Vo r w o r t Judentum Christentum Islam Hinduismus Buddhismus

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Vo r w o r t Judentum Christentum Islam Hinduismus Buddhismus
Judentum
Christentum
Islam
Hinduismus
Buddhismus
Religionen / Konfessionen und Gender
Vo r w o r t
Warum sind Männer und Frauen in vielen Religionen zwar theoretisch, aber nicht praktisch
gleichwertig? Welche Vorstellungen vom oder von höchsten Wesen (Gott) gibt es in den fünf
großen Weltreligionen? Wie thematisieren sie die Gleichheit oder Verschiedenartigkeit der
Geschlechter? Wir laden Sie ein in die Welt des Judentums, Christentums, Islam, Hinduismus
und Buddhismus.
Die fünf großen Weltreligionen haben über Jahrtausende hinweg zum Reichtum der Kulturen
beigetragen, im Gegensatz zu Sekten, wie zum Beispiel Scientology. Sie bieten eine Fülle von
interessanten Geschichten, Persönlichkeiten und Gedanken, die wir Ihnen gerne vorstellen. Auf
den folgenden Seiten erfahren Sie mehr über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen
diesen einzelnen Religionen. Im Judentum und Christentum soll man sich keine personale Vorstellung von Gott machen, und Ähnliches gilt im Islam; besonders dürfen Allah und sein Prophet Mohammed nicht abgebildet werden. Dagegen gibt es im Hinduismus eine bunte, schillernde Bilder-Welt von Göttern und Göttinnen, von deren Abenteuern die großen religiösen
Schriften berichten. Der Buddhismus kennt keinen allmächtigen, ewigen Schöpfergott. Dennoch
gibt es Verkörperungen des Buddha in unterschiedlichen Gestalten und weibliche Luftwesen.
Welche Vorstellung von Geschlecht/Gender gibt es in den jeweiligen Religionen? Welche Eigenschaften und Fähigkeiten werden ihnen zugeschrieben? Wir stellen Ihnen die wichtigsten Persönlichkeiten in ihren unterschiedlichen (Geschlechter-)Repräsentationen und Funktionen vor:
Mohammed, Chadidscha, Aischa, Buddha, Maria und Jesus. Außerdem finden Sie ein eigenes
Kapitel über „Homosexualität und Transidentitäten“ mit weiterführenden Hinweisen.
Klicken Sie oben auf die jeweilige Religion, um mehr darüber zu erfahren. Weitere Informationen
finden Sie unter den angegebenen links und in den Literaturlisten aber auch im FFBIZ-Archiv.
Wir freuen uns auf Ihren Besuch!
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Judentum
1. Glaubengrundsätze
2. Schriften
3. Strömungen
4. Die Götterwelt westsemitischer Völker
5. „Du sollst dir kein Bildnis machen“ – Das Gottesbild JHWHs
6. Verschiedene Lesarten der Schriften
7. Schöpfungsmythen: Adam, Eva und Lilith
Glaubengrundsätze
Zum Judentum bekennen sich heute zirka 14. Millionen Menschen auf der Welt. Es ist die älteste
der drei Weltreligionen mit Glauben an einen Gott (Monotheismus). Gott, Jahwe, wird als
Schöpfer aller Dinge angesehen. Er hat die Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen. Der
Nomade Abraham wird als jüdischer Ur-Vater betrachtet, auf den sich auch das Christentum und
der Islam beziehen. Mit Abraham beginnt die Geschichte des jüdischen Volkes. Doch ob er
wirklich gelebt hat, und ob der biblische Bericht vom Auszug aus Ägypten historisch nachweisbar
ist, ist in der Forschung umstritten.
Die Glaubensgrundsätze stammen unter anderem aus den zehn Geboten, die in den fünf
Büchern Moses, in der Tora, festgehalten wurden. Danach steht der Mensch vor Gott und ist für
seine Taten verantwortlich. Juden erwarten den Messias, der kommen wird, um die Welt zu
erlösen. Im Judentum gibt es keine eindeutigen Vorstellungen von einem Leben nach dem Tode.
Es ist stark auf das Diesseits orientiert, das als prinzipiell gut, weil von Gott geschaffen und vom
Menschen gestaltet, gilt.
