionsmethode als ersten Filter (Check 1). Die Überschreitung dieser Grenzen ist möglich, muss allerdings begründet werden durch: «stark verspurt» (und ich bleibe innerhalb des verspurten Bereichs) oder «sichere Geländeform» oder «lawinensichere Geländeform» oder «dichter Wald» oder «Schmelzharschdeckel». Das daraus resultierende Ergebnis ist dann noch anhand eines Gefahrenzeichenkatalogs zu überprüfen (Check 2). Dieser Check 2 erfüllt neben seiner Kontrollfunktion vor allem die Aufgabe, die Wahrnehmung des Tourengehers auf Merkmale der Schneedecke zu lenken, diese zu interpretieren und zu bewerten (ähnlich wie Faktorencheck; siehe unten). Und evtl. auch zur Nachjustierung der Gefahrenstufe (nach oben oder nach unten) 2. Die Standardmassnahmen werden in die Bereiche Planung und Gelände eingeteilt und empfehlen zumutbare (?) Massnahmen, die unabhängig von der konkreten Gefahrensituation anzuwenden sind. Bei Gefahrenstufe 1 GERING 2 MÄSSIG 3 ERHEBLICH 1 beliebiger RF 2 beliebige RF 1 erst-, 1 zweit*-, 1 drittklassiger RF * sind bei ERHEBLICH keine zweitklassigen RF verfügbar, müssen wir unter 35° bleiben und Entlastungsabstände einhalten. Abb. 1: Die goldene Regel als «Entscheidungsmatrix auf dem Bierdeckel». 37 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Abb. 2: Stop or Go – das Risiko-Management-Konzept des Oesterreichischen Alpenvereins. Abb. 3: SnowCard (oben) und Faktorencheck (unten) – die Risiko-Management-Konzepte des Deutschen Alpenvereins. 38 Lawinen und Recht 4.3 SnowCard und Faktorencheck Im Deutschen Alpenverein waren es die Bergführer Martin Engler und Jan Mersch, die – ebenfalls auf der Grundlage von Munter das Risikomanagement-Instrument «SnowCard» entwickelten. Zudem wurde von Engler der «Faktorencheck», der bereits seit Mitte der achtziger Jahre existiert, weiterentwickelt und publiziert (Abb. 3). – Die SnowCard integriert – ähnlich wie Stop or Go – zur Risikoabwägung die elementare Reduktionsmethode. Der Zusammenhang von Gefahrenstufe und Hangsteilheit wird hier allerdings grafisch dargestellt, was die Darstellung von Unschärfen mithilfe von farblichen Übergängen ermöglicht. Zudem wird die Exposition in der Form berücksichtigt, dass sich zwei unterschiedliche Risikopotential-Informationen ergeben, je nachdem ob ich mich in der «ungünstigen Exposition» oder in der günstigen Exposition befinde. Die drei Hauptfragen der SnowCard: Gefahrengrad? – Steilheit? – Exposition günstig / ungünstig? – Der Faktorencheck stellt ein eigenständiges Risiko-Management-Instrument dar und basiert auf dem Prinzip, die Schneedecke in die relevanten Einzelfaktoren zu zerlegen, diese einzeln zu bewerten und später zu einem ganzen Beurteilungsbild zusammenzuführen. Als die relevanten Einzelfaktoren werden bewertet: die letzte Schneefallperiode, der Wind, die Temperatur, die Altschneedecke und die Altschneehöhe. 5 Abschliessend Wenn heute in vielen Ausbildungskursen strategische Methoden angeboten und vermittelt werden, so kann das durchaus als ein Zeichen für deren grundsätzliche Akzeptanz in breiten Kreisen der Experten gewertet werden. Völlig verstanden und akzeptiert ist der Neuansatz allerdings bis heute nicht (auch nicht von Experten!). Funktionieren die strategischen Methoden und treffen Skitourenfahrer damit bessere Entscheidungen? Munter abschliessend dazu: «Als ich 1996 ans Institut für Schnee und Lawinenforschung in Davos berufen wurde, musste ich ein Ziel nennen, das ich in der mir verbleibenden Frist von 10 Jahren erreichen wollte. Ich nannte kühn die Halbierung der Zahl der Lawinentoten im freien Skigelände. Dieses Ziel ist erreicht, obwohl mir damals Unfallexperten sagten, das sei vielleicht etwas zu hoch gegriffen, weil ich ja keine Möglichkeit habe die Leute zu zwingen, sondern auf Aufklärung und Überzeugung setzen müsse.» (bergundsteigen 4/05, S. 19) 6 Literatur Engler, Martin: Die weisse Gefahr: Schnee und Lawinen. Erfahrungen – Mechanismen – Risikomanagement, Sulzberg 2001 Larcher, Michael: Stop or Go Entscheiden und Handeln abseits gesicherter Pisten. In: bergundsteigen. Zeitschrift für Risikomanagement im Bergsport, 4/02, S. 36 ff Mersch, Jan: Strategie [DAV]. Strategische Lawinenkunde im DAV. In: bergundsteigen. Zeitschrift für Risikomanagement im Bergsport, 4/05, S.42 ff Munter, Werner: Neue Lawinenkunde. Ein Leitfaden für die Praxis, 2. Auflage 1992 Munter, Werner: 3 x 3 Lawinen. Entscheiden in kritischen Situationen, 1997 Munter, Werner: Im Gespräch mit dem Bergführer und Lawinenexperten Werner Munter. In: bergundsteigen. Zeitschrift für Risikomanagement im Bergsport, 4/05, S.16 ff Michael Larcher ist Ausbildungsleiter beim Österreichischen Alpenverein. Chefredakteur «bergundsteigen» und Sachverständiger. Résumé: Méthodes stratégiques pour les randonneurs à ski Le dernier chapitre dans l’étude pratique des avalanches que l’on nomme aujourd’hui généralement «étude stratégique des avalanches» est l’œuvre de l’expert suisse en avalanches Werner Munter. Par sa «formule 3 × 3» et la «méthode des réductions» développée ultérieurement (1996/97), W. Munter propose une nouvelle approche de la problématique des avalanches en créant de nouveaux «outils» permettant de prendre systématiquement des décisions «oui» ou «non» lorsqu’on se trouve en montagne dans des conditions hivernales d’insécurité et d’apprécier ces décisions sous l’angle du potentiel de risque d’avalanche. Les concepts fondés sur la formule 3 × 3 et la méthode des réductions sont à l’origine de la présentation d’autres méthodes stratégiques: En Autriche, Larcher et Purtscheller ont développé l’approche «Stop or Go» (1998), et en Allemagne, Engler propose les instruments de décision «SnowCard and Factor check» (2000). L’élément nouveau dans ces méthodes stratégiques est l’approche systématique de la prise de décision. C’est ainsi qu’au moyen de check-lists et de questions directrices, le randonneur à ski doit examiner et évaluer tous les facteurs importants qui déterminent le risque d’avalanche (et qui lui sont accessibles!). Un autre élément important est ce que l’on appelle les «limites». Dans ce cas, le degré de danger indiqué dans le bulletin relatif à la situation avalancheuse est mis en rapport avec le paramètre le plus important du terrain, à savoir la déclivité de la pente. Ainsi par exemple pour le degré trois («marqué»), il convient de renoncer aux pentes d’une déclivité de 35° ou plus. Cette relation étroite entre le degré de danger et la déclivité peut sans doute être considérée aujourd’hui comme l’élément le plus important et le plus utile des méthodes stratégiques. 39 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 La recherche et le développement de méthodes stratégiques ont en outre été influencés par des accidents graves imputables à des guides de montagne, c’est-àdire à des experts reconnus. Les points faibles de «l’étude classique des avalanches», c’est-à-dire la prise de décision «situationnelle» fondée exclusivement sur l’expérience sont apparus tout aussi clairement que les points faibles de «l’étude analytique des avalanches» qui visait à fonder des décisions «oui» ou «non» sur des examens du manteau neigeux et des tests de stabilité. Pendant longtemps, on a totalement ignoré que cette dernière approche pose non seulement problème du point de vue physique, mais échoue également au niveau de l’acceptabilité dans le groupe cible. W. Munter a mis en évidence l’impossibilité fondamentale d’évaluer de manière fiable le manteau neigeux sous l’angle de sa stabilité. Il a trouvé une issue au dilemme en se tournant vers les statistiques et vers la réflexion en termes de probabilité. Si aujourd’hui de nombreux cours de formation proposent et enseignent des méthodes stratégiques c’est assurément un signe qu’elles sont fondamentalement acceptées par un grand nombre d’experts. Cette nouvelle approche n’est cependant pas encore pleinement comprise et acceptée à ce jour, même parmi les experts, et une évaluation avec un appui scientifique fait encore défaut: les méthodes stratégiques fonctionnent-elles et permettent-elles aux randonneurs à ski de prendre de meilleures décisions? Michael Larcher est responsable de la formation au Club alpin autrichien (OEAV), rédacteur en chef de «bergundsteigen» et expert. Riassunto: Metodi strategici per lo scialpinista L’ultimo capitolo della nivologia pratica, che viene oggi generalmente denominato «nivologia strategica», è stato scritto dall’esperto di valanghe svizzero Werner Munter. Con la sua «formula 3 × 3» e il «metodo di riduzione del rischio» sviluppato successivamente (1996/97), Munter ha introdotto un nuovo metodo di avvicinamento al tema valanghe e creato nuovi «strumenti» per suscitare sistematicamente decisioni «sì-no» nelle zone fuoripista e per valutarle dal punto di vista del loro potenziale di rischio. I concetti alla base della formula 3 × 3 e del metodo di riduzione del rischio sono stati il modello che hanno poi portato allo sviluppo di ulteriori metodi strategici: in Austria Larcher e Purtscheller hanno sviluppato il metodo «stop or go» (1998), mentre in Germania Engler ha introdotto gli strumenti di decisione «snowcard and check dei fattori» (2000). L’innovazione di questi metodi strategici è rappresentata da un lato dalla «sistematica della decisione». Per mezzo di checklist e domande mirate, lo scialpinista viene indotto a verificare e valutare tutti i principali fattori che determinano il rischio valanghe (e ai quali può accedere!). Un altro importante contributo viene offerto dai cosiddetti «limit». In questo caso il grado di pericolo 40 segnalato nel bollettino delle valanghe viene messo in relazione con il parametro orografico più importante, ovvero l’inclinazione del pendio: p.es. con grado di pericolo tre («marcato»), rinunciare ai pendii con inclinazione di 35° o superiore. Questa stretta relazione tra grado di pericolo e inclinazione del pendio può oggi essere considerata l’elemento forse più centrale e più efficace dei metodi strategici. La domanda e lo sviluppo di metodi strategici sono stati indotti non per ultimo da gravi incidenti, la cui responsabilità è ricaduta su guide alpine, quindi su apprezzati esperti. I punti deboli della «nivologia classica», basata su una decisione «situazionale» derivante solo dall’esperienza, si sono quindi manifestati esattamente come quelli della «nivologia analitica», che intendeva motivare una decisione «sì-no» con l’ausilio di indagini del manto nevoso e test di stabilità. Il fatto che quest’ultimo metodo analitico non solo era problematico dal punto di vista fisico, ma era un pretesa forse un po’ troppo grande, è stato a lungo ignorato. Munter ha riconosciuto la sostanziale impossibilità di valutare in modo affidabile la stabilità del manto nevoso. Voltando le spalle alle statistiche e alla mentalità probabilistica, ha trovato una via per uscire dal dilemma. Se oggi molti corsi di formazione offrono e insegnano metodi strategici, è senza dubbio un segno che sono fondamentalmente stati accettati dalla maggior parte degli esperti. Tuttavia sino ad oggi il nuovo principio non è ancora stato completamente accolto e compreso neanche dagli esperti, perché continua a soffrire della mancanza di una concomitante valutazione scientifica: i metodi strategici funzionano e lo scialpinista è in grado di decidere meglio con il loro aiuto? Michael Larcher è responsabile della formazione presso il Club Alpino Austriaco. Redattore capo della rivista «bergundsteigen» e perito in materia. Lawinen und Recht Erkannte Gefahr ist halbe Gefahr: Langfristige Lawinenschutzmassnahmen Stefan Margreth 1 Einleitung Zwischen 1937 und 2005 gab es in der Schweiz 1727 Lawinentote: 68 % im freien Gelände, 18 % auf Verkehrsachsen und 14 % in Gebäuden. Bis 1970 wurden durchschnittlich pro Winter 6 Tote in Gebäuden pro Winter gezählt. Seit 1970 hat sich diese Zahl jedoch auf unter 1 Lawinentoten reduziert. Der Hauptgrund dürfte darin liegen, dass im Laufe der Zeit die wichtigsten Gefahrenstellen erkannt wurden und die getroffenen Lawinenschutzmassnahmen zu wirken begonnen haben. Der Lawinenwinter 1951 war der Auslöser für eine Vergrösserung der Investitionen im Bereich des langfristigen Lawinenschutzes. Erste moderne Stützverbauungen wurden erstellt. In Siedlungen sind deshalb Lawinenunfälle heute sehr selten und treten praktisch nur noch in Katastrophensituationen wie im Lawinenwinter 1999 auf. Ziel des folgenden Beitrages ist zu zeigen, welche langfristigen Lawinenschutzmassnahmen zum Schutze von Siedlungen und Verkehrsachsen eingesetzt werden, was man von ihnen erwarten kann und wo ihre Grenzen liegen. 2 Integraler Lawinenschutz Im Gegensatz zu kurzfristigen Lawinenschutzmassnahmen wie Lawinenwarnung, künstliche Lawinenauslösung oder Evakuierungen wird im langfristigen Lawinenschutz nicht die aktuelle Gefahrensituation beurteilt, sondern man betrachtet extreme Szenarien mit Wiederkehrdauern bis 300 Jahren. Bauliche Schutzmassnahmen werden zu den langfristigen, aktiven Massnahmen gezählt. Sind sie richtig geplant, ist nur noch in aussergewöhnlichen Lawinensituationen mit einer Gefährdung zu rechnen. Lawinengefahrenkarten dagegen sind langfristige, passive Massnahmen – sie beeinflussen die Lawinengefahr nicht direkt. Zum Lösen eines Lawinenproblems gibt es meist nicht ein «Entweder-Oder», sondern die Kombination verschiedener Massnahmen stellt oft die beste Lösung dar. Mit den beschränkten finanziellen Mitteln und technischen Möglichkeiten kann eine absolute Sicherheit meist nicht erreicht werden – es verbleiben immer Restrisiken. Daher muss versucht werden, zwischen den Investitionen für eine Schutzmassnahme und dem Ausmass an nach wie vor möglichen Schäden das Optimum zu finden. In diesem Zusammenhang spricht man von integralem Lawinenschutz. 3 Rechtliche Grundlagen Im langfristigen Lawinenschutz ist viel mehr geregelt als im kurzfristigen Lawinenschutz. Die wichtigsten Grundlagen sind das Raumplanungsgesetz (RPG/SR700), das Waldgesetz (WaG/SR921) und die Waldverordnung (WaV/SR921.01). Die Kantone werden darin verpflichtet, Anrissgebiete zu sichern und die zum Schutz notwendigen Grundlagen zu erarbeiten, d.h. Gefahrenkataster und Gefahrenkarten. Weiter gibt es Vollzugshilfen wie die «Richtlinie zur Berücksichtigung der Lawinengefahr bei raumwirksamen Tätigkeiten» (BFF/SLF, 1984), die das Erstellen von Gefahrenkarten regelt. 4 Lawinengefahrenkarten Lawinengefahrenkarten unterteilen das Gelände detailliert in Teilgebiete mit verschiedenen Gefahrenstufen. In der Schweiz wurden die ersten Gefahrenkarten in den 60er Jahren meist rein gutachtlich ohne fachtechnische Grundlagen erstellt. Heute sind rund 65 % der gefährdeten Gebiete mit Lawinengefahrenkarten abgedeckt und 20 % sind in Bearbeitung. Als Mass für die potentielle Gefährdung gilt die Häufigkeit und die Intensität einer Lawine. – Rotes Gebiet bedeutet erhebliche Gefährdung, und Bauen ist nicht gestattet. Ein Gebiet wird als rot bezeichnet, wenn es einerseits von Lawinen mit einer Wiederkehrdauer von 30 Jahren erreicht wird, andererseits wenn bei einer Lawine mit einer Wiederkehrdauer von 300 Jahren ein Lawinendruck von 30 kN/m2 überschritten wird. Bei einem Lawinendruck von 30 kN/m2 wird einerseits ein normales Gebäude aus Mauerwerk zerstört, andererseits kann bis zu einem solchen Druck ein Gebäude mit einem noch vertretbarem Aufwand verstärkt werden. – Blaues Gebiet wird von 300jährlichen Lawinen mit einem Lawinendruck kleiner als 30 kN/m2 erreicht. Eine beschränkte Bautätigkeit mit Auflagen ist gestattet. Falls gewisse Auflagen bezüglich Bauweise beachtet werden, sind im blauen Gebiet während der Lebensdauer eines 41 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Abb. 1. Beispiel für eine Lawinengefahrenkarten mit rotem, blauem und gelbem Gefahrengebiet (Quelle: Amt für Wald Graubünden). Gebäudes (50–70 Jahre) Gebäudezerstörungen und damit eine Gefährdung von Personen im Gebäude nicht zu erwarten. Gefahrenkarten (Abb. 1) sind bei allen raumwirksamen Tätigkeiten zu berücksichtigen. Dazu werden Gefahrenkarten in den Nutzungsplänen grundeigentümerverbindlich umgesetzt. Im Bauund Zonenreglement sind Vorschriften für die Nutzung des roten und blauen Gefahrengebietes zu formulieren (ARE/BWG/BUWAL, 2005). Für rotes und blaues Gebiet sind Alarmorganisation und Evakuationspläne vorzubereiten und die betroffenen Grundeigentümer sind zu informieren. 5 Erarbeitung von Lawinengefahrenkarten Ein Lawinenniedergang ist ein komplexer, einmaliger, physikalischer Prozess, den man heute nur ansatzweise versteht und wohl auch in Zukunft kaum bis in alle Details erfassen kann. Für die Bestimmung der langfristigen Lawinengefahr gibt es nicht eine allgemein anerkannte richtige Lösung, sondern zahlreiche, oft verschiedenartige Ansätze. Eine Gefahrenkarte stützt sich auf folgende Elemente: – Aufbau und Studium des Ereigniskatasters – Beurteilung und Begehung des Geländes – Analyse der klimatischen Verhältnisse – Einschätzung der zu erwartenden Lawinenarten und Wiederkehrdauern 42 – Beurteilung vorhandener Schutzmassnahmen – Durchführung von lawinendynamischen Berechnungen Die oben aufgeführten Grundlagen müssen vom Experten für die gesamtheitliche Entscheidfindung gutachtlich analysiert, interpretiert und gewichtet werden. Die dazu gehörenden Informationen wie beispielsweise die massgebenden Szenarien sind im technischen Bericht einfach und verständlich darzustellen. Die Zonenabgrenzung muss nachvollziehbar und gut begründet sein, denn eine Gefahrenkarte kann zu einem massiven Wertverlust eines Grundstückes führen. Persönliche und politische Interessen dürfen bei einer Gefahrenbeurteilung nicht berücksichtigt werden. Die Qualität einer Gefahrenbeurteilung zeigt sich in der angemessenen Verwendung des bestehenden Ermessensspielraumes. Es muss eine realistische Abwägung zwischen zu optimistischen und zu pessimistischen Prognosen gemacht werden. 6 Interpretation einer Gefahrenkarte Eine Gefährdung kann durch unterschiedliche Einwirkungen, Wiederkehrdauern und Intensitäten zustande kommen. Ein rotes Gebiet kann einerseits durch häufige, andererseits aber auch durch seltene und sehr intensive Lawinen bestimmt sein. Ein blaues Gefahrengebiet kann durch häufige Staublawinen mit schwacher Intensität, aber auch durch sehr seltene Fliesslawinen mit mittlerer In- Lawinen und Recht tensität bedingt sein. So ist es nicht möglich, für eine Gefahrenstufe einheitliche organisatorische Massnahmen zu definieren. Weiter können solche Massnahmen im roten oder blauem Gebiet nicht automatisch an das Lawinenbulletin geknüpft werden. Bei der Bulletinstufe 5 «sehr gross» muss die Evakuation von rotem Gebiet ernsthaft geprüft werden, zwingend ist sie aber nicht. Die realen lokalen Verhältnisse sind immer entscheidend. Ein massgebendes Anrissgebiet kann sich z. B. bereits entladen haben oder es können Schutzmassnahmen bestehen, die in der Gefahrenkarte nicht im vollen Umfang berücksichtigt wurden. Das Ende eines roten Gebietes wird je nach Geländeund Schneesituation typischerweise alle 15 bis 50 Jahren von Lawinen erreicht. Eine Gefährdung, die organisatorische Massnahmen bedingt, tritt erfahrungsgemäss nur etwa alle 4 bis 10 Jahre auf. Die erreichbare Genauigkeit einer Gefahrenkarte variiert in der Praxis stark, resp. die langfristige Vorhersehbarkeit eines extremen Lawinenabganges ist beschränkt. Allgemein gilt, je weniger Grundlagendaten zur Verfügung stehen und je komplexer sich das Gelände präsentiert, desto kleiner wird die erreichbare Genauigkeit. Eine inhaltliche, direkte Prüfung einer Gefahrenkarte ist nur durch das Eintreten des prognostizierten Ereignisses möglich, was natürlich sehr selten der Fall ist. Gefahrenkarten werden für ein bestimmtes Szenario erstellt. In einem Szenario werden die Randbedingungen und der Ablauf eines Ereignisses festgelegt. Man bestimmt den massgebenden Lawinentyp, die Wiederkehrdauer, die Anrissfläche, die Anrissmächtigkeit, Reibungswerte, das Geländeprofil und so weiter. Die Szenarienbildung ist für die Ausdehnung der Gefahrengebiete entscheidend. Für die Umsetzung von Gefahrenkarten und für das Erstellen von Sicherheitskonzepten ist es wichtig, dass die verantwortlichen Akteure die massgebenden Szenarien kennen. Tritt beispielsweise ein extremeres oder anderes Szenario auf als angenommen, können Grenzen von Gefahrenkarten überschritten werden. 7 Beispiel Lawinenkatastrophe von Galtür vom 23. Februar 1999 Am 23. Februar 1999 brach die Äussere Wasserleiter-Lawine in extremer Grösse an und zerstörte den Dorfteil Winkl. 31 Personen fanden den Tod. Die Lawinenkommission von Galtür hielt die Ausdehnung der Gefahrenzonen für das maximal mögliche Ausmass einer Katastrophenlawine. Folglich wurden in Galtür nur für die ausgewiesenen Gefahrenzonen Sicherheitsmassnahmen festgelegt. Die Lawinenkommission erkannte nicht, dass sich im Februar 1999 eine extremere Situation anbahnte, als im Lawinenzonenplan berücksichtigt worden war. Die Tragik an der Unglückslawine von Galtür lag darin, dass das Ausmass viel grösser war, als im Zonenplan angenommen wurde. Das Hauptschadengebiet befand sich im weissen, also im als sicher angesehenen Gebiet (Abb. 2 und 3). Das SLF untersuchte im Auftrag des Landesgerichtes Innsbruck das Unglück. Als Hauptursache für das grosse Lawinenausmass stellte sich die relativ grosse Basisfestigkeit der Schneedecke verbunden mit aussergewöhnlichen Niederschlagsmengen heraus. Weiter wurde fest- Abb. 2: Zerstörter Dorfteil Winkl in Galtür (Photo SLF, S.Margreth). 43 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Abb. 3: Ausmass der Unglückslawine von Galtür in blauer Farbe mit Roten und Gelben Gefahrenzonen (Gelb entspricht in etwa Blau in der Schweiz) (Quelle: SLF Gutachten 2000.16). gestellt, dass bei der Erarbeitung des Gefahrenzonenplanes das Gefahrenpotential unterschätzt wurde, u. a. weil der lückenhafte Kataster optimistisch interpretiert wurde und weil es sich um eine schwierig zu beurteilende Lawine handelt. Im Gutachten wurde gefolgert, dass es «auch für einen erfahrenen Zonenplanverfasser mit dem ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen nicht möglich war, ein so extremes Ausmass dieser Lawine vorherzusehen». Schliesslich wurde das Gerichtsverfahren infolge Unvorhersehbarkeit des Ausmasses der Lawine eingestellt. 8 Baulicher Lawinenschutz und seine Grenzen Bauliche Schutzmassnahmen kommen dort zum Einsatz, wo bestehende Schutzdefizite (z. B. überbaute Bauzone im roten Gefahrengebiet) mit planerischen Bemühungen nicht beseitigt werden können. Bauliche Schutzmassnahmen werden typischerweise auf Szenarien mit einer Wiederkehrdauer von 50 bis 100 Jahren ausgelegt. Sie bieten eine hohe Sicherheit. Nur aussergewöhnliche Situationen verlangen nach zusätzlichen temporären Massnahmen. Wichtig ist, dass das Bemessungsszenario und das Schutzziel bekannt sind. In einer kritischen Lawinenperiode muss die aktuelle Situation mit dem Bemessungsszenario verglichen werden. In diesem Zusammenhang ist der Unterhalt der bestehenden Schutzmassnahmen und die periodische Überprüfung ihrer Wirksamkeit von grosser Bedeutung. Die Wirkung von 44 baulichem Lawinenschutz wird in Gefahrenkarten sehr zurückhaltend berücksichtigt, insbesondere wenn die Raumnutzung in Richtung der Gefahrenquelle erfolgen soll. Stützverbauungen: Im Anrissgebiet verhindern Stützverbauungen das Anbrechen von Lawinen indem die Schneemassen stabilisiert und zurückbehalten werden (Abb. 4). Oberhalb der Waldgrenze werden heute Stahlschneebrücken oder Schneenetze eingesetzt. Aus Kostengründen – eine verbaute Hektare kostet bis 1 Million Franken – kann oft nicht das gesamte Anrissgebiet verbaut werden. In den unverbauten Gebieten sind Lawinenanbrüche weiterhin möglich. Trotz richtiger Planung können Stützwerke überschneit werden. Der Neuschnee wird nicht mehr abgestützt, und der Anbruch von Oberlawinen wird möglich. Die Schneehöhe in einer Verbauung muss fortlaufend überwacht werden. Bei sehr leichtem Neuschnee, sogenanntem Wildschnee, oder kohäsionslosem Nassschnee, sind Lawinenanbrüche auch im verbautem Gebiet möglich. Wo sich das Siedlungsgebiet oder Verkehrsachsen direkt unterhalb der Verbauung befinden, können solche Lawinen eine Gefährdung darstellen. Stützwerke können im Laufe der Zeit auch beschädigt und funktionslos werden. Wichtig ist, dass ihr Zustand jährlich überprüft wird und falls notwendig Sanierungsmassnahmen vorgenommen werden. Die Planung und Bemessung von Stützverbauungen ist in der Richtlinie für den Lawinenverbau im Anbruchgebiet dargestellt (BUWAL/WSL, 1990 / 2000). Lawinen und Recht Abb. 4: Grosser Lawinenanbruch neben einer Stützverbauung im Februar 1999. Die instabile Schneedecke wurde durch die Stützwerkreihen so stabilisiert, dass kein Anbruch erfolgte (Photo SLF, S.Margreth). Ablenk- und Auffangdämme: Ablenkdämme aus Erdmaterial oder Beton lenken Lawinen vom zu schützenden Objekt ab. Die beste Wirkung zeigen sie, wenn das Gelände steil und der Ablenkwinkel nicht grösser als 30° ist. Auffangdämme bremsen eine Lawine ab und fangen sie auf. Wesentlich ist die Höhe und der Stauraum eines Dammes. Bei grossen Lawinengeschwindigkeiten ist oft eine Höhe von mehr als 20m erforderlich. Im Vergleich zu Stützverbauungen sind Dämme relativ kostengünstig. Oft steht aber für eine Realisierung der notwendige Raum nicht zur Verfügung. Für die Bemessung von Dämmen ist die Lawinengeschwindigkeit die entscheidende Grösse. Ist die Geschwindigkeit grösser als angenommen, wird der Damm überflossen. Dies ist speziell bei Staublawinen der Fall. Vorverfüllungen von Dämmen, insbesondere im Zusammenhang mit Mehrfachlawinenniedergängen, können die Wirkungshöhe stark reduzieren. Eine periodische Überprüfung des Dammvorfeldes ist sehr wichtig. Direkt unterhalb eines Auffangdammes besteht immer eine Restgefährdung. 9 Lawinengalerien: Lawinengalerien sind der klassische Schutz für Verkehrsachsen. Lawinen überfliessen eine Galerie oder lagern sich auf ihrem Dach ab, ohne den Verkehr zu beeinträchtigen. Das Hauptproblem bei Galerien stellt meist die Galerielänge dar. Infolge der hohen Kosten von rund 30 000 Franken pro Meter Galerie für eine zweispurige Strasse, wird die Galerielänge oft zu kurz bemessen. Bei ungünstiger Topographie kann bei einer offener Fassade auch Lawinenschnee von unten in die Galerie hereinfliessen. Die In der Vergangenheit wurden Schutzmassnahmen oft als Reaktion auf ein Ereignis geplant und realisiert. Heute wird die Planung von Schutzmassnahmen vermehrt risikobasiert vorgenommen (PLANAT 2004). Die folgenden Fragen stehen dabei im Vordergrund: Was kann passieren? Diese Frage wird mit einer Risikoanalyse beantwortet, in dem für ein Gebiet die Risiken möglichst objektiv erfasst. Risiken entstehen durch die Interaktion zwischen einem ge- Bemessung von Galerien ist in der Richtlinie «Einwirkungen auf Lawinenschutzgalerien» (ASTRA/ SBB, 1994) zusammengestellt. Objektschutz: Einzelobjekte können mit einem sogenannten Objektschutz (verstärkte Wände ohne Öffnungen, Lawinenkeil, Ebenhöch) effektiv geschützt werden. Menschen sind in so gesicherten Gebäuden praktisch nicht mehr gefährdet. Der Aussenraum ist jedoch nicht gesichert. Problematisch kann auch sein, wenn eine intensivere Lawine als angenommen auftritt. Der Objektschutz wird insbesondere im blauen Gefahrengebiet eingesetzt. Lawinengerechtes Bauen verursacht nur geringe Mehrkosten (weniger als 10% der Gebäudekosten), wenn zu Beginn der Projektierung die Gebäudekonzeption entsprechend angepasst wird. Die Planung von Objektschutzmassnahmen ist in der Wegleitung «Objektschutz gegen gravitative Naturgefahren» (VKF, 2006) dargestellt. Planung von Lawinenschutzmassnahmen 45 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 fährlichen Prozess und einem Schadenpotential. Auf der Gefahrenseite sind die Wahrscheinlichkeit eines Lawinenabganges und die Intensität einer Lawine zu bestimmen. Beim Schadenpotential steht der Wert, die Verletzlichkeit – also wie stark zum Beispiel eine Haus gebaut ist – und die Präsenzwahrscheinlichkeit im Vordergrund. Je häufiger und intensiver eine Lawine auftritt und je wertvoller und verletzlicher ein Objekt ist, desto grösser wird das Risiko. Das Risiko ist das Mass für die Grösse der Gefährdung und wird als jährlicher Schadenerwartungswert in Franken oder als jährliche Todesfallwahrscheinlichkeit dargestellt. Was darf passieren? Wenn man das Risiko berechnet hat, stellt sich die Frage, ob es akzeptiert werden kann. Das Risiko muss bewertet werden. Eine systematische Risikobewertung bei Naturgefahren ist erst seit kurzem in Diskussion und es gibt nur wenige ausgewertete Erfahrungen. Ein Ziel der Gesellschaft ist, die Gesamtzahl von Opfern bei allen Risiken möglichst klein zu halten. Eine solche Optimierung kann nur vorgenommen werden, wenn in allen Risikosituationen ähnliche Sicherheitsanstrengungen getroffen werden, um ein Menschenleben zu retten. Man spricht von so- 10 Grenzkosten [CHF/T ] 10 Mio. 1 Mio. 1000 000 A SBB Brand und Freisetzung (1992) B ÖBB Tunnel (1993) C SBB Zusammenstösse und Entgleisungen (1992) D USA Luftverkehr E F G H DB NBS Tunnel (1982) British Rail (1992) SBB Arbeitsunflälle (1992) DB Bahnübergänge (1986) J USA Strassenverkehr Abb. 5. Beispiele von Grenzkosten zur Verhinderung eines Todesopfers in Abhängigkeit von Kategorien. Legende: CHF/T = Schweizerfranken pro verhindertes Todesopfer (Quelle: BABS, 2003. KATARISK-Studie, Erläuterung der Methode). 46 genannten Grenzkosten, die beschreiben, wie viel die Gesellschaft zur Rettung eines Menschenlebens bereit ist zu zahlen. Bei der Risikobewertung sind die Freiwilligkeit der Risikoübernahme und die eigene Kontrollmöglichkeiten über das Risiko von Bedeutung (Abb. 5). Bei einem hohen Selbstbestimmungsgrad, z. B. beim Bergsteigen, ist die Risikoakzeptanz höher als bei einem kleinem Selbstbestimmungsgrad z. B. bei der Fahrt mit einem öffentlichen Verkehrsmittel. Auf Grund von Erfahrungen konnten vier Risikokategorien festgelegt werden. Bei der Kategorie 1 «freiwillig» werden Grenzkosten von rund 1 bis 2 Millionen Franken eingesetzt und bei der Kategorie 4 «unfreiwillig» 10 bis 20 Millionen Franken Was ist zu tun? Ist ein Risiko nicht akzeptierbar, muss es reduziert werden. Das Ziel ist mit einem minimalem Aufwand eine grösstmögliche Sicherheit zu erreichen. Dies kann mit Kosten-Wirksamkeitsberechnungen überprüft werden. Die KostenWirksamkeit ist das Verhältnis von den Massnahmenkosten zur Risikoverminderung. Betragen die jährlichen Kosten für eine Schutzmassnahme z. B. 0,5 Millionen Franken und die Risikoverminderung 0,18 Todesfälle pro Jahr so berechnet sich die Kosten-Wirksamkeit zu 2,8 Millionen Franken pro gerettetem Menschenleben. Je kleiner die Grenzkosten sind, desto effizienter ist eine Schutzmassnahme. Die Grenzkosten zeigen auf, ob eine Schutzmassnahme verhältnismässig ist. Der Einbezug der Kosten-Wirksamkeit wird immer wichtiger, denn einen Schutz um jeden Preis ist nicht möglich. Schlussbemerkungen Es wurde gezeigt, mit welchen langfristigen Schutzmassnahmen wir uns vor Lawinen schützen können und wo die Grenzen der verschiedenen Massnahmen liegen. Lawinengefahrenkarten stellen eine wichtige Basis für risikogerechtes Planen und für organisatorische Massnahmen dar. Bauliche Schutzmassnahmen reduzieren das Risiko, indem beispielsweise durch Stützverbauungen die Anbruchwahrscheinlichkeit oder durch einen Objektschutz die Verletzlichkeit eine Gebäudes verkleinert wird. Der Vorteil von baulichen Schutzmassnahmen liegt darin, dass höhere Schwellenwerte festgelegt werden können, bis organisatorische Massnahmen notwendig werden. Ein Sicherungsdienst kann sich auf extremere Ereignisse konzentrieren, die häufigen, oft schwierig zu handhabenden Ereignisse sind nicht mehr massgebend. Sehr wichtig ist zu wissen, dass Schutzmassnahmen und Gefahrenkarten ein bestimmtes Szenario abdecken. Das Restrisiko besteht darin, dass ein extremeres Szenario auftritt Lawinen und Recht oder dass das Szenario anders als vorgesehen abläuft. Wichtig ist, dass diese Restrisiken und möglichen Gegenmassnahmen den Betroffenen klar kommuniziert werden. Nur so können diese im Ereignisfall richtig handeln. So sind beispielsweise die Lawinenverhältnisse und die Wirksamkeit einer Schutzmassnahme fortlaufend zu beurteilen, damit in einer Katastrophensituation ihre Wirkung realistisch eingeschätzt werden kann. Schliesslich muss man zur Kenntnis nehmen, dass ein absoluter Schutz vor Lawinen technisch nicht machbar, finanziell nicht verkraftbar und ökologisch nicht sinnvoll ist. Die Gesellschaft muss lernen, mit Restrisiken richtig umgehen zu können. 11 Literatur ASTRA/SBB, 1994. Richtlinie Einwirkungen auf Lawinenschutzgalerien. EDMZ, Bern. ARE/BWG/BUWAL, 2005. Empfehlung – Raumplanung und Naturgefahren. Verkauf Bundespublikationen, Bern. BFF/SLF, 1984. Richtlinie zur Berücksichtigung der Lawinengefahr bei raumwirksamen Tätigkeiten. EDMZ, Bern. BUWAL/WSL, 1990/2000. Richtlinie für den Lawinenverbau im Anbruchgebiet. EDMZ, Bern. PLANAT, 2004. Strategie Naturgefahren Schweiz – Synthesebericht. Nationale Plattform Naturgefahren. VKF, 2006. Wegleitung – Objektschutz gegen gravitative Naturgefahren. Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen, Bern. Stefan Margreth studierte Bauingenieur an der ETH Zürich und ist heute der Leiter des Teams Lawinenschutz am SLF Davos. Er verfasste zahlreiche Gutachten über Gefahrenbeurteilungen und hat u. a. auch die Gerichtsexpertise über das Lawinenunglück von Galtür und Valzur vom Februar 1999 erstellt. Résumé: Connaître les dangers pour diminuer les risques: mesures de protection à long terme contre les avalanches L’objectif de cet exposé est de montrer quelles sont les mesures à long terme mises en place pour protéger les habitations et les voies de communication contre les avalanches, ce que l’on peut en attendre et quelles en sont les limites. Contrairement aux mesures à court terme telles que les prévisions d’avalanches, le déclenchement artificiel ou les évacuations, la protection à long terme ne se fonde pas sur l’appréciation actuelle de la situation de danger, mais sur l’examen de scénarios extrêmes avec des durées de récurrence allant jusqu’à 300 ans. Pour résoudre un problème d’avalanche, il ne s’agit généralement pas de choisir l’une ou l’autre possibilité; la meilleure solution est souvent de combiner plusieurs mesures. Avec les moyens financiers et les possibilités techniques existants, il n’est généralement pas possible d’atteindre une sécurité absolue. Il s’agit dès lors de trouver la réponse optimale entre les investissements pour une mesure de protection et l’ampleur des dommages possibles en cas de protection limitée. On parle dans ce cas de gestion intégrée du risque. Les bases juridiques ayant trait à la protection contre les avalanches figurent pour l’essentiel dans la Loi fédérale sur les forêts et dans l’Ordonnance fédérale sur les forêts. Ces textes stipulent que les cantons sont tenus de sécuriser les zones de décrochement et d’élaborer les bases nécessaires à la protection, c’est-à-dire un cadastre des dangers et des cartes de danger. La «directive pour la prise en considération du danger d’avalanches lors de l’exercice d’activités touchant l’organisation du territoire» constitue la base pour l’élaboration de cartes des dangers d’avalanche. Les cartes des dangers d’avalanche divisent la zone en sous-zones avec différents degrés de danger. La mesure du danger potentiel est la fréquence et l’intensité d’une avalanche. Une zone rouge représente un danger marqué (zones non constructibles) et une région bleue fait référence à des avalanches plus rares d’une intensité plus faible (construction avec respect de certaines obligations). Pour les zones de danger rouges et bleues, il y a lieu de prévoir l’organisation d’une alerte et un plan d’évacuation. Il est en outre précisé comment une carte des dangers est élaborée et quel degré de précision on peut en escompter. Pour les situations pour lesquelles un cas extrême n’est encore jamais intervenu ou n’a pas été documenté, la précision possible est limitée. Il est important qu’on adopte une attitude responsable vis-à-vis de la latitude de jugement présente dans toutes les situations. Dans le rapport technique concernant une carte des dangers, il y a lieu de décrire les scénarios pris en compte et le danger résiduel existant. Ces points sont d’une grande importance pour la réalisation de cartes des dangers et l’élaboration de concepts de sécurisation. Des constructions paravalanches seront prévues là où il n’est pas possible de pallier aux déficits de sécurité existants par des mesures de planification. Dans la zone de décrochement d’avalanches, des constructions paravalanches empêchent le décrochement des masses de neige. Sur sa trajectoire, l’avalanche peut être déviée ou même stoppée par des digues de retenue. Les constructions paravalanches se justifient parfaitement dans le cas de scénarios avec une récurrence comprise entre 50 et 100 ans. En dépit d’une bonne planification, il arrive que des ouvrages de stabilisation soient recouverts de neige ou qu’une digue soit déjà comblée par des avalanches précédentes. Il est important que, pendant une situation avalancheuse, on connaisse les limites d’efficacité et qu’on réfléchisse aux conséquences d’une surcharge. Les mesures de protection offrent une sécurité élevée. Seules des situations exceptionnelles nécessitent des mesures temporaires supplémentaires. Dans ce contexte, l’entretien des équipements de protection existants et l’examen périodique de leur efficacité revêt une grande importance. 47 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Stefan Margreth est ingénieur en construction diplômé de l’ETH Zurich et est aujourd’hui directeur de l’équipe de protection contre les avalanches à l’ENA Davos. Il a rédigé de nombreux rapports d’expertise sur les évaluations de danger et a entre autres établi le rapport d’expertise relatif à l’accident d’avalanche de Galtür et Valzur de février 1999. Riassunto: Pericolo ravvisato = pericolo dimezzato: misure a lungo termine di protezione contro le valanghe Lo scopo di questa relazione è quello di illustrare i sistemi che vengono utilizzati per garantire a lungo termine una protezione contro le valanghe ai centri abitati e alle vie di comunicazione, cosa ci si può aspettare da questi sistemi di protezione e quali sono i loro limiti. Contrariamente alle misure di protezione a breve termine, quali il bollettino delle valanghe, distacchi artificiali o evacuazioni, nei sistemi di protezione a lungo termine non viene considerata la situazione di pericolo momentanea, ma vengono analizzati scenari estremi che si ripresentano a intervalli regolari, anche ogni 300 anni. Per risolvere un problema legato alle valanghe, non sempre esiste una soluzione A o una soluzione B. La combinazione di diverse misure rappresenta invece spesso la soluzione migliore. Considerando i mezzi finanziari e le possibilità tecniche disponibili, spesso non è possibile garantire una sicurezza assoluta. È dunque necessario trovare una giusta misura tra investire in un sistema di protezione e il dover affrontare eventuali catastrofi, sempre possibili in zone con grado di protezione limitato. A questo proposito si parla di gestione integrale del rischio. Fondamenti legislativi che si riferiscono alla protezione dalle valanghe sono reperibili soprattutto nella legge forestale LFo e nell’ordinanza sulle foreste OFo. Con questa legge, i Cantoni vengono impegnati a proteggere le zone di distacco e a elaborare le basi necessarie per la protezione, cioè catasti e carte dei pericoli. Le «Direttive per la considerazione del pericolo di valanghe nelle attività di incidenza territoriale» rappresentano la base per la realizzazione delle carte di localizzazione probabile delle valanghe (CLPV). Le carte di localizzazione probabile delle valanghe suddividono il territorio in regioni con diversi gradi di pericolo. La misura del potenziale pericolo è rappresentata dalla frequenza e dall’intensità di una valanga. L’area rossa è un’area soggetta a un marcato pericolo (divieto di costruzione) mentre nell’area blu si verificano rare valanghe di piccola intensità (permesso di costruzione con determinati obblighi). Nelle aree di pericolo di colore rosso e blu è necessario organizzare sistemi di allarme e piani di evacuazione. Passiamo ora a illustrare come viene compilata una carta dei pericoli e il livello di precisione che ci si può aspettare. In situazioni in cui il caso estremo non si è ancora verificato o non è stato documentato, la precisione raggiungibile è limitata. L’importante è che il margine di discrezionalità esistente venga utilizzato in modo responsabile. Nella relazione 48 tecnica su una carta dei pericoli devono essere descritti gli scenari considerati e il rischio residuo esistente. Per la messa in pratica di una carta dei pericoli e per l’elaborazione di sistemi di protezione sono molto importanti questi punti. I sistemi di protezione di tipo edilizio vengono impiegati laddove il deficit protettivo non può essere eliminato con misure progettuali. Nelle tipiche zone di distacco, le opere di stabilizzazione del manto nevoso impediscono la rottura delle masse di neve. Lungo la traiettoria della valanga, il flusso può essere deviato o addirittura arrestato per mezzo di speciali dighe. Interventi protettivi di tipo edilizio vengono di norma valutati su scenari che ricorrono ogni 50–100 anni. Nonostante una pianificazione corretta, le opere di ritenuta possono essere innevate o una diga può essere già stata riempita da una valanga precedente. L’importante è che in caso di pericolo si riconoscano i limiti dell’efficacia e si rifletta sugli effetti in caso di sovraccarico. Le misure di protezione offrono un elevato livello di sicurezza. Solo situazioni eccezionali richiedono misure provvisorie supplementari. A questo proposito assume una notevole importanza la manutenzione dei sistemi di protezione esistenti e il controllo periodico della loro efficacia. Stefan Margreth ha studiato ingegneria civile presso l’ETH di Zurigo ed è oggi direttore del team prevenzione valanghe dell’Istituto SNV di Davos. Redattore di numerose perizie sulla valutazione dei rischi, ha compilato anche la perizia legale sull’incidente da valanga di Galtür e Valzur del febbraio 1999. Lawinen und Recht Reduktion des Lawinenrisikos mit temporären Massnahmen Lukas Stoffel 1 Einleitung Während einer aktuellen Lawinensituation ist zu beurteilen, ob eine Gefährdung von Personen oder Sachwerten besteht. Je nach Situation sind temporäre Massnahmen wie Sperrungen oder die künstliche Lawinenauslösung notwendig. Falls bauliche Massnahmen vorhanden sind, ist ihre Wirksamkeit zu beurteilen (z. B.: Ist eine Galerie genügend lang?). Im Folgenden wird auf die Grenzen temporärer Massnahmen (Restrisiko), die Beurteilung einer lokalen Gefährdung und auf organisatorische Aspekte eingegangen. Für den Einsatz temporärer Massnahmen sind wichtig: – Gebietskenntnisse (u. a. Karte mit Lawinenzügen, Gefahrenkarten usw.) – Auseinandersetzung mit aktueller Situation (Wetter-, Schnee-, Lawinendaten, Prognosen, Winterverlauf) – Erfahrung – Organisation – Journalführung / Dokumentation. 2 de der künstlichen Lawinenauslösung auch zur Sicherung von Verkehrswegen und eher selten auch von Siedlungsbereichen verwendet. Am meisten werden sogenannte Handsprengungen (Handwurfladungen) und Helikoptersprengungen eingesetzt, bei denen Patrouilleure die Sprengladungen in die Anrissgebiete werfen. Handsprengungen kommen in Schneesportgebieten zum Einsatz. Helikoptersprengungen weisen den Vorteil auf, dass rasch und sehr flexibel an der Situation angepassten Sprengpunkten gesprengt werden kann; nachteilig ist die Abhängigkeit von genügend gutem Flugwetter und die Verfügbarkeit der Helikopter. Für Einsätze bei schlechten Sichtverhältnissen und über eine gewisse Distanz stehen Armeewaffen zur Verfügung (Minenwerfer, Raketenrohr). Auch mit dem Avalancheur kann Sprengstoff (in Lanzen) in Anrissgebiete geschossen werden; eine weitere Möglichkeit, um entfernte Sprengpunkte zu erreichen, stellen Sprengseilbahnen dar. Zudem können ortsfeste, in den Anrissgebieten installierte Sprenganlagen verwendet werden: Gasex (Abb. 1), Sprengmast Wyssen (Abb. 2), Lawinenwächter/Lawinenmast Inauen-Schätti (Abb. 3) und Avalhex. Mit diesen vier Systemen können Übersicht über temporäre Massnahmen Temporäre Massnahmen zum Schutz von Personen umfassen Sperrungen von Verkehrswegen, Absperrungen von Siedlungsbereichen (evtl. Hausaufenthalt für Personen), Evakuierungen von Gebäuden (Personen und eventuell Tiere) sowie die künstliche Lawinenauslösung. Sperrungen und Evakuierungen Sperrungen und Evakuierungen können prinzipiell immer durchgeführt werden. Bei Evakuierungen stellt sich die Frage, wo betroffene Personen, z. B. in von der Umwelt abgeschnittenen Orten, untergebracht werden. In der Schweiz wurde die Erfahrung gemacht, dass bei frühzeitiger Ankündigung von Evakuierungen betroffene Personen sich zum Teil selbst organisieren und zum Beispiel zu Bekannten ziehen. Künstliche Lawinenauslösung In Schweizer Schneesportgebieten werden häufig Sprengeinsätze zur Sicherung von Schneesportabfahrten durchgeführt. Zum Teil wird die Metho- Abb. 1: Gasex. 49 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Abb. 2: Sprengmast Wyssen. Abb. 3: Lawinenmast Inauen-Schätti. sicht- und witterungsunabhängige Einsätze an ausgewählten Sprengpunkten ab Computer mittels Funkverbindung durchgeführt werden, welche grosse Sprengwirkung entfalten. Ob die Methode der künstlichen Lawinenauslösung in einem bestimmten Gebiet angewendet werden kann, ist vor allem vom Gelände (u. a. Grösse und Neigung Anrissgebiet) und vom vorhandenen Schadenpotential abhängig. Als Schadenpotentiale sind Objekte in der Sturzbahn (z. B. Wald, Hochspannungsleitung) und im Auslaufgebiet (z. B. Gebäude, Infrastruktur), auch durch allfällig ausgelöste Sekundärlawinen, zu beachten. sicherheiten auf, vor allem dadurch bedingt, dass unter Druck Entscheidungen gefällt werden müssen. – Schwierige Beurteilung der Gefährdung (Einzelhänge, evtl. keine Sicht) – Durchführbarkeit / Umsetzung der Massnahmen (Druck auf Verantwortliche in Tourismusregionen), Information – Künstliche Lawinenauslösung: mögliche Schäden, je nach Situation schwierige Beurteilung der Wirksamkeit von Sprengungen und damit Unsicherheiten beim Festlegen von weiteren Massnahmen. Ziele, Wirksamkeit, Problematik und Restrisiko Als Ziele für Sperrungen / Evakuierungen sind zu nennen: keine Gefährdung von Personen und der Situation angepasste Sperrzeiten. Die Ziele der künstlichen Lawinenauslösung sind: – keine Gefährdung von Personen, möglichst keine Sachschäden – kleinere Lawinen durch frühzeitige Auslösungen – kürzere Sperrzeiten. Die Wirksamkeit von Sperrungen und Evakuierungen sind vom Zeitpunkt und der Dauer abhängig. Für Sprengeinsätze sind der Einsatztag (inkl. Sprengzeitpunkt), die Sprengpunkte (Ort und Anzahl), die Sprengwirkung und die durchgeführten Absperrmassnahmen entscheidend. Temporäre Massnahmen sind relativ kostengünstig, weisen aber etliche Schwierigkeiten und Un- 50 Da die Beurteilung einer Lawinensituation nicht einfach ist und etliche Unsicherheiten bestehen, verbleibt bei den temporären Methoden ein Restrisiko: – Sperrungen / Evakuierungen: Trotz sorgfältiger Beurteilung keine Sperrung angeordnet, Sperrung zu spät durchgeführt oder zu früh aufgehoben. Missachtungen von Sperrungen sind möglich. – Künstliche Lawinenauslösung: Ausgelöste Lawine grösser als erwartet, Auslösung von Sekundärlawinen. Nach negativen Sprengungen (keine Auslösung) kann es zu einem späteren Zeitpunkt zu spontanen Abgängen kommen. Fehlbeurteilungen, die zu Todesopfern führen und mit Rechtsfolgen verbunden sind, sind auch bei sorgfältigem Arbeiten möglich. Selbstverständlich ist es Ziel der Sicherheitsverantwortlichen, solche Situationen nicht eintreten zu lassen. Lawinen und Recht 3 Beurteilung einer lokalen Lawinengefährdung und Massnahmenentscheid Zu beurteilen ist ein zu sicherndes Gebiet. Es kann sich um einen bestimmten Auslaufbereich eines Lawinenzuges oder einen Abschnitt eines Verkehrsweges mit mehreren Lawinenzügen handeln. Massnahmenentscheide, respektive Empfehlungen für Massnahmen (z. B. für Sperrungen), sollen sich auf die Erhebung des Ist-Zustandes beziehen und die Entwicklung der Wetter- und Lawinensituation der nächsten Stunden einbeziehen. Es geht um die Frage der möglichen Lawinengrösse in einem Lawinenzug (Bezug zu Objekten, z. B. einer Strasse) und der vorhandenen Anbruchwahrscheinlichkeit. Beide Grössen sind nicht direkt messbar, Abschätzungen sind notwendig. Neuschnee-, aber auch Nassschneesituationen sind zu beurteilen. Bei einer Gefährdung von Personen im Freien, d. h. die mögliche Lawinengrösse wird als kritisch beurteilt und ein Anbruch ist wahrscheinlich oder möglich, sind Sperrungen notwendig. Für Gebäude und Objekte ist die Schadenempfindlichkeit zu beurteilen, was nicht einfach ist. Je nach Situation können Personen in Gebäuden belassen werden oder eine Evakuierung kann ratsam sein. Während einer aktuellen Situation kann mit Varianten von Massnahmen gearbeitet werden. Beispiel: Am Abend wird beschlossen, dass, falls bis frühmorgens noch 20 cm Schnee fallen, Variante A zur Ausführung gelangt, ansonsten Variante B. Der Einsatz temporärer Massnahmen braucht eine gewisse Vorlaufzeit, da nach einem Entscheid zuerst etliche Personen zu informieren sind und u. a. Absperrpersonal aufgeboten werden muss. Im Folgenden wird auf allgemeine Grundlagen und das mögliche Vorgehen bei der Beurteilung einer aktuellen Situation eingegangen (Schritte 1 und 2). Allgemeine Grundlagen, Gebietskenntnisse Die Kenntnisse sollen sich auf die Geländeverhältnisse der Lawinenzüge und auf den Lawinenkataster beziehen. Die folgenden allgemeinen Grundlagen sind hilfreich: – Karte mit Lawinenzügen (Anrissgebiete, Fliessrichtung der Lawinen, evtl. Umrisse grosser bekannter Lawinen) – Gefahrenkarten / Zonenplan (rote und blaue Zone) – Angaben zu vorhandenen baulichen Schutzmassnahmen und diesen zu Grunde liegenden Szenarien – Lawinenkataster mit Angaben zu Abgängen: Datum, Lawinengrösse und -art / Auslaufgebiet, Wetterlage, Schneedaten. Angaben zu den Lawinenzügen können u. a. Hangneigung, Exposition, Grösse und Höhenlage der Anrissgebiete umfassen. Eine Beschreibung von Sturzbahn und Auslaufgebiet, inkl. vorhandenem Schadenpotenzial, ist hilfreich. Die Auswertung des Katasters (Ereignis, Wetterlage, Schneesituation) ergibt einen Hinweis zur Wiederkehrdauer der Verschüttung eines Geländeabschnittes und kann zumindest für Neuschneesituationen mit Schneedaten, z. B. Neuschneesummen bezogen auf ein Messfeld, verknüpft werden. Die Auswertung kann einen Hinweis auf einen kritischen Neuschneewert geben. Für Bereiche, die alle 1 bis 2 Jahre verschüttet werden, ist mehrmals jährlich mit einer potentiellen Gefährdung zu rechnen. Ein Gebiet, in welches ca. alle 50 Jahre eine Lawine vorstösst, dürfte alle 10 bis 20 Jahre, d. h. während und nach aussergewöhnlichen Situationen, gefährdet sein. Für Strassenabschnitte kann ebenfalls die Wiederkehrdauer einer Verschüttung ermittelt werden. Für höhergelegene Täler kann für einen Strassenabschnitt mit mehreren Lawinenzügen z. B. eine Verschüttungswiederkehrdauer von 10 Jahren vorliegen, was durchschnittlich alle 2 bis 3 Jahre eine Sperrung ratsam erscheinen lässt. Für die betreffende Strasse kann die, z. B. auf eine Meereshöhe von 160 m ü. M. bezogene, kritische Neuschneesumme 60 cm betragen (Ausgangswert, 1 bis 3 Tagessumme). Da nicht jede Neuschneesumme von 60 cm die gleiche mögliche Lawinengrösse ergibt, ist dieser Ausgangswert immer auf die aktuelle Situation anzupassen. Falls der Schneefall von sehr starken Winden begleitet ist und zudem in der Sturzbahn mit einem Mitreissen von Schneeschichten zu rechnen ist, ist der Ausgangswert beispielsweise zu verkleinern. Es kann auch mit einer Bandbreite für kritische Werte gearbeitet werden. Schritt 1: Erhebung aktueller Wetter-, Schneeund Lawinendaten Bezüglich des Ist-Zustandes können folgende Daten erhoben werden: – Aktuelles Wetter – Lawinenbulletin (u. a. für den aktuellen Zeitpunkt gültige Gefahrenstufe) – Neuschnee (24 Std., Summe der Schneefallperiode, evtl. 3-Tagessumme), Gesamtschneehöhe (vor Schneefallperiode, aktuell): z. B. Messfeld im Tal, Daten von automatischen Stationen – Wind (Richtung und mittlere Stärke): Daten automatischer Stationen (Angaben in der Höhe) – Temperatur Luft und Schneedecke (aktuell, Veränderung, z. B. 24 Std.): Daten automatischer Stationen, Messfeld – Schneedeckenaufbau (für Nassschneesitua- 51 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 tionen Zustand der Schneedecke), z. B. Schneedeckenuntersuchung /-profil, Angaben im Lawinenbulletin – Falls aufgrund der Sichtverhältnisse möglich: Lawinenaktivität (spontan, Sprengungen; Lawinenart und -grössen) – Je nach Region: Informationen von anderen Diensten. Prognose: – Wetterbericht, Lawinenbulletin, Frühwarnung – Prognose Neuschnee (Menge, Schneefallgrenze), Wind (Richtung, Stärke), Lufttemperatur. Schritt 2: Beurteilung und Entscheidfindung Es geht um die Frage, ob in einem Lawinenzug, respektive einem bestimmten Bereich, oder einem Abschnitt eines Verkehrsweges eine Gefährdung besteht. Je nach Gebiet ist auch über Sprengeinsätze zu entscheiden. Schwierig zu beurteilen ist die Gefährdung eines Gebietes durch eine grosse Staublawine, respektive ihre Staubeinwirkung. Die Beurteilung und Entscheidfindung kann auf folgende Punkte abgestützt sein: a) Erfahrungswerte, Beobachtungen: – Interpretation der Daten (u. a. Neuschnee, Windeinfluss) und Vergleich mit Erfahrungswerten. Regionale Lawinenaktivität und Grösse beobachteter Lawinen (von Sicht abhängig), auch Vorgeschichte beachten. Resultate von Sprengeinsätzen – Zustand der Lawinenzüge (Anrissgebiet, Sturzbahn, Auslaufgebiet), z. B. Neuschnee in Sturzbahn, der mitgerissen werden kann, oder im unteren Bereich Regen; bereits erfolgte Entladungen – Wirksamkeit von baulichen Schutzmassnahmen. b) Hilfsmittel Neuschneesumme zur Abschätzung von möglichen Lawinengrössen: – Vergleich der aktuellen Neuschneesumme mit kritischem Wert, der auf die aktuelle Situation angepasst ist (verkleinernde und vergrössernde Faktoren). c) Hinweis Ergebnisse aus Computerprogramm NXD-Lawinen1 – Vergleich der aktuellen Situation mit Situationen in der Vergangenheit (Voraussetzung tägliche Eingabe von Wetter-, Schnee- und Lawinendaten). 1 Es handelt sich um ein vom Eidg. Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF entwickeltes Computerprogramm zur lokalen Lawinenprognose, das «nächste Nachbartage» sucht, vgl. www.slf.ch/nxd/welcome-de.htm 52 4 Wichtiges zur Organisation Bezüglich der Organisation ist unter anderem die Struktur, die Information und das Durchführen von Massnahmen zu regeln. Organigramme, Gesetze / Verordnungen zum Lawinendienst und Pflichtenhefte stellen wichtige Grundlagen dar. Die Arbeit im Lawinendienst soll in einer Betriebshaftpflichtversicherung abgedeckt sein. Entscheide für Sperrungen, deren Aufhebung und für Sprengeinsätze (Gebiete mit Schadenpotential) werden von Vorteil von einem Gremium gefällt. Sofort notwendige Sperrungen sollen immer auch durch eine einzelne Person angeordnet werden können. Für die Information von Personen in Gefahrengebieten ist zumindest eine Telefonliste zu führen. Um Partner und andere Organisationen zu benachrichtigen, wird oft ein Informationsbulletin erstellt. Um die genauen Sperrorte nicht jedes Mal neu definieren zu müssen, kann mit Sperrkonzepten (Strasse: fixe Barrieren bei x, y; Siedlungsbereiche: Absperrpläne A, B, usw., Abb. 4) gearbeitet werden. Bezüglich verfügbarem Personal ist eine Personalliste zu führen (z. B. Absperrungen durch Feuerwehr). Notwendiges Absperrmaterial wie Tafeln, Scherengitter usw. muss vorhanden sein. In Sicherungskonzepten / Sicherheitskonzepten können allgemeine Angaben zur Beurteilung einer aktuellen Situation (Grundlagen, Formulare) und für die Durchführung von Sperrungen (u.a. Absperrpläne) und Sprengeinsätzen festgehalten werden. Wichtig ist die Ausbildung der Sicherheitsverantwortlichen. In der Schweiz werden vom Eidg. Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF seit dem Jahr 2000 Ausbildungskurse für Mitglieder von Lawinendiensten durchgeführt. Journalführung / Dokumentation Es empfiehlt sich, erhobene Daten, Massnahmenentscheide und die Umsetzung von Massnahmen schriftlich festzuhalten. Mit einer Journalführung wird das Wissen über ein Gebiet aufgezeichnet (z. B. für Nachfolgeregelungen in einem Lawinendienst) und bei einem Lawinenunfall ist belegt, was überlegt und aufgrund welcher Fakten entschieden worden ist. Die Journalführung kann z. B. mit den folgenden zwei Formularen erfolgen: – Formular: Aktuelle Lawinensituation, siehe Kap. 3 Schritte 1 und 2 (Abb. 5) – Formular: Massnahmen / Massnahmenplanung (Abb. 6). In Abbildung 6 ist eine einfache Version für Formular «Massnahmen» dargestellt. In der linken Spalte Lawinen und Recht Abb. 4: Beispiel eines Absperrplanes. sind alle zu sichernden Gebiete / Abschnitte aufgeführt, während in der mittleren und rechten Spalte Angaben zur aktuellen Situation gemacht werden. Zusätzlich ist ein Lawinenkataster und für Einsätze der künstlichen Lawinenauslösung ein Sprengprotokoll zu führen. Lukas Stoffel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Eidg. Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF Davos. Er studierte Bauingenieur an der ETH Zürich. Seit 1992 umfasst sein Arbeitsgebiet Fragen zur künstlichen Lawinenauslösung, Gutachtertätigkeit im Lawinenschutz, Projektarbeit und die Mitarbeit an diversen Kursen. 53 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Lawinendienst / Ort: ....................................................... Region im Lawinenbulletin: ................................................ Erhebung der Daten, Datum: ............................................. Region für Schneeprognose: ............................................... Zeitpunkt: ............................................................................. Aktuelle Situation, Ist-Zustand Wetter: .................................................................................................................................... Lawinenbulletin: aktuelle Gefahrenstufe ............................ Exposition ............................. Meteo- und Schneedaten: Messfeld .............................. Datum Zeit Neuschnee, Summe 24 Std. Neuschnee HN (cm) ΣHN (cm) 0 0 Schnee IMIS ........................ Temperatur IMIS .................. Wind IMIS ............................ Schneehöhe HS (cm) Schneefallgrenze: .............. Höhenlage .......................... Zuwachs Schneehöhe ΔHS (cm) 0 HN: HSaktuell : Heute: TA: TSS: Heute: Richtung: Gestern: Richtung: Lufttemperatur TA (°) HSvorSchneefall : Gestern: TA: Stärke (Mittel): Stärke (Mittel): SchneeOberfl.t. TSS (°) TSS: Schneedecke (z.B. Triebschnee, Setzung): .......................................................................................................................... Lawinenaktivität: Spontane Lawinen: ................................................................................................................................. Resultate v. Sprengungen: ..................................................................................................................... Informationen von anderen Diensten: . .................................................................................................................................. Prognose Entwicklung der Wetter- und Lawinensituation Wetter: ................................... Lawinenbulletin (Gefahrenstufe, Zeitraum: ..................... ): .................................................................................................. Prognose, Zeitraum: ........... Std.: Schnee ........................................... Wind . .............. TA............... ΣHN: ............. Prognose, Zeitraum: ........... Std.: Schnee ............................................ Wind ............... TA .............. ΣHN: ............. Prognose Gefährdung von Personen (erheblichen Sachwerten) Gebiet / Abschnitt Verkehrsweg: Allgemeine Bemerkungen oder Beurteilung in verbaler Form: Zustand Anrissgebiet(e): Zustand Sturzbahn(en) und Auslaufgebiet(e): Wirksamkeit baulicher Massnahmen (z.B. Damm): Interpretation der Daten (u.a. Schnee, Wind): ΣHNkrit Tal, angepasster, aktueller Wert: Kritische Lawinengrösse Anbruch Ja o Nein o Wahrscheinlich o Sehr unwahrscheinlich o Gefährdung möglich Ja o (in Nein o (für ca. ..... Std.) nächste ..... Std) Verfassung Infobulletin: .......................................................................................................................................................... Beschaffung zusätzlicher Schneedaten: ............................................................................................................................... Nächste Beurteilung, Datum: .................................. Zeitpunkt: .............................................................................................. Abb. 5 Beispiel Formular «Aktuelle Lawinensituation». 54 Lawinen und Recht Gemeinde X, 10. Februar 2003, Sitzung 17.45 Uhr Gefährdetes Gebiet / Abschnitt Verkehrsweg Massnahmen (bzw. Empfehlung) Dorfbachtobel Teilgebiet rot (Absperrplan A) Absperrung ab 21.00 Uhr Hausaufenthalte Dorfbachtobel rotes Gebiet (Plan B) – ... – Gemeindestrasse Sertig Witi – Sand Sperrung ab 21.00 Hausaufenthalte Sprengeinsatz am 11.2. Bemerkungen ... Abb. 6: Beispiel Formular «Massnahmen». Résumé: Réduction du risque d’avalanche par des mesures temporaires Les mesures temporaires pour la protection des personnes sont: la fermeture des voies de communication, les interdictions d’accès aux zones habitées (selon la situation, le confinement des personnes), les évacuations de personnes et éventuellement d’animaux et le déclenchement artificiel d’avalanches. Même si les mesures temporaires sont relativement peu coûteuses, elles posent néanmoins diverses problématiques (liées au «facteur humain»): – L’évaluation difficile du danger (pentes isolées, éventuellement pas de visibilité) – L’efficacité des mesures de fermeture dépend du bon choix du moment, de l’adéquation à la situation et d’une durée suffisante – La faisabilité/mise en œuvre des mesures, l’information Des erreurs de jugement entraînant des pertes humaines impliquant des conséquences juridiques sont toujours possibles même lorsqu’on prend toutes les précautions au cours du travail. Evidemment, l’objectif des responsables de la sécurité doit être d’empêcher que pareille situation se produise. Les décisions prises et l’organisation des services sont abordées brièvement. Les décisions prises ou les mesures recommandées (p.ex. la fermeture de voies de communication) doivent se fonder sur l’évaluation de la situation actuelle et tenir compte de l’évolution des conditions météorologiques et avalancheuses au cours des heures suivantes. Pour l’évaluation d’une situation, on dispose actuellement des bases suivantes: – Les données générales (quelles sont les régions menacées?): cadastre des avalanches, cartes des dangers et plan de zone, les informations sur les mesures de protection existantes – Les données actuelles relatives à la météo, la neige et les avalanches: bulletins météorologiques, bulletin d’avalanches, données relatives à la neige, au vent et à la température (p.ex. station IMIS), activité avalancheuse – L’évaluation du danger, les décisions prises ou les mesures recommandées: état des couloirs d’avalanche (dépendant également de la visibilité), données empiriques, comparaison de la situation actuelle avec des situations antérieures (p.ex. évaluation des départs d’avalanches, références aux données nivologiques d’un champ de mesure, valeurs critiques de neige fraîche) En ce qui concerne l’organisation, il convient en outre de régler la structure, l’information et la mise en œuvre des mesures. Les organigrammes, les lois et ordonnances relatives au service des avalanches et les cahiers des charges constituent des bases importantes. Le travail au sein d’un service des avalanches doit être couvert par une assurance de responsabilité civile d’exploitation. Pour l’information des personnes qui se trouvent dans les zones de danger, il y a lieu de tenir au moins une liste téléphonique. Afin de ne pas devoir redéfinir à chaque fois les endroits précis de fermeture, il est possible de travailler sur la base de plans de fermeture. Il y a lieu de tenir une liste du personnel disponible (p.ex. fermeture par les pompiers). Le matériel nécessaire pour les mesures de fermeture tel que les panneaux, barrières extensibles, etc. doit être disponible. Il est très recommandé de consigner par écrit les données récoltées, les décisions précises et les opérations de mise en œuvre des mesures (tenue d’un journal). L’évaluation d’une situation actuelle (documents de base, formulaires) et la mise en œuvre des décisions de fermeture (comme p.ex. les plans d’interdiction d’accès) et les opérations de minage peuvent être consignées dans des concepts de sécurisation ou de sécurité. Lukas Stoffel est collaborateur scientifique à l’Institut fédéral pour l’étude de la neige et des avalanches, ENA, Davos. Il est ingénieur en construction diplômé de l’ETH Zurich. Depuis 1992, son domaine de travail englobe les questions relatives au déclenchement artificiel d’avalanches, les activités d’expertise dans le domaine de la protection contre les avalanches, des projets concrets et la collaboration à divers cours. 55 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Riassunto: Riduzione del rischio valanghe attraverso misure temporanee Tipiche misure temporanee per la protezione delle persone sono: blocco delle vie di comunicazione, sbarramento di centri abitati (a seconda della situazione, obbligo di permanenza in casa per le persone), evacuazione di persone ed eventualmente di animali e il distacco artificiale di valanghe. Sebbene le misure temporanee siano relativamente economiche, presentano però anche parecchie problematiche («fattore umano»): – Difficile valutazione del pericolo (singoli pendii, eventuale assenza di visibilità) – Efficacia dei blocchi grazie a interventi tempestivi e adeguati alla situazione e durata sufficientemente lunga – Fattibilità/Messa in pratica delle misure, informazione Valutazioni errate che causano vittime e sono legate a conseguenze legali sono sempre possibili, anche se il lavoro è stato accurato. Naturalmente l’obiettivo del responsabile della sicurezza è quello di evitare che simili situazioni possano verificarsi. Qui di seguito ci occuperemo brevemente del processo di decisione sulle misure da prendere e dell’organizzazione dei servizi. La decisione sulle misure da prendere, ovvero le raccomandazioni sulle misure da prendere (p.es. per chiusure stradali) devono basarsi sulla valutazione della situazione effettiva e includere la prevista evoluzione delle condizioni meteo e del pericolo di valanghe nelle ore successive. Per la valutazione di una situazione sono oggi disponibili i seguenti dati: – Dati generici (quali zone sono in pericolo?): catasto delle valanghe, carte dei pericoli e piano della zona, informazioni sulle misure protettive esistenti – Dati meteo / neve / valanghe aggiornati: bollettino meteorologico, bollettino della neve, dati sulla neve, sui venti e sulla temperatura (p. es. stazioni IMIS), attività valanghiva – Valutazione del pericolo e decisione, ovvero raccomandazioni sulle misure da prendere: condizione delle tracce delle valanghe (anche dal punto di vista della visibilità), valori empirici, confronto della situazione momentanea con situazioni del passato (p.es. valutazione dei distacchi di valanghe, riferimento ai dati nivologici di un campo di rilevamento, valori critici sulla neve fresca) Per quanto riguarda l’organizzazione, tra le altre cose è necessario definire la struttura, le informazioni e l’esecuzione delle misure. Organigrammi, leggi / ordinamenti sul servizio prevenzione valanghe e capitolati sono riferimenti importanti. L’attività del servizio prevenzione valanghe dovrebbe essere coperta da un’assicurazione contro la responsabilità civile aziendale. Per l’attività di informazione alle persone nelle zone minacciate dal pericolo è necessaria almeno la gestione di un elenco di numeri telefonici. Per non dover ridefinire ogni volta i luoghi esatti del blocco, è possibile operare con concetti di sbarramento. In riferimento al 56 personale disponibile è necessario gestire un elenco del personale (p. es. sbarramenti da parte dei Vigili del Fuoco). Il necessario materiale per il blocco come cartelli, transennamenti, ecc. deve essere disponibile. Si raccomanda vivamente di fissare per iscritto i dati rilevati, le decisioni sulle misure da prendere e la loro messa in pratica (gestione di un registro). La valutazione di una situazione momentanea (dati, formulari), l’esecuzione dei blocchi (tra cui piani di sbarramento) e gli interventi con esplosivi possono essere fissati all’interno di sistemi di protezione o di sicurezza. Lukas Stoffel, collaboratore scientifico presso l’Istituto Federale per lo Studio della Neve e le Valanghe SNV di Davos, ha studiato ingegneria civile presso l’ETH di Zurigo. Dal 1992 si occupa di questioni relative al distacco artificiale di valanghe, di perizie nel settore delle opere da difesa da valanghe, di vari progetti e della collaborazione a vari corsi. Lawinen und Recht Umgang mit dem Lawinenrisiko auf Touren Paul Nigg 1 Einleitung Das Risikomanagement auf Touren, der Beurteilungs- und Entscheidungsprozess zur Optimierung des Unfallrisikos, wird hier aus der Sicht des Schneesportlers dargestellt. Der Begriff Schneesportler schliesst Skitourengänger, Snowboarder und Schneeschuhläufer ein, die sich im ungesicherten Tourengelände bewegen, abseits von viel befahrenen Varianten und Pisten. Die grosse Zahl der Freizeit-Schneesportler dürfte vom Bedürfnis nach eindrücklichen Erlebnissen abseits der Alltagswelt motiviert sein. Abfahrten im stiebenden Pulver, die Schönheit der Winterlandschaft, oder soziale Aspekte, haben vermutlich den höheren Stellenwert als Risikoüberlegungen. Die Mehrheit dieser Gruppe dürfte über eher oberflächliche Kenntnisse im Bereich Risikomanagement verfügen. Daraus kann abgeleitet werden, eine praktische Lawinenkunde für diese Zielgruppe soll einfache und verständliche Strategien anbieten und ihre Grundzüge sollen in kurzer Ausbildungszeit vermittelbar sein. Im Vergleich zu andern Risikosportarten, wie Tauchen, fliegen mit Hängegleitern, bestehen in den Bergsportarten gewisse Ausbildungsdefizite. Die Masse der Freizeitsportler müsste gezielter erreicht werden. Ambitonierte Bergsteiger, Tourenleiter und Bergführer sind in der Regel besser ausgebildet, aber gegenüber den Einflüssen auf der psychologischen Ebene auch nicht immun. Immerhin scheinen sich die jahrelangen Anstrengungen, im Bereich der Ausbildung, positiv abzuzeichnen. Die Anforderungen an Leiter sind allgemein höher, denn die Führung einer Gruppe geht auch mit der Übernahme von Verantwortung einher. Nicht selten muss ein Leiter in Belastungssituationen handeln, es besteht eine gewisse Erwartungshaltung, es werden anspruchsvollere Touren unternommen, die Entscheidungsfindung erfolgt bisweilen unter Zeit- und Risikodruck. Das Konzept des Risikomanagements muss jedoch auch für Leiter und Bergführer einfach sein, es gilt grundsätzlich: Komplexe Situation erfordert einfache Handlungsregeln. 3 2 Komplexität Dies ist nicht einfach, denn der Umgang mit dem Lawinenrisiko weist eine beachtliche Komplexität auf. Es gibt keine Messmethode zur Bestimmung der Lawinengefahr, ihre Grössenordnung kann nur indirekt abgeschätzt werden. Die Lawinengefahr ist nicht an eindeutigen Zeichen erkennbar, kann also mit den menschlichen Sinnen nicht wahrgenommen werden. Zu ihrer Beurteilung sind eine Vielzahl von Faktoren, zum Teil mehrdeutige Einflussgrössen, zu berücksichtigen. Es bestehen immer noch empfindliche Wissenslücken. Die Wahrnehmung der Gefahr hat ihre Tücken. Eine Verdoppelung der Gefahr wird vielleicht als «ein bisschen gefährlicher» interpretiert. Selektive Wahrnehmung oder Wunschdenken, «die rosa Brille aufgesetzt», verzerren die Einschätzung. Weitere Komponenten, etwa das typisch risikoreiche Verhalten junger Männer, die Wirkung von Vorbildern und der Werbung, Selbstüberschätzung, das Wettbewerbsverhalten oder Unkenntnis, beeinflussen in schwierig erfassbarer Weise das Verhalten der Schneesportler. Beurteilung des Lawinenrisikos Für den Schneesportler stellt schon das Bewältigen der Informationsflut ein zentrales Problem dar. Bei der Tourenplanung sind mindestens folgende Faktoren relevant: aus dem Lawinenbulletin die Gefahrenstufe, Höhenlage, Exposition, evtl. weitere Merkmale der kritischen Hänge, aus dem Wetterbericht etwa der tageszeitliche Verlauf der Temperatur, die Windrichtung und Windstärke, die zu erwartenden Sichtverhältnisse, aus der Landkarte die Hangneigung, Exposition, Geländeform, Höhenlage der Schlüsselstelle und dazu Merkpunkte zum Routenverlauf. Hinzu kommen weitere Faktoren wie Gruppengrösse, Zeitplan, Ausrüstung. Das sind mehr als ein Dutzend Fakten. Unterwegs werden die Planungsannahmen mittels eigener Beobachtung überprüft und ergänzt, im Hang, an der Schlüsselstelle, mit aktuellen und detaillierten Beobachtungen nochmals verfeinert. Dies alles ohne irgendwelche Hilfsmittel. Die Merkfähigkeit des Menschen ist hingegen begrenzt. In einer einzelnen Lernsequenz können lediglich etwa fünf Fakten jederzeit abrufbar gespeichert werden. Das Risiko ist somit gegeben, dass Wichtiges übersehen oder vergessen wird. 57 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 4 Die «Formel 3 x 3» als Handlungskonzept Es ist deshalb eine einfache Struktur zur übersichtlichen Gliederung aller wichtigen Fakten notwendig. Dieser Anforderung entspricht die bewährte «Formel 3 x 3». Ihre erste Funktion ist die einer Matrix zur systematischen und gut merkbaren Einordnung der Informationen. Die Qualität der Information ist entscheidender als ihre Menge. Die wichtigen Eingaben, die Schlüsselfakten müssen aufgespürt, die weniger wichtigen und die unnötigen ausgeschieden werden. Allen das Auflisten von Fakten ergibt noch keine Risikobeurteilung. «Formel 3 x 3» steht weiter für ein Handlungskonzept, Beurteilung der Lawinengefahr in drei Phasen: Planen der Tour, beurteilen der Situation im Gelände, beurteilen im Hang. In jeder Phase werden die drei Kriterien, Verhältnisse, Gelände, Mensch zueinander in Beziehung gesetzt. Drei Variablen kombinieren ist eine Aufgabe von nicht zu unterschätzender Schwierigkeit. Sie entspricht etwa der geistigen Leistung, mittels einer zweidimensionalen Darstellung (z. B. einer Landkarte) eine dreidimensionale Vorstellung zu entwickeln (z. B. das räumliche Bild eines Berges). Die Erfahrung zeigt, dass dieser Anforderung mindestens ein Teil der Anwender nicht gewachsen ist. Nicht selten ist zu beobachten, dass wichtige Kriterien ausgeblendet werden. Eine Untersuchung bei Führungskräften zeigte, dass nur etwa 15 % der Beteiligten zuverlässig eine korrekte Schlussfolgerung aus Problemstellungen mit drei oder mehr Variablen ziehen konnten. Die begrenzte Merk fähigkeit und der schwierig Umgang mit mehreren Variablen können als verborgene Mitursache von Fehlbeurteilungen vermutet werden. In der Planungsphase stehen nur Fremdinformationen, resp. Prognosen zur Verfügung: Das Lawinenbulletin, der Wetterbericht, die Landkarte, sowie Informationen aus weitern Quellen, die alle ungenau, lückenhaft oder irrtümlich sein können. Die Annahmen, die der Planung zu Grunde liegen, müssen deshalb im Gelände überprüft und ergänzt werden. Eigene Beobachtungen sind eine neue, unabhängige Eingabe. Dadurch können Fehler der vorangehenden Beurteilungsstufe korrigiert und fehlende Informationen ergänzt werden. Damit endet die Abhängigkeit von Fremdinformationen und jeder weitere Beurteilungsschritt basiert auf selbstverantwortlichem Handeln. 58 5 Gefahr bewerten – Entscheiden – Umsetzen Im einzelnen Hang werden die Einflussgrössen nochmals auf dieselbe Weise verfeinert und schliesslich, als Basis für den Entscheid, alle Risikoüberlegungen zusammengefasst. Jede Beurteilungsphase kann als Sieb, mit immer feinerer Maschenweite, aufgefasst werden, Der Ablauf der fortlaufenden Neubeurteilung der Verhältnisse sei an einem Praxisbeispiel gezeigt: Phase Informationsquelle Einschätzung Regional Planen mit dem Lawinenbulletin (Fremdinformation) eigene Beurteilung vor Ort (soweit das Auge reicht) Beurteilung im Hang (Schlüsselstelle) Gefahrenstufe «mässig» Lokal Zonal kritische Neuschneemenge erreicht frische Triebschneeansammlungen in Mulden Zusammenfassung der Risikoüberlegungen: jede neue Information tendiert in Richtung erhöhter Gefahr. Kritische Neuschneemenge erreicht bedeutet, lokal entspricht die Gefahr knapp der Stufe «erheblich». Im Einzelhang sind frische Triebschneeansammlungen vorhanden, die möglicherweise leicht ausgelöst werden können. Verhaltenskonsequenz: Umgehung von steilen, mit frischem Triebschnee gefüllten Mulden. Verzicht auf sehr steile Hänge. In Steilhängen mit kritischer Neuschneemenge, Schneedecke schonen. Es ist also defensiveres Verhalten erforderlich, als bei der ausgegebenen Bulletinstufe «mässig» üblich ist. Der Prozess der Informationsverarbeitung kann in drei Schritte gegliedert werden: – Gefahr bewerten: Gefahrenstufe Lawinenbulletin, Stabilität des Hanges, Schlüsselfakten gewichten und vernetzen – Entscheiden, mittels Wahrscheinlichkeitsüberlegungen (Reduktionsmethoden) – Umsetzen Die Reihenfolge des Ablaufs ist zwingend. Beispiel: Gefahrenstufe mässig, der nächste Hang ist eine sehr steile, schattige Mulde. Entscheid: gehen, aber mit Vorsichtsmassnahmen. Letztere müssen in angemessener Distanz, vor dem Betreten des Hanges, angeordnet werden und dann auch eingehalten werden. Dies ist in der Führungspraxis nicht ganz so banal, wie das Beispiel einfach scheint. Lawinen und Recht 6 Reduktionsmethoden Reduktionsmethoden strukturieren die Vernetzung der Variablen auf übersichtliche Weise, unfallträchtige Kombination können erkannt werden. Oft wird darauf hingewiesen, dass die Reduktionsmethoden wichtige Fakten nicht einbeziehen. Das ist nicht unbedingt eine Schwäche der Methode, denn die Beschränkung auf die Schlüsselfakten ist notwendig (s.o.), nämlich: bei der elementaren Methode, Gefahrenstufe vernetzt mit Hangneigung; bei der klassischen Methode Gefahrenstufe (resp. Bewertung der Hangstabilität), Hangneigung, Exposition, häufig / selten befahrener Hang, Belastung (Gruppengrösse, Entlastungsabstand). Der Grundgedanke aller strategischen Methoden ist die Gegenüberstellung von Gefahrenpotential und Vorsichtsmassnahmen. Gefahrenpotential akzeptables Restrisiko Vorsichtsmassnahmen 7 Denken in Bandbreiten Das Resultat zeigt die Bandbreite vernünftigen Verhaltens, nämlich: günstiger Bereich / am Limit / im kritischen Bereich. Nicht Sicherheit ist das (unmögliche) Ziel, sondern Risiko-Optimierung. Auf der Snowcard und auf dem Schweizer Merkblatt «Achtung Lawinen» werden dieselben Elemente visuell umgesetzt, das Resultat wird in den Ampel-Farben dargestellt. Die nicht berücksichtigten Faktoren, können mit naheliegenden, zusätzlichen Überlegungen einbezogen werden. Die Höhenlage beispielsweise durch anpassen des Gefahrenpotentials. Günstige / ungünstige Geländeform mittels Interpretation des Ergebnisses in der entsprechenden Richtung. Zwei Varianten können gemäss Reduktionsmethode dasselbe Restrisiko aufweisen, aber ein weiterer Faktor, z. B. die Erwärmung infolge Einstrahlung, kann bei einer der Variante das entscheidende Kernproblem darstellen. Zwei typische Situationen entziehen sich in einem gewissen Grad der Einschätzung mittels Reduktionsmethoden: frischer Triebschnee, infolge der kaum einschätzbaren Auslösewahrscheinlichkeit; kohäsionsloser nasser, oder trockener «zuckriger» Schnee. Das Problemfeld Gewichtung, Bewertung wird nicht selten missverstanden. Genauigkeit ist hier nicht gefragt, ja fehl am Platz. Es wird mit Faustregeln gearbeitet, es muss in Grössenordnungen und Bandbreiten gedacht werden. Das Lawinenbulletin unterteilt den Gefahrengrad in Stufen. In Wirklichkeit handelt es sich um eine gleitende Skala. Stufe «mässig» auf der Seite von «gering» (ziemlich günstige Tourenverhältnisse), ist nicht dasselbe wie Stufe «mässig» am Übergang zu «erheblich» (ziemlich kritische Verhältnisse, jedoch ohne Alarmzeichen und damit schwierig erkennbar). Zwischen diesen Extremen, immer innerhalb der Stufe «mässig», kann sich eine Verdoppelung des Gefahrenpotentials verbergen. Die Hangneigung kann auf der Landkarte nicht exakt gemessen werden, die Auflösung der Höhenkurven ist zu grob. Schätzen der Hangsteilheit im Gelände ist infolge der perspektivischen Verzerrung schwierig. Es ist in der Praxis zweckmässig, grobe Klassen der Hangneigung zu bilden: unterhalb der kritische Hangneigung (< 30°), steil (< 35°), sehr steil (< 40°), extrem steil (> 40°). Haarspalterische Überlegungen bei der Tourenplanung, ob die Sohle einer Mulde nun 38° oder 41° steil sei, sind wenig hilfreich. Ihre Seitenhänge sind, aus geometrischen Gründen, auf jeden Fall steiler. Es stellt sich weiter die Frage, wo die Hangneigung geschätzt werden soll; andersherum gefragt: wie gross könnte ein mögliches Schneebrett werden, wie weit ist der wirksame Auslöseradius. Merkwürdigerweise wurde dieses nahe liegende Fragestellung, lange Zeit nicht beachtet. Erfahrungsgemäss kann die Beurteilung bei Stufe «mässig» auf die nähere Umgebung der Spur begrenzt werden, Umkreis ca. 20 m. Bei Stufe «erheblich» hingegen soll der gesamte Hang, also der ganze Einzugsbereich, in Betracht gezogen werden. Schwierig gestaltet sich die Zuordnung zu einer bestimmten Exposition. Eine ausgeprägte Mulde weist mehrere Expositionen auf und die Übergänge sind fliessend. 8 Muster erkennen Eine Stärke des menschlichen Denkens liegt im erkennen von Mustern, von «Bildern», von «Problemfeldern». Die Vorgeschichte von Lawinenunfällen zeigt häufig einprägsame Muster, die im Sinne einer Erweiterung des probabilistischen Ansatzes genutzt werden können. Unfälle ereignen sich typischerweise: – nach grösseren Neuschneefällen Neuschneemenge, Wind, Kälte kombiniert – bei schwacher Schneedecke oberflächennahe Schwachschicht; viele, dünne und verschiedenartige Schichten in der Schneedecke; dünne, unregelmässige Vor- und Hochwinterschneedecke, – bei markanter, rascher Erwärmung Einstrahlung, tageszeitliche Erwärmung, Regen, fehlende Abstrahlung 59 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 – vermehrt in schneearmen und kalten Gebieten, z. B. im inneralpinen Raum, weniger in schneereichen und warmen Gebieten, z. B. am Alpennordhang (abgesehen von der kurzen Zeitspanne nach grösseren Neuschneefällen) Ebenso wie die Qualität der Bewertung der Gefahr und der Entscheide, ist die Art und Weise der Umsetzung entscheidend: Die vernünftige Wahl des Tourenzieles, die Wahl der Route, fortlaufendes Überprüfen der Situation im Gelände, die Anlage der Spur, das rechtzeitige Treffen von Führungsentscheiden, eine klare Kommunikation, die Anordnung von Vorsichtsmassnahmen, die Resistenz in Stresssituationen und nicht zuletzt eine gewisse Selbstdisziplin aller Beteiligten. 9 Ausblick Die Entwicklung der praktischen Lawinenkunde ist bei weitem noch nicht abgeschlossen. Sie enthält bedeutsames Potential für Erweiterungen und Verbesserungen in unterschiedlichen Bereichen: – eine vertiefte weitere Bearbeitung des, in der Lawinenkunde eher vernachlässigten, Faktors «Mensch» – besseres Verständnis der Eigenschaften des Materials Schnee und der Vorgänge bei der Lawinenauslösung – die Sensibilisierung der Freizeitsportler und eine dieser Zielgruppe angepasste Vermittlung von elementaren Kenntnissen. Paul Nigg, 1949, wohnhaft in Luzern, Konstrukteur im Maschinenbau, seit 1980 selbständigerwerbender Bergführer, Ausbildner in Kursen des SAC und bei J+S Résumé: Gestion des risques au cours de randonnées à ski Dans le cadre de la gestion du risque d’avalanches en randonnées, c’est le processus d’évaluation et de décision de l’adepte des sports de neige qui sera ici traité. Le désir de partir en randonnée est surtout motivé par le besoin de ressentir des émotions fortes en marge de son quotidien. On peut supposer que les randonneurs choisissent leur itinéraire en fonction de critères tels que l’agrément de la montée, la poudreuse dans la descente, la beauté du paysage hivernal plutôt que sur la base de considérations liées aux risques encourus. Les connaissances de gestion du risque de ce groupe doivent être plutôt modestes. On peut donc en tirer la conclusion suivante: la science des avalanches doit fournir des stratégies simples et compréhensibles de gestion du risque. Il doit être pos- 60 sible d’en enseigner les éléments fondamentaux dans le cadre d’une formation de courte durée. Les responsables de randonnées et les utilisateurs professionnels ont également besoin d’outils simples et efficaces. Des situations complexes requièrent des règles de comportement simples. La gestion de la profusion d’informations constitue déjà pour l’utilisateur un problème majeur. Lors de la planification d’une randonnée, il convient de prendre au moins connaissance du degré de danger, de l’altitude et de l’exposition des pentes critiques dans le bulletin d’avalanche, de consulter par exemple l’évolution des températures dans le bulletin météorologique, d’étudier la carte géographique pour connaître la déclivité de la pente, l’exposition, la configuration du terrain et l’altitude des endroits clés et d’obtenir d’autres informations sur le tracé de l’itinéraire. De plus, il faut s’occuper des aspects touchant à l’organisation comme p. ex. l’horaire, l’équipement, etc. En déplacement sur le terrain, il faut vérifier et compléter les hypothèses de la planification au moyen d’examens propres et d’affiner le tout sur place par des observations actuelles et plus détaillées sur la pente. La pression exercée par le risque et le manque de temps constitue de possibles facteurs de stress supplémentaires. Par contre, les capacités de mémorisation sont limitées. Dans un seul processus d’apprentissage il n’est possible d’emmagasiner qu’environ cinq éléments pouvant être consultés à tout moment. Il est donc possible de passer à côté du plus important ou de l’oublier. Il est nécessaire de disposer d’une matrice simple permettant de classer de façon claire tous les faits importants afin de les garder en mémoire comme avec la formule 3 x 3. Néanmoins, l’établissement d’une liste d’éléments ne permet pas d’estimer le risque. Afin qu’elle soit gérable, la quantité d’informations doit se limiter aux éléments clés, aux facteurs d’influence décisifs. Ces derniers serviront de base pour la décision. Ils seront quantifiés et mis en relation les uns avec les autres. Combiner trois variables revient à peu près au même en termes de difficulté que de convertir en représentation en 3 dimensions (p. ex. une représentation spatiale d’une montagne) une représentation en 2 dimensions (p. ex. une carte). Les limites des capacités moyennes de combinaison sont ainsi atteintes. (Une étude réalisée sur des cadres a montré que seuls 15 % des participants étaient capables de tirer des conclusions correctes et fiables en présence de plus de trois variables). Cela prouve qu’il est nécessaire d’avoir un processus d’évaluation du risque simplifié et clairement structuré. La méthode de réduction structure et systématise le processus de pensée. La Snowcard permet de le visualiser. Des éléments clés sélectionnés sont pondérés et mis en relation les uns avec les autres. Le résultat montre la marge de manœuvre de comportement raisonnable, la plage de risque acceptable, la zone extrême, le domaine critique. Le but n’est pas la sécurité mais un risque optimisé. Les méthodes de réduction sont incomplètes. D’importants éléments manquent comme p.ex. la configuration de la pente, sa taille, la proximité de la crête. Cependant, il est en pratique facile d’interpréter dans un Lawinen und Recht certain sens le résultat de la méthode de réduction en faisant appel à des réflexions supplémentaires. C’est du récapitulatif de toutes ces considérations portant sur le risque que découle la décision finale: y aller / y aller avec des mesures de précaution supplémentaires / ne pas y aller. Outre la qualité du processus de prise de décision, le type et le mode d’application sont décisifs pour l’optimisation du risque: choix de la destination de la randonnée et de l’itinéraire, tracé, prises de décisions dans les temps, disposition et respect des mesures de prudence, conduite et communication clairs. Il est tout à fait possible d’élargir l’approche probabilistique comme dans le cadre de la méthode de réduction. Les accidents causés par des avalanches suivent des modèles typiques faciles à retenir. Les accidents se produisent p. ex.: – après d’abondantes chutes de neige fraîche; combinaison de neige fraîche, vent et froid. – en cas de réchauffement rapide et marqué; rayonnement, température en journée, pluie. – en cas de manteau neigeux à faible structure; manteau neigeux préhivernal et hivernal mince et irrégulier, de nombreuses couches minces, couches fragiles proches de la surface. – plutôt dans les régions froides où les quantités de neige sont faibles (p. ex. régions intraalpines) que dans les régions chaudes à fort enneigement (p. ex. versant nord des Alpes). On constate la présence d’un potentiel d’amélioration dans différents domaines p. ex.: – le «facteur humain» plutôt négligé en science des avalanches – compréhension de la neige en tant que matière et des processus impliqués dans le déclenchement d’une avalanche – sensibilisation des adeptes de sports de neige et adaptation de la transmission des connaissances Né en 1949 et domicilié à Lucerne, Paul Nigg est constructeur de machines, guide indépendant depuis 1980 et formateur dans le cadre des cours du CAS et de J+S. Riassunto: La gestione del rischio durante un’escursione scialpinistica La relazione affronta il tema della gestione del rischio durante un’escursione scialpinistica e del processo di valutazione e di decisione dal punto di vista dell’appassionato di sport invernali. La motivazione che spinge l’uomo ad affrontare un’escursione scialpinista risiede principalmente nella necessità di vivere esperienze straordinarie al di fuori del trantran quotidiano. Chi pratica sport invernali durante il proprio tempo libero sceglie la meta dell’escursione più sulla base di criteri come «facilità di salita», «velocità della discesa» e «bellezza del paesaggio invernale», che sulla base di considerazioni sui rischi. In questo gruppo di persone le conoscenze sulla gestione del rischio dovrebbero essere piuttosto scarse. Ne deriva quindi che la nivologia pratica deve poter offrire strategie di gestione del rischio facili e comprensibili, i cui fondamenti devono poter essere trasmessi in fasi di studio molto brevi. Anche le guide escursionistiche e gli utenti professionali devono poter disporre di strumenti semplici ed efficaci. Situazioni complesse richiedono regole di gestione semplici. Per l’utente, un problema importante rappresenta già solo la gestione dell’innumerevole quantità di informazioni. Per pianificare l’escursione, egli deve infatti ricorrere al bollettino delle valanghe per conoscere almeno il grado di pericolo, l’altitudine e l’esposizione dei pendii critici, alle previsioni meteo per l’andamento della temperatura, alla cartina geografica per verificare l’inclinazione dei pendii, l’esposizione, l’orografia del terreno e le altitudini dei punti chiave e a qualsiasi altra fonte utile in relazione all’escursione. A questi dati vanno poi aggiunte altre questioni di carattere organizzativo, p.es. l’orario, l’equipaggiamento, ecc. Durante l’escursione, le supposizioni fatte in fase di pianificazione devono essere verificate / integrate attraverso osservazioni personali, mentre sul pendio tutti i dati devono nuovamente essere perfezionati per mezzo di osservazioni aggiornate e dettagliate sul posto. La pressione esercitata dal rischio e dall’orario stabilito possono rappresentare possibili fattori supplementari di stress. La capacità mnemonica è invece limitata. In una singola fase di studio è possibile memorizzare e successivamente richiamare solo circa cinque fatti. Sussiste quindi il rischio di tralasciare o dimenticare quelli più importanti. Importante è una semplice checklist in cui sono riportati in forma prospettica e chiara tutti i fattori più importanti, come viene fornita dalla formula 3 x 3. Un semplice elenco di fatti non significa ancora aver valutato il rischio. Affinché sia poi utilizzabile, la grande quantità di dati deve essere ridotta a ciò che veramente conta, ovvero ai fattori d’influenza principali. Per essere utilizzati come base per una decisione, i dati devono poi essere quantificati e relazionati tra di loro. Combinare tre variabili è altrettanto complicato come riuscire a trasformare una rappresentazione bidimensionale (p. es. cartina geografica) in un’immagine tridimensionale (p. es. immagine spaziale di una montagna). Vengono così raggiunti i limiti della capacità associativa media (una ricerca svolta su un campione di dirigenti ha dimostrato che solo il 15 % dei partecipanti è stato in grado di trarre le giuste conclusioni da più di tre variabili). Ciò dimostra la necessità di una strutturazione chiara e semplificata del processo di valutazione del rischio. Il metodo di riduzione del rischio serve a strutturare e a sistematizzare il processo di pensiero. La Snowcard lo visualizza: importanti e selezionati fattori vengono ponderati e collegati insieme. Il risultato visualizza i margini di un comportamento ragionevole, cioè la zona del rischio accettabile, la zona limite e la zona critica. L’obiettivo non è la sicurezza, ma l’ottimizzazione del rischio. I metodi di riduzione sono lacunosi perché mancano elementi importanti come la forma e le dimensioni del pendio, o le situazioni di cresta. Attraverso ulteriori considerazioni, in pratica è però facile interpretare il risultato offerto dal metodo di riduzione in una determinata direzione. 61 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 La somma di tutte le considerazioni sul rischio confluisce nella decisione finale: andare / andare adottando precauzioni supplementari / non andare. Per l’ottimizzazione del rischio, oltre alla qualità del processo di decisione sono importanti anche le modalità con cui la decisione presa viene messa in pratica: scelta della meta dell’escursione e del percorso, realizzazione della traccia, presa tempestiva delle decisioni, imposizione e rispetto di misure precauzionali, evidente capacità di guida e di comunicazione. Non è esclusa un’ulteriore evoluzione di questa dottrina probabilistica che ricalca il metodo di riduzione. Gli incidenti da valanga seguono modelli tipici e facili da ricordare. Un incidente si verifica p. es. – dopo abbondanti nevicate: combinazione dei fattori quantità di neve fresca, venti e freddo – dopo un forte e rapido riscaldamento: irradiazione, temperatura diurna, pioggia – con una debole struttura del manto nevoso: manto nevoso preinvernale e invernale sottile e irregolare, presenza di molti strati sottili, strati fragili in prossimità della superficie – più frequentemente nelle regioni fredde con poca neve (p. es. regioni alpine interne) che in quelle calde ricche di neve (p. es. versante nordalpino) Potenziali di miglioramento sono disponibili a diversi livelli, p. es.: – il «fattore uomo», piuttosto trascurato dalla nivologia, – comprensione del materiale neve e dei processi che si verificano durante il distacco di una valanga, – sensibilizzazione degli appassionati di sport invernali e trasmissione adattata delle conoscenze. Paul Nigg, 1949, residente a Lucerna e diplomato in impiantistica, dal 1980 svolge l’attività di guida alpina indipendente e di istruttore dei corsi SAC e J+S. 62 Lawinen und Recht Skilehrer im Spannungsfeld Harald Riedl 1 Einleitung Sicherungsmassnahmen in Skigebieten schränken die Arbeit der Skilehrer immer wieder ein. Das Verständnis der Gäste für diese Einschränkungen sinkt. Der Druck auf die Skilehrer steigt. Im Folgenden wird dieses Spannungsfeld beim geführten Variantenfahren aufgezeigt, und zwar für das Land Tirol, ausgehend von der Situation im Winter 2004/2005. Tiroler Behörden und Verwaltung sind gemeinsam mit der Seilbahnwirtschaft gefordert. 2 Lawinenwinter 2004 / 2005 Der Winter 2004 / 05 war gekennzeichnet von hunderten Lawinenabgängen allein in Tirol. Viele davon waren mit Personenbeteiligung, was dazu führte, dass Mitte April 2005 in Tirol 25 Todesopfer durch Lawinenverschüttung zu beklagen waren. Nur viel Glück und vor allem dem Umstand, dass weitere beteiligte Personen vertraut im Umgang mit der Kameradenhilfe waren, ist es zu verdanken, dass nicht zahlreiche weitere Opfer zu beklagen waren. Ursache für diese seit Jahren einzigartige Situation war der schlechte Schneedeckenaufbau, der sich schon durch die Entwicklungen der Schneedecke in den ersten Winterwochen abzeichnete. 3 Schneedeckenentwicklung 2004 /2005 Erste geringe Schneefälle im November 2004, folgend von einer niederschlagsfreien, aber kalten Zeit, weitere, jedoch geringe Niederschläge an der Alpennordseite bis 18. Dezember 2004 und an der Alpensüdseite bis 26. Dezember 2004, und der nachfolgend wieder sehr kalten Wetterperiode während des gesamten Januar 2005 waren Ursache für die Bildung einer äusserst labilen und störanfälligen Schneedecke. Durchzogen waren diese Wochen immer wieder von Niederschlägen geringer bis mittlerer Intensität bei sehr starken Winden und immer tiefen Temperaturen. Der Schneezutrag wurde während jeder Niederschlagsperiode durch starke Winde in alle Hangrichtungen verfrachtet. Die markanteren Niederschläge Ende Januar und Anfang Februar 2005 änderten nichts an der gesamt kritischen Schneedeckensituation. Auch der Wärmeeinbruch Mitte Februar 2005 mit Regen bis auf ca. 2400 Meter konnte die Situation nicht wesentlich entspannen. Erst die über mehrere Tage markanten Temperaturanstiege Anfang bis Mitte März 2005, begleitet von zahlreichen Selbstauslösungen von Lawinen, konnten die Situation einiger Massen entspannen, und erst Mitte April 2005 und damit ironischer Weise am Ende der Skisaison, markant beruhigen. Deutlich zeigte sich wieder Foto: Archiv LDW, Tirol. 63 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 einmal, dass nicht die niederschlagsreichen Winter die Problemwinter darstellen, sondern die niederschlagsarmen, die aufgrund des physikalisch bedingten schlechten Schneedeckenaufbaues zu sogenannten «Lawinenwintern» führen. 4 Beruflich exponierte Personengruppen Beruflich mit der Beurteilung der Lawinengefahr betraute Personenkreise wie allen voran die Tiroler Skilehrer, die Tiroler Berg- und Skiführer, die Tiroler Lawinenkommissionen und die Tiroler Seilbahnunternehmer mussten sich somit von Winterbeginn an mit einer ungewöhnlichen Gefahrenlage auseinandersetzen. Aus dieser Personengruppe möchte ich besonders die Skilehrer und die Seilbahnbetreiber hervorheben, die in einer speziellen Symbiose miteinander zu leben haben. Nicht eingehen möchte ich auf die Skilehrer-SkiführerArbeit abseits des organisierten Skiraumes. 5 Organisierter Skiraum Zum organisierten Skiraum gehören folgende Pistenflächen: – Skipisten: sind allgemein zugängliche, zur Abfahrt mit Wintersportgeräten vorgesehene und geeignete Strecken, die markiert, kontrolliert 64 und vor atypischen Gefahren, insbesondere Lawinengefahr, gesichert sind, und präpariert werden. – Skirouten: sind allgemein zugängliche, zur Abfahrt mit Skiern vorgesehene und geeignete Strecken, die markiert werden und nur vor Lawinengefahr zu sichern sind; sie sind weder präpariert, noch werden sie kontrolliert. – Skiwege: sind für das Skifahren geschaffene und geöffnete Wege, die Teile einer Piste darstellen oder der Verbindung von Skipisten oder der Abfahrt ins Tal dienen. All diese Flächen gehören zum organisierten Skiraum und müssen somit vor Lawinengefahr durch die Seilbahnbetreiber gesichert werden. Diese bedienen sich der fachlichen Beratung durch die Lawinenkommission, welche interne Beratungen führt und diese mit einem Sachverständigenvorschlag abschliesst, der an die Betriebsleitung gerichtet wird. Die Betriebsleitung kann nun auf Empfehlung der Lawinenkommission geeignete Massnahmen wie z. B. das Sperren von Pisten anordnen, durchführen und überwachen. Dabei ist die Betriebsleitung nicht an die Empfehlung der Lawinenkommission gebunden. Weitere Massnahmen wie z. B. das Sprengen von Lawinen, um Pistenabschnitte zu sichern, können ebenfalls durch die Kommission empfohlen bzw. nicht empfohlen werden. Für die sichere Durchführung oder die Unterlassung der Sprengung ist jedoch wieder die Betriebsleitung der Seilbahn verantwortlich. Lawinen und Recht 6 Die Problemstellung Im Winter 2004 / 2005 kam es in manchen exponierteren Skigebieten vor allem im Tiroler Oberland zu folgenden skurrilen Situationen: Die Lawinenkommission empfahl in Teilen der Skigebiete Pistenabschnitte bzw. Skirouten zu sperren, um darunter liegende, in Betrieb befindliche Pisten zu sichern und offen zu halten. Die Betriebsleitungen kamen dieser Empfehlung nach und sperrten jeweils an den Einfahrten ordnungsgemäss deutlich und für jedermann erkennbar die betroffenen Abfahrten. Zusätzlich wurden die Sperren an den Panoramatafeln des Skigebietes elektronisch angezeigt. Eigentlich müssten diese Massnahmen von jedem verantwortungsbewussten Wintergast eingehalten und akzeptiert werden. Wie es aber in den letzten Jahren tendenziell zu beobachten war, gelten im Wintersport der Sicherheit dienliche Regeln als blosse Einschränkung der persönlichen Freiheit. Es kam, wie es kommen musste. Die Sperren wurden ignoriert und die gesperrten Pistenabschnitte widerrechtlich befahren. Von am Lift befindlichen Gästen der Tiroler Skischulen, wie z. B. am Arlberg (Schindlerkar), wurde das Befahren gesperrter Skirouten im organisierten Skiraum beobachtet und aufgrund der Pulververhältnisse in diesen Skirouten als nachahmenswert beurteilt. So kam es in einem extremen Fall dazu, dass der Skilehrer die sichere offene Piste über die Ulmerhütte bis ins Steissbachteil nahm, während die Mitglieder der Skischulgruppe es bevorzugten, trotz Belehrung und Warnung des Skilehrers das gesperrte Schindlerkar bis ins Steissbachtal abzufahren, um sich dort wieder mit ihm zu treffen. Da es für einen Skilehrer einer Tiroler Skischule undenkbar ist, während seines Dienstes im Skilehreranzug gesperrte Bereiche im organisierten Skiraum zu befahren, die Gäste jedoch aufgrund der mangelnden Akzeptanz der von Seilbahnen durchgeführten Sperren diese sehr wohl befahren, entsteht aus Sicht des Tiroler Skilehrerverbandes ein dringender Handlungsbedarf. 7 Lösungsansätze Im Laufe des Winters 2004 / 2005 wurde jedenfalls immer wieder von mehr oder weniger berufener Stelle laut über Lösungen nachgedacht. So forderte z. B. der für den Skilauf im organisierten Skiraum unzuständige Österreichische Alpenverein, man sollte nicht mit Sanktionen im Wintersport agieren, sondern mit Aufklärung und Ausbildung. Ich glaube, dass ein Wintergast, der in ein Tiroler Skigebiet ausschliesslich zum alpinen Skilaufen kommt, nicht daran interessiert ist, mehrere Stunden am Tag oder am Abend mit Schulungen und Einweisungen in die Lawinenkunde zu verbringen. Dies kann daher aus meiner Sicht wohl eher ein Ansatz für eine andere Zielgruppe, nämlich die der Skitourengeher und Winterbergsteiger, sein, für die die alpinen Vereine in Zukunft noch sehr viel Arbeit haben werden. Ein ähnlicher Lösungsansatz kam wiederum von einer unzuständigen Stelle, nämlich der Tiroler Bergrettung, die den Wintersport im organisierten Skiraum ebenfalls durch Ausbildung und Aufklärung positiv zu beeinflussen gedenkt. Hier gilt das Gleiche wie für die alpinen Vereine. Weitere Stimmen wurden laut, die meinten, man sollte doch die Tiroler Seilbahnbetreiber damit beauftragen, empfindliche Strafen samt Kartenentzug über uneinsichtigen Wintergäste zu verhängen. Wie mir Rechtsexperten der Tiroler Wirtschaftskammer sowie Juristen der Tiroler Seilbahnwirtschaft und namhafte Tiroler Seilbahnbetreiber versicherten, wird diese Massnahme bereits seit Jahren diskutiert. Bisheriges Ergebnis scheint zu sein, dass die Abnahme von Skipässen rechtlich äusserst schwierig und nicht besonders effizient zu sein scheint. Der Wintergast geht beim Kauf einer Liftkarte einen privatrechtlichen Vertrag mit dem Transporteur ein. Hält er sich nicht an die Beförderungsbestimmungen, kann ihm sehr wohl die Liftkarte abgenommen werden, ein neuerlicher Kauf einer Liftkarte kann jedoch nicht verhindert werden. Bei Mehrtages- oder Saisonskipässen ist der Restwertbetrag rückzuerstatten. In diesem Fall kann der Wintergast an derselben Kasse im selben Moment wieder einen Skipass lösen und ins Skigebiet eintreten. In manchen Skigebieten versuchte man daher, im Wege von gemeindepolizeilichen Verordnungen 65 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 einen verwaltungsrechtlichen Rahmen zu schaffen. Mit diesem Rahmen wäre theoretisch eine Grundlage gegeben, um Übertretungen wie das Befahren gesperrter Pisten zu bestrafen und finanziell zu ahnden. Das Land Tirol bietet – im Gegensatz zu Vorarlberg – derzeit keine Lösung für diese Problemstellung an. Im Rahmen des Vorarlberger Sportgesetzes besteht nämlich die Möglichkeit, auf Antrag eines Seilbahnbetreibers bei der Bezirksver waltungsbehörde sogenannte Pistenwächter bestellen zu lassen. Diese werden von der zuständigen Behörde ermächtigt, Personen, die im organisierten Skiraum Sperren missachten, anzuhalten, deren Identität festzustellen und der Bezirksverwaltungsbehörde zur Bestrafung zu melden. Ein letzter, sehr drastischer Schritt wäre die Erweiterung des Strafgesetzparagraphen 89 (Gefährdung der körperlichen Sicherheit), der derzeit ausschliesslich bei einer konkreten Gefährdung von Personen Anwendung findet. Das heisst, dass nur jene Personen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden (und damit auch durch die Gendarmerie angehalten werden können), die konkret andere Personen gefährden. Damit ist gemeint, dass eine gesperrte Piste befahren werden muss, eine Lawine ausgelöst werden muss und darunter liegende Bereiche samt darauf befindlicher Personen dergestalt gefährdet sein müssen, dass es zu einem Beinahe-Unfall kommt. Hier könnte diese Bestimmung des StGB laut Expertenmeinung auf eine abstrakte Gefährdung erweitert werden. Unter einer abstrakten Gefährdung wäre dann zu verstehen, dass bereits die Möglichkeit einer Gefährdung von Personen genügt (es muss kein tatsächlicher Lawinenabgang erfolgen), um diesen Straftatbestand zu erfüllen. In Italien ist im weitesten Sinne ein solches Modell in Kraft. 8 Schluss Abhilfe für die komplexe Situation kann aus meiner Sicht nur ein Bündel von Massnahmen darstellen, für das in erster Linie die Behörden und die Verwaltung unter Mitarbeit der Seilbahnbetreiber zuständig ist. Vorstellbar wäre ein gemeinsames Massnahmenpaket seitens des Landes Tirol und der Tiroler Seilbahnwirtschaft, welches eine für Tirol massgeschneiderte Lösung für die Zukunft bietet. Es ist aus meiner Sicht, und hier spreche ich als Ausbildungsverantwortlicher der Tiroler Lawinenkommissionen, auf Dauer nicht akzeptabel, dass Sperrmassnahmen der Tiroler Seilbahnbetreiber Saison für Saison sanktionslos missachtet werden. Ich glaube, dass es den Tiroler Skilehrern nicht viel anders geht, und sehr viel Druck und Ungemach in ihrer täglich anspruchsvollen und 66 harten Arbeit genommen werden könnte, wenn dieses Problem durch eine klare Regelung gelöst wird. Ich glaube auch aus Gesprächen mit Verantwortlichen der Tiroler Seilbahnen einen Lösungswunsch seitens der Behörden geortet zu haben. Abschliessend gilt es festzustellen, dass dieses Spannungsfeld vor allem von den Tiroler Skilehrern anzugehen ist, damit sie wie bisher ihre Arbeit als Schneesportprofis in gewohnter Qualität durchführen können. Harald Riedl, Landesskilehrer, staatlich geprüfter Bergund Skiführer. Ausbildungsleiter der Tiroler Lawinenkommissionen beim Amt der Tiroler Landesregierung. Gerichtlich beeideter und allgemein zertifizierter Sachverständiger für alpinen Skilauf, Alpinistik, Lawinenkunde, Lawinenunfälle und Lawinenschutz Résumé: Le moniteur de ski tiraillé entre des intérêts contradictoires Les mesures de sécurisation dans les domaines skiables imposent constamment des restrictions au travail des moniteurs de ski. La compréhension des clients vis-à-vis de ces restrictions diminue et la pression sur les moniteurs augmente. Les autorités et l’administration tyroliennes relèvent ensemble le défi avec les exploitants des remontées mécaniques. Les personnes chargées professionnellement de l’évaluation du danger d’avalanche et en premier lieu les moniteurs de ski tyroliens, les guides de montagne et de ski tyroliens, la Commission tyrolienne des avalanches ainsi que les exploitants tyroliens de remontées mécaniques ont dû faire face dès le début de l’hiver à une situation de danger inhabituelle. L’espace skiable organisé comprend des pistes qui font l’objet d’une obligation de sécurisation. Ces pistes bénéficient des conseils professionnels de la Commission des avalanches. La Commission des avalanches recommande de fermer des tronçons de pistes ou des parcours de ski dans certaines parties des domaines skiables, afin de pouvoir maintenir l’activité et garantir la sécurité des pistes se trouvant à des niveaux inférieurs. Les responsables d’exploitation ont répondu à cette recommandation et ont à chaque fois fermé l’accès aux descentes concernées, dans les règles de l’art et de manière bien visible pour tout un chacun. Au mépris évident de ces interdictions, des skieurs ont néanmoins emprunté ces pistes. Les moniteurs de ski sont cependant tenus de respecter les fermetures. Pour remédier à cette situation complexe, il faut, dans la perspective des responsables de la sécurisation, un ensemble de mesures dont la responsabilité appartient en première ligne aux autorités et à l’administration avec l’appui des exploitants des remontées mécaniques. Harald Rield est directeur de la formation de la Commission des avalanches tyrolienne auprès de l’administration du gouvernement du Tyrol à Innsbruck (Autriche). Il est moniteur de ski, guide de montagne et guide Lawinen und Recht de ski titulaire d’un diplôme officiel et expert certifié auprès des tribunaux pour le ski alpin, l’alpinisme, la science des avalanches, les accidents d’avalanches et la protection en matière d’avalanche. Riassunto: Il maestro di sci tra l’incudine e il martello Le misure di protezione adottate nei comprensori sciistici limitano sempre di più l’attività dei maestri di sci: la comprensione del turista verso queste limitazioni scende e la pressione sul maestro di sci sale. Una vera sfida per le autorità e l’amministrazione tirolese, così come per i gestori degli impianti di risalita. Sin dall’inizio dell’inverno, il gruppo di persone che si occupa a livello professionale della valutazione del pericolo di valanghe, in primo luogo i maestri di sci tirolesi, le guide alpine ed escursionistiche tirolesi, le commissioni valanghe tirolesi e le aziende di gestione delle funivie tirolesi si sono quindi dovute confrontare con una straordinaria situazione di pericolo. All’interno del comprensorio organizzato rientrano le piste che devono essere protette nell’ambito dell’obbligo di protezione delle piste. Queste ricorrono alla consulenza specialistica fornita dalla commissione valanghe. In alcuni dei comprensori sciistici, la commissione valanghe raccomanda di vietare l’accesso a tratti di piste e/o percorsi escursionistici, per proteggere e tenere aperte le sottostanti piste in funzione. Le aziende di gestione hanno accolto questa raccomandazione e hanno quindi vietato l’accesso alle discese interessate, mediante cartelli chiari e riconoscibili da chiunque posizionati regolarmente nelle zone di accesso. Sulla base di evidenti violazioni dei blocchi, i turisti sollecitano la possibilità di percorrere queste piste. I maestri di sci sono tuttavia legati all’obbligo di rispettare questi blocchi. Dal punto di vista dei responsabili della protezione civile, una soluzione a questa complessa situazione può essere rappresentata solo da un pacchetto di misure per le quali sono responsabili in primo luogo le autorità e l’amministrazione, con la collaborazione delle aziende di gestione delle funivie. Harald Rield è direttore del servizio di formazione delle commissioni valanghe tirolesi presso l’ufficio del governo del Tirolo a Innsbruck (A). Maestro di sci, guida alpina ed escursionistica ufficiale e perito giurato per i settori scialpinismo, alpinismo, nivologia, incidenti da valanga e opere di protezione contro le valanghe. 67 Lawinen und Recht Sécurité dans la station de ski Jean Louis Tuaillon 1 Introduction En 2005, le nombre d’heures d’antenne consacrées aux catastrophes naturelles a explosé, (tsunami, ouragans, tremblements de terre) les touristes qui fréquentent les sites de montagne commencent de se poser des questions sur la façon dont les risques naturels sont pris en compte par les responsables des lieux de vacances où ils se rendent ou envoient leurs enfants. Très bientôt, ils poseront des questions et exigeront des réponses: «Que faites-vous pour limiter l’impact environnemental de l’activité touristique? Y a-t-il des risques technologiques? Y a-t-il des risques naturels? Que faites-vous pour limiter le risque?» En France, des associations de consommateurs se sont créées et sollicitent les pouvoirs publics pour des mesures de sécurité draconiennes en stations de ski. D’autre part, la jurisprudence et l’attitude des juges qui ont à prendre position à la suite d’accidents dus à des catastrophes naturelles montre très clairement qu’on a largement dépassé le stade de savoir s’il est prudent d’étaler au grand jour les risques et surtout les insuffisances constatées dans leur prise en compte. L’hypothèse de base est: le maire sait. A-t-il fait quelque chose? Ensuite, le juge décide, après avoir fait diligenter une enquête par un ou des experts, si les responsables ont suffisamment pris la chose au sérieux, en fonction des moyens de la commune et de la compétence et de l’expérience de ces responsables. Nos habitudes de montagnards sont parfois choquées par «l’agressivité» des victimes, de leurs assurances ou des tribunaux après l’accident. Qu’est ce qu’on fait et vers quoi évolue-t-on? 2 Déclenchement d’avalanches en France Un petit rappel géographique et historique est nécessaire pour comprendre comment on est arrivé à la situation actuelle. La France n’est pas un pays de montagnes, c’est un pays avec des montagnes, seul les massifs Pyrénéens et Alpins sont concernés par les problèmes d’avalanches. Le duché de Savoie n’a été rattaché à la France qu’en 1860. La France est un pays qui a longtemps été très centralisé, et les diverses réglementations n’ont pas été faites pour les zones de montagne. Les problèmes liés aux avalanches n’ont réellement été pris en compte qu’à partir des années 70 avec le grand boom des stations de sports d’hiver. Il a fallu l’accident de février 1970 (38 morts dans un bâtiment à Val d’Isère) pour qu’une commission interministérielle propose la création de l’ANENA et permette le développement des techniques de déclenchement préventif que nous connaissons aujourd’hui. L’ANENA est une association (non-profit organisation) et elle a le rôle d’un Institut National de la Neige sans en avoir tous les pouvoirs. 35 ans après sa création elle fonctionne toujours même si son autorité est plus ou moins remise en question par certains de ses membres. Les membres de la commission ont proposé cette solution originale, d’association (qui n’a pas l’autorité d’un Institut) en voulant imiter ce qu’ils avaient vu à Davos, d’un Institut centralisé (pourtant dans un pays Fédéral) pour la France qui était à l’époque un pays très centralisé. Au-delà du travail technique, un gros travail réglementaire a du être fait pour permettre une mise en place rapide du déclenchement préventif. La réglementation française n’avait jamais prévu (pour les mines, les carrières ou les travaux publics) que l’on amorce une charge d’explosif pour la jeter au loin comme dans les westerns. La réglementation n’avait jamais prévu que l’on pouvait monter à bord d’un engin volant avec des détonateurs et des explosifs dans des intentions pacifiques. Au-delà des techniques, il a fallu s’adapter à une législation sur les explosifs très restrictive. On était quelques années seulement après mai 1968 et l’Administration avait eu très peur. Contrairement à la Suisse, les militaires français laissent leurs armes dans des enceintes militaires et l’utilisation des mortiers pour la protection de routes d’accès à des villages est inenvisageable. Pour utiliser des canons militaires comme aux USA, il faudrait une avalanche de dérogations et de précautions qui laisserait le temps au manteau neigeux de se stabiliser, voire de fondre complètement. Ceci explique l’originalité de certaines solutions, et le développement de solutions abandonnées ailleurs comme par exemple le lanceur pneumatique «Avalancheur» qui aujourd’hui encore est le seul propulseur de charges explosives (à part les feux d’artifice inefficaces en matière d’avalanche) envisageable en France dans le respect de la législation. 