Rhöner Brauchtum - Medienzentrum Fulda

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Rhöner Brauchtum - Medienzentrum Fulda
Rhöner
Brauchtum
Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt,
er setzt seine Felder und Wiesen in Stand.
Er pflüget den Boden, er egget und sät
und rührt seine Hände früh morgens und spät.
Die Bäurin, die Mägde, sie dürfen nicht ruhn,
sie haben im Haus und im Garten zu tun.
Sie graben und rechen und singen ein Lied
und freun sich, wenn alles schön grünet und blüht.
Dieses alte und weithin bekannte
Volkslied besingt die Arbeit des
Bauern und der Bäuerin mitsamt
Knechten und Mägden im Jahresablauf.
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Beim Rhönbauer:
Knechte, Mägde und
Hütejungen
Die Jungen und Mädchen aus den
Rhöndörfern gingen in früheren
Zeiten nach ihrer Schulzeit am Ort
oder in der Nachbarschaft in Stellung, das heisst sie verdingten sich
als Knecht oder Magd bei einem
Bauern. Dafür bekamen sie Wohnung und Kost sowie eine Entlohnung, teils in Sachwerten wie
Kleidung, Schuhwerk und Bettzeug,
teils in Form eines kleinen Geldbetrags, der monatlich als Barlohn
gezahlt wurde. Der Beginn des
landwirtschaflichen Jahres war an
Lichtmess (2. Februar). „Wenn's an
Lichtmess stürmt und schneit, ist
der Frühling nicht mehr weit“,
besagt eine Bauernregel. Nach alter
Rhöner Tradition war Lichtmess der
"Scherztag". Scherzen nannte man
den Wechsel im Arbeitsverhältnis
des Knechtes und der Magd, den
Beginn oder die Beendigung der
Dienstzeit auf einem Bauernhof.
Alle Vereinbarungen wurden mündlich getroffen und nur mit Handschlag und einem Schnaps (Scherzschnaps) besiegelt.
So wie es tüchtige und weniger
fleißige Knechte und Mägde gab,
waren auch die Stellen beim Dienstherrn entweder gut oder schlecht.
Gute Stellen mit freundlichem Umgang, guter und reichlicher Kost,
einem behaglichen Zimmerchen
und geregelter Arbeitszeit einerseits
und mageres Essen, Schufterei,
schlechte Behausung und ein mürrischer und geiziger Bauer andererseits waren die entscheidenden Maßstäbe beim Verdingen als Knecht
oder Magd.
In der Vorderrhön und Hohen Rhön
wurden häufig auch Schulkinder
verdingt. Sie verrichteten leichtere
Arbeiten und wurden vor allem zum
Kühehüten benötigt. Wenn die
Heuernte vorüber war, nutzte man
die Wiesen wie auch die Gemeindehut als Weidefläche für das Vieh.
In allen Rhöndörfern hatten Jungen
und Mädchen die Aufgabe, nicht
nur in den Sommer- und Herbstferien, sondern auch nach dem
Schulunterricht die Viehherde vom
Stall auf die Weide zu treiben, sie
dort etwa vier Stunden zu hüten
und sie am Abend wieder wohlbehütet nach Hause zu bringen.
Diese notwendige Tätigkeit war
verantwortungsvoll, und sie brachte
auch etwas ein. Wenig begüterte
kinderreiche Familien wurden dadurch von einem oder mehreren
„Essern" entlastet, und der Hütejunge erhielt außer einem Handgeld
noch etwas Getreide und Kartoffeln
für seine Familie daheim.
An die Erlebnisse beim Kühehüten
erinnern sich Erwachsene und selbst
Greise noch nach Jahrzehnten, an
die heiteren Stunden mit anderen
Hütejungen und an angstvolle
Ereignisse wie Gewittersturm und
die sorgenvolle Suche nach Kühen,
die sich unbemerkt von der Herde
entfernt hatten. Bereits in jungen
Jahren haben sie die Natur erlebt,
Pflanzen und Tiere täglich beobachtet und eigene Erfahrungen im bäuerlichen Leben gesammelt.