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Schriften
Die hebräische Bibel Tanach besteht aus der Tora (Bücher Moses mit 613 Gesetzen), den Nebiim
(Bücher der Propheten) und den Ketubim (Schriften). Diese Texte bilden in anderer Anordnung
und Gewichtung auch die Grundlage des Alten Testaments im Christentum. Die hebräische Bibel
ist eine Sammlung verschiedener Bücher unterschiedlicher literarischer Formen: Erzählungen,
Gedichte, Prophezeiungen, Gesetze. Neben den zum Teil ganz unbekannten Verfassern oder
Autorengruppen arbeiteten unzählige Abschreiber, Sammler, Kommentatoren und Herausgebern
an den Schriften. Eine Frau als Autorin wird nirgendwo erwähnt. In ihrer mehr als
tausendjährigen Entstehungsgeschichte von den mündlichen Überlieferungen bis zu ihrer
endgültigen schriftlichen Form wurde die Bibel immer wieder umgeschrieben, verändert und neu
übersetzt. Da sie von Menschen gemacht ist, spiegelt sie unterschiedliche kulturelle Einflüsse,
Interpretationen und Absichten.
Der Talmud ist die zweite wichtige Schrift im Judentum. Er besteht aus der Mischna, eine
Sammlung von religiösen Gesetzen und der Gemara, der Diskussion dieser Gesetze. Die Mischna
enthält unter anderem Regeln zum Ehe-, Familien-, und Strafrecht
und stellt Reinlichkeitsgebote für die Geschlechter auf. In der
Gemara, dem zweiten Teil des Talmuts, werden diese Gesetze in
Form von Geschichten und Gleichnissen ausgelegt und kommentiert.
Diese mündliche Lehre wurde in der Regel von männlichen jüdischen
Gelehrten
über
Generationen
hinweg
verbal
weitergegeben,
gesammelt und schließlich in eine schriftliche Form gebracht.
Strömungen
Das Judentum unterteilt sich heute in drei Hauptströmungen: Orthodoxes, progressives und
konservatives Judentum. Das orthodoxe Judentum hält trotz gesellschaftlicher Veränderungen
unverändert an den alten Gebräuchen fest. Die Thora gilt als das direkt geoffenbarte Wort
Gottes. Die religiösen Schriften gehen davon aus, dass Menschen als zweierlei Geschlecht
geschaffen wurden, als Mann und Frau. In den Schriften gibt es Anweisungen dazu, welche
sexuellen Praktiken zwischen welchen Geschlechtern erlaubt sind, und welche nicht. Nach
einigen Auslegungen lehnt die hebräische Bibel (z. B. Leviticus 18,22 und 20, 13) Homosexualität
ab und sieht Strafen dafür vor.
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Das orthodoxe Judentum betrachtet die Geschlechter als gleichwertig vor Gott, aber nicht als
gleichartig. Aus der Verschiedenheit der Geschlechter begründet es getrennte Arbeits- und
Aufgabenbereiche. Der Mann soll sich vorrangig dem Studium der heiligen Schriften und der
Religionsgesetze widmen. Die Frau ist zuständig für die Bewahrung der religiösen Tradition vor
allem in der Familie. Im Judentum existiert ein Mythos der „starken jüdischen Frau“, die neben
ihrer Erwerbstätigkeit und der Familienarbeit dem Mann noch den „Rücken“ für seine geistigen
Studien freihält. Jüdische Gelehrte huldigen ihr dafür in zahlreichen Textstellen der Schriften
(Lob der tüchtigen Hausfrau, Sprüche Salomon 12, 4). Der Zugang zu geistlichen Ämtern ist
abhängig vom zugeschriebenen Geschlecht des Menschen: Männer dürfen das Amt von
Geistlichen = Rabbinern übernehmen, lesen aus dem Talmud oder der Tora vor und
interpretieren
die
Gesetze.
Frauen
sind
davon
ausgeschlossen.
In
den
religiösen
Versammlungsräumen, den Synagogen, sitzen Frauen und Männer separat, manchmal auch durch
einen Vorhang getrennt.
Die Halacha, das jüdische Religionsgesetz, gilt als Leitlinie für das religiöse Leben im Alltag. In
Tora und Talmud gibt es mehr als 613 Gesetzte: 248 Gebote und 365 Verbote. Darin ist unter
anderem festgelegt, dass eine Ehescheidung nur auf Initiative des Mannes erfolgen kann. Die
Frau willigt durch Berührung des Scheidungsdokumentes in die Trennung ein. Es gibt klare
Reinlichkeitsvorschriften für Männer und Frauen. Der Verlust von Menstruationsblut und
Sperma gelten als unrein. Der Zustand der Reinheit muss durch ein rituelles Bad wieder
hergestellt werden. Der Geschlechtsverkehr zwischen Männern und Frauen ist während der
Menstruation der Frau und einige Tage danach verboten. Auch nach der Geburt eines Kindes
fordern die Gesetze von den Ehepartnern Enthaltsamkeit und eine Absonderung der Frau von
der religiösen Gemeinschaft. Diese gilt für einen Zeitraum von 40 Tagen nach der Geburt eines
Jungen und 80 Tagen nach der Geburt eines Mädchens.