69 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 La dernière des dérogations a été obtenue dans les années 90 pour le tir des avalanches par hélicoptère qui était déjà courant ailleurs à cette époque. La France est un pays qui a longtemps été très centralisé avec des prises de décisions à Paris. Le découpage administratif en régions, départements puis commune peut paraître d’autant plus complexe que l’autorité de l’état est représenté par les préfectures au niveau des départements dans lesquels la décentralisation donne de plus en plus de pouvoir aux conseils généraux (structure élue du département.) Depuis 1982, avec encore une accélération récente (les routes départementales passent sous le contrôle des conseils généraux) les lois de décentralisation ramènent les pouvoirs plus près du terrain. Le fonctionnement administratif en France donne aux Maires la responsabilité de la sécurité sur le territoire de leurs communes. Il doit faire cesser les fléaux et calamités comme les inondations, les incendies, les avalanches. Une route départementale arrivant à une station de sport d’hiver est à la fois sous la responsabilité du président du conseil général et à la fois sous l’autorité du maire (responsable de la sécurité des biens et des personnes sur sa commune), voire du Préfet qui s’il juge la situation hors norme peut prendre la décision de faire fermer la route. Au-delà de ce qui peut sembler une complexité administrative inutile, cela fonctionne bien sur le terrain. Le Maire d’une station de sport d’hiver doit prendre deux arrêtés: un arrêté sur la sécurité sur les pistes de ski et un arrêté constituant une commission municipale de sécurité. Cette commission municipale doit avoir au moins une réunion plénière chaque année, elle est constituée de «personnes compétentes». Au cours de cette réunion, la commission doit réellement travailler à la sécurité avalanche et doit désigner une commission restreinte. Le Maire est toujours président de cette commission (restreinte ou plénière). C’est souvent au niveau de la commission restreinte que les décisions sont prises dans les situations de crises. Il arrive que la commission fonctionne sur deux ou trois coups de téléphones au milieu de la nuit. NB: Un problème peut alors exister car il n’y a pas de compte rendu de cette réunion informelle et en cas d’accident, le Maire (responsable de la sécurité sur sa commune) peut se retrouver bien seul. Le risque existe que le technicien au bord de la route en pleine tempête se sente bien seul lui aussi face à une décision de fermeture ou d’ouverture. Quant au président du conseil général (responsable administratif de la route) il se trouve à quelques dizaines de kilomètres, dans une ville de vallée la plupart du temps, avec des conditions météorologiques qui ne lui permettent pas de se faire une idée de ce qui se passe même s’il s’est entouré de 70 conseillers performants. C’est lui qui autorise la réouverture de la route. Les limites des départements ont été faites autour des grandes agglomérations en reliant les points qui pouvaient être atteints en une journée de cheval. Le rôle de celui qui sur le terrain représente tous les intervenants est autant un rôle technique d’intervention, qu’un rôle de conseil avant décision et un rôle d’information très important. Il faut une grande confiance entre ces intervenants pour que cela fonctionne bien. Il y a un autre arrêté du Maire qui désigne le responsable des actions de sécurité sur le domaine skiable. C’est souvent le directeur du service des pistes qui élargit sa fonction du domaine skiable vers la route. Parfois, (il peut avoir des avalanches dans un pays sans station de ski) le Maire laisse l’intervention sur la route aux services de l’Equipement qui dépendent du département (conseil général). Dans tous les cas, il est nécessaire que ce service collabore, étant donné que si une avalanche obstrue la route, c’est lui qui déneige. Services des pistes Le développement de la pratique du ski en France a eu lieu dans les années 70. Le «Plan Neige» devait permettre à la France de rattraper son retard en matière d’équipement des stations de ski, on a vu naître des domaines skiables pouvant recevoir des dizaines de milliers de skieurs en quelques années. Devant le besoin de sécurité des usagers, le métier de pisteur-secouriste a vu le jour. C’est monsieur Emile Allais qui le premier a affirmé et mis en pratique à Courchevel que les clients étaient là pour descendre et se faire plaisir et qu’il fallait assurer leur plaisir et leur sécurité. Une stabilisation des emplois liés à la préparation des pistes (damage, prévention, secours) s’est produite. Cette stabilisation dans l’emploi a entraîné une amélioration du niveau de formation. Un diplôme national à trois degrés de formation vient confirmer cette compétence depuis octobre 1979 -1° degré; 3 semaines de formation après les brevets de secourisme(+ 10 jours) Deuxième degré; 3 semaines à l’Ecole Nationale de ski et d’Alpinisme, puis deux semaines pour le 3° degré pour ceux qui ont des fonctions d’encadrement. Plusieurs spécialisations viennent conforter cette formation de base: les observateurs nivo-météo (1 semaine de formation) participent au réseau d’observation mis en place par Météo-France qui fait les bulletins de prévision. En dix jours de stage, l’ANENA forme les artificiers pour le déclenchement préventif des avalanches et les chiens de recherche le sont aussi sur plusieurs semaines réparties sur plusieurs années. Les services des pistes se sont aussi adaptés à la fabrication de la neige, et en général gèrent tout le Lawinen und Recht «produit» neige dans le but de la sécurité. Pour information, le service des pistes de Tignes que je dirige, c’est 99 personnes 5 millions d’Euros de budget de fonctionnement. Ces services peuvent être soit intégrés dans l’entreprise de remontées mécaniques qui a la concession du domaine skiable, soit le Maire (responsable de la sécurité) pour en garder un contrôle plus direct peut l’avoir laissé sous forme de régie municipale. Le directeur des pistes est confirmé chaque année dans sa fonction par le Maire(arrêté municipal) et c’est souvent ce directeur qui est le plus proche collaborateur et un bon technicien en matière d’avalanche c’est donc logiquement qu’au-delà des pistes le Maire lui confie aussi le déclenchement préventif pour la route d’accès. En pratique, il y a une surveillance continue faite par le service des pistes dont la mission première est la sécurité du domaine skiable. Les services des pistes font partie du réseau d’observation nivo-météo de Météo-France et reçoivent les bulletins de prévisions météorologiques ou nivologiques. Soit un vrais système de prévision locale est en place, soit une interprétation localisée de ces bulletins permettent une stratégie locale de déclenchement des avalanches. C’est le directeur des opérations du PIDA, le directeur du service des pistes qui prend la décision de déclenchement préventif. Sur le domaine skiable c’est systématique à chaque chute de neige conséquente. Il y a un problème d’interprétation de la prévision, pour être bien opérationnel sur le terrain, cette décision doit être prise la veille; (pour que les équipes de déclenchement viennent plus tôt, pour la distribution du matériel, etc.). Il arrive que l’on soit en place et que la chute de neige soit inférieure à la prévision; et il arrive plus rarement que la chute de neige dépasse les attentes, auquel cas on est réellement en retard. La tendance pour les domaines skiables est de beaucoup tirer; peut être trop, en tous cas plutôt plus que moins qu’il ne faudrait. Pour la route, la surveillance des conditions de neige est faite et par le service des pistes (situation analogue au domaine skiable) et par les services de l’équipement chargés du déneigement. En Savoie, un nivologue travaille pour le conseil général et assure une surveillance au niveau du département. Le travail se fait en étroite collaboration avec les gens de terrain. Il existe des sites (Cellier, col de la Madeleine) ou il n’y a pas de service des pistes. Dans quelques cas, le Maire peut préférer laisser aux services de l’équipement le soin de chapeauter les opérations de déclenchement (route longue, excentrée par rapport à la station, service des pistes peu disponible…). Il y a un PIDA particulier pour la route en complément de celui du domaine skiable. La route est souvent mieux équipée que le domaine skiable en matière de défenses permanentes actives ou passives (râtelier, filets, galeries…) c’est pourquoi les interventions sont en général moins systématiques et plus faciles à programmer. Les installations de déclenchement à distance sont aussi plus fréquentes sur les routes que sur les pistes. Le déclenchement à la main avec arrivée à ski est plus rare Le plus souvent, les interventions de déclenchement sur route se font de nuit, mais il est toujours difficile de choisir l’heure qui ne gêne personne, les livreurs, les noctambules, les travailleurs du matin ou ceux qui redescendent le soir de la station et surtout l’objectif étant leur sécurité, les touristes. 3 Techniques Toutes les techniques sont mises en œuvre dans le cadre d’un PIDA, Plan d’Intervention pour le Déclenchement des Avalanches qui est un document administratif qui contient entre autre une carte décrivant tous les points de tir, les itinéraires et les consignes de sécurité particulières, le directeur des opérations et les intervenants. Ce document approuvé par la commission municipale de sécurité à la valeur administrative d’un arrêté municipal, il est contrôlé par la préfecture en particulier pour tout ce qui concerne les explosifs: stockage, transport, utilisation (Fig. 1). Sur les pistes, ce sont les techniques de déclenchement à la main qui sont majoritaires, sur les routes des installations plus lourdes (galeries paravalanches, filets, râteliers) tentent d’empêcher les avalanches ou leurs conséquences. La technique la plus utilisée sur les pistes pour le déclenchement des avalanches sur les pistes est le lancer de charges à la main (75 %). La mise à feu est le plus souvent à mèche lente et parfois utilise les mises à feu électriques. NB la réglementation en France interdit aujourd’hui la mèche lente pour tous les autres usages des explosifs, et si la consommation d’explosif pour la sécurité avalanche représente 0,05 % de l’explosif utilisé dans le pays, la consommation de mèche lente représente 100% de ce qui est utilisé en France. Du coup la formation est spécifique. Cela peut paraître anecdotique, mais il y a un risque que l’on ne trouve plus de mèche ce qui obligerait à passer au tir électrique. C’est la technique la plus utilisée par les services des pistes lorsque l’accès à ski est sûr. Il y a eu malheureusement des accidents en cas de non-déclenchement de l’avalanche visée. Même si la carte du PIDA prévoit des itinéraires d’approche, l’adaptation à la réalité du terrain n’est pas toujours aussi facile. Les techniques à distance; catex, Gazex, avalancheur ou maintenant Avalhex viennent en complément sur les pistes, elles représentent un fort 71 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Fig. 1: Carte PIDA Tignes (Plan d’Intervention pour le Déclenchement des Avalanches). 72 Lawinen und Recht pourcentage des techniques utilisées sur les routes. Les catex, câble transporteur d’explosifs ont été développés dans les années 70. Ils utilisent éventuellement des descendeurs pour optimiser le positionnement de la charge. Ils offrent une réponse intéressante lorsqu’il faut traiter un long versant avec de nombreux couloirs. Aujourd’hui de plus en plus sophistiqués, il n’est pas rare de voir des engins pouvant tirer plusieurs couloirs dans une seule manœuvre (5 à 8 tirs). L’utilisation de la mèche lente est une obligation avec ses avantages et ses inconvénients. Les Gazex avaient comme motivation initiale d’éviter l’usage d’explosifs. Bien connus aujourd’hui, ils sont fabriqués en différents volumes pour obtenir une explosion plus ou moins forte. Ils ont progressé pour évoluer vers des systèmes avec amortissement ce qui diminue les contraintes au sol en particulier pour une mise en place dans les terrains fragiles. L’avalancheur à azote comprimé est une amélioration de l’avalauncher à air comprimé américain, c’est le seul lanceur utilisable en France en l’état actuel de la réglementation. Il propulse une charge de 1,8 kg d’explosif jusqu’à 1500 m et peut atteindre un dénivelé de 600 m environ. L’explosif contenu dans cette charge s’autodégrade en cas de non-explosion. L’avalhex est le dernier-né de la panoplie utilisée en France. Utilisant l’hydrogène mélangé à de l’air dans un ballon pour une explosion importante, il est utilisé sur quelques routes et un modèle est installé à Tignes. Des essais ont eu lieu dans les années 70 avec des canons militaires aux Arcs et sur la route d’accès à Isola2000, au-delà des problèmes administratifs d’usage par les militaires exclusivement de transport et de stockage des munitions, les résultats n’avaient pas été probants, la fusée de tête provocant l’explosion n’étant pas adaptée pour une percussion sur la neige. Bien que cette panoplie permette de traiter la grande majorité des couloirs, il serait intéressant d’essayer les techniques mises en œuvre dans les autres pays soit les canons à air comprimé comme le Lowcat (5 km de portée pour une charge de 500 g qui explose à 1 m du sol) utilisé sur l’autoroute de Californie, soit les mortiers courts et les autres techniques que l’on a vues dans les salons en Suisses ou en Autriche, mais que pour le moment nous ne pouvons importer en France. 4 Gestion de crise et autres mesures de sécurité Il y a des situations extrêmes de très fortes précipitations ou le seul déclenchement préventif ne suffit plus et ou des mesures de sécurité complémentaires doivent être prises. Le niveau de réflexion est à ce moment là le plus souvent la commune où le Maire (responsable de la sécurité) et les techniciens qui composent la commission municipale de sécurité gèrent le quotidien. Dans ces situations de crise, le travail se fait en collaboration avec la préfecture, le Préfet, représentant de l’Etat devant prendre le pouvoir même sur le Maire si les capacités de la commune sont dépassées. Il est toujours intéressant que les gens se connaissent et se fassent confiance, le risque n’est pas nul de vouloir «ouvrir le parapluie» plutôt que de prendre le moindre risque. Le déclenchement préventif en France n’est utilisé que pour les pistes, les routes éventuellement des remontées mécaniques mais il n’est pas prévu de déclenchement sur les immeubles. Je passe sur les mesures administratives liées aux conditions de construction en montagne dans le cadre des PLU (Plan Locaux d’Urbanisme) des PZEA Plans des Zones Exposées aux Avalanches et des PPRN Plans de Protection contre les Risques Naturels. L’ensemble de ces préconisations devait éviter que l’on doive prendre des mesures dans l’urgence, mais on ne maîtrise pas tous les aléas climatiques. Des mesures de confinement et d’évacuation peuvent être prises par la commission municipale de sécurité. Le souci majeur étant bien souvent de savoir ou l’on met les gens évacués. Si c’est une mesure très provisoire pour prévoir une intervention brève de déclenchement dont l’extension pourrait menacer un immeuble, ce n’est pas trop difficile, si cette mesure doit durer, que la prévision météo est défavorable et que la route est coupée, la gestion devient plus délicate. (les parkings couverts peuvent offrir une protection efficace mais sont en général d’un confort spartiate. Cette gestion de crise dans l’urgence est délicate à mettre en place, et l’autorité du technicien (en Suisse le chef de sécurité) s’appuie sur toutes les compétences de la commission municipale de sécurité et malgré les différentes sécurités administratives il y a en France une grande responsabilité du Maire dans ces moments. Le plus difficile n’est pas la décision de fermeture, c’est la décision de réouverture qui pose la plus grande interrogation, il y a un peu plus de temps disponible, mais si on a pris la décision de fermer c’est bien que l’on envisageait un risque. L’évolution des paramètres qui vont permettre la levée des mesures de protection est complexe, le fait que les skieurs poussent à la réouverture ne de- 73 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 vrait pas être un élément technique de la décision, mais il faut bien reconnaître que c’est un élément humain et économique; mais là, je pense que le problème est international. Dans notre société ou l’on a besoin d’un responsable désigné pour chaque accident, les suites de la moindre erreur de diagnostic sont lourdes de conséquences en particulier au cours des enquêtes judiciaires où la recherche du respect de l’ensemble des procédures complexe sera fait (le compte rendu de la réunion à trois personnes, à quatre heures du matin, au bord de la route dans la tempête a-t-il bien été fait, signé et conservé?). La solitude du Maire et de son responsable de la sécurité est très grande et ils connaissent souvent «la solitude du gardien de but au moment du penalty». Peut-on remplacer cet homme trop seul (malgré toutes les commissions, c’est souvent un homme seul qui appuie sur la décision) par un programme informatique infaillible? La judiciarisation de la société et ses conséquences est plus ou moins récente selon les pays. En France plusieurs Maires et directeur de sécurité des pistes ont déjà été condamnés. Ils ressentent la plupart du temps un sentiment d’injustice profonde car ils pensent avoir fait le plus honnêtement le maximum de ce qui étaient en leur pouvoir au moment de l’accident. La pression économique est énorme mais ce n’est pas celui qui prend la décision d’ouverture ou de fermeture qui en est le plus grand bénéficiaire et ce paramètre est aussi à intégrer. 5 Evolution Le travail des chercheurs, les progrès de l’informatique, l’exigence de résultats, les normalisations ISO 9000, 14000 ou OHSAS 18001 (santé sécurité dans l’entreprise) pourraient faire croire qu’avec quelques programmes informatiques bien gérés on peut remplacer la vigilance de l’homme et surtout éviter l’erreur. Je suis personnellement formidablement intéressé par les nouveaux outils d’aide à la décision qui peuvent attirer notre attention sur tel ou tel paramètre oublié, et les progrès sont réels. On a aujourd’hui des prévisions de plus en plus précises, une connaissance des phénomènes de plus en plus poussée et un nombre incroyable d’information qui n’étaient pas à notre disposition il y a dix ans. Mercredi après-midi je serai à Tignes pour étudier les possibilités de labeliser l’ensemble des procédures (avec une société qui cherche à créer un label TAO Terre Air Océan) pour conforter d’une part les élus et les techniciens dans leur décision, mais ce projet de label (sur le principe du pavillon bleu sur les plages) est aussi un mode d’information des touristes 74 qui fréquentent les sites et côtoient des risques naturels. Cette démarche a longtemps été controversée par les professionnels, mais au-delà des décisions pour les routes et les pistes ouvertes, la stratégie de Tignes est d’envisager aussi une éducation sur le risque plutôt que seulement des mesures d’interdiction. Une démarche sur l’éducation au hors pistes avec le SPOT est en cours pour la deuxième année consécutive, elle consiste à éduquer les gens et à attirer leur attention sur les mesures qu’ils doivent prendre eux même en hors pistes, pour leur donner les moyens de faire leurs choix et ne pas les faire à leur place. Jean Louis Tuaillon est directeur du service des pistes et sécurité à Tignes. De 1987–1994 il était directeur de l’ANENA. Riassunto: La sicurezza nei comprensori sciistici La metodologia del distacco preventivo di valanghe si è sviluppata in Francia negli anni 70, dopo il grave incidente che ha causato 38 morti in un edificio di Val d’Isère, nel mese di febbraio 1970. In seguito a quell’incidente, una commissione di inchiesta si è recata in altri paesi europei e, in particolare, ha incontrato a Davos gli specialisti dell’IFENA, per studiare che cosa si facesse all’estero per risolvere questo problema. Le raccomandazioni di questa commissione hanno portato, tra le altre cose, alla creazione dell’ANENA. La normativa francese sulle armi non ha permesso il trasferimento delle tecniche utilizzate invece in Svizzera, tra le quali in particolare l’uso di armi militari, ma ha consentito comunque che venissero apportati adattamenti e modifiche. Ad esempio, l’impossibilità di utilizzare i mortai, salvo che da parte dei militari, spiega, in parte, lo sviluppo dei cannoni pneumatici. Con lo sviluppo molto rapido delle stazioni di sport invernali sono iniziate ad aumentare le esigenze di sicurezza negli ambienti sciistici. In Francia, un aspetto giuridico sottintende alle organizzazioni per la sicurezza: il responsabile della sicurezza sul suo territorio è infatti il sindaco, che può delegare il suo potere di sorveglianza ma non la responsabilità. La creazione di grosse stazioni sciistiche in epoca moderna ha comportato una particolarità, vale a dire la creazione di «servizi di pista» con metodo francese, nel quale gli addetti alla sicurezza sulle piste svolgono contemporaneamente la funzione di Pistendienst, Bergwacht, Ski-Patrol, comprese le operazioni di distacco preventivo. Questi servizi si occupano della fabbricazione artificiale della neve, dei guasti meccanici, della prevenzione, tra cui appunto il distacco preventivo delle valanghe, e dei soccorsi. Spesso queste strutture, che hanno acquisito una buona competenza negli ambienti sciistici, estendono il proprio campo di intervento alle strade di accesso. In Francia, la decentralizzazione ha fatto sì che numerose strade di accesso alle stazioni sciistiche passas- Lawinen und Recht sero sotto il controllo dei dipartimenti e non dello stato. Giuridicamente, il responsabile della strada è il responsabile del dipartimento (Presidente del consiglio generale), ma la strada è territorio comunale, sul quale il responsabile della sicurezza è il Sindaco. I sindaci dunque hanno la possibilità di controllare più da vicino la strada di accesso e possono affidarla in gestione a un servizio piste del Comune o ai dipartimenti, i quali attraverso servizi statali (Equipement ex ponts et chaussées) possono occuparsi del distacco preventivo di valanghe.Poiché questo sistema può sembrare complicato dal punto di vista amministrativo, si delinea la tendenza ad affidare questo lavoro ai servizi di pista. Per quanto riguarda le tecniche sono utilizzate quasi tutte, salvo le armi da guerra. Sulle piste da sci è più diffuso il distacco di prossimità con spezzonamento manuale, mentre sulle strade sono utilizzati in maggioranza i sistemi a distanza (CATEX GAZEX e AVALHEX). Jean Louis Tuaillon è Direttore del servizio piste e sicurezza a Tignes. Zusammenfassung: Sicherheitsmassnahmen in Schneesportgebieten Die künstliche Lawinenauslösung in Frankreich entwickelte sich in den 1970er Jahren nach dem schrecklichen Unglück, das im Februar 1970 in einem Gebäude in Val d’Isère 38 Todesopfer forderte. Nach diesem Unglück wurde eine Untersuchungskommission beauftragt, die Massnahmen in anderen europäischen Ländern zu studieren. Insbesondere traf sich die Kommission in Davos mit den Experten des SLF. Die Empfehlungen dieser Kommission führten unter anderem zur Gründung des nationalen Vereins für Schnee- und Lawinenforschung ANENA. Aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen in Frankreich, insbesondere im Hinblick auf Waffen, konnten die in der Schweiz angewendeten Techniken (vor allem die militärischen Waffen) nicht übertragen werden, aber es wurden Anpassungen durchgeführt. So erklärt beispielsweise die Unmöglichkeit des Einsatzes von Minenwerfern (ausser durch das Militär) zum Teil die Entwicklung des «Avalancheur». Zur gleichen Zeit verzeichneten die Wintersportstationen eine rasante Entwicklung und der Bedarf an Sicherung der Skigebiete nahm zu. In Frankreich liegt den Sicherheitsorganisationen ein juristischer Aspekt zugrunde: Der Bürgermeister ist für die Sicherheit auf seinem Gemeindegebiet verantwortlich. Er kann seine Polizeigewalt delegieren, nicht jedoch seine Verantwortung. Die seinerzeit erfolgte Entwicklung von grossen Skistationen brachte eine Besonderheit mit sich: die Gründung von Pistendiensten nach französischer Art, bei denen die Pistenretter alle Funktionen von Pistendienst, Bergwacht, Ski-Patrol und auch die präventive Lawinenauslösung auf sich vereinten. Diese Pistendienste kümmern sich heute um die Herstellung von künstlichem Schnee, die Pistenpräparation, die Prävention, darunter die künstliche Lawinenauslösung, und den Rettungsdienst. Diese Organisationen haben oft eine gute Kompetenz in den Skigebieten erworben und konnten ihr Einsatzgebiet auch auf die Zufahrtsstrassen ausweiten. Als Folge der Dezentralisierung fallen zahlreiche Zufahrtsstrassen zu den Skistationen nicht mehr in die Zuständigkeit des Staates, sondern in diejenige der einzelnen Departements. Der Leiter des Departements (Präsident des Generalrates) ist juristisch für die Strassen verantwortlich, aber auf dem Gemeindegebiet ist der Bürgermeister für die Sicherheit zuständig. Der letztere hat folgende Möglichkeiten: Er kann entweder die Zufahrtstrasse sehr eng kontrollieren, indem er sie dem Pistendienst seiner Gemeinde anvertraut, oder er kann die Verwaltung dem Depar tement überlassen, das über staatliche Dienste (Ministerium für Ausrüstung, früher «Ponts et Chaussées») die vorbeugende Lawinenauslösung durchführen kann. Dies kann unter administrativen Gesichtspunkten kompliziert erscheinen und es zeichnet sich ein Trend ab, diese Arbeit den Pistendiensten anzuvertrauen. Was die Verfahren betrifft, so werden alle Techniken angewendet (mit Ausnahme von Kriegswaffen). Während in den Skigebieten weiterhin zumeist die ortsnahe Auslösung (handgeworfene Sprengladungen) zum Tragen kommt, werden für die Strassen mehr und mehr ortsfeste, ferngesteuerte Sprenganlagen Systeme (CATEX, GAZEX und AVALHEX) eingesetzt. Jean Louis Tuaillon ist Leiter des Pisten- und Sicherheitsdienstes in Tignes (F). 75 Lawinen und Recht Offenhalten von Verkehrswegen – Lawinendienst Mattertal Bruno Jelk 1 Organisation Lawinen aus mehreren Dutzend grossen Lawinenzügen bedrohen Verkehrswege und Siedlungen im Mattertal zwischen Stalden und Zermatt. Der Lawinendienst Mattertal berät die Verantwortlichen der Verkehrwege (Matterhorn-Gotthardbahn, Strasse Stalden–Täsch–Zermatt) und der Gemeinden (Zermatt, Täsch, Randa, St. Niklaus, Embd und Grächen) im Bereich Lawinensicherheit. Er ist dem Amt für Naturkatastrophen des Kantons Wallis unterstellt und regional organisiert (Abb. 1: Organigramm). Zusätzlich hat jede Gemeinde noch eine interne Katastrophenorganisation. Im Mattertal gibt es zwischen den Gemeinden einen Talrat, in den jede Gemeinde einen Vertreter entsendet. Der Talrat hat beschlossen, den Lawinendienst wie folgt zu organisieren: Jede Gemeinde hat zwei Beobachter, die alle besonderen Vorkommnisse sofort dem Chefbeobachter melden. Entscheide werden gemeinsam gefällt und in beratender Funktion an folgende Organisationen weitergeleitet: – Einsatzzentrale des kantonalen Strassendienstes Sierre – Bahnmeister für die Matterhorn-Gotthardbahn – Informationsdienst Mattertal – Gemeinderat der zuständigen Gemeinde – Bergbahnen für Strassen und Wanderwege, die parallel zur Skipiste verlaufen. Der Entscheid über die Massnahmen wird von den Verantwortlichen der verschiedenen Organisationen gefällt. 2 Beurteilung Für die Beurteilung der Lawinensituation stehen unter anderem Messwerte von diversen automatischen Stationen zur Verfügung: – 4 automatische Wetter- und Schneestationen vom Typ IMIS: Triftchummen, Gornergrat, Schwarzsee, Stelligletscher – 2 automatische Wetterstationen auf dem Kleinen Matterhorn und in Zermatt Abb. 1: Organigramm. 77 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Abb. 2: Karte des Mattertals mit Lawienzügen. Abb. 3: Künstliche Lawinenauslösung eingangs Zermatt. Abb. 4: Künstliche Lawinenauslösung eingangs Zermatt. 78 Lawinen und Recht – Windmesser auf den meisten Masten der windausgesetzten Bergbahnen – Wetterstation Testa-Grigia (Italien) Diese Messungen werden mit eigenen Beobachtungen ergänzt. Mit Beobachtungen wird bereits beim ersten Schneefall begonnen. Täglich sollte eine Beurteilung vorgenommen werden. Die untersten Schichten einer Schneedecke können je nach Wetterverhältnissen die Schneedeckenstabilität über den ganzen Winter beeinflussen. Eine detaillierte Beurteilung drängt sich insbesondere auf, wenn ca. 20 bis 30 cm Schnee gefallen sind. Dieser Grenzwert variiert je nach Windeinfluss. Für die Beurteilung werden die folgenden Daten und Informationen berücksichtigt: – Wetter im Moment und Vorhersage – Daten der automatischen Stationen (InfoManager) – Wind: Richtung und Stärke – Totale Schneehöhe im fraglichen Gebiet – Neuschneemenge im fraglichen Gebiet – Nationales Lawinenbulletin – Regionales Lawinenbulletin – Satellitenbilder – Wetterradar – Geländeeigenschaften der Lawinenzüge – Eigene Beobachtungen (u. a. auch Schneeprofile) – Diskussion unter den Verantwortlichen Wichtige Daten werden in einem Beurteilungsprotokoll festgehalten (Beilage 1: Beurteilungsprotokoll). Infoboxdaten, Satellitenbilder, Wettervorhersagen werden ausgedruckt und aufbewahrt. Bei Katastrophensitzungen werden die Unterlagen mitgenommen und dokumentiert. 3 als Schutz des Dorfes, seit dem Winter 2004/05 eine automatische Sprenganlage, ein Sprengmast «Wyssen», montiert. Beim Sprengen wird wie folgt vorgegangen: – Sperren der Strasse Täsch–Zermatt, wenn sie noch nicht gesperrt ist, oder Sperren der Strasse und der Bahnlinie Herbriggen–Täsch für einen Sprengung in Randa – Information an den Strassenmeister – Sperren der Matterhorn-Gotthardbahn zwischen Täsch und Zermatt – Aussetzen von zwei Gemeindepolizeibeamten auf beiden Seiten der Lawinenzüge als Beobachter (in Randa Personen der Feuerwehr) – Überfliegen der gefährdeten Zonen – Sprengen vom Helikopter aus – Bahnlinie frei geben – Entscheid über Öffnung der Strasse je nach Sprengresultat – Protokoll (Beilage 6: Sprengprotokoll). Die oben skizzierte Organisation und das Vorgehen haben sich in den letzten Jahren bewährt, so dass wir glücklicherweise von Ereignissen wie dem folgenschweren Lawinenunfall Täschwang (2. März 1985: Taxi-Kleinbus und Personenwagen auf der Fahrt von Zermatt nach Täsch von einer grossen Lawine mitgerissen und verschüttet, 11 Tote) verschont geblieben sind. Bruno Jelk ist Rettungschef in Zermatt und Chef Beobachter beim Lawinendienst Mattertal. Massnahmen und Umsetzung Alle Entscheide werden protokolliert (Beilage 2 und 3) in einem Journal festgehalten (Beilage 4: Auszug Journal Winter 2004/ 2005.) Empfehlungen für Massnahmen werden an die Verantwortlichen Stellen weitergeleitet (Beilage 5: Verantwortlichkeiten). Für Sperrungen sind z. B. die folgenden Personen zuständig: – Strassenmeister für die Kantonsstrassen – Bahnmeister für die Matterhorn–Gotthardbahn – Der zuständiger Gemeinderat für die Gemeindestrassen, Wanderwege, Hauszugänge, Evakuationen Die Information der Bevölkerung und der Touristen erfolgt durch den Informationsdienst Mattertal. Damit die Strasse Täsch–Zermatt schneller wieder geöffnet werden kann, werden Lawinen vom Helikopter aus künstlich ausgelöst. In Randa ist 79 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Beilage 1: Beurteilungsprotokoll Beurteilungsprotokoll Datum: Schnee: Unterschrift: Ort Neuschnee 24 Std Neuschnee 72 Std. Schneehöhe Zermatt cm cm cm Triftchumme cm cm cm Gornergrat cm cm cm Schwarzsee cm cm cm Stelligletscher cm cm cm Temperatur / Luftfeuchtigkeit: Ort Temperatur Temperatur Temperatur LuftLuftTendenz Luft Oberfläche Schicht feuchtigkeit feuchtigkeit Vor ........... aktuell Zermatt Triftchumme Gornergrat Schwarzsee Stelligletscher Wind Ort Durchschnitt Maximum Zermatt km km Platjien km km Gornergrat km km Schwarzsee km km Stelligletscher Masten Kl.Matterhorn Masten Gondelbahn km km km km km km 80 Richtung Lawinen und Recht Beilage 2: Entscheidungsprotokoll Entscheidungsprotokoll Datum: Unterschrift: Strassen Stalden - St.Niklaus St.Niklaus - Herbriggen Herbriggen – Randa Randa – Täsch Täsch – Zermatt Törbel – Embd St.Niklaus – Schwiedernen Offen Sperren Bemerkungen Zeit Zeit Bahn Matterhorn – Gotthardbahn Stalden – St.Niklaus St.Niklaus - Herbriggen Herbriggen – Randa Randa – Täsch Täsch - Zermatt 81 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Beilage 3: Entscheidungsprotokoll (Fortsetzung) Entscheidungsprotokoll Gemeinde Zermatt Datum: Unterschrift: Strassen Bahnhof - Spiess Spiess - Sunnegga Bahnhof - Tschugge Tuftera – Moos - Furri Furri - Stafelalp Wanderwege Zermatt – Zmutt Furri – Zmutt Zermatt – Findlen Zermatt – Ried – Tuftern Zermatt – Schlangengrube 82 Sperren Offen Zeit Zeit Bemerkungen 24.01.05 23.01.05 22.01.05 21.01.05 20.12. 19.12. Datum 30.11. Heinzmann Hildebert Manz Roland Summermatter Edm. Manz Roland 1540 1830 Rekoflug Emd Manz Roland Telf. Jörger Leo Telf. Erbetta 1545 1630 1830 2010 Strasse Emd Luegelbach und Schusslawine Emd MG Bahn Emd Emd St. Niklaus Grieschumme/Mettelhorn Strasse Täsch–Zermatt Strasse Täsch–Zermatt Strasse Täsch–Zermatt Strasse Täsch–Zermatt Alarmanlage Alarmanlage Randa St.Niklaus Alarmanlage Mattertal Luegelbach St. Niklaus Emd Strasse Täsch–Zermatt Breitmatten (Rosszug) Strasse Emd Bemerkungen Strasse Täsch–Zermatt Strasse Täsch–Zermatt Strasse Täsch–Zermatt 0845 Julen Mario Lengen Mario Imboden Roland Manz Roland Lengen Mario Heinzmann Hildebert Von -an Zeit 0800 1045 0630 0640 0700 0730 1115 1839 2120 08000840 0930 1100 1330 1410 1719 2045 2230 0346 1445 1710 1045 1133 Lawinenwarndienst Mattertal Winter 2004 / 2005 Schusslouizug abgegangen Arigscheis abgeangen. Mettelzug abgegangen 19 Sprengungen mit Erfolg durchgeführt. Wegen der schlechten Sicht und keiner Möglichkeit die Sicherheitskabel einzuziehen, bleibt die Strasse noch gesperrt. Wir konnten die Sicherheit noch nicht garantieren. Gebiet oberhalb Emd abgeflogen. Alle Lawinenzüge sind entladen. Die Strasse nach Emd kann wieder geöffnet werden Lawinenniedergang Lawinenniedergang Lawinensprengung Automatische Anlage (Erfolg) Strasse Schwiedernen Lawinenniedergang Rekoflug Beritboden und Mettelzug. Mettelzug Lawine abgegangen Lawinenniedergang Strasse Schwiedernen 20 cm Neuschnee kein Wind im Moment i.o bleibt wegen der Matterhorn–Gottghartbahn (Verweigerung der Sprengungen) Lawinenniedergang. Mettelzug Lawine abgegangen frei gegeben Informiert Im Moment i.o zirka 40 cm Neuschnee Hat sich über die Lage informiert. I.o Hat einwenig Bedenken. Im Moment verfolgen 45 cm Neuschnee im Moment keine Probleme 45 cm Neuschnee warten bis 2200 Uhr Sprengungen organisiert. 12 Sprengungen durchgeführt 11 mit Erfolg offen gesperrt gesperrt gesperrt gesperrt offen gesperrt Strassen gesperrt offen gesperrt Lawinen und Recht Beilage 4: Auszug Journal Winter 2004/2005 83 84 0800 0830 0915 1030 01.02.05 02.02.05 09.02.05 10.03.05 11.03.05 15.03.05 16.03.05 17.03.05 24.03.05 25.03.05 0800 0830 0900 1045 1015 1100 1515 1600 1730 1310 1330 1340 1340– 1500 0930 0945 Zeit 0845 26.01.05 Datum 25.01.05 Telf. Imboden André Telf. Imboden Roland Von -an Strasse Täsch–Zermatt Strasse Täsch–Zermatt Strasse Täsch–Zermatt Strasse Täsch–Zermatt Strasse Täsch–Zermatt Strasse Zermatt–Furri Strasse Täsch – Zermatt Strasse Täsch–Täsch Weisshorn Täschwang Strasse Täsch–Täsch Lawine Getschung– Schopfzug Rekoflug Bahn Täsch–Zermatt Mettelzug Kalter Boden Getschung–Arigscheis Schusslouizug Randa Kalter Boden Strasse Täsch–Zermatt Strasse Herbriggen–Randa Trift Zermatt Rekoflug Mattertal Bahn Täsch–Zermatt Strasse Herbriggen–Randa Schusslawine–Luegelbach Bahn Täsch–Zermatt Bahn Täsch–Zermatt Rekoflug Weisshorn Bemerkungen Luegebach und Schusslawine Mit Charly Wuilloud und Funk Martin 3 Messpunkte für den Gletscherabbruch gesetzt 1330–1745 wegen Lawinengefahr mehrere Lawinenabgänge inkl. Mettelzug 1300–1800 wegen Lawinengefahr 1230–1700 wegen Lawinengefahr. Überall Lawinenabgänge inkl. Mettelzug 1100–1700 wegen Lawinengefahr. Mehrere Lawinenabgänge 1100–1700 wegen Lawinengefahr. Mehrere Lawinenabgänge Auf 30 m von einer Lawine verschüttet ab 1530 0000 – 0700 wegen Lawinengefahr und Regen Lawinenabgang bis Bachbett Wegen Lawinensprengungen 10 Sprengungen 4 Sprengungen mit Erfolg 7 Sprengungen 4 mit Erfolg Normal keine Probleme 3 Lawineniedergänge Lawineniedergang Lawineniedergang Lawineniedergang Lawineniedergang Wegen dem Wind und fehlen der Sicherheitskabel bleibt Wegen den ganzen Lawineniedergängen als Vorsichtsmassnahe Lawineniedergang 20 Sprengungen mit Erfolg durchgeführt. Luegelbachlawine hat die Strasse auf zirka 140 m verschüttet und die Vispa gastaut Strasse Täsch–Zermatt für die Räumung Besichtigung des Biesgletscher mit Charly Wuilloud Im Moment keine Massnahmen notwendig Abgegangen Bahngeleise verschüttet. Rekoflug notwendig. Der hang ist entladen die Bahn kann wieder geöffnet werden gesperrt gesperrt gesperrt gesperrt gesperrt gesperrt gesperrt offen gesperrt frei gegeben offen offen gesperrt gesperrt offen frei gegeben Strassen Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Beilage 4 Fortsetzung: Auszug Journal Winter 2004/2005 Alle Strassenbenützer Strasse Stalden–Täsch Strasse Täsch–Zermatt Staat Wallis Lawinendienst Mattertal Staat Wallis Strassenmeister Strassenmeister Betrifft: Sektoren: Auftraggeber: Vormeinung: Entscheid: Ausführung Abschnitt I. Abschnitte Verantwortlichkeiten im Mattertal Bahnmeister Bahnmeister Matterhorn–Gotthardbahn AG Lawinendienst Mattertal Matterhorn–Gotthardbahn Stalden–Zermatt Alle Bahnbenützer Abschnitt II Stand 2004 /2005 Jelk Bruno Gemeinde Zermatt Gemeinde Zermatt Ausgenommen sind Bergbahnen, Skipisten und Winterwanderwege der Bergbahnen Gemeinde Zermatt Lawinendienst Mattertal Gemeinde Täsch Gemeinde Täsch Lawinendienst Mattertal Lawinendienst Täsch Gemeinde Täsch Strasse Täsch–Täschalp Strasse Schalli Parkplatz 2 Wanderweg Täsch–Schlangengrube gefährdete Sidlungen in der Gemeinde – – – – – – – – – – – – – – – – Strasse Bahnhof–Spiess Strasse Tuftern–Furri Strasse Furri-Stafelalp Strasse Bahnhof–Hotel Tschugge Wanderweg Zermatt–Zmutt Wanderweg Furri–Zmutt Wanderweg Findlen–Zermatt Wandeweg Tuftern–Zermatt Wanderweg Zermatt–Schlangengrube Wohnhäuser Bahnhof–Spiess Wohnhäuser Zen Stecken Wohnhäuser Schluematten Alle Personen in den nachfolgenden Sektoren Gemeindegebiet Täsch Abschnitt IV. Täsch Alle Personen in den nachfolgenden Sektoren Gemeidegebiet Zermatt Abschnitt III Zermatt Lawinen und Recht Beilage 5: Verantwortlichkeiten Mattertal 85 86 Entscheid: Ausführung Auftraggeber: Vormeinung: Gemeinde Randa Lawinendienst Mattertal Lawinendienst Randa Gemeinde Randa Gemeinde Randa Gemeinde Embd Lawinendienst Mattertal Lawinendienst Embd Gemeinde Embd Gemeinde Embd Gemeinde St.Niklaus Lawinendienst Mattertal Lawinendienst Grächen Gemeinde Grächen Gemeinde Grächen Gemeindestrassen – gefährdete Sidlungen in der Gemeinde – Wanderwege – – – – – – Gemeindestrassen – Strasse St. Niklaus– Schwiedernen – gefährdete Sidlungen in der Gemeinde – Wanderwege Gemeinde St.Niklaus Lawinendienst Mattertal Lawinendienst St.Niklaus Gemeinde St.Niklaus Gemeinde St.Niklaus – Gemeindestrassen – gefährdete Sidlungen in der Gemeinde – Wanderwege – Kieswerke Gemeindestrassen Strasse Törbel - Emd Luftseilbahn Kalbertran - Emd gefährdete Sidlungen in der Gemeinde Wanderwege Gemeinde Grächen Gemeinde Embd Gemeinde St.Niklaus Gemeinde Randa Sektoren: Abschnitt VIII Grächen Alle Strassenbenützer Alle Personen in den nachfolgenden Sektoren Abschnitt VII Embd Alle Strassenbenützer Alle Personen in den nachfolgenden Sektoren Alle Strassenbenützer Alle Personen in den nachfolgenden Sektoren Betrifft: Abschnitt VI St.Niklaus Alle Strassenbenützer Alle Personen in den nach folgenden Sektoren Abschnitt V Randa Abschnitte Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Beilage 5 Fortsetztung: Verantwortlichkeiten Mattertal Lawinen und Recht Beilage 6: Sprengprotokoll Sprengprotokoll: Datum: Zeit: Unterschrift: Ort: Zeit Name Wachposten Heliport Wachposten Zum Biel Andere Ueberflug Sperrgebiet Sprengungen: Anzahl Negative Sprengungen Positive Bemerkungen Entscheid nach der Sprengung: Strasse Gesperrt ja – nein Frei gegeben Ja - nein Datum Zeit Täsch - Zermatt Matterhornbahn 87 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Résumé: Maintenir les voies de communication ouvertes – Service des avalanches du Mattertal Le service des avalanches du Mattertal dépend de l’Office des catastrophes naturelles du Canton du Valais et est organisé au niveau régional. Chaque commune a en outre une organisation interne pour la gestion des catastrophes. Dans le Mattertal, les communes sont représentées au sein d’un Conseil de vallée par un conseiller communal. Ce Conseil de vallée a décidé d’organiser le service des avalanches comme suit: Chaque commune possède deux observateurs qui signalent immédiatement à l’observateur en chef tous les incidents particuliers. Une décision est prise en commun et transmise aux organisations suivantes: – A la centrale d’intervention du Service des routes de Sierre par téléphone et fax – Au chef des voies ferroviaires de la ligne Cervin-Gothard – Au service d’information du Mattertal – Au conseil communal de la commune concernée. – Aux remontées mécaniques pour les routes et les sentiers de randonnées parallèles à la piste de ski Les mesures à prendre sont décidées par les responsables des différentes organisations. Pour l’évaluation, on dépose entre autres des valeurs mesurées par les diverses stations automatiques: – 4 stations IMIS: Triftchummen, Gornergrat, Schwarzsee, Stelligletscher – 2 stations météo: Petit Cervin et Zermatt – les anémomètres sur la plupart des piliers des remontés mécaniques exposés au vent – la station météo de Testa-Grigia (Italie) Ces mesures sont complétées par des observations propres. L’observation commence dès les premières chutes de neige. Chaque jour, une évaluation est faite. Selon les conditions météorologiques, les couches inférieures du manteau neigeux peuvent avoir une influence tout au long de l’hiver. – Dans notre région, nous commençons notre activité selon le vent dès que la hauteur de neige fraîche atteint environ 20 à 30 cm – Météo actuelle et prévisions – Consultation des stations Infobox – Vent, direction et force – Hauteur totale de neige dans la région concernée – Hauteur totale de neige fraîche dans la région concernée – Bulletin d’avalanches national – Bulletin d’avalanches régional – Images satellite – Images radar de la météo – Configuration du terrain et couloirs d’avalanche et leur zone d’alimentation. – Evaluation personnelle – Evaluation avec les responsables. Toutes les décisions sont consignées dans un journal. Les données Infobox, les images satellite et les prévisions météorologiques sont imprimées et classées. 88 Lors des réunions de catastrophe, les documents sont emportés et archivés. Les personnes suivantes sont responsables pour les décisions de fermeture: – le cantonnier pour les routes cantonales – le chef des voies ferroviaires pour la ligne CervinGothard – le Conseil communal compétent pour les routes communales, les chemins de randonnées, les accès aux maisons, les évacuations – le service d’information du Mattertal Pour que la route Täsch–Zermatt puisse à nouveau être ouverte plus rapidement, des avalanches sont déclenchées artificiellement à partir d’un hélicoptère. A Randa, un mât de déclenchement d’avalanches Wyssen a été monté au cours de l’hiver 2004/05 afin de protéger le village. Lors des opérations de minage, on procède comme suit: – Fermeture de la route Täsch–Zermatt, si elle n’est pas encore fermée ou de la route et du chemin de fer Herbriggen–Täsch pour une opération de minage à Randa – Information du cantonnier – Fermeture de la ligne de chemin de fer CervinGothard entre Täsch et Zermatt – Positionnement de deux fonctionnaires de police communaux des deux côtés des couloirs d’avalanche comme observateurs. A Randa, il s’agit de personnes du service des pompiers – Survol des zones menacées – Minage à partir de l’hélicoptère – Ouverture de la voie de chemin de fer – Ouverture de la route selon la décision prise – Rédaction du procès verbal de résultat. Bruno Jelk est chef de sauvetage à Zermatt et chef des observateurs du service des avalanches du Mattertal. Riassunto: Mantenimento della transitabilità delle vie di comunicazione – Servizio prevenzione valanghe della valle del Cervino Il servizio di prevenzione valanghe della valle del Cervino, che è un servizio alle dipendenze dell’ufficio per catastrofi naturali del Cantone Vallese, è organizzato a livello regionale. Ogni comune dispone inoltre di un’organizzazione interna che si occupa di catastrofi. Nella valle del Cervino, tra i vari comuni esiste un consiglio di valle. Ogni comune ha un proprio consigliere che lo rappresenta. Questo consiglio ha deciso di organizzare il servizio prevenzione valanghe nel seguente modo: ogni comune dispone di due osservatori, che segnalano immediatamente all’osservatore capo qualsiasi situazione particolare. Insieme viene presa una decisione e trasmessa con funzione consultiva alle seguenti organizzazioni: – Centrale operativa del servizio stradale Sierre via telefono e fax Lawinen und Recht – – – – Responsabile della linea ferroviaria Cervino-Gottardo Servizio informazioni della valle del Cervino Consigli comunali competenti Linee ferroviarie di montagna per strade e sentieri di escursione che scorrono parallelamente alle piste di sci La decisione sulle misure da adottare viene presa dai responsabili delle varie organizzazioni. Per la valutazione sono tra l’altro disponibili i dati rilevati da diverse stazioni automatiche: – 4 stazioni IMIS: Triftchummen, Gornergrat, Schwarzsee, Stelligletscher – 2 stazioni meteo: Piccolo Cervino e Zermatt – Anemometri installati sulla maggior parte dei pali delle ferrovie di montagna esposte al vento – Stazione meteo di Testa-Grigia (Italia) – Informazione ai responsabili delle strade – Blocco della linea ferroviaria Cervino-Gottardo tra Täsch e Zermatt – Posizionamento di due agenti della polizia comunale ai due lati della traccia della valanga in qualità di osservatori; a Randa personale dei Vigili del Fuoco – Sorvolo delle zone minacciate dal pericolo – Distacco artificiale della valanga dall’elicottero – Riapertura della linea ferroviaria – A seconda della decisione, riapertura della strada – Verbalizzazione nel registro dei risultati Bruno Jelk è capo del servizio di soccorso alpino a Zermatt e osservatore capo presso il servizio prevenzione valanghe della valle del Cervino. Questi rilevamenti vengono integrati con osservazioni interne. L’attività di osservazione inizia già con la prima nevicata. L’osservazione dovrebbe essere effettuata ogni giorno. A seconda delle condizioni meteo, gli strati inferiori di un manto nevoso possono influire sull’intero inverno. – A seconda dell’intensità dei venti, nella nostra zona entriamo in azione a partire da circa 20–30 cm di neve fresca – Condizioni meteo momentanee e previsioni – Interrogazione delle stazioni Infobox – Venti, direzione e intensità – Altezza totale del manto nevoso nella zona interessata – Quantità totale di neve fresca nella zona interessata – Bollettino della neve nazionale – Bollettino della neve regionale – Immagini da satellite – Radar meteo – Terreno delle tracce e del relativo bacino di alimentazione. – Valutazioni personali – Valutazione insieme ai responsabili. Tutte le decisioni vengono verbalizzate all’interno di un registro. I dati Infobox, le immagini da satellite e le previsioni meteo vengono stampate e classificate. La documentazione viene portata a eventuali riunioni e presentata. Per le misure di blocco sono responsabili le seguenti persone: – Responsabili delle strade cantonali – Responsabile della linea ferroviaria Cervino-Gottardo – Il consiglio comunale competente per strade comunali, sentieri di escursione, accesso alle abitazioni, evacuazioni – Servizio informazioni della valle del Cervino Affinché la strada Täsch–Zermatt possa essere riaperta il più presto possibile, le valanghe vengono distaccate artificialmente dall’elicottero. A protezione del paese, a Randa è presente dall’inverno 2004/05 un impianto di detonazione «Wyssen Sprengmast». In caso di esplosioni si procede come segue: – Blocco della strada Täsch–Zermatt, se non ancora bloccata, o della strada e della linea ferroviaria Herbriggen–Täsch per l’esplosione a Randa 89 Lawinen und Recht Siedlungslawinenschutz am Beispiel Davos Hanspeter Hefti 1 Einleitung Die Landschaft Davos hat eine Lawinengeschichte, die gleich alt ist wie die Besiedlung des Hochalpentales. Obwohl die Bewohner der Alpentäler ihre Wohnstätten an ausgewählten Stellen erstellt haben, sind laut der Lawinenchronik immer wieder Häuser und Ställe von Lawinen mitgerissen worden. Mehrmals waren auch Todesopfer zu beklagen. Mit der rasanten Entwicklung des Kur- und Sportortes wurde das Schadenpotenzial immer grösser. Bereits 1920 wurde mit dem Bau der ersten Lawinenverbauungen am Schiahorn begonnen. Die organisatorischen Massnahmen wurden schon im Winter 1957/58 mit der künstlichen Lawinenauslösung, damals noch mit dem 8,3 cm Minenwerfer, unterstützt. Für den heutigen Weltkurort Davos mit ca. 12 000 Einwohnern, ca. 1,3 Mio. Logiernächten und zahlreichen Grossveranstaltungen im Winterhalbjahr ist die Planung und Durchführung von organisatorischen Massnahmen eine besonders heikle Angelegenheit. Da jeder Werkeigentümer primär für seine Werke verantwortlich ist (Tab. 1), hat der Gemeindelawinendienst keine Gebietshoheit. Er übernimmt aber eine wichtige Tab. 1: Verantwortliche Werkeigentümer: Kantonsstrassen: Kantonales Tiefbauamt, Bezirk 5 Bahnlinie RhB: Rhätische Bahn, Bahnmeister 5 Langlaufloipen und Winterwanderwege: Davos Tourismus, Technische Dienste Schneesportanlagen und Talabfahrten: Bergbahnunternehmungen Siedlungsgebiete und lokale Erschliessungen: Landschaft Davos Gemeinde, Lawinendienst Koordinationsaufgabe. Die Arbeit des Gemeindelawinendienstes kann grob in die drei Bereiche Vorbereitung, Massnahmenplanung und Information unterteilt werden. 2 Vorbereitung Organisatorische Massnahmen können das öffentliche und private Leben der Bürger und Gäste sehr stark beeinträchtigen. Die Aufgaben, Rechte und Pflichten sind im Davoser Rechtsbuch (DRB) geregelt (Tab. 2). In einem Pflichtenheft sind die Aufgaben der einzelnen Ressortleiter geregelt. Die Besoldung und die Versicherung aller Helfer müssen im Voraus geregelt sein. Bedeutende Vorbereitungsarbeiten sind die Personalplanung, die Ausund Fortbildung, das Erstellen von Adress- und Telefonlisten (Mitarbeiter des Lawinendienstes, Partnerorganisationen, Bewohner der Gefahrenzonen), das Bereitstellen von Plangrundlagen und Sicherungskonzepten, Vorlagen für Sitzungsablauf, Bulletins und Massnahmenplanungen. Für mehrere Gebiete liegen Gutachten des Eidg. Institutes für Schnee und Lawinenforschung SLF vor. In diesen Expertenberichten wird detailliert auf die Themen Schnee- und Lawinensituation, Analyse der Lawinenzüge, Beurteilung der Lawinensituation sowie Vorschläge für Sicherungskonzepte eingegangen. Sicherungskonzepte, soweit sie Siedlungen, wichtige Erschliessungsanlagen und künstliche Lawinenauslösung betreffen, legen wir öffentlich auf. Damit ist sowohl die Mitwirkung wie auch die Information der betroffenen Bevölkerung sichergestellt. Obwohl die Erarbeitung von Grundlagen sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, ist der Aufwand für die Aktualisierung nicht zu unterschätzen. Wir verwenden wenn möglich nur Daten, die andere Verwaltungsabteilungen auch für ihre Zwecke erarbeiten und laufend aktualisieren müssen. Tab. 2: Rechtliche Grundlagen im Davoser Rechtsbuch (DRB) Gesetzessammlung der Landschaft Davos Gemeinde DRB 39 Landschaftsgesetz vom 23. 3. 1999 über die Katastrophenorganisation und den Lawinendienst DRB 39.01 Verordnung vom 23. 3. 1999 über die Katastrophenorganisation DRB 39.03 Verordnung vom 16. 12. 1997 über den Lawinendienst DRB 39.05 Entschädigungsreglement vom 7. April 1998 für die Angehörigen der Katastrophenorganisation und des Lawinendienstes. 91 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Für die Bewirtschaftung der Gebäude-, Eigentümer- und Einwohnerdaten haben wir eine eigene Access-Datenbank entwickelt, die wir ab Herbst 2005 einsetzen können. Mit dieser Datenbank erfassen wir die Daten nur einmal und können sie mit dem Abfragemodus für verschiedene Zwecke nutzen. Die Datenbank wird laufend aktualisiert, dadurch stehen uns immer aktuelle Unterlagen zur Verfügung. Heute sind in 24 Teilgebieten organisatorische Massnahmen vorgesehen. Diese Gebiete weisen unterschiedliche Prioritäten auf. Einige Teilgebiete müssen bereits ab der Lawinengefahrenstufe «gross» bearbeitet werden, für andere sind erst Massnahmen notwendig, wenn die Gefahrenstufe «sehr gross» über längere Zeit andauert. Die Teilgebiete unterscheiden sich auch bezüglich Grösse und Besiedlung. Das kleinste Teilgebiet umfasst nur drei Wohnhäuser, die von einer Lawine geschützt werden müssen. Das grösste Teilgebiet ist das Seitental «Dischma» mit ca. 100 Einwohnern und acht Lawinenzügen mit sehr grossen Anrissgebieten. In der Gemeinde Davos steht mit dem LIS (Landinformationssystem) eine sehr gute Infrastruktur zur Verfügung. Im LIS werden alle raumwirksamen Daten (Grundbuchvermessung, Gefahrenzonenpläne, Strassennummerierung, Werkleitung, usw.) laufend nachgeführt und stehen jederzeit aktualisiert zur Verfügung. Bei der Personalplanung achten wir darauf, dass wir ganze Aufgabenbereiche an schon bestehende Organisationen übertragen können, wie Rettungsdienst des Schweizer AlpenClubs (SAC), Rettungsstation Davos, Zivilschutz Organisation (Betreuung/Versorgung), Fraktionsfeuerwehren (Absperrung und Evakuationen). Die Leitung des Lawinendienstes wird von einem Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung (Forstbetrieb) wahrgenommen. Mit dieser Regelung kann der Leiter jederzeit auf die Infrastruktur und das Personal der Verwaltung zurückgreifen. Nach unserer Erfahrung funktionieren in Ausnahmesituationen nur Organisationen, die sich im Alltag bewähren. 3 Massnahmenplanung Der Lawinendienst kann selbständig Massnahmen planen und anordnen. Die politische Behörde ist durch den Landammann, der von Amteswegen dem Lawinendienst angehört, immer informiert. Evakuationen muss die politische Behörde auf Antrag des Lawinendienstes anordnen. Übersteigen die anfallenden Arbeiten die Kapazitäten des Lawinendienstes, übernimmt der Katastrophenstab die Gesamtleitung. Die Massnahmenplanung umfasst alle Arbeiten, die zur Gefahrenbeurteilung sowie zur Planung 92 und Durchführung von organisatorischen Massnahmen notwendig sind. Wir können dabei auf sehr viele Informationsmittel zurückgreifen (Lawinenfrühwarnung, nationale und regionale Lawinenbulletins, Wetterprognosen, Daten automatischer Schnee- und Windstationen). Diese Daten ergänzen wir mit Informationen, die wir selber erarbeiten (Schneedeckenentwicklungen, Lawinenaktivitäten in der Landschaft Davos, Einschätzung von lokalen Experten). Wichtige Experten sind die Mitarbeiter des Pisten- und Rettungsdienstes der Bergbahnen, da sie über sehr viele, aktuelle Informationen aus ihren Einsatzgebieten verfügen. Die Analyse dieser Daten bilden die Grundlage für die Planung und Durchführung der künstlichen Lawinenauslösung, von Informationen und Warnungen der Bevölkerung, Strassensperrungen oder auch Evakuationen. Die Aufhebung von Massnahmen muss gleich gründlich geplant werden wie die Anordnung von Massnahmen. Als wichtigste Planungshilfe hat sich die Ausarbeitung von verschiedenen Varianten herausgestellt. An der Sitzung am Vorabend ist häufig die Entwicklung des Wetters und der Lawinensituation während der Nacht unsicher. Damit frühmorgens möglichst schnell entschieden werden kann, werden am Abend zwei Varianten geplant, (z. B. Variante 1: Neuschneemenge bis 05.00 Uhr weniger 30 cm, Variante 2: Neuschneemenge bis 05.00 Uhr grösser 30 cm). Der verantwortliche Einsatzleiter kann am Morgen ohne Rückfrage eine Variante umsetzen. Schlechte Erfahrungen haben wir gemacht, wenn wichtige Entscheide erst am frühen Morgen gefällt werden. Einerseits ist es schwierig, Informationen zu sammeln, andererseits wirken die Massnahmen meistens erst zu spät. 4 Information Massnahmen können nur effizient durchgeführt werden, wenn die Bevölkerung schnell informiert werden kann. Bulletins werden über das Internet, den TV Info Kanal Klosters-Davos, über TelefonTonbandinformationen und einem Fax-Verteiler verbreitet. Die Mitarbeiter der Gemeindepolizei stehen während 24 Stunden für individuelle Auskünfte zur Verfügung. Seit Herbst 2003 können wir mit SMS aktuelle Meldungen verbreiten oder neue Bulletins ankündigen. Mit diesem System können wir sehr viel Zeit gewinnen und erreichen die Leute auch unterwegs. In den Bulletins werden alle Informationen, auch der übrigen Werkeigentümer, zusammengefasst. Gute Erfahrungen machen wir mit frühzeitiger Ankündigung von Massnahmen. Dabei genügt schon eine Meldung am Vorabend «bei anhaltenden Schneefällen müssen bereits am Lawinen und Recht frühen Morgen exponierte Strassen gesperrt werden». Massnahmen können dann wirkungsvoll umgesetzt werden, wenn sie aus Sicht der Bevölkerung zum richtigen Zeitpunkt angeordnet werden. Am Morgen vor Schulbeginn, am Abend nach 19.00 Uhr oder noch besser am Abend mit Wirkung für den kommenden Morgen. 5 Fazit Die Arbeit der kommunalen Lawinendienste bleibt trotz vieler Entscheidungsgrundlagen und guter Ausbildung eine sehr anspruchsvolle Arbeit. Knacknuss wird die Personalrekrutierung bleiben. Immer weniger Leute sind bereit, für die Öffentlichkeit verantwortungsvolle und exponierte Arbeiten zu übernehmen. Auch darf die Arbeit der Lawinendienste nicht überschätzt werden. Die wichtigsten Entscheide eines Lawinendienstes entstehen aus Prognosen (Lawinenfrühwarnung, Schnee- und Wetterprognose). Die Massnahmenplanung ist wieder eine Prognose, die noch mehr Unsicherheiten enthält. Organisatorische Massnahmen sollten nach unserer Sicht eher zu früh angeordnet werden, denn zu spät nützen sie nichts. Den genauen Zeitpunkt eines Lawinenniederganges können wir mit allen Daten und Entscheidungsgrundlagen die uns zur Verfügung stehen, nicht ermitteln. Unsere Lehren aus der Vergangenheit sind: – Sich nicht überraschen lassen – Klare Entscheide fällen – Beziehungsnetz aufbauen und pflegen – Bestehende Strukturen ausnützen – Rasche, ehrliche Informationspolitik Hanspeter Hefti ist Leiter Gemeindelawinendienst der Landschaft Davos Gemeinde. Résumé: Mesures organisationnelles de protection contre les avalanches à Davos Pour ce qui concerne les avalanches, la région de Davos a une histoire qui remonte au peuplement de la vallée des hautes Alpes. Bien que les habitants des vallées alpines aient érigé leurs demeures à des endroits bien choisis, la chronique mentionne constamment des maisons et des étables entraînées par des avalanches. A diverses reprises, on déplore des pertes humaines. Avec le développement vertigineux de ce lieu de cure et de sport, le potentiel de dommages n’a cessé d’augmenter. Dès 1920, on a commencé l’érection de la première construction paravalanche au Schiahorn. Des mesures organisationnelles ont été prises dès l’hiver 1957/58 par le déclenchement artificiel d’avalanches, en utilisant à l’époque le lancemine de 8,3 cm. Dans le centre de cure aujourd’hui d’envergure mondiale, Davos, qui compte environ 12 000 habitants, enregistre près de 2 millions de nuitées et organise de nombreuses manifestations de grande envergure au cours du semestre hivernal, la planification et la mise en œuvre de mesures organisationnelles est une affaire particulièrement délicate. Etant donné que chaque propriétaire d’ouvrages est responsable de ses propres ouvrages, le service communal des avalanches n’a pas de souveraineté territoriale. Il joue cependant un rôle important de coordination. Le cadre légal et les documents actuels d’intervention sont les conditions nécessaires pour réussir la mise en œuvre de mesures organisationnelles. Notre service des avalanches a une structure propre, mais est entièrement intégré dans l’administration communale. Seules les données très spécifiques sont traitées pour le service des avalanches (p. ex. des listes d’alerte, des concepts de fermeture). Pour le reste, nous utilisons des informations et des données gérées par d’autres départements administratifs (p. ex. le plan de zone des dangers, la carte routière, les informations sur les habitants et les propriétaires, etc.). Les mêmes principes s’appliquent aux interventions du personnel. Dans les situations exceptionnelles, des équipes entraînées fonctionnent mieux que celles qui sont uniquement constituées pour un événement spécifique. Notre service des avalanches peut naturellement planifier et exécuter lui-même des décisions. Le chef du département compétent assure le lien avec l’autorité politique. Toutes les sources d’informations et toutes les données disponibles sont utilisées pour l’évaluation. Il est indispensable de collecter des informations et des données spécifiques surtout pour l’évaluation des réalités locales. Lorsqu’il y a incertitude quant à l’évolution de la situation de danger, nous élaborons souvent deux variantes de mesures organisationnelles. Selon le développement de la situation, le chef d’intervention, quel qu’il soit, pourra par la suite mettre en œuvre la variante appropriée. Les mesures organisationnelles sont acceptées par la population si celle-ci est informée de manière actuelle et correcte. En plus des moyens habituels d’information tels qu’un répondeur téléphonique, un distributeur par fax, une chaîne de télévision d’information et Internet, nous diffusons également des messages par SMS. Par ces messages succincts, nous pouvons transmettre de manière particulièrement rapide des avis actuels ou annoncer de nouveaux bulletins. Les principes qui régissent notre travail sont les suivants: – Nous ne nous laissons pas prendre par surprise. – Nous prenons des décisions claires et les communiquons immédiatement. – Nous constituons et entretenons un réseau de relations. – Nous utilisons les structures existantes. – Nous élaborons des variantes et les mettons en oeuvre au moment opportun. Hanspeter Hefti est le responsable du service communal des avalanches du district de Davos. 