Der Rhöner Heimatdichter Ludwig
Nüdling schrieb um das Jahr 1930
eine lustige Szene mit sechs Schulbuben aus Kleinsassen, die sich als
Jungknechte verdingen wollen und
sich dem Publikum bei Familienfeiern oder Schul- und Dorffesten
mit ihren sonderbaren Empfehlungen vorstellten. Ihre Verse - zwei
davon sind hier ausgewählt - trugen
sie in der Mundart vor, wie sie heute
noch um die Milseburg herum
gesprochen wird:
Zusammen:
Mir senn zwe stramme Källe,
zwe Källe von der Rhö.
Mir söche gote Stelle,
fätt Kost on grosse Löh.
Mir mosste wiet scho wanner
on mons zu äbbes bräng.
Jetzt mommer miteinander
ons he im Durf verdeng.
Bos mir scho oll mit durchgemoacht,
dos soll euch känner kloa,
doch bos mer olles fertigbroacht,
soll jeder sälber soa:
1. Knecht
Ich senn der Boaste Friederich,
ich stamm vo Öberberkemich,
ich honn de Driessig boll.
Ich woan schu Knächt
on woan schu Moad,
ich geng schu mit on ohne Boat.
Ich woan Saldot in Foll.
Ich woan schu Schrünner
on schu Schmied
konn olles bloss kein Dorscht geliet
on honn vill Appetit.
Dröm bär en goode Knächt well ho,
der blieh jetzt noch e besse do
on nahmt zelätzt mich mit.
2. Knecht:
Ich senn der
Schniederschpetersch Franz.
Ich äss de Hering mit dem Schwanz,
de Mellich mit dem Rahm.
Es Sonntig oder Hälltig Doog,
do well ich Kruit on Ärwes ho,
dos loss ich mer net nahm.
Doch Kruit on Ärwes net ellei
es moss au vo der Sau e Bei
on Rippe drenn begroawe sei.
Doch bänn dos Kruit boll oll will wär,
do holt der Schwoartemoage her,
sonst well ich net vill hoa.
Rhöner Klapperjungen
am Karfreitag
In der Karwoche treffen wir im
Fuldaer Land und in allen überwiegend katholischen Rhöndörfern die
Klapperjungen an - heute noch, wie
in früheren Zeiten - die mit ihrem
Klappern einen alten religiösen
Brauch pflegen. Früher waren es
ausschließlich Schulbuben, die das
ganze Jahr über als Messdiener ihre
Pflicht taten. Da seit dem Zweiten
Vatikanischen Konzil auch Mädchen
am Altar dienen, sind auch diese
mit dabei, wenn vom Gründonnerstag bis zur Osternacht anstelle des
Glockengeläuts die Gläubigen mit
lautem Geklapper und hellem Gesang zu verschiedenen Tageszeiten
zum Gottesdienst gerufen oder an
den „Engel des Herrn“ erinnert
werden.
Wer keine derart kunstvoll konstruierte Klapper besitzt, benutzt
ein kleines Brett mit Griff und
Holzklöppel, der beim Auf- und
Abschwingen auf das Brettchen
schlägt. Im Sprechgesang werden
zwischen den Klappereinsätzen die
Verse gerufen: „Wir rufen die
Gläubigen zur Kirche“ oder „Wir
klappern zum Englischen Gruße Ave Maria“
Am Karsamstag erbittet sich die
Klappergesellschaft dann ihren
Lohn. An allen Haustüren wird
geklappert und gesungen: „Wir
klappern Eier oder Geld“. Die Eier
kommen in einen großen Weidenkorb, das Geld in eine Zigarrenkiste,
und am Ende wird die Beute
gerecht aufgeteilt, wofür der Obermessdiener die Verantwortung
trägt.