Das progressive Judentum entwickelte sich stark im 19. Jahrhundert mit liberalen,
reformorientierten Ausprägungen. Die Offenbarungen Gottes werden als ein fortschreitender
Prozess verstanden und können von Menschen neu ausgelegt werden. Die Regeln des Talmuds
sind nicht göttlichen Ursprungs, sondern durch Menschen gemacht. Für das progressive
Judentum sind sie abhängig von der Zeit, in der sie entstanden sind und daher veränderbar.
Männer und Frauen werden im progressiven Judentum gleichgestellt. In der Synagoge sitzen die
Geschlechter gemischt. Männer und Frauen haben gleichberechtigten Zugang zu den religiösen
Ämtern. Schon 1936 wurde Regina Jonas als erste Rabbinerin in Deutschland eingesetzt. Generell
gilt die Gleichwertigkeit aller Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung. Es gibt
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liberale Gemeinschaften schwuler, lesbischer und bisexueller Jüdinnen und Juden und eine erste
Generation lesbischer Rabbinerinnen.
Das konservative Judentum entstand im 19. Jahrhundert in Europa und bewegt sich zwischen
orthodoxem und progressivem Judentum. Auch die konservative Bewegung ordiniert seit 1984
Frauen als Rabbinerinnen, d.h. führt sie in ihr Amt ein.
Die Götterwelt westsemitischer Völker
Zur Zeit der Entstehung des Judentums beteten die Menschen im Alten Orient verschiedene
Götter und Göttinnen an. Diese symbolisierten die Kräfte der Natur oder die vier Elemente,
„Feuer“, "Wasser", "Luft" und "Erde". Auch jede Stadt hatte einen eigenen Schutzgott. Das
Prinzip der Fruchtbarkeit wurde dabei sowohl in weiblicher als auch in männlicher Gestalt
angebetet. Ischtar, die babylonische Göttin des Kampfes und der Liebe, wurde im gesamten
Alten Orient unter verschiedenen Namen verehrt: Ashtar, Astarte, Ashera, Inanna. Als
Doppelcharakter hat sie eine helle und dunkle Seite und tritt in unterschiedlichen
Erscheinungsformen der einen Hauptgöttin auf. Sie ist die Göttin des Abend- und Morgensterns,
des Himmels- und der Unterwelt, Mutter- und Liebesgöttin, Göttin der Fruchtbarkeit und der
Wollust. Dargestellt wird sie oft als Kriegsgöttin mit Hörnermütze, Köchern auf dem Rücken
und Pfeilen und Bogen in den Händen.
Baal (Bhaal, Bel, Bēl) ist eine Bezeichnung aus dem Altertum für verschiedene Gottheiten im
syrischen und levantinischen Raum. Der Begriff bedeutet Herr, Meister, Besitzer, Ehemann,
König oder Gott und kann für jeden Gott benutzt werden. Er ist der Fruchtbarkeits-, Regen-,
Gewitter-, Berg- und Sturmgott westsemitischer Völker. Als Ehemann der Astarte steht auch er
für lebensspendende und -zerstörende Kräfte. Dargestellt wird er mit Donnerkeil und
erhobenem Arm, der Blitze schleudert.
Die Erzählungen über die ältesten Götter und Göttinnen des ägyptischen Raums und vieler
Regionen rund um das Mittelmeer stellen sie oftmals doppelgeschlechtlich (androgyn) vor, so wie
auch in der griechischen Mythologie. Die Religion des jüdischen Volkes, der 12 Stämme Israels,
entstand also in einer Welt der Vielgötterei (Polytheismus). Die hebräischen Stämme führten
Krieg mit anderen Völkern in der Kulturlandschaft Kanaans, die Göttinnen verehrten,
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Tempelprostitution betrieben und Sexualität als Teil ihres religiösen Lebens würdigten. In der
hebräischen Bibel finden sich noch Spuren dieser Götterkulte, die scharf verurteilt werden.