93 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Riassunto: Misure organizzative di protezione contro le valanghe nella regione di Davos La storia delle valanghe della regione di Davos risale ai periodi in cui è iniziata la colonizzazione delle alti valle alpine. Sebbene gli abitanti di queste valli abbiamo eretto i propri centri abitati in punti selezionati, secondo la cronaca non sono mai mancate valanghe che hanno trascinato con sé case e stalle. Spesso anche con vittime. Con il rapido sviluppo della regione come luogo di cura e sportivo, il potenziale di pericolo è cresciuto sempre di più. Già nel 1920 è iniziata la costruzione della prima opera di difesa da valanghe sul Schiahorn. Le misure organizzative furono accompagnate già nella stagione invernale 1957/58 da operazioni di distacco artificiale, allora ancora con il lanciamine da 8,3 cm. Per l’odierno luogo di cura di rinomanza mondiale di Davos, che conta 12 000 abitanti, circa 2 milioni di turisti e numerose manifestazioni durante il semestre invernale, la pianificazione e l’esecuzione di misure organizzative è una questione particolarmente critica. Dal momento che il proprietario di un’opera è anche il principale responsabile dell’opera stessa, il servizio prevenzione valanghe comunale non ha alcuna sovranità territoriale, ma assume un’importante funzione di coordinamento. Le basi legislative e i documenti d’intervento aggiornati sono i presupposti per una perfetta esecuzione delle misure organizzative. Il nostro servizio di prevenzione valanghe ha una propria struttura, ma è completamente integrato nell’amministrazione comunale. Solo una piccola quantità di dati molto specifici viene elaborata per il servizio di prevenzione valanghe (p. es. liste di allarme, concetti di blocco), altrimenti utilizziamo le informazioni e i dati che vengono forniti ad altri settori dell’amministrazione (p. es. piano delle zone pericolose, piano stradale, dati degli abitanti e dei proprietari, ecc.). Per l’impiego del personale valgono principi analoghi. In casi eccezionali funziona meglio una squadra affiatata, rispetto a una squadra che opera solo in situazioni particolari. Il nostro servizio di prevenzione valanghe è in grado di pianificare ed eseguire in proprio eventuali misure protettive. Il capo dipartimento responsabile garantisce il link con le autorità politiche. Per la valutazione vengono utilizzate tutte le fonti di informazioni e di dati. Indispensabile è il rilevamento dei propri dati e delle proprie informazioni, soprattutto per la valutazione di situazioni locali. In caso di evoluzione incerta della situazione di pericolo, elaboriamo spesso due varianti della stessa misura organizzativa. A seconda dell’evoluzione del pericolo, un singolo responsabile delle operazioni può successivamente passare alla variante più idonea. Le misure organizzative vengono accettate dalla popolazione, solo se questa viene informata in modo aggiornato e corretto. Oltre ai normali canali di informazione come segreteria telefonica con messaggi registrati, distributore di fax, TV e Internet, i comunicati vengono trasmessi anche via SMS. Grazie a questi brevi messaggi di testo siamo in grado di trasmettere in modo molto rapido aggiornamenti o nuovi bollettini. I principi su cui si basa la nostra attività: 94 – Non lasciarsi sorprendere – Prendere decisioni chiare e comunicarle immediatamente – Realizzare e mantenere una rete di connessioni – Sfruttare le strutture esistenti – Elaborare varianti e passare a quella giusta al momento opportuno Hanspeter Hefti è il direttore del servizio prevenzione valanghe del comune di Davos. Lawinen und Recht Lawinenunfall = Gerichtsfall? Stephan Harvey und Jürg Schweizer 1 Einleitung Anzahl Lawinenopfer Lawinenunfälle sind seltene Ereignisse. Noch seltener sind daher Lawinenopfer. Trotzdem wird die Zahl der bei Lawinenunfällen Verstorbenen von den Medien akribisch genau gezählt. Das Medienecho bei einem Lawinentoten, oder gar mehreren am selben Wochenende, ist unvergleichlich grösser als bei anderen Unfalltoten wie etwa im Strassenverkehr. Dies wird gemeinhin als Folge der hohen Aversion erklärt. Noch weit grösser ist die Aufmerksamkeit, wenn es einmal zu einem Gerichtsfall kommt. Tatsache ist, dass in der Schweiz im langjährigen Mittel rund 26 Lawinentote pro Jahr zu beklagen sind (30jähriges Mittel: 1975 / 76 bis 2004 / 05). Die allermeisten (rund 90 %) sind Schneesportler, die «ihre» Lawine meist (in ca. 90 % der Fälle) selbst ausgelöst haben. Im gesamten Alpenraum sind es im langjährigen Mittel etwas mehr als 100 Todesopfer (IKAR Statistik). Im folgenden beschränken wir uns auf die Situation in der Schweiz. Die durchschnittliche Zahl der Lawinenopfer ist über all die Jahre hinweg erstaunlich konstant geblieben, auch wenn es von Jahr zu Jahr grosse Schwankungen gibt (Abb. 1). Obwohl die Zahl der Personen, die im ungesicherten Gelände unterwegs sind, wohl zugenommen hat, ist die Zahl der Lawinenopfer also nicht angestiegen. Dies wird Verbesserungen in der Ausbildung, bei der Lawinenwarnung und bei der Rettung zugeschrieben. 2 Tödliche Lawinenunfälle 1994 / 1995 bis 2003 / 2004 Um die Frage zu beantworten, wie viele Lawinenunfälle zu rechtlichen Folgen führen, betrachten wir die tödlichen Lawinenunfälle in den Schweizer Alpen von 1994 / 95 bis 2003 / 04, also zehn Jahre. Bei insgesamt 158 Lawinenunfällen sind 216 Personen ums Leben gekommen. Damit ist die Zahl der Todesopfer pro Jahr etwas geringer als im 30jährigen Mittel. (30jähriges Mittel: 1975 / 76 bis 2004 / 05). Grundsätzlich handelt es sich beim Todesfall in Folge eines Lawinenabganges um einen aussergewöhnlichen Todesfall, bei dem von Amtes wegen untersucht werden muss, ob allenfalls ein strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt. 60 Siedlungen Verkehrswege Freies Gelände 40 Gleitendes Mittel (5 J.) Mittelwert: 26 20 0 1976 1981 1986 1991 Winter 1996 2001 2006 Abb. 1: Lawinenopfer in den Schweizer Alpen in den letzten 30 Jahren (1975/76 bis 2004/05). Der Mittelwert betrug in dieser Periode 26 Todesopfer (gestrichelte Linie). Die durchgezogene Line zeigt den Trend anhand des 5jährigen gleitenden Mittels. Lawinenopfer in Gebäuden (gelbe Balken) sind selten. Die blauen Balken zeigen die Lawinenopfer auf offenen und gesicherten Verkehrswegen. In diese Kategorie gehören auch Todesopfer auf Schneesportabfahrten. Die allermeisten Personen werden Opfer einer Lawine im freien, ungesicherten Gelände, d. h. beim Freeriden, Tourenfahren, Bergsteigen, Schneeschuhwandern usw. 95 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 158 tödliche Unfälle 47 Strafuntersuchungen Strafuntersuchung 30% Keine rechtlichen Folgen 70% Mehrere Gruppen 9% Ungeführte Gruppen 17% Geführte Gruppe 42% Sicherungsdienste 32% Abb. 2: Bei den 158 Lawinenunfällen, die sich in den Schweizer Alpen von 1995 / 96 bis 2004 / 05 ereigneten, kam es in 47 Fällen – soweit uns bekannt – zu einer Strafuntersuchung (links). Die 47 Unfälle verteilen sich in Bezug auf die Verantwortlichkeit wie folgt: 20 Geführte Gruppen (Bergführer, Tourenleiter usw.), 15 Sicherungsdienste (Bergbahnen, Strassendienste, Gemeindelawinendienste), 8 ungeführte Gruppen und 4 Fälle mit mehreren Gruppen (rechts). Bei 47 dieser 158 tödlichen Lawinenunfälle haben wir Kenntnis davon, dass es zu einer Strafuntersuchung gekommen ist (Abb. 2). In den meisten dieser Fälle trug ein Leiter, ein Bergführer oder ein Sicherungsdienst die Verantwortung, oder es bestanden zumindest gewisse Hinweise, dass einer der überlebenden, beteiligten Personen allenfalls ein fahrlässiges Verhalten oder eine Unterlassung vorzuwerfen sei. Mit 47 untersuchten Fällen ist unsere statistische Grundlage natürlich etwas dürftig. Vermutlich wurden noch mehr Fälle strafrechtlich untersucht. Wir vermuten aber, dass wir davon Kenntnis hätten, wenn das Verfahren zu einer Verurteilung geführt hätte. Bei den 47 untersuchten Fällen trug in 20 Fällen ein Bergführer, Touren- oder Jugendleiter (J+S) die Verantwortung. In 15 Fällen waren Sicherungsdienste verantwortlich. In den verbleibenden 12 Fällen handelte es sich um acht ungeführte, mehr oder weniger organisierte Gruppen, und bei vier Lawinenunfällen schliesslich waren die Opfer nicht aus der selben Gruppe, die die Lawine ausgelöst hatte (Abb. 2). Eine oder mehrere Personen hatten also eine Lawine ausgelöst, die andere, unbeteiligte Personen erfasste und tödlich verschüttete. Bei verschiedenen Fällen wurde anfänglich die Verantwortung von mehreren Personen geprüft, zum Beispiel, wenn eine geführte Gruppe im pistennahen Variantenbereich von einem Unfall betroffen war. Dann musste abgeklärt werden, ob die Signalisation hinreichend war (Verantwortung des Sicherungsdienstes), und auch, ob dem Skilehrer ein fehlerhaftes Verhalten vorzuwerfen sei. In obigen vier Kategorien (geführte Gruppen, Sicherungsdienste, ungeführte Gruppen, mehrere Gruppen) sind also Mischfälle enthalten. Rund drei Viertel der tödlichen Lawinenunfälle, die untersucht wurden, ereigneten sich beim Tourenoder Variantenfahren. Die übrigen Fälle betrafen 96 mehrheitlich Benutzer von Verkehrswegen oder Bewohner von Gebäuden. In den meisten Fällen wurde von den Gerichtsorganen ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben. In allen Fällen, in denen Anklage erhoben wurde, lag dem Gericht ein Gutachten vor. Im Folgenden beschreiben wir die rechtlichen Konsequenzen getrennt für die vier Kategorien (geführte Gruppen, Sicherungsdienste, ungeführte Gruppen, mehrere Gruppen). Geführte Gruppen Bei den 20 Fällen mit geführten Gruppen kam in sechs Fällen die verantwortliche Person selbst ums Leben. Bei einem der 14 übrigen Fälle ist das Resultat der Strafuntersuchung unbekannt, da der Fall von den Walliser Untersuchungsbehörden an Frankreich überwiesen wurde. Die Mehrheit (9) der Strafuntersuchungen wurde eingestellt. In zwei Fällen anerkannte der Führende seine Schuld, so dass die Fälle im Rahmen eines vereinfachten Verfahrens mit einem Strafmandat (ohne Anklageerhebung) abgeschlossen wurde (Surettalückli, 2001; Rinerhorn, 2003). Bei den restlichen zwei Fällen erhob die Staatsanwaltschaft Anklage. In einem Falle wurde der Angeklagte frei gesprochen (Tête de la Payanne 1997), im anderen Falle sprach das Gericht den Angeklagten der fährlässigen Tötung für schuldig (Glacier des Berons 2000). Interessant ist die Frage, ob rechtliche Folgen eher bei erheblicher Gefahrenstufe zu gewärtigen sind. Bei den 14 Unfällen mit geführten Gruppen war die im Lawinenlagebericht prognostizierte Gefahrenstufe in fünf Fällen mässig und in neun Fällen erheblich. Am Unfalltag kann lokal die Lawinengefahr auch anders gewesen sein. Die Abklärung, wie weit die prognostizierte Gefahrenstufe der effektiv herrschenden gerecht wurde, erfolgt im Sachverständigen-Gutachten. Der Einfachheit halber betrachten wir hier die prognostizierte Lawinen und Recht Gefahrenstufe. Alle fünf Untersuchungen von Unfällen, die sich bei prognostizierter Gefahrenstufe «mässig» ereigneten, wurden eingestellt. Der Unfall, dessen Ausgang wir nicht kennen, geschah bei «erheblicher» Gefahr. Von den restlichen acht Fällen, die sich bei prognostizierter Gefahrenstufe «erheblich» ereigneten, wurden vier eingestellt, in zwei Fällen ein Strafmandat ausgesprochen und in zwei Fällen Anklage erhoben. Einer der Verantwortlichen wurde freigesprochen, einer wurde verurteilt. Insgesamt kam es demnach in drei der neun Unfälle, die sich bei «erheblicher» Gefahrenstufe ereigneten, zu einer Verurteilung. Sicherungsdienste In 12 der 15 Fälle mit involvierten Sicherungsdiensten wurde die Strafuntersuchung eingestellt (resp. in drei Fällen wurde sie – unseres Wissens – gar nicht eröffnet). Ein Fall war derart klar, dass der Verantwortliche seine Schuld anerkannte (Strafmandat). Bei Pistensicherungsarbeiten wurde ein Pistenfahrzeug bei der Präparation von einer künstlich ausgelösten Lawine erfasst, so dass der Fahrzeugführer verstarb. Der Verantwortliche hatte es versäumt, den Fahrzeugführer zu warnen. Von den zwei Fällen, bei denen es zur Anklage kam, endete einer mit einem Freispruch (Lawine auf Schneesportabfahrt, Plattjen, Saas Fee 2000) und einer mit einer Verurteilung (Katastrophenlawine Evolène 1999). Im Fall Evolène wurde die erstinstanzliche Verurteilung vom Walliser Kantonsgericht im Januar 2006 im wesentlichen bestätigt. Die Angeklagten zogen daraufhin den Fall noch an das Schweizerische Bundesgericht weiter. Der Kassationshof des Bundesgerichtes hat die von den beiden Verurteilten eingereichten Beschwerden am 30. August 2006 abgewiesen. Ungeführte Gruppen Die Strafuntersuchungen, die bei Lawinenunfällen mit ungeführten Gruppen eröffnet wurden, endeten alle mit einer rechtskräftigen Einstellungsverfügung. Die Beteiligten gaben in der Regel an, dass sie alle Entscheidungen gemeinsam getroffen hätten und dass keine Person eine eigentliche Führungsposition inne gehabt hätte. Mehrere Gruppen (Verursacher /Opfer) Bei den vier interessanten Fällen, bei denen zwei unabhängige (in der Regel ungeführte) Gruppen beteiligt waren, kam es in zwei Fällen zu einer Einstellung und in zwei Fällen zur Anklage mit nachfolgender Verurteilung. In diesen beiden Fällen hatten Variantenfahrer ausserhalb gesicherter und markierter Schneesportabfahrten eine Lawine ausgelöst, die weiter unten Unbeteiligte erfasste und zu je einem Todesopfer in der unteren Gruppe führte. Das Strafmass betrug im ersten Falle (Grand Saint-Bernard 1999) für die zwei angeklag- ten Variantenfahrer 40 resp. 30 Tage Gefängnis bedingt erlassen auf 2 Jahre. Im zweiten Falle (Parsenn 2000) wurde der Variantenfahrer vom Gericht zu eine Busse von 1000 Franken wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. 3 Weitere Fälle mit Strafuntersuchungen Zuweilen kommt es auch zu Strafuntersuchungen bei Lawinenunfällen, die keine Todesopfer, aber Verletzte oder Sachschaden verursachen. Es sind uns vier derartige Fälle bekannt, alle aus dem Lawinenwinter 1998/99. In drei Fällen entstand bei der präventiven künstlichen Auslösung von Lawinen unerwartet Sachschaden (Sörenberg, Leukerbad, Lukmanier). Zwei der Fälle wurden eingestellt, der andere endete drei Jahre später mit der Verurteilung der beiden Verantwortlichen wegen fährlässiger Gefährdung durch Sprengstoffe zu 14 Tagen Gefängnis bedingt beziehungsweise zu 500 Franken Busse. Im vierten uns bekannten Falle wurde ein Skilehrer im Strafmandatsverfahren verurteilt (Motta Naluns, Scuol). Er war mit einem deutlich weniger erfahrenen Bekannten bei «grosser» Lawinengefahr im Variantengelände privat unterwegs. Der Bekannte erlitt beim von den beiden verursachten Lawinenabgang schwere Körperverletzungen. 4 Zusammenfassung und Schluss Anhand der Unfallstatistik haben wir die rechtlichen Konsequenzen von Lawinenunfällen abgeschätzt. Innerhalb von 10 Jahren (1994 / 95 bis 2003 / 04) kam es in den Schweizer Alpen zu 158 tödlichen Lawinenunfällen mit 216 Todesopfern. In 47 dieser Unfälle ist uns bekannt, dass es zu einer Strafuntersuchung kam. Die grosse Mehrheit dieser Fälle (85 %) endete ohne rechtliche Konsequenzen (Einstellung oder in zwei Fällen Freispruch) u.a. auch weil die Verantwortlichen beim Unfall selbst ums Leben kamen. In sieben Fällen kam es zu einer Verurteilung (darin eingeschlossen drei Fälle mit Strafmandat) (Abb. 3). Sicherheitsverantwortliche von Schneesportgebieten und Verkehrswegen müssen, verglichen mit der Anzahl der Todesopfer auf Verkehrswegen, etwas überproportional vor dem Richter erscheinen gegenüber Bergführern oder Skilehrern. Bei den geführten Gruppen wurde in allen fünf Fällen, die sich bei prognostizierter Gefahrenstufe «mässig» ereigneten, die Strafuntersuchung eingestellt. Hingegen endeten drei der neun Unfälle, 97 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 47 Strafuntersuchungen Verantwortliche verstorben 13 % unbekannt 2% 7 Verurteilungen (inkl. 3 Strafmandate) 15 % 33 Einstellungen (inkl. 2 Freisprüche) 70% die sich bei prognostizierter Gefahrenstufe «erheblich» ereigneten, mit der Verurteilung des verantwortlichen Führers oder Leiters. Auch ein Unfall bei erheblicher Lawinengefahr hat also bei weitem nicht immer rechtliche Konsequenzen. Alles in allem enden Lawinenunfälle aber in den wenigsten Fällen vor dem Richter. Im von uns betrachtet Zeitraum von 10 Jahren kam es etwa in jedem fünfundzwanzigsten tödlichen Lawinenunfall zu einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung. Angemessene Rechtssprechung und hohe Professionalität der Sicherheitsverantwortlichen führen wohl zu diesem Resultat. Eine zunehmende «Kriminalisierung» des Freeriden oder Tourenfahrens vermögen wir auf Grund der Statistik nicht zu erkennen. Nicht zu vergessen ist, dass sich hinter dieser generell eher günstigen Statistik tragische Einzelschicksale verbergen. Der Lawinenunfall ist weniger ein Gerichtsfall als ein moralisch schwerwiegender Fall. Stephan Harvey studierte Geographie an der Universität Zürich und ist zudem pat. Bergführer. Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am SLF mit den Spezialgebieten Lawinenwarnung und Lawinenunfallprävention. Er ist verantwortlich für die Schadenlawinendatenbank am SLF. Dr. Jürg Schweizer studierte Umweltphysik an der ETH Zürich und promovierte in Glaziologie. Seit 1990 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am SLF mit Spezialgebiet Lawinenbildung. Er ist verantwortlich für die Lawinenausbildung von Lawinensachverständigen (IFKIS) und hat in den letzten 10 Jahren über zwanzig Gerichtsgutachten zu Lawinenunfällen verfasst. Résumé: Accident d’avalanche = affaire en justice? Les accidents d’avalanche sont des événements rares, même si lorsqu’ils se produisent les médias font un décompte méticuleux des victimes. Lorsqu’une ou même plusieurs personnes perdent la vie dans une avalanche 98 Abb. 3: Rechtliche Folgen in den 47 Fällen, in denen es unseres Wissens zu einer Strafuntersuchung kam. In sechs Fällen ist der Garant verstorben. In einem Fall ist der Ausgang unbekannt. In 7 Fällen kam es zu Verurteilungen der Verantwortlichen. Alle übrigen Fälle endeten ohne Folgen, d. h. das Verfahren wurde eingestellt oder in den Fällen, in denen es zur Anklage kam, wurde der Angeklagte freigesprochen. au cours d’un weekend, l’écho qu’en font les médias est incomparablement plus grand que pour d’autres victimes (p. ex. de la circulation routière). On explique ce fait comme une conséquence du niveau élevé de rejet que suscite ce type d’accident. L’attention engendrée par une éventuelle affaire en justice dans ce domaine est encore plus grande. Le fait est que la Suisse déplore en moyenne environ 25 victimes d’accidents d’avalanche par an. La plupart d’entre elles (90 %) sont des adeptes des sports de neige qui ont généralement déclenché eux-mêmes «leur» avalanche. Dans l’ensemble de l’espace alpin, il y a chaque année une centaine de victimes. Dans ce qui suit, nous nous limitons à la situation en Suisse. Etonnamment, le nombre moyen de victimes d’avalanche est resté constant au fil des années, même s’il y a parfois une grande fluctuation d’une année à l’autre. S’il n’y a pas eu d’augmentation, cela s’explique par les améliorations enregistrées au niveau de la formation, des prévisions d’avalanches et des opérations de sauvetage. Les accidents mortels d’avalanche au cours de la pratique du hors-piste et des randonnées concernent, dans environ 30 % des cas, des personnes en position de garant. Au cours des 10 dernières années, il y a eu 20 accidents mortels d’avalanche impliquant des groupes dirigés par des moniteurs de ski, des guides de randonnée ou des guides de montagne. Dans environ 30% de ces cas, le garant lui-même a perdu la vie de sorte qu’en règle générale toute procédure pénale devenait nulle. Là où les services de sécurisation occupaient une position de garant, il y a eu au cours des 10 dernières années 15 accidents mortels d’avalanche. Nous ne savons pas dans combien de cas il y a eu une action pénale – comme c’est souvent le cas en Suisse, la situation varie d’un canton à l’autre. Nous nous efforçons d’en estimer le nombre. Sur la base de recherches incomplètes, nous supposons que dans la plupart des cas dans lesquels le garant n’est pas décédé il y a eu une enquête pénale. Dans près de 80 % de ces cas, une expertise a été effectuée. Dans environ 70 % des cas dans lesquels il y a eu une enquête pénale, la procédure a été arrêtée, ce qui signifie qu’il n’y a pas eu d’inculpation. Quelques rares cas étaient si évidents que les personnes inculpées ont elles-mêmes reconnu leur tort, de sorte que l’affaire a pu être réglée dans le cadre d’une procédure simplifiée (ordonnance de Lawinen und Recht condamnation). Dans les quelque 20 % des cas restants, il y a eu inculpation. Devant le tribunal, près de la moitié des affaires ont fait l’objet d’un acquittement, ce qui signifie tout de même qu’environ 10 % des cas qui nous sont connus ont donné lieu à une condamnation (amende et /ou peine de prison de quelques mois avec sursis). Compte tenu du nombre de cas non recensés, ce pourcentage devrait cependant en réalité être plus faible. Les responsables de la sécurité des domaines de sport de neige ou des voies de communication sont convoqués plus souvent devant le juge que les guides de montagne ou les moniteurs de ski, si l’on se base sur le nombre de victimes. Globalement, les accidents d’avalanche n’aboutissent que dans des cas extrêmement rares devant le juge. Ce résultat s’explique par une jurisprudence raisonnable et par un degré élevé de professionnalisme des responsables de la sécurité. Il ne faut pas oublier cependant que derrière ces statistiques, d’une manière générale plutôt favorables, se cachent des destinées tragiques. Stephan Harvey a étudié la géographie à l’Université de Zurich et est en outre guide de montagne agréé. Depuis 1998, il est collaborateur scientifique à l’ENA dans les spécialités prévisions d’avalanche et préventions des accidents d’avalanche. Il est responsable de la base de données sur les dégâts d’avalanches à l’ENA. Dr Jürg Schweizer a étudié la physique de l’environnement à l’ETH Zurich et a présenté une thèse de doctorat en glaciologie. Depuis 1990, il est collaborateur scientifique à l’ENA dans le domaine spécialisé de la formation des avalanches. Il est responsable de la formation des experts en avalanches (IFKIS) et a rédigé au cours des 10 dernières années des rapports d’expertise concernant plus d’une vingtaine d’accidents d’avalanche à l’attention des tribunaux. Riassunto: Incidente da valanga = caso giudiziario? Gli incidenti da valanga sono fatti piuttosto rari, anche se il numero delle vittime viene evidenziato dai media con incredibile precisione. L’eco mediatica che suscita una vittima da valanga, o addirittura più di una nello stesso fine settimana, è nettamente maggiore di quella che suscitano altre vittime, p. es. quelle della strada. Un fenomeno che viene generalmente spiegato come conseguenza della grande avversione. L’attenzione aumenta poi ancora di più quando il caso entra in tribunale. Ogni anno in Svizzera perdono la vita circa 25 persone in incidenti da valanga (media stagionale). La maggior parte di esse (90 %) sono appassionati di sport invernali, che spesso hanno provocato il distacco della «loro» valanga. Lungo l’interno arco alpino perdono la vita circa 100 persone ogni anno. Qui di seguito ci limiteremo alla situazione in Svizzera. Nel corso degli anni la media delle vittime da valanga è rimasta incredibilmente costante, anche se di anno in anno si osservano anche grosse oscillazioni. Il fatto che questa cifra non sia aumentata lo dobbiamo ai miglioramenti conseguiti nei settori della formazione, della prevenzione e del soccorso. Di tutti gli incidenti mortali da valanga che si sono verificati su discese ed escursioni fuoripista, il 20 % circa ha coinvolto persone che si trovavano nella posizione di garante. Nel corso degli ultimi 10 anni si sono verificati 20 incidenti mortali da valanga che hanno coinvolto gruppi accompagnati da maestri di sci, guide escursionistiche o guide alpine. Nel 30 % circa di questi casi il garante stesso ha perso la vita, con archiviazione di qualsiasi inchiesta giudiziaria. Nei luoghi in cui i servizi di protezione civile hanno assunto una posizione di garante, si sono verificati nel corso degli ultimi 10 anni 15 incidenti mortali da valanga. In quanti casi è poi seguita un’inchiesta giudiziaria non siamo in grado di dirlo, anche se le nostre conoscenze variano notevolmente da cantone a cantone, come succede spesso in Svizzera. Tentiamo di stimare questa cifra. Sulla base delle nostre ricerche incomplete supponiamo che nella maggior parte dei casi in cui il garante non è deceduto è poi seguita un’inchiesta giudiziaria. Nell’80 % circa di questi casi è stata redatta una perizia legale. Nel 70 % circa dei casi ai quali è seguita un’inchiesta giudiziaria, il procedimento è stato archiviato perché non è stata sporta alcuna denuncia. Alcuni pochi casi sono stati talmente evidenti che l’imputato ha ammesso la propria colpa e il processo si è concluso con rito abbreviato (decreto di condanna). Nel restante 20 % circa dei casi è stata sporta una denuncia. Davanti al giudice, circa la metà dei casi si è conclusa con un’assoluzione, mentre nel 10 % dei casi a noi noti è stata emessa una sentenza (pene pecuniarie e/o di reclusione di alcuni mesi con sospensione condizionale). A causa dei dati non rilevati dalle statistiche, questa percentuale dovrebbe in realtà essere molto più bassa. I responsabili della sicurezza dei comprensori sciistici e delle vie di comunicazione, se si fa un confronto con il numero delle vittime, devono comparire davanti al giudice in misura maggiore rispetto alle guide alpine o ai maestri di sci. In definitiva, solo pochissimi incidenti da valanga varcano le soglie del tribunale. Sicuramente grazie a una giurisprudenza ragionevole e a un’alta professionalità dei responsabili della sicurezza. Non occorre poi dimenticare che dietro a queste statistiche generalmente piuttosto favorevoli si celano sempre tragici destini. Stephan Harvey ha studiato geografia all’università di Zurigo ed è anche guida alpina ufficiale. Dal 1998 è collaboratore scientifico presso l’Istituto SNV nelle specialità prevenzione valanghe e prevenzione degli incidenti da valanga. È responsabile della banca dati delle valanghe catastrofiche dell’Istituto SNV. Il Dott. Jürg Schweizer ha studiato fisica ambientale presso l’ETH di Zurigo e ha conseguito il dottorato in glaciologia. Dal 1990 è collaboratore scientifico presso l’Istituto SNV nella specialità formazione di valanghe. Responsabile della formazione di esperti di valanghe (IFKIS), negli ultimi 10 anni ha redatto oltre 20 perizie legali in altrettanti incidenti da valanga. 99 Lawinen und Recht Rechtliche Situation beim Lawinenunfall Patrick Bergamin 1 Einleitung Lawinenniedergänge können straf- und zivilrechtliche Folgen haben. Im Folgenden werden die anwendbaren Strafnormen (fahrlässige Tötung, fahrlässige Körperverletzung, Störung des öffentlichen Verkehrs) und Haftungsbestimmungen (unerlaubte Handlung, Haftung aus Vertrag) dargelegt und die Voraussetzungen insbesondere auch für Nichtjuristen erläutert. Ein besonderes Gewicht soll dabei der Problematik der sogenannten Garantenstellung zukommen. 2 Straf- und Privatrecht Grundsätzlich gilt es, zwischen Privat- und öffentlichem Recht zu unterscheiden. Das Privat- oder Zivilrecht regelt das Verhältnis zwischen Privaten, während das öffentliche Recht das Verhältnis zwischen Staat und Bürger bestimmt. Zum öffentlichen Recht gehört unter anderem das Strafrecht. Ereignet sich infolge eines Fehlverhaltens einer Person ein Lawinenunfall mit Personenschaden, kommen in der Regel das Strafrecht und das Privatrecht zum tragen. Einerseits wird der Fehlbare vom Staat wegen seines Fehlverhaltens bestraft und dafür zu einer Freiheitsstrafe und / oder einer Busse verurteilt. Zusätzlich werden der Verunfallte oder dessen Angehörigen in der Regel gestützt auf das Privatrecht gegen den Unfallverantwor tlichen vorgehen und von diesem für die entstandenen Nachteile (z. B. Verdienstausfall) Schadenersatz verlangen. 3 Strafrechtliche Folgen Definitionsgemäss entspricht es bei einem Unfallereignis nicht der Absicht des Täters, jemanden zu schädigen. Bei der Beurteilung eines solchen Ereignisses stehen daher die fahrlässigen – also nicht vorsätzlich verübten – Delikte im Vordergrund. Bei einem Lawinenunfall mit Personenschaden sind dies in erster Linie die fahrlässige Tötung und die fahrlässige Körperverletzung. Geht eine Lawine auf eine Piste oder Strasse nieder und wird dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen in Gefahr gebracht, fällt zudem eine Verurteilung des Verantwortlichen wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs in Betracht. Der fahrlässigen Tötung macht sich schuldig, wer nicht wissentlich und willentlich, aber doch in Folge einer Sorgfaltspflichtverletzung den Tod eines oder mehrerer Menschen verursacht. Wegen fahrlässiger Körperverletzung wird bestraft, wer einen oder mehrere Menschen unter den gleichen Voraussetzungen wie bei der fahrlässigen Tötung am Körper oder an der Gesundheit schädigt. Eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung oder fahrlässiger Körperverletzung setzt Folgendes voraus: 1. Verursachung Tod oder Verletzung. 2. Pflichtwidriges Verhalten eines Überlebenden. 3. Relevanz des sorgfaltswidrigen Verhaltens für den Tod bzw. die Körperverletzung. Die anzuwendende Sorgfalt bemisst sich einerseits nach den Umständen und andererseits nach den persönlichen Verhältnissen des Täters. Bei der Bemessung wird im Allgemeinen von dem ausgegangen, was ein gewissenhafter und besonnener Mensch in der gleichen Situation getan oder unterlassen hätte. Dabei ist auf die spezifischen Kenntnisse des Täters Rücksicht zu nehmen. Zur Feststellung des Sorgfaltsmassstabes sind gegebenenfalls gesetzliche Vorschriften (z. B. im Bereich des Strassenverkehrs) und von nichtstaatlichen und halböffentlichen Organisationen erlassene Verhaltensregeln heranzuziehen. Dazu gehören etwa die Richtlinien für Anlage, Betrieb und Unterhalt von Schneesportabfahrten der Schweizerischen Kommission für Unfallverhütung auf Schneesportabfahrten (vgl. dazu BGE 118 IV 133). Eine Sorgfaltspflichtverletzung kann sich nicht nur in einem Tun, sondern auch in einem Unterlassen manifestieren. Voraussetzung ist allerdings, dass dem potentiellen Täter eine sogenannte Garantenstellung zukommt, das heisst, dass er rechtlich verpflichtet ist, für den Schutz bestimmter Rechtsgüter zu sorgen. Eine solche Garantenpflicht kann sich aus einer entsprechenden gesetzlichen oder vertraglichen Bestimmung, aus vorangegangenem gefährdendem Tun (Ingerenz) und aus sogenannter freiwillig begründeter Gefahrengemeinschaft ergeben. Eine vertragliche Garantenstellung besteht beispielsweise beim Bergführer oder Skilehrer ge- 101 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 genüber seinen Gästen. Ebenfalls aus Vertrag, nämlich als Nebenpflicht aus dem Transportvertrag, wird die Garantenpflicht des Bergbahnunternehmens gegenüber den Benutzern der Schneesportabfahrten abgeleitet. Eine Obhutspflicht aus Gefahrengemeinschaft entsteht, wenn «mehrere Personen freiwillig eine Gefahrengemeinschaft eingehen im Vertrauen darauf, dass sie sich bei Gefahr gegenseitig Hilfe leisten werden» (Trechsel / Noll, Schweizerisches Strafrecht, AT I, 5. Aufl., S. 245). Daraus muss meines Erachtens geschlossen werden, dass auch zwischen etwa gleich erfahrenen Alpinisten eine Garantenstellung besteht, sofern die Gefahrenabwehr zentrales Element des Zusammenschlusses war (vgl. dazu Benisowitsch, Die strafrechtliche Beurteilung von Bergunfällen, Diss., S. 121 ff.). Diesfalls dürften die Tourenteilnehmer verpflichtet sein, ihre Begleiter auf Gefahren aufmerksam zu machen, welche diesen entgangen sein könnten (z. B. Hinweis auf die Lawinengefahr in einem bestimmten Hang). Ob sich nach einem Lawinenniedergang mit Personenschaden jemand strafrechtlich zu verantworten hat, hängt insbesondere davon ab, inwiefern der Lawinenniedergang vorhersehbar war und die gegebenenfalls notwendigen Massnahmen getroffen wurden. War die naheliegende Möglichkeit eines Lawinenniedergangs in der konkreten Situation nicht vorhersehbar, hatte der Verantwortliche keinen Grund sich anders und damit im Nachhinein schadensvermeidend zu verhalten. Eine Verurteilung des Verantwortlichen fällt schliesslich nur dann in Betracht, wenn der Erfolg auf die Sorgfaltspflichtverletzung zurückzuführen ist. Dabei genügt nach herrschender Praxis, dass der Erfolg bei pflichtgemässem Handeln mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre. Sämtliche erwähnten Straftatbestände sehen als Strafe Gefängnis von 3 Tagen bis zu 3 Jahren oder Busse vor. 4 Zivilrechtliche Folgen Nach einem Lawinenunfall mit Personenschaden werden der Verunfallte bzw. dessen Angehörige vom Unfallverantwortlichen in der Regel Schadenersatz und Genugtuung verlangen. Diese Ansprüche können gestützt auf eine unerlaubte Handlung oder – sofern der Geschädigte mit dem Verantwortlichen zum Unfallzeitpunkt in einem Vertragsverhältnis stand – auf einen Vertrag geltend gemacht werden. Bei beiden Haftungsgrundlagen bestehen dieselben Ansprüche, wobei die Beweisführung im Rahmen der Vertragshaftung vorteilhafter ist. 102 Die Zivilforderungen können in einem separaten Verfahren vor dem Zivilrichter geltend gemacht werden. Es besteht aber auch die Möglichkeit, diese Ansprüche im Strafverfahren anzumelden. In diesem Fall hat der Strafrichter darüber zu befinden. Auch wenn das Gesetz dies nicht so vorsieht, stützt sich der Richter in der Praxis im Privatrechtsprozess häufig auf den Strafprozess ab. Eine Verurteilung vor dem Strafrichter führt in der Regel auch zur Bejahung von zivilrechtlichen Ansprüchen. Die vom Unfallverantwortlichen geschuldeten Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche sind häufig von seiner Haftpflichtversicherung bzw. vom Haftpflichtversicherer des Betriebes zu übernehmen. Dr. iur. Patrik Bergamin ist seit 1994 Untersuchungsrichter bei der Staatsanwaltschaft Graubünden und leitet in dieser Funktion regelmässig Strafuntersuchungen im Zusammenhang mit Lawinenunfällen und vertritt die entsprechenden Anklagen vor Gericht. Résumé: Situation juridique en cas d’accident d’avalanche L’exposé intitulé «Situation juridique en cas d’accident d’avalanche» passe en revue les conséquences pénales et civiles que peut avoir un événement de ce genre. Il expose en outre une norme pénale applicable (homicide par négligence, lésions corporelles par négligence, entrave à la circulation publique) et des dispositions en matière de responsabilité (acte illicite, responsabilité émanant d’un contrat) et explique les conditions spécialement aussi pour les non-juristes. A cet égard, une importance toute particulière doit être accordée à la problématique de ce que l’on appelle la «position de garant». Celle-ci est nécessaire pour qu’un délit en question puisse résulter d’une omission ou d’un nonrespect du devoir juridique d’agir. Contrairement à l’avis très répandu, le point de vue de l’orateur est qu’une telle position peut également se présenter dans le cadre d’une communauté de risque entre des membres d’un groupe de randonneurs ayant plus ou moins la même expérience. Enfin, l’exposé montre comment se déroule concrètement une enquête pénale après un accident d’avalanche dans le canton des Grisons. Patrik Bergamin, Docteur en droit, est depuis 1994 juge d’instruction auprès du Ministère public des Grisons. Dans le cadre de cette fonction, il dirige régulièrement des enquêtes pénales portant sur des accidents d’avalanche et représente les inculpations correspondantes devant le tribunal. Lawinen und Recht Riassunto: Situazione giuridica in caso di incidente da valanga Nella relazione «Situazione giuridica in caso di incidente da valanga» vengono illustrate le conseguenze penali e civili che un simile fenomeno può causare. A tal fine vengono elencate le norme penali (omicidio colposo, lesioni colpose, intralcio del traffico pubblico) e le norme di responsabilità (atto illecito, responsabilità da inadempimento) applicabili e spiegati i presupposti, soprattutto anche per i non addetti al lavori. Importanza particolare viene anche data alla problematica della cosiddetta posizione di garante. Questo è il presupposto affinché un reato possa essere commesso anche a causa di omissione e / o mancata azione. Il relatore si contrappone a un’opinione largamente diffusa, sostenendo che una simile posizione può verificarsi anche nell’ambito di una comunione di rischi tra i membri di un gruppo di scialpinisti con un livello di esperienza pressoché simile. Infine viene illustrato lo svolgimento pratico di un’indagine giudiziaria in seguito a un incidente da valanga nel Cantone dei Grigioni. Il Dott. Avv. Patrik Bergamin ricopre dal 1994 la carica di giudice istruttore presso la Procura dei Grigioni e in questa sua funzione conduce regolarmente inchieste giudiziarie in relazione a incidenti da valanga rappresentando l’accusa. 103 Lawinen und Recht Missions et enjeux: le rôle de l’expert judiciaire en avalanches Richard Lambert Après un accident provoqué par une avalanche, l’expert judiciaire est régulièrement consulté: il devient l’interface privilégiée entre les magistrats et la scène d’avalanche, sur le terrain. Tout au long de son travail d’enquête et de recherche, ses interlocuteurs seront de fait les juges qui les nomment, mais aussi les gendarmes, les secouristes, et selon les cas, les familles des victimes, les services de l’Etat, des élus, des responsables de sécurité en stations de ski, des professionnels de la montagne (guides, moniteurs de ski…) et leurs avocats. Les conflits d’intérêt évidents imposeront de sa part une grande impartialité. Le rôle essentiel de l’expert judiciaire est celui d’un technicien qui constate, tente d’expliquer, et ainsi éclaire le juge, avec le plus d’objectivité possible. Il est amené à se prononcer sur un large domaine de «compétences»: analyse des conditions nivo-météorologiques et structure interne du manteau nival, type d’avalanches et causes du déclenchement, cartes de danger et plans de zonage du risque, ouvrages paravalanches…. Cela sous-tend une assez longue expérience liée à une pratique continue sur le terrain. L’expert va souvent toucher des domaines sensibles, avec des enjeux administratifs, financiers et politiques, ce qui nécessite une parfaite indépendance, particulièrement vis-à-vis des organismes officiels en charge des questions de risques naturels (En France, l’Etat a obligation d’afficher le risque). Concrètement, en cas d’accident, deux configurations se dégagent surtout: 1. pour un accident en hors-piste ou en randonnée par exemple (impliquant un guide / moniteur avec ses clients), on s’oriente de plus en plus vers une expertise ordonnée très rapidement. C’est la «réquisition à personne qualifiée». Ce cas est le plus favorable pour le travail de l’expert: la recherche de la vérité passe par des constats effectués par lui-même, «à chaud» sur le site. En effet, le changement rapide de la situation nivo-météorologique (pluie, vent, nouvelle chute de neige...) peut entraîner la disparition très préjudiciable de toutes traces. Selon le type d’accident, l’examen peut légèrement varier; mais il porte essentiellement sur l’évaluation de l’itinéraire suivi par le professionnel et son groupe, et sa pertinence en regard des conditions de terrain, de neige et de météorologie (annoncée et effective), le repérage de la zone de décrochement, l’analyse des possibles faiblesses structurelles du manteau nival. Sauf cas particulier, il s’agit d’expertises assez courtes et peu sujettes à caution. 2. si une avalanche majeure touche pistes balisées ouvertes, voies de communications, habitations, en entraînant dégâts importants et victimes, il serait bien entendu souhaitable que l’expert soit, ici aussi, présent de suite pour relever les principales informations techniques. Mais c’est très rare: dans la pratique, il est désigné des mois (voire des années) plus tard, quand une information judiciaire est ouverte ou quand l’affaire vient en appel, ou devant un tribunal administratif. L’expert devra enquêter, reconstituer et se forger une opinion grâce à des traces encore visibles (dommages à la végétation, impacts sur bâtiments…) et à partir de documents, souvent insuffisants. Par exemple, les photographies dont il dispose (issues de procès-verbaux…) n’ont pas été réalisées selon son mode opératoire personnel, et elles se concentrent plus sur les victimes et les dégâts les plus évidents. Il existe bien ici un risque de déperdition d’informations essentielles à l’établissement de la vérité. A l’expérience de 24 ans d’expertises sur des dossiers assez variés, force est de constater que les questions les plus courantes des missions portant sur: – la prévisibilité ou l’imprévisibilité de l’avalanche catastrophique. Entre autres moyens de «preuves», la recherche d’antériorité du phénomène sera privilégiée dans la démonstration, grâce à la présentation et l’explication d’archives par exemple, – la fiabilité des documents «risques» existants au moment des faits. L’expert doit, en conscience, se prononcer sur des documents officiels établis par différents services de l’Etat. En France: CLPA Cartes de Localisation Probable des Avalanches devenues Cartes de Localisation des Phénomènes d’Avalanches; PZEA Plan des Zones Exposées aux Avalanches, PERN Plan d’Exposition aux Risques Naturels; PPR Plan de Prévention des Risques. Le rapport d’expertise, réalisé à partir des faits, de constats, d’analyses mais aussi selon l’expérience personnelle et la conviction de l’expert (= «avis d’expert») doit aider avec clarté à la décision judiciaire. 105 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 L’expert ne devra jamais porter d’appréciation d’ordre juridique, mais des points précis des missions qui lui sont confiées l’enjoignent à «donner tout élément permettant d’apprécier une responsabilité». Dans le cadre de sa mission, l’expert risque de mettre en exergue des insuffisances voire des lacunes dans les cartes et zonages d’avalanches, ou encore des erreurs dans la gestion de crise. Le rapport d’expertise peut avoir des conséquences lourdes sur les suites judiciaires: – responsabilité d’encadrants d’une activité sportive, si le rapport établit qu’il y a eu imprudence dans la conduite du groupe, par exemple – responsabilité d’élus et/ou de services d’Etat en charge de l’affichage du risque – fiabilité, et implicitement crédibilité, des instruments d’aide à la décision, cartes d’avalanches et surtout plans de zonage d’urbanisme, utilisés de fait par les Maires et leurs Commissions de Sécurité. Aussi, on reproche souvent à l’expert des conclusions partisanes puisque intervenant après l’accident, il lui est (trop) facile, estime-t-on, de prouver la prévisibilité du phénomène. En fait ses conclusions dérangent: on peut déplorer que les critiques ouvertes, des pressions, des campagnes de dénigrement (pour décrédibiliser son travail voire sa compétence) soient malheureusement plus fréquentes et plus incisives depuis que la Fig. 1: Avalanche de Montroc-Chamonix (février 1999). 106 réputation de stations de sports d’hiver et /ou d’organismes publics sont plus clairement en jeu. La judiciarisation de notre société risque d’accentuer encore ce phénomène. Pourtant l’expert n’est pas qu’un homme de constat et de critiques; il peut jouer un rôle à posteriori: par exemple, être invité à émettre un avis sur les ouvrages paravalanches les plus appropriés pour un site touché par une catastrophe. A plus grande échelle, le drame de Montroc-Chamonix (Fig. 1) en France, a entraîné une réflexion nationale notamment sur la base des constatations expertales: dysfonctionnements dans la chaîne de réalisation des documents «risques», non-prise en compte des évènements historiques majeurs, inadaptation de l’aléa de référence retenu… Cette réflexion a débouché sur la révision des procédures d’élaboration des cartes (CLPA) et des zonages PPR avalanches. Je fus convié aux différents groupes de travail correspondants dans lesquels j’ai pu proposer de nouvelles méthodologies de cartographie / zonage. Ainsi, s’il est écouté, l’expert est également une force de proposition. Richard Lambert est expert en nivologie près la Cour d’Appel de Chambéry – Savoie-France. Expert «neiges et avalanches», agréé par la Cour de Cassation (liste nationale d’experts). Chercheur associé au laboratoire EDYTEM-CNRS UMR 5204 – Université de Savoie Lawinen und Recht Zusammenfassung: Die Rolle des Gutachters bei Lawinenunfällen Nach einem Lawinenunfall ist der Gutachter häufig die wichtigste Schnittstelle zwischen den Untersuchungsrichtern und den Analysen vor Ort. Seine Gesprächspartner sind de facto die Richter, aber auch Polizei, Rechtsanwälte, Sicherheitsfachleute, Angehörige der Opfer, staatliche Dienststellen, Abgeordnete usw. Er hat es mit sensiblen Bereichen zu tun, die politische oder verwaltungstechnische Auswirkungen haben können. Es ist deshalb eine vollständige Unabhängigkeit erforderlich. Seine Rolle ist im Wesentlichen die eines Technikers, der feststellt, erklärt und somit den Richter aufklärt. Er muss sich zu einem breiten Kompetenzbereich äussern (Schneedeckenaufbau, Gefahrenkarte, Einteilung von Risikozonen, Lawinenschutzbauten usw.), was eine langjährige Erfahrung voraussetzt. Im Unglücksfall stellen sich konkret zwei Konfigurationen dar: 1) Bei einem Unfall ausserhalb der Piste (Bergführer mit Kunden) wird zunehmend sehr rasch eine Expertise angeordnet: die «formelle Befragung einer qualifizier-ten Person». Die Wahrheitsfindung erfolgt hier durch unverzügliche Befundaufnahme vor Ort (die Änderung der nivo-meteorologischen Bedingungen kann zum Verschwinden von Spuren führen): Evaluierung der Route und ihrer Zweckmässigkeit in Abhängigkeit von den Bedingungen, Ermittlung der Anrisszone, Untersuchung von strukturellen Schwächen der Schneedecke. 2) Wenn eine grössere Lawine auf markierte Pisten, Strassen oder Siedlungen niedergeht, wird der Sachverständige oft erst Monate später bestellt, beispielsweise wenn eine Voruntersuchung eingeleitet wird. Die häufigsten Fragen beziehen sich auf: – die Voraussehbarkeit, unter Berücksichtigung früherer Ereignisse – die Zuverlässigkeit der vorhandenen Grundlagen (z. B. Gefahrenkarte). Der Expertenbericht kann schwerwiegende Konsequenzen für die juristischen Folgen haben, sowohl im Hinblick auf die Haftung der Beteiligten (Führer und Begleiter, aber auch Abgeordnete und staatliche Dienststellen) als auch bezüglich der Verlässlichkeit der Hilfsinstrumente zur Entscheidungsfindung (Lawinenge-fahrenkarte und Überbauungspläne), was ihn des Öfteren ins Kreuzfeuer der Kritik geraten lässt. Auch wenn man den Schlussfolgerungen des Rechtsexperten häufig vorwirft, sie seien imperativ und unrealistisch, muss er ein objektiver und professioneller Techniker bleiben, um seiner Aufgabe als Helfer bei der juristischen Entscheidungsfindung vollumfänglich gerecht zu werden. Aber der Experte ist nicht nur ein Mann der Befundaufnahme und Kritiken, er kann auch im Nachhinein eine Rolle spielen. So hat in Frankreich das Drama von Montroc-Chamonix insbesondere aufgrund der Feststellungen von Experten zu einer Überarbeitung der Verfahren der Erstellung von Lawinenkarten und -zonen geführt, zu der ich eingeladen wurde. Der Experte ist auch eine treibende Kraft für Vorschläge und Veränderungen. Richard Lambert ist Experte für Nivologie beim Appellationsgericht von Chambéry (F), zugelassener Schneeund Lawinenexperte beim Kassationsgericht (nationale Expertenliste), Gastforscher am Laboratorium EDYTEM-CNRS UMR 5204 – Université de Savoie Riassunto: Missioni e poste in gioco: il perito giudiziario in materia di valanghe In caso di incidente collegato ad una valanga, il perito giudiziario è spesso l’interfaccia privilegiata tra i magistrati e l’analisi del territorio. I suoi interlocutori sono di fatto i giudici, ma anche le forze dell’ordine, gli avvocati, i professionisti della sicurezza, le famiglie delle vittime, i funzionari dello stato e gli amministratori eletti. Poiché tocca punti sensibili, con poste in gioco di carattere amministrativo e politico, deve essere totalmente indipendente. Il suo ruolo essenziale è quello del tecnico che deve constatare, spiegare, in breve chiarire i fatti al giudice. Deve pronunciarsi su un ampio spettro di competenze, come la struttura del manto nevoso, le schede e le aree di rischio, le opere di difesa contro le valanghe, ecc., e tutto ciò richiede una lunga esperienza. Concretamente, in caso di un incidente si sviluppano soprattutto due scenari: 1) Per incidenti fuori pista (professionisti della montagna con clienti) ci si orienta più per una perizia ordinata molto rapidamente, la cosiddetta «réquisition à personne qualifiée» (ordinanza di requisizione). La ricerca della verità avviene in questo caso tramite rilevamenti «a caldo» sul sito dell’incidente, perché il cambio delle condizioni della neve e di quelle meteo può comportare la scomparsa pregiudizievole di importanti indizi: valutazione dell’itinerario e pertinenza in funzione delle condizioni, marcatura della zona di stacco, esame delle debolezze strutturali del manto nevoso. 2) Se una valanga molto grave riguarda piste protette, vie di comunicazione o centri abitati, spesso il perito viene nominato dopo qualche mese, come nel caso in cui, ad esempio, venga aperta un’inchiesta. Gli aspetti trattati più comunemente sono: – la prevedibilità o meno del fenomeno constatato, con ricerca di eventuali antefatti, – affidabilità dei documenti di rischio esistenti. Il rapporto del perito può avere conseguenze pesanti sul seguito giudiziario, sia per quanto concerne la responsabilità degli intervenuti (guide e accompagnatori, ma anche amministratori e servizi statali), sia per quanto riguarda l’affidabilità degli strumenti di ausilio alla decisione (CLPA e piani urbanistici), e questo lo espone spesso a critiche. Malgrado venga frequentemente rimproverato per conclusioni perentorie e non realiste, per svolgere pienamente il suo ruolo di ausilio nella decisione giudiziaria, il perito giudiziario deve restare un tecnico obiettivo e professionale. Ma il perito non è soltanto tenuto a constatare e criticare, può anche svolgere un ruolo a posteriori. In questo senso, in Francia, la tragedia di Montroc-Chamonix ha comportato, soprattutto sulla base delle constatazioni 107 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 peritali, una revisione delle procedure di elaborazione delle carte e delle zone soggette al pericolo di valanghe, alla quale sono stato chiamato. Il perito ha quindi anche una forza di proposta. Richard Lambert è perito di nivologia iscritto all’albo nazionale dei periti presso la corte d’appello di Chambéry (Savoia, Francia) e ricercatore associato al laboratorio EDYTEM-CNRS UMR 5204 – Université de Savoie 108 Lawinen und Recht Befundaufnahme beim Lawinenunfall: was soll, was muss erhoben werden? Rudi Mair 1 Einleitung Ein fundierter, umfassender, sorgfältig und objektiv erhobener Befund ist die wesentliche, unerlässliche Grundlage für ein eventuell zu erstellendes Sachverständigengutachten zum Thema «Lawinenunfall.» Der Lawinenwarndienst Tirol nimmt seit 15 Jahren die Befunde praktisch aller relevanten Lawinenunfälle in Tirol auf, unabhängig von einem richterlichen Auftrag. Die Befundaufnahme erfolgt dabei zumeist in enger Zusammenarbeit mit der Alpinpolizei. Diese Befunde bilden die wesentliche Grundlage für die Dokumentation der Lawinenunfälle im jährlich erscheinenden Bericht «Schnee und Lawinen» und werden (bei entsprechendem Auftrag) an die Gerichte weitergeleitet. Auf Grund dieser routinemäßig ständig durchgeführten Erhebungen (bisher mehr als 500 Befundaufnahmen von Lawinenunfällen!) haben sich dabei gewisse Standards herausgebildet, die im Folgenden kurz skizziert werden. 2 Erhebungen Bei Lawinenunfällen werden die folgenden allgemeinen Erhebungen durchgeführt: – Genaue Beschreibung der Örtlichkeit mit digitalen Karten und Orthofotos (Abb. 1) – Wetter- und Lawinenlageberichte in der Woche vor dem Unfall – Witterungsverlauf im bisherigen Winter (wichtig für die sachkundige Interpretation der Schneedeckenuntersuchungen) – Karten- und Führerliteratur (wie wird die Tour dort beschrieben?) – Sonstige Berichte zur gegenständlichen Tour (in Alpinzeitschriften usw.) Die Erhebungen vor Ort werden, wenn möglich, am Unfalltag, spätestens aber am nächsten Tag durchgeführt, da ansonsten wichtige Beobachtungen oft nicht mehr mit der nötigen Genauigkeit erfolgen können bzw. zeitlich nicht mehr exakt zuordenbar sind oder wichtige Anzeichen durch das Wetter «verwischt» werden (was ohnehin nie ganz verhindert werden kann). – Hubschrauberflug: optimal zur Bestimmung der regionalen Lawinensituation und für Übersichtsbilder (Abb. 2) – Aufstieg bzw. Abfahrt entlang der (vermutlich) gewählten Route: vor allem zur Bestimmung der örtlichen Lawinensituation (Windzeichen, alte Lawinenabgänge usw.) und des an die Lawine angrenzenden Geländes («Was kann man sehen?») – genaue Vermessung der Lawine: Art der Lawine, Länge, Breite, Form, Sturzbahn, Topographie, Anrissmächtigkeiten, Höhenangaben, Neigungen (Durchschnitt, im Anrissgebiet, in der Sturzbahn, im Auslauf, steilste Stelle im Hang usw.) (Abb. 3) – Schneeprofile (wenn möglich, an mehreren Stellen), kombiniert mit Stabilitätstests (wir verwenden derzeit bevorzugt den Kompressionstest) (Abb. 4) Oberste Prämisse ist es in jedem Fall, den Befund so objektiv und detailliert zu erstellen, dass dieser auch von einen Gutachter, der nicht mit der Befunderstellung betraut war, als Grundlage seiner Arbeit herangezogen werden kann. 3 Schluss Die Vorteile eines professionellen, durch den Lawinenwarndienst erstellten Befundes liegen klar auf der Hand: Der Lawinenwarndienst verfügt über einen Erfahrungsschatz aus hunderten Befunden während vieler Jahre. Man kann auf hohe Fachkompetenz vertrauen und darauf, dass sich der Sachverständige laufend weiterbildet und neue Techniken für seine Arbeit heranzieht. Ein nicht unwesentlicher Vorteil des Lawinenwarndienstes liegt auch darin, dass er über sämtliche relevanten Daten (meteorologische und nivologische Daten, Lawinenchroniken, Gefahrenzonenpläne, Meldungen über beobachtete Lawinenabgänge, Sprengerfolge usw.) verfügt und diese nicht erst mühsam angefordert werden müssen. Darunter fallen natürlich auch ausgezeichnetes aktuelles Fotomaterial und die Ergebnisse von Schneedeckenuntersuchungen und Stabilitätstests, da die Erhebung von Lawinenunfällen sowie die laufende Erkundung der allgemeinen Lawinensituation Standardmaßnahmen des Lawinenwarndienstes sind. Allerdings habe ich in jüngster Zeit beobachtet, dass nach Lawinenunfällen mehr Juristen als Lawinenexperten vor Ort waren. Dazu wäre aber jedenfalls kritisch anmerken, dass die Befundauf- 109 Abb. 1: Orthofoto Lawienenunfall Obergurgl. 110 So llb ac hr inn er La ttl wi ss Ma r ch rin ner Law rL ine ine är en ine B aw aw ne rL rin ne ch rin ar r ch eM Ma er er e ne er e eg ge ite r n La wi ne n Le Alp I nn Mi Äu ri nn er La w in e Flächenangaben (gerundet): L1: 767.000 m2 L2: 109.000 m2 L3: 11.000 m2 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Lawinen und Recht Abb. 2: Übersichtsbild Lawinenunfall Obergurgl. Abb. 3: Befundaufnahme am Lawinenanriss. 111 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 nahme eines Lawinenunfalles grundsätzlich eine naturwissenschaftliche und keine juristische Aufgabenstellung ist. Als Leitsatz diesbezüglich schlage ich den folgenden Satz von Platon vor: Jeder möge die Kunst ausüben, die er auch versteht! Abb. 4: Schneeprofil. 