Wird die schulische Leistung durch Schüchternheit beeinflusst?

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Wird die schulische Leistung durch Schüchternheit beeinflusst?
Wird die schulische Leistung durch
Schüchternheit beeinflusst?
Eine Arbeit von Katja Kolb (2011)
Liebfrauenschule Sigmaringen
Seminarkurs 2010/2011
„Zwischenmenschliches“
Wird die schulische Leistung durch
Schüchternheit beeinflusst?
Eine Arbeit von
Katja Kolb
Liebfrauenschule Sigmaringen
Juni 2011
2
Wird die schulische Leistung durch Schüchternheit
beeinflusst?
Inhaltsverzeichnis:
Einleitung
S. 1-2
1. Ausdrucksformen der Schüchternheit und möglicher Verlauf
1.1.
1.2.
1.3.
1.4.
Der Begriff Schüchternheit
Erscheinungsbild
Symptome: Wie kommt Schüchternheit zum Ausdruck?
Ungesellig oder schüchtern?
S. 3
S. 3-5
S. 5-6
S. 7-10
2. Ursachen der sozialen Unsicherheit
S. 10
2.1.Biologische Faktoren
2.2. Psychische Faktoren und psychologische Mechanismen
2.3. Soziale Faktoren
2.4. Erlernte Hilflosigkeit
2.4.1. Sozial unsicheres Verhalten als mögliche
Ausdrucksform von Hilflosigkeit
2.4.2. Erlernte Hilflosigkeit als Erklärung für sozial
unsicheres Verhalten
2.5. Sonntagskinder und deprivierte Kinder
S. 10-11
S. 12-14
S. 15
S. 16
S. 16
S. 16-17
S. 17-20
3. Schüchternheit im Schulalltag
3.1 Schüchtern schon im Kindergarten
3.2 Das Schulleben schüchterner und stiller Kinder
3.3 Sind schüchterne Kinder in der Schule sozial benachteiligt?
3.4. Knüpfen schüchterne Kinder Kontakte?
3.5. Vertrautheit innerhalb und außerhalb der Schule
3.6. Woran erkennen Lehrer ein schüchternes Kind?
3.7. Wie häufig nehmen Lehrpersonen Schüchternheit bei Schulkindern
wahr?
3
S. 21-23
S. 23-25
S. 25-26
S. 26-27
S. 27-29
S. 29-31
S. 31-32
4. Wie wirkt sich Schüchternheit auf die Noten aus?
S. 32-35
4.1 Schüchternheit in Bezug zur sportlichen Leistung
4.2 Geschlecht als Einflussgröße
4.3 Wie wirkt sich Schüchternheit in nachfolgenden und höheren
Bildungsstufen aus?
S. 35-41
S. 41-43
S. 43-45
5. Wie häufig oder selten ist Schüchternheit?
S. 45-48
6. Exkurs: Schüchternheit in anderen Kulturen
S. 49
6.1.
6.2.
Chinesische Kinder in der Schule
Chinesischer Unterricht als ein Grund für Schüchternheit
S. 49-52
S. 52-53
7. Schüchternheit als Schulproblem: Folgerungen
S. 53-54
8. Rückblickende Zusammenfassung
S. 54-55
9. Fragebogen
S. 56-57
9.1.
9.2.
9.3.
Einleitung zum empirischen Teil
Auswertung des Fragebogens
Zusammenfassung der Umfrageergebnisse
S. 57
S. 58-78
S. 79-80
10. Schluss
S. 81-82
Literatur
S. 83
4
Wird die schulische Leistung durch Schüchternheit beeinflusst?
Der diesjährige Seminarkurs an der Liebfrauenschule Sigmaringen befasste sich mit dem
Thema „Zwischenmenschliches“. Dieses Thema ist sehr vielfältig und umfasst ein sehr großes
Gebiet. Ich wählte das Thema „Wird die schulische Leistung durch Schüchternheit
beeinflusst?“, weil ich in den vielen Jahren meines Schullebens die Beobachtung machte,
dass selbstbewusste Schüler, die sich genauso selten am mündlichen Unterricht wie
schüchterne Schüler beteiligen, trotzdem häufig eine bessere mündliche Note bekommen.
Diese Feststellung machte mich nachdenklich und lenkte mein Interesse darauf, ob die
Auswirkungen der Schüchternheit in Bezug auf die schulische Leistung bereits erforscht sind.
Auf der Suche nach Fachliteratur stellte ich fest, dass dieses Thema bislang nur unzureichend
untersucht wurde. Innerhalb Deutschlands wurden noch keine Studien bezüglich der
Schulleistung schüchterner Kinder veröffentlicht. Meine Nachforschungen beziehen sich aus
diesem Grund größtenteils auf Beobachtungen in Schweizer Schulen.
Ich möchte der Frage nachgehen, ob Schüler durch ihre Schüchternheit in Bezug auf Leistung
und Anerkennung Nachteile erfahren. Diese Frage ist umso interessanter, da bekannt ist,
dass mündliche Mitarbeit, Präsentationen und Diskussionsfähigkeit in den letzten Jahren
stark an Bedeutung gewonnen haben. Deshalb soll im Folgenden auch die Frage untersucht
werden, inwieweit schüchterne Schüler Nachteilen bei der Benotung ausgesetzt sind.
Um ein Ergebnis für meine Fragestellung herauszuarbeiten, suchte ich mir passende
Literatur und vertiefte mich in die Thematik. In meiner Seminararbeit gehe ich zuerst darauf
ein, wie Schüchternheit zum Ausdruck kommen kann, um einen allgemeinen Überblick über
die Problematik der Schüchternheit zu gewähren. Im zweiten Kapitel nenne ich die Ursachen
der sozialen Unsicherheit, um aufzuzeigen, wodurch sie entstehen kann und um das
Phänomen Schüchternheit unter Berücksichtigung der Ursachen zu erklären. Im
darauffolgenden dritten Kapitel geht es allgemein um Schüchternheit in der Schule und im
Kindergarten und den Umgang der Lehrpersonen mit diesem Problem. Unter anderem wird
auch deutlich, wie viele Kinder als schüchtern kategorisiert werden. Im vierten Kapitel
meiner Seminararbeit stelle ich einen Bezug der Schüchternheit in der Schule zur schulischen
Leistung und den Noten her. Hierbei gehe ich nicht nur auf die kognitiven Fächer wie
5
Deutsch oder Mathematik ein, sondern auch auf die sportliche Leistung. Außerdem habe ich
herausgearbeitet, in welchem Maße das Geschlecht als Einflussgröße wirkt und welche
Folgen Schüchternheit in den nachfolgenden und höheren Bildungsstufen mit sich bringt. In
einem Exkurs stelle ich einen Vergleich von unserem westlichen Schulsystem zum östlichen
Schulsystem her und erarbeite Unterschiede und Häufigkeit der Schüchternheit hierzulande
und in östlichen Ländern. Um meine erarbeiteten Ergebnisse zu stützen, führte ich eine
Umfrage durch, die Aufschluss darüber geben soll, wie stark verbreitet bestimmte
Schüchternheitskriterien sind, wie und ob sich die Schüchternheit im Laufe der Klassenstufen
ändert und ob Schüchternheit Auswirkungen auf die schulische Leistung hat.
6
1. Ausdrucksformen der Schüchternheit und möglicher Verlauf
1.1. Der Begriff Schüchternheit
„Ich war so schüchtern und habe ihn nicht ansprechen können!“. „Es ist ein sehr
schüchternes Kind, man muss behutsam auf es zugehen, dann taut es auf“- Dies sind
alltägliche Verwendungsformen des Adjektivs „schüchtern“. Wie an den Beispielen zu
erkennen, erklärt der Begriff „schüchtern“, dass jemand in einer sozialen Situation gerne
etwas tun würde, sich aber nicht traut. Dies führt dazu, dass die Handlung gar nicht oder erst
nach längerem Verzögern ausgeführt wird. Hierbei besitzt der Handelnde zwar die
Fähigkeiten etwas zu tun, wird jedoch daran gehindert. Etwas in ihm erlaubt ihm nicht, seine
Fähigkeiten umzusetzen.1
Bereits hier lässt sich erahnen, dass durch Schüchternheit Schwierigkeiten in der Schule
vorprogrammiert sind. Ich bezeichne Schüchternheit gerne als eine Art Gefangenschaft, da
sie die Handlungsfähigkeiten und die Möglichkeiten von Betroffenen stark einschränkt.
Darauf werde ich später noch genauer eingehen.
1.2. Erscheinungsbild
In diesem Zusammenhang möchte ich bemerken, dass der Begriff Schüchternheit meiner
Meinung nach in verschiedenen Zeitepochen und in verschiedenen Kulturen recht
unterschiedlich definiert werden kann. Was heute als schüchtern verstanden wird, war zum
Teil früher sogar erwünscht. Aus Erzählungen meiner Eltern und Großeltern geht hervor,
dass früher gefordert wurde, Gehorsam zu leisten. Schüchterne Kinder passen sich den
gesellschaftlichen Normen an und trauen sich nicht zu widersprechen. Aus diesem Grund
war Schüchternheit sogar etwas Positives. Auf dieses Thema werde ich später noch etwas
genauer eingehen.
Sozial unsichere Kinder erscheinen auf den ersten Blick als pflegeleicht. Sie verhalten sich
ruhig, sind höflich und bringen Erwachsene nicht in Handlungsdruck wie zum Beispiel
1
Vgl. Jens Asendorpf (1989): Soziale Gehemmtheit und ihre Entwicklung, Springer-Verlag, Berlin, S.18
7
aggressive Kinder. So fallen sie meistens nicht als behandlungsbedürftig auf. Im Verhalten
mit anderen zeigen sie eine übermäßige Ängstlichkeit, Unsicherheit sowie
Vermeidungsverhalten. Meistens verweigern diese Kinder den Kontakt zu Gleichaltrigen,
eine Freundschaft lässt sich aus diesem Grund nur schwer aufbauen. Auch wenn
schüchterne Kinder sich eine Freundschaft wünschen, können sie sich nur schwer von ihren
Eltern und ihrem häuslichen Umfeld trennen.2
In erster Linie fürchten schüchterne Kinder an der Begegnung mit anderen die ständig
drohende soziale Bewertung. Den Kern der Schüchternheit bildet einerseits ein
angeschlagenes Selbstwertgefühl und andererseits die tiefsitzende, unergründliche
Bewertungsangst. Schüchterne Kinder können erheblich an den folgenden Auswirkungen
leiden:3
-
Sie können soziale Erfahrungen nicht wirklich genießen.
-
Es fällt ihnen schwer, die eigene Meinung und den eigenen Standpunkt
auszusprechen, geschweige denn durchzusetzen.
-
Sie beschäftigen sich übermäßig mit der eigenen Verunsicherung und den eigenen
Reaktionen.
-
Extreme Schüchternheit beeinträchtigt klare Gedankengänge und eine wirkungsvolle,
auf eigene Ziele ausgerichtete Kommunikation.
-
Sie ist oft von Angstgefühlen, Depression und sozialer Isolierung begleitet.4
Inkompetentes Verhalten kann sich bei sozial unsicheren Kindern auf die Art zu sprechen
und auf Mimik und Gestik beziehen. Diese Kinder sprechen in fremdem Umfeld nur leise
und/oder undeutlich und antworten auf Fragen nur einsilbig oder gar nicht. Viele dieser
Kinder sind nicht in der Lage, Blickkontakt herzustellen, bei manchen ist keine Gefühlsregung
im Gesicht erkennbar und sie wirken wie versteinert. Deutlich fällt zusätzlich der mangelnde
Ausdruck von Freude auf. Ihre Motorik wirkt oft steif und verklemmt, die Bewegungen
2
Vgl. Petermann, Petermann (1983): Training mit sozial unsicheren Kindern, Belz Verlag, Weinheim, Basel, 10
Auflage (2010), S. 2
3
Vgl. Georg Stöckli (Erstpublikation: „Schweizer Schule“ (1/99)): Schüchterne Kinder in der Schule, Universität
Zürich, S.21
4
Vgl. ebd.
8
erfolgen verlangsamt. Auch kann häufig beobachtet werden, dass schüchterne Kinder nervös
mit den Fingern spielen oder mit den Beinen zappeln. 5
Begriffsfeld:
Da es eine große Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Phänomene gibt, kennt das Begriffsfeld
mindestens die folgenden zehn Bezeichnungen:

schüchtern

sozial isoliert

gehemmt

sozial inkompetent

ruhiges Temperament

kontaktängstlich

unsicher

trennungsängstlich

zurückgezogen

Sozialkontakt vermeidend
1.3. Symptome: Wie kommt Schüchternheit zum Ausdruck?
Im Kindesalter sind eine Reihe von verschiedenen Angststörungen möglich, deshalb existiert
eine Vielzahl von Symptomen. Eine Mehrebenendiagnostik gibt einen Überblick über die
psychischen Störungen. Es folgt ein Überblick über die wichtigsten Symptome von sozialer
Unsicherheit im Kindesalter. Diese sind der kognitiven (Informations-und
Wahrnehmungsebene), der emotionalen, physiologischen und Verhaltensebene
zugeordnet.6
Kognitive Ebene: sozial unsichere Kinder haben häufig negative Erwartungen, sie sind eher
pessimistisch und werten sich selbst ab. Ihre Aufmerksamkeit bezieht sich häufig auf ihre
eigene Person, da sie möglichst alles richtig machen wollen und viel darüber nachdenken, ob
ihre Reaktionen richtig oder falsch sind. Deshalb führen sie oft negative innere Dialoge mit
sich (zum Beispiel: Ich darf keine Fehler machen, sonst werde ich für dumm gehalten! Jeder
5
Vgl. Petermann, Petermann (1983): Training mit sozial unsicheren Kindern, Belz Verlag, Weinheim, Basel, 10
Auflage (2010), S. 2
6
Vgl. Petermann, Petermann (1983): Training mit sozial unsicheren Kindern, Belz Verlag, Weinheim, Basel, 10
Auflage (2010), S. 13
9
muss mich anerkennen! Wenn mich jemand kritisiert, dann akzeptiert und mag er mich
nicht!).7
Emotionale Ebene: Häufig leiden schüchterne Kinder unter Angstgefühlen, das Gefühl von
Unsicherheit macht ihnen ständig zu schaffen. Sie fühlen sich in ihrer eigenen Haut nicht
wohl und haben so ein mangelndes Selbstvertrauen. Auch die ständige Hilflosigkeit und die
mangelnde Überzeugungswirkung sind typisch.8
Physiologische Ebene: Diese negativen Gefühle zeigen ihre Auswirkung auf den Körper. Die
ständige Nervosität kann schnell zu Herzklopfen, einem erhöhten Puls oder Kurzatmigkeit
führen. Typische Symptome sind auch Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwitzen, Zittern (an
Händen und Beinen), Bauchkribbeln oder auch Bauchschmerzen und Muskelanspannung bis
hin zu Muskelschmerzen.9
Verhaltensebene: Schüchternheit hat starke Auswirkungen auf das Verhalten der
Betroffenen. Oft kommt es zu einem Vermeidungsverhalten und auch zur Verweigerung. Ein
Kind, das zum Beispiel vor lauter Angst nicht in den Schwimmunterricht gehen möchte,
verdeutlicht den Eltern solange, dass es auf keinen Fall dorthin will, bis es zu Hause bleiben
darf. Dies kann durchaus auch auf eine sehr aggressive Weise geschehen. Typisches
Verhalten ist leises, zittriges und undeutliches Sprechen, kaum oder gar keinen Blickkontakt
herstellen, Erstarren, steif wirken, unruhiges Zappeln, Nägelkauen und nervös mit den
Fingern spielen. Sozial unsichere Kinder stottern oft, dies jedoch nicht im Rahmen einer
Sprechstörung sondern aus Unsicherheit. Oft klammern sie sich an ihre Eltern, weinen und
jammern.10
Es wird deutlich, dass sich Schüchternheit durch ganz verschiedene Symptome bemerkbar
macht. Diese Symptome zeigen sich als Komplex. Deutlich wird auch, dass es aufgrund dieser
zahlreichen Auswirkungen, die sowohl auf kognitiver, emotionaler, physiologischer und auf
der Verhaltensebene stattfinden, für schüchterne Kinder schwer wird, einen „normalen“
Umgang mit anderen (fremden) Menschen zu führen.
7
Vgl. Petermann, Petermann (1983): Training mit sozial unsicheren Kindern, Belz Verlag, Weinheim, Basel, 10
Auflage (2010), S. 14
8
Vgl. Petermann, Petermann (1983): Training mit sozial unsicheren Kindern, Belz Verlag, Weinheim, Basel, 10
Auflage (2010), S. 14
9
Vgl. ebd.
10
Vgl. ebd.
10
1.4. Ungesellig oder schüchtern?
In der Schule werden Kinder ständig mit Leistungsbewertung konfrontiert und halten
intensive Beziehungen zu Gleichaltrigen. Doch sind nicht alle Kinder, die ein Problem haben,
auf andere Kinder zuzugehen und die im Unterricht eher einen passiven Eindruck vermitteln,
schüchtern.11
Schüchterne Kinder schätzen ihre Fähigkeiten und ihre Leistung negativ ein, deshalb ist es
interessant, der Frage nachzugehen, wie die Wahrnehmung der Lehrer durch die
Selbsteinschätzung und das Sozialverhalten der Schüler beeinflusst wird.12
Um herauszufinden, ob ein Kind schüchtern oder ungesellig ist, kann man dies mit einem
bestimmten Fragebogen zur Selbsteinschätzung erfassen. Der Fragebogen für Schüler (SFS 46) nach Petillon (1984) beinhaltet vier Aussagen zum Kern der Schüchternheit
(Bewertungsangst) und vier weitere zur Ungeselligkeit. Hierbei mussten die Kinder in einem
ersten Schritt entscheiden, welche der Aussagen auf sie zutreffen und in einem zweiten
Schritt, wie sehr die gewählten Aussagen zutreffen.13
Die Formulierungen für die Bewertungsangst lauteten:
1. „Ich habe oft Angst, von anderen ausgelacht zu werden.
2. Ich fürchte oft, andere könnten mich für dumm halten.
3. Ich habe oft Angst, mich lächerlich zu machen.
4. Ich habe oft Angst davor, bei anderen unbeliebt zu sein.“14
Die Formulierungen zu Ungeselligkeit:
1. „Ich bin nicht so gern mit Kindern zusammen.
(Ich bin gern mit Kindern zusammen.)
2. Wenn mir langweilig ist, kann ich mich ganz gut selber beschäftigen.
11
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 114
Vgl. ebd.
13
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 115
14
Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 115
12
11
(Wenn mir langweilig ist, möchte ich am liebsten meine Freunde treffen.)
3. Ich will nicht ständig neue Kinder kennen lernen.
(Ich lerne gerne neue Kinder kennen.)
4. Ich bin häufig ganz gern allein.
(Ich habe am liebsten immer viele Leute um mich herum.)“15
Die Analyse zeigte deutlich, dass die beiden Faktoren der Schüchternheit und der
Ungeselligkeit nicht auch nur annähernd in einem Zusammenhang standen. Damit war die
Eigenständigkeit der beiden Tendenzen bewiesen. 16
In Bezug auf meine Fragestellung bedeutet dies, dass schüchterne Kinder in der Schule durch
ihr Verhalten Problemen bekommen können. Einige Auswirkungen von Schüchternheit
weisen meiner Meinung nach stark auf eine Verhaltenseinschränkung hin, da schüchterne
Kinder nicht aus sich herausgehen, um nicht negativ beurteilt zu werden. Außerdem
beschäftigen sie sich übermäßig mit ihrer eigenen Angst und Unsicherheit, was in extremen
Fällen sogar dazu führen kann, dass schüchterne Kinder nicht mehr klar denken können.
Folgen können, wie schon erwähnt, Depressionen, soziale Isolierung und Angstzustände sein.
Ich denke, dass es für Lehrer sehr schwer sein kann, schüchterne Kinder fair zu bewerten. Im
vorigen Kapitel wird deutlich, dass Schüchternheit ein Problem ist, das tief im Kind verankert
ist, jedoch auch nach außen hin seine Auswirkungen zeigt. Schüchterne Kinder gelten häufig
als pflegeleicht. Ihr ruhiges und höfliches Verhalten bringt Erwachsene nicht in
Handlungsdruck, was sich für die schüchternen Kinder jedoch als Nachteil herausstellen
kann. Fühlt sich ein schüchternes Kind zum Beispiel ungerecht behandelt, fällt es ihm sehr
schwer oder es gelingt ihm gar nicht, sich zu wehren. Da es für schüchterne Kinder durch
ihre übermäßige Ängstlichkeit und Unsicherheit nicht leicht ist, neue Kontakte zu knüpfen,
ist es ihnen kaum möglich, ein besseres Selbstwertgefühl durch neue Beziehungen
aufzubauen. Ich denke, Freundschaften zu pflegen, ist für Heranwachsende wichtig.
Einerseits fühlen sie sich durch Freunde unterstützt und nicht alleine gelassen, andererseits
tragen sie selbst die Verantwortung, eine Freundschaft aufrechtzuerhalten. Schüchterne
Kinder, denen der Kontakt zu Gleichaltrigen fehlt, mangelt es deshalb an der nötigen
15
16
Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 115
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 116
12
Unterstützung und Wertschätzung von Seiten der Freunde, die zu einem positiven Selbstbild
beitragen könnten. Das angeschlagene Selbstwertgefühl lässt schüchterne Kinder ständig an
sich selber zweifeln. Auch die tiefsitzende Bewertungsangst trägt dazu bei, dass schüchterne
Kinder viel mehr Angst vor Leistungsbeurteilungen haben als nicht schüchterne Kinder. Der
stark ausgeprägte Pessimismus führt dazu, dass schüchterne Kinder sich selbst abwerten. Sie
denken viel zu sehr darüber nach, was ihnen nicht gelungen ist, anstatt ihre Aufmerksamkeit
auf die positiven und erfolgreichen Errungenschaften zu legen. Die negativen Erfahrungen in
der Vergangenheit führen mit größerer Wahrscheinlichkeit dazu, dass auch in Zukunft die
schulischen Leistungen aufgrund der Erwartungsangst nicht den tatsächlichen Fähigkeiten
entsprechen.