„Du sollst dir kein Bildnis machen“ – Das Gottesbild JHWHs
Das Judentum basiert auf den Glauben an den einen
Gott, der den Namen des Unaussprechlichen,
Jahwe, trägt. Dieser wird unter anderem mit
folgenden männlichen Beinamen belegt: Herr,
Vater, Gemahl, König, Richter, Kriegsherr, Hirte.
Er gilt als der Schöpfer der Welt und als eine
gewaltige Macht jenseits dieser Welt. Gott wird als
allwissend, allmächtig und allgegenwärtig angesehen.
Er erscheint als Träger positiver menschlicher
Eigenschaften in überhöhter Form, wie unfehlbare
Gerechtigkeit, allumfassende Liebe und Güte. Er
unterliegt keinen zeitlichen Begrenzungen und
keinem Wandel, sondern gilt als ewig, also
unveränderlich. Auf der einen Seite wird Jahwe von
Menschen
annäherungsweise
in
„männlichen“
Bildern, Rollen und Funktion beschrieben, auf der anderen Seite erscheint er als geschlechtsloses
Wesen. In der hebräischen Bibel gibt es keine Äußerungen über die Gestalt Gottes. Auch in den
Berichten der Propheten, die ihn im Traum oder als Vision sahen, fällt nie ein Wort über sein
Aussehen oder seine Geschlechtsmerkmale. Im Gegensatz zu vielen Göttern und Göttinnen des
Polytheismus hat Jahwe keine sexuelle Biographie, keine sexuelle Partnerschaft und zeugt auch
keine Nachkommen. Er soll nicht in menschlichen Abbildungen dargestellt werden
(Bilderverbot).
Verschiedene Lesarten der Schriften
Die jüdische feministische Theologie beschäftigt sich unter anderem mit der sogenannten
„weiblichen" Seite Gottes. Sie verweist dabei auf Eigenschaften, die im Hebräischen als
„Schechina“ und „Hochma“ bezeichnet werden und für die Herrlichkeit und Weisheit Jahwes
6
stehen. Da diese Begriffe der Grammatik nach weiblich sind, werden aus ihnen auch weibliche
Tugenden abgeleitet. Die Autorinnen weisen auf Gleichnisse hin, wo Gott sich der Bibel nach
selbst als „Gebärende“ oder als „Mutter“ im Verhältnis zu seinem Volke beschreibt. Er erscheint
als „Bärin“, der man die Jungen geraubt hat und als „Adlermutter“, die ihre Kinder unter ihren
Flügeln schützt. Wir können fragen: Werden hier Anteile der „Fruchtbarkeits- und
Muttergöttinnen“ „Jahwe“ zugeschrieben und warum? Durch die Gleichsetzung von „weiblich“
mit Begriffen wie „fürsorglich“, „behütend“ oder „beschützend“, schreiben manche Autorinnen
dem „Weiblichen“ wesenhafte, scheinbar natürliche und immerwährende Eigenschaften zu.
Dadurch wird, wie im orthodoxen Judentum, die Andersartigkeit der Geschlechter betont, und
diese werden auf bestimmte Rollen und Funktionen festgelegt.
Eine andere Leseart der Schriften untersucht die Beziehung zwischen Mensch und Gott wie der
Autor Eilberg-Schwartz. Diese Beziehung wird mit Begriffen wie Liebe und Hingabe
umschrieben. Das traditionelle Judentum fasst die Frau als den natürlichen, ergänzenden
Gegenpart zum Mann auf. Aus den unterschiedlichen Geschlechtsmerkmalen werden
Eigenschaften abgeleitet, die verschiedene Aufgaben und Gender-Rollen nach sich ziehen. Die
Liebesbeziehung zwischen unterschiedlichen Geschlechtern gilt als Norm und die zwischen
Gleichgeschlechtlichen als unnatürlich. Daher ist nach Eilberg-Schwartz der gläubige Jude in
erster Linie ein männlicher Gläubiger. Dieser darf keine (Liebes)beziehung mit einem Gott
eingehen, der männliche Geschlechtsmerkmale hat. Dadurch entstünde der Verdacht der
Homoerotik. Deshalb erscheint Gott in den Schriften als geschlechtslos und körperlos. Eine
eigenwillige Interpretation!