112 Dipl. Met. Rudi Mair ist Leiter des Lawinenwarndienstes Tirol in Innsbruck und Gerichtssachverständiger für Meteorologie, Lawinenkunde, Lawinenunfälle und Lawinenschutz. Lawinen und Recht Résumé: Constat d’accident d’avalanche: Que devrait-on, que doit-on relever? Un constat fondé, complet, rédigé de manière soignée et objective est la base essentielle indispensable permettant de dresser éventuellement un rapport d’expertise en matière d’accident d’avalanche. Indépendamment de tout mandat juridique, le service des avalanches du Tyrol enregistre depuis 15 ans les constats de pratiquement tous les accidents d’avalanche significatifs survenus au Tyrol. Dans la plupart des cas, le constat est dressé en étroite collaboration avec la police des Alpes. Ces constats forment la base essentielle de la documentation sur les accidents d’avalanches dans le rapport «Neige et avalanches» publié chaque année et sont (en cas de demande correspondante) transmis aux tribunaux. Ces relevés effectués régulièrement ont permis de mettre au point diverses normes décrites brièvement ci-après. Relevés généraux: – Descriptions précises du lieu au moyen de cartes numériques et d’orthophotos – Bulletins sur la situation météorologique et avalancheuse de la semaine précédant l’accident – Evolution météorologique de la saison hivernale en cours (important pour l’interprétation par les experts des analyses du manteau neigeux) – Documentation sous forme de cartes et de guides (comment la randonnée y est-elle décrite?) – Autres rapports sur la randonnée en question (dans les magazines des Alpes, etc.) Relevés sur le terrain: Les relevés sur le terrain seront effectués si possible, le jour de l’accident et au plus tard le lendemain, car par la suite les observations importantes ne peuvent plus se faire avec la précision nécessaire ou ne peuvent plus être classées exactement, ou les indices importants peuvent avoir été «effacés par le temps» (ce que, de toute façon, on ne peut pas empêcher totalement). – Survol en hélicoptère: solution optimale pour déterminer la situation de l’avalanche dans un espace étendu et pour prendre des photos donnant une vue générale – Ascension ou descente le long de l’itinéraire (vraisemblablement choisi): surtout pour déterminer la situation avalancheuse locale (traces du vent, anciennes avalanches, etc.) et de la zone contiguë à l’avalanche («que peut-on voir?») – Mesure précise de l’avalanche: type d’avalanche, longueur, largeur, forme, trajectoire, topographie, hauteur de décrochement, indications d’altitude, déclivités (moyenne, dans la zone de décrochement, dans la trajectoire, dans la zone de dépôt, dans la partie la plus raide de la pente, etc.) – Profils stratigraphiques (si possible à plusieurs endroits), combinés avec des tests de stabilité (nous utilisons actuellement de préférence des tests de compression) La priorité absolue est dans tous les cas de rédiger le constat de manière objective et détaillée pour que celui-ci puisse également être utilisé par un autre expert (qui n’a été chargé de dresser le constat). service des avalanches du Tyrol à Innsbruck et expert devant les tribunaux en matière de météorologie, de science des avalanches, d’accidents d’avalanche et de protection contre les avalanches. Riassunto: Accertamenti in seguito a un incidente da valanga: cosa deve essere accertato? Un accertamento fondato, completo, accurato e obiettivo rappresenta una base importante ed essenziale per la redazione di un’eventuale perizia sul tema «incidente da valanga». Il servizio prevenzione valanghe del Tirolo esegue praticamente da 15 anni gli accertamenti di tutti i più importanti incidenti da valanga che si verificano in Tirolo, indipendentemente da un incarico giudiziario. Nella maggior parte dei casi le operazioni di accertamento avvengono in stretta collaborazione con la polizia alpina. Questi accertamenti costituiscono un importante fondamento su cui basare la documentazione degli incidenti da valanga che viene pubblicata ogni anno nel rapporto «Neve e valanghe» e che viene trasmessa (su espressa richiesta) ai tribunali. Sulla base di questi accertamenti eseguiti abitualmente, sono stati sviluppati determinati standard che verranno delineati brevemente qui di seguito. Accertamenti generici – Esatta descrizione della località con cartine digitali e ortofoto – Bollettini meteo e delle valanghe pubblicati nella settimana che ha preceduto l’incidente – Andamento della condizioni meteorologiche dell’inverno in corso (importante per un’interpretazione competente dei rilevamenti sul manto nevoso) – Materiale cartografico e guide turistiche (come viene descritta l’escursione su tali guide?) – Altre relazioni sull’escursione in oggetto (nelle riviste alpine, ecc.) Accertamenti sul posto Gli accertamenti sul posto vengono fatti, se possibile, nello stesso giorno in cui si è verificato l’incidente, al massimo tuttavia nel giorno successivo, altrimenti non è più possibile effettuare o stabilire cronologicamente con la necessaria precisione una serie di importanti osservazioni. Inoltre, il tempo può cancellare importanti indizi (cosa che non sempre è possibile evitare) – Sorvolo con l’elicottero: soluzione ottimale per determinare la situazione valanghiva complessiva e per scattare fotografie panoramiche – Salita e discesa lungo il (presunto) sentiero percorso: soprattutto per determinare la situazione valanghiva locale (tracce del vento, precedenti distacchi, ecc.) e quella del terreno confinante con quello in cui si è verificata la valanga («cosa è possibile vedere?») – Rilevamento preciso della valanga: tipo di valanga, lunghezza, larghezza, forma, traiettoria, topografia, spessore della frattura, altitudine, inclinazioni (media: nella zona di distacco, nella traiettoria, nella zona di accumulo, punto più inclinato del pendio, ecc.) Rudi Mair, météorologiste diplômé, est le directeur du 113 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 – Profili stratigrafici (se possibile, in più punti), in combinazione con test di stabilità (attualmente utilizziamo di preferenza il test di compressione) In ogni caso, la condizione fondamentale è quella di effettuare l’accertamento in modo obiettivo e dettagliato, in modo che possa essere utilizzato anche da un perito che non si è occupato dell’accertamento. Il meteorologo Rudi Mair è direttore del servizio prevenzione valanghe del Tirolo a Innsbruck e perito legale nei settori meteorologia, nivologia, incidenti da valanga e opere di protezione contro le valanghe. 114 Lawinen und Recht Le régime francais de la responsabilité pénale appliquée aux accidents de montagne et d’avalanche Anne Manoha Les régions dans lesquelles nous vivons concentrent des risques qualifiés en France de «majeurs». La montagne porteuse de nos rêves d’évasion et de liberté est aussi une mangeuse d’hommes: les lacs, les torrents et les rivières nous apportent régulièrement leur lot de noyades, inondations, dévastations et la neige peut se transformer en linceul. Sans oublier le nombre considérable d’ouvrages des hommes qui, comme les tunnels ou les remontées mécaniques, peuvent se révéler meurtriers. Aujourd’hui, l’afflux des touristes sur nos pentes, moins expérimentés, plus impatients, plus prétentieux, que les gens de montagne qui savent sans le moindre sentiment de honte retarder, reporter ou renoncer, le caractère occasionnel de la pratique de leur sport, la civilisation moderne qui veut que tout soit à la portée de tous et pour un risque zéro, a profondément modifié notre approche des dangers de la montagne. Les hommes n’ont pas plus qu’avant de prise sur la cause naturelle de leurs malheurs alors que les nouveaux modes d’occupation engendrent des catastrophes de grande ampleur telles que l’inondation du Grand Bornand, l’avalanche de Montroc, l’incendie du tunnel du Mont-Blanc pour ne parler que de graves événements français. La mise en cause retentissante de responsables dénommés les «décideurs», quelquefois très en amont de l’élément déclenchant: les maires, les directeurs d’écoles, les préfets et dans notre domaine les directeurs de stations et de la sécurité des pistes de ski a créé un sentiment de dérive judiciaire bien exagéré quand on examine le nombre restreint de cas soumis aux tribunaux correctionnels et encore plus le nombre de condamnations. C’est en considération de ces mouvements d’indignation que les députés français ont modifié par une loi du 10 juillet 2000 les règles de la responsabilité involontaire pénale pour rendre plus difficile leur mise en cause. En vertu du principe constitutionnel d’égalité des citoyens devant la loi, il a été impossible de dire clairement et ouvertement qu’on souhaitait mettre toute une catégorie de personnes, à l’abri quasi certain de toute mise en cause. C’est pourquoi, d’une part la loi du 10 juillet 2000 a été rédigée en termes suffisamment généraux pour qu’elle s’applique à tous et d’autre part que demeure la possibilité de démontrer une faute, laissée à l’appréciation des juges. Le domaine de la responsabilité involontaire en montagne qui nous intéresse vis à vis des maires et responsables des pistes, des guides et accompagnateurs de montagne, donne lieu à une jurisprudence fournie dans les cours d’appel de CHAMBERY et de GRENOBLE sur le ressort desquelles se trouvent les domaines de ski et d’alpinisme français les plus vastes et plus fréquentés. En préalable quelques notions juridiques indispensables Une règle générale du droit pénal français est que «nul n’est responsable pénalement que de son propre fait» et qu’«il n’y a point de crime ou de délit sans intention de le commettre». Cependant, un certain nombre de faits graves ou aux graves conséquences ont toujours eu comme corollaire d’engager la responsabilité pénale de leur auteur et le code pénal distingue la responsabilité de faits volontairement causés de ceux involontairement causés. La loi a toujours retenu la responsabilité pénale «en cas de faute d’imprudence, de négligence ou de manquement à une obligation de prudence ou de sécurité prévue par la loi ou le règlement, s’il est établi que l’auteur des faits n’a pas accompli les diligences normales»: c’est la première proposition de l’article 121–3 du nouveau code pénal, responsabilité involontaire désormais qualifiée de directe. La loi du 10 juillet 2000 a introduit une nouvelle notion inscrite dans le même article: «les personnes physiques qui n’ont pas causé directement le dommage mais qui ont créé ou contribué à créer la situation qui a permis la réalisation du dommage ou qui n’ont pas pris les mesures permettant de l’éviter sont responsables pénalement s’il est établi qu’elles ont soit violé de façon manifestement délibérée une obligation particulière de prudence ou de sécurité prévue par la loi ou le règlement soit commis une faute caractérisée et qui exposait autrui à un risque d’une particulière gravité qu’elles ne pouvaient ignorer»: c’est la définition d’une responsabilité pénale involontaire et indirecte. L’interprétation de ce texte pose plusieurs questions: – le lien de causalité entre la faute et le dommage est-il direct ou indirect? – la faute issue d’un lien indirect est-elle caractérisée? – le risque était-il connu de l’auteur? 115 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 1 Responsabilité directe ou indirecte? 1.1 Le mécanisme de détermination de la responsabilité pénale pour homicide ou blessures involontaires: Avant la loi du 10 juillet 2000, il était assez simple: il fallait prouver que l’auteur présumé avait commis une faute d’imprudence ou de négligence et que cette faute avait un lien de cause à effet avec le dommage subi. Il est vrai que les juges conservaient une totale liberté pour qualifier le comportement de ceux qui leur étaient déférés. Soit il y a violation d’une loi ou d’un règlement et les choses sont simples, soit il n’y a pas de loi ni de règlement et c’est toute la question qui nous occupe en matière d’accidents de montagne: il faut alors se référer à la normalité «compte-tenu notamment de la nature des missions ou des fonctions ou des compétences» de l’auteur et encore «des moyens dont il disposait». La loi du 10 juillet 2000 a comme objectif d’encadrer la liberté d’appréciation des juges, et de rendre plus difficile la démonstration d’une faute à l’encontre d’un auteur certes maillon de la chaîne qui a abouti à l’accident, mais auteur non direct de celui-ci. La loi donne au juge des éléments de critères et si on lit rapidement l’article 121-3, tout paraît simple: «celui qui n’a pas causé directement le dommage mais qui a créé ou contribué à créer la situation qui a permis la réalisation du dommage» est auteur indirect. Des situations de fait viennent immédiatement à l’esprit: est directement responsable de blessures involontaires: – le conducteur automobile qui franchit un panneau stop et provoque un accident. – ou le guide qui se trompe d’itinéraire. est indirectement responsable: – le maire président de la commission de sécurité qui vérifie la conformité des installations des établissements scolaires, commission qui n’a pas exigé la fixation des cages de football dans la cour d’un collège: un collégien s’accroche aux barres et la cage l’écrase en tombant. – ce même maire sera aussi indirectement responsable s’il est alerté sur une situation de danger potentiel mais s’il n’intervient pas. – Mais la question est la plupart du temps beaucoup moins simple et plus les cas soumis aux tribunaux sont nombreux, plus les magistrats doutent de la définition à retenir. Je vous invite à faire l’exercice à propos de cas que vous connaissez et à déterminer ce qui ressort de l’une ou l’autre responsabilité en énonçant le ou les critères qui vous font vous déterminer. 116 – In fine l’enjeu n’est pas mince car le régime de consécration de la responsabilité pénale est totalement différent que l’on détermine un lien direct / indirect. 1.2 Les critères de différentiation: – la faute directe est la cause déterminante du dommage: le cas est simple quand on juge l’auteur qui «soit a heurté ou frappé la victime soit aura initié ou contrôlé le mouvement d’un objet qui aura heurté ou frappé la victime». Elle est moins évidente si on retient que la faute est directe soit lorsqu’elle est la cause unique et exclusive, soit la cause immédiate ou déterminante de l’atteinte à l’intégrité physique. – la faute indirecte est encore plus difficile à définir ce que les débats parlementaires ne sont pas parvenus à faire. On a essayé de trouver des critères généraux: tel que l’a fait la cour d’appel de PARIS (arrêt du 4 décembre 2000)qui définit la faute indirecte comme «celle ayant créé la situation à l’origine du dommage sans que l’auteur ait lui-même porté physiquement atteinte à la victime», définition quasiment reprise par la Cour de cassation. Ou encore: les auteurs indirects seraient ceux qui donnent les ordres et les auteurs directs ceux qui les exécutent: ce critère a pour conséquence une injustice criante puisque les exécutants (les lampistes) sont ceux pour lesquels la détermination de la faute sera la plus facile alors que ceux qui sont à l’origine de la décision qui a occasionné le dommage, seront plus facilement à l’abri de poursuites. Le cas d’espèce qu’on peut citer mais qui a donné lieu à double condamnation est celui d’un accident survenu dans une station de ski où une dameuse a écrasé un enfant sur une piste: le conducteur de la dameuse a été condamné comme auteur direct mais le maire comme auteur indirect, comme n’ayant pas réglementé la circulation de ces engins sur les pistes CC Crim 9 octobre 2001. – il y aurait encore auteur direct dans le cas d’une action et auteur indirect dans le cas d’une omission: ce critère colle effectivement souvent à la réalité, ce sera le cas du maire qui n’a pas donné suite à des mises en garde ( voir la même espèce). La difficulté à définir un critère général, conduit, ainsi que le fait la cour de cassation, à statuer cas par cas. Lawinen und Recht Exemples de situations où il a été difficile de déterminer la nature du lien de causalité: – quelle est l’origine du dommage: En règle générale, on retient que la cause directe du dommage est l’événement qui est à son origine: la rupture d’une plaque de neige dans la cas de l’avalanche de la Crête du LAUZET, d’une corniche pour l’avalanche de MONTROC, le lâcher d’eau pour le drame du DRAC. Dans ces cas, l’origine est un phénomène souvent naturel ou en tout cas dans lequel la responsabilité de quiconque n’est pas en cause, alors qu’elle est recherchée ailleurs dans une intervention humaine: sera mise en accusation l’intervention du guide présent sur le terrain, du maire pendant la gestion de la crise, de ceux qui ont préparé la sortie où est survenu un accident. Mais si, dans ces cas, il n’y a pas de doute sur le lien indirect entre l’événement et la faute recherchée, tel n’est pas toujours le cas: – un guide organise une course avec de jeunes stagiaires, il est seul en tête et pose les relais, les cordées des jeunes déjà bien entraînés montent à sa suite: un relais lâche et une cordée bascule dans le vide: quelle est l’origine de l’accident? La rupture du relais? Cause naturelle: le rocher sur lequel il était posé s’est arraché. Ou la faute du guide qui a mal fixé ce relais ou qui ne l’a pas doublé? Pour le tribunal de Bonneville 29 avril 2003 et la cour d’appel de Chambéry 9 février 2005, c’est la rupture du relais qui est à l’origine directe de l’accident, la faute du guide n’étant à envisager que sous l’angle de la responsabilité indirecte. Ca n’était pas l’avis du Procureur de la République qui estimait que le guide avait engagé directement sa responsabilité. Dans cette espèce d’ailleurs le guide a été relaxé. – deux élèves parapentistes évoluent sur un même site, guidés du bas par leur moniteur respectif, l’un d’eux heurte l’autre, chute et décède. Pour le tribunal de Bonneville 21 juillet 2005 (jugement soumis à la cour d’appel), la faute des moniteurs restés au sol est indirecte, pour le Procureur de la République elle est directe: les parapentistes accrochés à leur voile et guidés par radio ne sont que «des marionnettes accrochées à un fil» et leur évolution dépend des instructions données à distance. Pour le tribunal c’est précisément cette distance qui interdit au moniteur toute action directe sur le comportement de son élève qui a une autonomie certaine (ce serait différent en matière de conduite en auto-école où le moniteur a une possibilité d’action directe par la double conduite). – la difficulté a été particulièrement nette dans l’affaire de l’incendie du Tunnel du Mont-Blanc (jugement du tribunal de Bonneville du 27 juillet 2005 soumis à la cour d’appel) où il y avait une pluralité d’auteurs et une combinaison des actions ou omissions ayant amené la catastrophe. En effet, il a fallu distinguer au niveau des causes celles étrangères à l’exploitation du tunnel (l’origine du feu du camion et l’attitude du chauffeur), les causes liées à l’exploitation du tunnel (la prévention et la prévision de l’incendie) et celles liées à la gestion du sinistre. Pour certains prévenus la qualification de faute indirecte était simple: ceux qui avaient des fonctions de direction générale ou de contrôle dans des instances administratives ou pour le maire de CHAMONIX. Pour d’autres elle l’était moins et notamment il était plus difficile de retenir une faute directe qui engageait plus facilement la responsabilité pour ceux qui avaient un rôle de direction ou de gestion mais qui étaient présents sur les lieux le jour du drame et n’auraient pas pris les bonnes décisions ou encore pour ceux qui avaient un rôle actif à jouer à partir de la mise en alerte du système de sécurité, mais dont les manquements provenaient aussi d’un manque de conscience professionnelle (régulateur français). Le Procureur de la République avait proposé de choisir comme critère celui de la proximité ou de l’éloignement temporel du sinistre: cette position avait le mérite de la facilité mais ne collait pas parfaitement à la situation car comme je viens de le dire, pour certains présents le jour même du sinistre, plusieurs fautes plus ou moins directes pouvaient être retenues. Aussi le tribunal a-t-il dû se livrer à une analyse plus fine et a donné une seule définition, celle de la faute directe comme étant »toute action ou abstention postérieure à l’apparition des fumées dégagées par le véhicule à l’origine du sinistre, ayant eu pour effet immédiat d’exposer aux fumées, les personnes décédées ou de les empêcher de s’en abstraire». Le critère est donc celui de l’action ayant eu un effet immédiat. On a ainsi retenu quelquefois des fautes directes et indirectes contre la même personne. La difficulté vient souvent de l’existence d’une pluralité d’auteurs: l’automobiliste qui brûle un feu, renverse un cycliste lequel se fait écraser par un véhicule qui circule normalement, ou d’une pluralité de causes: le nettoyage d’une canalisation avec un produit qui occasionne le décès de l’occupant d’un appartement voisin CC crim 10 janvier 2001: condamnation du gérant de la société qui exploitait le brevet du produit et n’avait pas signalé ses dangers. 117 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 On constate que les Parquets se placent souvent d’emblée sur le terrain de la responsabilité indirecte tout comme la cour de cassation, mais la détermination de la nature du lien de causalité n’est pas anodine car elle oriente les juridictions selon qu’on a ou non la volonté de voir prononcer des condamnations. A l’inverse, on peut dire aussi que prendre en compte une responsabilité indirecte n’est pas seulement se soucier de faire échapper certains à une condamnation mais aussi d’élargir le champ des recherches de responsabilité et notamment de remonter la chaîne pour aboutir à renvoyer devant les tribunaux des personnes qu’on aurait auparavant hésité à mettre en cause. La loi consacre désormais le principe du lien de causalité ténu pouvant donner lieu à répression. Mais cette aggravation envisageable du champ des poursuites est largement tempérée par l’exigence de la mise en évidence d’une faute caractérisée dont il nous revient, avec tout autant de difficultés, de définir les contours. 2 La faute caracterisée Là encore la loi est muette et ni les débats parlementaires, ni la circulaire d’application qui s’empêtrent dans des paraphrases et des concepts loin de toute idée pratique, ne sont d’une grande aide pour les juges. Le terme utilisé de «caractérisée» nous paraît particulièrement inadapté tant il est vrai que dès lors que les juges retiennent une faute, ils doivent justifier leur décision et donc décrire la faute et dire en quoi elle est suffisamment grave pour mériter une sanction pénale: ils caractérisent donc la faute en tout état de cause. Tout le monde s’accorde pour dire que l’esprit de la loi du 10 juillet 2000 est de rendre plus difficile la détermination d’une faute et donc de ne retenir pour les auteurs indirects qu’une faute grave, d’une particulière évidence, densité, faute constante correspondant à un comportement blâmable, inadmissible (CA POITIERS 2 février 2001). A défaut de donner une définition de la faute caractérisée, on a dit ce qu’elle n’était pas: ni une faute simple, ni une faute fugace, ni une faute fugitive (l’expression poussière de faute a été employée): il faut dire que bien que les parlementaires se soient indignés sur la possibilité de mettre en accusation les auteurs de telles fautes, l’illustration n’a été faite par aucune décision ayant abouti à une condamnation d’un auteur indirect pour une poussière de faute. Mais tout le monde s’accorde aussi pour dire qu’il ne s’agit ni d’une faute inexcusable ni d’une faute intentionnelle qui permettrait de mettre scanda- 118 leusement à l’abri de toute poursuite des personnes considérées comme ayant une part de responsabilité. Alors qu’est-ce que la faute caractérisée? Pour la cerner, il faut se référer à la jurisprudence car là encore les tribunaux sont entièrement libres. La cour d’appel de LYON dans l’affaire du DRAC (CA LYON 28 juin 2001) avait retenu comme définition: un manquement caractérisé à des obligations professionnelles essentielles ou une accumulation d’imprudences ou de négligences témoignant d’une impéritie prolongée. Le tribunal de BONNEVILLE toujours dans l’affaire de l’incendie du Tunnel du Mont-Blanc a estimé qu’une faute était caractérisée dans un contexte général: – soit d’accumulation de fautes d’imprudence ou de négligence, – soit d’indifférence ou de manquement de rigueur grave face aux questions de sécurité caractérisant une impéritie prolongée. Mais la plupart du temps, les juges ne définissent pas la faute caractérisée: ils affirment qu’elle l’est ou ne l’est pas en fonction du contexte. Nous pensons que malgré ce qu’on a pu dire, la loi n’a pas changé l’appréciation des juges, les obligeant seulement à motiver de façon plus précise leurs décisions. Je vous propose donc d’examiner un certain nombre de décisions rendues dans le domaine des accidents en milieu montagnard, avant et après la loi pour donner une idée des tendances jurisprudentielles. Nous examinerons le cas des professionnels, et des maires, sachant que des particuliers peuvent eux aussi être jugés dans ce cadre légal. 2.1 les professionnels Il s’agit des guides et accompagnateurs mais aussi des responsables des services de l’entretien et de la sécurité des pistes. Dans ces espèces vous remarquerez que la faute est adaptée au rôle de chacun compte-tenu de sa compétence, de son expérience et des moyens dont il dispose. A ces professionnels on demande d’être attentif à la préparation tout autant, qu’à la conduite d’une sortie; et dans le cas des maires d’utiliser à bon escient leur propre expérience de la montagne ou celle de leurs conseillers. a) les guides: – dans l’affaire de l’avalanche de la Crête du LAUZET le guide a été reconnu pénalement responsable de la mort des enfants et professeurs emportés par une avalanche lors d’une sortie Lawinen und Recht – – – – en raquettes, le tribunal a retenu la manoeuvre imprudente de cette personne dont il a en préalable relevé «son grand professionnalisme» et sa position de «leader incontesté de la sortie», passant à deux reprises sur une plaque à vent dont il a ainsi provoqué la rupture. deux arrêts de la cour d’appel de CHAMBERY à propos d’accidents survenus dans l’ascension du Mont-Blanc rappellent les règles évidentes applicables à un responsable de cordée en montagne: celui en date du 19 décembre 2001 déclare responsable le guide qui laisse deux jeunes gens de 16 et 17 ans seuls sur une pente de neige dure alors qu’il ne peut le faire que «pour porter assistance ou chercher du secours auquel cas il doit organiser la sécurité des personnes dont il la charge par tous les moyens à sa disposition» celui en date du 16 janvier 2002 particulièrement sévère pour le guide qui «commet une faute exceptionnellement lourde», en acceptant qu’un membre de sa cordée inexpérimenté, revienne seul au refuge en raison de son état de fatigue, dans la nuit et malgré une température particulièrement basse, en empruntant à la descente un itinéraire rendu difficile par une neige dure et glacée qui exigeait la mise en oeuvre d’une technique de cramponnage affirmée. La CA CHAMBERY 11 juin 1997 relaxe un guide faisant pratiquer le ski hors piste à ses clients dans un secteur avalancheux alors que les conditions météorologiques n’étaient pas favorables et sans prendre les précautions utiles à une intervention en cas d’accident (qui s’est réalisé puisqu’un skieur a été emporté par une avalanche). La cour relève que si le bulletin météorologique mentionnait un risque 3 le but de ces bulletins n’est pas d’interdire la pratique en montagne mais de fournir des éléments d’appréciation des conditions de cette pratique, que l’itinéraire emprunté par le guide était conforme aux risques de la pente, ce que n’était pas celui emprunté par la victime et que l’absence d’ARVA n’a rien changé puisque la victime a été immédiatement localisée. Seule l’absence de pelle pouvait être retenue contre le guide mais n’a pas paru suffisante à la cour pour retenir une faute pénale. Le comportement de la victime est souvent pris en compte pour aboutir à la relaxe: – dans un arrêt antérieur à la loi du 10 juillet 2000 la cour d’appel de CHAMBERY a relaxé un moniteur de ski qui faisait faire du ski hors piste à sa cliente à Val d’Isère, laquelle était tombée dans une tine naturelle et était décédée asphyxiée par la neige: elle a considéré qu’il n’y avait pas en l’espèce de risque ni météorologique d’avalanche, ni topographique et que la skieuse était performante et douée d’«une intelligence lui permettant d’apprécier son environnement et de mesurer les risques» et que seule la faute technique qu’elle avait commise était la cause de l’accident. CA CHAMBERY 29 octobre 1997. – la cour d’appel de GRENOBLE dans un arrêt du 28 mai 1998 dans une espèce où lors d’une sortie en surf encadrée par trois guides dans le secteur des vallons de la Meije, un jeune surfeur était tombé et au lieu d’attendre le groupe sur la piste ou à l’arrivée de la remontée mécanique, était parti seul, franchissant la corde matérialisant le domaine skiable sécurisé et s’était perdu pour finalement sauter une barre rocheuse et décéder: les poursuites n’étaient pas engagées sur le fondement de la responsabilité involontaire mais sur celui de la non assistance à personne en danger mais les mêmes attendus qui ont abouti à la relaxe des guides auraient pu être utilisés: le secteur emprunté était sécurisé et fréquenté, le groupe était resté sur la piste où le surfeur avait chuté et était censé se trouver, «personne n’aurait pu raisonnablement imaginer le comportement de la victime». b) les responsables de l’entretien des pistes: – la Cour d’appel de CHAMBERY le 18 mars 1998 a condamné les exploitants du domaine skiable situé en haute montagne mais sécurisé, sur le Glacier des Géants, à propos d’un accident survenu à une skieuse qui empruntant une piste balisée, était tombée, avait dépassé la limite de la piste et était tombée dans une crevasse pour avoir commis une faute d’imprudence et de négligence «en ne disposant pas des protections empêchant la chute dans une crevasse où la piste skiable, de moyenne difficulté, pouvait néanmoins conduire tout naturellement et du seul fait de sa pente un skieur ayant chuté». – la cour d’appel de GRENOBLE a condamné par arrêt du 25 février 1998 la personne morale qui exploitait le domaine skiable de la station de l’Alpe d’Huez et deux de ses préposés à propos de quatre avalanches intervenues simultanément le 1 janvier 1996 sur la piste noire de Sarenne qui avaient emporté plusieurs skieurs. Il était reproché de ne pas avoir malgré des conditions météorologiques favorisant la formation de plaques à vent et malgré les résultats négatifs des exercices de purge à l’explosif la veille, tenté un nouveau déclenchement préventif de la plaque avant l’ouverture de la piste, ce que la cour d’appel a qualifié d’erreur d’appréciation. Cette faute a été retenue à l’encontre de la personne morale mais aussi de ses préposés le directeur des pistes et le chef du secteur de Sarenne 119 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 «pour avoir pris d’un commun accord la décision fautive d’ouvrir la piste». Nous verrons que dans une autre espèce la même erreur d’appréciation n’a pas été retenue comme constituant une faute. – Dans ce domaine, le comportement de la victime est aussi un élément d’appréciation: la Cour d’appel de CHAMBERY dans un arrêt du 12 janvier 1998 a relaxé le chef des pistes de VALMEINIER suite à un accident survenu sur une piste de ski fermée mais cependant empruntée par des skieurs sans qu’on ait pu déterminer si la victime avait forcé le barrage par croisillons de la piste. Les juges ont estimé que cette circonstance importait peu dès lors que la victime aurait pu et dû voir que le terrain de la piste n’était pas skiable. 2.2 Les maires En FRANCE, les maires sont responsables en vertu de leurs pouvoirs de police non délégables pour les accidents dont ils auraient dû prévoir la survenance ou prévenir les conséquences. Le maire dispose de pouvoirs de police accompagnés de moyens très étendus. Ainsi que le rappelle la cour d’appel de GRENOBLE, il ne lui est pas demandé d’effectuer lui-même les tâches qui lui reviennent mais de prescrire aux personnes qui y sont assujetties, d’accomplir les mesures concrètes correspondantes – dans une affaire où un skieur avait trouvé la mort à la suite d’une sortie de piste et d’une chute d’une barre rocheuse le maire est condamné aux motifs qu’il a pris un arrêté d’ouverture de la station sans vérifier sur le terrain le respect des règles de balisage des pistes et de signalisation des endroits dangereux (Cass crim 9 octobre 2001). Même solution dans l’affaire de la dameuse où il lui a été reproché de ne pas avoir réglementé l’accès aux pistes. – dans l’affaire de Montroc, le maire président du comité consultatif sécurité et avalanche a porté la responsabilité des fautes commises par les membres de ce comité auquel il ne pouvait aucunement déléguer ses pouvoirs de police: ainsi ont été relevés comme concourant à la faute caractérisée: l’absence d’examen des cartes d’avalanches sur lesquelles figurait le tracé de l’avalanche, une défaillance dans l’organisation des mesures de prévention du risque: absence de planification des mesures d’évacuation, absence d’étude du terrain, absence d’alerte notamment des touristes ignorant le risque alors que les moyens existaient. Mais il a aussi été reproché au maire sa propre faute celle «de ne pas avoir pris les mesures adaptées à la gravité de la situation». 120 En ce qui concerne les aménagements des sites: dans une affaire où un adolescent était décédé dans l’ascension d’une cascade de glace, le maire a été condamné pour un défaut d’équipement du site. CA CHAMBERY 5 janvier 2000. Mais la responsabilité de la commune peut être engagée en parallèle en tant qu’exploitant du domaine skiable ou de montagne. – la cour de cassation a cassé un arrêt de la cour d’appel de CHAMBERY à propos d’un accident avalancheux survenu le 23 février 1996 sur une piste de ski de fond à Val d’Isère où des skieurs avaient été ensevelis. Etait posée à la fois la question de la responsabilité du maire disposant des pouvoirs de police et qui n’avait pas ordonné la fermeture de la piste et celle de la responsabilité de la commune en tant qu’exploitant du domaine skiable pour la même omission: la cour de cassation estime que la première n’est pas exclusive de la seconde et que la commune peut voir sa responsabilité engagée en ce cas. Dans les faits, la faute caractérisée est celle qui intervient en cas d’absence de mesures de sécurité, défaut de formation, défaut d’information, défaut de surveillance, défaut d’organisation et de coordination et dans la plupart des cas on relève simultanément plusieurs de ces carences. Dernier paramètre de la responsabilité indirecte: la personne mise en cause doit avoir exposé la victime à un risque d’une particulière gravité qu’elle ne pouvait ignorer. 3 La connaissance du risque L’examen de cette question sera plus rapide car en règle générale, les sports de montagne comportent par eux-mêmes des risques que les professionnels ne peuvent ignorer. Cependant, notamment en matière d’avalanche, pouvait-on raisonnablement prévoir le risque? Les juges raisonnent plutôt dans le sens d’une absence de possibilité d’ignorer le risque: en règle générale il est relevé que le mis en cause ne peut soutenir qu’il n’était pas mis au courant de la situation alors que c’était à lui de s’assurer de sa réalité. Prenons l’exemple de l’avalanche de MONTROC: contrairement à ce que j’ai pu voir écrire après le jugement, les juges n’ont jamais reproché au maire de ne pas avoir deviné que l’avalanche allait tomber. Ce qui a été retenu c’est le fait que bien que l’avalanche ait été raisonnablement prévisible on n’ait pas tenu compte de ce risque. La connaissance du danger est appréciée par Lawinen und Recht rapport à la réalité: ce sont d’abord les experts qui interviennent et qui par une démonstration scientifique, déterminent ce caractère de prévisibilité raisonnable c’est à dire que chacun pouvait connaître. Ensuite les juges prennent en considération les outils que les différents intervenants ont à leur disposition: on a déjà vu que les tribunaux retiennent qu’il faut tenir compte des bulletins météo qui permettent d’adapter un itinéraire ou de rendre plus vigilant. Dans l’affaire de MONTROC, le caractère alarmiste répété et grandissant de bulletins météo depuis plusieurs jours a été utilisé comme rendant le risque d’avalanche, sa gravité et son imminence certains. Mais si le risque est certain et connu, encore fautil qu’on le localise: pour une randonnée ou une course, on reprochera au guide ou au moniteur de ne pas avoir eu le bon geste compte-tenu de ce risque avéré: c’est ce qui a été retenu dans l’affaire de la Crête du LAUZET alors que le guide avait repéré la plaque à vent. Dans l’affaire de MONTROC on a évoqué la consultation des cartes CLPA : il a été retenu contre la commission de sécurité de ne pas avoir du tout consulté ces cartes alors que le site de MONTROC y apparaissait à l’endroit précis où l’avalanche s’est produite, et que le nombre considérable de couloirs d’avalanche recensés sur CHAMONIX (110), commandait que dans la situation extrêmement grave dans laquelle on se trouvait, on examine chaque zone dangereuse pour y prendre les mesures adaptées, même sans se livrer à des conjectures sur le point de départ des avalanches antérieures et qu’on ne se réfère pas simplement à son savoir et à son expérience d’ailleurs inexistants en l’espèce sur le site. Ces éléments outre de nombreux autres (mémoire collective, production antérieure du phénomène etc...) sont pris en compte pour apprécier s’ils ont été utilisés et à bon escient dans le cadre des diligences normales et sérieuses de tout professionnel ou responsable de la sécurité du public. Ce sont des aides à la décision de ces professionnels comme des magistrats. Si on lit le jugement de MONTROC on voit que l’avalanche était prévisible à cet endroit et que les nombreuses autres fautes commises ont interdit de le prendre en considération, tout comme on aurait dû le faire d’ailleurs, pour d’autres lieux qui n’ont finalement pas été touchés. Autres exemples: exemple contraire: celui de l’affaire de l’avalanche de Belle Plagne jugée par la cour d’appel de CHAMBERY le 13 janvier 1999. Une avalanche avait emporté un chalet habité et la question était celle de sa construction dans la trajectoire d’une avalanche répertoriée et survenue précédemment sur le même immeuble alors en construction. La cour a suivi le rapport de contre expertise qui concluait que compte-tenu du système de protection existant et des connaissances en vigueur à l’époque où l’immeuble avait été construit, l’avalanche n’était prévisible «ni de ce type ni de cette ampleur». A mon avis les experts suivis par la cour d’appel ont pris le problème à l’envers: certes si’il est quelquefois facile après la survenance du dommage de dire qu’il était prévisible, il est tout autant inexact de retenir qu’on ne pouvait prévoir l’ampleur des dégâts matériels et humains (dixit l’arrêt): ce n’est pas la survenance d’un événement identique qu’il est demandé de prévoir mais compte-tenu de la connaissance qu’on a d’un événement antérieur, sachant que dans le domaine de l’avalanche, il se reproduira, d’éviter qu’un tel événement n’occasionne des dommages dont on ignore évidemment l’ampleur qu’ils peuvent prendre. L’avalanche de Val Thorens en novembre 1992 qui emporte des skieurs sur une piste a donné lieu à un arrêt de non lieu de la chambre d’accusation de CHAMBERY confirmé par arrêt de la cour de cassation 29 mars 2000. Il était reproché au maire, aux responsables de la station et du service des pistes de ne pas avoir équipé le couloir d’avalanche de Gaz-Ex bien qu’un couloir voisin l’ait été et qu’une avalanche était répertoriée sur ce couloir: contrairement à un arrêt précédemment cité (avalanche de l’Alpe d’Huez), il a été dit que le non départ d’avalanches par purge le matin avait rassuré les services des pistes sur l’état du manteau neigeux; l’expert judiciaire avait invoqué la subtilité des cartes d’avalanche et la difficulté de leur interprétation et dit qu’il aurait fallu un examen approfondi par un expert pour envisager le risque à cet endroit. En définitive il a été retenu des erreurs d’appréciation qui n’ont pas été qualifiées de fautes susceptibles d’entraîner la responsabilité pénale. Même appréciation dans un arrêt de la cour de cassation 23 Mai 2001 confirmant le non lieu de la chambre d’accusation de GRENOBLE: deux skieurs sur la station des Orres, morts dans une avalanche sur une piste de liaison dont la fermeture n’était pas signalisée: il était reproché aux artificiers de la station une erreur d’appréciation du risque persistant malgré des tirs effectués. L’accumulation de neige à l’origine de l’avalanche n’était pas décelable depuis l’arrête où se trouvaient les artificiers: «cette erreur que n’importe qui aurait pu commettre ne permet pas d’engager la responsabilité pénale». Dans des affaires concernant des surfeurs hors piste qui déclenchent des avalanches: la cour d’appel de CHAMBERY dans un arrêt du 8 janvier 2005 dans une espèce où un pisteur venu au secours de surfeurs a été blessé dans une avalanche, a retenu la responsabilité de celui qui avait enfreint les règles de sécurité en s’engageant délibérément dans un 121 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 secteur pentu, non balisé, dont l’accès était interdit en raison des conditions météorologiques, ce qu’il ne pouvait ignorer comptetenu de sa connaissance des lieux et de son expérience de la montagne. 4 En conclusion Votée sous la pression des élus, la loi du 10 juillet 2000 a le mérite de rappeler comme le fait le sénateur FAUCHON, que le principe même de la culpabilité non intentionnelle en heurte un autre, celui de la délinquance. Elle avait pour but avoué de mettre à l’abri des poursuites judiciaires toute une catégorie de personnes mais l’analyse personnelle que j’en fais est qu’elle permet au contraire de rechercher la responsabilité de personnes très en amont du fait dommageable et que sa rédaction ne permettant pas de donner de définition générale des concepts qu’elle énonce, elle crée plus d’insécurité juridique alors que, vous professionnels, êtes en demande d’indications précises en ce qui concerne l’exercice de vos activités. Certes les juges sont appelés à mieux maîtriser les données de la culpabilité pour faute non intentionnelle et à se rapprocher des valeurs de la société qu’elles soient revendiquées par les professionnels de la sécurité qui, convenonsen, ont tendance à céder à une psychose non fondée mais aussi par les victimes qui bien souvent ne trouvent que dans le procès pénal la réponse à leur volonté de savoir «pourquoi» avant de savoir «qui» . Le problème est que la justice qui évolue entre des intérêts contraires doit trouver l’équilibre, ce qu’à mon avis manifeste déjà l’étude de la jurisprudence antérieure et postérieure à la loi du 10 juillet 2000 telle que je vous l’ai présentée. Anne Manoha est actuellement vice-présidente du tribunal de grande instance de Bonneville chargée de la chambre correctionnelle, elle a notamment jugé en mai 2003 l’affaire de l’avalanche dite de Montroc et plus récemment celle de l’incendie du Tunnel du Mont-Blanc. Elle participe régulièrement aux travaux juridiques du CERNA dont les articles sont publiés dans la Gazette du Palais (notamment numéro spécial montagne de février 2004). Elle a débuté sa carrière à Grenoble puis en 1992, a été nommée vice-présidente du tribunal de grande instance d’Albertville jusqu’en 1997 où elle a rejoint la cour d’appel de Chambéry comme conseillère siégeant notamment à la chambre correctionnelle jusqu’en 2002. 122 Zusammenfassung: Die französische Rechtslage bei Berg- und Lawinenunfällen Um den Opfern von Tötungen oder Körperverletzungen und ihren Angehörigen zu helfen ihr Unglück zu akzeptieren, hält es die moderne Welt für notwendig, den dafür Verantwortlichen zu benennen. Selbst dann, wenn das Geschehen unbeabsichtigt war oder wenn die primäre Ursache nicht menschlich bedingt ist. Das Phänomen der systematischen Einklagung bei den Strafgerichten muss sicher als übertrieben eingestuft werden. Trotzdem empfinden die Entscheidungsträger, die sehr weit von der unmittelbaren Ursache des Schadens entfernt sein können, die Drohung einer Anklageerhebung gegen sie und noch mehr ihre Verurteilung als unerträglich. Um dieser vermeintlichen Fehlentwicklung Einhalt zu gebieten, wurden die französischen Grundsätze der strafrechtlichen Haftung in Fällen von fahrlässiger Körperverletzung und Tötung durch das Gesetz vom 10. Juli 2000 grundlegend verändert. Dieses Gesetz unterscheidet zwischen direkter und indirekter Haftung und erschwert das Anführen letzterer. Im Bereich von Bergunfällen und Lawinenschäden, die selbstverständlich eine natürliche Ursache haben und zumeist völlig ohne menschliche Einwirkung erfolgen, ist diese neue Gesetzgebung von ganz besonderer Bedeutung. Obwohl sie noch recht neu ist, hat sie bereits zu einigen Gerichtsentscheiden geführt, insbesondere im Zuständigkeitsbereich des Appellationsgerichts von Chambéry, das neben dem von Grenoble die meisten dieser Fälle verhandelt, von denen einige ein erhebliches Medienecho fanden. In diesem Zusammenhang werden in kurzer und einfacher Form die neuen juristischen Grundsätze vorgestellt. Ergänzend werden die Schwierigkeiten angeführt, die sich bei der Auslegung und Anwendung des Gesetzes ergeben, welche die Gerichte veranlassen, die neuen Begriffe von direktem und indirektem Verschulden zu definieren und das indirekte Verschulden zu qualifizieren. Anhand von Beispielen aus der Rechtsprechung und einer kurzen Darstellung der Elemente, die von den Gerichten bei der Urteilsfindung berücksichtigt werden, wird der Frage nach der Zweckmässigkeit eines solchen Gesetzes und nach der vom Gesetz geweckten Illusion der Strafbefreiung nachgegangen. Anne Manoha ist zurzeit Vizepräsidentin des Tribunal de Grande Instance von Bonneville und zuständig für die Strafkammer. Sie hat im Mai 2003 das Urteil im Fall des Lawinenunfalls von Montroc und in jüngster Zeit im Fall des Brandes im Mont-Blanc-Tunnel gesprochen. Sie beteiligt sich regelmässig an den juristischen Arbeiten der CERNA, deren Artikel in der Gazette du Palais publiziert werden (namentlich die Sondernummer über die Berge vom Februar 2004). Sie begann ihre berufliche Laufbahn in Grenoble und wurde im Jahr 1992 zur Vizepräsidentin des Tribunal de Grande Instance von Albertville ernannt. 1997 wechselte sie zum Appellationsgericht von Chambéry, wo sie bis 2002 als «Conseillère à la Cour», insbesondere der Strafkammer, tätig war. Lawinen und Recht Riassunto: Il regime di responsabilità penale francese applicato agli incidenti di montagna e di valanga Al fine di aiutare le vittime di omicidi e lesioni o le loro famiglie ad accettare la disgrazia, la società moderna ritiene che sia indispensabile designare comunque il responsabile, anche nel caso in cui i fatti siano stati involontari o la loro origine primaria non sia imputabile all’uomo. Anche se è stato ingigantito il fenomeno di chiamata in causa sistematica innanzi al giudice, coloro che vengono chiamati «decisori» e che possono quindi essere lontano dalla causa diretta del danno, hanno ritenuto insostenibile la minaccia di messa sotto accusa e ancora di più quella di una condanna. Per ovviare a questa cosiddetta deriva, i principi francesi di responsabilità penale nel caso di lesioni e omicidio colposo sono stati profondamente modificati dalla legge del 10 luglio 2000, la quale distingue i casi secondo la responsabilità diretta o indiretta, rendendo quest’ultima più difficile da applicare. Nell’ambito degli incidenti di montagna e dei danni provocati da valanghe, la cui causa è ovviamente naturale e spesso totalmente estranea all’uomo, questa nuova legislazione si applica molto opportunamente e di recente ha già dato luogo ad alcune decisioni, in particolare presso la corte d’appello di Chambéry che, insieme a quella di Grenoble, si occupa della maggior parte di questi casi, alcuni dei quali hanno avuto una forte eco. Nella relazione verrà fatto un esposto rapido e semplice dei nuovi principi giuridici e dei cambiamenti che questi apportano, completato dall’esame delle difficoltà che comporta l’interpretazione e l’applicazione della legge, che portano i tribunali a definire le nuove nozioni di colpa diretta e indiretta e a qualificare la colpa indiretta. Tramite esempi di giurisprudenza e un accenno sugli elementi presi in considerazione dai tribunali per decidere, verrà quindi sollevato l’aspetto dell’apporto di una tale legge e dell’illusione di esonero della responsabilità che ha comportato. Anne Manoha è attualmente vicepresidente del tribunale di Grand Istanza di Bonneville. In carica alla camera correzionale, ha emesso la sentenza nel mese di maggio 2003 sul caso della valanga detta di Montroc, e più di recente sul caso dell’incendio del Tunnel del Monte Bianco. Partecipa regolarmente ai lavori giudiziari del CERNA i cui articoli vengono pubblicati nella Gazette du Palais (in particolare il numero speciale sulla montagna del febbraio 2004). Ha iniziato la carriera a Grenoble, poi nel 1992 è stata nominata vicepresidente del tribunale di Albertville, fino al 1997, anno in cui ha raggiunto la corte d’appello di Chambéry come consigliere alla camera correzionale, fino al 2002. 123 Lawinen und Recht Die rechtliche Situation beim Lawinenunfall Die deutsche Rechtslage Klaus Weber A Die rechtlichen Folgen eines Lawinenunfalls Bei der Frage, welche Folgen auf den Verursacher oder Mitverursacher eines Lawinenunfalls zukommen können, ist die zivilrechtliche und die strafrechtliche Seite zu unterscheiden. Im Zivilprozess geht es um Schadensersatz und Schmerzensgeld. Im Ermittlungs- und Strafverfahren geht es um die strafrechtliche Verantwortung; hier muss entschieden werden, ob gegen den in Betracht kommenden Schadensverursacher (Täter) durch den Staat eine Strafe oder sonstige Sanktion verhängt wird. Von einem Ermittlungsverfahren sprechen wir bis zur abschliessenden Entscheidung des Staatsanwalts. Diese kann in der Einstellung des Verfahrens mangels Tatverdachts (§ 170 II StPO) oder wegen geringer Schuld (§ 153 StPO) oder in der Erhebung der öffentlichen Klage (Anklage [§ 170 I StPO] oder Antrag auf Erlass eines Strafbefehls [§ 407 StPO]) bestehen. Schliesslich ist noch eine Einstellung gegen eine Geldbusse oder andere Auflage möglich, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht (§ 153a StPO). Das sich an die Anklage anschliessende gerichtliche Verfahren ist das Strafverfahren. Die zivilrechtlichen Voraussetzungen für eine Schadensersatzhaftung und die strafrechtlichen Kriterien für eine strafrechtliche Verantwortung des Schädigers sind auf weite Strecken gleich. Es gibt allerdings auch wichtige Unterschiede, die im Einzelfall entscheidend sein können. So kann eine zivilrechtliche Haftung in Betracht kommen, auch wenn der Unfallverursacher im Strafverfahren freigesprochen wurde1. B – bis zu den Berg- und Skireisen kommerzieller Veranstalter, die auch weitere Leistungen, insbesondere Übernachtung, Verpflegung und Transport, anbieten. C Die Privattour ist der Bereich der bergsteigerischen Selbstverantwortung, aber auch der bergsteigerischen Gefahrengemeinschaft. Auf Grund dieser Gefahrengemeinschaft sind die Tourteilnehmer verpflichtet, einander nach Kräften beizustehen. Dies gilt etwa für die Alarmierung nach einem Lawinenunglück, aber auch für die Kameradensuche. In diesem Umfang besteht auch eine Garantenstellung2 kraft Gefahrengemeinschaft. Sind die Tourteilnehmer noch in anderer Weise verbunden, etwa als Eheleute oder sonstige Angehörige, so ergibt sich dieselbe Garantenstellung bereits aus dieser natürlichen Verbundenheit. Zu einer Führungsverantwortung führen diese Garantenstellungen noch nicht. So ist etwa der Ehemann nicht zwangsläufig für den Ablauf der Tour verantwortlich. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn ein Gruppenmitglied ein ihm entgegengebrachtes besonderes Vertrauen in Anspruch nimmt. Dann und nur dann kann eine sogenannte faktische Führerschaft entstehen, die dann auch Führungsverantwortung zur Folge hat. Es gilt dann dasselbe wie bei der Haftung des Tourenführers. Für die zivilrechtliche und die strafrechtliche Haftung bestehen hinsichtlich der Garantenstellung keine Unterschiede. 1 Die tatsächlichen Grundlagen Bei den tatsächlichen Grundlagen der Haftung bei einem Lawinenunfall reicht das Spektrum – von der Privattour, wie sie von Familien oder Freunden unternommen wird, – über die Sektionstour, wie sie für die alpinen Vereine typisch ist, mit den Untergruppen der Gemeinschaftstour und der Führungstour, – die klassische Führungstour des patentierten Berg- und Skiführers als Einzelunternehmer, – sonstige geführte Touren, z. B. Skilager, Armee, Die Privattour 2 So hat das Oberlandesgericht München in dem unten näher besprochenen Urteil vom 21. 01. 2002 (abgedr. in Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungsreport – [NJW-RR] 2002, 694) den DAV-Summit-Club wegen des Lawinenunfalls bei der Jamtalhütte (Silvretta) vom 29.12.1999 mit neun Toten zu Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt, obwohl das Landesgericht Innsbruck durch Urteil vom 14. 11. 2000 (abgekürzt abgedr. in Sport und Recht [SpuRt] 2002, 106) die beteiligten Bergführer freigesprochen hatte; der Freispruch ist auf Grund des Schengener Durchführungsübereinkommens auch für die deutschen Strafgerichte bindend. Das Urteil des OLG München wäre nicht anders ergangen, wenn der Freispruch von einem deutschen Gericht erfolgt wäre. Die Bedeutung der Garantenstellung wird meist überschätzt. Sie spielt nur dann eine Rolle, wenn das schadenstiftende Verhalten in einem Unterlassen besteht. 125 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 D Die Sektionstour Bei der Sektionstour ist zwischen der Haftung des Tourenführers (Tourenleiters, Fachübungsleiters) und der Haftung der Sektion zu unterscheiden. I Haftung des Tourenführers Sektionstouren werden von den Sektionen der alpinen Vereine veranstaltet und in der Regel von erfahrenen Bergsteigern geleitet, die für bestimmte Bereiche zu Fachübungsleitern ausgebildet wurden3. Die Tourenführer sind ehrenamtlich tätig. Während bei der Gemeinschaftstour die bergsteigerische Eigenverantwortlichkeit im Vordergrund steht, trägt der Leiter einer Führungstour echte Führungsverantwortung. Die Führung wird nicht bezahlt. Etwaige Teilnehmerbeiträge dienen nicht der Gewinnerzielung, sondern sollen die mit der Führung verbundenen Aufwendungen und die anteiligen Gemeinkosten der Sektion decken. Ohne dieses ehrenamtliche Engagement könnten die alpinen Vereine ihre Aufgabe nicht erfüllen. Übertriebene Haftungsanforderungen sind ein Grund dafür, dass die Bereitschaft für das Ehrenamt schwindet. 1. Zivilrechtliche Haftung Z wischen dem Tourenführer und den Tourteilnehmern besteht kein Vertrag. Der Tourenführer haftet daher nur nach den Vorschriften über die unerlaubte Handlung (§§ 823ff BGB). Nach § 823 I BGB ist zum Schadensersatz verpflichtet, wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit oder das Eigentum eines anderen verletzt. a) Garantenstellung. Im Hinblick auf die Führungsverantwortung des Tourenführers ist seine Garantenstellung nicht zweifelhaft. Er haftet daher auch, wenn er den Schaden durch ein Unterlassen verursacht hat. b) Kausalität. Das Grunderfordernis der Schadensersatzpflicht ist die Kausalität. Ein Verhalten ist kausal (ursächlich), wenn es nicht hinweggedacht oder – bei Unterlassungen – nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der Erfolg4 entfällt (conditio sine qua non). Im deutschen Zivilrecht (anders im Strafrecht) gilt, dass die Bedingung adäquat kausal sein muss, so dass aussergewöhnliche Kausalverläufe dem Schädiger nicht angelastet werden. Einen aussergewöhnlichen Kausalverlauf nimmt die deutsche Rechtsprechung allerdings nur selten an. So wäre der Absturz des Rettungshubschraubers beim Einsatz noch adäquat kausal5. Das Verhalten des Schädigers muss nicht die alleinige Ursache für den Unfall sein. Mitursäch- 126 lichkeit genügt. Die Kausalität ist auch dann gegeben, wenn der Schaden nur auf Grund des Zusammenwirkens mehrerer Ursachen eingetreten ist, von denen jede für sich ihn nicht herbeigeführt hätte (kumulative Kausalität). Kommen mehrere Ursachen in Betracht, so ergeben sich nicht selten Nachweisprobleme, an denen die Haftung scheitern kann6. c) Rechtmässiges Alternativverhalten. Für Schäden, die auch dann eingetreten wären, wenn der Schädiger sich ordnungsgemäss verhalten hätte (rechtmässiges Alternativverhalten), hat er nicht einzustehen. Dies gilt etwa in den Fällen der fehlenden oder mangelhaften Aufklärung der Tourteilnehmer durch den Tourenführer, wenn diese das Risiko auch dann auf sich genommen hätten, wenn sie ordentlich aufgeklärt worden wären. An den Nachweis werden hier strenge Anforderungen gestellt. d) (Fehl)Verhalten Dritter. (Fehl)Verhalten Dritter unterbricht den Zurechnungszusammenhang grundsätzlich nicht. Dies kommt etwa in Betracht, wenn ein Gruppenmitglied in einen gefährlichen Hang einfährt, ohne die Weisung des Tourenführers abzuwarten7. Erst recht wird der Zurechnungszusammenhang nicht dadurch unterbrochen, dass Dritte zu Rettungsmassnahmen greifen und dabei zu Schaden kommen. e) Fahrlässigkeit. Weitere Voraussetzung der Schadensersatzhaftung nach § 823 I BGB ist das Verschulden, wobei hier praktisch nur Fahrlässigkeit in Betracht kommt. Anders als im Strafrecht ist die Fahrlässigkeit im deutschen Zivilrecht gesetzlich definiert (§ 276 II BGB). Danach handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt ausser Acht lässt (objektiver Sorgfaltsmassstab) und deshalb nicht voraussieht, dass ein schädlicher Erfolg eintritt (unbewusste Fahrlässigkeit), oder darauf vertraut, dass er nicht eintreten wird (bewusste 3 4 5 6 7 Notwendig ist dies nicht (OLG Stuttgart NJW 1996, 1352 [Rheinwaldhorn I]). Unter Erfolg ist das eingetretene Ereignis (Tod, Verletzung, Zerstörung von Eigentum uä) zu verstehen. In Bayern, Salzburg und Tirol kam es seit 1960 bei Rettungseinsätzen zu elf Hubschrauberabstürzen mit 21 Toten. So hatte sich bei dem Lawinenunglück im Loferer Seilergraben (Berchtesgadener Alpen) vom 30. 03. 1985 (mit zwei Toten) nicht klären lassen, ob das Schneebrett von einer geschlossen in den Steilhang einfahrenden Gruppe oder von einem aufsteigenden Tourengeher oder von beidem zusammen verursacht wurde. So beim Lawinenunfall am Wilden Hinterbergl (Stubaier Alpen) vom 15.03.1988 mit einem Toten (Urteil des Obersten Gerichtshofs Wien [OGH] vom 25. 03. 1993–8Ob505/93). Lawinen und Recht Fahrlässigkeit). Beide Fahrlässigkeitsarten werden rechtlich gleich behandelt. aa) Objektive Sorgfaltspflichtverletzung. Ob der massgebliche Sorgfaltsmassstab verletzt wurde, ist nach den allgemeinen Sorgfaltsanforderungen zu bestimmen, die an einen einsichtigen und besonnenen Menschen in der konkreten Lage des Schädigers, namentlich in dem jeweiligen Verkehrskreis zu stellen sind. Als wesentliche Quelle für die Konkretisierung dieser sehr allgemeinen Aussage kommen – zunächst Rechtsvorschriften, – sodann die Regeln des betreffenden Verkehrskreises (Verkehrsnormen), hier die Eigenregeln des Sports (allgemeine Bergsteigerregeln), und – schliesslich die Anforderungen, die an einen umsichtigen und verständigen, in vernünftigen Grenzen vorsichtigen Menschen aus dem Verkehrskreis des Täters in der konkreten Lage gestellt werden können8 (in Österreich mit einer ähnlichen Definition differenzierte Massfigur genannt). deswegen durchgesetzt. In der Praxis werden sie wie Rechtsnormen gehandhabt. Vor allem der Lawinenunfall bei der Jamtalhütte am 29. 12. 199913 hat zu der Frage geführt, ob sich auch die Neue (strategische) Lawinenkunde14 zu einer Verkehrsnorm entwickelt hat. Während die ersten drei Voraussetzungen wohl als erfüllt angesehen werden können, kann von einer unbestrittenen und ständigen Verwendung in der Praxis nicht gesprochen werden. Die Neue Lawinenkunde ist jedenfalls im Ostalpenraum nicht allseits akzeptiert15. Sie ist auch von einer breiten Verwendung in der Praxis der Tourengeher noch weit entfernt16. Hierfür dürften zwei Umstände massgeblich sein: einmal drängt sich der Sicherheitsgewinn für den Tourengeher nicht so auf wie bei anderen Regeln, 8 9 10 11 (a) Verkehrsnormen. Rechtsvorschriften9, die das Verhalten beim (Ski-)Bergsteigen regeln, gibt es nicht, so dass bei einem Unfall zunächst zu klären ist, ob eine Verkehrsnorm (hier in Form einer allgemeinen Bergsteigerregel) eingreift10. Verkehrsnormen sind das Ergebnis einer auf Erfahrung und Überlegung beruhenden Voraussicht möglicher Gefahren in dem jeweiligen Verkehrskreis und machen die Grenzen des erlaubten Risikos deutlich. Ein Verstoss ist ein Indiz dafür, dass die objektive Sorgfaltspflicht verletzt wurde. Mit der Übernahme der Eigenregeln des Sports in das Recht werden auch die Schwierigkeiten in das Recht transformiert, die mit diesen Regeln in der Praxis verbunden sind. Ein Hauptproblem sind die Änderungen, die sie im Lauf der Zeit erfahren. Ob und von wann ab eine neue Erfahrung oder Erkenntnis zu einer allgemeinen Bergsteigerregel geworden ist, ist daher eine zentrale Frage. Als Kriterien hierfür – neben dem selbstverständlichen Sicherheitsgewinn – werden angesehen – die Veröffentlichung in der alpinen Literatur, – die Empfehlungen der alpinen Verbände, – die Aufnahme in die Aus- und Weiterbildung, – die unbestrittene und ständige Verwendung in der Praxis über einen längeren Zeitraum11. Manche Eigenregeln des Sports liegen schriftlich vor. Von der Rechtsprechung12 anerkannt sind die Regeln des Internationalen Skiverbandes (FIS). Sie dienen vornehmlich dem Schutz unbeteiligter Dritter und haben sich wohl auch 12 13 14 15 16 Bundesgerichtshof [BGH] NJW 2004, 1449 [DIN-Normen]. Wie etwa die Straßenverkehrsordnung für den Strassenverkehr. Entscheidungen des BGH in Zivilsachen [BGHZ] Bd. 58, S. 40. Weber Juristische Rundschau (JR) 2005, 485 [486]; ebenso für das österreichische Recht Ermacora in Berg und Steigen 3/00 S. 13; s auch Wallner in «Klettern – Abenteuer und Breitensport» (Hrsg. OeAV/DAV) 2000, S. 31; Gidl in Winteralpinismus – Rechtsfragen» (Hrsg. OeAV/DAV) 2001, S. 55 BGHZ 58, 40. Oben Fn 1. Sie wurde von Werner Munter entwickelt und im Ostalpenraum erstmals einem größeren Kreis durch sein im Jahre 1997 erschienenes Buch «3 x 3 Lawinen» bekannt. Der DAV hat sie bereits im Jahre 1998 in seinen Alpin-Lehrplan aufgenommen. Mittlerweile haben sich drei weitere Methoden entwickelt, die sämtlich auf Munter aufbauen und auf den gemeinsamen Nenner «Verzicht auf Steilheit in Abhängigkeit vom Lawinenlagebericht» gebracht werden können («SnowCard und Faktorencheck» von Martin Engler und Jan Mersch; «Stop or Go» von Michael Larcher; «Reduktion des Lawinenrisikos» von Stephen Harvey). Auf derselben Linie liegen die «Verbindlichen Standards im Winter« oder «Limits», die der DAV-Summit-Club seinen Bergführern nach dem Jamtalunfall vorgeschrieben hat und die von einer Expertenrunde in der Zeit vom 22. bis 24.09.2000 auf der Jamtalhütte entwickelt wurden. Aus Expertensicht dagegen etwa Gabl in Winteralpinismus – Rechtsfragen [Fn 11] S. 45 bis 52. Dies zeigt das eigentlich traurige Ergebnis einer Untersuchung der Alpingendarmerie Tirol, wonach in den Jahren 1999 bis 2002 in Tirol 44 % bis 68 % der Skifahrerlawinen unter Umständen abgegangen sind, die nach der Reduktionsmethode von Werner Munter einen Verzicht auf die Tour oder das Befahren des Hangs nahegelegt hätten. Bei einer Studie der Sicherheitsforschung des DAV betreffend die Winter 2003/2005 hat sich ergeben, dass 56 % der Tourengeher keine der Methoden der Neuen Lawinenkunde anwenden. 