Die Klapper wird an einem Lederriemen getragen oder einfach unter
den Arm geklemmt und an einem
Griff gedreht. Dabei werden eine
Reihe von Holzhämmern, die auf
einem Kasten befestigt sind, nacheinander von einer drehbaren Nockenwalze angehoben und losgelassen. Mit kräftigem Knall schlagen
diese auf den Resonanzkasten und
erzeugen je nach Größe der Klapper
großen Lärm.
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Schlachtfest
Nennen wir sie einfach Wurstfahrer,
die „Wurstmännchen“ im Fliedeund Fuldatal, die „Wurstbrühfahrer“ in der Rhön, jene vermummten
Gäste am Abend des Schlachttages.
Nicht nur Schulkinder oder Jugendliche, sondern mit Vorliebe
auch Erwachsene verkleideten sich
mit Gewändern und Masken, um
zunächst unerkannt beim Schlachtfest in der Nachbarschaft oder bei
Bekannten aufzutreten. Sie durften
vom Schlachtschnaps kosten, erhielten entweder ein Frühstück,
einen Wurstkringel oder auch nur
eine Kanne mit Metzelsuppe und
zogen sich dann wieder zurück.
Ihr Auftritt begann mit einem
Mundartspruch, etwa wie folgt:
Wir haben gehört, ihr habt geschlacht und habt auch für uns
eine Wurst gemacht.
Hutzelfeuer
Das baldige Ende des langen
Winters in der Rhön ist gekommen,
wenn überall im Lande die Hutzelfeuer brennen und sich bei anbrechender Dunkelheit Jung und Alt
um die brennenden Reisighaufen
außerhalb des Dorfes versammelt.
Früher mussten sich die Schulkinder
wochenlang plagen, um für den
Sonntag nach Fastnacht, dem
Hutzelsonntag, einen stattlichen
Hutzelhaufen aus Holz und Reisig
aufzutürmen. In der heutigen Zeit
erledigen dies örtliche Vereine mit
Hilfe von landwirtschaftlichen Maschinen meist am Wochenende
vorher.
Nach altem Brauch zogen
schon am Nachmittag die
Kinder von Haus zu Haus
und sangen:
Gewitzte Wurstfahrer spielten auch
eine Szene vor, wobei möglichst
wenig gesprochen wurde, um sich
nicht durch die Stimme zu verraten.
Viel Spaß gab es bei der Enttarnung
der Besucher, die aber nicht immer
gelang. Eine Bauersfrau in Schweben erkannte den Kaplan als
„Wurstmännchen“ an seinen Schuhen. In seiner Gesellschaft waren
noch der Lehrer und der Küster, die
sich heftig wehrten, als man sie
enttarnen wollte.
Der schöne Brauch des Wurstfahrens ist heute so gut wie ausgestorben, weil die Hausschlachtung
nur noch selten anzutreffen ist oder
mehr professionell abläuft.
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Hutzelstiele, Hutzelstiele,
mach maer Feuer in Ofe,
stoss maer net de Kachel ei,
sonst rauchts maer in de Stube.
Von der Stube bis in Ern,
die kleine Mäje hoan ich gern,
de grosse noch viel lieber.
Owe im Schornstei
hänge de dicke Säubei,
owe im Föerscht
hänge de ville Wöerscht.
Gabt maer nur de lange,
de koerze lasst nur hange.
Schössel hie, Schössel häer,
Hutzel mosse gässe wäer.
On gabt ihr ons kei Kräppel,
mache mir vill Gedäppel.
Dann gab es zum Lohn Kräppel,
manchmal auch kleine Geldbeträge
oder Süßigkeiten, die hinterher am
Hutzelfeuer gerecht verteilt wurden.