Schöpfungsmythen: Adam, Eva und Lilith
In der hebräischen Bibel gibt es zwei Versionen über die Entstehung
der Menschen. Die erste Schöpfungsgeschichte berichtet, dass Gott
den Menschen am 5. Tag nach seinem (Eben)bilde als Mann und Frau
erschuf (Genesis 1). Im zweiten Schöpfungsbericht (Genesis 2-3)
erschuf Gott zuerst den Mann „Adam“ und aus seiner Rippe die Frau
„Eva“ als seine Helferin. In dieser Schrift steht, dass Gott ein Wesen
aus der Ackererde bildete, diesem den Lebensatem einhauchte und ihn
in den Garten Eden setzte. Jüdische Theologinnen gehen oft davon
aus, dass dem ersten Geschöpf noch kein Geschlecht zugeordnet wurde. Für sie ist der Begriff
7
„Adam“ eine Gattungsbezeichnung für Menschen und noch kein Name für einen Mann. Um die
Einsamkeit dieses Wesens zu lindern, baut Gott, der zweiten Überlieferung nach, aus seiner
Rippe einen zweiten Menschen. Aus dem ersten androgynen Menschen entstehen zwei, die jetzt
geschlechtlich unterschieden werden. Adam erkennt Eva als ihm ähnlich. Diese Ähnlichkeit
zwischen den beiden Geschlechtern wird noch durch die hebräischen Namen „Isch“ und „Ischa“
betont. Der Rest der Geschichte ist bekannt: Eva verführt Adam dazu, vom Baum der
Erkenntnis zu essen, und es folgt die Vertreibung aus dem Paradies. Die Einteilung in zwei
Geschlechter erscheint in beiden Versionen also als gottgewollt. Am Ende der zweiten, der
wahrscheinlich geschichtlich jüngeren Erzählung, wird nach der Unterschiedlichkeit der
Geschlechter auch noch die Hierarchie der Geschlechter formuliert „Du hast Verlangen nach
deinem Manne, er aber wird über dich herrschen“ (1. Buch Moses 3,16).
Es gibt Hinweise auf weitere Versionen der Schöpfungsgeschichte auch unter Israeliten. Sie
werden im jüdischen Talmud und in der hebräischen Bibel (Jesaija 34,14) erwähnt. In dieser
Version ist Lilith ein erster Mensch, geschlechtslos, oder aber die erste Frau Adams vor Eva.
Nach jüdischen Sagen streitet Lilith mit Adam und
verschwindet aus
dem Paradies in die Wüste. Sie bleibt aber unsterblich,
vereinigt sich mit
Dämonen und bringt Dämonenkinder zur Welt. In anderen
Überlieferungen
wird sie durch den Tod ihrer Kinder bestraft und verwandelt
sich
selbst
in
einen Geist, der die neugeborenen Kinder der Menschen tötet. Lilith, im Hebräischen „die
Nächtliche“, wird schließlich im alten Mesopotamien zum weiblichen Dämon des
Kindbettfiebers. In der Version der jüdisch-feministischen Theologie aber steht Lilith entweder
für den ersten Menschen überhaupt oder aber für die eigenständige starke Frau, die Adam den
Gehorsam, also die Unterordnung, verweigert. Die verschiedenen Vorstellungen zu Lilith haben
vor allem im 19. Jahrhundert, während der sog. Ersten Frauenbewegung, besonders männliche
Künstler zu unterschiedlichen Darstellungen angeregt.
Jüdisch-rabbinische
Literatur
deutet
eine
vierte
Version
der
Schöpfungsgeschichte an. Adam wird danach auch als zweigesichtiges,
androgynes Wesen beschrieben, das männliche und weibliche Merkmale
aufweist. Demnach schuf Gott den Menschen zuerst als Hermaphroditen und
teilte dieses Geschöpf dann in zwei voneinander getrennte Körper. Diese
Betrachtung ähnelt anderen Schöpfungsmythen. Nach persischen Legenden
lebte das erste Menschenpaar, als Licht und Dunkelheit, im Garten Eden, zuerst
gemeinsam in einem Körper. Auch die griechischen Mythen berichten davon,
dass Prometheus den Menschen zuerst androgyn, als Wesen aus Lehm erschuf und die Göttin
8
Athene ihn lebendig machte. Nach der Geschichte von Platon trennte der Göttervater Zeus die
ursprünglichen Kugelmenschen, die aus drei Geschlechtern bestanden, und nahm vom
weiblichen Körper ein Stück Lehm, dass er dem Manne ansetzte.