127 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 etwa der Ausrüstung mit VS-Geräten und Lawinenschaufeln. Auch erfordert ihre Umsetzung in die Praxis eine Übung in der Einschätzung von Geländefaktoren und der Beurteilung von etwaigen Gefahrenstellen, die bei Personen, die nicht ständig im Gebirge unterwegs sind, nicht vorausgesetzt werden kann. Dies gilt auch für die ehrenamtlichen Tourenführer der alpinen Vereine. (b) Differenzierte Massfigur. Fehlt es an einer allgemein anerkannten (Ski-)Bergsteigerregel, so muss auf die differenzierte Massfigur zurückgegriffen werden; es ist also zu prüfen, wie sich ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch aus dem Verkehrskreis des Täters in der konkreten Lage verhalten hätte, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei bestimmt sich das Mass der Sorgfaltsanforderungen, die an einen ehrenamtlichen Tourenführer zu stellen sind, nach den Gefahren und Schwierigkeiten der konkreten Tour, nach dem Gewicht seiner Führungsrolle, sowie seinem Ausbildungs- und Leistungsstand und dem der Tourteilnehmer. Entscheidend ist danach nicht der Standard eines staatlich geprüften Bergführers, sondern die geringeren Anforderungen, die billigerweise an einen ehrenamtlichen und weniger intensiv ausgebildeten Tourenführer gestellt werden können. Inhaltlich wäre es ein Zirkelschluss, von der Massfigur ohne weiteres gerade das Verhalten zu verlangen, das sich noch nicht zu einer Verkehrsnorm verdichtet hat. Auf der anderen Seite wäre es weltfremd, die Faszination nicht zu erkennen, die die «Neue Lawinenkunde» für Gerichte und Staatsanwaltschaften haben kann17. Mit den präzise erscheinenden Kriterien des Lawinenlageberichts, der Hangneigung und der Hangexposition spiegelt sie eine Sicherheit der Beurteilung vor, der der Jurist nur schwer widerstehen kann. Es ist Aufgabe aller Verfahrensbeteiligten, angesichts dieser trügerischen Sicherheit sich der praktischen Schwierigkeiten bei der Einschätzung der Gefahrenstellen und der Unwägbarkeiten des winterlichen Hochgebirges stets bewusst zu bleiben. 17 So hat die Staatsanwaltschaft Traunstein wegen des Lawinenunglücks am Sulzkogel (Stubaier Alpen) vom 22. 02. 2005 mit drei Toten Anklage gegen drei Tourenführer einer Sektion des DAV erhoben, wobei sie sich wesentlich auf die Neue Lawinenkunde stützt (Gefahrenstufe 3, Hangneigung 38 °, Exposition Süd-Ost). Das zuständige Amtsgericht Laufen hat noch nicht entschieden. 128 bb) Objektive Voraussehbarkeit. Ein weiteres Merkmal der Fahrlässigkeit ist die objektive Voraussehbarkeit des Erfolgs. Als nicht vorhersehbar ist ein Kausalverlauf anzusehen, der so unwahrscheinlich ist, dass man sein Verhalten darauf vernünftigerweise nicht einzurichten braucht. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt der letzten Handlungsmöglichkeit. Dabei dürfen die Sorgfaltsanforderungen nicht auf Grund einer rückschauenden, vom Erfolg abgeleiteten Betrachtungsweise überspannt werden; daraus, dass der Unfall ex post sachverständig erklärbar ist, darf nicht geschlossen werden, dass er auch ex ante vorhersehbar war. cc) Vermeidbarkeit. Die Fahrlässigkeit setzt ferner voraus, dass die Verwirklichung des Haftungstatbestands vermeidbar war. Konnte sie von niemandem vermieden werden (objektive Unvermeidbarkeit), so fehlt die Fahrlässigkeit, wenn nicht die Situation, aus der die Unvermeidbarkeit entstanden ist, durch vorbereitende Massnahmen, auch unter Zeit- oder Geldverlust, hätte verhindert werden können. Subjektive Unvermeidbarkeit liegt nur vor, wenn die Tatbestandsverwirklichung unter Berücksichtigung des objektiven Sorgfaltsmassstabs nicht vermeidbar war. Ein Verhalten, das jegliche Gefahr vermeidet, wird nicht verlangt; notwendig ist ein sachgerechter Umgang mit ihr. dd) Basisrisiko (alpines Restrisiko). Jede Skitour enthält ein Risiko, das auch durch eine sachgerechte, umsichtige Führung nicht vollständig beherrscht werden kann und deswegen von dem Teilnehmer der Tour selbst getragen werden muss. Das Basisrisiko ist keine eigene haftungsbegrenzende Kategorie, sondern bezeichnet nur den Bereich, der vom Verschulden nicht erfasst wird. Seine Funktion besteht vor allem darin, vor einer Überspannung der Sorgfaltspflichten zu warnen. Eine andere Frage ist, dass auch hinsichtlich des Basisrisikos Aufklärungspflichten bestehen können. f) Beweisrecht. Nach den allgemeinen Beweisgrundsätzen hat der Geschädigte die Tatbestandsmässigkeit einschliesslich Schadenseintritt und Kausalität, Rechtswidrigkeit und Verschulden nachzuweisen, während der Schädiger Rechtfertigungsgründe und Mitverschulden des Geschädigten zu beweisen hat. Kann der Geschädigte aber den Nachweis erbringen, dass der Tourenführer gegen eine Verkehrsnorm verstossen hat, so hat er zugleich den Beweis des ersten Anscheins dafür erbracht, dass der Schaden durch den Regelverstoss verursacht und die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet wurde. Lawinen und Recht 2. Strafrechtliche Haftung Nach § 222 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht. Bei der fahrlässigen Körperverletzung beträgt die Höchststrafe drei Jahre Freiheitsstrafe (§ 229 StGB). Dabei gelten für die strafrechtliche Verantwortung die folgenden Besonderheiten: a) Kausalität. Anders als das Zivilrecht begnügt sich das deutsche Strafrecht mit der conditiosine-qua-non-Formel. Jede Bedingung ist daher gleichwertig (äquivalent). Auf die Adäquanz kommt es nicht an. b) Subjektiver Massstab bei der Fahrlässigkeit. Engere Grenzen als das Zivilrecht zieht das Strafrecht dagegen bei der Fahrlässigkeit. Hier muss zu der objektiven Sorgfaltspflichtsverletzung die subjektive und zur objektiven Voraussehbarkeit die subjektive hinzutreten. Es kommt daher darauf an, ob der Täter auch nach seinen individuellen Eigenschaften und Fähigkeiten in der Lage war, der objektiven Sorgfaltspflicht zu genügen und den Erfolg als möglich vorherzusehen. Von praktischer Bedeutung ist hier vor allem die Frage des Übernahmeverschuldens. c) Eigenverantwortliche Selbstgefährdung. Während das Handeln auf eigene Gefahr im Zivilrecht lediglich als Mitverschulden berücksichtigt wird, kann das Prinzip der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung im Strafrecht zu einem Ausschluss der Tatbestandsmässigkeit führen. Es gilt allerdings nicht grenzenlos. Zwar wird es durch eine Garantenstellung nicht generell ausgeschlossen. Es greift jedoch dann nicht ein, wenn der Täter kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfasst als der Verletzte. Kraft ihrer Ausbildung und Erfahrung wird dies bei Tourenführern in der Regel angenommen werden können. Die eigenverantwortliche Selbstgefährdung kommt aber dann wieder zum Tragen, wenn der Tourenführer seine Gruppe umfassend über das Risiko aufgeklärt hat. d) Verfahren. Der Tod durch einen Lawinenunfall ist ein unnatürlicher Tod, so dass Staatsanwaltschaft und Polizei stets von Amts wegen ermitteln müssen (§ 159 StPO). Bei einer blossen Verletzung hängt die Aufnahme der Ermittlungen davon ab, ob der Anfangsverdacht einer Straftat besteht (§ 152 II StPO). II Die Haftung der Sektion Mit der Teilnahme an einer Sektionstour schliesst der Sektionsangehörige mit der Sektion keinen gesonderten Vertrag, sondern nimmt seine Mitgliedschaftsrechte wahr18. Die Sektion ist daher verpflichtet, ihm diese Teilnahme zu ermöglichen, soweit er die Voraussetzungen hierfür erfüllt. Dar- über hinaus obliegen ihr Schutz- und Obhutsplichten (§ 241 Abs. 2 BGB). Nach dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung19 sind diese auf die Auswahl eines geeigneten Führers beschränkt. Eine Weiterentwicklung dahin, dass diese Pflichten auch während der Durchführung der Tour bestehen, so dass die Sektion auch dann für Fehler des Tourenführers einzustehen hat (§ 278 BGB), liegt nahe. Hat der Tourenführer nicht grob fahrlässig gehandelt, so hat ihn die Sektion jedenfalls teilweise von Schadensersatzansprüchen des Tourteilnehmers freizustellen20. E Die klassische Führungstour des patentierten Bergführers Zwischen dem Bergführer und seinem Kunden besteht ein Dienstvertrag (§ 615 BGB). Vernachlässigt der Bergführer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt, so verletzt er den Dienstvertrag und hat daher kraft Vertrags dafür einzustehen. Daneben besteht die Haftung aus unerlaubter Handlung (Anspruchskonkurrenz). I Garantenstellung Eine Garantenstellung besteht kraft Vertrags und kraft Übernahme der Führungsverantwortung. Der Bergführer hat daher auch für Unterlassen einzustehen. II Kausalität, rechtmässiges Alternativverhalten, Fehlverhalten Dritter Es gilt dasselbe wie beim Tourenführer. III Fahrlässigkeit Anders als dies von dem privaten Tourengeher oder dem ehrenamtlichen Tourenführer erwartet werden kann, sind Bergführer in der Lage, Geländefaktoren und Gefahrenstellen zuverlässig einzuschätzen. Es liegt daher nahe, dass von einer Entwicklung der Neuen Lawinenkunde zu einer Verkehrsnorm zunächst der Verkehrskreis der Bergführer berührt sein wird. Als differenzierte Massfigur hat der Bergführer für die höheren Anforderungen einzustehen, die an einen staatlich geprüften Bergführer zu stellen sind. 18 19 20 Weber JR 2005, 485 [487]. OLG Stuttgart NJW 1996, 1352 [Rheinwaldhorn I]. OLG Stuttgart SpuRt 2004, 31 [Rheinwaldhorn II]; BGH NJW 2005, 981. 129 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 F Die sonstige Führungstour Ob hier die Grundsätze heranzuziehen sind, die für den Tourenführer oder für den Bergführer gelten, entscheidet sich nach den Umständen des Einzelfalls. G Die Haftung kommerzieller Veranstalter Von erheblicher praktischer Bedeutung für die Praxis ist das Urteil des OLG München vom 24. 01. 200221 zu dem Lawinenunfall bei der Jamtalhütte vom 29. 12. 199922. Abweichend von der ersten Instanz hat das OLG München den Veranstalter zur Leistung von Schadensersatz und Schmerzensgeld verpflichtet. Bei der rechtlichen Bewertung des Urteils müssen zwei grosse Bereiche getrennt werden: I Schadensersatz auf Grund Reiserechts Da der DAV-Summit-Club mehrere Leistungen (neben der Führung Unterkunft, Verpflegung, Transport) angeboten hatte, konnte das Gericht Reiserecht anwenden. Dieses Rechtsgebiet, das weitestgehend durch EU-Gemeinschaftsrecht (Reiserichtlinie23 ) geprägt ist, zeichnet sich durch eine ausserordentliche Fürsorge für den Reisenden aus. Sie wird erreicht durch eine weitestgehende Haftung für die Angaben im Prospekt und durch eine Beweislastumkehr für das Verschulden. Aus der Angabe im Katalog «sichere und sanfte Anstiege» hat das OLG München geschlossen, dass der Veranstalter sich zur Schaffung «grösstmöglicher Sicherheit» verpflichtet habe. Den Entlastungsbeweis, dass er, bzw. die Bergführer vor Ort als seine Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB), nicht schuldhaft gegen diese Verpflichtung verstossen habe, habe er nicht erbracht. In diesem Zusammenhang erhebt das Gericht gegen die Bergführer vier Vorwürfe, die für geführte Skitouren allgemeine Bedeutung gewinnen können: 1. Die fehlende Abfrage des Lawinenlageberichts Das Gericht wirft den Bergführern vor, sie hätten den Lawinenlagebericht nicht abgefragt. Zu diesem Vorwurf hätte sich das OLG München auf die Rechtsprechung in Österreich und der Schweiz stützen können24. Allerdings muss die Gefahrenstufe in dem Lawinenlagebericht in jedem Fall mit den lokalen Informationen überprüft und wenn nötig angepasst werden (was im Strafverfahren vor dem LG Innsbruck geschehen ist). Generell 130 kann davon ausgegangen werden, dass ein Bergführer, der sich mehrere Tage in einem bestimmten Gebiet aufgehalten hat, die lokale Lawinensituation genauer beurteilen kann. Zu beachten ist auch, dass der (regional gültige) Lawinenlagebericht kein konkretes Urteil über Zustand und Begehbarkeit eines bestimmten Einzelhangs abgeben kann. 2. Die fehlende Anordnung von Entlastungsabständen Auch zur Einhaltung von Entlastungsabständen hätte sich das OLG München auf die Rechtsprechung in Österreich und der Schweiz berufen können25. Für die konkrete Situation hat das LG Innsbruck im Strafverfahren26 allerdings festgestellt, dass das Nichteinhalten solcher Abstände dem herrschenden Ausbildungsstand der Bergführer entsprochen hat, wenn auch Entlastungsabstände nach der Neuen Lawinenkunde unabhängig von der Gefährlichkeit des Hangs angezeigt gewesen wären. 3. Erreichen der Hütte ohne Querung des Unglückshangs Zum dritten Vorwurf hat das LG Innsbruck im Strafverfahren festgestellt, «dass besonders ungünstige Umstände, die von den Beschuldigten auch nicht vorhersehbar waren», zu dem Unfall geführt haben. Das OLG München hat, soweit ersichtlich, eigene Feststellungen nicht getroffen, so dass von den Feststellungen des LG Innsbruck auch im Zivilverfahren auszugehen war. Es kommt daher zunächst darauf an, ob unter den festgestellten Umständen ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Bergführer den Hang begangen hätte anstatt den Umweg zu nehmen. Mit dem LG Innsbruck wird dies wohl noch angenommen werden können. 21 22 23 24 25 26 Oben Fn 1. Bei diesem Unfall waren bei einer auch für Anfänger ausgeschriebenen Tourenwoche des DAV-SummitClub neun Personen umgekommen. Bei der Rückkehr von der Tour zur Hütte hatten die Tourteilnehmer im Aufstieg einen Hang gequert, der sich im oberen Teil bis 41 ° aufsteilte, in der Aufstiegsspur aber nur 20 ° bis 25 ° aufwies. Die Tourteilnehmer (38 Personen) waren am Morgen bereits über diesen Hang abgefahren oder mit Schneeschuhen hinuntergegangen. Die Spuren waren bei der Rückkehr noch sichtbar. Die Hütte hätte auch ohne Querung des Hangs mit einem leichten Umweg erreicht werden können. Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. 06. 1990 über Pauschalreisen [ABl. Nr. L 158 S. 59]. OGH Österreichische Richterzeitung 1971, 172 [Zischgeles, Stubaier Alpen]; U v 25. 03. 1993 [oben Fn 7]; BGE 118 IV 130, 133 [Mot San Lorenzo]. OGH [oben Fn 24]; BG [oben Fn 24]. Oben Fn 1. Lawinen und Recht War allerdings – namentlich auf Grund des Katalogs – ein schärferer Massstab massgeblich, so könnte dies dafür sprechen, dass der Umweg genommen werden musste. 4. Vermeidung des Unfalls bei Befolgung der jetzt angeordneten Standards Im vierten Punkt verlangt das OLG, dass die Bergführer Standards befolgen, die im Unfallzeitpunkt noch nicht bestanden27. Eine nähere Erklärung hierfür fehlt, so dass auf die allgemeine Begründung zurückgegriffen werden muss, wonach es für die vertragliche Haftung genügt, wenn ein pflichtwidriges Verhalten in Betracht kommt und der Nachweis eines pflichtgemässen Verhaltens nicht geführt ist. Mangels einer Verkehrsnorm wäre an sich hierzu auf die differenzierte Massfigur abzustellen und zu prüfen, ob diese die Standards hätte anwenden müssen. Ein strengerer Massstab gilt, wenn man dem OLG darin folgt, dass die «grösstmögliche Sorgfalt» geschuldet war. II Haftung aus unerlaubter Handlung (Organisationsverschulden, § 823 Abs. 1 BGB) Sofern eine unmittelbare Haftung des Geschäftsherrn (Veranstalters) in Frage kommt, kann es für den Geschädigten durchaus zweckmässig sein, neben den Ansprüchen aus (Reise-)Vertrag auf die Ansprüche aus unerlaubter Handlung (§ 823 BGB) zurückzugreifen. Dies gilt vor allem dann, wenn beim Tod eines Unterhaltsverpflichteten ein Anspruch wegen entgangenen Unterhalts (§ 844 BGB) in Betracht kommt. Das Reiserecht gewährt einen solchen Anspruch nämlich nicht. 1. Deliktische Verkehrspflichten im Reiserecht Auf Grund der vom Veranstalter beruflich gegenüber dem Kunden übernommenen Pflichtenstellung trifft ihn neben seinen vertraglichen Pflichten auch die deliktische Pflicht, den Kunden vor Gefahren zu schützen, die auf der Reise entstehen können. Grund ist die Eröffnung einer Gefahrenquelle und zugleich das Vertrauen des Kunden darauf, dass der Veranstalter auf Grund seiner Organisation und Überwachung die Gefahren beherrscht. 2. Die Verkehrspflichten des alpinen Verastalters bei nicht professionellen Teilnehmern Diese deliktischen Verkehrspflichten hat das OLG München bei dem Jamtalunfall vom 28.12.1999 herangezogen, wobei es sich nicht auf den Einzelfall beschränkt, sondern sehr weitgehende Thesen aufgestellt hat: a) These 1 – Sicherheitskonzept. Mit der Forderung, dass jedenfalls ein Spezialreiseveranstal- ter von Hochgebirgstouren mit weitgehend ungeübten Teilnehmern ein Sicherheitskonzept entwickeln muss, wendet sich das OLG gegen die bisherige Meinung, dass die notwendigen Entscheidungen verbindlich nur vor Ort von den Bergführern getroffen werden können. Dass diesen statt dessen Sicherheitsanweisungen erteilt werden sollen, liegt auf der Linie der Rechtsprechung in Österreich und der Schweiz28. Bei seiner Forderung beschränkt sich das OLG auf die Grundentscheidungen. Mehr kann von dem Veranstalter angesichts der Vielgestaltigkeit der vor Ort anzutreffenden und sich ständig ändernden Verhältnisse auch nicht geleistet werden. Insbesondere ist es ausgeschlossen, für jede Tour entsprechende Handlungsanweisungen zu erarbeiten. b) These 2 – Inhalt des Sicherheitskonzepts. Im Einklang mit den modernen Führungsmethoden steht die Forderung des Gerichts, die Teilnehmer der Tour umfassend zu informieren. Als entlastend für die Bergführer vor Ort kann sich auch die Anweisung auswirken, trotz des Drucks, etwas bieten zu müssen, im Zweifelsfall Touren bei ungünstiger Wetterlage, Lawinengefahr und an Hängen mit hoher Neigung zu unterlassen. Soweit das Gericht aber fordert, auch Auffassungen seien vorsorglich zu beachten, die in Fachkreisen ernsthaft diskutiert werden, aber (noch) keine Verkehrsnormen sind, schiesst es über das Ziel hinaus. Es ist sicher richtig, dass solche Auffassungen in die Sicherheitsüberlegungen mit einbezogen werden müssen. Zu weit geht es aber, wenn auch die vorsorgliche Beachtung gefordert wird. Auffassungen, die in der Fachwelt ernsthaft diskutiert werden, sind möglicherweise zwar auf dem Weg zu einer Verkehrsnorm, haben die allgemeine Anerkennung aber gerade noch nicht erfahren, wobei hierfür gute Gründe, etwa ein mangelnder Sicherheitsgewinn, sprechen können. Da eine Verkehrsnorm noch nicht vorliegt, kommt es daher darauf an, was ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch aus dem Verkehrskreis des Täters für notwendig und ausreichend gehalten hätte, um andere vor Schäden zu bewahren (differenzier- 27 28 Die sogenannten Limits waren erst im September 2000 entwickelt worden (oben Fn 14). OGH Beschluss vom 23.01.2003 – 6Ob304/02 [Rudolfshütte]; dazu Ermacora Berg und Steigen 2/03 S. 16; Urteil des Einzelrichters des Gerichtskreises XI Interlaken-Oberhasli vom 11.12.2001 [Saxetbach], dazu Blättler Kriminalistik 2001, 441; Schürch Kriminalistik 2002, 697. 131 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 te Massfigur) 29. Dieser mag im Einzelfall die neue Auffassung berücksichtigen, im Hinblick auf ihre mangelnde Erprobung und Verfestigung wäre es aber falsch, ihn stets dazu zu zwingen. Eine Verpflichtung zur Beachtung noch nicht gefestigter Auffassungen kann auch deswegen nicht in Betracht kommen, weil sogar die Beachtung verfestigter Verkehrsnormen für die Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt lediglich indiziell ist30, so dass der geforderte Zwang auch deswegen nicht angezeigt sein kann. c) These 3 – Notwendigkeit des geforderten Sicherheitskonzepts bereits am 28. 12. 1999. Die These, dass das von dem Gericht geforderte Sicherheitskonzept bereits im Unfallzeitpunkt hätte vorliegen müssen, beruht im wesentlichen darauf, dass das Gericht einen auf Munter zurückzuführenden «Paradigmenwechsel in der Lawinenkunde» konstatiert. Sachverständigenbeweis dazu wurde nicht erhoben. Auch heute lässt sich noch nicht feststellen, dass die Anforderungen, die die Rechtsordnung generell im Interesse des Rechtsgüterschutzes an das Verhalten des Menschen in der konkreten Situation stellen muss (äussere Sorgfalt), (nur) nach den Methoden der Neuen Lawinenkunde zu bestimmen sind31. d) These 4 – Das Fehlen eines Sicherheitskonzepts am 28. 12. 1999 als Verschulden. Umso fragwürdiger erscheint die Annahme einer Verletzung der inneren Sorgfalt, mit der die Anstrengungen bezeichnet werden, die der Einzelne unternehmen muss, um die an ihn gestellten Anforderungen zu erkennen. Die Nichteinhaltung der äusseren Sorgfalt indiziert zwar in der Regel die Verletzung der inneren Sorgfalt; dies gilt aber dann nicht, wenn die betreffende Verhaltensanforderung im Unfallzeitpunkt nicht bekannt oder nicht allgemein anerkannter Stand des Wissens war32. e) These 5 – Spätere Entwicklung und Umsetzung eines Sicherheitskonzepts. Dass der Veranstalter nach dem Unfall ein Sicherheitskonzept entwickelt und umgesetzt hat33, zeigt nach Auffassung des Gerichts, dass diese Massnahmen bereits früher möglich und zumutbar gewesen wären. Dies dürfte nicht falsch sein, entscheidend ist jedoch, ob die Notwen- 29 S oben Abschn. D I 1d aa (b), E III. 30 S oben Abschn. D I 1d aa (a). 31 S dazu oben Abschnitt D I 1 d aa. OLG Hamm NJW-RR 2004, 598. Oben Fn 14. 32 33 132 digkeit solcher Massnahmen voraussehbar war. Die Voraussehbarkeit ist ein wesentliches Element der Fahrlässigkeit. Massgeblich ist dabei der Zeitpunkt des Schadensereignisses. Daraus, dass der Schuldner aus einem schädigenden Ereignis die Konsequenzen zieht und sich um Abhilfe bemüht, kann noch nicht geschlossen werden, dass das Ereignis vor dem Unfall vorhersehbar war. Auch rechtspolitisch ist die These fragwürdig, weil die Bemühungen des Schuldners um mehr Sicherheit ihm letztlich zum Nachteil gereichen. H Statt einer Schlussbemerkung «Eine lebensnahe Rechtspraxis muss berücksichtigen, dass Bergsteigen und Skifahren im freien Gelände von der Gesellschaft gebilligte, besonders gefahrengeneigte Tätigkeiten sind, wo nicht jeder Unfall seinen Täter hat.» Klaus Weber, Präsident des Landgerichts Traunstein aD, zuvor Leitender Oberstaatsanwalt, Mitglied des Fachbeirats Recht des Deutschen Alpenvereins. Résumé: Situation juridique en cas d’accident d’avalanche en Allemagne En Allemagne, le droit pénal et le droit civil ont évolué différemment: alors que les tribunaux civils ont tendance à étendre la responsabilité, les instances du ministère public et les tribunaux pénaux inclinent davantage vers la responsabilité propre du skieur ou de l’alpiniste. Les questions centrales en matière de droit civil sont les problématiques de causalité, de contexte d’imputabilité et de négligence: a) Un comportement est causal lorsqu’il ne peut être ignoré ou – en cas d’omissions – il ne peut être ajouté sans suppression de la conséquence (condition sine qua non). La condition doit présenter un lien de causalité adéquate de sorte que des effets de causalité exceptionnelle ne puissent être imputés aux responsables du dommage; la jurisprudence ne reprend cependant ceci que rarement. Il y a également causalité lorsque plusieurs causes ont interagi alors que chacune d’entre elles prise isolément n’aurait pas provoqué le dommage (causalité cumulative). b) Le contexte d’imputation manque pour les cas dans lesquels le dommage serait également intervenu si le responsable du dommage s’était comporté correctement; ces dommages ne sont pas couverts par la protection visée par la norme. D’autre part, en principe, le comportement (déficient) de tiers n’interrompt pas le contexte d’imputation. c) La négligence est définie par la loi dans le droit civil allemand (§ 276 al. 2 du code civil). Agit négligemment quiconque ne fait pas preuve de la diligence requise (critère objectif). Une source essentielle permettant d’apporter la preuve d’une violation objec- Lawinen und Recht tive du devoir de diligence sont les règles propres du sport (règles de l’alpinisme). Pour savoir si et à partir de quand une nouvelle expérience ou découverte qui promet une sécurité accrue est devenue une règle de l’alpinisme (à ski), on se base sur les publications dans la littérature alpine, les recommandations des associations alpines, l’utilisation pendant de nombreuses années dans le cadre de la formation et de la formation continue, ainsi que l’application incontestée et constante dans la pratique sur une période prolongée. Si une telle règle ne peut être constatée, on examinera comment une personne réfléchie et raisonnablement prudente parmi les relations de la personne responsable du dommage (alpiniste) se serait comportée dans une situation concrète pour préserver les autres de tout dommage (en Autriche: «personne de référence différenciée»). d) Une responsabilité nettement plus précise s’applique aux organisateurs commerciaux de randonnées à ski qui offrent non seulement des services de formation et de guide, mais également d’autres prestations telles que le transport ou le logement. Pour eux, s’applique le droit du voyage (§§ 651a ss. CC) qui s’appuie sur la directive UE sur les voyages (directive 90/314/CEE du Conseil) et qui prévoit entre autres une sorte de garantie des indications du prospectus (p. ex. «des ascensions sûres et douces»). Dans le droit pénal, il y a des particularités en matière de causalité (le principe d’équivalence s’applique), de négligence (le critère de diligence s’applique), de responsabilité individuelle pour sa propre mise en danger (ne s’applique pas lorsque l’auteur du dommage possède des connaissances techniques supérieures). Klaus Weber, président du Tribunal de grande instance de Traunstein à la Danube (retraité), ancien procureur général en chef, membre du groupe de réflexion Droit du Club alpin allemand (DAV). Riassunto: La situazione giuridica in caso di incidente da valanga in Germania In Germania il procedimento civile differisce da quello penale: mentre i tribunali civili tendono a estendere la responsabilità, le procure e i tribunali penali sono invece più propensi a riconoscere la responsabilità individuale dello scialpinista (arrampicatore). Le questioni centrali intorno alle quali ruota il procedimento civile sono la causalità, il nesso di imputabilità e la negligenza. a) Un comportamento si intende causale se non può essere immaginato o, in caso di omissioni, non può essere figurato senza che venga meno la sua efficacia (conditio sine qua non). Poiché la condizione deve essere adeguatamente causale, determinate causalità straordinarie non vengono imputate all’autore del danno; tuttavia la giurisprudenza accetta questa condizione solo raramente. Una causalità sussiste anche quando concorrono più cause, ognuna delle quali non avrebbe da sola provocato il danno (causalità cumulativa). b) Il nesso di imputabilità manca nei casi in cui il danno si sarebbe verificato anche se il suo autore si fosse comportato correttamente; questi danni non vengono rilevati dal carattere protettivo della norma. Dall’altro lato, il comportamento (sbagliato) di terzi non interrompe fondamentalmente il nesso di imputabilità. c) La negligenza è contemplata dal diritto civile tedesco (art. 276, comma 2, Codice Civile BGB). Agisce con negligenza colui che viola il necessario dovere di diligenza (parametro obiettivo di diligenza). Un’importante fonte per la dimostrazione di un’obiettiva violazione del dovere di diligenza sono le regole dello sport (regole dello scialpinista e dell’arrampicatore). Se e da quando una nuova esperienza / conoscenza che promette una maggiore sicurezza si è trasformata in regola dello scialpinista o dell’arrampicatore, dipende dalla sua pubblicazione nella letteratura alpina, dalle raccomandazioni dei club alpini, dal suo utilizzo pluriennale durante la formazione e il perfezionamento e dalla sua applicazione pratica costante e incontrastata per un lungo periodo di tempo. Se una simile regola non può essere determinata, è necessario verificare come si sarebbe comportata nel caso concreto una persona prudente e giudiziosa, con un’accortezza entro limiti ragionevoli, proveniente dalla cerchia dell’autore del danno (scialpinista / arrampicatore), per proteggere gli altri da eventuali danni (in Austria: «figura di riferimento differenziata»). d) Una responsabilità nettamente maggiore vale per le agenzie commerciali che organizzano escursioni di scialpinismo e che non offrono solo formazione / guida, ma anche altri servizi come trasporto o pernottamento. Per queste ultime vale la legge turistica (artt. 651a e segg. del Codice Civile), che si basa sulla direttiva turistica dell’UE (direttiva 90 / 314 / CEE del Consiglio) e che tra le altre cose prevede una sorta di garanzia per le informazioni contenute nel prospetto (p. es. «Salite sicure e leggere»). Nel diritto penale esistono particolarità dal punto di vista della causalità (vale il principio di equivalenza), della negligenza (vale un parametro di diligenza individuale) e del mettere in pericolo la propria persona sotto la propria responsabilità (non vale in caso di conoscenza superiore dei fatti da parte dell’autore dei danni). Klaus Weber: presidente del tribunale di Traunstein aD, ex procuratore generale, membro del consiglio legale del club alpino tedesco. 133 Lawinen und Recht Rechtspraxis bei Lawinenunfällen in Österreich Andreas Ermacora 1 Strafrechtliche Verantwortung der ehrenamtlichen und hauptberuflichen Führer im Zusammenhang mit Lawinenunfällen Damit sich die Justiz selbst ein Bild von den Örtlichkeiten nach einem Lawinenunfall machen kann, ist es in Tirol nahezu die Regel, dass der zuständige Staatsanwalt zusammen mit der Alpinpolizei an Ort und Stelle die Erhebungen leitet. Unterstützt wird er dabei zumeist von dem bereits beauftragten lawinenkundlichen Sachverständigen. Bei Lawinenunfällen ist es aus mehreren Gründen unbedingt notwendig, in zeitlicher Nähe zum Ereignis Feststellungen zu treffen. Zum einen können Feststellungen später nicht mehr getroffen werden, da sich die Verhältnisse im Winter aufgrund von Witterungseinflüssen rasch ändern können. Zum anderen kann der Richter alles, was nicht erhoben wurde, nicht feststellen. Zweifel gehen nicht zu lasten des Angeklagten. Es gilt der Grundsatz «in dubio pro reo». Wichtig ist, dass im Strafverfahren eine strikte «ex ante Betrachtung» zu erfolgen hat. Der Richter hat sich quasi in die Person des verantwortlichen Führers hineinzuversetzen und alle Erkenntnisse, die dem Führer vor dem Unfall nicht zur Verfügung standen, nicht zu verwerten. Wenn es, wie im Alpinrecht die Regel, keine gesetzlichen Grundlagen gibt, richtet sich die Frage nach einem Sorgfaltsverstoss nach den sogenannten allgemeinen anerkannten Verhaltensregeln. Wann kann man von solchen allgemein anerkannten Verhaltensregeln sprechen? – Sie müssen mit einem Sicherheitsgewinn verbunden sein. – Sie müssen von den anerkannten Fachkreisen (wie z. B. Bergführerverband, Alpinvereine, Alpinpolizei, Bundesheer usw.) gelehrt und in der Ausbildung regelmässig angewandt werden. – Sie müssen eine breite Zustimmung in den Fachkreisen und von den Anwendern finden. – Sie müssen in der Praxis über einen längeren Zeitraum (mehrere Jahre) angewandt werden. – Sie müssen schriftlich fixiert sein. Wenn es solche allgemein anerkannten Verhaltensregeln nicht gibt, richtet sich der Sorgfaltsmassstab an dem gedachten Verhalten der differenzierten Massfigur. Die differenzierte Massfigur ist ein mit den rechtlich geschützten Werten, an- gemessen verbundenen, besonnener und einsichtiger Mensch aus dem Verkehrskreis des Täters. Das Gericht muss also mit Hilfe des Sachverständigen feststellen, wie sich die Massfigur in der konkreten Situation verhalten hätte. Wenn sodann das Verhalten des angeklagten Bergführers weniger sorgfältig war, kann Fahrlässigkeit die Folge sein. Jamtalunfall vom 28. 12. 1999 (39 HV 85/00 LG Innsbruck) Bei der vom Tiroler Lawinenwarndienst herausgegebenen Warnstufe 4 («grosse» Lawinengefahr) führten drei staatlich geprüfte Bergführer im Rahmen einer Millenniumsveranstaltung eine Skitour mit zum Teil unerfahrenen Personen auf den Russkopf im Bereich der Jamtalhütte durch. Beim Rückweg zur Hütte musste die rund 40köpfige Gruppe neuerlich einen Hang queren, der am Vormittag bereits erfolgreich begangen wurde. Die Spur war noch teilweise sichtbar. Die Hütte war in unmittelbarer Nähe. Der Hang wies im Bereich der Spur eine Neigung von rund 23 ° auf, im oberen Bereich steilte er jedoch auf ca. 40 ° auf. Die Führer ordneten keine Entlastungs- oder Sicherheitsabstände an. Die Teilnehmer gingen sodann ungeordnet zur Hütte und wurden von einem Schneebrett, welches völlig lautlos niederging, erfasst. 15 Personen wurden total verschüttet, 9 Personen starben. Die Umgehung des Hanges hätte einen Zeitmehraufwand von rund 5 Minuten erfordert. In dem beim Landesgericht Innsbruck geführten Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen ging es neben der entscheidungswesentlichen Frage der Vorhersehbarkeit um die Frage, ob die «Muntermethode» (Munter: 3 x 3 Lawinen, 1997) bereits als allgemein anerkannte Verhaltensregel anzusehen war oder nicht. Wenn die Bergführer damals nach dieser Methode vorgegangen wären, wäre der Verzicht auf die Begehung dieses Hanges als Entscheidungsstrategie vorgesehen gewesen. Das Landesgericht Innsbruck stellte nach einem überaus ausführlichen Beweisverfahren fest, dass die sogenannte strategische Lawinenkunde noch relativ jung und umstritten war, sodass noch nicht von anerkannten, auf breiter Basis akzeptierten Methoden gesprochen werden kann. Die Bergführer haben daher zu Recht die klassische Beurteilungsmethode angewandt. Ausgehend vom Sachverständigengutachten sprach das Gericht die 135 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Bergführer frei, da ihnen ein Sorgfaltsverstoss nicht nachweisbar war. Der Abgang der Lawine war nicht vorhersehbar. Auch die differenzierte Massfigur hätte ausgehend von der strikten ex ante Betrachtung den Hang gequert. Wie ein Gericht diesen Fall heute entschieden hätte, vermag ich nicht zu beurteilen. Gerade der österreichische Bergführerverband wendet sich strikt gegen die Meinung, dass die strategische Lawinenkunde bereist als allgemein anerkannte Verhaltensregeln anzusehen ist. Für diese Argumentation spricht sicherlich die Vielzahl von Methoden und deren unterschiedliche Anwendung in den einzelnen Kreisen (Alpinvereine, Bergführerverband, Alpinpolizei, Bundesheer). Ausserdem liegt eine einheitliche schriftliche Fixierung nicht vor. Der österreichische Bergführerverband hat klar zum Ausdruck gebracht, dass die strategischen Methoden neben der klassischen Beurteilung nur als methodisch, didaktisches Kontrollinstrument dienen kann, dessen Anwendung nicht zwingend ist (Koordinationssitzung des Ausbildungsteams zum Österreichischen Berg- und Skiführer). Im Übrigen weisen die Methoden prinzipielle Unzulänglichkeiten auf. Die gröbste liegt wohl in der Gefahrenstufeneinschätzung, die die Grundlage für alle Methoden ist. Selbst die Lawinenwarner sprechen davon, dass nur rund 70 % der Lawinenlageberichte als korrekt bezeichnet werden können. (Schweizer in «Sicherheit im Bergland», 2003, Seite 170 ff) . Im Übrigen hat jeder Bergführer das Recht und die Pflicht, die amtliche Gefahrenstufe, die lediglich den Stellenwert einer Prognose hat, auf ihrer Richtigkeit im konkreten Gelände zu überprüfen. Die amtliche Gefahrenstufe gibt keine Garantie für ihre Richtigkeit für den zu beurteilenden Hang bzw. die zu beurteilende Situation. Zudem steckt in der Gefahrenstufe nur ein Teil der relevanten Information für die Gefahrenbeurteilung. Es bleibt also die weitere Entwicklung abzuwarten, ob die strategische Lawinenkunde allgemein anerkannte Verhaltensregel wird oder nicht. 2 Strafrechtliche Verantwortung der örtlichen Lawinenkommissionen Während es also bei geführten Touren zumindest Ansätze der strategischen Lawinenkunde gibt, sieht die Situation bei der lawinenkundlichen Betrachtung durch die Lawinenkommissionen anders aus. Grundlage für die Lawinenkommissionen in Tirol ist das Gesetz über die Lawinenkommission aus dem Jahr 1991. In Gemeinden, in denen Gebiete der Gefahr von Lawinenkatastrophen ausgesetzt sind, ist vom 136 Bürgermeister eine Lawinenkommission einzurichten. Der Bürgermeister darf nur solche Personen bestellen, die im besonderem Masse geeignet sind, drohende Lawinengefahr zu erkennen und zu beurteilen. Die Erfüllung der Aufgaben muss den Mitglieder im Hinblick auf ihre berufliche Tätigkeit und das Ausmass ihrer Anwesenheit in der Gemeinde zumutbar sein. Somit kommt dem Bürgermeister bei der Auswahl der Mitglieder eine ganz entscheidenden Rolle zu. Dies vor allem unter dem Gesichtspunkt des Auswahlverschuldens. Sollte der Bürgermeister Personen bestellen, die keine Erfahrung, Ausbildung oder sonstige einschlägige Qualifikation in der Beurteilung der Lawinengefahr haben und sollte dieses Defizit letztlich mitausschlaggebend für die Fehlbeurteilung sein, so könnten durchaus auch strafrechtliche Untersuchungen gegen den Bürgermeister die Folge sein. Das Land Tirol hat für eine ausreichende Schulung der ehrenamtlichen Kommissionsmitglieder zu sorgen. Ausserdem werden die Lawinenkommissionen vom Tiroler Lawinenwarndienst mit allen möglichen Informationen versorgt, um entsprechende Grundlagen für ihre Entscheidung zu haben. Dennoch ereignen sich selten aber doch Unfälle, die zu einer strafrechtlichen Überprüfung führen, so z. B. der Lawinenunfall vom 23. 2. 2001 in Obergurgl. Lawinenunfall vom 23. 2. 2001 in Obergurgl (28 HV 67/02 z LG Innsbruck, 6 Bs 353/03 OLG Innsbruck) Bei einer vom LWD ausgegebenen Gefahrenstufe 4 («grosse» Lawinengefahr) ging eine grossflächige Lawine auf die Gurgler Landesstrasse zwischen Zwieselstein und Obergurgl ab. Eine vierköpfige Familie aus Deutschland fand dabei den Tod. Sie wurde mit ihrem PKW auf der nicht gesperrten Strasse verschüttet. Ein Strafverfahren wegen Verdachtes der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen wurde eingeleitet. Auf der Anklagebank sassen 5 Mitglieder der örtlichen Lawinenkommission. Das Gericht hatte zu überprüfen, ob die Angeklagten alle ihnen zur Verfügung gestandenen Informationen eingeholt hatten. Das sind u. a. – Der Katastrophenschutzplan – Der Lawinenkataster – Die Lawinenchronik – Der regionale Wetterbericht – Der aktuelle Lawinenbericht – Die aktuellen Wetterdaten – Die aktuellen Schneehöhenberichte – Information über den Aufbau der Schneedecke in den Anrissgebieten – Örtliche Beobachtungen – Grenzwertstatistiken Lawinen und Recht Sollte sich im Gerichtsverfahren herausstellen, dass die Mitglieder der örtlichen Lawinenkommission eine dieser Grundlagen nicht eingeholt haben und sollte ihr das Unterlassen dieser Informationsbeschaffung subjektiv und objektiv vorwerfbar sein, so könnte sich daraus ein strafrechtlich relevanter Vorwurf ergeben. Nachdem es – wie oben ausgeführt – keine strategische Lawinenkunde für Lawinenkommissionen gibt und das zitierte Gesetz nur Formvorschriften, aber keine Verhaltensgrundsätze, wie und auf welchen Grundlagen die Entscheidungen zu treffen sind, enthält, muss das Gericht wiederum das konkrete Verhalten der betroffenen Kommission mit dem hypothetischen Verhalten der Massfigur vergleichen. So auch im Fall Obergurgl. Die Mitglieder der Lawinenkommission Obergurgl sind bei ihrer Einschätzung der Situation von der allgemeinen Stufe 4 abgegangen und haben die Beurteilung mit gerade noch Stufe 3 der fünfteiligen Skala vorgenommen. Dazu stellte das Oberlandesgericht Innsbruck fest: «auch die differenzierte Massfigur, die als Personifizierung der Rechtsordnung in der konkreten Situation fungiert, konnte am Morgen des Unfalltages durchaus nachvollziehbar zum exante Urteil gelangen, dass im Unfallgebiet mit teilweiser Verschüttung der Gurgler Landesstrasse noch nicht jenes Ausmass erreicht hat, dass die Sperre der Strasse erfordert.» Die Kommissionsmitglieder wurden daher rechtskräftig freigesprochen. Der Fall Obergurgl zeigte, dass sich die ehrenamtlichen Lawinenkommissionsmitglieder auf einem schmalen Grat bewegen. Trotz bester Auswahl, Ausbildung, Schulung sowie gewissenhafter Sammlung und Auswertung der Kenndaten können Unfälle mit Personenschäden nicht ausgeschlossen werden. Dieses Restrisiko wird immer dort bestehen bleiben, wo Menschen entscheiden müssen. Aufgabe der Justiz ist es sodann, diese Entscheidungen in rechtlicher Hinsicht zu überprüfen. Dass diese Aufgabe nicht leicht ist, versteht sich aufgrund der komplexen Marterie «Lawinenkunde» von selbst. Deshalb kommt dem gerichtlichen Sachverständigen eine entscheidende Rolle zu. 3 Literatur Bergmann R. und Bergmann H. 2003, Lawinenfachausbildung der österreichischen Berg- und Schiführerausbildung, Bergundsteigen 04 / 03 Munter W. 1997, 3 x 3 Lawinen Pfeiffer C. und Rothart V 2002, Die Reduktionsmethode zur Beurteilung der Lawinengefahr für Schitourengeher aus statistischer Sicht, Sicherheit im Bergland, Jahrbuch 2002, KURASI Innsbruck Murschetz V. und Tangl. A 2002, Der Jamtal Fall aus strafrechtlicher Sicht, Sicherheit im Bergland, Jahrbuch 2002, KURASI Innsbruck Gabl K. und Lackinger B. 2000, Lawinenhandbuch Ermacora A. 2004 «Das alpine Haftungsnetz», Seminarbericht Galtür, Hrsg OEAV Ermacora A. 2005 «Der alpine Lebensraum im Spannungsfeld zwischen Nachhaltigkeit und Naturgefahren», Hrsg Wildbach- und Lawinenverbauung Dr. Andreas Ermacora ist Rechtsanwalt in Innsbruck, Vizepräsident des OEAV und als Verteidiger in zahlreichen Alpinunfällen ständig mit der Materie «Lawinenunfall-strafrechtliche Verantwortung» beschäftigt. Résumé: La situation juridique en Autriche Au cours des années passées, de nombreux accidents d’avalanche ayant fait l’objet d’une enquête judiciaire ou d’une procédure en justice se sont produits dans le Tyrol. Le thème central était la responsabilité pénale des guides (guides de montagne / moniteurs de ski, guides bénévoles) ou des membres de la Commission des avalanches locale. Sur la base de quatre accidents d’avalanche, l’orateur expose l’évolution de la jurisprudence en matière de responsabilité lors de randonnées à ski au cours des années écoulées. Alors que jusqu’il y a six ans, l’élément déterminant était surtout l’évaluation de la situation sur place en combinaison avec les conditions effectives, avec l’expérience des guides et avec l’évaluation par l’expert dans la question du non-respect du principe de diligence, les tribunaux s’en tiennent aujourd’hui de plus en plus aux méthodes connues de minimisation des risques, comme par exemple la méthode Munter (3 × 3) ou la méthode Larcher / OEAV (Stop or Go) En l’absence de dispositions légales applicables comme c’est par exemple le cas dans le droit alpin, la question de la responsabilité est également examinée en fonction de ce que l’on appelle les «règles générales reconnues de comportement». L’exposé de l’orateur examine plus en profondeur la question de savoir si les méthodes citées ci-avant de minimisation des risques comptent déjà parmi les règles générales reconnues de comportement. Dans le cas des accidents qui relèvent de la responsabilité de la Commission des avalanches, l’orateur met en évidence la difficulté d’évaluation de la situation pour les personnes responsables; il souligne également à quel point l’évaluation juridique est difficile pour la justice, surtout dans le cadre d’une stricte analyse «ex ante». Dans les deux groupes de cas, l’élément commun est cependant que l’expert désigné par le tribunal joue un rôle décisif. Andreas Ermacora, Docteur en droit, avocat à Innsbruck, vice-président de l’OEAV, a été défenseur dans de nombreux accidents survenus dans les Alpes s’occupant constamment de la question de la «responsabilité pénale en matière d’accident d’avalanche». 137 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Riassunto: La situazione giuridica in Austria Negli anni passati si sono verificati in Tirolo numerosi incidenti da valanga, che sono stati oggetto di inchieste o processi giudiziari. Il tema centrale era la responsabilità penale delle guide (alpine/escursionistiche / volontarie) o dei membri della locale commissione valanghe. Sulla scorta di quattro incidenti da valanga, il relatore illustra come è cambiata nel corso degli ultimi anni la giurisprudenza sulla responsabilità durante le escursioni di scialpinismo. Mentre sino a sei anni fa erano determinanti per la questione della violazione del dovere di diligenza soprattutto la valutazione sul posto della situazione, legata alle condizioni effettive, all’esperienza della guida e alla valutazione dei periti, oggi i tribunali si appoggiano progressivamente ai noti metodi di minimizzazione del rischio, come quello di Munter (3 × 3) o di Larcher / OEAV (stop or go) Se p. es. nel diritto alpino non esistono norme giuridiche determinanti, la questione della responsabilità si orienta anche verso le cosiddette «regole comportamentali generalmente riconosciute». Nella relazione si analizza poi criticamente se questi metodi di minimizzazione del rischio sopra citati si siano già trasformati in regole comportamentali generalmente riconosciute. Per quanto riguarda gli incidenti che ricadono sotto la responsabilità della commissione valanghe, la relazione spiega le difficoltà che esistono nel valutare la situazione da parte dei responsabili, ma anche le difficoltà che incontra la giustizia nella valutazione giuridica, soprattutto dal punto di vista «ex ante». Per entrambi i gruppi assume un ruolo decisivo il perito nominato dal tribunale. Il Dott. Andreas Ermacora, avvocato di Innsbruck è vicepresidente dell’OEAV e nella sua qualità di difensore in numerosi incidenti alpini si occupa costantemente di incidenti da valanga e responsabilità penale. 138 Lawinen und Recht Lawinenunfall – Die Rechtslage in der Schweiz Heinz Walter Mathys I Strenger Sorgfaltsmassstab – hohes Verantwortungsbewusstsein Im Januar 1994 fand das erste Forum «Lawinen und Rechtsfragen» statt. RA Dr. Hans-Kaspar Stiffler, Bundesrichter Dr. Guisep Nay und ihr Referent berichteten über Rechtsfragen. Im Juni 1996 organisierte das SLF in Sion mit ausländischer Beteiligung das Kolloquium «Avalanches et aspects juridiques». Referenten aus Italien und Frankreich orientierten über die Rechtslage in den benachbarten südlichen und westlichen Alpenländern. Bereits anfangs Dezember 1992 hatte ihr Referent an einer von François Perraudin in Martigny organisierten Weiterbildungsveranstaltung der Walliser Bergführer zum Thema «La responsabilité civile et pénale du guide de montagne» schwergewichtig über die Verantwortung bei Lawinenunfällen berichtet. Heute ist gemäss Programm «vor allem anhand von Fallbeispielen der letzten 10 Jahre» Stand und Entwicklung der Rechtspraxis in der Schweiz darzulegen. Vorweg ist festzustellen, dass Lawinen, wie H.-K. Stiffler1 am Lawinenforum 1994 zutreffend ausgeführt hat, weitgehend kalkulierbare Naturereignisse geworden sind. Bevor auf Einzelfälle in den verschiedenen Verantwortungsbereichen des Gemeinwesens (Bund, Kantone und Gemeinden) und Privater (Bergtransportunternehmungen, Bergführer, Tourenleiter, Schneesportlehrer und Schneesportleiter, faktische Führer) eingetreten wird, stelle ich aufgrund meiner Erfahrungen als regelmässiger Referent und Instruktor, Präsident der SKUS, Mitglied der Kommission Rechtsfragen auf Schneesportabfahrten von Seilbahnen Schweiz (KRS-SBS) und Experte im Schneesportrecht mit grosser Genugtuung fest, dass das Verantwortungsbewusstsein der zahlreichen, speziell aus- und ständig weitergebildeten Sicherheitsverantwortlichen in den letzten 15 Jahren – teilweise unter dem Eindruck der ergangenen Straf- und Zivilurteile – stark gestiegen ist. Herr Bundesrichter, heute Bundesgerichtspräsident Nay hat 1994 in seinen Schlussbemerkungen zum Lawinenunfall aus der Sicht des Strafrichters auf die Funktion des Strafrechts als Schutzrecht zugunsten potentieller Lawinenopfer hingewiesen. Meine zwischenzeitlich gemachten Erfahrungen im Umgang mit den Sicherungsverantwortlichen verschiedener Ebenen belegen, dass der von den Gerichten angewandte strenge, aber gebotene Sorgfaltsmassstab das Risiko von Lawinenunfällen tatsächlich vermindert hat. Die tatsächlich verbesserte Sicherheit liegt im wohlverstandenen Interesse aller Verantwortlichen. Höchstmögliche Sicherheit, Risikomanagement im Rahmen des «erlaubten», «nicht verbotenen» oder «sozialadäquaten», aber doch «massvollen» «Risikos» ist Berufung, vocation! Berufung nicht einzig für Bergführer als Angehörige eines bewilligungspflichtigen Berufes und Sicherheits- und Rettungschefs, mit oder ohne eidgenössischen Fachausweis im Pisten- und Rettungsdienst, Lagerleiter2, Kursleiter3, Klassenlehrer4, Touren- und andere Leiter5, sondern auch für die Sicherungsverantwortlichen des Gemeinwesens, Mitglieder der kantonalen und kommunalen Sicherheitskommissionen, Sicherheitschefs, Strassenmeister und Kantoniere. Wie die vorgenannten Sicherheitsgaranten sind sich auch die Richter, Anwälte und Staatsanwälte bewusst, dass die Entscheidfindung bei voraussehbarer Lawinengefahr und deren möglichen Folgen eine Gratwanderung sein kann. Le risque zéro n’existe pas! Bei der Rechtsprechung geht es indessen nicht um Wahrscheinlichkeiten bzw. Restrisiken6 ohne Verantwortlichkeiten, sondern um die Frage der Voraussehbarkeit und Vermeidbarkeit der Lawinen als Naturereignisse und der persönlichen Verantwortung von speziell aus- und weitergebildeten7 Sicherheitsgaranten. Bei Lawinenunfällen 1 2 3 4 5 6 7 SLF (Hrsg.) 1996: Lawinen und Rechtsfragen. Schneeund Lawinenforum 1, S. 52 BGE 98 IV 168 i.S. Z., Urteil vom 04. 09. 1972, Osterskilager, Unfall vom 28. 03. 1970. P 1536/1986 und Str. 590/1986 i.S. S. vom 10. 02. 1987, Sustengebiet, Vorderer Tierberg, 26.06.83. P 1546/1986 und Str. 589/1986 i.S. T. vom 10. 02. 1987, Sustengebiet, Vorderer Tierberg, 26.06.83 Kreisamt Davos, Strafmandat vom 11. 07. 2005 i.S. B, J+S-Leiter, Rinerhorn, 29. 12. 2003 uBGE 4C.255/2003 (Urteil vom 28. 11. 2003) zeigt, dass der Begriff der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht unbekannt ist (E. 4.2, Restrisiko bei Vasektomie). Siehe SLF (Hrsg.) 2002: Interkantonales Frühwarnund Kriseninformationssystem IFKIS. Schlussbericht. Davos, SLF. Die Publikation orientiert eingehend über Pflichtenhefte, Aus- und Weiterbildung, Kursangebote, Regionale Bulletins und Informationssystem. 139 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 muss ihr Handeln, ihr aktives Tun oder Unterlassen, von Gesetzes wegen8 polizeilich abgeklärt, richterlich untersucht und allenfalls gerichtlich beurteilt werden. Untersuchungsbehörden und Gerichte nehmen eine Beurteilung «ex ante» (aus damaliger Sicht) vor. Von Besserwisserei «ex post» (aus heutiger Sicht), wie etwa von den Praktikern und deren Standesorganisationen kritisiert wird, kann mit Fug und Recht keine Rede sein. Weil das Leben an sich gefährlich und Leben ohne Risiko nicht lebenswert ist, kann in Risiken eingewilligt werden. Wer sich in vollem Bewusstsein und freier Entscheidung in eine Gefahr begibt bzw. sich in voller Kenntnis des Risikos bzw. des Restrisikos an einem erkennbar gefährlichen Unternehmen beteiligt, kann als Opfer von Dritten keine besondere Vorsichtsmassnahmen verlangen. Die vielfach gestellte Frage lautet, ob sich die Rechtsprechung bei Lawinenunfällen in den letzten Jahren geändert hat, insbesondere ob sie strenger geworden ist. Die Antwort lautet: Der von den Gerichten angewandte Sorgfaltsmassstab ist streng geblieben, aber nicht strenger geworden. Die viel bemühte «Amerikanisierung» der Verantwortung hat keinesfalls stattgefunden. Es liegt auf der Hand, dass bei Lawinenunfällen die Interessen des Sicherungsverantwortlichen mit denjenigen des Opfers konkurrenzieren. Die Opfer geniessen den Schutz des Opferhilfegesetzes9 und können sich bereits im Strafverfahren als Privatkläger beteiligen, die Bestrafung des Schuldigen verlangen und Zivilklage aus strafbarer Handlung einreichen10. Im Urteil hat der Richter beide Interessen zu berücksichtigen. Urteile werden von den Betroffenen und deren Umfeld diskutiert und kritisiert. Mit derartiger Kritik wurde ich bereits anlässlich meines Referates vom 2. Dezember 1992 in Martigny konfrontiert. In einem Rundschreiben vom 19. November 1992 an das Bundesgericht, die Kantons- bzw. Obergerichte sowie die Staatsanwaltschaften der Bergkantone und der Presseagenturen bezeichnete der Schweizerische Bergführerverband das am 16. Januar 1992 im Fall Mot San Lorenzo ergangene Urteil11 als Fehlurteil. Weil das Urteil im Ergebnis unzweifelhaft richtig ist, konnte ich mich dieser Bewertung nicht anschliessen. Richtig ist der Schuldspruch des Bergführers und Skilehrers wegen fahrlässiger Tötung, weil die Touristen nicht auf kleinem Raum, wenn möglich nicht im Nordwesthang mit einer Neigung von 38 ° des Mot San Lorenzo und nur mit genügendem Abstand voneinander (Entlastungsabstände) hätten aufsteigen sollen. Zwar empfiehlt nicht das Lawinenbulletin selber dieses Verhalten bei Gefahrenstufe 2, also mässiger örtlicher Schneebrettgefahr, wohl aber die Interpre- 140 tationshilfe II dazu, die jedem Bergführer bekannt sein muss. Ob sich das Unglück nicht ereignet hätte, wenn diese Anweisungen eingehalten worden wären, lässt sich nicht sagen, doch hätte das Unglück dann höchstwahrscheinlich weniger Opfer gefordert. Eine weitere offenkundige Sorgfaltspflichtverletzung bestand darin, dass der Bergführer die Gruppe in einer leichten Mulde warten liess, wo die Gefahr einer tödlichen Verschüttung infolge des Staus der Schneemassen am grössten ist. Es liegt auf der Hand, dass eine technische Expertise am Ausgang des Verfahrens nichts geändert hätte. Das Bundesgericht nahm eine Beurteilung «ex ante» vor. Im Strafrecht sind alle Ursachen, im Fall Mot San Lorenzo fehlende Entlastungsabstände und Warteraum in Mulde, welche zu einem verpönten Erfolg – in concreto sechs tote Skitouristen aus Holland – geführt haben, gleichwertig; es gilt das Aequivalenzprinzip. Weil das Aequivalenzprinzip gilt, gibt es im Strafrecht, das sei in Erinnerung gerufen, auch keine Schuldkompensation! Allein im Jahre 2005 ergingen drei bundesgerichtliche Urteile, welche Lawinenunfälle und deren Beurteilung betreffen. II Neueste Rechtsprechung 1 Lawinenniedergang auf öffentlicher Strasse Täsch – Zermatt; Werkeigentümerhaftung, Kausalzusammenhang Vom Sachverhalt und Strafurteil des Bundesgerichts12 des ersten Falles war bereits am Forum 1994 die Rede. Beim Lawinenniedergang vom 2. März 1985 gegen 9 Uhr vom Täschwang auf der rechten Mattertalseite fanden elf Insassen eines Taxikleinbus und eines Personenwagens den Tod. Im Entscheid vom 30. November 1990 kam der Kassationshof zum Schluss, auch wenn die für das Schliessen der öffentlichen Strasse TäschZermatt Verantwortlichen ihren Sorgfaltspflichten genügt und das Lawinenbulletin abgehört sowie die weiteren möglichen Informationen über die 8 9 10 11 12 Fahrlässige Tötung, fahrlässige schwere Körperverletzung und Störung des öffentlichen Verkehrs sind Offizialdelikte. OHG vom 4. 10. 1991, SR 312.5 In dem in Anm. 3 und 4 erwähnten Fall Vorderer Tierberg (Eisprüfung) hatten sich die beiden schwer verletzten Kursteilnehmer als Privatkläger konstituiert. BGE 118 IV 130, besprochen von Schultz, ZBJV 129 (1993) 614. BGE 116 IV 182 Lawinen und Recht Lawinengefahr eingeholt hätten, wäre für sie eine Lawinengefahr, welche zu einer Strassensperrung hätte führen müssen, doch nicht erkennbar gewesen. Weil die dem kantonalen Abteilungsdienstchef und dem Strassenmeister zur Verfügung stehenden Mittel nicht geeignet waren, die Lawinengefahr am Unglücksmorgen zu erkennen, kam es zu einem Freispruch. Die Verantwortlichen hatten bei der vorgesetzten Behörde einen Lawinenbeobachtungsdienst gefordert. Dieser wurde ihnen versagt. Nachdem eine frühere Vorlage abgelehnt worden war, bewilligten die Stimmbürger von Zermatt am 20. April 1986 den Bau einer Lawinenschutzgalerie, deren Kosten auf 11 Millionen Franken veranschlagt wurden. Am 22. Februar 1999 wurde der Staat Wallis aus Werkeigentümerhaftung gemäss Art. 58 OR auf Zahlung von rund 120 000 Franken samt Zins eingeklagt. Nach einem Zwischenentscheid betreffs Verjährung vom 23. Mai 2001 wies das Kantonsgericht Wallis die Klage am 12. Oktober 2004 ab. Am 18. Mai 2005 trat das Bundesgericht auf eine staatsrechtliche Beschwerde nicht ein und wies die Berufung ab13. Zur Frage, ob das Werk im kritischen Zeitpunkt mit einem unfallkausalen Mangel behaftet war, führt die I. Zivilabteilung in E. 2.2 aus: «Diese Frage ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beantworten unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung des Werks (.....) sowie dessen, was sich nach der Lebenserfahrung am fraglichen Ort zutragen kann (.....). Sind zur Gewährleistung der erforderlichen Sicherheit bei der Erstellung oder beim Unterhalt des Werks besondere Massnahmen angezeigt, kommt dem Kriterium der Zumutbarkeit besondere Bedeutung zu. Der Eigentümer muss jene Vorkehren treffen, die vernünftigerweise von ihm erwartet werden dürfen, wobei der Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Unfall ereignen könnte, und dessen Schwere einerseits sowie den technischen Möglichkeiten und den Kosten der in Frage stehenden Massnahmen andererseits Rechnung zu tragen ist (.....). Vermag der Eigentümer aus finanziellen, technischen oder praktischen Gründen als Mindeststandard ein an der unteren Grenze liegendes Schutzbedürfnis der Benutzer nicht zu befriedigen, muss das Werk aus dem Verkehr gezogen werden (.....).» In E. 2.3 stellt das Bundesgericht vorweg fest, dass diese Grundsätze auch für öffentliche Strassen gelten, das Strassennetz aber nicht in gleichem Mass unterhalten werden kann wie zum Beispiel ein einzelnes Gebäude. Es führt aus: «Vom Strasseneigentümer, bei dem es sich meistens um das Gemeinwesen handelt, kann nicht erwartet werden, jede Strasse so auszugestalten, dass sie den grösstmöglichen Grad an Verkehrssicherheit bietet. Es genügt, dass die Strasse bei Anwendung gewöhnlicher Sorgfalt ohne Gefahr benützt werden kann (.....). Dadurch wird das vom Strasseneigentümer zu vertretende Sorgfaltsmass herabgesetzt (.....). Im Rahmen des bestimmungsgemässen Gebrauchs ist die gesetzliche Klassierung der Strasse und das zu erwartende Verkehrsaufkommen zu beachten (.....), wobei das Bundesgericht der finanziellen Belastbarkeit des Gemeinwesens besonderes Gewicht beimisst (.....).» Abschliessend betont das Gericht, dass die Umstände des Einzelfalles massgebend sind. Bei der Strasse Täsch–Zermatt handelt es sich gemäss grossrätlichem Dekret um eine als kantonale Bergstrasse eingereihte Bergnebenstrasse, welche seit 1983 nur für Fahrzeughalter mit Sonderbewilligung offen ist. Auch das Bundesgericht hielt dafür, dass der Kanton mit Blick auf die Kosten mangels Zumutbarkeit nicht verpflichtet gewesen sei, an der Unfallstelle eine Schutzgalerie zu erstellen. Dem Urteil ist zu entnehmen, dass der Kanton Wallis von 1950 bis in die heutige Zeit für 420 Millionen Franken Schutzbauten erstellt hat und gegenwärtig rund 125 Projekte mit einem Volumen von rund 100 Millionen Franken in Bearbeitung sind. Der von 1987 bis 1993 erstellte TäschwangTunnel kam auf rund 4,9 Millionen Franken zu stehen. Weil der Staat Wallis die Infrastruktur zur Erlangung der notwendigen Kenntnisse über die Witterungsverhältnisse, namentlich beim SLF, nicht bereitgestellt habe, bejahte auch das Bundesgericht in E. 4.2 den Werkmangel im Sinne von Art. 58 Abs. 1 OR in der Form des mangelnden Strassenunterhalts, verneinte aber den Kausalzusammenhang zwischen dem Mangel und der Entstehung des Schadens. Der Kausalzusammenhang ist zu verneinen, «wenn der Eigentümer bei korrektem Unterhalt des Werks den Eintritt des Schadens nicht hätte verhindern können (.....).» Weil das Kantonsgericht verbindlich festgestellt hatte, dass der Lawinenniedergang auch dann nicht voraussehbar gewesen wäre, wenn der Kanton die geeigneten Strukturen bereitgestellt hätte, um die Lawinengefahr rechtzeitig zu erkennen, war der Schadenseintritt auch für das Bundesgericht nicht auf den mangelhaften Unterhalt der Strasse zurückzuführen, «sondern auf höhere Gewalt im Sinne eines unvorhersehbaren und unvermeidbaren Ereignisses, 13 4C.45/2005 (I. Zivilabteilung); zur Werkeigentümerhaftung s. auch 4C.157/2004, Sturz eines 3 1/2 Jahre alten Mädchens in Webereikanal entlang einer Zufahrtsstrasse, Urteil vom 08.09.2004. 