Ein großes Problem für die Schulleistung ist meiner Meinung nach auch die Tatsache, dass
schüchterne Kinder ihren eigenen Standpunkt oft nicht richtig vertreten können. Ich denke,
für die Lehrer kann es zu einer großen Hürde werden, ein schüchternes Kind richtig
einzuschätzen, da es nicht klar wird, ob das Kind die Antwort wirklich nicht weiß, sobald es
mit „Ich weiß nicht!“ antwortet, oder ob es die Antwort aufgrund der Angst, sie könnte
falsch sein, nicht preisgeben möchte. Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass viele Lehrer
mit diesem Verhalten schlichtweg überfordert sind und Schwierigkeiten haben, sich richtig in
diese Kinder einzufühlen. Ein weiteres Problem, welches Einfluss auf die Leistungsbewertung
haben könnte, ist die Tatsache, dass bei manchen Kindern sogar die Gedankengänge
behindert werden, wenn sie zum Beispiel eine Antwort laut vor der Klasse sagen müssen. Es
kann also gut sein, dass ein Kind die Antwort wüsste, wenn man es unter anderen
Umständen (zum Beispiel zu Hause) fragen würde. Der Lehrer kann nur das bewerten, was er
hört und da nicht von ihm verlangt werden kann, die Gedanken seiner Schüler zu lesen, kann
er natürlich auch nicht ahnen, dass ein schüchterner Schüler die Antwort eigentlich weiß. Ich
denke, die Leistung kann durch die pessimistische Selbsteinschätzung der schüchternen
Kinder erheblich unterschätzt werden, denn wenn ein Kind nicht an sich glaubt, merkt sein
Umfeld dies an seinem Auftreten. Ein gesunder Optimismus schadet niemandem und kann
dazu führen, dass man viel gelassener an ungewohnte oder gefürchtete Situationen
herantritt, als wenn man von vornherein Angst davor hat und sich selber nichts zutraut. Ich
kann mir gut vorstellen, dass schüchterne Kinder in der Schule auch deshalb so
zurückhaltend auftreten, weil sie einfach eine so pessimistische Grundeinstellung haben,
13
dass sie ihr Können derartig herunterspielen, so dass es wirklich den Anschein hat, als
könnten sie nichts.
2. Ursachen der sozialen Unsicherheit
Es gibt verschiedene Entwicklungswege, die zu einer kindlichen Angststörung führen können
(Beidel und Turner (1998)). Bei den meisten betroffenen Kindern sind die psychologischen
Merkmale (zum Beispiel ungünstiger familiärer Umgang) von großer Bedeutung. Für einen
kleinen Teil der schüchternen Kinder scheinen jedoch auch genetische Aspekte eine Rolle zu
spielen. Aber auch soziale Faktoren wie zum Beispiel die Erziehungskompetenz und die
Erwartungen der Eltern übernehmen eine wichtige Funktion.17
2.1. Biologische Faktoren
Zwillings- und Adoptionsstudien weisen darauf hin, dass schüchternes Verhalten gegenüber
Fremden ein genetisch angelegtes Temperamentsmerkmal zu sein scheint. Lebten Kinder
bereits seit ihrer Geburt von ihren Müttern getrennt und waren adoptiert, korrelierte die
Schüchternheit der biologischen Mütter mit der ihrer zweijährigen Kinder.18
Ein ähnlicheres Verhalten gegenüber Fremden zeigten eineiige Zwillinge als es zweieiige
Zwillinge gleichen Geschlechts taten.19
Es lässt sich beobachten, dass sich Kinder aus kinderreichen Familien trotz gleicher Erziehung
unterschiedlich entwickeln. So gibt es Kinder, die sehr selbstbewusst in der Schule auftreten
und keine Probleme haben, sich am Unterricht mündlich zu beteiligen, während sich das
Geschwisterkind im Unterricht sehr zurückhaltend zeigt. Selbst im Tierreich entwickeln sich
Nachkommen aus einem Wurf im Verhalten sehr unterschiedlich. Manche suchen durch ihr
aufgeschlossenes Verhalten den Umgang zu Menschen und Artgenossen, andere ziehen sich
17
Vgl. Petermann, Petermann (1983): Training mit sozial unsicheren Kindern, Belz Verlag, Weinheim, Basel, 10
Auflage (2010), S. 63
18
Vgl. Jutta Heckhausen/ Heinz Heckhausen (2006): Motivation und Handeln, Springer Medizin Verlag,
Heidelberg, 3. Auflage, S. 200
19
Vgl. ebd.
14
zurück, obwohl sie unter gleichen Bedingungen aufgewachsen sind. Daraus schließe ich,
dass genetische Faktoren beim Auftreten von Schüchternheit mitwirken.
Die Arbeitsgruppe um Jerome Kagan analysierte vor allem die physiologischen Grundlagen
von Schüchternheit und gehemmtem Verhalten im Kindesalter. Längsschnittstudien belegen,
dass es sich bei gehemmtem Verhalten um ein stabiles Temperamentsmerkmal handelt und
sich bei Kindern ab dem neunten Monat zeigt. Meistens kann es in ungewohnten Situationen
(zum Beispiel Ortswechsel, fremde Personen) beobachtet werden und im weiteren Verlauf
zu einem erhöhten Auftreten von Trennungsangst führen (vgl. Beidel & Turner, 1999). Häufig
zeigen Kinder mit Verhaltenshemmung in fremden und ungewohnten Situationen eine Reihe
von Auffälligkeiten. Unter anderem reagieren sie auf unbekannte Situationen aufgeregter
und weisen Rückzugsverhalten auf, das heißt, dass schüchterne Kinder eine bestehende
Aktivität unterbrechen, wenn so eine Kontaktaufnahme zu fremden Personen vermieden
werden kann. Diese Kinder klammern sich zusätzlich besonders an ihre Bezugsperson und
zeigen im Umgang mit anderen Kindern ein eher passives Sozialverhalten. 20
Schüchterne Schulkinder, die sich bereits selbst einschätzen können, haben Angst sich zu
blamieren, Fehler zu begehen, kritisiert zu werden und Misserfolge zu erleben. Dieses
Problem zeigt sich deutlich im Schulalltag, weil sich die Anzahl der Zuhörer/Zuschauer in der
Klasse erhöht. Je höher der soziale Status des Gegenübers, in dem Fall des Lehrers, desto
unwahrscheinlicher wird sozial kompetentes Verhalten. Beruf und Ansehen spielen
diesbezüglich eine große Rolle.21 Auch die Tatsache, ob jemand streng mit dem Kind
umgeht, beeinflusst das Auftreten von unsicherem Verhalten. Je autoritärer ein Lehrer
auftritt, desto schüchterner reagiert das Kind.
20
Vgl. Petermann, Petermann (1983): Training mit sozial unsicheren Kindern, Belz Verlag, Weinheim, Basel, 10
Auflage (2010), S. 64
21
Vgl. Ulrike Petermann/ Franz Petermann (1989): Training mit sozial unsicheren Kindern, Psychologie Verlags
Union, München, 3 Auflage, S.23
15
2.2. Psychische Faktoren und psychologische Mechanismen
Viele verschiedene psychische Faktoren können zur Entstehung von sozialer Unsicherheit
und Ängsten beitragen. Hierbei handelt es sich um geistige und emotionale Aspekte. Durch
Lernprozesse werden diese geprägt.22
Soziales Lernen
Kinder können sozial unsicheres Verhalten durch Beobachtung von schüchternen
Bezugspersonen lernen, indem sie das Verhalten, das sie bei der Bezugsperson erleben,
nachahmen. Dies bezeichnet man als Modelllernen23
Andererseits können Kinder, die zu viel unterstützt und verwöhnt werden, auch unsicheres
Verhalten entwickeln. Diese Kinder haben keine Gelegenheit zum sozialen Lernen, da man
ihnen alle Probleme abnimmt, so können sie keine Problemlösefähigkeit entwickeln, die sie
in sozialen Interaktionen jedoch benötigen würden. Dies wird als fehlende Gelegenheit zum
sozialen Lernen bezeichnet.24
Reiz-Reaktions-Muster
Wenn ein Kind erlebt, dass es nichts selbst tun darf und ihm kein eigenständiges Handeln
gewährt wird, werden ihm Erfolgserlebnisse versagt. Auch wenn die Mutter zum Beispiel
eifersüchtig wird, wenn das Kind mit anderen Kindern spielt, werden ihm
Handlungsfreiräume und befriedigende Sozialkontakte genommen. Diese Situationen
können vom Kind als bestrafend empfunden werden und so wird es zukünftig die
Bemühungen unterlassen sowie bestimmte soziale Gegebenheiten vermeiden. Dies wird als
Verstärkerentzug und Bestrafung bezeichnet.25
22
Vgl. Petermann, Petermann (1983): Training mit sozial unsicheren Kindern, Belz Verlag, Weinheim, Basel, 10
Auflage (2010), S. 65
23
Vgl. ebd.
24
Vgl. ebd.
25
Vgl. Petermann, Petermann (1983): Training mit sozial unsicheren Kindern, Belz Verlag, Weinheim, Basel, 10
Auflage (2010), S. 66
16
Wahrnehmung und soziale Informationsbearbeitung
Bei sozial unsicheren Kindern ist diese verzerrt. Ängstliche Menschen richten ihre
Aufmerksamkeit eher auf negative Erfahrungen, während nicht-ängstliche Personen eher
positive oder neutrale Reize wahrnehmen. Aus diesem Grund werden soziale Informationen
von sozial unsicheren Kindern häufiger als bedrohlich wahrgenommen. Meistens bleiben
diese negativen Erfahrungen auch bevorzugt in Erinnerung und werden so besonders
hervorgehoben. Außerdem erleben sich sozial unsichere Kinder nicht als selbstwirksam. Das
bedeutet, dass ihre Wahrnehmung, Ereignisse und sich selbst beeinflussen zu können,
eingeschränkt ist.26
Desweiteren schreiben sozial unsichere Kinder ihre negativen sozialen Erfahrungen vor allem
ihrer eigenen Unfähigkeit zu. Daraus folgt, dass diese Kinder kein Selbstbewusstsein
aufbauen können und ihr Verhalten passiv und anteillos wirkt.27
Sozial unsichere Kinder fühlen sich meist in neuen, ungewohnten Situationen unwohl. Sie
gelangen ständig zur Annahme, von anderen abgelehnt zu werden. Darüber hinaus erwarten
sie von sich selber, Aufgaben und Anforderungen nicht oder nicht befriedigend bewältigen
zu können.28
Ängstliche Kinder werden ständig von Sorgen und Befürchtungen begleitet. Durch die hohe
Selbstaufmerksamkeit wird die soziale Flexibilität eingeschränkt, da diese Kinder so mit sich
selber und ihren oft irrationalen Gedanken und Gefühlen beschäftigt sind, dass sie ihre
Außenwelt, also ihr soziales Umfeld manchmal nur eingeschränkt wahrnehmen. In vielen
dieser Fälle führen die Kinder zum Beispiel Selbstgespräche, grübeln stärker nach, was
andere von ihnen denken und/oder zeigen ein verträumtes Verhalten.29
Oft leiden sozial unsichere Kinder unter irrationalen Gedanken. Diese bestehen aus Überoder Untertreibungen, die vollkommen automatisch auftreten, also nicht kontrolliert oder
gestoppt werden können.30
26
Vgl. Petermann, Petermann (1983): Training mit sozial unsicheren Kindern, Belz Verlag, Weinheim, Basel, 10
Auflage (2010), S. 66
27
Vgl. ebd.
28
Vgl. ebd.
29
Vgl. ebd.
30
Vgl. Petermann, Petermann (1983): Training mit sozial unsicheren Kindern, Belz Verlag, Weinheim, Basel, 10
Auflage (2010), S. 67
17
Einige Beispiele für irrationale Gedanken:

Ich darf keine Fehler machen, sonst werde ich für dumm gehalten!

Ich langweile andere; deshalb rede ich lieber nichts!

Ich kann nirgendwo hingehen, da ich überall abgelehnt werde!31
Um zu verstehen, welche Auswirkungen Schüchternheit auf die schulische Leistungsfähigkeit
hat, ist es wichtig, die Abläufe im Gehirn und die Faktoren, die zu diesen Abläufen führen, zu
ergründen. Verhaltensmerkmale für Schüchternheit können genetisch vorbestimmt sein und
damit von Geburt an die Persönlichkeit charakterisieren. Schüchternheit kann also auch in
einem gewissen Maße vererbt werden. Desweiteren kann sie durch psychologische und
soziale Faktoren bedingt sein. Da Kinder durch ihre Vorbilder lernen, übernehmen die Kinder
das Verhalten ihrer Eltern. Ich machte die Beobachtung, dass sich Schüchterne gerne an
selbstbewussten Personen orientieren und dadurch lernen, selbstbewusster aufzutreten.
Schüchternheit lässt sich in einem gewissen Maße auch abgelegen. Das sogenannte
Modellernen kann somit zu einer Leistungsverbesserung führen, da sich selbstbewusste
Personen positiver wahrnehmen und dies auch für andere Personen sichtbar wird.
Meiner Ansicht nach ist es außerdem bedeutsam zu wissen, dass schüchterne Kinder oft
unter irrationalen Gedanken leiden. Diese Gedanken führen dazu, dass sie sich selbst stark
unter Druck setzten, keine falschen Dinge zu sagen oder zu tun. Dieses ständige sich selber
unter Drucksetzen führt dazu, dass sie sich innerlich nicht wohlfühlen können und der
Umgang mit anderen Person verkrampft wirkt.
2.3. Soziale Faktoren
Die Erziehung spielt unter vielen anderen Aspekten auch eine große Rolle. Für die positive
Entwicklung ist die psychische Gesundheit der Mutter sehr wichtig. Sie stellt einen
31
Vgl. Petermann, Petermann (1983): Training mit sozial unsicheren Kindern, Belz Verlag, Weinheim, Basel, 10
Auflage (2010), S. 7
18
Schutzfaktor dar und bewirkt, dass das Risiko des Kindes, eine soziale Angststörung zu
entwickeln, sinkt.32
Auch die elterliche Vorbildwirkung kann viel bei einem Kind bewirken. In einer Studie von
Melfsen et al. (2000) schätzen sich Mütter sozial unsicherer Kinder selbst als
überdurchschnittlich ängstlich ein.33
Kinder von ängstlichen Eltern tendieren dazu, auch ängstlich zu werden, da diese Eltern
meist überbehütend, kontrollierend und sehr beschützend mit ihren Kindern umgehen.
Dieses Erziehungsverhalten schränkt Kinder in ihrer Freiheit ein und führt dazu, dass sie
wichtige Erfahrungen durch das ständige Bevormunden nicht sammeln können. Daraus folgt,
dass sie nicht lernen, wie man bestimmte Probleme selber löst und so selbst skeptisch und
ängstlich gegenüber neuen, ungewohnten Situationen werden.34
Es ist naheliegend, dass es für überbehütete Kinder in den ersten Klassenstufen schwer ist,
sich in die Gemeinschaft der Gleichaltrigen einzugliedern. Durch das kontrollierende
Verhalten der Eltern hatten sie weniger Möglichkeiten, in Situationen mit Gleichaltrigen
adäquat zu interagieren. Diese Umstände wirken sich wiederum auf die schulische Leistung
aus, da diese Kinder es nicht gewöhnt sind, Probleme selbst zu lösen und so ein eher
unselbstständiges Verhalten aufweisen.
Vermutlich können auch kritische Lebensereignisse für eine Panikstörung ausschlaggebend
sein. In welcher Form solche Ereignisse zu kindlichen Ängsten beitragen, ist jedoch zur Zeit
noch unklar.35
2.4. Erlernte Hilflosigkeit
Nach Seligman (2004) machen wiederholte Erfahrungen unkontrollierbarer Ereignisse hilflos.
Ein unkontrolliertes Ereignis wird dann erlebt, wenn die Person keinerlei Einfluss auf das
Ereignis hat, also wenn am Eintreten, dem Verlauf und dem Ergebnis nichts geändert werden
32
Vgl. Petermann, Petermann (1983): Training mit sozial unsicheren Kindern, Belz Verlag, Weinheim, Basel, 10
Auflage (2010), S. 67
33
Vgl. ebd.
34
Vgl. Petermann, Petermann (1983): Training mit sozial unsicheren Kindern, Belz Verlag, Weinheim, Basel, 10
Auflage (2010), S. 68
35
Vgl. ebd.
19
kann. Diese Situationen führen also zu einem Handlungsergebnis, das nicht gesteuert
werden kann. Wenn diese Erfahrung immer wieder auftritt, kann dies zur Hilflosigkeit
führen, die sich in verschiedenen Störungen äußern kann, zum Beispiel können verminderte
Handlungsbereitschaft, eine Beeinträchtigung beim Erkennen reaktionsabhängiger
Konsequenzen oder auch Furcht und Depression eine Folge sein.36
2.4.1. Sozial unsicheres Verhalten als mögliche Ausdrucksform von Hilflosigkeit
Passives und initiativloses Verhalten sind nach Seligmann die Folgen von erlernter
Hilflosigkeit. Das passive Verhalten kann sich auf ganz verschiedene Lebensbereiche wie zum
Beispiel die Schulleistung bei Kindern beziehen. Bei sozial unsicheren Kindern beobachtet
man, wenn sie mit einer sozialen Anforderung konfrontiert werden, Passivität. Meist bezieht
sich dies auf die Sozialkontakte zu Gleichaltrigen. Sozial unsichere Kinder wissen nicht so
recht, wie sie mit der Kontaktaufnahme zu anderen Kindern umgehen sollen und halten sich
aus diesem Grund lieber von anderen Kindern fern.37
2.4.2. Erlernte Hilflosigkeit als Erklärung für sozial unsicheres Verhalten
Elterliches Erziehungsverhalten kann sich stark auf das Verhalten der Kinder auswirken. Das
ist auch der Fall bei sozial unsicherem Verhalten. Die Familie ist für die Entwicklungs- und die
Lernbedingungen eines Kindes sehr wichtig. Das Erziehungsverhalten der Eltern kann als
eher unkontrollierbar und unvorhersagbar erlebt werden, wenn entweder im Verhalten der
Eltern Reaktionen und Konsequenzen auseinanderklaffen, oder die Entwicklung des Kindes
zum Beispiel durch häufiges Umziehen, Trennungen oder den Tod eines Elternteils geprägt
worden ist. Dadurch werden Kontrollerfahrungen verhindert und die Entwicklung ungünstig
beeinflusst, was wiederum die Entstehung von sozialer Unsicherheit fördert. Die soziale
Angst bezieht sich dann auf die Erwartungen von unkontrollierbaren Situationen und prägt
das Selbstkonzept negativ. Das Kind erwartet deshalb, dass eine bestimmte Situation nicht
kalkulierbar ist und weist so auch keine Handlungsbereitschaft auf. Dies verringert wiederum
36
Vgl. Petermann, Petermann (1983): Training mit sozial unsicheren Kindern, Belz Verlag, Weinheim, Basel, 10
Auflage (2010), S. 68
37
Vgl. Petermann, Petermann (1983): Training mit sozial unsicheren Kindern, Belz Verlag, Weinheim, Basel, 10
Auflage (2010), S. 70
20
auch die Möglichkeit, ein Erfolgserlebnis genießen zu können, da das Kind die Konsequenzen
der Handlung nicht auf sein eigenes Tun zurückführen kann. Es kann so kein
Selbstwertgefühl und keine Selbstsicherheit aufgebaut werden, da für ein positives
Selbstkonzept Vorhersagbarkeits- und Kontrollierbarkeitsbedingungen nötig sind.38
2.5. Sonntagskinder und deprivierte Kinder
Trotz vieler gemeinsamer Erscheinungsmerkmale können bei sozial unsicheren Kindern zwei
Typen differenziert werden. Diese können sich einerseits in ihren Symptomen, andererseits
aber auch in den Entstehungsbedingungen des sozial unsicheren Verhaltens unterscheiden.
Bei beiden Typen kann man das sozial unsichere Verhalten auf Unkontrollierbarkeit
zurückführen. Jedoch gibt es in der Art der unkontrollierbaren Ereignisse einige
Unterschiede, die sich auf das Selbstvertrauen und auf die Selbst- und Fremdwahrnehmung
verschieden auswirken.39
Sonntagskinder: Diese Kinder werden von ihren Eltern verwöhnt und überbehütet.