Weiterführende Informationen
Bet Deborah. Frauenperspektiven im Judentum
http://www.bet-debora.de/
http://www.talmud.de/cms/Hauptseite.45.0.html
http://www.hagalil.com/judentum/
http://www.religion-online.info/judentum/themen/themen.html
http://www.verlagderweltreligionen.de/
Bridges. A Jewish Feminist Journal
http://bridgesjournal.org/
Nashim. A Journal of Jewish Women´s Studies & Gender Issues
http://muse.jhu.edu/demo/nashim
Lilith. A Feminist History Journal: www.history.unimelb.edu.au/lilith/
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Christentum
1. Glaubensgrundsätze
2. Orthodoxe, Katholische und Evangelische Kirchen
3. Schriften
4. Geschlechterordnung, -hierarchie und –beziehungen
5. Bekleidungsvorschriften für die Geschlechter
6. Maria und Jesus: historische Figuren und Mythengestalten
Glaubensgrundsätze
Das Christentum ist mit über zwei Milliarden Anhängern noch die größte der fünf Weltreligionen.
Seine Wurzeln liegen im Judentum. Die Christen glauben wie die Juden an einen Gott, von dem
man sich kein Bild machen soll. Jedoch sehen die meisten Christen Gott als einen dreifaltigen
Gott an (Trinität): als Vater, Sohn (Jesus Christus) und Heiligen Geist, die zusammen eine
Einheit bilden. Jesus Christus ist nach der Festlegung früher Konzilien zugleich ganz Mensch und
ganz Gott. Die zentralen Elemente der christlichen Lehre sind die Liebe Gottes, die Liebe zu
Gott und die Nächstenliebe. Gott erlöste die Menschen von seiner Schuld oder Erbsünde durch
den Tod Jesu Christi. Dieser ist nach den Zeugnissen der Apostel und der Maria Magdalena vom
Tod als erster Mensch auferstanden. Gemeinsame Sakramente, d.h. heilige, zeichenhafte Rituale,
aller christlichen Konfessionen und Strömungen sind die Taufe und das Abendmahl.
Orthodoxe, Katholische und Evangelische Kirchen
Glaubensspaltungen begleiteten die christliche Kirche,
d.h. die dem Herrn gehörige
Religionsgemeinschaft, von Anfang an, wie schon aus den Paulus-Briefen des Neuen Testaments
hervorgeht. Im Römischen Reich wurde das Christentum im Jahr 391 Staatsreligion. Nach der
Teilung des Reiches 395 entstand die orthodoxe Kirche um den Mittelpunkt Konstantinopel.
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Unterschiedliche theologische Meinungen führten 1054 zum großen Schisma, d.h. der
endgültigen Kirchenspaltung. Die Kirche der „Rechtgläubigen“ der Lobpreisung des dreifaltigen,
unfassbaren, unbegreifbaren Gottes ist heute ein Verband von verschiedenen Nationalkirchen,
die durch Patriarchen vertreten werden. Durch Migration leben orthodoxe Christen heute in allen
Teilen der Welt, wobei die USA, Australien und Deutschland zahlenmäßig am bedeutendsten
sind. Wichtigste Quelle des orthodoxen Glaubens ist die Heilige Schrift. Von Bedeutung sind
aber auch die Lehren der Kirchenväter (Nachfolger der Apostel = Jünger Jesu, bis etwa zum 8.
Jahrhundert) und die Konzilien. Orthodoxe Christen kritisieren das Papsttum und das Dogma,
d.h. die Glaubenvorschrift, der Unfehlbarkeit des Papstes. Das in orthodoxen Kirchen besonders
Anziehende ist die feierliche Liturgie mit Gesängen und Symbolhandlungen, bei denen auch
Ikonen als kirchlich geweihte Bilder eine große Rolle spielen. Diese Ikonen stellen z. B. Christus,
Maria oder Heilige dar. Ihre Verehrung widerspricht nicht dem Bilderverbot und ist von der
Anbetung Gottes zu trennen. Wie in der katholischen Kirche sind nur Männer zum Priesteramt
zugelassen. Von ihnen wird ein Leben in Zölibat, ohne Ehe und Sexualität verlangt.
Die katholische Kirche ist die größte Konfession innerhalb des Christentums und umfasst 23
Teilkirchen. Sie entstand aus der westlichen Tradition Roms und sieht den Papst als „Nachfolger
des heiligen Petrus“ und oberste, unfehlbare Autorität an. Sie teilt die sieben Sakramente
(Taufe,
Heilige
Eucharistie/Kommunion,
Salbung
bzw.