141 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 das mit unabwendbarer Gewalt von aussen einbricht (.....)», wobei das Bundesgericht allerdings hervorhob, «dass im vorliegenden Falle der höheren Gewalt dogmatisch nicht die Bedeutung zukommt, einen an sich gegebenen Kausalzusammenhang zu unterbrechen. Vielmehr bildet das Ereignis, das zu unvorhersehbarer Zeit mit einer Naturgewalt herein gebrochen ist, die ausschliessliche Ursache des Schadens, denn der Schaden wäre unter den gegebenen Umständen auch ohne den Werkmangel eingetreten.» Im Zusammenhang mit der Voraussehbarkeit verwies das Bundesgericht unter Hinweis auf die Haftung für Tiere gemäss Art. 56 Abs. 1 OR14 und die analoge Haftungsbefreiung des Geschäftsherrn15 auf den allgemein geltenden Grundsatz, dass keine Haftung entsteht, «wenn der präsumtiv Haftpflichtige beweist, dass ein rechtmässiges Alternativverhalten denselben Schaden bewirkt hätte wie das tatsächlich erfolgte rechtswidrige Verhalten». 2 Lawinenunfall Meierhofertälli; eigenverantwortliche Selbstgefährdung, Würdigung von Expertisen, Sorgfaltswidrigkeit und Vorhersehbarkeit Am 3. Mai 2005 beurteilte der Kassationshof16 des Bundesgerichts eine staatsrechtliche Beschwerde und Nichtigkeitsbeschwerde gegen ein Urteil des Ausschusses des Kantonsgerichts von Graubünden vom 30. Juni 2004. Beurteilt wurde ein Lawinenunfall im Parsenngebiet (Meierhofertälli) vom 21. Februar 2000, bei welchem drei Schneesportler den Tod fanden. Der Beschwerdeführer war mit seinem Bruder und zwei Freunden im Skigebiet auf Skiern bzw. auf Snowboards unterwegs. Nach einigen Abfahrten auf markierten Pisten und zwei Abfahrten im freien Gelände legten sie für die dritte Abfahrt auf dem Mittelgrat etwa 300 Meter zurück. Als erste fuhren die beiden Freunde in den unverspurten Hang. Nach einem Abschnitt hielten sie an. Nachdem der Beschwerdeführer zwei Schwünge ausgeführt hatte, geriet der Hang auf einer Breite von ca. 60 m in Bewegung. Der Beschwerdeführer wurde ca. 50 m mitgerissen, bis er ausserhalb der Lawine unverletzt zum Stillstand kam. Die beiden Freunde, wurden verschüttet und konnten Stunden später nur noch tot geborgen werden. Die Lawine, welche sich auf eine Länge von ca. 500 m und eine Breite von etwa 1200 m erstreckte, erfasste drei sich ebenfalls ausserhalb der Pisten befindliche Skifahrer und Snöber. Einer dieser Skifahrer fand ebenfalls den Tod. Wegen fahrlässiger Tötung 142 wurde der Beschwerdeführer zu einer Busse von 1000.– Franken verurteilt. Die wegen willkürlicher Beweiswürdigung erhobene Rüge, es treffe nicht zu, dass der Beschwerdeführer und seine Kollegen Absperrungen passieren mussten, um zum Ausgangspunkt für die Variantenabfahrt zu gelangen und zudem wäre beim Aufstieg nicht einmal eine Warntafel gestanden, wies das Bundesgericht, soweit darauf einzutreten war, mit der Begründung ab, dass angesichts der Tatsache, dass am besagten Tag die Lawinengefahr aufgrund der Warnhinweise an den Stationen offenkundig war, der angeführte Umstand nichts Wesentliches am Beweisergebnis zu ändern vermöchte. Als unbestritten zu gelten hatte ebenfalls, dass es sich bei den Verhältnissen am besagten Tag um einen lawinengefährdeten Hang gehandelt hat. Zur Rüge, die beiden getöteten Kollegen seien dasselbe Risiko eingegangen wie der Beschwerdeführer und zur Frage der sog. eigenverantwortlichen Selbstgefährdung, führt das Bundesgericht in E. 2.4 aus: «Es ist zwar einzuräumen, dass die beiden getöteten Kollegen dasselbe Risiko eingegangen sind wie der Beschwerdeführer. Dieser Umstand lässt es indessen nicht als willkürlich erscheinen, dass die überlebende Person unter den gegebenen Voraussetzungen zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen wird. Das Vorliegen einer – den Tatbestand ausschliessenden – sogenanten eigenverantwortlichen Selbstgefährdung stellt im Übrigen eine Frage des Bundesrechts dar und wurde vom Beschwerdeführer im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde zu Recht nicht geltend gemacht. Eine solche würde nämlich voraussetzen, dass die Getöteten bis zum tödlichen Ereignis Herrschaft über den Geschehensablauf gehabt hätten (.....), was hier nicht der Fall war. Abgesehen davon wurde vorliegend auch ein Skifahrer getötet, der sich in weniger exponiertes Gelände begeben hatte.» In E. 4 äusserte sich das Bundesgericht zur Würdigung von Expertisen. Es führt aus: «Das Sachgericht würdigt ein Gutachten grundsätzlich frei, auch wenn es mangels eigener Fachkenntnisse einen Sachverständigen beizieht (.....). Doch darf es in Fachfragen nicht ohne triftige Gründe seine Meinung anstelle derjenigen des Experten setzen; weicht es von der Expertenmeinung ab, muss es dies begründen. Verlangt das Gesetz den Beizug eines Gutachters, darf der Richter von dessen Folgerungen abweichen, wenn gewichtige, zuverlässig begründete Tatsachen 14 15 16 BGE 131 III 115, 119 BGE 97 II 221 E. 1 6P.163/2004 und 6S.432/2004 Lawinen und Recht oder Indizien deren Ueberzeugungskraft ernsthaft erschüttern. Das Abstellen auf eine nicht schlüssige Expertise kann gegen das Willkürverbot (.....) verstossen (.....). Der Richter kann namentlich dann von den Schlussfolgerungen eines Gutachters abweichen, wenn sich dieser schon in seinem Gutachten widersprüchlich äussert oder bei einer nachfolgenden Einvernahme in wichtigen Punkten von der im Gutachten vertretenen Auffassung abweicht. Er ist in seinem Entscheid auch dort weit gehend frei, wo ein Gutachten ausdrücklich auf bestimmte Akten oder Zeugenaussagen gestützt wird, deren Beweiswert oder Gehalt der Richter anders bewertet (.....).» Im zu beurteilenden Fall waren zwei Experten, ein amtlicher und ein privater, tätig. Den Parteien und den Richtern lagen vor das amtliche Gutachten vom August 2001 mit zwei Ergänzungen von Mai und November 2002 sowie das vom Beschwerdeführer eingereichte Privatgutachten von anfangs Januar 2004. Der amtliche Gutachter war aufgrund der gesamten Aktenlage und den Beobachtungen zum Schluss gekommen, dass höchstwahrscheinlich der Beschwerdeführer die Unfallawine ausgelöst hat. Der Privatgutachter kam demgegenüber zum Ergebnis, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass eine andere sich am Hang aufhaltende Person den Lawinenniedergang verursacht haben könnte. Als Ursache seien auch seismische Wellen durch Flugobjekte oder Erschütterungen durch Pistenfahrzeuge in Betracht zu ziehen. Zum Expertenstreit führt das Bundesgericht in E. 8 aus: «Das Gutachten hat die damalige Situation am Hang differenziert analysiert und in nachvollziehbarer Weise dargestellt, dass der Beschwerdeführer höchstwahrscheinlich den Lawinenniedergang ausgelöst hat. Das Kantonsgericht hat das Gutachten kritisch gewürdigt und dabei die unterschiedlichen Bewertungen des Privatgutachtens unvoreingenommen einbezogen. Der Beschwerdeführer versucht, andere Ursachen für den Lawinenniedergang als wahrscheinlich darzustellen. Gewichtige Tatsachen oder Indizien, welche die Ueberzeugungskraft des Gutachtens ernsthaft erschüttern, bringt er nicht vor. Die staatsrechtliche Beschwerde ist auch in diesem Punkt abzuweisen.» Bei der Prüfung der Nichtigkeitsbeschwerde führt das Bundesgericht zu Sorgfaltswidrigkeit und Vorhersehbarkeit in E. 11 aus: «Sorgfaltswidrig ist die Handlungsweise, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat (Art. 18 Abs. 3 Satz 2 StGB). Wo besondere Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass der zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften (BGE 122 IV 17 E. 2b/aa mit Hinweisen). Fehlen solche, kann auf analoge Regeln privater oder halbprivater Vereinigungen abgestellt werden, sofern diese allgemein anerkannt sind. Das schliesst nicht aus, dass der Vorwurf der Fahrlässigkeit auch auf allgemeine Rechtsgrundsätze wie etwa den allgemeinen Gefahrensatz gestützt werden kann (BGE 127 IV 62 E. 2d). Erkennbar bzw. voraussehbar ist die Gefahr des Erfolgseintritts für den Täter, wenn sein Verhalten geeignet ist, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen oder jedenfalls zu begünstigen. Dabei müssen die zum Erfolg führenden Geschehensabläufe für den konkreten Täter mindestens in ihren wesentlichen Zügen voraussehbar sein. Die Vorhersehbarkeit der zu beurteilenden Ursache für den Erfolg ist nur zu verneinen, wenn ganz aussergewöhnliche Umstände, wie das Mitverschulden eines Dritten oder Material- oder Konstruktionsfehler, als Mitursache hinzutreten, mit denen schlechthin nicht gerechnet werden musste und die derart schwer wiegen, dass sie als wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolgs erscheinen und so alle anderen mitverursachenden Faktoren – namentlich das Verhalten des Angeschuldigten – in den Hintergrund drängen (BGE 127 IV 34 E. 2a; 122 IV 17 E. 2c; 121 IV 10 E. 3, 286 E. 3 je mit Hinweisen).» In E. 12 begründet der Kassationshof unter Bezugnahme auf: – das Lawinenbulletin des SLF vom 20. Februar 2000, 17 Uhr, – die europäische Lawinengefahrenskala, – die fehlende Erfahrung in der Beurteilung der Lawinengefahr und – die Missachtung der von den sicherungspflichtigen Bahnbetreibern angebrachten Warnungen, warum der Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung rechtmässig ist. Das Gericht hält fest: «Indem der Beschwerdeführer das Lawinenbulletin bzw. die Warnhinweise ignorierte und in diesen Hang hineinfuhr, missachtete er die gestützt auf die massgebenden Verhaltensregeln der Lawinenkunde gebotene Sorgfalt. Wie das Kantonsgericht zutreffend und ausführlich darlegt, wäre für den Beschwerdeführer bei pflichtgemässer Vorsicht die mögliche Folge seines Tuns voraussehbar gewesen. Es kann darauf verwiesen werden. Dadurch hätte sich der Lawinenniedergang mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht ereignet und der Tod der Skitouristen wäre vermieden worden.» 143 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 3 Befangenheit eines gerichtlichen Sachverständigen Am 23. März 2005 hatte sich die I. öffentlichrechtliche Abteilung des Bundesgerichts im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren17 eines Opfers im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG mit der Frage der Befangenheit eines gerichtlichen Sachverständigen auseinanderzusetzen. Der Beschwerdeführer, welcher beim Befahren eines Skiweges über eine stark (45 Grad) abfallende Böschung hinab stürzte und sich beim Zusammenprall mit einem ungepolsterten Baum schwere Verletzungen zuzog, machte geltend, der Gutachter habe ausführliche rechtliche Schlussfolgerungen gezogen, sei von einem falschen Sachverhalt ausgegangen und überdies sei sein Verhältnis zu einer Versicherungsgesellschaft zu klären. Die Rügen waren unbegründet. Das Bundesgericht führt in E. 2.3 aus: «Der Beschwerdeführer hat sich zunächst ausdrücklich mit dem Vorschlag der Beschwerdegegner einverstanden erklärt, E. mit der Erstellung eines «Verkehrssicherungsgutachtens» zu beauftragen. Dieser wurde von ihm als «einer der massgeblichen Spezialisten auf dem Gebiet des Skirechts» bezeichnet, auf dessen Publikationen er sich bei seiner Strafanzeige auch selber stützte. Es war somit allen Beteiligten und insbesondere auch dem Beschwerdeführer bekannt, dass es sich beim Gutachter nicht um einen Fachmann für Bau und Betrieb von Skipisten, sondern um einen Juristen handelt. Der dem Gutachter erteilte Auftrag, abzuklären, ob die Beschwerdegegner ihrer Verkehrssicherungspflicht nachgekommen seien, liess sich denn auch ohne rechtliche Erwägungen letztlich nicht erfüllen. Dazu musste der Gutachter zwangsläufig die Rechtsfrage klären, was genau der Inhalt dieser Pflicht war, ob und wenn ja zu welchen (weiteren) Massnahmen die Beschwerdegegner nach den einschlägigen Normen und der Gerichtspraxis verpflichtet gewesen wären, um den Skiweg, auf welchem der Unfall passierte, besser zu sichern. Angesichts des zwiespältigen oder jedenfalls unpräzisen Auftrags ist es nicht grundsätzlich zu beanstanden, dass sich der Gutachter (auch) zu Rechtsfragen äussert. Auch wenn er, wie das Obergericht festhält, den Gutachterauftrag «etwas unglücklich» interpretierte, so dass der Eindruck habe entstehen können, es sei an ihm gewesen aufzuzeigen, ob die Angeschuldigten eine Sorgfaltspflichtverletzung begangen hätten oder nicht, lässt ihn dies unter diesen Umständen noch nicht als befangen erscheinen.» 4 Im Jahre 1998 wurden die Bergbahnverantwortlichen durch Urteile des Kreisgerichts Visp vom 6. Mai und des Bundesgerichts18 vom 1. Dezember aufgeschreckt. Am 18. April 1994 wurde im Skigebiet Unterrothorn bei Zermatt ein Skifahrer von einer Lawine mitgerissen und tödlich verletzt. Der Direktor der Rothornbahn, welcher im Zeitpunkt des Lawinenunfalls wegen eines Spitalaufenthalts abwesend war, wurde hierfür in seiner Funktion als Hauptverantwortlicher für den Pistendienst erst- und zweitinstanzlich wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs schuldig erklärt und zu einer Busse von 1000.– Franken verurteilt. Der Kassationshof des Bundesgerichts bestätigte das Urteil der Vorinstanzen und wies die dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ab. Der Pistenchef, welcher am Morgen des Unfalltags seine Arbeit nach einer Woche Ferienabwesenheit wieder aufgenommen hatte, war vom Kreisgericht freigesprochen worden. Die wesentliche Begründung lautete, eine Unternehmung wie die Rothornbahn sei verpflichtet, für ihre Pisten alle Sicherheitsvorkehren zu treffen, um Unfälle wie den vorliegenden zu verhindern. Dazu gehöre insbesondere auch die Pflicht, ein ausreichendes Sicherheitsdispositiv aufzustellen (E. 2a). Das Bundesgericht führt aus: «Zu einem ausreichenden Sicherheitsdispositiv gehört die Bestimmung der Person, die für die Sicherheit der Piste zuständig und verantwortlich ist. Eine solche Person ist insbesondere auch für den Fall zu bezeichnen, dass die primär Verantwortlichen (z. B. der Direktor und sein Stellvertreter) abwesend sind. Es ist mangelhaft, sich darauf zu verlassen, dass in einem solchen Fall andere erfahrene Mitarbeiter von sich aus die Verantwortung übernehmen und das Notwendige vorkehren. Damit die verantwortliche Person die genannten Fragen prüfen und Entscheidungen treffen kann, muss sie über die notwendigen Informationen verfügen. Zu einem ausreichenden Sicherheitsdispositiv gehört, dass diese Informationen laufend aufgezeichnet, gesammelt, soweit nötig ausgewertet und weitergegeben werden. Es ist unhaltbar, wenn ein für die Sicherheit Verantwortlicher nach einer mehrtägigen Abwesenheit nicht über alle zur Einschätzung der Gefahrensituation notwendigen Umstände informiert wird. Selbstverständlich muss schliesslich klar geregelt sein, dass Skipi- 17 18 144 Lawinenniedergang auf Piste; mangelhaftes Sicherheitsdispositiv, Verantwortung des Bahndirektors 1P.600/2004 BGE 125 IV 9 Lawinen und Recht sten nur geöffnet werden dürfen, wenn ihre Sicherheit hinreichend abgeklärt werden kann und auch abgeklärt worden ist. Im Zweifelsfall muss eine lawinengefährdete Piste geschlossen bleiben. Die Vorinstanz kam zu Recht zum Schluss, der Beschwerdeführer habe unterlassen, durch die Ausarbeitung eines hinreichenden Sicherheitsdispositivs sicherzustellen, dass am Unglückstag die richtigen Massnahmen zur Verhinderung des Unfalls getroffen wurden.» Der Beschwerdeführer bestritt den Kausalzusammenhang, erfolglos. Der Kassationshof führt in E. 2b aus: «Was der Beschwerdeführer vorbringt, dringt nicht durch. Entgegen seiner Ansicht besteht zwischen dem mangelhaften Sicherheitsdispositiv und dem eingetretenen Unglück ein Kausalzusammenhang. Nach der Feststellung der Vorinstanz hätte der Pistenchef am 18. April die Piste nicht geöffnet, wenn ihm die während seiner Abwesenheit angefallenen Informationen mitgeteilt worden wären. Durch ein genügendes Sicherheitsdispositiv mit organisierter Weitergabe aller relevanten Informationen wäre der Unfall also vermieden worden. Eine lückenlose Verantwortlichkeitsregelung und eine umfassende Sammlung und Weitergabe von relevanten Informationen sind auch generell geeignet, dass lawinengefährdete Pisten gesperrt und Unfälle verhindert werden. Dies entspricht der allgemeinen Erfahrung und steht ausser Zweifel.» 5 Unternehmensstrafrecht, Organisationsverschulden Im Zusammenhang mit diesem Entscheid erlaubt sich ihr Referent den Hinweis, dass am 1. Oktober 2003 mit den Art. 100 quater und 100 quinquies StGB das Unternehmensstrafrecht in Kraft getreten ist. Es geht um das sog. Organisationsverschulden, das Sicherheitsdispositiv. Soweit die uns interessierende Verkehrssicherungspflicht betreffend, statuiert Art. 100 quater Abs. 1 eine sog. subsidiäre Unternehmensverantwortlichkeit. Primärer Gedanke des Abs. 1 ist, dass die subsidiäre Verantwortlichkeit eintritt, wenn die Straftat eines Einzelnen feststeht, aber nicht klar ist, welche konkrete Person schuldig ist. Die subsidiär-kollektive Verantwortung ist kein Ersatz für feststehende Individualschuld. Im Fall Rothorn traf den Bahndirektor aufgrund seines konkreten Verhaltens tatsächlich ein individuelles Verschulden. Als Direktor eines Unternehmens oblag ihm die Garantenpflicht zur Verhinderung betriebsspezifischer Gefahren (in concreto in Form der Verkehrssicherungspflicht), welche die Errichtung eines ausreichenden Sicherheitsdispositivs gebot. Der Direktor hatte die Verantwortlichkeitsregelung in personeller Hinsicht festzulegen, auch und gerade für den Fall von Stellvertretungen und Abwesenheiten. Angemerkt sei, dass das Bundesgericht auch in anderen Fällen fahrlässiger Tötung eindeutige Organisations- und Koordinationsfehler ortete. Erinnert wird an einen Fall der Zusammenarbeit zwischen Bergführerbüro und Bergführer19 sowie das Verfahren gegen den verantwortlichen Dienstchef der Winteranlagen der Rigibahnen AG20. III Lawinenunglück von Evolène21 Am 21. Februar 1999, gegen 20:10 Uhr, ereignete sich in Evolène ein Lawinenunglück. Zwölf Personen fanden den Tod. Im April 2002 wurde gegen den Sicherheitschef der Gemeinde (chef de la sécurité) eine Voruntersuchung wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet. Später wurde auch der Gemeindepräsident (Président) in die Voruntersuchung einbezogen. Mit Urteil des Bezirksgerichts Hérens und Conthey vom 21. Februar 2005 wurde der Sicherheitschef (X.) der fahrlässigen Tötung von neun Personen und fahrlässigen Störung des öffentlichen Verkehrs, der Gemeindepräsident (Y.) der fahrlässigen Tötung von fünf Personen schuldig erklärt. Sie wurden zu zwei bzw. drei Monaten Gefängnis bedingt verurteilt. Die Zivilklagen wurden vorbehalten. Die Verurteilten appellierten und beantragten Freisprechung. Die Appellationsverhandlung fand am 22. November 2005 vor dem Strafgerichtshof I des Kantons Wallis22 statt. Die Staatsanwaltschaft und die drei Privatkläger beantragten Abweisung der Appellationen und Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils. Mit Urteil vom 11. Januar 200623 bestätigte der Strafgerichtshof die Schuldsprüche. Wie in erster Instanz wurde der Sicherheitschef zu zwei Monaten Gefängnis bedingt verurteilt. Die Gefängnisstrafe des Gemeindepräsidenten wurde auf einen Monat herabgesetzt. 19 20 21 22 23 Pra 2001 N. 54 S. 313 (Urteil vom 27. 9. 2000) 6S.379/2002 (Urteil vom 27. 11. 2002) Weil die Strafsache noch mit dem ordentlichen Rechtsmittel Appellation vor dem Kantonsgericht Wallis hängig war, hat der Referent am Seminar den Fall ausdrücklich nicht behandelt. P1 05 30 (Cour pénale I) Die Angeschuldigten haben eidgenössische, somit unvollkommene, Rechtsmittel angekündigt. 145 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Die Dörfer Evolène und Les Haudères liegen auf einer Höhe von 1350 bzw. 1400 Metern. Oberhalb der Dörfer, auf Höhen zwischen 1600 und 1750 Metern, befinden sich, nach Süden ausgerichtet, die Weiler Villa, La Sage, La Forclaz und Ferpècle. Alphütten und Weiden [mayens et alpages] befinden sich bis auf eine Höhe von 2700 Metern. Wegen der Grösse der möglichen Schneeansammlungen und der Steilheit der Hänge ist die Lawinengefahr in der ganzen Exposition Süd gross. Allein im 20. Jahrhundert verzeichnete die Gemeinde Evolène rund zehn grosse Lawinenniedergänge, welche in der Erinnerung der Bürger haften. Im März 1973 legte Experte S. eine Lawinengefahrenkarte für das Gemeindegebiet von Evoléne vor. Die Karte wurde von Gemeinderat und Gemeindeversammlung genehmigt und in das Reglement über die Baupolizei aufgenommen, welches im Juni 1976 vom Staatsrat homologiert wurde. Im April 1977 wurde die Lawinengefahrenkarte ergänzt und die Zonen (rot, blau, gelb und weiss) mit Empfehlungen versehen. Im Jahre 1992 wurde Experte B. mit der Ueberarbeitung des Zonenplanes beauftragt. B. legte seinen Bericht im März 1994 vor. Das Chalet T., in welchem fünf Personen den Tod fanden, befand sich in der blauen Zone. Die rote Zone, wo gemäss Empfehlung des Experten S. keine Bauten errichtet werden dürfen, verläuft einige zehn Meter oberhalb der Baute. Die Baubewilligung, welche am 1. Juni 1979 von der Kant. Baukommission erteilt wurde, enthielt keine Auflagen betreffs Lawinensicherheit, was der Gemeindepräsident wusste. Durch den 1994 erstatteten Bericht des Experten B. erfuhren die Zonen im Bereich des Chalet T. keine Änderungen. Die Kantonsstrasse Evolène – Les Haudères, auf welcher vier Personen den Lawinentod fanden, führt an mindestens vier Stellen durch die rote Zone. Das Kantonsgericht schloss sich hinsichtlich der Zonenpläne der Auffassung der gerichtlichen Sachverständigen C. und H. an und führt im Urteil (E. 2.6) aus: «Ils ont conclu que ces plans de zones étaient pertinents et représentatifs du risque local et que depuis le premier plan de zones des années 1970, la commune avait en main un outil suffisant pour prendre en considération le risque avalanche du torrent du Bréquet en particulier». Im Februar 1999 versah der Sicherheitschef, welcher zufolge seiner Alpinerfahrung allgemeines Vertrauen und Ansehen geniesst, sein Amt seit über zwanzig Jahren. Am 11. Juni 1992 hatte er mit den Kantonsvertretern einen 146 «contrat d’observation et de mesures de prévention dans le cadre de la sécurité hivernale du réseau routier cantonal» unterzeichnet. Hierzu führt der Strafgerichtshof aus: «Ce document définit avec soin les tâches qui lui étaient dévolues, parmi lesquelles l’établissement de l’inventaire des secteurs dangereux, décrit le matériel et les moyens de transport mis à sa disposition et fixe les règles de financement de ses interventions». Mit der Gemeinde hatte der Sicherheitschef keinen Vertrag unterzeichnet und auch kein Pflichtenheft erhalten. Er bezeichnete sich auf Gemeindeebene als «le seul responsable de la prévention des avalanches et disposer d’une compétence exclusive pour prendre toutes les mesures nécessaires en la matière». Der Strafgerichtshof schloss sich der Beurteilung der gerichtlichen Experten an, wonach die Gemeinde Evolène am 21. Februar 1999 wohl über einen Lawinendienst verfügte, «mais pas sous la forme d’une organisation planifiée». Der Gemeindepräsident wird im Organigramm des Gemeindelawinendienstes an erster Stelle aufgeführt als «Président». Der Sicherheitschef, als «chef» bezeichnet, folgt an zweiter Stelle. Es folgen weitere Verantwortliche für einzelne Verkehrswege, die Abfahrts- und Langlaufpisten und Stellvertreter. Der Strafgerichtshof stellt in E. 3.2 fest: «Ce service était donc bien un service communal, placé comme tel sous l’autorité et la responsabilité du président de la commune ….. C’est d’ailleurs la commune qui avait la haute main sur la sécurité avalanches en prenant les mesures telles que la désignation du chef de ce service.» Gleich den übrigen Gemeinderäten hatte der Präsident volles Vertrauen in den kommunalen und regionalen Sicherheitschef «qui prenait dans les faits les mesures de protection telles que fermeture des routes ou évacuation des habitations». Der Präsident hatte zwar keine Kenntnis von den eidgenössischen Vorgaben zum Lawinenschutz24, kümmerte sich aber um die kommunalen Lawinenzonenpläne. Weil der Präsident im Jahre 1992 anlässlich der Auftragserteilung an den Experten B. 24 Richtlinien des SLF, 1984 erlassen auf die durch die in Art. 67 WaV aufgehobene Forstpolizeiverordnung vom 01. 10. 1965. Siehe Raumplanungsgesetz vom 22. 06. 1979 (RAP, SR 700) und Waldverordnung vom 30. 11. 1992 (WaV, SR 921.01). Lawinen und Recht bereits dem Gemeinderat angehörte, folgerte der Strafgerichtshof: «Il connaissait dès lors les diverses zones répertoriées sur le plan, et savait, en particulier que les zones rouge, bleue et jaune, étaient, à des degrés divers, des zones de danger». Am Sonntagmorgen, 21. Februar, stellte der Sicherheitschef entgegen den Bulletins des SLF Nr. 98 und Nr. 99 des Vortages25 maximale Lawinengefahr, Stufe 5 (très fort) fest. Nach Auffassung der gerichtlichen Experten war die Einstufung richtig. Gefahrenstufe 5 (sehr gross) bedeutete für den Sicherheitschef, dass die Strassen grundsätzlich zu sperren und die in der roten Zone befindlichen bewohnten Gebäude zu evakuieren waren. Zwei Strassen wurden gesperrt. Die Sperrung der Strasse Evolène – Les Haudères, welche mehrmals durch die rote Zone führt, unterblieb, weil der Sicherheitschef der Auffassung war, dass die Schneemassen unmöglich die Strasse erreichen würden. Der Gemeindepräsident erkannte am Samstagabend den Ernst der Lage. Telefonisch lud er seinen Sicherheitschef sowie einen Berater, den Bauverantwortlichen der Gemeinde, zu einem Treffen im Anschluss an die Messe ein. Die drei Männer zeigten sich ebenso besorgt wie die Dorfbevölkerung. Sie hatten Kenntnis von den Naturkatastrophen im benachbarten Ausland, insbesondere in Chamonix (Mont-Roc) mit 11 Toten, sowie von der Lawine, welche am 7. Februar in La Fouly sieben Chalets zerstört hatte und waren sich der ausserordentlichen Gefahrenlage bewusst. Bevor der Sicherheitschef gegen 16 Uhr Evolène verliess, vergewisserte er sich, dass ein in der roten Zone befindliches Chalet unbewohnt war. Der Strafgerichtshof führt in E. 8.2 aus, dass der Sicherheitschef in einer ersten Phase, in welcher er die Gefahrenstufe 5 erkannte, seinen ihm obliegenden Sorgfaltspflichten vollumfänglich nachgekommen ist. Ihm wird vorgeworfen, sich mit der Sperrung zweier Strassen sowie der Evakuation eines in der roten Zone befindlichen Chalets begnügt zu haben. Aufgrund der von ihm erkannten ausserordentlichen Gefahrenlage hätte der erfahrene Sicherheitschef auch ausserordentliche Sicherungsmassnahmen, Sperrung der Strasse Evolène – Les Haudères und Evakuation der blauen Zone, anordnen bzw. dem zuständigen Strassenmeister und dem Gemeindepräsidenten vorschlagen müssen. 25 Die Bulletins vom Samstag, 9 bzw. 18.30 Uhr, meldeten Gefahrenstufe 4 (gross). Nach kantonalem Recht garantiert der Gemeindepräsident Sicherheit vor Naturgefahren, als «Président» des Gemeindelawinendienstes insbesondere vor Lawinengefahr. Im Katastrophenfall ist er verpflichtet, sämtliche Notmassnahmen zu ergreifen. Der Strafgerichtshof hält in E. 8.3 vorweg fest, dass der Gemeindepräsident zufolge seiner doppelten Garantenstellung die Verantwortung für Lawinen keinesfalls seinem Sicherheitschef überlassen durfte. Ueberdies hatte der Präsident die Lawinensituation derart ausserordentlich eingestuft, dass er seinen Sicherheitschef zu einem Zusammentreffen im Anschluss an die Messe aufbot. «En sa qualité de président et de responsable de la sécurité avalanches, il devait prendre en compte le premier outil communal déterminant dans l’évaluation des mesures à prendre, à savoir la carte des dangers d’avalanches. Celle-ci, comme il l’a déclaré, lui était connue et il lui accordait, à juste titre, une grande importance. Comme pour X., la carte lui aurait révélé ou rappelé que la route communale de la Tour, comme le chalet T., étaient situés en zone de danger. Un examen de la carte des dangers pouvait aussi l’amener à mettre en évidence l’approche contradictoire de X. consistant à vouloir protéger les habitations en zone rouge et à ne prendre aucune mesure pour les voies de communication théoriquement exposées au même danger puisque sises dans la même zone. Comme X., il devait admettre qu’en situation de grand danger, comme il l’avait pressenti, toutes les zones qualifiées de dangereuses par les experts et figurant comme telles dans les documents officiels qu’il connaissait, pouvaient être exposées, en particulier les zones bleues. Rien dans les déclarations des participants à l’entrevue du 21 février 1999 ne laisse supposer que le risque aurait été apprécié systématiquement pour chacune des zones communales de danger potentiel. Or il appartenait au responsable de ce service, de surcroît président de commune, de soulever la question des zones de danger communales si le spécialiste ne le faisait pas lui-même. Comme pour X., les circonstances exceptionnelles du 21 février 1999, parfaitement reconnues telles, exigeaient du responsable de la sécurité avalanches des mesures exceptionnelles. Y. savait en particulier que l’avalanche du Bréquet était déjà descendue plus bas que la falaise qui surplombe la zone où se situe la chalet T. Cette connaissance, conjuguée à la prise en compte des zones de danger communales, devait l’amener à protéger sans hésiter celleci. Comme il l’a déclaré à la police (….), la seule zone vraiment considérée à fort risque était celle de la route Arolla – Les Haudères. Ainsi, alors qu’il avait reconnu une situation de danger exceptionnelle et savait ou pouvait savoir que toutes les mesures de prévention devaient être ordonnées, il 147 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 s’est satisfait de mesures qui n’assuraient que la protection des zones à fort risque, ignorant celles où le risque paraissait moins aigu, mais où il ne pouvait en aucun cas être exclu dans les conditions ce jour-là. Limitant son approche à la connaissance empirique des zones à risque de la commune, il a méconnu la réalité du risque avalanche telle qu’elle ressortait de la carte du danger d’avalanches. En n’ordonnant pas l’évacuation des habitations en zone bleue, dont celle du chalet T., Y. a clairement contrevenu à son devoir de diligence, ses capacités personnelles lui ayant permis de juger la situation exceptionnelle au niveau du risque et lui permettant d’envisager les conséquences d’un tel risque pour tous les secteurs officiellement définis comme dangereux de sa commune.» Der Strafgerichtshof bejahte die pflichtwidrige Unvorsichtigkeit des Gemeindepräsidenten mit folgender Begründung: «Par son âge, son expérience de la montagne, sa connaissance du milieu, des cartes d’avalanches et du territoire de la commune Evolène, il pouvait se rendre compte qu’il existait un risque non négligeable qu’une avalanche atteigne les zones de danger rouge et bleue de sa commune et emporte des habitations dont il savait qu’elles ne bénéficiaient pas de protection particulière. Eu égard aux circonstances météorologiques exceptionnelles existant le jour en question, il n’aurait pas dû lui échapper qu’une évacuation des habitations et des personnes exposées du territoire de sa commune et que l’absence des mesures de sécurité imposées par les circonstances était de nature à leur causer des dommages.» Der Strafgerichtshof beurteilte das Verschulden des Gemeindepräsidenten als geringer als dasjenige des Sicherheitschefs, «au premier chef compétent pour tirer les conséquences imposées par le danger qu’il avait identifié et dont la négligence a provoqué le décès de neuf personnes». Bei der Strafzumessung trug der Strafgerichtshof der siebenjährigen Verfahrensdauer sowie dem ausserordentlichen Medieninteresse Rechnung. Nachtrag des Referenten: Mit Urteilen von 30. August 2006 hat der Kassationshof des Bundesgerichts die von den beiden Verurteilten eingereichten Beschwerden abgewiesen (6P.39/2006, 6S.75/2006, 6P.40/2006 und 6S.76/2006). 148 Fürsprecher Heinz Walter Mathys wurde 1978 zum bernischen Staatsanwalt gewählt. Er befasst sich hauptamtlich mit Wirtschafts- und organisierter Kriminalität. Seit November 1989 präsidiert er die Schweizerische Kommission für Unfallverhütung auf Schneesportabfahrten SKUS (www.skus.ch) und deren Stiftung. Der (heutigen) Kommission Rechtsfragen auf Schneesportabfahrten KRS-SBS gehört er seit 1974 an. 1976 verfasste er die erste Auflage der SBS-Richtlinien für Schneesportabfahrten. Er wirkt im In- und Ausland als Referent und Experte im Schneesport- und Bergrecht. Résumé: Accidents d’avalanches – La situation juridique en Suisse Le nombre d’accidents d’avalanche jugés en justice est extrêmement faible. Les procédures pénales et civiles avec toutes les garanties procédurales d’un Etat de droit se distinguent par leur longue durée. Il faut régulièrement des années avant d’arriver jusqu’à l’entrée en force de chose jugée. Au centre des débats se trouvent surtout les expertises qui sont souvent vivement contestées. Tous les moyens de recours sont épuisés. Les témoignages de solidarité sont des signes de la dimension émotionnelle de la problématique. Le fait que les verdicts de culpabilité et les condamnations pour accidents d’avalanche soient extrêmement rares est un signe du niveau scientifique élevé de la recherche en matière d’avalanche, de la qualité de la formation de base et de la formation continue des responsables de la sécurité à tous les niveaux, de la qualité du travail de prévention ainsi que du grand sens des responsabilités qui caractérisent les garants de la sécurité publics et privés en général et les collaborateurs de l’ENA en particulier. Les travaux fondamentaux de l’ENA, les bulletins d’avalanches national et régional ainsi que l’aide à l’interprétation (7 éditions, 2004) sont d’office pris en compte lors de l’évaluation de devoir de diligence dont doivent faire preuve les garants de la sécurité. La mort par avalanche est une mort exceptionnelle. Selon la réglementation bernoise, la police est tenue de signaler immédiatement les cas de décès exceptionnels aux autorités d’instruction. La conservation de la preuve et l’exposé des faits ne tolèrent aucun retard. Les autorités de poursuites pénales ont l’obligation légale de clarifier si la mort est imputable à un acte punissable. Les investigations peuvent arriver à la conclusion que la prévisibilité du départ d’avalanche ne peut pas être prouvée ou pas avec une certitude juridique suffisante ou que l’auteur ne peut pas être identifié ou confondu. Dispositif de sécurité, prévisibilité objective et subjective, risque admis, possibilité d’évitement, acceptabilité et culpabilité sont les critères qui déterminent la responsabilité pénale et civile. Des lésions corporelles graves et l’homicide par négligence font l’objet de poursuites. Contrairement au code pénal italien, le code pénal suisse ne prévoit pas de délai de mise en danger abstraite du déclenchement d’une avalanche par négligence. Quiconque déclenche une avalanche et, par conséquent, met en danger les Lawinen und Recht usagers des pistes est punissable pour entrave à la circulation publique. Or, les pistes sont des lieux de circulation publique. Les conclusions des autorités de poursuites pénales constituent régulièrement la base du dédommagement et de la décision de réparation du dommage moral ainsi que des sanctions disciplinaires à l’encontre des personnes qui exercent une profession soumise à autorisation. Avocat, Heinz Walter Mathys a été élu procureur de Berne en 1978. Il s’occupe essentiellement de la criminalité économique et de la criminalité organisée. Depuis 1989, il préside la Commission suisse pour la prévention des accidents sur les descentes pour sport de neige SKUS (www.skus.ch) ainsi que sa fondation. Il appartient depuis 1974 à la Commission (actuelle) des questions juridiques relatives aux descentes pour sport de neige. En 1976, il a rédigé la première édition de la directive RMS pour descente de sport de neige. Il intervient en Suisse et à l’étranger comme orateur et expert en droit des sports de neige et droit de la montagne. Riassunto: Incidenti da valanga: la situazione giuridica in Svizzera Il numero degli incidenti da valanga che si sono conclusi con una sentenza giudiziaria è estremamente esiguo. Con tutte le garanzie tipiche di uno stato di diritto, i procedimenti civili e penali e penali sono contraddistinti da una lunga durata. Sino al passaggio della cosa in giudicato, trascorrono di norma diversi anni. Hanno luogo discussioni, anche veementi, sulle perizie. I mezzi giuridici vengono sfruttati completamente. Testimonianze di solidarietà sono il segno del livello emozionale che caratterizza il contesto. Il fatto che i verdetti di colpevolezza e le sentenze sugli incidenti da valanga sono estremamente rari, è sicuramente merito dell’alto livello scientifico che hanno raggiunto gli studi sulle valanghe, della qualità della formazione e del perfezionamento dei responsabili della sicurezza a tutti i livelli, della qualità dell’attività di prevenzione e dello spiccato senso di responsabilità che caratterizza i garanti statali e privati della sicurezza in generale e il personale dell’Istituto SNV in particolare. I prodotti fondamentali dell’Istituto SNV, ovvero il bollettino delle valanghe nazionale e quello regionale, come pure il supporto interpretativo (7.a edizione, 2004), vengono utilizzati per valutare la diligenza che deve osservare il garante per la sicurezza. La morte causata da una valanga è una morte fuori dall’ordinario. Secondo i regolamenti della città di Berna, la polizia ha l’obbligo di segnalare immediatamente all’autorità inquirente tutti i decessi straordinari. L’assunzione delle prove e il chiarimento di come si sono svolti i fatti non permettono alcun ritardo. L’autorità penale è soggetta all’obbligo di chiarire se il decesso è riconducibile a un reato. Dalle indagini può risultare che la prevedibilità della valanga non può essere dimostrata o non con sufficiente sicurezza giuridica o che l’autore non può essere accertato o che non è possibile dimostrarne la colpevolezza. Dispositivo di sicurezza, prevedibilità oggettiva e soggettiva, rischio ammesso, evitabilità, ragionevolezza e assunzione della colpevolezza sono i criteri che decidono tra responsabilità civile e penale. I reati di omicidio colposo e di gravi lesioni colpose vengono perseguiti d’ufficio. Contrariamente al codice penale italiano, quello svizzero non contempla un reato astratto di pericolo nel distacco colposo di una valanga. Chi invece provoca il distacco di una valanga minacciando così gli utenti delle piste da sci, è perseguibile per intralcio del traffico pubblico. Le piste da sci sono infatti vie di comunicazione pubbliche. Le conoscenze dell’autorità penale costituiscono regolarmente la base per la compensazione del danno, l’assegnazione del risarcimento morale e per sanzioni disciplinari nei confronti di persone che esercitano una professione soggetta a licenza. L’avvocato Heinz Walter Mathys è stato nominato procuratore di Berna nel 1978. Si occupa principalmente di criminalità economica e organizzata. Dal novembre 1989 presiede la commissione svizzera per la prevenzione degli infortuni su discese da sport sulla neve SKUS (www.skus.ch) e la sua fondazione. Fa parte della commissione (odierna) questioni giuridiche su discese da sport sulla neve KRS-SBS dal 1974. Nel 1976 ha redatto la prima edizione delle direttive SBS per discese da sport sulla neve. Svolge la sua attività di referente ed esperto su questioni di sport sulla neve e di diritto alpino sia a livello nazionale che internazionale. 149 Lawinen und Recht Sorgfaltspflichten von Sicherheitsverantwortlichen Workshop 1: Variantenfahren Leitung: Bejamin Zweifel, Erich Degiacomi Teilnehmende: ca. 15 Personen (u. a. Pisten- und Rettungschefs, Bergführer, Skilehrer, Vertreter von Bergbahnen usw.) mehrheitlich aus den Ländern Deutschland, Österreich und der Schweiz. 1 ze Aufstiege (in der Regel zu Fuss) können vorkommen. – Tourengelände: Das Tourengelände wird mit Aufstiegshilfen (Skis mit Fellen, Schneeschuhe, Kurzskis usw.) in längeren Aufstiegen erreicht. Ausgangspunkt kann aber auch ein Skigebiet sein. Einleitung 2.1 Die Teilnehmer beim Workshop «Sorgfaltspflichten von Sicherheitsverantwortlichen im Bereich des Variantenfahrens» kamen von unterschiedlichen Interessensgruppen. Vertreter von Rettungsdiensten in Skigebieten, Hersteller von Rettungsgeräten, Vertreter von Bergführern und Skilehrern, Juristen und Variantenfahrer diskutierten untereinander. Dementsprechend war das Finden von gemeinsamen Meinungen mit Schwierigkeiten verbunden. Der gemeinsame Dialog in diesem Themenfeld wurde in diesem Rahmen als sehr wichtig erachtet. Man sprach sich allgemein dafür aus, diesen Dialog auch in Zukunft weiter zu führen, auch wenn aus diesem Workshop (noch) keine konkrete Resultate hervorgingen. Man tat sich schwer, Standards zu definieren. Dabei spielte auch eine gewisse Angst mit. Die Voten waren kontrovers. Standards seien aber vor allem für die Ausbildung wichtig und sollten – per Definition – einen Sicherheitsgewinn bringen (vgl. Beiträge von K. Weber und A. Ermacora). Die nachfolgende Zusammenfassung spiegelt die Diskussionen der Teilnehmenden und erhebt keinen Anspruch auf Richtigkeit und Vollständigkeit. 2 Resultate Workshop Zum besseren Verständnis seien einleitend einige wichtige Begriffe erläutert: In der Schweiz wird gemäss SKUS-Richtlinien grundsätzlich unterteilt in Schneesportabfahrten und freies Gelände. Grenze ist dabei heute meist der markierte Pistenrand. Im freien Gelände werden viele Begriffe verwendet, die nicht klar definiert sind: – Variantengelände: Unterscheidung nach vielbefahrenem Variantengelände (entspricht in etwa dem Begriff der wilden Piste oder dem pistennahen Gelände) und wenig befahrenem Variantengelände. Das Variantengelände wird mit Transporthilfen (Bergbahnen) erreicht. Kur- Umgang mit Absperrungen a) Welche Art von Absperrungen am Pistenrand gibt es und welche Funktionen erfüllen sie? Es existieren viele unterschiedliche Absperrungen: Tafeln, Absperrbänder, Drehkreuze, Schneewall. Der Begriff Absperrung ist an dieser Stelle eher irreführend. Es handelt sich häufig um Abschrankungen oder Markierungen des Pistenrandes. Nur eine markierte Piste oder Abfahrtsroute kann abgesperrt werden, nicht das freie Gelände. Einzig im Bereich von Bergstationen können Einfahrten ins freie Gelände (v. a bei wilden Pisten) zusätzlich zur dort stets und dauernd anzubringenden Warntafel temporär bei «erheblicher» Lawinengefahr abgesperrt werden – sofern der Aufwand zumutbar ist. Ein Teilnehmer war der Ansicht, dass die verschiedenen Markierungen von den Skigebietsbetreibern nicht einheitlich verwendet würden. In der Schweiz sollte allerdings die einheitliche Handhabung durch die SKUS-Richtlinien gewährleistet sein. Art und Anwendung der Sperrungen (zeitlich und räumlich) muss sinnvoll sein. Die Kommunikation über die Bedeutung der verschiedenen Markierungen an die Benutzer sollte durch die SKUS und FIS-Regeln gewährleistet sein. Man ist sich aber einig, dass in der Kommunikation an die Benutzer Verbesserungspotential liegt. Im freien Gelände ist die Eigenverantwortung jedes Variantenfahrers oberstes Gebot. b) Sind Absperrungen für den Variantenfahrer verbindlich? Kann er bei einer Missachtung rechtlich haftbar gemacht werden? Wie kann der Variantenskifahrer «legal» ins freie Gelände gelangen? Absperrungen von Pisten sind grundsätzlich für alle verbindlich. Die Markierung des Pistenrandes ist eine «Information» für den Variantenfahrer. Es kann niemandem verboten werden, sich ins freie Gelände zu begeben. Wenn eine Schneesport- 151 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 abfahrt durch Lawinen gefährdet ist, die durch Variantenfahrer ausgelöst werden könnten, ist die Schneesportabfahrt zu sperren, resp. die entsprechenden Hänge sind zu sichern. Die Pisten- und Rettungsdienste können sich nicht darauf verlassen, dass sich die Variantenfahrer an die Markierungen halten. der Richter in seiner Beurteilung sich nie alleine auf die Reduktionsmethode abstützen würde. Die Strategischen Entscheidungshilfen werden aber als Hilfsmittel in der Ausbildung anerkannt und geschätzt. 2.4 2.2 Bedeutung der Lawinengefahrenstufe im Variantengelände c) Ist die Lawinengefahr im Tourengelände anders als im Variantengelände? Welche Gefahrenstufe wird im Lawinenbulletin wiedergegeben? Man ist sich einig, dass die Lawinengefahr im viel befahrenen Variantengelände häufig geringer ist als im Tourengelände. Das Lawinenbulletin beschreibt die Gefahr grundsätzlich für das freie Gelände, das mehrheitlich Tourengelände ist. d) Dürfen lokal Anpassungen an die Gefahrenstufe vorgenommen werden? Bei guter Begründung dürfen bzw. müssen Anpassungen an die Gefahrenstufe vorgenommen werden. Vor allem von Bergführern und Pistenchefs wird erwartet, dass sie die im Lawinenbulletin prognostizierte Gefahrenstufe vor Ort überprüfen und gegebenenfalls anpassen (nach oben und nach unten). e) Welchen Stellenwert hat die im Lawinenbulletin prognostizierte Gefahrenstufe bei einem Gerichtsfall? Bei fundierter Begründung werden Anpassungen der Gefahrenstufe rechtlich klar anerkannt. Von Bergführern wird eine selbständige Einschätzung und damit die Überprüfung der Gefahrenstufe vor Ort erwartet. Bemerkung: In der Schweiz gibt es in drei Kantonen (Graubünden, Waadt, Wallis) je ein Gesetz, worin u. a. geregelt ist, wer (Schneesportlehrer, Bergführer) welche Tätigkeiten (z. B. welche Variantenabfahrten) ausüben darf. 2.3 Strategische Entscheidungshilfen für die Einschätzung der Lawinengefahr – Bedeutung im Variantenbereich. Die Strategischen Entscheidungshilfen werden von den Diskussionsteilnehmern nicht als Standard angesehen. Es wird bemerkt, dass die Reduktionsmethoden auch nur eine der besten von allen ungenügenden Methoden sei und daher auch unzureichend für die rechtliche Beurteilung sei. Die Juristen bestätigen an dieser Stelle, dass 152 Verantwortung und Haftung im Grenzbereich zwischen gesicherten Gebieten und freiem Gelände f) Mögliche Szenarien: I. Variantenfahrer lösen Lawine aus, die in gesicherte Gebiete (Pisten, Strassen, im Extremfall Siedlungen) vorstossen. Wer ist verantwortlich? Grundsätzlich ist der Sicherungsdienst, dafür verantwortlich, dass im zu sichernden Gebiet keine Gefährdung durch Lawinen (natürlich oder künstlich ausgelöst) entsteht. II. Sicherungsdienste gefährden bei künstlicher Lawinenauslösung Variantenfahrer. Die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten dieses Falles wird von den Teilnehmenden als sehr gering angesehen und nicht weiter diskutiert (siehe dazu Diskussion im Workshop 4). g) Wie ist die Rechtslage in Schutzzonen (Wild und Wald)? In der Schweiz, insbesondere im Kanton Graubünden, können die Gemeinden Wildschutzzonen ausscheiden. Diese gelten vom 20. Dezember bis zum 15. April. Jegliches Betreten dieser Zonen ist verboten und kann durch die Gemeinden gebüsst werden. In Ausnahmefällen dürfen Forstwege, die durch die Wildschutzzonen führen, betreten werden, sofern sie als Skirouten (z. B. in SAC-Führern) ausgewiesen sind. In Österreich gilt ein generelles Waldfahrverbot für Ski- und Variantenfahrer im Abstand von 500 m oder 30 Minuten zu Fuss von der Piste. Ausgenommen sind vom Schneesportgebiet ausgewiesene Abfahrtspisten/-routen. Tourenfahrer sind vom Gesetz nicht betroffen. h) Was sind die Konsequenzen für den Variantenfahrer bei unkorrektem Verhalten? Wer darf diese ausführen? I. Entzug Skipass In der Schweiz kann den Benützern von Transportanlagen und Abfahrten, welche sich den Anordnungen der Sicherheitsverantwortlichen widersetzen und Signale missachten, grundsätzlich der Fahrausweis entzogen werden. II. Busse, Strafe Bei Missachtung von Wildschutzzonen (siehe oben) können durch die Gemeinden Bussen Lawinen und Recht ausgesprochen werden. Unter Umständen können Benützer, welche durch rücksichtslose und unbeherrschte Fahrweise eine oder mehrere andere Personen erheblich gefährden, bei der Polizei oder beim Untersuchungsrichter wegen Störung des öffentlichen Verkehrs angezeigt werden. 2.5 Sorgfaltspflichten kommerzieller Veranstalter i) Welche Ausbildung müssen Führer/Leiter von organisierten Variantenabfahrten haben? Bergsteiger- und Schneesportschulen, Skischulen oder alpine Vereine sollten interne Richtlinien haben, welche Ausbildung Ihre Leiter haben müssen. Dies kann Teil eines umfassenderen Sicherungskonzeptes sein. Einige Teilnehmende erachteten es als problematisch, dass zunehmend internationale Reiseveranstalter auf dem Markt sind, die z. T. andere Qualitätsansprüche im Bezug auf die Ausbildung der Leitenden haben. Ebenfalls problematisch kann der Beizug von Hilfskräften (z. B. Hilfsschneesportlehrern) in Spitzenzeiten sein. Hier sollten die Anbieter konsequent ihre eigenen Richtlinien einhalten. j) Was muss bei Ausschreibungen und Programmen (Haftungshinweis usw.) beachtet werden? Wichtig ist die Prospektwahrheit. Informationen über die Gruppengrössen und über das Restrisiko werden als hilfreich angesehen. k) Wie kann und muss das Programm den Verhältnissen angepasst sein? Anpassungen an die Verhältnisse sind wichtig und müssen vorgenommen werden. Sie sind in der Regel sowieso im Sinn des Veranstalters und der Kunden. In diesem Zusammenhang wird auch das Skigebiet als Anbieter gesehen. Dabei besteht eine gewisse Unsicherheit, was die Werbung und Vermarktung der Skigebiete betrifft. Folgende Punkte wurden dabei erwähnt: – Im Pistenplan sollten keine markierten «Freeride»-Gebiete eingezeichnet sein, da dies zu Problemen führen kann. – Werbung mit «Freeride»-Bildern für das Schneesportgebiet ist heute normal und wird daher nicht als problematisch angesehen (von juristischer Seite bestätigt). – Wird ganz spezifisch für das «Freeriden» geworben, sollte dies auch in einem sicheren Rahmen möglich sein (Angebote von ausgebildeten Führern). 2.6 Sorgfaltspflichten der Bergführer / Schneesportlehrer / Leiter l) Was sind heutzutage die Standards bei der Lawinennotfall-Ausrüstung? Die Diskussion zeigte, dass »Standards», welche in der Ausbildung und in Richtlinien von Verbänden verwendet werden, in der Praxis nicht immer Anwendung finden. Damit ist auch klar, dass derartige Empfehlungen (noch) keine Standards im juristischen Sinne sind. Obwohl bei von Schneesportschulen organisierten Abfahrten die Ausrüstung mit LVS und Schaufel klar als Standard betrachtet wird, beobachtet man, dass in der Praxis die Ausrüstung manchmal unvollständig vorhanden ist. Dies dürfte sich im Falle eines Unfalles für den Veranstalter negativ auswirken. Die mangelnde Ausrüstung scheint u. a. folgende Ursachen zu haben: – Gruppen verlassen die Piste nur für kurze Zeit. Dabei wird nicht extra die Lawinennotfall-Ausrüstung besorgt. – Die Gäste sind nicht bereit, zusätzliche Kosten für die Lawinennotfall-Ausrüstung in Kauf zu nehmen. Die Teilnehmenden waren sich aber einig, dass bei von Bergführern geleiteten Gruppen die Ausrüstung mit LVS, Schaufel und Sonde als Standard anzusehen ist. Bei anderen geführten Gruppen wird zumindest die Ausrüstung mit LVS und Schaufel als Standard betrachtet. Die Teilnehmenden diskutierten intensiv über die Bedeutung des ABS (Lawinen Airbag-System). Man war sich einig, dass der ABS in Bezug auf Sicherheitsgewinn dem LVS und der Schaufel gleichzusetzen ist. Einzelne Teilnehmende waren der Ansicht, dass der ABS sich gerade im Variantenbereich an der Schwelle zum Standard befinde. In vielen Bergsteiger- und Schneesportschulen würde der ABS-Rucksack standardmässig von allen Kunden getragen. Teilweise seien Gruppen auch nur mit ABS-Rucksack und Schaufel (d h. ohne LVS) ausgerüstet. Die Praxis zeigt, dass der ABS im Variantenbereich zunehmend Verbreitung findet, aber noch nicht den Verbreitungsstand von LVS und Schaufel erreicht hat. Er kann deshalb auch aus juristischer Sicht kaum als Standard angesehen werden. Über Funk und Mobiltelefone wurde in diesem Zusammenhang nicht diskutiert (vgl. Workshop 2: Skitourenfahren). m) Was sind die Standards bezüglich Information über Wetter- und Lawinensituation? Die Konsultation des Lawinenbulletins wird von den Teilnehmenden als Standard angesehen. Der Wetterbericht wird ebenfalls als Standard gewer- 153 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 tet, wobei teilweise die Wetterangaben aus dem Lawinenlagebericht als genügend betrachtet werden. Die lokale Einschätzung vor Ort wird ebenfalls als Standard angesehen und soll laufend überprüft werden. n) Was wird vom Leiter einer Gruppe erwartet, bevor er sich ins lawinengefährdete Gelände begibt? Zu diesem Thema wurden folgende Punkte als wichtig erachtet: Materialkontrolle, LVS-Check, klare Spielregeln für die Abfahrt und generelle Verhaltensregeln. Eher in die Kategorie «Nice to have» fiel der Punkt «Übung im Umgang mit der Lawinennotfall-Ausrüstung». Hier fehle gerade beim Variantenfahren meistens die Zeit. o) Was sind denkbare Führungsmängel und wie können sie vermieden werden? Dieses Thema wurde nur noch sehr kurz diskutiert. Als Führungsmängel werden unter anderem die folgenden Punkte angesehen: Standards nicht erfüllt oder durchgesetzt, keine klare Kommunikation/Regeln, fehlende Konsequenz, fehlende Disziplin, schlechte Vorbildfunktion. 3 Schlussfolgerungen Die Diskussion in diesem Rahmen zum Thema «Sorgfaltspflichten von Sicherheitsverantwortlichen im Bereich des Variantenfahrens» ist noch jung und sollte unbedingt weiter geführt werden. Eine erste Sensibilisierung und Annäherung der verschiedenen Gruppen konnte in diesem Rahmen bereits erzielt werden. Die «Ergebnisse» aus dem Workshop dürfen aber keinesfalls als der Weisheit letzter Schluss aufgenommen, sondern als Diskussionsgrundlage für die Zukunft verstanden werden. Ebenfalls sollte die Diskussion um den Begriff «Standards» in der Zukunft weiter geführt werden. Vielleicht wäre der Begriff «Verkehrsnorm» oder «allgemein anerkannte Verhaltensregel» in diesem Zusammenhang sinnvoller und klarer als «Standards» (vgl. Beiträge von K. Weber und A. Ermacora zu diesem Thema). 154 Lawinen und Recht Sorgfaltspflichten von Sicherheitsverantwortlichen Workshop 2: Touren Leitung: Stephan Harvey, Patrik Bergamin, Monique Aebi Teilnehmende: ca. 25 Personen (Ausbildner, Bergretter, Warndienste, Juristen, Bergführer) aus den Ländern D, A, I, CAN und CH. 1 Einleitung und Ziele Ein wichtiger Aspekt dieses Workshops war der Austausch zwischen Praktikern und Juristen. Nach drei kurzen Impulsreferaten zu den Themen a) Risikomanagement auf Skitouren heute b) Fallbeispiel eines Unfalls mit Tourenverantwortlichem c) Entscheidungsgrundlagen der Justiz wurde in drei Gruppen über die Sorgfaltspflichten von Tourenverantwortlichen diskutiert. In einem weiteren Block wurde über den Stellenwert von strategischen Methoden und über den Begriff Standard diskutiert. Auch von Seiten der Teilnehmenden wurden Fragen gesammelt, welche im Laufe des Workshops grösstenteils beantwortet werden konnten. Ziele des Workshops: 1. Sorgfaltspflichtenkatalog für Tourenverantwortliche. Einigung, was Standard ist. 2. Zu folgenden Fragen mehr Klarheit schaffen: – Was heisst voraussehbar, vermeidbar bzw. zumutbar? – Worauf stützt sich die Justiz? (Lawinenbulletin, Standards, Gutachten, ...) – Kann eine gute Dokumentation auch ungünstige Folgen haben? 2 Fragestellungen Ein Grundsatz im Strafrecht lautet: Keine Strafe ohne Verschulden. Verschulden kann entweder a) Vorsatz oder b) Fahrlässigkeit sein. Bei Lawinenunfällen auf Touren tritt praktisch nur die Fahrlässigkeit als mögliches Verschulden auf. Definition Fahrlässigkeit für den Bergsportbereich: «Fahrlässig handelt, wer seine Sorgfaltspflichten verletzt und damit einen Unfall verursacht, den er hätte voraussehen und vermeiden können.» Daraus ergeben sich folgende Fragen: 1. Welches sind die Sorgfaltspflichten von Tourenverantwortlichen auf Skitouren, damit die Sicherheit der Gäste optimal gewährleistet ist? Was ist Standard? Dabei ist besonders zu erwähnen, dass keine hundertprozentige Sicherheit, sondern nur eine optimale Sicherheit gewährleistet werden kann. 2. Was heissen die Begriffe «vorhersehbar», «vermeidbar», «zumutbar»? Fragen der Teilnehmenden: – Stellenwert der Strategischen Methoden in der Beurteilung der Lawinengefahr – Akzeptanz? Ausbildung? Anwendung? Relevanz bei Gerichtsfällen? – Wie kann die Akzeptanz für risikominimierende Massnahmen gesteigert werden? – Bedeutung des Lawinenbulletins bei der Urteilsfindung? – Zusammenhang zwischen Bulletinstufe und Hangneigung bei Lawinenunfällen? – Welche Rolle hat die Eigenverantwortung? – Wer hat welche Rolle auf Gemeinschaftstouren (nicht geführte Touren)? – Welche Rolle hat der Arbeitgeber (z. B. Nationalpark), welche Verantwortung? – Konsequenzen von defekter oder nicht vorhandener Notfallausrüstung? – Brauchen sich Tourenverantwortliche vor der Justiz zu fürchten? 3 Diskussionen und Resultate Sorgfaltspflichten Man war sich in den drei Diskussionsgruppen einig, dass die Beurteilung der Lawinensituation mit dem «3 × 3»-Raster zur Sorgfaltspflicht jedes Tourenverantwortlichen gehört. Das heisst die drei Faktoren Verhältnisse, Gelände und Mensch werden in verschiedenen Phasen einer Tour miteinander kombiniert: Bei der Planung, unterwegs im Gelände und schliesslich nochmals beim Entscheid im Einzelhang. Was aber genau bei jeder Phase gemacht werden muss, wurde angeregt diskutiert. Es ergaben sich folgende Resultate: 155 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Planung – Informationen einholen a) Lawinenbulletin oder gleichwertige Information (Gefahrenpotential): Es kann aber nicht generell Pflicht sein, das Lawinenbulletin zu konsultieren. Der Tourenverantwortliche muss jedoch vor der Tour eine Vorstellung haben, mit welcher Gefahrenstufe und Lawinensituation er rechnen muss. Ist der Tourenverantwortliche täglich unterwegs und schätzt die Situation vor Ort eigenständig ein, so dürfte das Konsultieren des Lawinenbulletins kaum einen Informationsgewinn bringen. Damit kann das Nicht-Konsultieren kaum als Sorgfaltspflichtverletzung angesehen werden. b) Wetter: Wo verfügbar, Wetterinformation einholen. – Schlüsselstellen erfassen: Der Tourenverantwortliche muss sich vor der Tour Gedanken machen, wo allfällige Schlüsselstellen (besonders in Bezug auf Lawinengefahr, Absturzgefahr, Schwierigkeit, Zeitfresser) auftreten könnten. – Gruppe: Die Gruppe ist bekannt und nicht zu gross. Auf die Grösse von Gruppen wollte man sich nicht festlegen. Die Teilnehmenden sind über die gestellten Anforderungen und über die mitzuführende Ausrüstung zu informieren. – Ausrüstung: LVS ist Mindestanforderung. Auch Schaufeln und Sonden müssen dabei sein. Über die Anzahl Schaufeln bzw. Sonden pro Gruppe herrschte jedoch Uneinigkeit. Die Mehrheit war der Meinung, dass alle Teilnehmenden eine Schaufel dabei haben müssen, während bei den Sonden rund die Hälfte der Anwesenden dieser Meinung waren. Weiter sollte der Tourenverantwortliche über ein Erste Hilfe-Set und einen Notfunk oder ein Handy verfügen. Zentrale Frage: Der Tourenverantwortliche muss sich die Frage stellen, ob die geplante Tour mit der ihm anvertrauten Gruppe zu den erwarteten Wetter- bzw. Lawinenverhältnissen passt. Unterwegs Die Anwesenden waren sich einig, dass ein Tourenverantwortlicher unterwegs im Gelände folgende Sorgfaltspflichten zu erfüllen hat: – LVS-Check durchführen – Überprüfung und laufende Neubeurteilung der Verhältnisse. Tour der Neubeurteilung anpassen (evtl. Alternativen). – Überprüfung des Zeitplans und allfällige Anpassung der Tour. – Anordnen von den Verhältnissen, dem Gelände und der Gruppe angepassten Verhaltensmassnahmen. 