Probleme bei wichtigen Entscheidungen werden ihnen abgenommen und sie müssen nichts,
was sie anfangen, zu Ende führen, da sie jederzeit Hilfe über die Eltern bekommen. Sie
haben keine familiären Verpflichtungen. Diese Kinder fallen durch ihr
Verweigerungsverhalten auf, mit dem sie soziale Anforderungen abblocken. Eigentlich
verfügen sie über ein ausgeprägtes Selbstvertrauen, haben jedoch ein positives Selbst- und
ein negatives Fremdbild. Auch Misserfolge gestehen sie sich nicht selbst ein, sondern
versuchen sie durch äußere Umstände zu erklären. Sie verweigern aktives Sozialverhalten,
wenn es sich auf Personen außerhalb der Familie bezieht. Da sie es gelernt haben, jederzeit
von ihrer Familie beschützt zu werden, sehen sie die Notwendigkeit der Kontaktaufnahme zu
gleichaltrigen Kindern, wie auch die Verpflichtungen und Anforderungen innerhalb der
Familie nicht ein. Sie sagen zu allem Nein und legen ein ausgeprägtes
Verweigerungsverhalten an den Tag. Auch in der Schule kann dieses Verhalten zu Problemen
führen, da diese Kinder auch dort jegliche Verpflichtungen verweigern und sich
38
Vgl. Petermann, Petermann (1983): Training mit sozial unsicheren Kindern, Belz Verlag, Weinheim, Basel, 10
Auflage (2010), S.70f
39
Vgl. Petermann, Petermann (1983): Training mit sozial unsicheren Kindern, Belz Verlag, Weinheim, Basel, 10
Auflage (2010), S. 71
21
unangemessen behaupten. Typisch für diese Kinder ist, dass sie sich lange Zeit selbst
beschäftigen können. Sie leben in einer Art Phantasiewelt, in der alles in Ordnung ist, auch
wenn die Realität ganz anders aussieht.40
Deprivierte Kinder: Diese Kinder werden meist von ihrer Familie vernachlässigt. Sie erfahren
Unkontrollierbarkeit durch die nicht vorhandene Aufmerksamkeit der Familie. Zum Beispiel
können unvorhersagbare Erfahrungen hier auch unangenehme Ereignisse, wie eine
Trennung sein. Dadurch entwickeln sie ein passives und initiativloses Verhalten. Da sie sich
von ihrer Familie nicht akzeptiert fühlen, sehen sie es als sinnlos an, überhaupt die Aufgabe
des Kontaktschließens in Angriff zu nehmen. Sie besitzen kein Selbstvertrauen und haben im
Gegensatz zu Sonntagskindern ein negatives Selbst- und ein positives Fremdbild. Auch
Misserfolge werden durch persönliches Versagen erklärt. Diese Kinder sind sehr
verschlossen und reden nicht gerne. Zu Hause erzählen sie nichts und bitten um nichts. Sie
können sich nur schlecht allein beschäftigen, da sie keine Ausdauer haben und durch die
Beschäftigung mit sich selbst keine Befriedigung verspüren. In der Familie erledigt dieser
Kindertyp in einem Prozess der sozialen Anpassung verschiedene Aufgaben, da er nicht
gelernt hat, Nein zu sagen und seine eigene Meinung nicht vertreten kann.41
Unterschiede in den Entwicklungsverläufen sozial unsicheren Verhaltens
Wie schon beschrieben, entstehen bei einem Kind Hilflosigkeitsprobleme, wenn es das
Gefühl hat, einer Situation hilflos ausgesetzt zu sein und durch sein Verhalten keinerlei
Einfluss auf das Ereignis zu haben. Sonntagskinder sowie deprivierte Kinder sind sozial
unsicher, doch sie unterscheiden sich in vielen wesentlichen Verhaltensweisen. Nach
Seligman kann Unkontrollierbarkeit einerseits durch übermäßiges Behüten und Verwöhnen,
andererseits durch Vernachlässigung hervorgerufen werden. Da übermäßiges Behüten das
Kind einschränkt, kann es Ziele, die es sich setzt, nicht erreichen (zum Beispiel allein eine
Radtour zu machen). Dies verspürt das Kind als einen Misserfolg. Vernachlässigung wird von
40
Vgl. Petermann, Petermann (1983): Training mit sozial unsicheren Kindern, Belz Verlag, Weinheim, Basel, 10
Auflage (2010), S. 73ff
41
Vgl. Petermann, Petermann (1983): Training mit sozial unsicheren Kindern, Belz Verlag, Weinheim, Basel, 10
Auflage (2010), S. 71ff
22
einem Kind als abstoßend erlebt. Das Kind hat das Gefühl, dass seine Anwesenheit nichts
wert ist, kann diesen Zustand jedoch nicht durch eigenes Bemühen beeinflussen.42
Unvorhersehbarkeit kann für ein Kind zum Beispiel durch eine überraschende Trennung der
Eltern, den Verlust einer wichtigen Bezugsperson oder den „plötzlichen“ Einritt eines neuen
Familienmitglieds (zum Beispiel zweite Heirat der Mutter oder Aufnahme eines Pflegekindes)
sein.43
Bei Sonntagskindern liegt die Unkontrollierbarkeit in Form von beschützendem und
verwöhnendem Verhalten der Eltern vor. Diese Kinder fühlen sich nicht dazu in der Lage,
Probleme selbst zu lösen, da sie es von zu Hause gewohnt sind, dass die Probleme für sie
gelöst werden. Auch erfahren sie von ihren Eltern keine konsequenten Grenzsetzungen. Es
fehlen also bestimmte Ge- und Verbote, die dem Kind helfen sollten, seine Grenzen zu
erfahren. Man kann also sagen, dass Sonntagskinder in einer „rosaroten“ Welt leben. Sie
erhalten unabhängig von ihrem Verhalten positive Verstärkung und damit unter für sie
unkontrollierbaren Bedingungen. So äußert sich ihr sozial unsicheres Verhalten in einem
stark ausgeprägten Verweigerungsverhalten.44
Bei vernachlässigten Kindern hat die Unkontrollierbarkeit einen anderen Ursprung, nämlich
den, dass diese Kinder in ihrer Entwicklungszeit oftmals eine schicksalhafte Situation erleben
(zum Beispiel zweite Heirat der Mutter). Oft erfahren diese Kinder Unkontrollierbarkeit
durch Vernachlässigung. Sie können das Verhalten ihrer Eltern nicht beeinflussen und
müssen die mangelnde Zuwendung akzeptieren, weil die Eltern zu wenig Zeit für sie haben
oder nicht in der richtigen Stimmung sind, um sich mit ihnen zu befassen.45
Für meine Fragestellung bedeutet dies, dass Schüchternheit sehr unterschiedliche Ursachen
haben kann und dass Schüchternheit nicht schon von Geburt an vorhanden sein muss,
sondern häufig erst viel später in Erscheinung tritt. Um herauszufinden, wie sich
Schüchternheit auf die schulische Leistung auswirkt, ist es wichtig, nach ihren Wurzeln zu
suchen. So wird das Verhalten schüchterner Kinder verständlicher und ein Stück weit
42
Vgl. Petermann, Petermann (1983): Training mit sozial unsicheren Kindern, Belz Verlag, Weinheim, Basel, 10
Auflage (2010), S. 73f
43
Vgl. Petermann, Petermann (1983): Training mit sozial unsicheren Kindern, Belz Verlag, Weinheim, Basel, 10
Auflage (2010), S. 74
44
Vgl. ebd.
45
Vgl. Petermann, Petermann (1983): Training mit sozial unsicheren Kindern, Belz Verlag, Weinheim, Basel, 10
Auflage (2010), S. 74f
23
nachvollziehbarer. Man kann davon ausgehen, dass Schüchternheit durch drei verschiedene
Faktoren ausgelöst werden kann. Einerseits kann Schüchternheit durch genetische Faktoren
bedingt sein. Aber meistens hängt Schüchternheit stark mit dem sozialen Umfeld zusammen.
Natürlich gibt es Kinder, die durch ihre Veranlagung eher dazu neigen, Schüchternheit zu
entwickeln, genauso wie manche Kinder eher dazu neigen, aus sich herauszugehen und
keine Probleme haben, neue Kontakte zu schließen. Jedoch kann Schüchternheit auch einzig
und allein durch das familiäre Umfeld und insbesondere durch die Erziehung ausgelöst
werden. Um dem vorzubeugen, ist es wichtig, dass Kinder auch außerhalb der Familie (zum
Beispiel im Kindergarten oder der Nachbarschaft) soziale Verhaltensweisen erleben.
Dadurch, dass sie in Kontakt mit selbstbewussten Personen kommen, können sie sich an
ihnen orientieren und schüchterne Verhaltensweisen verlernen. Meiner Meinung nach kann
man Kindern Schüchternheit auch regelrecht anerziehen. Wie bereits erwähnt, neigen
Kinder, die nichts selbst tun können und von ihren Eltern bevormundet werden, zur
Schüchternheit.
Da immer mehr Eltern sich dafür entscheiden, nach dem staatlich geförderten
Erziehungsjahr wieder in den Beruf zurückzukehren, werden immer mehr einjährige Kinder
in Betreuungseinrichtungen gegeben. So lässt sich zumindest vermuten, dass die
vernachlässigten und überbehüteten Kinder die Chance bekommen, in einem positiveren
Milieu mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln und im Schulalltag bessere Leistungen zu
erbringen.
3. Schüchternheit im Schulalltag
3.1. Schüchtern schon im Kindergarten
24
Nicht erst in der Grundschule, sondern bereits im Kindergarten kann Rückzugsverhalten
beobachtet werden. Auch Zusammenhänge mit der späteren Schulleistung sind
nachweisbar. Schüler, die sich bereits im Kindergarten isolierten, schnitten in späteren Leseund Wortschatztests (erste und zweite Klasse Grundschule) schlechter ab. Auch in
Mathematik konnten in einer Stichprobe von Jungen schwächere Mathematikleistungen
nachgewiesen werden. Jedoch sollte man im konkreten Einzelfall keine Prognosen für die
Zukunft erstellen.46
Die Beobachtung von Evans (1987) über die Situation im Kindergarten zeigt, dass die
Lehrpersonen sich bemühen, schüchterne Kinder in die Geschehnisse zu integrieren und aus
der Reserve herauszulocken. Die Kindergärtnerinnen richten nach ihren Beobachtungen
sogar mehr Fragen an schweigsame Kinder, was jedoch bei den stillen Kindern nicht zu einer
erhöhten sprachlichen Reaktion führt. Die Sprachreaktion zwischen Kindergärtnerin und
einem stillen Kind ist ziemlich einseitig. Denn je weniger ein „stilles“ Kind spricht, desto
häufiger richtet die Kindergärtnerin Fragen an dieses Kind, was dazu führt, dass das Kind
noch schweigsamer wird, als dass es mehr auf die Kindergärtnerin eingeht. Das gilt auch für
die Schulsituation: Je häufiger die Lehrerin in der Schulzeit mit dem Kind spricht, desto
weniger redet es.47
Eine weitere Arbeit von Evans (1992) zeigt, dass schüchterne Kinder mehr Worte in längeren
Redeabschnitten äußern, wenn weniger Fragen gestellt werden. In einer Untersuchung
beobachtete die Autorin, wie viel die schüchternen und nicht schüchternen Kinder während
einer Zeigestunde redeten. Das Sprechverhalten der Kindergärtnerin variierte hierbei. Die
Bedingung „starke Kontrolle“ bedeute, dass die Kindergärtnerinnen besonders viele und
über das gewohnte Maß hinausgehende Fragen stellten. Bei der Bedingung „schwache
Kontrolle“ stellte die Kindergärtnerin weniger Fragen, dafür gab sie aber mehr Beiträge im
Sinne eines Gesprächs. Die Quantität des Gesprochenen nahm bei „schwacher Kontrolle“ zu.
Daraus ist nach Evans (1992) zu folgern, dass häufiges Fragen der Erwachsenen bei
schüchternen Kindern eher zu noch mehr Passivität führt und somit die abhängige Rolle des
Kindes verstärkt. Der Erwachsene dominiert und das Gespräch wird einseitig.48
46
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 111
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 111f
48
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 112
47
25
Allerdings kommt es auch darauf an, welche Fragen gestellt werden, da nicht jede Frage die
gleichen Folgereaktionen bei schüchternen Kindern auslöst. Evans unterschied zwischen
Wahl- und Produktfragen (Evans 1987). Bei schweigsamen Kindern scheinen Produktfragen
zu einer erhöhten Sprachaktivität zu führen. Die Wahlfrage (Hast du das Buch gelesen?- Ja,
Nein) ist also weniger effektiv als eine Produktfrage (Wovon handelt es?). Zu dieser Studie
gibt es allerdings nur beschränkte Daten. Für einen definitiven Beweis ist sie also nicht
ausreichend. Aber auch ohne eine abgesicherte Bestätigung ist es naheliegend, dass bei
einer Produktfrage mehr Sprechaktivität erwartet werden kann als bei einer Wahlfrage.49
Für meine Fragestellung bedeutet dies, dass man mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits vom
schüchternen Verhalten der Kinder im Kindergarten auf das spätere Verhalten in der Schule
schließen kann. Ich halte es für sinnvoll, wenn schüchterne Kinder in kleinen Gruppen
betreut werden, da sie dadurch mehr Aufmerksamkeit der Erzieher erhalten können. In
größeren Gruppen ist die Gefahr gegeben, dass sie übersehen werden, weil die
Betreuungspersonen mit den Kindern beschäftigt sind, die die Aufmerksamkeit auf sich
lenken. Außerdem ist es wichtig, dass die Erzieher wissen, wie man mit schüchternen
Kindern in Kontakt tritt. Die Versuchung ist groß, ein Kind mit Fragen zu überschütten, um es
zum Reden zu bewegen. Erfolgreicher ist es jedoch, wenn ein schüchternes Kind in ein
Gespräch verwickelt wird. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass dies durch eine gemeinsame
Beschäftigung (zum Beispiel malen/ basteln) besser gelingt. Da das schüchterne Verhalten
der Kindergartenkinder sich auch in der Schule auswirken wird, ist es umso wichtiger, bereits
im Kindergarten das Selbstbewusstsein zu stärken, damit das gehemmte Verhalten
zumindest etwas reduziert wird. Für die erfolgreiche Kommunikation mit einem
schüchternen Kind ist es wichtig, weniger Fragen zu stellen, aber dafür mehr Beiträge im
Sinne eines Gesprächs zu liefern. So fühlt sich das Kind von der Person nicht bedrängt und
von Fragen überschüttet. Das führt dazu, dass das Kind sich der Person eher anvertraut und
die Person nicht jemand ist, vor dem sich das Kind womöglich sogar fürchtet. Es kann also
eine effektive Gesprächsbasis geschaffen werden, die das weitere Kommunizieren
unterstützt. Auch die Fragen, die dem schüchternen Kind gestellt werden, haben, wie im
vorigen Kapitel dargestellt, einen Einfluss darauf, wie das Kind auf die Frage reagiert und wie
seine Antwort ausfällt. Fragen, die nicht nur eine Antwort wie ja/nein verlangen, sind eher
49
Vgl. ebd.
26
dazu geeignet, ein schüchternes Kind zum Sprechen zu bewegen, da sie eine persönliche
Antwort verlangen.
3.2. Das Schulleben schüchterner und stiller Kinder
Soziale Situationen und mündliche Anforderungen bereiten einem schüchternen Kind große
Schwierigkeiten. Schüchterne Kinder wären oft am liebsten unsichtbar. In der Schule
versuchen sie möglichst nicht aufzufallen, machen sich klein, um nicht ins Blickfeld des
Lehrers zu geraten und melden sich im Unterricht lieber nicht, da sie Angst davor haben,
einen Lacher zu riskieren, selbst wenn ihnen die Antwort auf den Lippen brennt. Wenn ein
schüchternes Kind dann doch einmal aufgerufen wird, spricht es nur ganz leise oder zieht es
vor, „ich weiß nicht“ zu sagen, weil es sich viel zu viele Gedanken darüber macht, ob das,
was es eigentlich sagen möchte, wirklich richtig ist. Daraus lässt sich schnell erkennen, dass
dieses Kind ein Problem in der Schule hat. Aufgabe der Schule ist es, das Können ihrer
Schülerinnen und Schüler zu fokussieren und zu erweitern. Die Lehrpersonen sind hierbei die
Prüfer, die sich ein Bild über die Leistung der jeweiligen Schüler machen. Sie streben einen
„lebendigen“ Unterricht an und haben meist das Bild vom eifrig, mit dem Finger
schnipsenden Schüler im Hinterkopf. So wirkt das Verhalten von Schüchternen für sie wie
der Einsatz von Schauspielern, die auf der Bühne stehen und ihren Text verweigern.
Schüchterne Kinder fühlen sich in der Schule fehl am Platz und sehen den Unterricht als
Bühne der gefürchteten Selbstpräsentation.50
Außerdem ist der Unterricht in den ersten Jahren stark mündlich orientiert. So markiert die
mündliche Aktivität den Lernerfolg und die Fähigkeiten, aber ebenso auch das Interesse und
die Motivation der Schüler. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass Schüler durch rege
mündliche Mitarbeit einen positiven Eindruck bei der Lehrperson hinterlassen. Dadurch,
dass schüchterne Kinder große Schwierigkeiten mit sozialen Situationen und mündlichen
Anforderungen haben, bewirken sie eher das Gegenteil. Sie fallen nicht positiv auf. Eigentlich
50
Vgl. Georg Stöckli (Symposion im Rahmen der Didacta, Stuttgart, 19. – 23.2.2008):
Persönlichkeitsentwicklung in Kindergarten und Grundschule: Was fehlt schüchternen Kindern wirklich?,
Universität Zürich, S.4
27
würden schüchterne Kinder lieber einen weiten Bogen um die Schule machen, da dieser Ort
für sie unwirtlich ist. 51
Schüchternheit ist wie eine innere Gefangenschaft. Philip Zimbardo, der Pionier der
Schüchternheitsforschung, erklärt dies so:
„Da gibt es Schüler, die die Antwort wissen und die auf den Lehrer einen guten Eindruck
machen wollen, aber irgendetwas sorgt dafür, dass sie trotzdem stumm bleiben. Sie werden
am Handeln gehindert, weil der Wärter in ihrem Inneren ihnen eingibt: „Du machst dich
lächerlich; man wird dich auslachen; dies ist nicht der richtige Ort dafür; ich werde dir nicht
die Freiheit lassen, spontan zu handeln; lass deine Hand unten, melde dich nicht freiwillig,
tanze nicht, singe nicht, mach dich nicht bemerkbar; in Sicherheit bist du nur, wenn man dich
nicht sieht und nicht hört.“ Und der Gefangene in ihm beschließt, sich nicht auf die
gefährliche Freiheit eines spontanen Lebens einzulassen; er fügt sich brav.“ (Zimbardo, 1994,
S.16).52
Schüchterne, sozial unsichere Kinder erwecken leicht den Eindruck einer reduzierten
Leistungsfähigkeit. Ihr zurückgezogenes Verhalten fällt schnell auf. Sitzplätze am Rand des
Klassenzimmers werden gerne aufgesucht und in der Pause halten sich schüchterne Kinder
lieber am Rand des Pausenhofes auf. Haben sie die Wahl, stellen sie sich lieber hinten an
anstatt vordere Positionen aufzusuchen. Durch diese selbstgewählte Randständigkeit wird
die Beteiligung und das Mitverfolgen des Unterrichts negativ beeinflusst. Dadurch
bekommen die zuständigen Lehrkörper schnell den Eindruck, dass das Kind sich nicht für den
Unterricht interessiert. Dieses Verhalten vermittelt leicht Passivität. Durch die
selbstschützenden Strategien verbauen sich schüchterne Kinder zusätzlich die Möglichkeit,
Unverstandenes zu klären. Diese Nichtbeteiligung und das Rückzugsverhalten beeinflussen
praktisch zwangsläufig die mündlichen Noten und aufgrund der besonderen Anforderungen
wird die Schulzeit für schüchterne Kinder zu einer außerordentlich leidvollen und meist im
Stillen erduldete Phase der Persönlichkeitsentwicklung. 53
Für meine Fragestellung bedeutet dies, dass schüchterne Kinder im alltäglichen Schulleben,
besonders im mündlichen Bereich, benachteiligt sind. Die Schule ist für ein schüchternes
51
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 109f
Zitat nach Zimbardo, in: Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad
Heilbrunn, S. 110
53
Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 110
52
28
Kind kein Ort, wo es sich wohlfühlen kann, eher einer, der psychischen Stress bedeutet.
Lehrer können einen falschen Eindruck von einem schüchternen Kind gewinnen, da es durch
seine mangelnde Mitarbeit womöglich gelangweilt und uninteressiert wirkt. Dabei ist es
eigentlich nur zu schüchtern, um sich am mündlichen Unterricht zu beteiligen oder
Blickkontakt zum Lehrer aufzunehmen. Dieses Verhalten könnte sogar als unhöflich
aufgefasst werden. Es liegt nahe, dass die Leistung besonders durch mangelnde
Kommunikationsbereitschaft von Seiten der schüchternen Kinder negativ beeinflusst werden
kann. Auch die Tatsache, dass sich schüchterne Kinder zu viele Gedanken darüber machen,
wie sie von anderen eingeschätzt werden, wirkt sich ungünstig auf ihr Verhalten im
Unterricht aus. Für Lehrer ist es sehr schwer, das Verhalten dieser Kinder richtig zu
interpretieren, da sie wenig Eigeninitiative erkennen lassen und eher passiv wirken.
Schüchterne Kinder trauen sich oft nicht nachzufragen, wenn sie etwas nicht verstanden
haben, so können sie Unklarheiten auch nicht aufklären. Für sie ist es unangenehm, vor der
ganzen Klasse zu sprechen, da ihnen jeder zuhört und sie im Mittelpunkt stehen.
3.3. Sind schüchterne Kinder in der Schule sozial benachteiligt?
Schüchternheit geht nicht zwangsläufig mit sozialer Ablehnung einher, denn sie lässt sich
auch als ausgeprägte Höflichkeit und Zuvorkommenheit interpretieren. Jedoch ist sie nicht
gerade eine Voraussetzung, um besonders beliebt und sozial erfolgreich sein zu können. Das
Schweigen der schüchternen Kinder birgt einige Schwierigkeiten, denn wenn man nicht mit
anderen spricht, hört einem auch niemand zu. Auch später werden zurückhaltende
Menschen keine führenden Positionen in der Gesellschaft einnehmen. Dies ist eine ziemlich
genaue Umschreibung der Stellung schüchterner Kinder in der Schulklasse.54
Bei der Einschätzung der „Beliebtheit in der Klasse“ werden die einzelnen Gruppen von
Lehrern und Lehrerinnen auf einer Skala von 1 bis 5 (sehr beliebt) eingestuft. Hierbei erzielt
die Gruppe der schüchternen Kinder einen Mittelwert und belegt den dritten Platz. Als noch
weniger beliebt werden die aggressiven Kinder eingestuft. Am beliebtesten sind die
nichtschüchternen, knapp gefolgt von den mäßig schüchternen Kindern. Wenn man die
54
Vgl. Georg Stöckli (Erstpublikation: „Schweizer Schule“ (1/99)): Schüchterne Kinder in der Schule, Universität
Zürich, S.25
29
Mitschüler bittet, sich zu den Stellungen der einzelnen Gruppen zu äußern, nehmen die
nichtschüchternen Kinder ebenfalls eine beliebt-führende Stellung ein. Dies wird dadurch
begründet, dass sie zum Beispiel tolle Dinge organisieren, viele gute Ideen haben und andere
Kinder durch ihre offene und eher unkomplizierte Art leicht begeistern und mitreißen
können. Die schüchternen Kinder werden weniger beachtet und haben oft Schwierigkeiten,
Anschluss zu finden. Außerdem kommt es häufig vor, dass man ihnen nicht richtig zuhört,
wenn sie etwas zu sagen haben. Die aggressiven Kinder werden auch von den Mitschülern
als auffällig eingestuft. Ihnen werden, wie auch von den Lehrern, ausgesprochen negative
und aggressive Verhaltensweisen zugeschrieben wie zum Beispiel „fordert andere zum Streit
heraus“ oder „lacht andere aus“. Die Gruppe erfährt aus diesem Grund auch mehr
Ablehnung als alle übrigen. Die Schüchternen werden hingegen nicht häufiger abgelehnt als
die nichtschüchternen Kinder.55
3.4. Knüpfen schüchterne Kinder Kontakte?
Innerhalb der Schulklasse haben schüchterne Kinder die gleiche Anzahl von Spielkameraden
wie nichtschüchterne Kinder. Jedoch verfügen letztere außerhalb der Klasse über weit mehr
Freunde.56
Die Schulklasse ist für die schüchternen Kinder eine vertrautere Umgebung. Ich denke, das
liegt daran, dass dort jeden Tag der Unterricht stattfindet und die schüchternen Kinder sich
langsam an ihre Klasse und ihre Mitschüler gewöhnen können. Außerhalb der Schule haben
die nichtschüchternen Kinder einen größeren Freundeskreis, denn sie haben keine
Probleme, offen auf andere Kinder zuzugehen und schließen gerne neue Kontakte.