Firmung,
Sakrament
der
Versöhnung/Bußsakrament, Krankensalbung, Priesterweihe, Ehe) mit den orthodoxen Kirchen.
Katholische Christen verehren in den Heiligen und in Maria das vielfältige Wirken Gottes. Nach
ihrer Auffassung ist Maria von der Erbsünde frei, hat Jesus vom Heiligen Geist keusch
empfangen und ist in den Himmel aufgenommen worden. Für Jahrhunderte galt während
katholischer Gottesdienste eine nach Geschlechtern getrennte Sitzordnung. In der katholischen
Kirche sind bis heute Frauen als Priesterinnen nicht zugelassen.
Zur katholischen Kirche zählt auch das in den letzten Jahrzehnten von Päpsten noch
aufgewertete rechtslastige und umstrittene Opus Dei (=Werk Gottes), das 1928 in Spanien von
Josemaria Escrivà gegründet wurde. Es rekrutiert neue Mitglieder als katholische Elite bevorzugt
aus Studierendenkreisen, aber auch unter Staatsrepräsentanten. Opus Dei ist nicht nur eine
einflussreiche Organisation im Vatikan, sondern arbeitet in 62 Ländern auf allen Kontinenten der
Erde. Zu seinen Methoden gehören neben psychischer Unterwerfung und Selbstzüchtigung auch
die Isolierung und Kontrolle der geheimen Mitglieder der Organisation. Darüber hinaus
praktiziert Opus Dei eine strikte Geschlechtertrennung und behandelt Frauen faktisch als
minderwertige Wesen. Dennoch sprach Papst Johannes Paul II 2002 den Gründer heilig und
verschaffte Opus Dei innerhalb der Kirche weiteren Einfluss. Er unterstützte so die gefährliche
11
und undurchsichtige Macht dieser Organisation, die bisher auch von Papst Benedikt nicht
beschnitten wurde.
Die evangelischen Kirchen stehen in der Tradition der Reformation, die in Deutschland durch
den Mönch Martin Luther aus Wittenberg ausgelöst wurde. Er übersetzte die Bibel grundlegend
neu aus der lateinischen Fassung. Die wesentlichen Glaubensgrundsätze der Protestanten sind bis
heute: allein die Bibel ist Grundlage des christlichen Glaubens, nicht aber die Autorität von
Päpsten oder Bischöfen. Der gläubige Mensch wird allein von Gottes Gnade und nicht durch
eigene Handlungen errettet. Als Sakramente bestehen die Taufe und das Abendmahl. In den
evangelischen Kirchen werden seit wenigen Jahren Frauen als Pastorinnen und Bischöfinnen
beschäftigt. Schon Luther schaffte das Zölibat, d.h. die Pflicht für Priester, ehelos zu bleiben, ab.
Schriften
Die Luther - Bibel ist nicht ein Buch, sondern eine Sammlung von 66 verschiedenen Büchern (39
Altes Testament und 27 Neues Testament). Verfasst wurden die Vorläufer von mehr als 40
Schreibern aus unterschiedlichen Kulturen, an verschiedenen Orten und
über einen Zeitraum von mehr als 1.500 Jahren hinweg. Die einzelnen
christlichen
Konfessionen erklärten unterschiedliche Schriften zu
Apokryphen, d.h. zu nicht-amtlichen Überlieferungen. Die Verfasser der
unterschiedlichen Bücher der Bibel sind zum größten Teil nicht bekannt..
Dies gilt nicht nur für das Alte Testament sondern auch für einige der
zwischen 70 und 120 nach Christi Geburt entstandenen Schriften des
Neuen Testamentes. Bei einigen Autoren ist die Verfasserschaft
umstritten. Das Christentum übernahm die ins Griechisch übersetzte
hebräische Bibel als Altes Testament. Bis auf einige Abweichungen
entspricht es der hebräischen Bibel des Judentums. Das Neue Testament
enthält neben dem Bericht über das Leben Jesu (Evangelien) Geschichten
über die Kirche (Apostelgeschichte) und die Briefe von den Aposteln. Unter Christen gibt es
Unstimmigkeiten über die richtige Methode der Übersetzung und unterschiedliche
Interpretationen der Texte. Umstritten ist auch, wie weit es sich bei den Texten um Gottes Wort
handelt. Generell gilt die „Bibel“ für Gläubige jedoch als anerkannte Quelle von Informationen
über Jesus und Gott allgemein.