156 Diese können jedoch nicht nach starren Mustern angeordnet werden (z. B. Entlastungsabstände im Aufstieg bei «erheblicher» Gefahrenstufe in allen Hängen, die steiler als 30 ° geneigt sind), sondern sie müssen jeder Situation von Fall zu Fall angepasst werden. Verhaltens- oder Vorsichtsmassnahmen (z. B. Abstände oder Einzelfahren) sind in der Praxis einfache Massnahmen, das Lawinenrisiko zu reduzieren. Sie sind keine Massnahmen, die man für die Justiz trifft, um vor Gericht besser dazustehen. Andererseits wurde bemerkt, dass es für die Justiz relativ einfach zu überprüfen sei, ob Massnahmen angeordnet wurden. Entsprechend bestehe die Gefahr, dass derartige Massnahmen überbewertet würden. Strategische Methoden oder Entscheidungshilfen Strategische Methoden werden im deutschsprachigen Sprachraum heute in wohl allen Lawinenausbildungen vermittelt. Man kann von einem Ausbildungsstandard sprechen. Die strategischen Methoden werden aber nach wie vor unterschiedlich ausgebildet und angewendet. Sie sind als Baustein einer Risikobeurteilung zu verstehen. Das Kernproblem solcher Strategien ist die praktische Anwendung. Da alle Eingaben unscharf und ungenau sind, dürfen die Resultate auch nur als Grössenordnungen verstanden werden. Es besteht die Gefahr, dass die vermeintlich einfachen Zahlen und Fakten von Juristen überwertet werden könnten, da sie als fassbare, wohldefinierte Grössen erscheinen (vgl. Beitrag von K. Weber). Die strategischen Methoden wurden trotz den offensichtlichen Unterschieden in der Anwendung von den meisten Praktikern als Standard angesehen. Die Juristen sahen dies anders. Aufgrund der unterschiedlichen Anwendung in der Ausbildung und der wohl mangelnden Verbreitung in der Praxis sind diese Methoden aus juristischer Sicht kein Standards (vgl. Beiträge von K. Weber und A. Ermacora). Unter dem Begriff «Standard» verstehen Praktiker und Juristen also nicht das selbe. Es stellte sich heraus, dass von der Praxis bereits bejahte Standards (wie z. B. Reduktionsmethoden oder bestimmte Verhaltensmassnahmen) aus juristischer Sicht (noch) nicht als solche gelten. Die Hürden sind also hoch, dass etwas zu einer allgemein gültigen Verhaltensregel wird. Man könnte auch sagen, Standards definieren die Grenze zwischen vernünftigem und unvernünftigem Handeln. Sie müssen situativ angepasst werden. Die Anwesenden waren sich einig, dass das, was zur Sorgfaltspflicht eines Tourenverantwortlichen gehört, Standard ist. Lawinen und Recht In Italien werden strategische Methoden nicht angewendet. Die Unfallzahlen sind eher rückläufig. Aus der Praxis kam der Vorschlag von «unteren Limits» für die rechtliche Beurteilung von Lawinenunfällen. Ein Verfahren sollte grundsätzlich eingestellt werden, wenn sich die Handlungen des Tourenverantwortlichen gemäss den strategischen Methoden im Bereich des akzeptierten Risikos befinden. Dieser Vorschlag wurde von den Juristen als kaum gangbar angesehen. Auch «untere Limits» beruhten auf strategische Methoden, die keinesfalls als alleinige Beweisgrundlage dienen dürften, zumal sie in der Praxis nicht einheitlich angewendet werden und auch nur als Grössenordnungen zu verstehen sind. Sie äusserten auch Bedenken, dass, wenn Regeln / Limits der strategischen Methoden nur in eine Richtung (positiv) ausschlaggebend seien, sich diese auch in die andere (negative) Richtung auswirken könnten. Die Juristen meinten, dass jeder Fall detailliert untersucht werden muss, um auch sonstige grobe Fehler auszuschliessen. In der Regel dürfte es aber kaum zu einer Verurteilung kommen, wenn der Tourenverantwortliche im Bereich des akzeptierten Risikos (gemäss den strategischen Methoden) handelte und dies auch schlüssig nachweisen kann, resp. der Gutachter zu diesem Schluss kommt. Sachverständiger / Gutachter Der Sorgfaltsmassstab bei Lawinenunfällen ist für Juristen das vernünftige und besonnene Verhalten des Tourenverantwortlichen. Sie stellen sich die Frage, ob das Verhalten des Tourenverantwortlichen der gängigen Praxis entsprach. Um diese Frage zu beantworten, muss die Justiz in aller Regel einen Sachverständigen oder Gutachter beiziehen. Der Gutachter ist eine mit der Praxis vertraute Person, die die Justiz berät. Er muss mit den gleichen Ausgangsinformation, über die der Tourenverantwortliche verfügte, auf Fragen der Justiz eingehen. Der Gutachter sagt dem Jurist, was die gängige Praxis ist. Die rechtliche Beurteilung erfolgt jedoch, gestützt auf die Aussagen des Gutachters, durch die Justiz. Antworten auf die restliche Fragen der Teilnehmenden – Zusammenhang zwischen Bulletinstufe und Hangneigung bei Lawinenunfällen: Auswertungen haben ergeben, dass von Schneesportlern ausgelöste Lawinen ähnliche Eigenschaften aufweisen unabhängig von der Gefahrenstufe. Skifahrerlawinen sind also ähn- – – – – lich breit, ähnlich lang, haben ähnliche Anrissmächtigkeit und sind in ähnlich steilen Hangpartien angebrochen. Dass Skifahrerlawinen unabhängig von der Gefahrenstufe in ähnlich steilen Hangpartien anbrechen, könnte zur Schlussfolgerung verleiten, dass die strategischen Risikoreduktionsmethoden nichts bringen. Es ist aber zu berücksichtigen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Lawinenauslösung mit zunehmender Gefahrenstufe zunimmt. Das heisst, dass die Wahrscheinlichkeit in einem 35 ° steilen Hang eine Lawine auszulösen, bei «mässiger» Gefahrenstufe kleiner ist als bei «erheblicher» Gefahrenstufe. Deshalb ist in einem 35 ° geneigten Hang das Risiko bei «mässiger» Gefahrenstufe kleiner. Die Verteilung der Unfälle auf die Hangneigungen ist zwar gleich, aber die Wahrscheinlichkeit eines Unfalles nimmt mit zunehmender Gefahrenstufe zu. Die strategischen Methoden haben aufgrund der unterschiedlichen Wahrscheinlichkeit einer Lawinenauslösung trotzdem ihre Berechtigung. Welche Rolle hat die Eigenverantwortung? Diese Thematik wurde wenig diskutiert. Die Eigenverantwortung muss von jedem Teilnehmer einer Gruppe wahrgenommen werden. Auf Gemeinschafts- oder Privattouren, bei denen niemand eine Führungsverantwortung hat, ist die Eigenverantwortung eher von zentraler Bedeutung. Wer hat welche Rolle auf Gemeinschaftstouren? Auch bei Gemeinschaftstouren können Garantenstellungen entstehen, da die Teilnehmenden aufgrund der Gefahrengemeinschaft, z. B. zu gegenseitiger Hilfeleistung im Falle eines Unfalles verpflichtet sind. Diese wirkt sich jedoch kaum auf Gerichtsfälle aus. In solchen Situationen ist die Eigenverantwortung aller Beteiligten wichtig. Welche Rolle hat der Arbeitgeber (z. B. Nationalpark), welche Verantwortung? Diese Thematik wurde nicht diskutiert. Konsequenzen von defekter od. nicht vorhandener Notfallausrüstung? Bei defekter oder nicht vorhandener Notfallausrüstung hat sich die Ausgangslage verändert. Der Tourenverantwortliche muss in solchen Situationen die bestmögliche Lösung finden, z. B. Geräte auftreiben, wenn man im Tal ist, andere Route mit weniger Risiko wählen, usw. Falls der sehr unwahrscheinliche Fall auftreten sollte, dass genau die Person ohne Notfallausrüstung zu Schaden kommt, muss der Gutachter und die Justiz die unglücklichen Umstände mit in die Beurteilung einbeziehen. Wesentlich ist aber in erster Linie, ob die mangelnde Ausrüstung für den eingetretenen Schaden tatsächlich kausal war. 157 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 4 Schlussfolgerungen Die Diskussionen unter den Praktikern aus verschiedenen Ländern und Tätigkeitsbereichen über Sorgfaltspflichten und strategische Methoden war für alle Beteiligten sehr wertvoll. Die Juristen lernten u. a. die unterschiedlichen Sichtweisen der Praktiker kennen. Allerdings waren die Praktiker der Meinung, dass sie ungefähr die gleichen Sichtweisen hätten. Praktiker sind sich gewohnt, «unscharf» und in Bandbreiten zu denken. Juristen müssen zu einem messerscharfen Entscheid (schuldig / nicht schuldig) kommen, obwohl es keine genauen Fakten gibt und das Recht kein exaktes Regelwerk ist. Da es im Lawinenbereich kaum Gesetzesnormen gibt, ist auch die juristische Beurteilung letztlich ein Gewichten und Abwägen von verschiedenen Faktoren. Damit gibt es also eine klare Parallele zur Beurteilung der Lawinengefahr. Trotz aller Unschärfe in der Beurteilung muss der Praktiker letztlich auch einen scharfen Entscheid fällen: «To go or not to go»! Zu beachten ist, dass es zwischen den Alpenländern D, A, und CH Unterschiede gibt. Vor allem in Deutschland sind die Verkehrsnormen sehr wichtig. Standards sind in der in Deutschland üblichen engen Auslegung der Verkehrsnorm strikt und immer gültig. Eine situative Anpassung gibt es nicht. Die Norm wird einmal definiert und gilt dann ungeachtet der Verhältnisse. In der Schweiz kennt man diese enge Auslegung nicht, und es wird eher von Fall zu Fall entschieden. Die alleinige Beurteilung von Lawinenunfällen mit strategischen Methoden in eine für den Tourenverantwortlichen positive Richtung ist aus juristischer Sicht heikel. Strategische Methoden sind nicht alleiniger Massstab bei der Beurteilung der Sorgfaltspflichtverletzung. Sie können aber in die juristische Beurteilung einfliessen, und zwar einerseits wenn der Tourenverantwortliche sich auf die Methoden beruft, und andererseits wenn der Gutachter oder Sachverständige die strategische Methoden in seine Überlegungen einbezieht, resp. der Richter den Gutachter explizit danach fragt. Das Lawinenbulletin wird von der Justiz als eine wesentliche Entscheidungsgrundlage für den Tourenverantwortlichen angesehen. Es ist jedoch nicht zwingend, dass der Tourenverantwortliche das Lawinenbulletin vor jeder Tour konsultiert. Zwingend ist hingegen, dass er sich vor der Tour fundiert informiert und sich vor und während der Tour fundiert über den Gefahrengrad und die Lawinensituation Gedanken macht. Die anwesenden Praktiker waren sich einig, dass Tourenverantwortliche sich vor der Justiz nicht zu fürchten brauchen. Sorgfaltspflichten halten sie primär zum Wohle ihrer Gäste ein – nicht für die Justiz. 158 Für einen Tourenverantwortlichen ist die Beurteilung der Lawinengefahr und die Entscheidfindung komplex und schlecht fassbar. Die juristische Beurteilung eines Tourenverantwortlichen hat dieser Komplexität Rechnung zu tragen und ist damit wohl mindestens so komplex und anspruchsvoll. Sie kann nicht mit einfachen Regeln erfolgen. Daraus ergibt sich die zentrale und verantwortungsvolle Rolle des Gutachters oder Sachverständigen. 5 Offene Fragen Die Rolle von Arbeitgebern oder Veranstaltern bei gerichtlichen Untersuchungen von Lawinenunfällen wurde nicht diskutiert. Die Frage der Standards konnte nicht abschliessend beantwortet werden. Der Gutachter muss die Situation unter Berücksichtigung von Ausbildungsstandards von Fall zu Fall abwägen. Lawinen und Recht Sorgfaltspflichten von Sicherheitsverantwortlichen Workshop 3: Schneesportgebiete, -betriebe Leitung: Hans-Jürg Etter, Hans-Kasper Stiffler, Hansueli Rhyner Teilnehmende: 27 Personen (Pisten-, Sicherungs- und Rettungschefs von Schneesportgebieten, Juristinnen und Juristen) aus den Ländern Schweiz und Italien 1 Einleitung Basis-Frage: Welche Vorkehrungen sind zu treffen, damit eine Unternehmung und ihre Pisten- und Rettungschefs die Sorgfaltspflicht gegenüber ihren Gästen im Bereich Lawinensicherheit optimal einhalten und vom rechtlichen Standpunkt betrachtet «zumutbar» erfüllen? Themen: – Inhalt Sicherheitskonzept und Journal – Künstliche Lawinenauslösung, Einsatz sichtunabhängiger Methoden – Kopplung von Massnahmen an die Lawinenbulletinstufe Aktuelle rechtliche Grundlagen: – Richtlinien für Anlage, Betrieb und Unterhalt von Schneesportabfahrten, SKUS (Ausgabe 2002) – Richtlinien SBS, «Die Verkehrssicherungspflicht für Schneesportabfahrten», (Ausgabe 2002) – Schweizerisches Skirecht, Hans-Kaspar Stiffler (3. Auflage, 2002) Weitere Grundlagen: – Künstliche Lawinenauslösung, Praxishilfe, SLFMitteilung Nr. 53 (2001) – Rechts- und Versicherungsfragen bei künstlicher Lawinenauslösung, BUWAL (2004) 2 Inhalt Sicherheitskonzept und Journal Alle Teilnehmenden waren sich einig, dass es ein schriftlich festgelegtes Lawinensicherheitskonzept braucht. Das Konzept muss jedem Gebiet und Betrieb angepasst entwickelt werden. Gewünscht werden Grundraster (Muster) vom SLF in Zusammenarbeit mit ausgewählten Skigebieten. Raster für – Sicherheitskonzepte – Tagesjournal Vom juristischen Standpunkt aus gibt es keine Zweifel, dass ein Sicherheitskonzept zwingend vorhanden sein muss. Möglicher Inhalt eines Lawinensicherheitskonzeptes (für eine Anlage oder Gesamtkonzept für ein Schneesportgebiet): 1. Allgemeine Grundlagen – Vorhandene Unterlagen (z. B. Gutachten, Lawinenkataster/-kartierung) – Abgrenzung des Gebietes, Gültigkeitsbereich des Konzeptes: Anlage(n) und Schneesportabfahrten, inkl. Schlittelwege, Wanderwege und Loipen. – Lawinenzüge: Aufzeichnung Anrissgebiete, Auslaufstrecken (inkl. mögliche Sekundärlawinen) und Schadenpotenzial (Objekte); evtl. Gebiete mit Gefahr von kleinen Schneerutschen; mögliche Gebiete mit Gleitschneerutschen/-lawinen – Karten 1:10 000 ideal, wenn möglich in digitaler Form. 2. Aktuelle Wetter-, Schnee- und Lawinendaten zur Verfügung stehende Quellen: z. B. Daten eines Messfeldes, von IMIS-Stationen, Lawinenbulletin, Wetterbericht, Daten von eigenen (automatischen) Messstationen, NXD-Lawinen1, sofern vorhanden. 3. Verwendung temporärer Lawinenschutzmassnahmen, Varianten bei der Massnahmenplanung – Sperrungen: z. B. Absperrorte, evtl. Kriterien; u.U. Massnahmen bei aussergewöhnlicher Lawinengefahr – Künstliche Lawinenauslösung: Anrissgebiete und Sprengmethode; evtl. Absperrorte (mögliche Sekundärlawinen), Sprengpunkte und Einsatzkriterien (Neuschneezuwachs, Wind), pro Lawinenzug beobachtete maximale Anrisshöhen 4. Abläufe, gemäss detaillierter Checkliste Unter anderem Ablauf Sprengeinsätze sowie Absprachen / Information unmittelbar vor der Aktion (z. B. andere Bahnen, Pistenmaschinenfahrer, Skilift und Restaurantangestellte, Ferienhausbesitzern usw.) 1 Es handelt sich um ein vom Eidg. Institut für Schneeund Lawinenforschung SLF entwickeltes Computerprogramm zur lokalen Lawinenprognose, das «nächste Nachbartage» sucht, vgl. www.slf.ch/nxd/welcome-de. html 159 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 5. 6. 7. 8. Nach Sicherungsmassnahmen Vorgehen zur Aufhebung von Sperrungen, Betriebeinschränkungen oder evtl. Beibehaltung der Ausserbetriebnahme, weitere Bemerkungen Journalführung, was muss wo und in welcher Form festgehalten werden: z. B. Schneedaten, Massnahmenentscheide, Sprengprotokoll, Sprengstoffprotokoll, Lawinenniedergänge / -kataster, Zeitfenster der Massnahmen. Das Tagesjournal sollte separat geführt werden. Aus juristischer Sicht ist die Protokollführung wesentlich, damit jedermann weiss, was zu tun ist und wer was gemacht hat. Organisation: z. B. Organigramm, Pflichtenhefte/Verantwortlichkeiten, Interne Bestimmungen, Informationen, Alarmschema und Abläufe für Lawinenunfälle. Informationen intern und extern, Die Information der Sperrdaten müssen mehrsprachig sein! Anhang: Karte mit Bahnen, Pisten, Lawinenanrissgebieten, evtl. Sprengpunkten und Absperrorten. Weiteres ? Mögliche Angaben für eine Journalführung: – Tagesjournal (Beurteilung der Situation; siehe nachfolgendes Beispiel eines möglichen Tagesjournalblatt) – Sprengprotokoll für die künstliche Lawinenauslösung: – Anrissgebiete, Sprengpunkte und Anzahl Sprengungen; Methode, Ladungsgrösse – Angaben positive oder negative Sprengung – Angaben zu Lawinen (z. B. Anrissgebiet, Ablagerungsort) – Beurteilung Wirksamkeit der Sicherungsaktion – Kartierung der Sprengpunkte, der Massnahmen und der Ergebnisse Sprengstoffkontroll-Protokoll (sollte separat geführt werden) – Eingang – Verbrauch – wann – wieviel – wo – Lawinenniedergänge / -kataster: – Bei kleineren Lawinen soll zumindest Anrissgebiet, Datum (Zeit), Ablagerungsort, evtl. Anrissmächtigkeit und Lawinenbreite erfasst werden. – Grössere Abgänge und z. B. Abgänge an unerwarteten Orten sollen detailliert erfasst (Gebiet, Datum, Zeit, Anrissmächtigkeit, Anrissbreite usw.) und kartiert werden. Fotodokumentation von grossen, ungewöhnlichen Abgängen. 160 Tagesjournal / Checkliste für die Umsetzung der SicherungsAufträge aufgrund Sicherheitskonzept und Pflichtenheft (z. B. für Sicherungschef) 1. Wetter-, Schnee- und Lawinendaten – Wetter / Wetterbericht – Schneedaten / Schneeprognose – Lawinenaktivität – evtl. Lawinendatenbank – Lawinenbulletin Ergänzungen aus den Gruppen: – Informationen von Pistenfahrzeugführer – Kontrollgänge (Zeit, Infos über die Verhältnisse, usw.) 2. Schneedecke – Aufbau – Temperatur in der Schneedecke Aktuell Entwicklung X X X X (X) X X X X X X X X 3. Aktivitäten Vortage – bereits gesicherte Lawinenzüge – abgegangene Lawinen 4. Analyse, Massnahmenentscheid und Vorgehen – Aufgrund der Punkte 1. und 2. (siehe oben). – Grundlagen aus dem Sicherheitskonzept – Erfahrungswerte / kritische Werte (z. B. Neuschneesumme) – sowie Punkt 3. Folgerung: – primär zu sichernde(s) Gebiet(e) / Absperrmassnahmen und Orientierungen – sekundär zu sichernde Gebiete / Absperrmassnahmen und Orientierungen – zu sperrende Gebiete 5. Erfolg der Massnahmen und weiteres Vorgehen Entscheide protokollieren / begründen 6. Bemerkungen (Besondere Erfahrungswerte, Verbesserungen u.a.) Lawinen und Recht 3 Künstliche Lawinenauslösung, Einsatz sichtunabhängiger Methoden Welche Vorkehrungen zur Sicherheit von privaten Personen sind zu treffen, wenn mit sichtunabhängigen Methoden Gebiete zu sichern sind (z. B. beim Einsatz von GazEx, Inauen-Schätti und Wyssen Sprengmasten, Avalancheur, Minenwerfer)? Vorbemerkung aus juristischer Sicht: Die SKUSRichtlinien, die vom Bundesgericht als Massstab für die Sorgfaltspflicht anerkannt sind, legen fest: Ausserhalb der Bahnbetriebszeiten sind Abfahrten geschlossen. Die Unternehmungen müssen sie unterhalten und vor allem die Pisten maschinell herrichten können. Das wird heute weitgehend mit Hilfe von Pistenmaschinen mit Seilwinden gemacht. Zudem sind gelegentlich Lawinensprengungen erforderlich. Ausserhalb der Bahnbetriebszeiten muss daher mit dem Einsatz von Pistenmaschinen mit Seilwinde und mit nächtlichen Lawinensprengungen gerechnet werden. Lebensgefahr! Die Massnahmen müssen verhältnismässig und zumutbar sein. So wird z. B. in der «Praxishilfe» zu «Rechts- und Versicherungsfragen bei künstlicher Lawinenauslösung», herausgegeben vom BUWAL (2004), Seite 12, ausgeführt: «Bei schlechter Sicht (Schneefall, Nebel, Nacht) hat die Vergewisserung, dass sich keine Personen im gefährdeten Gebiet aufhalten, in zumutbaren Rahmen zu erfolgen.» Ziel Erarbeiten eines Kataloges von Sicherheitsmassnahmen vor und während «Einsätzen von sichtunabhängigen Methoden». In diesem Zusammenhang stellen sich die folgenden Fragen: – Welche Massnahmen sind administrativ notwendig? Braucht es Sprengpublikationen in einer für das Gebiet zuständigen Amtszeitung? Aus juristischer Sicht ist die Veröffentlichung im Amtsblatt anfangs Saison nicht negativ, aber nicht zwingend. – Braucht es Sprengpublikationen im Gelände ähnlich Schiesspublikationen (Minenwerfer, Rak Rohr)? Falls ja, wo? Aus juristischer Sicht braucht es keine Sprengpublikation analog zur Schiesspublikation. Dennoch ist es wichtig, auf der Infotafel und den Pistenplänen (Prospekte) auf Sprengungen und auch auf den Einsatz von Pistenbearbeitungsmaschinen mit Seilwinden hinzuweisen. Es ist wichtig diese Informationen auch in Restaurants, Ferienhäusern, SAC-Hütten, usw. bekannt zu machen. – Müssen alle Bewohner mit Bewegungslinien im gefährdeten Gelände einmal pro Winter oder bei jedem Sprengen vorgängig informiert werden? Aus juristischer Sicht ist es zwingend, die Bewohner einmal pro Winter zu informieren und je nach Situation auch jeweils vor der Sprengung. – Welche zumutbaren Massnahmen sind vor und während der Aktion im Gelände notwendig? Braucht es Absperrposten auf eingeschneiten Wegen im gefährdeten Gebiet, die üblicherweise nur vereinzelt durch Schneeschuhläufer oder Tourenfahrern begangen werden? Aus juristische Sicht braucht es je nach Situation beim Einsatz von sichtunabhängigen Sprenganlagen Absperrposten. In Italien ist die Situation so, dass ein Sicherheitsplan vorgeschrieben ist. Der Sicherheitsplan wird von der Region gebilligt. Jedes Skigebiet hat einen eigenen Plan mit Kontrollen. Für Abfahrten gilt: – Anlagen werden angehalten – Überwachungsmannschaft fährt die Pisten ab – Freigabe zur Sprengung – Wachposten mit Schneefahrzeugen, auch bei schlechter Sicht. Die Teilnehmenden erachten es zudem als sinnvoll: – Schilder an den Zugangspunkten anzubringen – an einzelnen Stellen Sirenen zu installieren und vor Sprengungen in Betrieb zu nehmen – in den Hütten die Sprengungen bekannt zu machen Alle Angaben, Richtlinien, etc. sollten im Sicherheitskonzept der Bahnen festgehalten werden. Weitere Ideen: – Hinweis auf die SKUS Regel: «Ausser Betriebszeiten sind die Pisten geschlossen» «Lebensgefahr» auf Panorama-Orientierungstafeln, auf Flyers evtl. mit Fotos unterstützt, sowie Informationen in den offiziellen Prospekten, zusätzlich mit Telefonnummer für genauere Informationen. (Ähnlich telefonischer Information beim Canyoning im Tessin.) Aus juristischer Sicht ist der Verweis in den Prospekten auf die SKUS Regelung zu begrüssen. Zudem sind Richtlinien ähnlich wie beim Canyoning mit Telefonauskunft als sehr vernünftig zu beurteilen. – Wichtig wären auch Informationen für aufsteigende Touristen (kommen nicht an der Talstation vorbei, kennen die Pisteninformationstafeln eventuell nicht). Aus juristischer Sicht empfiehlt es sich, ausserhalb der Orientierungstafeln keine Tafeln aufzustellen, da sie im konkreten Falle ohnehin mei- 161 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 stens am falschen Ort sind. Berggasthäuser sollten aber separat orientiert werden mit der Warnung auf Windeneinsatz. – Website und SMS an ausgewählten Personenkreis werden als umstritten betrachtet. 4 Kopplung von Massnahmen an Lawinenbulletinstufe Es geht um die Frage der Lawinenwarnleuchte in den Schneesportgebieten für die Warnung vor Lawinengefahr abseits von Schneesportabfahrten bei Lawinenbulletin-Stufe 3 («Erheblich»). Rettungschef U. Frutiger erläutert, dass – wenn gemäss Lawinenbulletin «erhebliche» Lawinengefahr prognostiziert wird – in seinem Gebiet die Lawinenwarnleuchte dann nicht eingeschaltet wird, wenn viele Schneedeckentests in kleinen Hängen darauf hinweisen, dass die Lawinengefahr effektiv nicht «erheblich», sondern geringer ist. Das heisst, dass die Lawinenwarnleuchte nur eingeschaltet wird, wenn effektiv gemäss seiner lokalen Einschätzung Gefahrenstufe 3 herrscht. Aus juristischer Sicht ist zu bemerken: Wenn das Lawinenbulletin Stufe 3 meldet sind: – die Lawinenwarnleuchte in Betrieb zu nehmen, um vor Lawinengefahr abseits der Schneesportabfahrten zu warnen – Informationen am Freeride Checkpoint wichtig – ungesicherte (lawinengefährdete) Abfahrten zu sperren. Wenn im Gebiet die Situation heikler ist (Wind, schattig, usw.), sind die Massnahmen früher zu treffen. Andererseits, wenn die Situation im Gebiet weniger heikel ist (Stufe 2), sind die Massnahmen nicht zu treffen. Beim Bundesgericht gilt jedoch in erster Linie das Lawinenbulletin. Eigene abweichende Beurteilung benötigt gute Begründung und Dokumentation. In diesem Zusammenhang ist auf die Richtlinie von Seilbahnen Schweiz zu verweisen (Die Verkehrssicherungspflicht für Schneesportabfahrten, Ausgabe 2002, Seiten 26–27, Abs. 129): «Zur Warnung von Schneesportlern, die abseits der markierten Abfahrten das freie Gelände befahren, ist, wenigstens an jeder Zubringerstation, die Warntafel 8 auszuhängen und allenfalls zusätzlich die Lawinenwarnleuchte in Betrieb zu setzen. ... Als erheblich gilt jede Lawinengefahr ab Gefahrenstufe 3 gemäss Einteilung des Eidgenössischen Instituts für Schnee- und Lawinenforschung SLF; vgl. dazu die Interpre- 162 tationshilfe zum Lawinenbulletin. Oberstes Gebot ist die Aktualität der Warnung. Damit die Lawinenwarntafel und die Lawinenwarnleuchte ihre Wirkung nicht verlieren, sind sie nach Abklingen der Gefahr unverzüglich einzuziehen oder ausser Betrieb zu setzen.» Damit ergeben sich die folgenden Fragen: – Besteht eine direkte Kopplung der Massnahme an die im fraglichen Gebiet beschriebene Lawinenbulletinstufe oder besteht «nur» eine direkte Kopplung mit der Gefahrenstufe 3 gemäss Interpretationshilfe, beurteilt jedoch durch den örtlichen Sicherungs- und Rettungsdienst? Aus juristischer Sicht ist klar, dass eine Kopplung an die Gefahrenstufe 3 besteht, ob im Lawinenbulletin beschrieben oder nicht. – Welche Daten sollten minimal (zumutbar) vorliegen, damit lokal eine abweichende Beurteilung vorgenommen werden kann? Aus juristische Sicht ist klar, dass die abweichende Einschätzung schriftlich begründet werden muss. – Gilt die Beurteilung primär für das unter Umständen stark befahrene Variantengebiet oder für das angrenzende Tourengebiet? Aus juristischer Sicht gilt die Beurteilung für das «Varianten / Freeride Gebiet» resp. das «einsehbare Gelände». Weitere Bemerkungen zum Thema In der Gruppendiskussion stellte sich heraus, dass in einer Gruppe in 6 von 7 Gebieten der örtliche Sicherungsdienst selbst beurteilt. Das offizielle Lawinenbulletin ist dort für den Betrieb der Leuchte nicht massgebend. Die Beurteilung erfolgt aufgrund von: - Neuschneemenge - Wind - Temperatur - Stabilitätstest Eine Gruppe von Teilnehmenden war der Ansicht, dass die Seilbahnunternehmung nur zuständig sei für Personen im gesicherten Gebiet und nicht für Personen im «freien Gelände». Daher seien die Warnleuchten am besten abzumontieren und der Absatz in den Richtlinien sei zu streichen. Aus juristischer Sicht ist zu entgegnen, dass die Unternehmungen für die markierten Schneesportabfahrten verkehrssicherungspflichtig sind. Wer sich ausserhalb der markierten Abfahrten im sog. freien Gelände bewegt, tut das ausschliesslich auf eigenes Risiko. Da die Unternehmungen aber genau wissen, dass immer wieder Skifahrer und Snowboarder sich mit Variantenabfahrten und Freeriding vergnügen, ist es zweckmässig, für diese Benützer in Form der Freeride Checkpoints Lawinen und Recht eine Orientierungshilfe zu schaffen, vor allem auch wegen der Lawinenwarnleuchte, die ab Gefahrenstufe 3 in Betrieb zu setzen ist. Ein Gruppe von Teilnehmenden stellte fest, dass die Lawinenwarnleuchte: – präventiv wirken muss, die Warnung aktuell sein soll, die Eigenverantwortung aber nicht beeinflussen soll – für den Variantenbereich auch als Input gelten kann – aufgrund der eigenen Beurteilung eingeschaltet werden soll (Teamentscheid, Dokumentation und Protokollierung) In Italien sind die Voraussetzungen etwas anders: – Keine Pflicht für Leuchten – Gesetz macht einen grossen Unterschied zwischen freiem Gelände und den gesicherten Gebieten – im freien Gelände volle Eigenverantwortung (LVS obligatorisch) – Hilfsmittel (Formeln) für die Skifahrer können auch von den Juristen verwendet werden. – Forderung: Klare Bezeichnung bezüglich: Was sind Vorschriften, was sind Entscheidungshilfen? – in Italien herrscht an 80 % der Tage Stufe 3 – wenn, dann würde das offizielle Bulletin benutzt – Gebiete machen eigene Bulletins, diese werden aber nicht veröffentlicht – Einschätzung auf Grund von: – klassischen täglichen Messdaten – Beobachtungen – Ergebnis von Sprengungen. 5 Schluss-Statement Sicherheitsverantwortliche und Rettungschefs wissen viel über Schnee und Lawinen. Sie beschäftigen sich im Winterhalbjahr täglich damit. Sie kennen selbstverständlich auch ihr «Heimgelände» bestens. Weil grosses Wissen vorhanden ist, wissen sie auch, dass sie nicht alles wissen. Sicherheitsverantwortliche sind sich vollauf bewusst, dass schriftliche Aufzeichnungen notwendig sind und wünschen zur Entscheidfindung möglichst griffige Unterlagen bzw. Checklisten. Sicherheitsverantwortliche wünschen keine Rechenformeln, auch wenn sie auf dem Papier spannend aussehen. Auch wenn sie zur Entscheidfindung – bei Zutreffen – manchmal wünschbar wären. Sie wissen, dass die Natur keine exakten Ergebnisse zulässt und immer ein Graubereich bestehen bleibt. Rechenformeln können sogar kontraproduktiv sein, wenn dadurch das eigene Denken ungünstig (evtl. sogar falsch) beeinflusst wird. Sicherheitsverantwortliche wollen dem Gast dienen und dem Gesetz die bestmögliche Beachtung schenken. 163 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Sorgfaltspflichten von Sicherheitsverantwortlichen Workshop 4: Verkehrswege Leitung: Jakob Rhyner, Fritz Anthamatten, Michael Bründl Teilnehmende: ca. 25 Personen, hauptsächlich Mitglieder von Lawinendiensten der ganzen Schweiz und aus Österreich (Salzburg, Obergurgl) 1 Einleitung Basis-Fragen des Workshops: A. Welche Vorkehrungen sind zu treffen, damit Lawinendienste die Sicherheit auf Verkehrswegen optimal gewährleisten können? B. Welche Anforderungen an die Sorgfaltspflicht sind für Lawinendienste zumutbar? Themen: 1. Beurteilung der aktuellen Lawinengefahr, Entscheidfindung und Festlegen von Massnahmen, Journalführung und Dokumentation – Grundlagen und Vorgehen – Inhalt von Journalen – Massnahmen und Bulletinstufen / interne Gefahrenstufen 2. Durchführung von temporären Massnahmen – Grundlagen – Durchführung – Kontrolle des gefährdeten Gebietes vor Sprengeinätzen (schlechte Sicht) 3. Organisation eines Lawinendienstes – Inhalt eines Pflichtenheftes – Zusammensetzung eines Lawinendienstes und Ausbildung der Mitglieder – Verantwortlichkeiten Aktuelle rechtliche Grundlagen: – Rechts- und Versicherungsfragen bei künstlicher Lawinenauslösung BUWAL, 2004 – Richtlinien zur Berücksichtigung der Lawinengefahr bei raumwirksamen Tätigkeiten, Bundesamt für Forstwesen/SLF 1984 – IFKIS-Schlussbericht 2002: http://www.slf.ch/ lwr/risikomanagement/ifkis_schlussbericht.pdf Vorbemerkung Vor allem die Diskussionen zum Themenkreis Entscheidungsdokumentation verliefen sehr engagiert. Es bestand allgemeine Einigkeit darin, dass eine gute Organisation des Lawinendienstes und 164 eine lückenlose Dokumentation der Entscheidungsabläufe bei Gerichtsverhandlungen von grosser Wichtigkeit sind. Bezüglich der Art der Dokumentation bestanden beträchtliche Meinungsunterschiede. An das SLF richtete sich der Wunsch, einen Vorschlag für einen «Minimalstandard» zu Dokumentation der Entscheidungsabläufe auszuarbeiten. Von einem Juristen in der Runde wurde darauf hingewiesen, dass Entscheidungsdokumentation nicht auf ein mögliches Gerichtsverfahren ausgelegt werden sollen, sondern auf die nachfolgende Analyse und die Konservierung der Erfahrung. Wenn sie dafür genügen, genügen sie auch vor Gericht. Einführungsreferat Gondalawine Jachen Kienz vom Tiefbauamt Graubünden, Bezirk 4, beschrieb einführend die Entscheidungsabläufe im Vorfeld des Unfalles mit der Gondalawine im Unterengadin am 7. Februar 1999. Diese ging auf die nach erfolgloser Sprengung wieder geöffnete Hauptstrasse zwischen Lavin und Giarsun nieder und verschüttete zwei Fahrzeuge. Eine Person kam ums Leben. Kienz zeigte auf, wie die Überlegungen und Entscheide für künstliche Auslösungen und Sperrung/Öffnung dokumentiert wurden. Für die Dokumentation wurden keine vorgefertigten Formulare oder Schemata angewandt, es wurden aber detailliert die benutzten Daten und andere Informationen sowie die daraus resultierenden Überlegungen aufgezeichnet. Die Strafuntersuchung wurde eingestellt. 2 Beurteilung der aktuelle Lawinengefahr, Entscheidfindung und Festlegen von Massnahmen, Journalführung und Dokumentation 2.1 Grundlagen und Vorgehen a) Welche allgemeine Grundlagen und Dokumente sind üblich? Wie werden sie eingesetzt? Lawinenkataster und Gefahrenkarten bilden für die Organisation und Vorbereitung eine wichtige Rolle, sind jedoch für die Entscheidfindung in konkreten Gefahrenlagen auf Verkehrswegen oft von beschränktem Wert. Lawinen und Recht Diese Unterlagen wurden meistens in der Folge von 1999 à jour gebracht. Die permanente Aktualisierung stellt jedoch oft ein Problem dar. b) Welche Daten, Messungen und Beobachtungen sind zu konsultieren resp. selber zu erheben, um die aktuelle lokale Lawinengefahr beurteilen zu können? Eine wichtige Grundlage ist das Lawinenbulletin des SLF. Die Angaben im Lawinenbulletin müssen auf die regionale / lokale Situation abgestimmt werden. Die Gefahrenstufe kann gegebenenfalls angepasst werden. Ein Reihe von Diskussionsteilnehmer hält in diesem Fall die Begründung der Abweichung schriftlich fest. Dies ist als Teil der Dokumentation wichtig, v. a. wenn die SLF-Prognose nach unten korrigiert wird. Einige Teilnehmer nehmen in solchen Fällen Rücksprache mit dem SLF-Warndienst. Die weiteren wichtigen Grundlagen für die Entscheidfindung sind: IMIS- und ENET-Stationen in der Region, Wetterprognosen (v.a. Neuschneeprognose), eigenen Beobachtungen und Schneeprofile, beobachtete Lawinenabgänge, vor allem aber die lokale Erfahrung und Gebietskenntnis. Bei Nutzung der automatischen Stationen sind die Kenntnis lokaler Besonderheiten der Stationen bzw. Stationsstandorte und die Verfolgung der Situation während des ganzen Winters wichtig. Verschiedene Lawinendienste benutzen die elektronische Entscheidungshilfe NXD, welche die aktuelle Lage mit vergangenen «ähnlichen» Situationen bzw. der damaligen Lawinenaktivität vergleicht. Ihre Benutzung erfordert aber zahlreiche archivierte Ereignisse als Grundlage, was v. a. in Gebieten mit seltenen Ereignissen mehrere Winter Vorlaufzeit bis zur Benützung bedeuten kann. c) Welche Schritte sind bei der Entscheidfindung und Situationsanalyse üblich? Welche Einträge muss ein Journal enthalten, damit eine Entscheidfindung resp. Situationsanalyse nachvollziehbar ist? In diesem Punkt gingen die Auffassungen wahrscheinlich am weitesten auseinander. Einigkeit bestand darin, dass die Führung eines Journals grundlegend wichtig ist. Allgemein war auch die Forderung nach einem Minimalstandard für die Entscheidfindung (bzw. ihre Dokumentation), welcher je nach lokalen oder regionalen Gegebenheiten angepasst und erweitert werden kann. Verschiene Lawinendienste haben dafür bereits ihre eigenen Vorlagen entwickelt und getestet. Wichtig ist der Vergleich der Entwicklung, v. a. der Neuschneemengen, mit langjährigen Erfahrungswerten. Entscheidungsszenarien sollten im Voraus festgelegt werden. Während einige Teilnehmer dafür plädierten, Standard-Vorschriften auf eine absolutes Minimum zu beschränken («jede konkrete Gefahrenlage ist anders»), waren andere für die Festlegung von detaillierten Listen mit Schwellwerten für die Auslösung eines Entscheids. Das Land Salzburg hat ein einheitliches Protokollheft. Allgemein wurde das SLF gebeten, einen Vorschlag für einen Minimalstandard für Entscheidfindung und Journalführung auszuarbeiten d) Hängt die Sorgfaltspflicht vom Grad der Gefährdung ab? Sorgfaltspflicht ist überall die gleiche, aber bei selten gefährdeten Verkehrswegen sind Erfahrungen und Ereignisdaten seltener, was die Prognosequalität reduziert. Dies hat evtl. eine frühere Schliessung zur Folge. e) Hängt die Sorgfaltspflicht von der Art des Verkehrsweges ab? Sorgfaltspflicht ist überall die Gleiche. Auf lokalen Verkehrswegen können aber bei Bedarf Sonderbewilligungen für das Befahren durch bekannte Verkehrsteilnehmer eher ausgesprochen werden. 2.2 Sollen Massnahmen an Bulletinstufen gekoppelt werden – Bedeutung des Lawinenbulletins für einen Gemeindelawinendienst? Mit wenigen Ausnahmen werden Massnahmen nicht an die Gefahrenstufen gekoppelt. Das Erreichen einer bestimmten Gefahrenstufe bildet aber oft das Kriterium für das Inkrafttreten eines Dispositivs, z. B. durch ein Treffen der Verantwortlichen. Grundsätzlich treten Sicherheitsdispositive bzw. Massnahmen für Verkehrswege bei tieferen Gefahrenstufen in Kraft als für Siedlungsgebiete: Häufig ist die Schwellenstufe ein «oberes Erheblich», bei dem durch Spontanabgänge exponierte Streckenabschnitte betroffen sein können. Einzelne besonders heikle Abschnitte müssen aufgrund der Erfahrungen auch bei noch tieferen Gefahrenstufen überwacht werden («Gewisse Strassen muss man immer im Auge behalten»). 165 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 3 Durchführung von temporären Massnahmen 4 Organisation eines Lawinendienstes 3.1 Welche Grundlagen sind erforderlich? 4.1 Was muss ein Pflichtenheft eines Lawinendienstes beinhalten? Vorgängige Information der Betroffenen am Ende oder entlang eines gesperrten Verkehrsweges. Die folgenden Punkte sollten in einem Pflichtenheft geregelt und beschrieben sein: 1. Zweck 3.2 Wie haben Sperrungen zu erfolgen? Mit der Tafel «Allgemeins Fahrverbot» mit Hinweis «Lawinengefahr», normalerweise zusätzlich mit einer geschlossenen Barriere. 3.3 Wie ist gefährdetes Gebiet vor dem Durchführen von Sprengungen zu kontrollieren? Was ist vor einer zu unternehmen, um sicherzustellen, dass eine Sprengung den gewünschten Erfolg hatte, bzw. dass das Einzuggebiet stabil oder entlastet ist? Diese Fragenkreis wurde im Workshop «Verkehrswege» nicht diskutiert. Vgl. Ergebnisse der Workshops 3 «Schneesportgebiete» und 5 «Gemeindelawinendienste» 3.4 Welche Möglichkeiten für eine teilweisen Öffnung für dringende Transporte gibt es und was sind die Kriterien dafür? Diese Fragenkreis wurde im Workshop «Verkehrswege» nicht diskutiert. 3.5 Was muss unternommen werden, um die Koordination zwischen verschiedenen Entscheidungsträgern sicherzustellen? Die Koordination zwischen verschiedenen Sicherheitsdiensten einer Region (Kanton/Land, Gemeinde, Bahn, Tourismus, usw.) bzw. auf unterschiedlichen Abschnitten eines Verkehrsweges wird auf unterschiedliche Weise gelöst. In einigen Regionen ist das vom SLF entwickelte internetbasierte Massnahmen-Informationssystem IFKISMIS im Einsatz. Auf dieser «Informationsdrehscheibe» ist der Stand der Massnahmenplanung jederzeit aktuell verfügbar, und die Teilnehmer werden über neue Massnahmen unverzüglich aktiv informiert. IFKIS-MIS ist bisher kein Standard. Es wird aufgrund einer Bedarfsmeldung einer Region vom SLF installiert und betreut. 166 2. Beschrieb des Gebietes – Perimeter allgemein – Lawinenzüge im besonderen – Siedlungen, Verkehrwege, Pisten, Loipen usw. im Gebiet 3. Aufgaben – Datenerhebung, Verfolgen der Lawinensituation – Übermittlung von Daten und Beobachtungen – Führen eines Ereigniskatasters – Aufrechterhalten der ständigen Einsatzbereitschaft – Verwaltung und Instandhaltung von Material – Regelmässige Zusammenkünfte – Empfehlen oder Durchführen von entsprechenden Sicherungsmassnahmen – Information von Behörden, Bevölkerung und Medien – Zusammenarbeit mit Such- und Rettungsdiensten – Regelmässige Aus- und Weiterbildung – Dokumentation 4. Organisation – Zusammensetzung und Organigramm des Lawinendienstes sowie Wahl der Mitglieder und deren Amtsperiode – Aufteilung in verschiedene Ressorts, wie z. B. Leitung, Beobachtung, Warnung, Alarmierung, Übermittlung, Information Öffentlichkeit und Medien, Lawinensicherung, Wehrdienst, Evakuierung / Betreuung, Sanität, Rettung – Definition von Schnittstellen zu anderen Organisationen 5. Verantwortung und Kompetenzen – Verantwortung und Kompetenzen der Mitglieder – Verantwortung und Kompetenzen der Leitenden 6. Haftung – Versicherungsschutz – Unfallversicherung und Haftung 7. Kosten und Finanzierung – Kosten für Material und Personalressourcen und deren Finanzierung 8. Gültigkeit – In-Kraft-Treten – Gültigkeitsdauer Lawinen und Recht Die Teilnehmer waren sich zum grossen Teil einig, dass diese Liste einen vernünftigen allgemeingültigen Minimalstandard darstellt, dass aber aufgrund der unterschiedlichen regionalen und lokalen Situationen (geographisch und organisatorisch) darüber hinaus nicht weiter vereinheitlicht werden sollte. 4.2 Aus wie vielen und welchen Personen soll ein Lawinendienst zusammengesetzt sein? Was für Anforderungen sind an deren Ausbildung und Fachwissen zu stellen? Die Zusammensetzung richtet sich nach dem Umfang der abzudeckenden Aufgaben. Vor allem bei Mangel an geeigneten Personen ist eine regionale Zusammenarbeit anzustreben. Diese konnte in einigen Gebieten, z. B. im Goms, verwirklicht werden. Die Grundausbildung wird durch die IFKIS Kurse (A für Mitarbeitende, B für leitende Mitarbeitende von Lawinendienste) sichergestellt, welche ca. alle zwei bis vier Jahre besucht werden sollen. Ausserdem sind andere einschlägige Ausbildungen, z. B. Bergführer- oder militärische Ausbildungen von grossem Nutzen. 4.3 Ist ein Qualitätskontrollverfahren (z. B. Prüfung und Abnahme einer Organisation durch Kanton) nötig? Ein Qualitätskontrollverfahren (z. B. durch den Kanton) wird vielerorts begrüsst, da dies die Sicherheitsverantwortlichen in ihrer Aufgabe stärken würde. Die Meinungen darüber, wie weitgehend die Standards festgelegt werden müssen, gehen jedoch beträchtlich auseinander. Die Ausarbeitung eines Minimalstandards durch das SLF wurde begrüsst. Entsprechende Formulare könnten in einer späteren Phase in einer elektronischen Form ins IFKIS integriert werden, nachdem sie sich in einem Pilotbetrieb bewährt haben. 167 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Sorgfaltspflichten von Sicherheitsverantwortlichen Workshop 5: Gemeindelawinendienste Leitung: Stefan Margreth, Lukas Stoffel, Heinz Walter Mathys Teilnehmende: ca. 25 Personen, mehrheitlich Mitglieder von Sicherheitsdiensten aus der Schweiz (insb. Graubünden, Glarus, Wallis), einzelne Kantonsvertreter und Teilnehmende aus Italien und Frankreich, zwei Juristen. 1 Beurteilung der aktuellen Lawinengefahr, Entscheidfindung für Massnahmen, Journalführung 1.1 Grundlagen und Vorgehen a) Welche allgemeinen Grundlagen und Dokumente sind üblich? Wie werden sie eingesetzt? Im Siedlungsgebiet werden Lawinenzonenpläne in Einsatzpläne (Absperrungen, Evakuationen) umgesetzt. Als wichtig wurde angesehen, dass kleine Hänge im Siedlungsgebiet, die evtl. im Zonenplan fehlen, nicht vergessen werden. Solche lokalen Gefahrenstellen können beispielsweise für Loipen oder Winterwanderwege eine Gefährdung darstellen. Zusätzlich werden Listen mit Lawinenzügen, die bis ins Tal reichen, geführt. In Frankreich wie auch im Aostatal (Italien) wird diese Liste durch «Gebietsverantwortliche», d. h. Angestellte des Distrikts, geführt. Hilfreich ist die Führung eines Lawinenkatasters (Inventar). In der Schweiz wird dies i. d. R. durch die Revierförster in Zusammenarbeit mit den Naturgefahrenverantwortlichen, in Frankreich durch die Gebietsverantwortlichen, erledigt. b) Welche Daten, Messungen und Beobachtungen sind zu konsultieren resp. selber zu erheben, um die aktuelle lokale Lawinengefahr beurteilen zu können? Die folgenden Datengrundlagen stehen im allgemeinen zur Verfügung: – Lawinenbulletin SLF – Wetterbericht – Neuschneeprognose – aktuelles Wetter vor Ort – lokale Schnee- und Wetterdaten (eigene Messungen, IMIS-Stationen, Schneepegel) – Lawinenaktivität – Schneeprofile 168 Generell wurde festgehalten, dass die Qualität der Grundlagen wichtiger ist als Quantität. Heute stehen sehr viele Informationen zur Verfügung. Für eine rasche Entscheidfindung sind zusammengefasste Daten notwendig. Von etlichen Diensten werden z. B. Mehrtages-Neuschneesummen erhoben. Weil bei einem Niederschlagereignis auch die Vorgeschichte von Bedeutung ist, muss unbedingt der gesamte Winterverlauf verfolgt werden. Die Information aus Schneeprofilen ist insbesondere vor angekündigten Schneefällen hilfreich. Es kann sich um Profile der Region (z. B. Höhenprofile von SLFGeländebeobachtern) oder um eigene Profilaufnahmen handeln. Eigene Aufnahmen weisen den Vorteil auf, dass gleichzeitig eine Beobachtung des Geländes möglich ist. Auch die Schneedeckenstabilitätskarte liefert gewisse Hinweise. Begehungen und lokale Informationen sind für die Beurteilung der Lawinengefahr sehr wichtig. Ausgesuchte Pistenfahrzeugfahrer, die nachts unterwegs sind, können wichtige Informationen liefern. c) Welche Schritte sind bei der Entscheidfindung und Situationsanalyse üblich? Pro Lawinenzug, respektive Abschnitt Verkehrsweg, sind die folgenden Punkte wichtig: – Vergleich der aktuellen Neuschneemengen mit Erfahrungswerten / kritischen Werten (z. B. Neuschneesumme): Wichtig ist die Entwicklung eines Szenarien-Denkens. Bewährt hat sich, sich bereits vor dem Niederschlagsereignis Gedanken zu machen, welche Massnahmen bei einer bestimmten Niederschlagsmenge vorzukehren sind. Beim Eintreffen des Ereignisses kann gemäss den vorbereiteten Szenarien (z. B. bei 50 cm Neuschnee werden die Gebiete A und B gesperrt) gehandelt werden und man verliert keine Zeit mit Diskussionen. – Zustand Anrissgebiet und Lawinenbahn (Schneehöhe, Schneedeckenzustand, Schneeverfrachtung, Vorlawinen, Rauhigkeit): Meist wird der Zustand für einen Sektor/Region beurteilt; im Siedlungsgebiet kann jedoch die Beurteilung eines einzelnen Lawinenzuges wichtig sein. – Die Wirksamkeit baulicher Schutzmassnahmen kann anlässlich von Begehungen/Überfliegungen beurteilt werden. – Die Lawinenaktivität und die Grösse von beobachteten Lawinen können gute Hinweise geben, wobei die Vorgeschichte der Lawinenzüge zu beachten ist. Lawinen und Recht – Entscheidend ist die persönliche Beurteilung der lokalen Lawinengefahr! Äusserst wichtig ist eine frühzeitige Beurteilung der Gefahr (nach Frühwarnung und mit Hilfe von Lawinenbulletin und Neuschneeprognose). Das Lawinenbulletin ist eine Entscheidungshilfe, darf aber für eine lokale Beurteilung nicht überbewertet werden. – Beschluss, resp. Empfehlung für Massnahmen. Gewünscht wurde die Definition von Minimalstandards für das Vorgehen bei der Entscheidfindung. d) Hängt die Sorgfaltspflicht vom Grad der Gefährdung ab? Wenn Lawinen selten auftreten, kann man sich auf eine geringere Erfahrung abstützen. Folglich werden geringere Anforderungen an den Sicherheitsverantwortlichen gestellt. Die Arbeit hat aber im Rahmen des Zumutbaren zu erfolgen. Kleine Gemeinden können beispielsweise eine Beratung durch einen externen Sicherungsdienst beantragen. Einzelne Sicherungsdienste beraten eine gesamte Region. In Frankreich und im Aostatal gibt es Gesetze für Präventionsmassnahmen («Kommunale Rettungspläne»). So sind z. B. Absperrpläne zu erstellen und es müssen Telefonlisten geführt werden. 1.2 Welche Einträge muss ein Journal enthalten, damit eine Entscheidfindung resp. Situationsanalyse nachvollziehbar ist? In einigen Sicherheitsdiensten wird bei der Entscheidfindung mit Erhebungsblättern gearbeitet. Folgende Punkte können enthalten sein: – Wetter- und Schneedaten: Wetter, Neuschnee, Wind (Richtung und Stärke), Temperatur, Gesamtschneehöhe, Zustand Altschneedecke, Lawinenbulletin und Wetterprognose – Beobachtete Lawinenaktivität, Abgänge im Gebiet – Beurteilung lokale Lawinengefährdung (Prognose für den Tag) – Beschluss, resp. Empfehlung für Massnahmen. Sprengprotokolle können die folgenden Angaben enthalten: Anrissgebiete, Sprengpunkte und Anzahl der Sprengungen; Methode, Ladungsgrösse, Sprengung positiv oder negativ, ausgelöste Lawinen (z.B. Auslaufgebiet), Beurteilung Wirksamkeit der Sicherungsaktion. Auch die Führung eines Lawinenkatasters ist wichtig (Anrissgebiet, Datum, Ablagerungsort, evtl. Anrissmächtigkeit und Lawinenbreite, Kartierung, Fotos). Die Diskussion zeigte, dass alle Unterlagen abgelegt werden sollen, welche zur Entscheidfindung und Situationsanalyse beigezogen wurden. Um das Ablegen dieser Daten möglichst einfach gestalten zu können, würde eine Software-Lösung sehr begrüsst. Bewährt hat sich, dass persönliche Gedanken und Unsicherheiten bei der Entscheidfindung festgehalten werden. Solche Aufzeichnungen können im Nachhinein wertvoll sein, um z. B. die Verifikation eines Entscheides durchführen zu können oder allgemein für eine Qualitätskontrolle. Wann sollen Journaleinträge gemacht werden? Wetterbericht und Lawinenbulletin werden im allgemeinen täglich, resp. regelmässig konsultiert, auch wenn keine Massnahmen getroffen werden. Eine Dokumentation der Situation (z. B. nach Herausgabe einer Frühwarnung) wird von den meisten Sicherheitsdiensten nur vorgenommen, wenn Massnahmen getroffen werden. Einige Sicherheitsdienste führen tägliche Beobachtungen und Aufzeichnungen durch. 1.3 Sollen Massnahmen an Bulletinstufen gekoppelt werden – Bedeutung des Lawinenbulletins für einen Gemeindelawinendienst? – Bei den Gemeindelawinendiensten werden Massnahmen nicht direkt an Bulletinstufen gekoppelt. Eine Kopplung erfolgt eher an eine Frühwarnung. – Massgebend ist immer die lokale Beurteilung: Wird lokal Gefahrenstufe 5 (Lawinenbulletin 4) festgestellt, müssen die der Stufe 5 entsprechenden Massnahmen getroffen werden. – Die Kommunikation von internen Gefahrenstufen ist schwierig und kann zu Missverständnissen führen. Die Kommunikation erfolgt deshalb nur selektiv. Man will keine unnötige Panikmacherei. Man kommuniziert mehr Verhaltens-/ Massnahmenstufen, z. B. «Stufe Gelb». – Bewährt hat sich, dass mögliche Sperrungen einer Strasse z. B. 24h im voraus mitgeteilt werden. In diesem Zusammenhang wurde die Bedeutung der Medien angesprochen. Wichtig ist aktives Kommunizieren durch einen hierfür Verantwortlichen (agieren statt reagieren). 169 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 2 Durchführung von temporären Massnahmen 2.3 2.1 Welche Grundlagen sind für den Einsatz temporärer Massnahmen erforderlich? – Schriftliche Erklärung einholen, dass die Information erfolgt ist und sich die Personen der Gefahr bewusst sind. – Bei grosser Gefahr kann eine Zwangsevakuierung angeordnet werden. Massgebend sind die kantonalen Polizeigesetze (Kanton Bern: Zuständigkeit des Regierungsstatthalters, z. B. Bern, Brienz). In der Hochwassersituation 2005 hat der Regierungsstatthalter der Stadt Bern die Zwangsevakuierung des überschwemmten Mattequartiers verfügt. – Frankreich: Evakuationen werden als sehr unpraktikabel erachtet und deshalb sehr selten angeordnet. Gemäss den «Richtlinien zur Berücksichtigung der Lawinengefahr bei raumwirksamen Tätigkeiten» sind für rote und blaue Zonen Alarmorganisation und Evakuationsplan vorzubereiten. Was beinhaltet das? – Listen mit betroffenen Personen – Vorgängige Information der Betroffenen (Infoblatt in den Häusern, mit Telefonnummer Ansprechperson in der Gemeindeverwaltung; evtl. SMS-Benachrichtigung) – Festlegen des Alarmierens im konkreten Fall: Telefonliste durchgehen – Bereitstellen des notwendigen Absperrmaterials. Hilfreich sind: – Pläne mit vorbereiteten Zonen, die zu sperren bzw. zu evakuieren sind. – Festlegung der Absperrorte – Von juristischer Seite wurde vorgeschlagen, dass die aktuell getroffenen Massnahmen am offiziellen Anschlagsbrett der Gemeinde angeschlagen werden sollen. Weiter wurde der Fall diskutiert, dass sich zwei Personen nicht evakuieren lassen und es nachfolgend zum Lawinenunglück kommt. Welches sind die juristischen Konsequenzen? Keine. Allfällige Rettungsmassnahmen können erst nach Beurteilung der aktuellen Gefährdung durchgeführt werden. Bei jedem Einsatz steht die Sicherheit der Retter im Vordergrund. Bergung ist keine Rettung. 2.4 2.2 Wie haben Sperrungen zu erfolgen? Sperrung einer Gemeindestrasse – eines öffentlichen Fussweges? Mögliche Arten von Sperrungen: – Tafeln: Fahrverbot, Fussgängerverbot, Lawinengefahr (im Strassenverkehrsgesetz geregelt) – geschlossene Barriere: bei hoher Gefahr notwendig (Bemerkung Jurist) – Absperrort mit Personen (Absperr-Posten) – Schneewall: mit Tafel Begehungsverbot möglich – keine Schneeräumung (Nachteil: bei einem Notfall sind keine Fahrten über die nicht geräumten Strassen möglich). Im weiteren wurde festgestellt: – Markierte Winterwanderwege sind aufgrund der Verkehrssicherungspflicht gleich zu behandeln wie markierte Schneesportabfahrten (Pisten, Abfahrtsrouten, Schneesportwege). Bei einer Gefährdung sind Sperrungen anzuordnen. – Sommerwanderwege (im Winter nicht geräumt, wenig begangen): keine Absperrungen – nicht zumutbar. 170 Was ist bezüglich Evakuierungen zu unternehmen, insbesondere wenn sich die Betroffenen weigern? Welche Möglichkeiten für eine teilweise Öffnung für dringende Transporte (z.B. zwischen Ortsteilen) gibt es und was sind die Kriterien dafür? – Es wurde festgestellt, dass das eigentliche Sperren kein Problem darstellt, sondern die vielen Sonderwünsche für Ausnahmen (z.B. medizinische Probleme, Fütterung von Tieren). Es kann sein, dass sich ein Lawinendienst bis 90% der Zeit mit solchen Sonderproblemen zu befassen hat. – Grundsätzlich gelten Sperrungen für alle. Ausnahmen sind stets heikle Entscheidungen. Bei medizinischen Notfällen muss eine Abwägung zwischen dem medizinischen Risiko und dem Lawinenrisiko gemacht werden, was nicht einfach ist. – Oft müssen Tiere in abgelegenen Ställen mit lawinengefährdeten Zugängen gefüttert werden. Als wichtig wurde erachtet, dass die Person über die aktuelle Lawinengefahr aufgeklärt wird. Lawinen und Recht 3 Organisation eines Lawinendienstes 3.1 Was muss ein Pflichtenheft eines Lawinendienstes enthalten? Die folgenden Punkte sollten in einem Pflichtenheft geregelt und beschrieben sein (siehe auch Workshop 4 «Verkehrswege»): 1. Zweck 2. Beschrieb des Gebietes: eine Abgrenzung des beurteilten Gebietes ist sehr wichtig (Siedlung, Strasse, Loipen usw.) 3. Aufgaben 4. Organisation 5. Verantwortung und Kompetenzen: klare Trennung der Kompetenzen. Es wurde eher als vorteilhaft angesehen, wenn ein Sicherheitsdienst vom Gemeindeführungsstab getrennt ist. 6. Haftung – Versicherungsschutz: Beim Sicherheitsdienst muss die Haftung mit einer Versicherung abgedeckt sein. Wichtig ist, dass die einzelnen Mitglieder eines Sicherheitsdienstes über eine persönliche Rechtsschutzversicherung verfügen, wenn z. B. das Mitglied gegen den Dienst vorgehen muss. 7. Kosten und Finanzierung 8. Gültigkeit. Die Vereinheitlichung von Pflichtenheften ist unmöglich, weil die einzelnen Sicherheitsdienste in sehr unterschiedlichen Organisationen eingebettet sind. Man war sich einig, dass die obgenannten Punkte geregelt sein müssen. Bei Gemeindelawinendiensten können diese Punkte auch auf Stufe Gesetz oder Verordnung und nicht in eigentlichen Pflichtenheften geregelt sein. Teilweise gibt es kantonale Vorgaben für Pflichtenhefte. Ein Pflichtenheft kann einfacher abgeändert oder angepasst werden als ein Gesetz oder eine Verordnung. 3.2 Zusammensetzung eines Lawinendienstes? – Je nach Lawinengefahr kann sich ein Dienst unterschiedlich zusammensetzen. In einer Gemeinde setzt sich der Lawinendienst im Normalfall aus 6 Personen zusammen. Bei einer ausserordentlichen Gefahr wird der Gemeindeführungsstab zusätzlich zum Lawinendienst aufgeboten. Wichtig ist, dass die Kompetenzen klar geregelt sind. – Als wichtig wurde angesehen, dass Entscheide im Normalfall kooperativ getroffen werden. 3.3 Was für Anforderungen sind an Ausbildung und Fachwissen zu stellen? Eine besondere Ausbildung ist unbedingt notwendig. Falls eine Person über keine spezifische Ausbildung verfügt, sind spezielle Ausbildungskurse, z. B. die IFKIS A+B Kurse des SLF, zu besuchen. 3.4 Ist ein Qualitätskontrollverfahren (z.B. Prüfung und Abnahme einer Organisation durch Kanton) nötig? Grundsätzlich liegt die Verantwortung bei der Gemeinde. Das wurde als richtig angesehen, denn im Ernstfall muss die Gemeinde alleine entscheiden. Eine fachliche Unterstützung in schwierigen Grundsatzentscheiden durch den Kanton ist erwünscht und wird teilweise bereits praktiziert. Bei den Kantonen sind die personellen und finanziellen Mittel für eine enge Betreuung kaum vorhanden. Im übrigen gibt es weitere verantwortliche Organisationen wie Zivilschutz und Feuerwehr, welche ebenfalls integriert werden müssten. Die Diskussion ergab, dass die Gemeinden an einer Überprüfung / Check ihrer Organisation interessiert sind, um z. B. Lücken in ihrem Sicherheitsdispositiv schliessen zu können. 4 Zusammenfassung und Handlungsbedarf Im Workshop wurde viel diskutiert. Es fand ein guter Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Sicherheitsdiensten und den verschiedenen Ländern statt. Dies beweist, dass die Sicherheitsverantwortlichen an einem solchen Informationsaustausch sehr interessiert sind. Es bestand Bedarf für weitere Diskussionen. Generell gibt es bei den Sicherheitsdiensten unterschiedliche Organisationsformen und Entscheidungsabläufe. Das wurde als richtig angesehen, da die Rahmenbedingungen (Aufgaben, Gebietsgrösse, Art des Dienstes) höchst verschieden sind. Gewünscht wurde, dass Checklisten und Minimalstandards für die Entscheidfindung und Massnahmenplanung definiert werden (vgl. SKUSRichtlinien). Weiter wurde der Wunsch geäussert, eine EDVLösung für die Datenarchivierung und das evtl. Festhalten von Entscheiden zu erarbeiten. Viele Sicherheitsdienste sind an einer Überprüfung/Check ihrer Organisation interessiert, um Lücken im Dispositiv schliessen zu können. Weiter wurde festgestellt, dass diese Tagung dazu beigetragen hat. 171 Proceedings Internationales Seminar, Davos 2005 Referenten und Autoren Ammann Walter Dr. sc. tech. ETH, Institutsleiter SLF, Davos, Schweiz Anthamatten Fritz Dr. iur., Rechtsanwalt, Brig, Schweiz Bergamin Patrik Dr. iur., Untersuchungsrichter, Staatsanwaltschaft Graubünden, Davos, Schweiz Degiacomi Erich lic. iur., Untersuchungsrichter, Staatsanwaltschaft Graubünden, Samedan, Schweiz Ermacora Andreas Dr., Rechtsanwalt, Innsbruck, Österreich Etter Hans-Jürg Mitarbeiter Lawinenwarndienst SLF, Davos, Schweiz Harvey Stephan dipl. Natw., Bergführer, Mitarbeiter Lawinenwarndienst SLF, Davos, Schweiz Mathys Heinz Walter Fürsprecher, Staatsanwalt, Bern, Schweiz Michel Hans Peter Landammann, Landschaft Gemeinde Davos, Davos, Schweiz Munter Werner Bergführer, Mitarbeiter SLF, Davos. Schweiz Nay Giusep Dr. iur, Bundesgerichtspräsident, Schweizerisches Bundesgericht, Lausanne, Schweiz Nigg Paul Bergführer, Luzern, Schweiz Rhyner Jakob Dr., Leiter Abteilung Lawinenwarnung und Risikomanagement SLF, Davos, Schweiz Riedl Harald Bergführer, Amt der Tiroler Landesregierung, Zivil- und Katastrophenschutz, Lawinenkommissionen, Innsbruck, Österreich Hefti Hanspeter Chef Lawinendienst, Davos, Schweiz Schweizer Jürg Dr. sc. nat ETH, leit. wiss. Mitarbeiter SLF, Davos, Schweiz Jelk Bruno Bergführer, Lawinendienst Mattertal, Zermatt, Schweiz Stiffler Hans-Kaspar Dr. iur., Rechtsanwalt, Erlenbach, Schweiz Lambert Richard expert judiciaire agréé par la Cour de Cassation, Université de Savoie, Thônes, France Larcher Michael Mag., Bergführer, Ausbildungsreferent OeAV, Innsbruck, Österreich Mair Rudi Mag., Lawinenwarndienst Tirol, Innsbruck, Österreich Maissen Theo Präsident Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB), Bern, Schweiz Manoha Anne-France Vice-Présidente, Tribunal de grande instance de Bonneville, France Margreth Stefan dipl. Ing. ETH, Leiter Team Lawinenschutz SLF, Davos Schweiz 172 Stoffel Lukas dipl. Ing. ETH, wiss. Mitarbeiter SLF, Davos, Schweiz Stucki Thomas dipl. Natw., Leiter Lawinenwarndienst SLF, Davos, Schweiz Tarfusser Cuno dott., Leiter Staatsanwaltschaft, Bozen, Italien Trachsel Hansjörg dipl. Bauing. HTL, Regierungsrat Kanton Graubünden, Celerina, Schweiz Tuaillon Jean-Louis chef de sécurité, Tignes, France Weber Klaus Alt-Gerichtspräsident, Siegsdorf, Deutschland Zweifel Benjamin Mitarbeiter Lawinenwarndienst SLF, Davos,