Außerdem besuchen sie gerne Vereine, wo sich schnell ein zusätzlicher Freundeskreis
aufbauen kann. Schüchterne Kinder meiden Vereine eher, da sie sich so wenig wie möglich
in der Öffentlichkeit bewegen wollen und nicht unbedingt den Anreiz verspüren, neue
Freundschaften einzugehen. Außerdem fühlen sie sich in vertrauter Umgebung geborgener
und können sich aus diesem Grund dort auch lockerer und zwangloser verhalten. So wird die
55
Vgl. Georg Stöckli (Erstpublikation: „Schweizer Schule“ (1/99)): Schüchterne Kinder in der Schule, Universität
Zürich, S.25f
56
Vgl. Georg Stöckli (Erstpublikation: „Schweizer Schule“ (1/99)): Schüchterne Kinder in der Schule, Universität
Zürich, S.26
30
Schulklasse für schüchterne Kinder zu einer wichtigen Basis, Kontakte zu schließen. Das
bedeutet, dass schüchterne Kinder meist nur Freundschaften innerhalb der Klasse schließen
können. Da sie in den meisten Fällen nicht zu den Außenseitern gehören, sondern von der
Akzeptanz her im Mittelfeld liegen, zeigen sich bei ihnen nicht so starke Versagensängste wie
bei Schülern, die unter Mobbing leiden. Die Gefahr, leistungsmäßig stark abzufallen, ist
daher nicht so groß.
6
5
4
3
Spielkontakte außerhalb der
Klasse
2
Innerhalb der Klasse
1
0
nicht/ kaum
schüchtern
mässig bis
besonders
schüchtern
57
Abb: Durchschnittliche Spielkontakte innerhalb und außerhalb der Schulklasse
3.5. Vertrautheit innerhalb und außerhalb der Schule
Schüchterne Kinder zementieren ihre verbale Enthaltsamkeit im Verlauf der Schulzeit eher,
als dass sie versuchen, aus sich herauszukommen. Auch das vielfältige Bemühen der Lehrer
kann das Verhalten dieser Kinder nicht verändern. Die Untersuchungen von Jones und Gerig
(1994) ergaben, dass bereits im sechsten Schuljahr bei nahezu einem Drittel der Schüler eine
völlig unterbundene oder eine nur noch sehr seltene mündliche Beteiligung im Unterricht
festzustellen ist. In einem Interview bezeichneten sich 72 Prozent von diesen schweigsamen
Schülern als schüchtern und 40 Prozent gaben an, dass sie nur wenige oder gar keine
57
Vgl. Georg Stöckli (Erstpublikation: „Schweizer Schule“ (1/99)): Schüchterne Kinder in der Schule, Universität
Zürich, S.28
31
Freunde oder Freundinnen hatten. Oft unternahmen sie Freizeitaktivitäten allein und fühlten
sich im Umfeld ihrer Familie wohler als unter Freunden. Interessant ist aber, dass die „Flucht
ins Schweigen“ in bestimmten Situationen unterbrochen werden kann. In der Untersuchung
von Jones und Gerig (1994) stellte sich heraus, dass sich 41 Prozent der Schweigsamen dann
in der Schule am wohlsten fühlten, wenn sie in kleinen Gruppen bestehend, aus Freunden
und Freundinnen, arbeiten konnten. Für das Sprechverhalten ist Vertrautheit eine
wesentliche Bedingung. Eine Beobachtungsstudie von Asendorpf und Meier (1993) bestätigt
dies für die Situation außerhalb der Schule. Hierzu wurden vier Gruppen von Kindern im
zweiten Schuljahr unter Berücksichtigung der beiden Merkmale Schüchternheit und
Geselligkeit nach Cheek und Buss (1981) untersucht. Hierbei unterschieden sich die Kinder in
den Merkmalen a) nicht schüchtern und gesellig, b) schüchtern und gesellig, c) nicht
schüchtern und ungesellig und d) schüchtern und ungesellig. Diese Kinder wurden alle mit
einem kleinen, tragbaren Datenaufzeichnungsgerät für Herzrate und Sprechverhalten
ausgerüstet. Sie konnten ihren Tagesablauf wie gewohnt gestalten und wurden in ihrer
Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt. Während dieser sieben Tage wurden zusätzlich
Interviews mit ihnen geführt, die einen gezielteren Einblick in das Alltagsverhalten der
Kinder ermöglichten. Die Studie bestätigte, dass schüchterne Kinder in der Schule und auch
auf dem Pausenhof unter Mitschülern weniger sprachen als nicht schüchterne Kinder. Über
den Rahmen der Schule hinaus zeigen sich einige interessante Unterschiede. Es konnte
festgestellt werden, dass Schüchterne nur dann in Alltagssituationen weniger sprachen als
nichtschüchterne Kinder, wenn ihnen die Situation nicht vertraut war. In vertrauten
außerschulischen Situationen (z.B. zu Hause) war das Sprechverhalten also nicht
eingeschränkt und die Schüchternheit somit keine Bedingung, die das Sprechverhalten
bedeutend beeinflusste. Neben den Effekten für Schüchternheit wurde auch auf Geselligkeit
geachtet. Kinder, die gesellig waren, verbrachten die Nachmittage häufiger zusammen mit
Freunden. Dagegen fühlten sich ungesellige Kinder innerhalb der Familie wohler und
verbrachten ihren Nachmittag lieber zusammen mit den Geschwistern. Im Unterschied zu
nicht geselligen Kindern redeten die geselligen Kinder häufiger in Situationen, die ihnen nur
einigermaßen, aber nicht vollkommen vertraut waren. Ein Zusammenhang zwischen
Schüchternheit und Geselligkeit war nicht zu verzeichnen. Beide Merkmale können also als
eigenständige Persönlichkeitsmerkmale mit unterschiedlicher Verhaltenswirksamkeit
32
betrachtet werden: Geselligkeit scheint den Zugang zu sozialen Situationen zu regeln und
Schüchternheit das Verhalten in bestimmten Situationen (vgl. Asendorpf und Meier, 1993) 58
Es stellt sich heraus, dass die Gehemmtheit der schüchternen Kinder in vertrauter
Umgebung und im Zusammensein mit vertrauten Personen überwunden werden kann. Das
bedeutet, dass schüchterne Kinder in Gruppenarbeit mit wenigen anderen Kindern, zu
denen sie eine gute Beziehung haben, ihre Schüchternheit durchaus eine Zeit lang ablegen
können und es sogar den Anschein hat, dass sie auf einmal ihre Persönlichkeit verändern
und plötzlich doch aus sich herauskommen. Man könnte das Phänomen Schüchternheit auch
als eine Art zweites Gesicht bezeichnen. In meinem familiären Umfeld habe ich schon oft die
Erfahrung gemacht, dass ein schüchternes Kind sich in der Öffentlichkeit komplett anders
verhält als in seiner gewohnten Umgebung, nämlich zu Hause. Kennt man die Person
genauer, merkt man schnell, dass sie nach außen hin ein komplett anderer Mensch ist und
fremde Menschen große Schwierigkeiten haben, aus dieser Person schlau zu werden.
Innerhalb der Familie verhält sie sich jedoch wie jedes andere Kind, singt laut, lacht und ist
sogar schlagfertig. Zwischen dem gewöhnlichen Verhalten in vertrauter Umgebung zu Hause
und dem Verhalten in der Öffentlichkeit besteht also ein großer Unterschied.
3.6. Woran erkennen Lehrer ein schüchternes Kind?
In der Schule fallen schüchterne Kinder wesentlich durch ihre Zurückhaltung und ihr eher
passives Verhalten auf. Sie können sich selbst nur schlecht darstellen und so wird es für den
Lehrer besonders schwer, einen Eindruck von ihnen zu gewinnen und sie kennenzulernen.
Viele Signale, die ein Lehrer mit Fleiß, Interesse, Engagement und Arbeitseifer in Verbindung
bringt, zeigen schüchterne Kinder nicht auf. Sie schnippen nicht ungeduldig mit den Fingern,
weil sie unbedingt drangenommen werden möchten und werfen auch nicht im mündlichen
Unterricht die Hand nach oben. Da schüchterne Kinder nur sehr wenig Mitarbeit erkennen
lassen, liegt es nahe, dass Lehrer daraus folgern, solche Kinder seien nur wenig bereit, sich
anzustrengen. Für die Einschätzung ist die Anstrengungsbereitschaft im Sport sehr hilfreich.
Da schüchterne Kinder in den Sportstunden ein gehemmtes Verhalten aufweisen, lieber
abseits stehen und nur mit Unlust an den Übungen teilnehmen, kann man daraus schließen,
58
Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 114
33
dass diese Kinder entweder zu der Kategorie des sozial gehemmten Kindes oder aber zu den
ungeselligen Kindern zählen. Die wahrgenommene Motivation steht für Lehrpersonen in
deutlicher Verbindung mit der Schüchternheitseinschätzung. Sportlich motivierte Kinder
werden als weniger schüchtern beurteilt als nicht motivierte.59
Meiner Meinung nach ist es für außenstehende Personen sehr schwierig, schüchterne Kinder
zu verstehen und einen guten Draht zu ihnen zu finden. Das Hauptproblem ist hierbei, dass
sich Schüchternheit auf eine Art und Weise auswirkt, die es sehr schwer macht, die
Probleme der Kinder zu verstehen. Eigentlich geben schüchterne Kinder nichts von sich preis.
Sie tragen in ungewohnten Situationen, in denen sie sich unter fremden Menschen befinden,
eine Art Maske. Ihr eigentliches Selbst kommt dabei nicht mehr zum Vorschein, sondern
wird von der Schüchternheit überdeckt, und auch die Beeinflussung auf die Persönlichkeit
und die gesunde psychische Entwicklung der betroffenen Kinder findet verdeckt und im
Stillen statt. Aus diesem Grund ist das Problem der Schüchternheit ein Phänomen, das man
nur sehr schwer erforschen kann. Vergleicht man Schüchternheit zum Beispiel mit
Aggressivität, wird schnell klar, dass Aggressivität eine Verhaltensweise ist, die deutlich zum
Ausdruck kommt. Aggressive Menschen fallen durch ihr Verhalten auf, bei Schüchternen ist
dies umgekehrt. Sie verschwinden im Hintergrund und ihr Ziel besteht darin, möglichst
unsichtbar zu sein und keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ich denke, das ist auch der
Grund, wieso es zu diesem Thema noch recht wenig erforschtes Material gibt. Mit
Aggressivität hat man sich in einem viel größeren Umfang auseinandergesetzt, dabei stellen
beide Verhaltensweisen ein Problem für die Betroffenen dar, es kommt nur anders zum
Vorschein.
Schüchterne Kinder neigen zu einer verkrampften Körperhaltung, zum Beispiel ziehen sie
den Kopf ein und legen die Arme eng an den Körper.60 Dadurch ist es für sie sehr schwer,
grobmotorische Bewegungen vor anderen auszuführen. In der Sportstunde sitzt das Kind
nicht mehr an seinem gewohnten Platz, sondern bewegt sich frei im Raum und wird ständig
von seinen Mitschülern und seinem Lehrer beobachtet und eingeschätzt. Zur Notengebung
muss es sich auch oft einzeln vor der Klasse präsentieren und in Mannschaftsspielen ständig
agieren und reagieren. Da schüchterne Kinder aber nicht gerne beobachtet werden und sich
59
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 120ff
Vgl. Margarete Schmaus, M. Margarete Schörl (1986): Sozialpädagogische Arbeit im Kindergarten, KöselVerlag München, 6. Auflage (1986), S.76
60
34
lieber zurückziehen, ist es verständlich, dass sie sich nicht gerne am Sportunterricht
beteiligen. Darauf werde ich später noch näher eingehen.
3.7. Wie häufig nehmen Lehrpersonen Schüchternheit bei
Schulkindern wahr?
Gemäß einiger Untersuchungen von Georg Stöckli, die auf der Einschätzung von Lehrerinnen
und Lehrern beruhen, kann von einem 16%igen Anteil auffällig oder überdurchschnittlich
schüchterner Kinder ausgegangen werden. Die folgende Abbildung 1 zeigt den Anteil dieser
schüchternen Kinder vom ersten bis zum dritten Schuljahr.61
62
Abbildung 1: Anteil überdurchschnittlich schüchterner Kinder pro Schuljahr
Die Angaben betreffen jeweils den Anteil von schüchternen und nicht schüchternen Kindern
pro Schuljahr. Es fällt auf, dass der Anteil schüchterner Kinder im Zeitraum des ersten und
des zweiten Jahres variiert. Dies bedeutet, dass sich überdurchschnittlich schüchterne Kinder
durchaus verändern können. Sie können im ersten Schuljahr noch als überdurchschnittlich
61
Vgl. Georg Stöckli (Symposion im Rahmen der Didacta, Stuttgart, 19. – 23.2.2008):
Persönlichkeitsentwicklung in Kindergarten und Grundschule: Was fehlt schüchternen Kindern wirklich?,
Universität Zürich, S.5
62
Vgl. ebd.
35
schüchtern angesehen werden und im darauffolgenden Jahr möglicherweise schon zu den
eher nicht schüchternen Kindern zählen.63
Dies bedeutet, dass sich schüchterne Kinder, die zum Beispiel aufgrund ihrer
unzureichenden mündlichen Beteiligung eine schlechtere Leistungsbeurteilung erfahren,
durchaus ändern können und vielleicht schon im nächsten Schuljahr kein Problem mehr mit
der mündlichen Mitarbeit haben. Daraus lässt sich schließen, dass die Auswirkungen, die
Schüchternheit auf die Schulleistung hat, nicht unbedingt von Dauer sein müssen und
durchaus überwunden werden können. Aus der oben dargestellten Statistik geht jedoch
hervor, dass dies nur in geringem Umfang über einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum
geschieht (erste/zweite Klasse).
4. Wie wirkt sich Schüchternheit auf die Noten aus?
Durch Betrachtung der bereits beschriebenen Merkmale der Schüchternheit liegt es nahe,
sich zu fragen, ob und wie Schüchternheit sich auf die schulischen Noten auswirkt. Aufgrund
der Beschreibung wäre zu erwarten, dass schüchterne Kinder schlechtere soziale Fähigkeiten
haben, unselbständiger sind und außerdem mehr mit Ängsten zu kämpfen haben als ihre
Mitschüler. Die Urteile der Lehrkräfte bestätigen dies zwar, trotzdem scheinen die
Selbständigkeit und die sozialen Fähigkeiten nur mäßig beeinflusst zu sein. Jedoch besteht
ein großer Zusammenhang zwischen Schüchternheit und Angst. Man kann also sagen, dass
Ängstlichkeit ein charakteristisches Merkmal von schüchternen Kindern ist. Diese Angst
bewirkt einen Großteil der für schüchterne Kinder zeitweisen oder ständigen quälenden
Ereignisse und bezieht sich meistens auf das soziale Verhalten.64
Es konnte herausgefunden werden, dass sich für die Noten in den sprachlichen und
mathematischen Fächern statistisch bedeutsame Unterschiede ergeben, jedoch fallen diese
nicht drastisch aus. Die als besonders oder ziemlich schüchtern eingestuften Kinder liegen
mit ihrem Notendurchschnitt minimal unter dem Notendurchschnitt der als nicht schüchtern
63
Vgl. Georg Stöckli (Symposion im Rahmen der Didacta, Stuttgart, 19. – 23.2.2008):
Persönlichkeitsentwicklung in Kindergarten und Grundschule: Was fehlt schüchternen Kindern wirklich?,
Universität Zürich, S.5
64
Vgl. Georg Stöckli (Erstpublikation: „Schweizer Schule“ (1/99)): Schüchterne Kinder in der Schule, Universität
Zürich, S.23
36
oder nur mäßig schüchtern eingestuften Kinder. Hierbei tritt in der Sprachleistung ein kaum
feststellbarer Unterschied zwischen der Leistung der besonders schüchternen oder ziemlich
schüchternen Kindern im Vergleich zu den nur mäßig oder nichtschüchternen Kindern auf.
Im Fach Mathematik erhalten die schüchternen Kinder praktisch die gleichen Noten wie in
den sprachlichen Fächern, schneiden jedoch im Vergleich zu den nichtschüchternen Kindern
etwas schlechter ab.65
Aufgrund der Ergebnisse stellt sich heraus, dass Schüchternheit teilweise, aber nicht
schwerwiegende Beeinträchtigungen im Leistungsbereich zur Folge hat. Das zentrale
Problem schüchterner Kinder ist nicht ihre tatsächliche Leistung sondern ihr eigenes
Selbstbild.66
Es konnte sichergestellt werden, dass Schüchternheit ein gestörtes Selbstwertgefühl und ein
angeschlagenes Selbstkonzept als Problem zur Folge hat. Schüchterne Kinder haben ein sehr
pessimistisches Selbstbild, sie denken, dass sie schlecht sind, was zur Folge hat, dass sie sich
auch schlecht fühlen.67
Im vierten Schuljahr können die meisten Kinder ihre persönlichen Fähigkeiten schon ziemlich
genau einschätzen und haben oft schon eine klare Vorstellung darüber, in welchen Fächern
sie gut und in welchen Fächern sie eher schlecht sind. Um diese Vorstellungen auszuwerten,
sind die Noten ein wichtiger Anhaltspunkt, denn die eigene Einschätzung der Leistung ist
subjektiv, das heißt, wie man seine eigene Leistung und Fähigkeiten in einem bestimmten
Fach einschätzt, muss nicht mit der tatsächlichen Note übereinstimmen. Im vierten Schuljahr
bilden Übereinstimmung der Note mit der Selbsteinschätzung ein mittleres Maß. Wenn die
Note als Basis für die Selbsteinschätzung verwendet wird, zeigt sich eine Differenz zwischen
der Note und dem Fähigkeitsbild, so wird eine subjektive Über-oder Unterschätzung
sichtbar.68
65
Vgl. Georg Stöckli (Erstpublikation: „Schweizer Schule“ (1/99)): Schüchterne Kinder in der Schule, Universität
Zürich, S.23
66
Vgl. Georg Stöckli (Erstpublikation: „Schweizer Schule“ (1/99)): Schüchterne Kinder in der Schule, Universität
Zürich, S.24
67
Vgl. ebd.
68
Vgl. ebd.
37
aggressiv
Über- und Unterschätzung der
Fähigkeiten im Rechnen in
Abhängigkeit von
Schüchternheit und
Aggressivität
nicht/kaum schüchtern
mässig schüchtern
besonders schüchtern
-0,4
-0,2
0
0,2
0,4
69
In der obigen Abbildung ist die Über-und Unterschätzung der Viertklässler im Hinblick auf die
Note in Mathematik dargestellt. Man kann deutlich erkennen, dass die schüchternen Kinder
ihre Leistung eher unterschätzen. Die aggressiven Kinder hingegen, die den gleichen
Notendurchschnitt erreichen wie die schüchternen Kinder, neigen hingegen zur
Überschätzung. Schüchterne Kinder haben also eine pessimistisch-ängstliche Haltung im
Gegensatz zu aggressiven Kindern, bei denen die Haltung der Fähigkeitseinschätzung mit
einem deutlichen Hang zur Selbstüberschätzung einhergeht.70
Hinsichtlich der Prüfungs-und Leistungsangst ist die beste Voraussetzung, wie bereits
erwähnt, ein „gesunder Optimismus“, also eine leichte Überschätzung der eigenen
Fähigkeiten. Nichtschüchterne Kinder kommen diesem Bereich im Fach Mathematik am
nächsten. Dagegen liegen die schüchternen Kinder weit darunter und die aggressiven Kinder
überschreiten ihn weit. Letztere genannte Muster enthalten eine Bedrohung und können
Nachteile mit sich bringen. Schüchterne Kinder haben mit ihrer Angst und ihren ständigen
Minderwertigkeitskomplexen zu kämpfen, die anderen leben in einer Illusion und schätzen
ihre Fähigkeiten nicht realistisch ein, dadurch können sie enttäuscht werden.71
Für meine Fragestellung bedeutet dies, dass schüchterne Kinder sich häufig selbst im Weg
stehen und zu einem pessimistischen Selbstbild neigen. Auf die Leistung kann sich dies
negativ auswirken. Jeder hat schon einmal die Erfahrung gemacht, dass die Leistung negativ
beeinflusst wird, wenn man unmotiviert an eine bestimmte Sache herangeht und schon von
vornherein nicht an sich glaubt. Da dies bei schüchternen Kindern ein Dauerzustand ist,
69
Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 151
Vgl. Georg Stöckli (Erstpublikation: „Schweizer Schule“ (1/99)): Schüchterne Kinder in der Schule, Universität
Zürich, S.24
71
Vgl. Georg Stöckli (Erstpublikation: „Schweizer Schule“ (1/99)): Schüchterne Kinder in der Schule, Universität
Zürich, S.24f
70
38
schließe ich daraus, dass sie dadurch auch schlechter bewertet werden, da ihre Fähigkeiten
einfach nicht richtig zum Vorschein kommen können. Außerdem habe ich schon öfters
festgestellt, dass das Auftreten, also wie eine Person ihre Meinung „verkauft“, häufig für die
Glaubwürdigkeit ausschlaggebend ist. Auch aus der Werbung wissen wir, dass wir eher dazu
neigen, einer sympathischen und selbstbewussten Person zu glauben, dass beispielsweise
ein bestimmtes Kosmetikprodukt eine besonders gute Wirkung zeigt. Durch ihre
Ausstrahlung werden wir mitgerissen, da die werbende Person selbst von dem Produkt
derartig überzeugt ist, dass wir seine Qualität erst gar nicht in Frage stellen, sondern das
Produkt schnellstmöglich auch besitzen wollen. Das gleiche Prinzip gilt auch für die Schule.
Gibt ein selbstbewusster Schüler eine Antwort auf eine Frage, die vom Lehrer gestellt wird,
bewirkt allein seine Ausstrahlung schon, dass der Lehrer das Gefühl hat, dass dieses Kind sich
der Antwort sicher ist. Das wiederum hat als Auswirkung , dass dieses Kind vom Lehrer eher
besser bewertet wird als ein Kind, das leise und unsicher wirkt und die Antwort auf eine
Frage erst nach längerem Zögern preisgibt. Lehrer versuchen, ihre Schüler möglichst genau
einzuschätzen, um ihre Leistung angemessen bewerten zu können. Doch wie sollen Lehrer
ein schüchternes Kind einschätzen, das bestrebt ist, möglichst unsichtbar zu sein und so gut
wie nichts über sich verraten will? Ich denke, für manche Lehrer kann ein solches Verhalten
irritierend wirken. Es kann für die Lehrer, die sich möglicherweise bemühen, eine Beziehung
zu diesem Kind aufzubauen, deprimierend und enttäuschend sein, wenn sie feststellen, dass
es schier unmöglich scheint, etwas aus dem Kind herauszubekommen. Dadurch passiert es
schnell, dass ein Kind eher unterschätzt wird, vor allem, wenn sein Verhalten passiv und
anteillos wirkt.
4.1. Schüchternheit in Bezug zur sportlichen Leistung
Schon flüchtige Beobachtungen während dem Sportunterricht können ausreichen, um
festzustellen, dass schüchterne Kinder, wenn sie die Möglichkeit haben, im Sportunterricht
eher am Rand stehen und keine ungebremste Einsatzfreude an Spielen und Übungen zeigen.