Nach dem Verlöschen des Feuers
zog die Dorfjugend mit selbstgefertigten Strohfackeln und Lampions heimwärts. Am heimischen
Herd stand ein großer Hutzeltopf
mit frisch gekochtem Dörrobst,
nämlich Birnen, Zwetschen und
Apfelscheiben, die bereits im Herbst
im Backhaus getrocknet worden
waren. Mit Hutzel und Kräppel,
Gesang und Fröhlichkeit fand der
Hutzelsonntag seinen Abschluss.
Dreireihentanz zur
Kirmes
Bündeltragen
Für ein Rhönkind war der Pate und
die Patin (Pätter und Döt) neben
den Eltern die wichtigste Bezugsperson auf den Stationen des Lebens wie Taufe, Geburtstag, Kommunion, Firmung und Hochzeit.
Äußeres Zeichen dieser engen Beziehung während der Kindheit war
das Bündeltragen zu Weihnachten
und Ostern. Der „Böndel“ (Bündel)
bestand aus kleinen Gaben wie
Backwerk (Bond oder Brezel), Äpfel,
Naschzeug und selbstgefertigten
Kleidungsstücken wie Handschuhe,
Strümpfe oder Strickjacke und
kleinen Spielsachen. Wichtig war,
dass alle Gaben in einem Tuch zusammengefasst wurden, einem
weißen Serviertuch, das dick und
rund gefüllt und an den vier Enden
zusammengeknotet war. Zu Ostern
gehörten auch buntgefärbte Eier
zum Böndel.
Die Freude der Kinder beim Auspacken war unbeschreiblich. Ein
wenig gedämpft wurde die Begeisterung, wenn der Junge ein
Taschenmesser, das Mädchen die
Schere im Böndel fand. Das bedeutete, dass sie nun - im Alter von
etwa zwölf Jahren - „abgeschnitten“ waren und künftig keinen
Böndel mehr zu erwarten hatten.
Die enge Verbindung zum Pätter
und zur Döt aber blieb ein Leben
lang erhalten.
In allen Dörfern der Rhön wurde die
Kirmes, der Sonntag nach Allerheiligen, als Kirchweihfest gefeiert.
Ein erster Höhepunkt war der
gemeinsame Gottesdienst in der
Kirche und ein üppiges Festmahl im
Kreise der Familie. Danach versammelte man sich um den Kirmesbaum,
den die Kirmestänzer am Vortag
hergerichtet und mit sachkundigen
Helfern aufgestellt hatten. Seine
geschmückte Spitze überragte die
meisten Häuser, und zwei Kränze
aus Fichtenzweigen schwebten in
luftiger Höhe.
Unter den Klängen der Blaskapelle
zogen die Kirmespaare in festlichem
Schmuck mit Sträußen an den
Hüten und Bändern an den Kleidern
auf den Festplatz und stellten sich
zum Tanz auf. Der Dreireihentanz
bestand aus drei Tänzen, einem
Rheinländer, einem Walzer und dem
Schottisch (Polka). Zu Beginn oder
auch zwischen den einzelnen Tänzen hatte der „Erste Ploatzknächt“,
der Anführer und Sprecher der
Kirmespaare, seine Rede zu halten,
die mit einem Schnaps-Umtrunk
endete. Wie beim Einzug verließ die
Kirmesgesellschaft am Ende wohlgeordnet den Tanzplatz und zog zur
Gastwirtschaft, um im Saal noch
viele Stunden zu tanzen und fröhlich zu sein.
Im Lauf der Zeit hat sich der alte
Brauch des Dreireihentanzes in den
einzelnen Dörfern weiterentwickelt
und stellt sich heute in sehr unterschiedlichen Formen dar. Während
die Rhöndörfer mehr an der alten
Form festhalten, wird in den anderen Teilen des Fuldaer Landes die
Kirmes von Vereinen, Kirmestanzgruppen oder Volkstanzgruppen
ausgerichtet, und es werden alle
Generationen vom Kindergarten,
den einzelnen Schulstufen bis zu den
Seniorengruppen eingebunden.
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