Oft unternehmen sie auch Vermeidungsversuche oder ein Ausweichmanöver, um möglichst
nicht in den Mittelpunkt gerückt zu werden, was im Sportunterricht schnell einmal passieren
39
kann. Daher kommt die Frage auf, ob die Abneigung gegenüber sportlichen Aktivitäten sogar
als typisches Begleitmerkmal von Schüchternheit bezeichnet werden kann.72
Schüchternheit und sportliche Leistung im Grundschulalter
Leider existiert hierzu wieder wenig wissenschaftliche Literatur und es lassen sich selten
ausführliche Ergebnisse oder gezielte Studien zu Schüchternheit und sportlicher Leistung
finden. Bekannt ist, dass Sport eher „Jungssache“ ist und Jungen ihr Selbstverständnis schon
sehr früh an sportlichen Aktivitäten und Fähigkeiten fest machen. Eine Studie von Engfer
(1993) bestätigt die geschlechtsabhängige Bedeutung des Sports. In ihrer Längsschnittstudie
richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf 25 Jungen und 14 Mädchen im Alter von knapp drei
Jahren. Die Autorin fand heraus, dass die Schüchternheit der Jungen in späterer Beziehung
zu ihrer Selbsteinschätzung in Sport stand und auch die aktuelle Schüchternheit der damals
Sechsjährigen negative Auswirkungen auf die eigene Fähigkeitseinschätzung zeigte. Bei den
Mädchen konnte jedoch kein Bezug festgestellt werden. Derartige Geschlechtsunterschiede
findet man aber nicht generell.73
Eine andere Untersuchung von Croizer (1995), bei der sich Kinder im Alter von neun bis zwölf
Jahren mit Hilfe einer erprobten Schüchternheitsskala für Kinder (Children’s Shyness
Questionnaire) und der Selbstkonzeptskala von Harter (1985), die auch Subskalen zur
sportlichen Kompetenz und zur Zufriedenheit mit der eigenen physischen Erscheinung
beinhaltet, selber einschätzten, brachte neue Erkenntnisse. Es konnte herausgefunden
werden, dass diese beiden Merkmale bei schüchternen Kindern deutlich negativ ausfallen
(bei Jungen etwas stärker als bei Mädchen). Das bedeutet, dass sowohl schüchterne Jungen
als auch schüchterne Mädchen ihre eigenen sportlichen Fähigkeiten unterschätzen und ein
Problem mit ihrem äußeren Erscheinungsbild haben. Mit zunehmender Schüchternheit,
steigt auch die immer ungünstiger ausfallende Selbsteinschätzung der sportlichen
Fähigkeiten und die weniger ausgeprägte Zufriedenheit mit dem Erscheinungsbild.74
Die von Lehrern wahrgenommene Anstrengung der Kinder im Sport hat einen großen
Einfluss auf die Schüchternheitseinschätzung. Dies gilt ab dem vierten Schuljahr für Jungen
72
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 122
Vgl. ebd.
74
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 122f
73
40
und Mädchen gleichermaßen. Für die schüchternen Kinder bedeutet das: die sportliche
Selbstwahrnehmung beeinflusst das Ausmaß der Motivation, welches wiederum die
Schüchternheitswahrnehmung der Lehrperson beeinflusst. Dies bedeutet also, wenn ein
Kind seine sportlichen Fähigkeiten unterschätzt und denkt, dass es unsportlich ist, baut es
auch keine Motivation auf. Diese Motivation ist aber für die Leistungsbeurteilung der Lehrer
ausschlaggebend, da diese großen Wert darauf legen, dass ein Kind motiviert ist und gerne
den Sportunterricht besucht. Steht es lieber abseits und nimmt an den Übungen nur
widerwillig teil, wird seine Leistung schlechter beurteilt. Kinder die sportlich motiviert sind,
werden also unabhängig vom Geschlecht als weniger schüchtern beurteilt als nicht
motivierte.75
Ein bedeutsamer Unterschied zwischen Mädchen und Jungen zeigt sich in der Beziehung
zwischen der Selbstwahrnehmung und der Motivationseinschätzung durch eine Lehrperson.
Wenn Jungen vom Sportlehrer oder von der Sportlehrerin als motiviert angesehen werden,
steigt auch ihre Selbsteinschätzung und ihre Selbstwahrnehmung bezüglich ihrer sportlichen
Leistung. Bei Mädchen ist die beobachtete Motivation im Gegensatz zu der der Jungen
unabhängig von ihrer Selbsteinschätzung. Dies lässt vermuten, dass die SportSelbstwahrnehmung der Mädchen zu diesem Zeitpunkt (Schulbeginn) weniger verankert und
somit weniger veränderbar ist als bei den Jungen. Im dritten Schuljahr sind jedoch keine
Geschlechterunterschiede mehr zu beobachten und es besteht nun bei beiden
Geschlechtern ein Zusammenhang zwischen der Selbstwahrnehmung und der von außen
wahrnehmbaren Motivation.76
Doch was hat sich ereignet, dass diese Veränderung stattfindet? Der negative
Zusammenhang zwischen wahrgenommener Schüchternheit und der Motivation hat sich auf
Seiten der Lehrer vom ersten bis zum dritten Schuljahr nicht markant verändert. Aus diesem
Grund ist eine Veränderung bei der Selbstwahrnehmung wahrscheinlicher. Eine
geschlechterspezifische Studie bestätigte den negativen Einfluss der von Lehrern
wahrgenommenen Schüchternheit im ersten Schuljahr auf die Sport-Selbstwahrnehmung
der Mädchen im dritten Schuljahr. Da dieser Effekt bei Jungen nicht auftritt, lässt sich daraus
schließen, dass die Selbstwahrnehmung der Jungen eine höhere Stabilität aufweist. Dies
bedeutet, dass Mädchen, die in der ersten Klasse auf die Lehrer einen schüchternen
75
76
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 123f
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 124f
41
Eindruck machen, sich auch im Verlauf der weiteren Schuljahre immer weniger im
Sportunterricht zutrauen und ihre sportlichen Fähigkeiten immer schlechter einschätzen.77
Schüchternheit und sportliche Leistung im Jugend- und Erwachsenenalter
Die Interpretationen bezüglich der Leistung in Sport spielen zu Beginn der Schulzeit eine
wichtige Rolle. Aber auch in späteren Schuljahren gibt es immer noch negative
Zusammenhänge zwischen Schüchternheit und anderen Lehrerurteilen. McHale et al. (2005)
fragte über 400 Jugendliche im siebten Schuljahr nach deren sportlichen Aktivitäten,
insbesondere nach Teamsport. Die Lehrer beurteilten darauf die soziale Kompetenz, die
Schüchternheit und die Aggressivität der betreffenden Schüler. 77 Prozent der Jungen und
50 Prozent der Mädchen gaben an, Teamsport betrieben zu haben. Es dürfte nicht zu
überraschend sein, dass die Teamasportler(innen) von den Lehrern als sozial kompetenter
und weniger schüchtern eingestuft wurden. Dies betraf gleichermaßen Mädchen und
Jungen.78
Page und Hammermeister (1995) befragten in einer Studie 882 College-Studierende, die an
Sportkursen teilnahmen und durchschnittlich 21,4 Jahre alt waren, wie häufig sie in einer
Woche Sport treiben. Sie konnten herausfinden, dass die Häufigkeit des Trainings in
deutlichem Zusammenhang mit selbst berichteter Einsamkeit, sozialer Unzufriedenheit und
Schüchternheit standen. Vor allem Personen, die selten oder nie trainierten, erzielten
wesentlich höhere Werte in den Selbsteinschätzungen von Schüchternheit, Einsamkeit und
Unzufriedenheit.79
Cheek, Melchior und Carpentieri (1986) untersuchten die Schüchternheit bei CollegeStudierenden im Grundstudium. Im Zusammenhang mit Sport sind die Ergebnisse zur
Selbsteinschätzung der sportlichen Fähigkeiten und zur körperlichen Erscheinung von
Bedeutung. Bei den 47 männlichen Studenten stand Schüchternheit leicht negativ zur selbst
eingeschätzten sportlichen Fähigkeit. Bei den 59 Studentinnen konnte dieser
Zusammenhang nicht nachgewiesen werden. Jedoch zeigte sich bei ihnen die Beziehung
zwischen der Selbsteinschätzung der körperlichen Erscheinung und der Schüchternheit
77
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 125f
. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 126
79
Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 127
78
42
stärker. Dieses Ergebnis entspricht auch dem Versuch von Croizer (1995), der sich auf die 9bis 12-Jährigen bezog.80
Mögliche Wurzeln für dieses Verhalten
Man kann zwar nicht behaupten, dass Schüchternheit gleichbedeutend mit der Abneigung zu
Sport ist, doch hat sich herausgestellt, dass Vorbehalte gegenüber bestimmten sportlichen
Aktivitäten bei Schüchternen kaum zu leugnen sind. Es ist bekannt, dass Zusammenhänge
zwischen Schüchternheit und Depression bestehen, sowohl bei Kindern im ersten Schuljahr
(Edelsohn et al., 1992) als auch bei jungen Erwachsenen (Traub 1983). Depression begünstigt
eine negative Selbsteinschätzung, geht mit Unlust an körperlicher Betätigung einher und
häufig fühlen sich schwer depressive Menschen nicht einmal mehr in der Lage, das Bett zu
verlassen. Ein weiteres Indiz für die bestehende Verwandtschaft von Schüchternheit und
depressiven Verstimmungen ist die durch die Presse bekannt gewordene „Pille gegen
Schüchternheit“. Das Medikament namens Seroxat ist eigentlich als Antidepressivum
entwickelt worden, zeigt aber auch gegen Schüchternheit eine günstige Wirkung.81
Untersuchungen von Georg Stöckli haben gezeigt, dass eine enge Verbindung zwischen
Schüchternheit und der Häufigkeit trauriger Gestimmtheit bei Kindern im vierten Schuljahr
besteht. Außerdem sind schüchterne Kinder für depressive Verstimmungen besonders
anfällig.82
Eine zweite zentrale Erklärung für das Verhältnis der Schüchternen zum Sport ist die
Abneigung der Schüchternen gegenüber bestimmten Arten der Selbstpräsentation.
Schüchterne Kinder stehen ungern im Mittelpunkt, richten die Aufmerksamkeit viel stärker
auf sich selber als andere Kinder und haben manchmal auch zusätzlich noch von sich selbst
das Bild einer unbeholfenen, tollpatschigen Person im Kopf. So kann der Sportunterricht mit
seinen unzähligen Momenten möglicher Bloßstellungen für sie schnell zum Alptraum
80
Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 127f
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 128
82
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 1128f
81
43
werden. Es ist also wichtig, in Zukunft noch mehr über das Körpergefühl schüchterner Kinder
in Erfahrung zu bringen, da dieses Themengebiet viel zu nachlässig erforscht wurde.83
Für meine Fragestellung bedeutet dies, dass Schüchternheit mit negativen Leistungen im
sportlichen Bereich einhergeht. Da schüchterne Menschen häufig ihren eigenen Körper nicht
mögen und selbst mit sich unzufrieden sind, ist es für sie schwer, im Sportunterricht die
gleiche Leistung zu erzielen wie nicht Schüchterne. Im Sportunterricht geht es darum, sich
(seinen Körper) zu präsentieren. In keinem anderen Fach wird der Schüler auf diese Weise
„bloßgestellt“. Ich denke, es kommt aber auch stark darauf an, welche Sportart bewertet
wird, denn ich könnte mir gut vorstellen, dass nicht alle Sportarten für schüchterne Schüler
mit einer Art Bloßstellung einhergehen. Im Leichtathletik-Unterricht, z.B. beim Laufen, ist die
Aufmerksamkeit meiner Meinung nach nicht so sehr auf den Körper und damit auf die
Person gerichtet, weil oft in Gruppen gelaufen wird und eine schüchterne Person in der
Menge verschwinden kann und nicht das Gefühl hat, total beobachtet zu werden. Ich denke,
anders könnte es sich beispielsweise beim Tanzen verhalten. Muss zum Beispiel eine
schüchterne Person alleine oder vielleicht mit einer anderen Person zusammen vortanzen,
richtet sich eine starke Aufmerksamkeit auf sie. Außerdem muss die Person vielleicht
Bewegungen machen, die sie normalerweise nicht so gern ausüben würde und sich deshalb
zusätzlich unwohl fühlt. Schüchterne versuchen, Situationen der Selbstpräsentation
möglichst zu vermeiden. Sie wollen keinesfalls im Mittelpunkt stehen und die
Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die Studie von Engfer hat gezeigt, dass Schüchternheit
zumindest bei den Jungen in Beziehung zu ihrer späteren Selbsteinschätzung im
Sportunterricht steht. Aufschluss darüber, dass schüchterne Jungen und Mädchen ihre
eigenen sportlichen Fähigkeiten unterschätzen und zusätzlich ein Problem mit ihrem
äußeren Erscheinungsbild haben, brachte die Untersuchung von Croizer.
Lehrpersonen beurteilen die sportliche Leistung nach der Anstrengung der Kinder im
Unterricht. Da die sportliche Selbstwahrnehmung das Ausmaß der Motivation beeinflusst,
liegt es nahe, dass schüchterne Kinder schlechter beurteilt werden. Diese unterschätzen
häufig ihre sportlichen Fähigkeiten und denken, dass sie unsportlich sind. So kommt es, dass
sie keine Motivation aufbauen, die jedoch für die Leistungsbeurteilung der Lehrer
ausschlaggebend ist, da sportlich motivierte Kinder, unabhängig vom Geschlecht, als
83
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 130
44
weniger schüchtern eingestuft werden. Außerdem steigt bei Kindern die Selbsteinschätzung
bezüglich ihrer sportlichen Leistung, wenn sie vom Lehrer als motiviert eingestuft werden.
Auch konnte herausgefunden werden, dass die Selbstwahrnehmung der Jungen eine höhere
Stabilität aufweist und Mädchen ihre Selbstwahrnehmung häufiger verändern.
Auch die die Häufigkeit des Trainings steht im Zusammenhang mit Schüchternheit. Page und
Hammermeister fanden heraus, dass Jugendliche, die häufiger trainierten, nicht so oft unter
Einsamkeit und sozialer Unzufriedenheit litten.
4.2. Geschlecht als Einflussgröße
Untersucht hat man die Leistungsbeurteilung und Notengebung in Bezug auf die
Geschlechter, da das Geschlecht in zweifacher Hinsicht maßgebend sein kann. Es werden in
der Schule nicht nur „Kinder“ von „Lehrern“ unterrichtet, sondern Jungen und Mädchen von
Lehrern und Lehrerinnen. Das Geschlecht kann sich theoretisch also gleich zweimal und
zusätzlich zum Sozialverhalten auf die Leistungsbeurteilung auswirken.84
Die Untersuchung erfolgte pro Schulfach (Deutsch, Englisch, Französisch und Mathematik)
und bezog sich auf 380 Schüler und Schülerinnen aus 20 fünften und sechsten Klassen. Was
die schüchternen Kinder betrifft, fällt auf, dass es bei der Einschätzung der
Leistungsfähigkeiten in den Sprachfächern Deutsch, Englisch und Französisch egal ist,
welchem Geschlecht die Schüler und welchem die Lehrer angehören. Das liegt daran, dass
schüchterne Kinder typischerweise Angst vor „Auftritten vor anderen“ haben. Die
Sprachfächer orientieren sich jedoch stark auf den mündlichen Unterricht und so ist die
mündliche Mitarbeit ein zentrales Erfolgskriterium in diesen Fächern. Damit haben sowohl
schüchterne Jungen wie auch schüchterne Mädchen ihre Probleme - und dies bei einer
Lehrerin ebenso wie bei einem Lehrer. Interessant ist jedoch, dass sich die allgemein
schwächere Beurteilung von schüchternen Kindern nicht so stark in der Deutschnote
ausprägt. In Deutsch erzielen die Jungen allgemein eine schlechtere Leistung als Mädchen,
jedoch schneiden nur Mädchen im Hinblick auf Schüchternheit im Fach Deutsch schlechter
ab. Dieser Umstand trifft genauso auf die Leistungsfähigkeit im Fach Mathematik zu, so kann
man davon ausgehen, dass schüchterne Jungen teilweise immun gegen eine aufgrund der
84
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 161
45
Schüchternheit schlechteren Leistungsbeurteilung sind. Dies bestätigt sich noch stärker,
wenn auf die Mathematiknote geachtet wird. Merkwürdigerweise lässt sich nur bei
schüchternen Mädchen, die den Mathematikunterricht bei einem Lehrer besuchen, eine
massiv schlechtere Benotung feststellen.85
Die negativen Auswirkungen von Aggressivität sind vergleichbar mit denen von
Schüchternheit. In den Sprachfächern erfahren aggressive Kinder unabhängig vom
Geschlecht eine schlechtere Bewertung als nicht aggressive Kinder. Das klassische maskuline
Fach Mathematik bildet jedoch eine Ausnahme. Die Note in Mathematik ist bei aggressiven
Jungen, unabhängig vom Geschlecht des Lehrers, stärker betroffen als die der aggressiven
Mädchen. Verblüffend ist, dass das Geschlecht in Hinsicht auf Lehrer und Schüler für die
Bewertung in sämtlichen Sprachfächern eine wichtige Rolle spielt. Lehrer beurteilen die
Leistungen der Mädchen besser und umgekehrt beurteilen Lehrerinnen die Leistungen der
Jungen besser. Der Charme der Mädchen und Jungen wirkt sich auf diese
gegengeschlechtliche Weise positiv darauf aus, wie die Leistung beurteilt wird. Für Lehrer ist
die Sozialkompetenz und die Schüchternheit ein wichtiger Faktor für die Benotung. Bei den
Mädchen wirkt sich Sozialkompetenz positiv auf die Mathematik- und Deutschnoten bei
einem Lehrer aus und somit sind sozial kompetente Mädchen in Hinsicht auf die
Mathematiknote das genaue Gegenstück zu schüchternen Mädchen, das Klischee „Mathe:
nichts für Mädchen“ (vgl. Beerman, Heller, Menacher,1992) erfährt durch schüchterne
Mädchen Bestätigung. Im Gegensatz dazu widerlegen sozial kompetente Mädchen diese
Aussage völlig.86
Für meine Fragestellung bedeutet dies, dass Schüchternheit je nach Geschlecht der
Betroffenen unterschiedliche Auswirkungen zeigen kann. Es ist also möglich, dass ein
schüchterner Junge in der Leistung anders als ein schüchternes Mädchen beurteilt wird.
Außerdem stellt sich heraus, dass Schüchternheit in unterschiedlichen Situationen mehr
oder weniger stark zum Ausdruck kommen kann. Die Hemmungen eines schüchternen
Kindes können zum Beispiel in Fächern wie Kunst oder Technisches Werken, in denen der
Schwerpunkt mehr auf die manuelle Tätigkeit als auf die mündliche Mitarbeit gelegt wird,
weniger zum Vorschein kommen und sich deshalb nicht auf die Leistungsbewertung
auswirken.
85
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 155
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 156f
86
46
4.3. Wie wirkt sich Schüchternheit in nachfolgenden und höheren
Bildungsstufen aus?
Bis jetzt beschränkt sich meine Arbeit nur auf die Leistung schüchterner Kinder in der
Grundschule und die fünfte bis sechste Klasse, doch stellt sich natürlich auch die Frage, ob
schüchterne Kinder in späteren Jahren, wenn sie in eine höhere Bildungsstufe kommen,
durch ihre Schüchternheit Benachteiligung erfahren. Bis heute liegen für die höheren
Bildungsstufen nur wenige und unzureichende Ergebnisse im Zusammenhang von
Schüchternheit auf die Studienleistung vor. Nur schwer lassen sich offizielle Bewertungen
oder Testergebnisse finden.87
Es stellen sich nur teilweise und schwache Zusammenhänge zwischen Schüchternheit und
den erbrachten Leistungen in den höheren Bildungsstufen heraus. Überraschend ist, dass
sich Schüchternheit auch positiv auf die Leistung auswirken kann. Traub (1983) untersuchte
den Zusammenhang von Schüchternheit auf die Leistung, indem er 187 Absolventinnen und
Absolventen von Einführungskursen in Psychologie mit Hilfe von zehn Schüchternheits-Items
aus der Untersuchungsreihe von Zimbardo (1994) zuordnete. Er fand heraus, dass Schüler,
die schüchterner waren, sogar etwas bessere Schulleistungen erzielten. Daraus folgerte er,
dass sich das Rückzugsverhalten der schüchternen Schüler günstig auf das Lernverhalten
auswirke. Schüchterne verbringen nämlich oft mehr Zeit mit Lernen, da sie außerhalb der
Schulzeit häufig andere Aktivitäten meiden. So haben sie mehr Zeit, sich auf die Schule zu
konzentrieren. Durch erzielte Erfolge werden sie sogar zusätzlich bestärkt. (Traub, 1983, S.
850). Jedoch kann man nicht mit Sicherheit sagen, ob Schüchterne aufgrund ihrer
eingeschränkten sozialen Aktivitäten in weiterführenden Schulen einen Vorteil habenobwohl zwischen Schüchternheit und Intelligenz mit Sicherheit kein Zusammenhang besteht.
Dies ergab die Untersuchung von College-Studierenden von D’Souza und Singh (1999).88
In einer weiteren Untersuchung mit 99 College-Studierenden testete man die kreativen
Lösungsvorschläge zu einem vorgegebenen Problem. Die Ergebnisse zeigten, dass
Schüchterne weniger Ideen äußerten als Nichtschüchterne und mit ihren erzielten Lösungen
87
88
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 157
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 155
47
weniger zufrieden waren. Die Schüchternen schnitten also schlechter ab, was jedoch keine
Rückschlüsse auf die tatsächlich vorhandenen Fähigkeiten zulässt.89
Cheek und Stahl (1986) untersuchten die These, ob bei Schüchternen eine eingeschränkte
verbale Kreativität vorliegt. Dazu mussten die Versuchspersonen Gedichte verfassen, die
später hinsichtlich ihrer Kreativität beurteilt wurden. Es konnte bestätigt werden, dass sich
der negative Zusammenhang zwischen Schüchternheit und der Qualität der Gedichte bei
hoher privater Selbstaufmerksamkeit und angekündigter Bewertung verstärkte.90
Ich folgere daraus, dass der Bewertungsdruck bei den Schüchternen zu Stress führt. Die
Konzentration wird eingeschränkt, was wiederum bewirkt, dass der Schüler eine schlechtere
Leistung erzielt als es seine Fähigkeiten in einer stressfreien Situation erlauben würden.
Von Asendorpf wurden die Persönlichkeitsentwicklung und die sozialen Beziehungen von
132 Studienneulingen (92 Studienanfängerinnen und 40 Studienanfängern) erforscht. Eine
18-monatige Längsschnittstudie richtete sich auf die Qualität der sozialen Beziehungen aus.
Es ging hierbei also nicht um den Studienverlauf oder die Studienbewältigung, sondern
einzig und allein um die sozialen Kontakte, die während dieser Zeit geschlossen wurden. Es
konnte herausgefunden werden, dass sich Einflüsse der Persönlichkeit auf das Sozialleben
der Studierenden auswirkten. Schüchterne gewannen in dieser Zeitspanne weniger Freunde
oder Freundinnen und führten auch seltener eine romantische Beziehung. Mit der Zeit nahm
die Schüchternheit jedoch leicht ab. Dies kann mit der anfänglichen Fremdheit und der
neuen Umgebung erklärt werden, so konnte das Vertrauen mit der Hochschulsituation nach
und nach wachsen. (Asendorpf und Wilpers, 1998).91
Letztlich lässt sich sagen, dass durch den Blick, der auf die weiterführenden Schulen gelegt
wird, weitere Forschungsthemen offen gelegt werden. Aufgrund der unzureichenden
Versuche zu diesem Themengebiet sind langzeitlich angelegte Studien zu den
Bildungsverläufen und Unterrichtsbeobachtungen erforderlich. Es liegt der Verdacht nahe,
dass Schüchterne im Bildungssystem der westlichen Kulturen schon sehr früh und allgemein
89
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 159
Vgl. ebd.
91
Vgl. ebd.
90
48
unangemessen beurteilt werden. Deshalb bleibt zu fragen, ob Schüchterne in anderen
Kulturen besser beurteilt werden.92
Für meine Fragestellung bedeutet dies, dass Schüchternheit nicht zwingend mit schlechteren
Leistungen einhergeht. Es zeigt sich, dass sich Schüchternheit gerade auf die schriftlichen
Noten positiv auswirken kann. Meiner Meinung nach besteht zwischen der schriftlichen und
der mündlichen Note auch in späteren Schuljahren eine Differenz. Ich denke, die These von
Cheek und Stahl zeigt deutlich, dass ältere, schüchterne Schüler im mündlichen Bereich noch
die gleichen Probleme wie Grundschulkinder haben, nämlich, dass sie sich in
Stresssituationen aufgrund der erhöhten Selbstaufmerksamkeit nicht so gut konzentrieren
können. In höheren Bildungsstufen existieren nur schwache Zusammenhänge zwischen
Schüchternheit und den erbrachten Leistungen. Traub fand heraus, dass sich Schüchternheit
sogar positiv auf die Leistung auswirken kann, da das Rückzugsverhalten der schüchternen
Schüler das Lernverhalten positiv beeinflusst. Jedoch zeigt sich, dass Schüchterne weniger
Lösungsvorschläge zu einem vorgegebenen Problem äußern als Nichtschüchterne, wobei
man keine Rückschlüsse auf die tatsächlichen Fähigkeiten der Schüchternen ziehen kann.
Außerdem konnten Cheek und Stahl darüber aufklären, dass bei Schüchternen unter
Leistungsdruck eine eingeschränkte verbale Kreativität vorliegt. Sobald Schüchterne wissen,
dass ihre Leistung bewertet wird, führt das bei ihnen zu Stress und sie können nicht mehr die
gleiche Leistung erbringen wie in einer stressfreien Situation.
5. Wie häufig oder selten ist Schüchternheit?
Leider ist auch dieses Thema, was Fachliteratur angeht, ziemlich vernachlässigt worden.
Trotzdem sprechen die Zahlen zur Selbstbeurteilung von Schüchternheit eine deutliche
Sprache. Die Mehrheit der Erwachsenen gibt an, dass sie zu irgendeinem Zeitpunkt in ihrem
Leben bereits Erfahrungen mit Schüchternheit gemacht hat und die meisten von ihnen in der
Schüchternheit ein persönliches Problem gesehen haben. In Deutschland beläuft sich diese
Zahl auf 82 Prozent, in den USA immerhin auf 73 Prozent. Eine Befragung von Cheek et al.
(1986) zeigte, dass sich von 118 College-Studentinnen 43 Prozent als gegenwärtig
92
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 159f
49
schüchtern bezeichneten. 41 Prozent gaben an, sie seien früher schon einmal schüchtern
gewesen und nur 16 Prozent behaupteten, sie hätten Schüchternheit noch nie erlebt, weder
früher noch heute.93
Eine Übersicht zur Schüchternheit in den bestimmten Kulturen liefern die Ergebnisse des
Stanford Shyness Projects von Zimbardo (1994; 1986). Sie zeigen die Verbreitung der
momentanen Schüchternheit bei 18- bis 21- jährigen Erwachsenen.
Japan
Taiwan
Deutschland
Anteil der momentan
schüchternen 18- bis 21jährigen Erwachsenen in
verschiedenen Nationen
(Auswahl nach Zimbardo, 1994,
S.304)
Indien
US-Studierende
Mexiko
Israel
0
20
40
60
80
94
Das Diagramm lässt deutlich erkennen, dass Schüchternheit in Japan und in Taiwan stärker
verbreitet ist als in anderen Kulturen. In Japan bekennen sich 60 Prozent zur Schüchternheit,
in Deutschland immerhin die Hälfte.95
Wie häufig Schüchternheit bei Kindern vorkommt, ist nur schwer zu sagen. Man kann sich
nur auf die Urteile der Mütter oder der Erzieher beziehen. Kagan, Reznick und Snidman
(1987) beobachteten das gehemmte Verhalten von Kindern entweder im Labor oder
bezogen sich auf telefonische Auskünfte. Das Ziel war, gehemmte Kinder im Alter von 21 bis
31 Monaten zu finden. Um 60 sehr gehemmte Kinder herauszufinden, mussten sie 400
Kinder analysieren. Die Anzahl der schüchternen Kinder beläuft sich nach ihren
Beobachtungen auf etwa einen Wert von 15 Prozent. Bei einer anderen Untersuchung von
93
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 19
Vgl. ebd.
93
Vgl. ebd.
93
50
Berg et al. (1976) sollten Klassenlehrer ihre Kinder der ersten bis vierten Jahrgangsstufe der
Grundschule mit Hilfe einer Liste, die eine Reihe von Stichworten zu
Verhaltensauffälligkeiten beinhaltete, zuordnen. Schüchternheit und Gehemmtheit
befanden sich zwar nicht unter den vorgegebenen Begriffen, jedoch gab es ein paar
Verhaltensweisen, die wenigstens mit Schüchternheit in Verbindung gebracht werden
konnten.96
Unkonzentriertheit
Leistungsstörungen
Mangelndes Selbstvertrauen
Überempfindlichkeit
Ungehorsam
mäßig
Ängstlichkeit
stark
Kontaktprobleme
Aggressives Verhalten
Wutausbrüche
Depressive Verstimmung
Übertriebene Anpassung
0
10
20
30
40
50
97
Abb: Angaben in Prozent
Es gibt für dieses Diagramm jedoch keinen Rückschluss auf die Gesamtzahl der Kinder, da die
Prozentangaben nur die Kinder betreffen, für die mindestens einmal eine starke
Verhaltensauffälligkeit genannt wurde. Spitzenreiter ist eindeutig die Unkonzentriertheit
(47,5%), doch erstaunlicherweise ist mangelndes Selbstvertrauen bei ziemlich vielen Kindern
festzustellen und auch Kontaktprobleme treten häufiger auf als aggressives Verhalten. 98
Bei einer Befragung von 406 Kindern im vierten Schuljahr füllten die Lehrer pro Kind der
Klasse eine Liste mit verschiedenen Verhaltensmerkmalen aus.99
96
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 20
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 21
98
Vgl. ebd.
99
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 22
97
51
50
45
40
35
30
25
Mädchen
20
Jungen
15
10
5
0
Aggressiv
nicht/kaum
schüchtern
mäßig schüchtern ziemlich/besonders
schüchtern
100
Abb: Von den Lehrerinnen und Lehrern eingeschätzte Schüchternheit bei Kindern im vierten
Schuljahr unter Berücksichtigung der Aggressivität. (Angaben in Prozent). Aus Stöckli (1999,
S.22)
Das Diagramm zeigt die geschlechtsgetrennten Anteile. Als ziemlich oder besonders
schüchtern werden 16,5 Prozent bezeichnet. Insgesamt liegt der Anteil der mehr oder
weniger schüchternen Kinder mit 40,8 Prozent überraschend hoch. Schlussfolgernd lässt sich
feststellen, dass Schüchternheit bei Schulkindern ähnlich verbreitet ist wie bei
Erwachsenen.101
Bei der Durchsicht der Literatur fiel mir auf, dass die Angaben über Schüchternheit recht
unterschiedlich ausfallen können. Das kann unter anderem auch damit zusammenhängen,
dass je nach Methodenansatz statistische Ergebnisse recht unterschiedlich ausfallen können.
Dennoch kann man davon ausgehen, dass ungefähr jedes sechste Kind in der Grundschule
als besonders schüchtern einzustufen ist. Daher ist es umso wichtiger, dass die Kinder von
den Lehrern ermutigt und motiviert werden, ihre Fähigkeiten zum Ausdruck zu bringen.
6. Exkurs: Schüchternheit in anderen Kulturen
100
101
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 22
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 23
52
In China ist „Guai Hai Zi” die Bezeichnung für ein ruhiges, schweigsames und schüchternes
Kind, das Wort hat jedoch die Bedeutung „gut“ oder „brav“. Schüchternheit erfährt in China
also eine positive Wertung. Auch in der Philosophie des Konfuzius wird deutlich, dass
Zurückhaltung und Bescheidenheit zu den höchsten Tugenden gehören und Ausdruck
menschlicher Reife sind. So kann man sagen, dass China eine „Kultur der Zurückhaltung“ ist
und schüchternes Verhalten hier als besonders ausgeprägte Form der Höflichkeit und
sozialer Kompetenz verstanden wird. Es stellt sich nun die Frage, ob in China und in den
anderen östlichen Kulturen Schüchternheit häufiger anzutreffen ist als bei uns im Westen
und ob Schüchternheit dort gern gesehen ist und nicht wie bei uns als negativ und
unerwünscht abgeschrieben wird.102
6.1. Chinesische Kinder in der Schule
Einen guten Einblick in die kulturspezifische Wirkung und Wertung von Schüchternheit erhält
man, wenn man die Lage der chinesischen Kinder im Grundschulalter betrachtet. Chen,
Rubin und Li (1995a) verglichen eine Gruppe schüchterner Kinder mit einer Gruppe
aggressiver und einer Gruppe nicht schüchterner Kinder des zweiten und vierten
Schuljahres. Die Ergebnisse bezogen sich auf die Einschätzungen der Klassenkameraden, so
sollte die Stellung der jeweiligen Gruppen im Klassenverband herausgefunden werden. Für
die aggressiven Kinder kam es zu ähnlichen Ergebnissen wie auch bei uns im Westen.
Aggressivität ging für die Betroffenen mit sozialer Ablehnung, Schwierigkeiten in der Schule
und schlechteren Leistungen einher. Aggressive Kinder waren aufgrund ihres Verhaltens in
der Klasse also nicht hoch angesehen. Im Gegensatz zu den aggressiven Kindern erzielten die
schüchternen Kinder eine erstaunlich positive Einschätzung. Sie hatten in ihrer Klasse viele
Freunde und erzielten in Mathematik bessere Leistungen als aggressive oder nicht
schüchterne Kinder. Die Autoren schlossen daraus, dass Schüchternheit in China als eine
besonders positive Eigenschaft angesehen und mit Höflichkeit und Wohlverhalten in
Verbindung gebracht wird.103
102
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 161
103
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 165f
53
Dieselben Forscher (Chen, Rubin und Li, 1995b) führten zwei Jahre später dieselbe
Untersuchung noch einmal durch. Die damals 8- und 10-jährigen Kinder waren nun 10 und
12 Jahre alt und wurden erneut befragt. Überraschenderweise konnte das Ergebnis von
damals (schüchternes Verhalten wird von den Mitschülern als positiv gewertet und führt zu
mehr Beliebtheit, aber nicht zu Ablehnung) bei den 12-jährigen Kindern nicht mehr bestätigt
werden. Das Bild kehrte sich für sie vollkommen um, und sie wurden nun aufgrund ihres
schüchternen Verhaltens sogar leicht von ihren Mitschülern abgelehnt. Die Einschätzung der
Lehrkräfte veränderte sich im Laufe des Alters der Kinder jedoch nicht. Sowohl mit 10 als
auch mit 12 Jahren erhielten die Schüchternen eine positivere Einschätzung. Die Lehrer
schätzten zum Beispiel ihre schulischen Leistungen besser ein und verliehen den
schüchternen Kindern öfter Führungsaufgaben in Gruppenarbeiten.104
Georg Stöckli (Stöckli, 2002b) führte zehn Jahre später eine eigene Untersuchung durch. Er
ging der Frage nach, wie Schüchternheit aus der Sicht der Lehrer mit der schulischen
Leistung und der Beliebtheit bei schweizerischen und chinesischen Kindern zusammenhängt.
Hierzu wurden die Kinder geschlechtsabhängig beurteilt, damit herausgefunden werden
konnte, ob Schüchternheit, abhängig vom Geschlecht, verschiedene Auswirkungen hat. Die
Stichprobe aus der Schweiz zeigte, dass Schüchternheit sowohl auf die schulische als auch
auf die sportliche Leistung und auf die Beliebtheit negative Auswirkungen hat und in der
Schweiz als generell nachteiliges Merkmal gilt. Das Ergebnis der chinesischen Stichprobe
besagte, dass Schüchternheit nur bei Mädchen zu negativen Auswirkungen führt. Dies führt
zur Überlegung, ob im heutigen China nur noch eine neutrale Wertung von Schüchternheit
bei den Jungen zu finden ist. Aber auch in der Schweiz gibt es Bereiche, bei denen sich
Schüchternheit nur bei Mädchen negativ auswirkt (Deutsch- und Mathematiknote). Daraus
kann man folgern, dass das Geschlecht ein noch wichtigeres Kriterium als der kulturelle
Hintergrund ist. Jedoch spielen die kulturellen Unterschiede nach wie vor eine wichtige
Bedeutung bei der sozialen Wertung von Schüchternheit.105
104
105
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 166f
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 167f
54
12
11,5
11
10,5
10
Schweiz
9,5
China
9
8,5
8
Grundausbildung
Berufsausbildung
Weiterführende Höhere Ausbildung
Ausbildung
106
Abb: Schüchternheit bei schweizerischen und chinesischen Schulkindern in Abhängigkeit
vom Bildungsniveau der Eltern.
Mithilfe des Diagramms lässt sich gut erkennen, dass die Schüchternheit in der Schweiz mit
zunehmenden Bildungsniveau der Eltern abnimmt. Schüchternheit ist also in diesem Land
vorwiegend ein Merkmal der unteren Schichten. In China findet man umgekehrte
Verhältnisse. Die weniger gebildeten Bevölkerungsgruppen neigen dort weniger zur
Schüchternheit, dafür zeigt sich bei den beruflich oder höher Gebildeten ein gewisses Maß
an Schüchternheit.107
Jedoch sind weitere Untersuchungen nötig, um die Ausformung, die Wirkung und die
Stabilität und die eventuelle Altersabhängigkeit der Kulturen angemessen beurteilen zu
können. Trotzdem gibt es einige Hinweise dafür, dass die positive Bedeutung von
Schüchternheit in China einem Wandel unterworfen ist. Durch die veränderten
wirtschaftlichen, ökonomischen, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und dem
neuartigen individuellen Erfolgsdruck wird ein anderes Auftreten als das des „Guai Hai Zi“
(gutes, braves Kind im Sinne von schüchtern) gefordert.108
Es wird deutlich, dass Schüchternheit nicht in jedem Land mit eher negativer
Leistungsbeurteilung einhergeht. Schüchternheit hängt also stark von der Kultur und vom
106
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 168
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 169
108
Vgl. ebd.
107
55
Geschlecht des Betroffenen ab. Jedes Land hat seine eigenen Normen, wie Menschen sich
verhalten sollen, um als erfolgreich angesehen zu werden.
6.2. Chinesischer Unterricht als ein Grund für Schüchternheit
Beim Betrachten der genannten Umstände kommt die Frage auf, warum Kinder in China
eher zur Schüchternheit neigen als zum Beispiel Kinder aus Deutschland oder der Schweiz.
Einen nicht allzu geringen Teil trägt das chinesische Bildungssystem bei.
Das Ziel des Bildungssystems in China besteht unter anderem darin, hundert Millionen
hochklassig ausgebildete Fachkräfte, zehn Millionen Experten und eine Gruppe von
herausragenden Wissenschaftlern hervorzubringen. Daraus folgt, dass in China sehr viel
Wert auf die Bildung gelegt wird. Das Schulleben der Kinder ist sehr hart. Der Unterricht
beginnt meistens bereits um sieben Uhr und endet erst spät am Abend. Auch das
Wochenende der chinesischen Kinder besteht größtenteils aus Lernen und Hausaufgaben
machen. Freizeit haben chinesische Kinder daher kaum. Auf ihnen lastet ein großer Druck.
Da sie meistens Einzelkinder aufgrund der Ein-Kind-Politik sind, entlädt sich dieser umso
stärker. Die Eltern wollen, dass ihr Kind einen begehrten Studienplatz an einer
renommierten Universität bekommt und sparen dafür ihr ganzes Leben. Nur wenn die
Kinder hervorragende Leistungen in der Schule erzielen, sind ihre Eltern zufrieden, doch um
das zu schaffen, bedarf es sehr viel Anstrengung. Der Unterricht in China ist anders
ausgerichtet als in Deutschland. In China wird ein Schüler durch eine falsche Antwort schon
negativ gemaßregelt. So kommt es, dass Schüler oft Hemmungen haben, etwas Falsches zu
sagen und deshalb versuchen sie, sich der Antwort zu entziehen und melden sich kaum oder
gar nicht. Wenn sie vom Lehrer aufgerufen werden, sprechen sie oft nur sehr leise, so dass
Lehrer und Mitschüler sie nur schwer verstehen können. Auch kommt es nicht selten vor,
dass sie sich bei Fehlverhalten endlos lange Standpauken anhören müssen, bei denen der
Lehrer nur kurzzeitig stoppt, um Luft zu holen oder einen Schluck Tee zu trinken.109
Wie in einem früheren Kapitel verdeutlicht wurde, brauchen Kinder Übungssituationen, um
altersgemäßes Verhalten zu trainieren. Es ist wichtig, dass Kinder den Umgang mit
109
Vgl. Gransow Bettina (2009): China verstehen lernen 1, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn Seite
233 und 234
56
Mitmenschen üben und positive Verstärkung erfahren. Da chinesische Kinder aber meist
keine Geschwister haben und den Großteil des Tages in der Schule verbringen, haben sie
kaum die Möglichkeit, mit anderen Kindern intensive Kontakte zu pflegen. Enge
Freundschaften lassen sich häufig nur schwer aufbauen, da chinesische Kinder auch am
Wochenende und in den Ferien mit der Erledigung von Hausaufgaben beschäftigt sind. Es ist
nicht verwunderlich, dass chinesische Kinder als schüchterner eingeschätzt werden als
Heranwachsende aus westlichen Ländern, da in den östlichen Ländern häufig ein sehr
autoritärer Umgang mit ihnen praktiziert wird. Dies führt dazu, dass das Selbstwertgefühl
der chinesischen Kinder nicht ausreichend gestärkt wird, und sie aufgrund der ständigen
Angst zu versagen, ihre Hemmungen nicht überwinden. Schüchternheit hat in China auf die
Leistungsbeurteilung keine negative Auswirkung, da dieses Verhalten von den Lehrern
geschätzt wird.
7. Schüchternheit als Schulproblem: Folgerungen
Für schüchterne Kinder gibt es leider kaum Hilfsprogramme, in die sie eingebunden werden
könnten. Auch ist über das Phänomen Schüchternheit nur sehr wenig bekannt. Grund dafür
ist, dass schüchterne Kinder nicht auffallen, sie stellen keine Risikogruppe wie zum Beispiel
aggressive Kinder dar. Schüchternheit ist also leicht zu übersehen und stört eigentlich auch
niemanden so richtig, da schüchterne Kinder sehr friedlebend und nach außen immer höflich
wirken. Doch für die Kinder, die von Schüchternheit betroffen sind, ist das sehr wohl ein
Problem. Sie haben mit den Konsequenzen zu leben, denn in der Schule sind die negativen
Folgen von Schüchternheit denen von aggressivem Verhalten sehr ähnlich. Dadurch wird
deutlich, dass Schüchternheit genauso wie Aggressivität mit sozialen wie auch mit
leistungsbezogenen Konsequenzen einhergeht. Für die Zukunft wäre es wünschenswert, die
Folgen der Schüchternheit wenigstens zu minimieren, dies gelingt möglicherweise durch
eine Optimierung der Lehr- und Lernqualitäten. Denn leider kann immer wieder festgestellt
werden, dass der eine oder andere Fall durch die generelle Unauffälligkeit allmählich und
unbemerkt in einen problematischen Bereich hinübergleitet.110
110
Vgl. Georg Stöckli (2007): Schüchternheit als Schulproblem?, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, S. 171
57
8. Rückblickende Zusammenfassung
Ich habe die wichtigsten Punkte zum Thema meiner Seminararbeit „Wird die schulische
Leistung durch Schüchternheit beeinflusst?“ noch einmal kurz und bündig aufgelistet, um
einen besseren Überblick zu gewähren:
 Fehlendes Selbstvertrauen, Gefühle der Minderwertigkeit und der Unterlegenheit
können die Kindheit quälend prägen. Dies wiederum hat zur Folge, dass schüchterne
Kinder im späteren Schulleben ihr Können unterschätzen und sich im mündlich
orientierten Unterricht zu wenig einbringen.
 Durch die komplizierte Art der Kinder (wenig sprechen, sich nicht äußern, kaum
melden) ist es für Lehrer sehr schwer, schüchterne Kinder richtig und
leistungsgerecht einzuordnen. So passiert es häufig, dass Lehrer schüchternen
Kindern gegenüber kein Verständnis entgegenbringen. Möglicherweise werden
solche Schüler für interesselos und faul gehalten, was sich natürlich negativ auf die
Leistungseinschätzung auswirkt.
 Für schüchterne Kinder ist es schwer, Freunde zu finden, denn gegenüber den
Mitschülern besteht eine gestörte Symmetrie, das heißt, die
Minderwertigkeitsgefühle und die Unterlegenheit sind auch für die Mitschüler
spürbar. Eine Freundschaft wird deshalb oft asymmetrisch, da die schüchternen
Kinder sich nach dem Prinzip „Ich bin weniger wert als andere“ verhalten und sich
somit mit ihrer negativen Einstellung selbst im Weg stehen. Dieses Fehlen von
tragenden Beziehungen führt dazu, dass schüchterne Kinder eher dazu neigen,
Stresssymptome zu entwickeln, wenn sie vor der Klasse sprechen müssen, da sie
davon ausgehen, dass ihnen weniger ermutigende Anerkennung von den Mitschülern
entgegengebracht wird.
 Die Verbreitung von Schüchternheit liegt bei Schulbeginn bei ca. 18 Prozent und
beträgt im Verlauf vom zweiten zum dritten Schuljahr etwa 16 bis 18 Prozent.
Außerdem konnte eine geschlechtsabhängige Stabilität gefunden werden. Zum
Beispiel erhalten schüchterne Mädchen von den Jungen ihrer Klasse weniger
Ablehnung. Jedoch werden schüchterne Jungen von Mädchen und Jungen häufig
abgelehnt. Das weist auf die Bedeutsamkeit der geschlechterspezifischen
Auswirkungen von Schüchternheit hin. Die Annahme liegt nahe, dass Jungs größeren
58
Druck über die Klasse erfahren, was dazu führen kann, dass sie sich mehr beobachtet
und negativ bewertet fühlen. Dies verstärkt die Angst vor Misserfolgen und auch die
Wahrscheinlichkeit, leistungsmäßig abzufallen.
 Schüler, die sich selbst als schüchtern wahrnehmen, erfahren eine schlechtere
Benotung. Wer von den Lehrern nicht als schüchtern angesehen wird, hat ganz
andere Möglichkeiten, seine Notenbeurteilung möglichst erfolgreich auszubauen.
Schüchternheit steht also in einer negativen Beziehung zur Leistungsbeurteilung. Sie
geht mit einem pessimistischen Selbstbild einher. Dieses pessimistische Selbstbild ist
das zentrale Problem der schüchternen Kinder und wirkt sich auf ihre Leistung und
Leistungsbeurteilung aus. In den mathematischen und sprachlichen Fächern konnten
für die Noten statistisch bedeutsame Unterschiede festgestellt werden. Die als
schüchtern eingestuften Kinder liegen mit ihrem Notendurchschnitt knapp unter dem
der nicht schüchternen Kinder.
 Die Unterscheidung zwischen „schüchtern-ängstlichem“ und „ungeselligem“
Verhalten verdeutlicht, dass die soziale Integration im Klassenverband nicht
hauptsächlich auf erblich bedingter "schüchtern-ängstlicher" Neigung, sondern auf
"ungeselligen" Verhaltensanteilen beruht.
 Bezüglich Schüchternheit gibt es auch kulturelle Unterschiede. Im Westen wird
Schüchternheit meistens als negativ angesehen, in östlichen Ländern erfährt sie
jedoch immer wieder auch positive Reaktionen.
9.Fragebogen
Mit Hilfe meines Fragebogens beabsichtige ich, die bereits erarbeiteten Erkenntnisse aus
dem Theorieteil zu überprüfen. Hierbei möchte ich darauf hinweisen, dass die Ergebnisse der
Umfrage nicht besonders repräsentativ sind, da mir die zur Verfügung stehenden Mittel als
sehr gering erscheinen. Die Umfrage bezieht sich nur auf einen kleinen Teil der Schüler,
wobei dieser kleine Teil dennoch einen gewissen Aufschluss geben kann.
59
Umfrage
Markiere jeweils die Antwort, die für dich zutrifft. Die Zahlen haben jeweils folgende
Bedeutung: 1: trifft voll zu, 2: trifft meistens zu, 3: trifft manchmal zu, 4: trifft selten zu,
5: trifft nie zu.
Alter:______
Klasse:______
Geschlecht:______
1
1.
Ich stehe gerne im Mittelpunkt.
2.
Ich habe kein Problem, meine Meinung vor fremden Menschen zu
2
3
sagen.
3.
Ich beneide Klassenkameraden, die keine Probleme damit haben,
auf andere zuzugehen.
4.
Ich empfinde Kritik vom Lehrer als sehr unangenehm.
5.
Ich fühle mich in meiner Klasse wohl.
6.
Ich schließe gerne neue Kontakte.
7.
Ich beteilige mich am mündlichen Unterricht.
8.
Ich bin mit meinem Aussehen zufrieden.
9.
Ich versuche, es jedem recht zu machen.
10. Ich bin gerne alleine.
11. Wenn ich vom Lehrer aufgerufen werde, bin ich nervös.
12. Ich denke, dass ich mehr leisten kann, als ich im
Mathematikunterricht zeige.
13. Ich bin traurig, wenn ich im Unterricht feststelle, dass ich die
richtige Antwort gewusst hätte, mich aber nicht gemeldet habe.
14. Ich bin mit meinen mündlichen Noten zufrieden.
15. Ich denke, dass ich mehr leisten kann, als ich im Sprachunterricht
(Deutsch, Englisch, Französisch, Latein) zeige.
16. Wenn ich etwas nicht verstanden habe, frage ich nach.
17. Ich habe Angst vor der Schule.
18. Ich bin in einem Verein.
19. Ich mag mich selber.
20. Ich denke, dass ich mehr leisten kann, als ich im Sportunterricht
60
4
5
zeige.
21. Ich versuche, mich so gut wie möglich an andere anzupassen,
damit ich nicht auffalle.
22. Ich habe viele Freunde.
23. Ich fühle mich nur im Umkreis meiner Freunde wohl.
24. Ich treffe mich gerne mit Freunden.
25. Ich habe ein Problem, meine Meinung vor Klassenkameraden zu
sagen.
26. Ich melde mich nur, wenn ich mir sicher bin, dass meine Antwort
richtig ist.
27. Ich nehme gerne an Klassenfahrten teil.
28. Ich sage meine Meinung nicht, damit ich mich bei anderen nicht
unbeliebt mache.
29. Ich fühle mich unter fremden Menschen unwohl.
30. Ich bin aufgeregt, wenn ich ein Referat vor meiner Klasse halten
muss.
31. Am liebsten bin ich zu Hause.
32. Ich habe z.B. Herzklopfen, Zittern, Schwindelgefühle, wenn ich vor
anderen Leuten sprechen muss.
9.1. Einleitung zum empirischen Teil
Anschließend an den Fragebogen erkläre ich, was in diesem abgefragt wurde. So sollen die
Beschreibungen der Schaubilder in Bezug zum Theorieteil stehen und diesen überprüfen.
9.2. Auswertung des Fragebogens
Meine empirischen Untersuchungen zum Thema „Wird die schulische Leistung durch
Schüchternheit beeinflusst?“ wurde an einer Stichprobe von 231 Schülern der
Liebfrauenschule Sigmaringen durchgeführt. Von den befragten Schülern waren 106
männlich und 125 weiblich, zudem verteilten sich diese gleichmäßig auf verschiedene
Altersstufen. Die Umfrage umfasst Schüler der fünften bis zur 13. Klasse des Gymnasiums.
61
Ich untersuchte in meinem Fragebogen die Einstellung der 231 Schüler zu verschiedenen
Aspekten. Danach sortierte ich durch mehrmalige Auswahlvorgänge besonders schüchterne
Schüler aus. Mit diesen 30 Schüchternen führte ich weitere Untersuchungen durch, die unter
anderem Aufschluss über die Zufriedenheit der schulischen Leistung in den Fächern
Mathematik, Sprachunterricht (Deutsch, Englisch, Französisch und Latein) und Sport geben
sollten. Außerdem untersuchte ich die gehemmten Schüler auf ihre Zufriedenheit mit ihren
mündlichen Leistungen. Desweiteren richtete ich mein Augenmerk auf verschiedene
Merkmale, welche mir für Schüchternheit typisch zu sein schienen und ging der Frage nach,
inwiefern diese zutrafen.
Zur Befragung der Schüler benutzte ich ein System, welches auch die Universität Tübingen
zur empirischen Überprüfung ihrer Theorien verwendet. Hierbei wurden die Antworten zu
Fragen von den Schülern jeweils in einer Skala von 1-5 eingetragen, wobei 1 „trifft voll zu“
und 5 „trifft nie zu“ bedeutet. Daher kann die Einstellung der Schüler viel genauer
untersucht werden als bei einer Frage, die nur mit „Ja“ und „Nein“ beantwortet werden
kann.
Bei der Auswertung wurden nicht alle Thesen der Umfrage behandelt, da viele nicht relevant
für die Untersuchung waren und keine wichtigen Ergebnisse lieferten. Im Folgenden wird
veranschaulicht dargestellt, wie die Schüler der Liebfrauenschule den Fragebogen zum
Thema „Wird die schulische Leistung durch Schüchternheit beeinflusst?“ beantwortet haben
und welche Erkenntnisse daraus gewonnen werden können.
Da sich wie in Kapitel 1.2. beschrieben, schüchterne Kinder vor der Begegnung mit anderen
aufgrund ihrer sozialen Bewertungsangst fürchten, ist folgende These in diesem
Zusammenhang von Bedeutung:
These 1: Ich fühle mich unter fremden Menschen unwohl.
Die Auswertungen sind im folgenden Diagramm verdeutlicht:
62
Grün: Klasse 5
Blau: Klasse 8
Gelb: Klasse 10
Rot: Klasse 13
Am Schaubild lässt sich erkennen, dass Klasse 5 mit ca. 31 Prozent der Behauptung, sich
unter fremden Menschen unwohl zu fühlen, am häufigsten zustimmt. Das könnte daran
liegen, dass der Schulbesuch an der Liebfrauenschule mit dem großen Gebäudekomplex und
den vielen Menschen, denen sie begegnen, eine neue und ungewohnte Situation darstellt. In
Kapitel 2.2., S. 13, erwähnte ich, dass sich sozial unsichere Kinder meist in unbekannten
Situationen unwohl fühlen. Sie leiden ständig unter der Angst, von anderen abgelehnt zu
werden. Außerdem sind viele Fünftklässler deutlich kleiner als die Mitschüler, denen sie
begegnen, was dazu führen kann, dass sie sich unterlegen und unsicher fühlen. Im Gegensatz
dazu stimmen die Klassen 8, 10 und 13 der Behauptung „ich fühle mich unter fremden
Menschen unwohl“ mit 0 Prozent zu. Man kann also feststellen, dass im Laufe der
Schuljahre ein Gewöhnungseffekt eintritt. Das zeigt die Auswertung der Antworten in den
achten Klassen. 55% dieser Schüler haben angekreuzt, dass sie sich nie oder selten unter
fremden Menschen unwohl fühlen. In den zehnten Klassen sind es 50 Prozent. Immerhin
kreuzten fast 40 Prozent der Fünftklässler an, dass sie sich nie oder selten unter fremden
Menschen unwohl fühlen. Eine Erklärung wäre, dass es sich hierbei um die selbstbewussten
Unterstufenschüler handelt.
63
Da Schüchterne übermäßig ängstlich sind und durch Unsicherheit sowie
Vermeidungsverhalten auffallen (vgl. Kapitel 1.2.), beleuchtete ich den Aspekt „Angst vor der
Schule“.
These 2: Ich habe Angst vor der Schule.
Die Auswertungen sind im folgenden Diagramm verdeutlicht:
64
Grün: Klasse 6
Blau: Klasse 8
Gelb: Klasse 10
Rot: Klasse 13
Bei dieser Darstellung ist auffallend, dass fast 14 Prozent der Sechstklässler angeben, dass
der Punkt „Angst vor der Schule zu haben“ voll oder meistens zutrifft. Während in der
achten Klasse nur 3 Prozent der Schüler angeben, Angst vor der Schule zu haben, sind es in
der zehnten Klasse 13 Prozent. In der dreizehnten Klasse gab in dieser Hinsicht niemand
Ängste an. In der Unterstufe wäre denkbar, dass die Ängste durch Überforderung (viele
Hausaufgaben, voller Stundenplan, zahlreiche Klassenarbeiten) ausgelöst werden. Die
Unterschiede der Anforderungen, die in der Grundschule gestellt werden, sind erheblich, im
Gegensatz zu denen des achtjährigen Gymnasiums. Auffallend ist, dass die Achtklässler
weniger Ängste zeigen. Möglicherweise hängt dies damit zusammen, dass sie sich an das
Stoffpensum und die Leistungsanforderungen gewöhnt haben und zudem meist einen festen
Freundeskreis besitzen. Deutlich kommt zum Vorschein, dass in der zehnten Klassen etwas
mehr Ängste auftreten als bei den Sechstklässlern. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass
sie Zweifel haben, den Anforderungen bis zum Abitur gewachsen zu sein. Dies wiederum
könnte damit in Zusammenhang stehen, dass aufgrund der Pubertät die Leistungen
abgesunken sind. In der 13. Klasse verwundert es nicht, dass die Angst vor der Schule nicht
vorhanden ist, da die Schüler aus Klasse 13 zum Zeitpunkt der Umfrage bereits ihr
65
schriftliches Abitur hinter sich gebracht hatten. Sie hatten also keine ernsthaften
Befürchtungen mehr, den Anforderungen zu genügen.
Da bei Schüchternheit verschiedene Verhaltensmerkmale festgestellt werden, untersuchte
ich auch die These „ich bin gerne allein“. Sozial unsichere Kinder leben häufig
zurückgezogen, sind kontaktängstlich, vermeiden deshalb gern Sozialkontakte und isolieren
sich (vgl. Kapitel 1.2., S.5).
These 3: Ich bin gerne alleine.
Die Auswertungen sind im folgenden Diagramm verdeutlicht:
66
Grün: Klasse 5
Blau: Klasse 8
Gelb: Klasse 10
Rot: Klasse 13
Bei näherer Betrachtung des Schaubilds lässt sich erkennen, dass ca. 52% der Fünftklässler
nie gerne alleine sind. Ungefähr 3 Prozent kreuzten an, dass die Aussage „Ich bin gerne
alleine“ für sie voll zutrifft. Für die Acht- und Zehntklässler trifft die Aussage „nicht gerne
allein zu sein“ nur noch bei ca. 21 Prozent zu. Im Gegensatz dazu kreuzten 28 Prozent der
Schüler aus Klasse 13 an, dass die Aussage meistens zutrifft. Daraus schließe ich, dass mit
zunehmendem Alter der Schüler das Bedürfnis, allein sein zu wollen, wächst. Somit lässt sich
schlussfolgern, dass diese Antworten nicht für eine Auswertung der Frage bezüglich
Schüchternheit relevant sind. Es waren nicht in erster Linie die schüchternen Schüler, die
ankreuzten, dass sie gerne alleine sind, sondern diejenigen, die schon älter sind.
Die negativen Gefühle der Schüchternen können körperliche Symptome auslösen und sich in
Nervosität äußern (vgl. Kapitel 1.3., S.6).
67
These 4: Wenn ich vom Lehrer aufgerufen werde, bin ich nervös.
Die Auswertungen sind im folgenden Diagramm verdeutlicht:
Grün: Klasse 5
Blau: Klasse 8
Gelb: Klasse 10
Rot: Klasse 13
Am Diagramm kann abgelesen werden, dass ca. 13 Prozent der Fünftklässler, 14 Prozent der
Achtklässler, 17 Prozent der Zehntklässler und sogar 18 Prozent der 13.Klässler ankreuzten,
dass es voll oder meistens zutrifft, dass sie nervös sind, wenn der Lehrer sie aufruft. Daraus
lässt sich schließen, dass sich ältere Schüler mehr Gedanken darüber machen, ob sie richtig
reagieren und die zutreffenden Antworten wissen. Da sie mehr reflektieren, wachsen
vermutlich die Versagensängste. Erstaunlicherweise reagieren ca. 68 Prozent der
Fünftklässler nicht oder meist nicht nervös, wenn sie vom Lehrer aufgerufen werden.
Eigentlich müsste der Prozentsatz der Kinder, die mit Hemmungen reagieren, in jüngeren
Jahren höher liegen, da der Altersabstand zur Autoritätsperson (Lehrer) größer ist (vgl.
Kapitel 2.1., S.10) und jüngere Schüler weniger Selbstbewusstsein haben als ältere. Mit
zunehmenden Alter verhalten sich die Heranwachsenden den Lehrern gegenüber
zunehmend partnerschaftlich und müssten demzufolge auch weniger nervös reagieren,
wenn sie vom Lehrer aufgerufen werden. Die Annahme lässt sich durch die Umfrage jedoch
nicht bestätigen. Aus alltäglichen Beobachtungen im Schulgebäude lässt sich erkennen, dass
68
Unterstufenkinder zunehmend forscher auftreten und mehr Selbstbewusstsein zu besitzen
scheinen. Das könnte an der Erziehung, in der mehr Wert auf Durchsetzungsvermögen und
Kritikfähigkeit gelegt wird und dem Wandel des gesellschaftlichen Umfelds liegen.
Da Schüchterne nicht gerne im Mittelpunkt stehen (vgl. Kapitel 4.1., S.39), versuchte ich über
die Auswertung von These 5 „ich stehe gerne im Mittelpunkt“ herauszufinden, bei wie vielen
Schülern dies nicht der Fall ist.
These 5: Ich stehe gerne im Mittelpunkt
Die Auswertungen sind im folgenden Diagramm verdeutlicht:
69
Grün: Klasse 5
Blau: Klasse 7
Gelb: Klasse 9
Rot: Klasse 13
In diesem Diagramm werden die Klassen 5, 7, 9 und 13 in Hinblick auf die These „Ich stehe
gerne im Mittelpunkt“ untereinander verglichen. 63 Prozent der Fünftklässler kreuzten an,
dass sie nie oder selten im Mittelpunkt stehen wollen. Ebenfalls trifft diese Feststellung bei
15 Prozent der Siebtklässler und 27 Prozent der Neuntklässler zu. 20 Prozent der Schüler aus
Klasse 13 haben diese These mit „trifft selten zu“ beantwortet. Der Unterschied zwischen
der fünften und siebten Klasse ist enorm groß. Die starke Unsicherheit der Fünftklässler, vor
Menschen zu stehen, scheint sich im Laufe kürzester Zeit zu legen. Während die Behauptung
„ich stehe gerne im Mittelpunkt“ bei Fünftklässlern mit ca. 20 Prozent meist oder voll
zutrifft, sind es bei den Siebtklässlern bereits 28 Prozent, bei den Neuntklässlern ca. 35
Prozent und bei den Schülern aus Klasse 13 sogar 40 Prozent. Daraus lässt sich folgern, dass
Hemmungen im Laufe der Zeit abgebaut werden können und das Selbstbewusstsein
zunimmt. An den Schulen wird selbstbewusstes Auftreten gezielt trainiert durch das
Abhalten von Präsentationen, GFS’s, Buchvorstellungen usw. Es scheint so, als würden diese
Methoden Erfolge erzielen.
70
In Kapitel 1.3. auf Seite 5 meines Theorieteils wird beschrieben, dass Schüchternheit unter
anderem durch den Wunsch, alles richtig machen zu wollen, zum Ausdruck kommt.
Schüchterne möchten akzeptiert werden und versuchen deshalb, alles recht zu machen. Sie
denken, dass sie nicht akzeptiert werden, wenn sie sich nicht angepasst verhalten und
möglicherweise sogar kritisiert werden könnten.
These 6: Ich versuche, es jedem recht zu machen.
Die Auswertungen sind im folgenden Diagramm verdeutlicht:
71
Grün: Klasse 5
Blau: Klasse 8
Gelb: Klasse 10
Rot: Klasse 12
Das Diagramm veranschaulicht, dass die Fünftklässler die These „Ich versuche, es jedem
recht zu machen“ zu 74 Prozent mit „trifft voll zu“ oder „trifft meistens zu“ angekreuzt
haben. Nur 3 Prozent der Schüler aus Klasse 5 geben an, dass dieses Merkmal nie zutrifft. In
der achten und zehnten Klasse kreuzten bei dieser These 50 Prozent und in der dreizehnten
Klasse 48 Prozent an, dass sie voll oder meistens zustimmen. Daraus schließe ich, dass die
Fünftklässler gewohnt sind, den Willen der Eltern zu erfüllen und sich leichter tun, den
Interessen der Gleichaltrigen gerecht zu werden. Außerdem versuchen sie, Freundschaften
aufzubauen und wollen sich deshalb bei anderen nicht unbeliebt machen. Im Jugendalter
setzt die Pubertät ein, der eigene Wille verstärkt sich und will durchgesetzt werden,
Freundschaften wurden gefestigt und so kann Widerstand riskiert werden.
Durch die Auswertung der Schaubilder erkannte ich, dass die Beantwortung keiner dieser
Einzelfragen ausreichend war, um die Verbreitung und den Verlauf von schüchternem
Verhalten und dessen Auswirkungen auf die schulische Leistung aufzuzeigen. In Kapitel 1.3.
Seite 6 erwähnte ich bereits, dass sich Schüchternheit durch ganz verschiedene Symptome
äußern kann. Da sich diese Symptome als Komplex zeigen, ging ich folgendermaßen vor: Ich
72
stellte mir die Frage, welche Thesen auf schüchterne Kinder besonders gut zutreffen
müssten. Da Schüchternheit verschieden stark ausgeprägt sein kann, berücksichtigte ich pro
Frage die verschiedenen Grade von „trifft manchmal“ bis „trifft voll zu“. Bei folgenden
Thesen waren die typischen Verhaltensmerkmale für Schüchternheit erfüllt:
-
Ich versuche, es jedem recht zu machen.
-
Wenn ich vom Lehrer aufgerufen werde, bin ich nervös.
-
Ich melde mich nur, wenn ich mir sicher bin, dass meine Antwort richtig ist.
-
Ich fühle mich unter fremden Menschen unwohl.
-
Ich bin aufgeregt, wenn ich ein Referat vor meiner Klasse halten muss.
Außerdem müssten folgende Fragen mit „trifft manchmal“, „selten“ oder „nie zu“
beantwortet werden:
-
Ich stehe gerne im Mittelpunkt.
-
Ich beteilige mich am mündlichen Unterricht.
Die von der Schule ausgegebene Berechnungssoftware konnte ich für weitere
Untersuchungen nicht verwenden, da sie die komplizierteren Kriterien, mit denen ich
weiterarbeitete, nicht mehr erfasste. Um herauszufinden, wie die Gruppe schüchterner
Kinder die Fragen in Bezug auf die schulische Leistung beantwortet hat, wertete ich die
Angaben anhand wiederholter Auswahl- und Sortiervorgänge einer Excel-Tabelle aus:
Die Feststellung „ich stehe gerne im Mittelpunkt“ wurde von 182 Schülern mit „trifft
manchmal“, „trifft selten“, „trifft nie zu“ beantwortet. Da es sich bei dieser Gruppe mit
Sicherheit nicht nur um Schüchterne handelt, musste als nächstes das Kriterium „ich
beteilige mich am mündlichen Unterricht“ mit der Antwort „trifft manchmal zu“, „trifft
selten zu“, trifft nie zu“ beurteilt werden. Dies war bei 75 Schülern der Fall. Nun traf ich eine
engere Auswahl mit der These „ich versuche es jedem recht zu machen“. 60 der Schüler
kreuzten die Antworten „trifft manchmal“, „trifft meistens“, „trifft voll zu“ an. Da
Schüchterne verstärkt Angst haben, sich zu blamieren, untersuchte ich, wieviele von diesen
60 Schülern die Feststellung „ich melde mich nur, wenn ich mir sicher bin, dass meine
Antwort richtig ist“ mit „trifft manchmal, meist, voll zu“ bejahten. Bei 52 Schülern war dies
73
der Fall. Von diesen Schülern beantworteten 35 die These „ich fühle mich unter fremden
Menschen unwohl“ mit „trifft manchmal, meistens, voll zu“. Aufgrund der erhöhten Neigung
zu Nervosität von Schüchternen beleuchtete ich als letztes die Feststellung „ich bin
aufgeregt, wenn ich ein Referat vor der Klasse halten muss“. 30 Schüler kreuzten die Spalte
„trifft manchmal, meistens, voll zu“ an.
All diese Kriterien erfüllten 30 von 231 Schülern. Das entspricht einem Prozentsatz von 12,5.
Dies erschien mir als ein realistischer Wert, da ich im Kapitel 3.6. auf Seite 31 aufzeigte, dass
16 bis 18 Prozent der Kinder im Grundschulalter als ziemlich oder besonders schüchtern
eingestuft werden. Nachdem sich in Deutschland immerhin 50 Prozent der Erwachsenen
zwischen 18 bis 21 Jahren für schüchtern halten (vgl. Kapitel 5, S. 46), kann man davon
ausgehen, dass sich die Anzahl der ziemlich und besonders Schüchternen am Gymnasium
nicht erheblich von denen in der Grundschule unterscheiden dürfte.
Durch das folgende Schaubild möchte ich die Verbreitung der Schüchternheit darstellen.
Anhand des Diagramms veranschauliche ich, wie viele der 30 Schüler männlich und weiblich
sind, als auch jünger, beziehungsweise älter als 15 Jahre sind.
74
Unter den überdurchschnittlich Schüchternen befinden sich 9 Jungen, die jünger als 15 Jahre
und 2 Jungen, die älter als 14 Jahre alt sind. Bei den Mädchen sind 8 unter 15 Jahre und 11
mindestens 15 Jahre alt. Aufgrund der geringen Ergebnisse kann nicht davon ausgegangen
werden, dass diese statistischen Ergebnisse auf die Gesamtbevölkerung übertragen werden
können. Möglicherweise gibt es einen Zusammenhang zwischen der Schüchternheit der
Mädchen und den Entwicklungsjahren aufgrund der einsetzenden Pubertät, die das
gehemmte Verhalten möglicherweise fördert. Bei den Jungen hat sich die Schüchternheit
deutlich reduziert, was darauf zurückzuführen sein könnte, dass Jungen in der Pubertät eher
extrovertiert auftreten.
Die folgenden Schaubilder sollen aufzeigen, ob die schulische Leistung durch Schüchternheit
beeinflusst wird.
75
Bei näherer Betrachtung dieses Schaubilds lässt sich erkennen, dass sieben Schüler von
insgesamt neun entweder voll oder meistens mit ihrer Leistung im Fach Mathematik
zufrieden sind. Nur ein Schüler ist nur manchmal damit zufrieden und einer nie. Das
bedeutet, 78 Prozent der Schüler sind mit ihrer Leistung in Mathe zufrieden, 22 Prozent sind
eher unzufrieden. Diese Ergebnisse stimmen mit den Feststellungen in Kapitel 4.2. auf Seite
41 überein. In Mathe spielt die mündliche Leistung eine geringere Rolle als in den
sprachlichen Fächern. In Hinblick auf Schüchternheit schneiden Jungen in Mathe nicht
schlechter ab. Nimmt man nun die Ergebnisse der Schülerinnen in Augenschein, lässt sich
feststellen, dass insgesamt 10 von 20 voll oder meistens mit ihrer Note zufrieden sind. Vier
Mädchen sind manchmal damit zufrieden, und sechs Mädchen sind selten oder nie mit ihrer
Leistung in Mathe zufrieden. Das bedeutet, 50 Prozent der Mädchen sind mit ihrer Leistung
in Mathematik zufrieden, 50 Prozent dagegen eher nicht. Wie bereits in Kapitel 4.2. auf Seite
41 erwähnt, wirkt sich die Schüchternheit der Mädchen negativ auf die Leistungsfähigkeit im
Fach Mathematik aus. Die Ergebnisse meiner Umfrage stimmen mit den Untersuchungen
von Georg Stöckli überein.
76
Dieses Diagramm veranschaulicht, dass sechs von elf Schülern (55%) mit ihrer sprachlichen
Leistung zufrieden sind. Eher unzufrieden sind fünf von diesen elf Schülern (45%). Betrachtet
man nun die Ergebnisse der Mädchen, sind zehn von 19 (53%) mit ihrer Leistung in den
sprachlich orientierten Fächern zufrieden. Neun von 19 Mädchen (47%) sind mit dieser
Leistung eher unzufrieden. Knapp die Hälfte der schüchternen Jungen und Mädchen sind mit
ihrer Leistung in den sprachlichen Fächern nicht zufrieden. Dies ist nicht verwunderlich, da
der sprachliche Unterricht stark mündlich orientiert ist. Aus der Umfrage von Georg Stöckli
(Kapitel 4.2. auf Seite 41) geht hervor, dass sowohl schüchterne Mädchen als auch Jungen
ihre Probleme in den sprachlichen Fächern haben. Das Geschlecht spielt hierbei also keine
Rolle, da schüchterne Schüler Angst davor haben, sich vor anderen zu präsentieren.
77
Am Diagramm kann abgelesen werden, dass nur drei von elf Schülern (27%) mit ihrer
sportlichen Leistung zufrieden sind. Acht von diesen elf Schülern (73%) sind eher
unzufrieden mit ihrer sportlichen Leistung. Betrachtet man nun die Ergebnisse der Mädchen,
sind nur fünf von 19 (26%) mit ihrer Leistung zufrieden. Auffällig ist, dass 14 von 19
Mädchen (74%) mit ihrer sportlichen Leistung unzufrieden sind. Die Unzufriedenheit der
schüchternen Mädchen und Jungen mit ihrer sportlicher Leistung ist fast identisch. Fast drei
Viertel der Schüler und Schülerinnen sind der Ansicht, dass sie im Sportunterricht mehr
leisten könnten als sie zeigen. Verwunderlich ist das nicht, denn wie bereits in Kapitel 3.6.
auf Seite 39 beschrieben, haben Schüchterne eine Abneigung gegenüber bestimmten Arten
der Selbstpräsentation. Sie stehen ungern im Mittelpunkt, richten ihre Aufmerksamkeit stark
auf sich selbst und halten sich oft für eine unbeholfene Person. Im Sportunterricht fürchten
sie, bloßgestellt zu werden, deshalb stehen sie lieber abseits und nehmen nur mit Unlust an
den Übungen teil (vgl. Kapitel 3.5., S.30). Die schüchternen Kinder sind sportlich weniger
motiviert und werden deshalb schlechter beurteilt.
Unabhängig von den Fächern beleuchte ich im folgenden Schaubild die Zufriedenheit der
Schüchternen mit ihren mündlichen Noten.
78
Dieses Diagramm veranschaulicht, dass nur 23 Prozent der Befragten besonders
schüchternen Schüler mit ihren mündlichen Noten „meistens“ oder „voll“ zufrieden sind. 77
Prozent und somit die deutliche Mehrheit der Schüchternen kreuzte an, dass sie nur
„manchmal“, „selten“ oder „nie“ mit den mündlichen Leistungen zufrieden ist. Im
Gymnasium fließt die mündliche Note mit einer Gewichtung von mindestens 33 Prozent in
die Gesamtnote ein. Da Schüchterne nicht auffallen wollen, melden sie sich im Unterricht
ungern. Schließlich haben sie Angst, sich im Unterricht zu blamieren. Lehrer messen über die
mündliche Aktivität das Interesse, die Motivation und den Lernerfolg der Schüler. Rege
Mitarbeit hinterlässt einen positiven Eindruck. Schüchterne Schüler, die Schwierigkeiten mit
den mündlichen Anforderungen haben, bewirken mit ihrem gehemmten Verhalten und der
Nichtbeteiligung am Unterricht das Gegenteil. Dies wirkt sich zwangsläufig negativ auf die
mündlichen Noten aus (vgl. Kapitel 3.2., S.23f)
Das folgende Diagramm gibt einen Überblick über die Antworten („trifft manchmal“, „trifft
meistens“, „trifft voll zu“) von schüchternen Schülern zu verschiedenen Thesen, die
gehemmtes Verhalten charakterisieren.
79
Dieses Schaubild zeigt, dass 17 von 30 schüchternen Schülern (57%) nervös sind, wenn sie
vom Lehrer aufgerufen werden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sozial gehemmte
Personen eine negative Erwartungshaltung haben. Sie befürchten, dass sie sich vor den
Mitmenschen blamieren könnten, indem sie die Antwort nicht wissen oder eine falsche
Antwort von sich geben. Die ständig vorhandene Bewertungsangst führt dazu, dass
physische und psychische Symptome wie Nervosität, Konzentrationsschwierigkeiten usw.
auftreten (vgl. Kapitel 1.3., S.6).
Mit 80 Prozent (24 von 30 Schülern) zeigen die Schüchternen, dass These 2 „ich bin traurig,
wenn ich mich im Unterricht nicht gemeldet habe, obwohl ich die Antwort gewusst hätte“
ziemlich zutreffend ist. Das bedeutet, dass sich die Schüchternen weniger zutrauen aufgrund
ihres niedrigen Selbstwertgefühls, obwohl sie genauso begabt sind wie die
nichtschüchternen Schüler (vgl. Kapitel 4.3., S 43). Sie bringen ihre Begabungen und
Fähigkeiten nicht zum Ausdruck.
Acht von 30 schüchternen Schülern (27%) kreuzten an, dass sie Angst vor der Schule haben.
In Kapitel 1.2. auf Seite 4 wird betont, dass Schüchterne unter übermäßiger Ängstlichkeit
leiden. Sie fürchten sich davor, sich in der Schule präsentieren zu müssen. Außerdem fühlen
sie sich oft unsicher, glauben den Anforderungen nicht gewachsen zu sein und vermeiden
gern Sozialkontakte. Die Lehrer als Autoritätspersonen können die Ängste bei schüchternen
Kindern verstärken (vgl. Kapitel 2.1. S.11).
80
Schüchterne sind von Natur aus schweigsam und beteiligen sich ohnehin nur selten am
mündlichen Unterricht. Es überrascht nicht, dass es, wie aus dem Diagramm ersichtlich wird,
47 Prozent schwer fällt, die eigene Meinung und den eigenen Standpunkt zu formulieren.
Noch schwerer fällt es ihnen, diesen durchzusetzen (vgl. Kapitel 1.2. , S.4f).
Bei der These „ich sage meine Meinung nicht, damit ich mich bei anderen nicht unbeliebt
mache“ fiel die Antwort genauso aus. Wieder meinten 47 Prozent der Schüchternen, dass sie
mit ihrer Meinung zurückhaltend sind. Das kommt daher, dass sie die soziale Bewertung
fürchten (vgl. Kapitel 1.2. auf Seite 4).
Das Schaubild zeigt außerdem, dass 70 Prozent der schüchternen Schüler sich am liebsten zu
Hause aufhalten. In Kapitel 1.2. auf Seite 4 wird darauf hingewiesen, dass sich Schüchterne
nur schwer von den Eltern und dem häuslichen Umfeld trennen. Sie leben gerne
zurückgezogen, sind kontaktängstlich und laufen Gefahr, sich sozial zu isolieren, weil sie sich
ungern in der Öffentlichkeit bewegen (vgl. Kapitel 1.2., S.5). Sie haben oft nur wenige oder
gar keine Freunde (vgl. Kapitel 3.3., S.27).
Abschließend untersuchte ich die Thesen „ich mag mich selber“ und „ich bin mit meinem
Aussehen zufrieden“.
81
Das Schaubild veranschaulicht, dass drei von 30 Schülern nie mit ihrem Aussehen zufrieden
sind, zwei selten, zehn manchmal, 13 meistens und zwei voll. Dieses Ergebnis erstaunt, da
die Hälfte der Befragten mit ihrem äußeren Erscheinungsbild zufrieden ist. In Kapitel 4 auf
Seite 33, wird darauf hingewiesen, dass mit zunehmender Schüchternheit die Zufriedenheit
mit dem Erscheinungsbild sinkt. Weil auffällig gehemmte Schüler wenig Selbstbewusstsein
besitzen, wäre es bei dieser These nicht verwunderlich, wenn der Prozentsatz derjenigen, die
mit ihrem Aussehen unzufrieden sind, höher läge.
Das letzte Diagramm veranschaulicht, dass zwei von 30 schüchternen Schülern ankreuzten,
dass die These „ich mag mich selber“ nie zutrifft, bei drei Schülern nur selten, bei fünf
manchmal, bei 13 meistens und bei sieben voll. Dieses Ergebnis fällt noch positiver aus als
das letzte, da sich 67 Prozent der gehemmten Schüler offensichtlich in ihrer Haut wohl
fühlen. Auch dieses Resultat überrascht, da Schüchternheit oft durch körperliche Symptome
zum Ausdruck kommt wie zum Beispiel Nervosität, Herzklopfen, Übelkeit oder
Kopfschmerzen usw. (vgl. Kapitel 2.3., Seite 6). Um diesen körperlichen Symptomen zu
entkommen, können Vermeidungsverhalten und starke Verhaltenseinschränkungen die
Folge sein. Scheinbar sind die Befragten von diesen Problemen nicht so stark betroffen.
9.3. Zusammenfassung der Umfrageergebnisse
82
Die Auswertung meines Fragebogens, der dazu beitragen soll, meine Fragestellung zu
beantworten, hat zu folgenden interessanten Ergebnissen geführt:
Einerseits wurden die Einstellungen zu verschiedenen Aspekten der 231 befragten Schüler
untersucht und andererseits speziell der Zufriedenheitsgrad der schüchternen Schüler mit
ihren Noten in verschiedenen Fächern aufgezeigt. Die Erkenntnisse, die ich durch die
Fachliteratur gewann, konnten durch meine Untersuchungen weitgehend bestätigt werden.
Viele der Schwierigkeiten, die Schüchternheit mit sich bringt, lassen sich nicht in direkte
Beziehung zur Leistungsbeurteilung von schüchternen Schülern setzen (z.B. „Ich bin mit
meinem Aussehen zufrieden“.). Deshalb richtete ich mein Augenmerk auch darauf, wie es
dem ausgewählten Personenkreis mit seinem Problem geht. Zusammenfassend kann ich
sagen, dass sich die mangelnde mündliche Beteiligung der schüchternen Schüler nur minimal
auf die Leistung in Mathematik auszuwirken scheint. In den sprachlichen Fächern zeigte sich,
dass die Leistungen der sozial gehemmten Schüler weniger ihren tatsächlichen Begabungen
zu entsprechen scheinen. Das verwundert nicht, da in diesen Fächern mehr Wert auf die
mündliche Mitarbeit gelegt wird. Auch im Sportunterricht sieht es so aus, dass die
Schüchternen nicht ihr eigentliches Können präsentieren. Dieses Resultat überrascht
ebenfalls nicht, da der genannte Personenkreis aufgrund seiner pessimistischen
Selbsteinschätzung weniger motiviert ist, sich sportlich zu betätigen.
Nur knapp ein Viertel der schüchternen Schüler zeigt sich mit seinen mündlichen Leistungen
zufrieden. Auch das überrascht nicht, da sich sozial gehemmte Personen mündlich ungern
einbringen.
Die Verbreitung der ziemlich stark ausgeprägten Schüchternheit liegt nach meiner Umfrage
bei ca. 12 Prozent im Gymnasium der Liebfrauenschule. Das könnte ein realistischer Wert
sein. Die Auswertungen der Angaben, die die 30 ausgewählten Schüler zu einzelnen Thesen
machten, führten zu nachvollziehbaren Ergebnissen. Dies bestärkt die Annahme, dass sich
unter den 30 ausgewählten Schülern tatsächlich stark sozial Gehemmte befinden. Dieser
Personenkreis ist jedoch so klein, dass es nicht möglich ist, über den zeitlichen Verlauf der
Schüchternheit signifikante Aussagen zu machen. Die Informationen aus den Schaubildern,
die sich auf alle 231 Schüler bezogen, konnten nicht auf den Personenkreis der Schüchternen
übertragen werden. Im Hinblick auf die Auswertung der Ergebnisse, die alle 231 Schüler
umfasst, konnte festgestellt werden, dass sich bezüglich der einzelnen Verhaltensmerkmale
83
durchaus deutliche positive Tendenzen im Verlauf der Entwicklung zeigen. Zum Beispiel
hatten in puncto „sich unter fremden Menschen wohl fühlen“ 31 Prozent der Fünftklässler
ein Problem, die Älteren dagegen hatten keine Schwierigkeiten mehr damit. Der Wunsch „im
Mittelpunkt stehen zu wollen“ nahm in den höheren Klassen deutlich zu. Darüber hinaus
hatten 74 Prozent der Unterstufenschüler das Problem, es allen recht machen zu wollen, bei
den älteren Schüler traf das wesentlich seltener zu.
Während meiner Arbeit stellte ich fest, dass es äußerst schwierig ist, zuverlässige Kriterien
für das komplexe Erscheinungsbild der Schüchternheit zu finden. Dazu kommt, dass sich
Schüchternheit sich unterschiedlich stark ausgeprägt zeigen kann. Sinnvoll wäre es,
Langzeitstudien zum Thema Schüchternheit zu erstellen. Dadurch könnte der Verlauf
schüchternen Verhaltens im Einzelfall genau beobachtet werden.
10. Schluss
84
Abschließend lässt sich feststellen, dass Schüchternheit ein Phänomen ist, über das es noch
sehr viel zu erforschen gibt. Obwohl man vermuten könnte, die Verhaltensweisen des
Menschen seien gut erklärbar, hat sich für mich herausgestellt, dass wir nur sehr wenig über
Schüchternheit wissen. Dabei ist Schüchternheit genau wie andere Verhaltensauffälligkeiten
ein wichtiges Thema, um den Menschen besser verstehen zu können. Ich denke, die
Schwierigkeit, etwas über Schüchternheit herauszufinden, besteht darin, dass sie, wie auch
die von ihr Betroffenen, eher unscheinbar in den Hintergrund des Alltagslebens rückt.
Schüchterne Menschen versuchen, für die Gesellschaft so gut wie unsichtbar zu sein, und
aus diesem Grund wird Schüchternheit sozusagen zu einer „unscheinbaren
Verhaltensauffälligkeit“. Ich hoffe also, dass in Zukunft mehr auf gehemmtes Verhalten
eingegangen und dass dieses Thema zugänglicher wird. Denn wie man sieht, reagieren
Lehrer sehr unterschiedlich auf schüchterne Kinder. Einerseits gibt es welche, die
schüchterne Schüler falsch einschätzen und das extrem gehemmte Verhalten nicht
verstehen. So kann es vorkommen, dass ein solches Kind vom Lehrer nur ungern in die
nächste Klassenstufe versetzt wird. Dagegen gibt es Lehrer, die sich sehr gut in ein
schüchternes Kind hineinversetzen können und verstehen, dass es im Unterricht
Hemmungen hat, vor anderen Kindern zu sprechen. Diese Lehrer legen oft mehr Wert auf
die schriftliche Note. Häufig kann man feststellen, dass ein schüchternes Kind zwar sehr gute
Leistungen im schriftlichen Bereich erbringt, jedoch im mündlichen Bereich eigentlich die
Note mangelhaft verdient hätte. Aus Rücksicht auf die Probleme schüchterner Schüler gibt
es auch Lehrer, die die mündlichen Leistungen zurückhaltend bewerten.
Ich bin der Meinung, dass es wichtig ist, in der pädagogischen Aus- und Fortbildung das
Problem „Schüchternheit im Schulalltag“ zu thematisieren. Die Lehrer sollten bezüglich
dieser Verhaltensproblematik sensibilisiert werden, damit sie auf die schüchternen Kinder
Rücksicht nehmen. Schließlich können schüchterne Kinder nichts für ihr Verhalten und
wünschen sich oft auch, so offen und extrovertiert wie andere Kinder zu sein. Manche Dinge
sind für schüchterne Kinder einfach nicht machbar.
Es ist schwierig, objektive Kriterien für Schüchternheit zu finden, da die Kultur und der
Zeitgeist stark die von der Gesellschaft geforderten Verhaltensweisen beeinflusst. In der
heutigen Zeit werden soziale und kommunikative Fähigkeiten am Arbeitsplatz immer
wichtiger. Deshalb lernen die Schüler in den höheren Klassen mittels Video-Aufzeichnung
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selbstbewusst vor der Klasse zu sprechen und die Schüchternheit durch stetiges Üben zu
überwinden. Schüchternheit muss also kein unabänderliches Schicksal sein.
Literatur
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Asendorpf, J.B. (1989). Soziale Gehemmtheit und ihre Entwicklung,
Berlin: Springer Verlag
Gransow, B. (2009). China verstehen lernen 1, Bonn: Bundeszentrale für
politische Bildung
Heckhausen, J. und H. (2006). Motivation und Handeln, Heidelberg:
Springer Medizin Verlag, 3. Auflage
Margarete Schmaus, M. Margarete Schörl (1986): Sozialpädagogische
Arbeit im Kindergarten, Kösel-Verlag München, 6. Auflage
Petermann U. und Petermann F. (1989). Training mit sozial unsicheren
Kindern. München: Psychologie Verlags Union, 3. Auflage
Petermann U. und Petermann F. (1983). Training mit sozial unsicheren
Kindern. Weinheim, Basel: Belz Verlag, 10. Auflage
Stöckli, G. (2007). Schüchternheit als Schulproblem?, Bad Heilbrunn:
Julius Klinkhardt Verlag
Stöckli, G. (Erstpublikation: „Schweizer Schule“ (1/99): Schüchterne
Kinder in der Schule, Universität Zürich
Stöckli, G. (Symposion im Rahmen der Didacta, Stuttgart, 19.-23.2.2008).
Persönlichkeitsentwicklung in Kindergarten und Grundschule. Was fehlt
schüchternen Kindern wirklich? Universität Zürich
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„Hiermit erkläre ich, dass ich die Arbeit ohne fremde Hilfe angefertigt und nur die im
Literaturverzeichnis angeführten Quellen und Hilfsmittel benutzt habe.“
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Ort, Datum
Unterschrift
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