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Geschlechterordnung, -hierarchie und -beziehungen
Christen sehen Frauen wie Männer als gleichwertige Ebenbilder von Gott. Aber in der
Jahrhunderte langen christlichen Überlieferung und vor allem in der Praxis gläubiger Christen
gewann Maria als zugleich Jungfrau und Gottesmutter eine besondere Bedeutung. Sie gilt als
„neue Eva“, die dem Teufel in Gestalt der Schlange den Kopf zertreten hat. Dennoch wird mit
Hinweis auf den Schöpfungsbericht Frauen in der katholischen Kirche der Zugang zum
Priesteramt verwehrt: „Weil Gott in einem Mann Mensch geworden ist, kann nur ein männlicher
Priester am Altar Christus repräsentieren“, heißt es in einem offiziellen Dokument der Kirche
von 1976. Der Ausschluss der Frauen von kirchlichen Ämtern wird auch mit Hinweis auf
bestimmte Bibelstellen im Neuen Testament als gottgewollt dargestellt. Auf der anderen Seite
betonen Christen in der Nachfolge der Apostel die Gleichheit aller Menschen vor Christus,
unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Klasse oder kulturellen Zugehörigkeiten: „Hier ist nicht
Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid
allesamt einer in Christus Jesus“ (Paulus Brief an die Galater 3,26-28).
Bekleidungsvorschriften für die Geschlechter
Die alttestamentarische Textstelle „Eine Frau soll nicht Männersachen tragen, und ein Mann soll
nicht Frauenkleider anziehen ....“ (5 Moses 22,4) wirft einige Fragen auf. Waren die
Geschlechtergrenzen in damaliger Zeit vielleicht eher fließend und abhängig von Kleidung und
Verhalten? Konnten „weibliche“ und „männliche“ Menschen ohne die entsprechende Kleidung
nicht klar identifiziert werden? Bestand die Sorge, dass ein Mann, wenn er Frauenkleider trug, als
Frau gelten konnte und umgekehrt? Gab es die von den biologischen und medizinischen
Wissenschaften vor allem im 19. Jahrhundert behaupteten eindeutigen körperlichen Unterschiede
zwischen den Geschlechtern vielleicht gar nicht immer? Auch im Neuen Testament finden sich
Vorschriften für Kopfbedeckungen und Haartracht abhängig vom zugewiesenen Geschlecht. Für
Frauen ist es dort eine Ehre, langes Haar zu haben, denn dieses dient ihnen angeblich als Schleier.
Bei Männern ist das Tragen langer Haare dagegen eine „Unehre“ und gegen die Natur (wie im
Paulus-Brief an die Korinther 1 Kor 11, 14-16). Jesus aber wird in vielen christlichen Darstellungen durch verschiedene Jahrhunderte mit langen Haaren dargestellt. War Jesus also zwar
ganz Mensch, aber dennoch kein Mann?
Nach Thomas Laqueur ist die kulturelle Vorstellung von zwei gegensätzlichen, aber aufeinander
als Paar verwiesenen Geschlechtern erst im 18. Jh. entstanden. In dieser Zeit verlor die christliche
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Religion weitgehend an Autorität und Bedeutung. Denn Philosophie und Naturwissenschaften
veränderten im Zeitalter der Aufklärung zusammen mit der Entdeckung ferner Kontinente das
bis dahin bestehende Menschenbild. Bis zu diesem Zeitalter gingen verschiedene Gelehrte von
der Existenz nur eines Geschlechts aus. Der männliche und der weibliche Körper wurden nicht
als grundsätzlich verschieden angesehen. Vielmehr war der Mann die Norm oder der Standard
des Menschen, von dem die Frau als unvollkommeneres Wesen abweicht. Die körperlichen
Geschlechtsmerkmale von Frauen wurden als nach innen gestülpte männliche Geschlechtsorgane
angesehen. Denn bis dahin unterschied man nicht zwischen „natürlichem“ Geschlecht (sex) und
kulturellem Geschlecht (gender). Die im Zuge der Aufklärung vorgenommene neue
Unterscheidung in zwei biologisch erklärte „natürliche“ Geschlechter führte dazu, klare, soziale
und kulturelle Unterschiede zwischen Männern und Frauen als „Geschlechtscharaktere“ von nur
noch zwei Geschlechtern festzulegen. Daraus folgend konnten geschlechtsspezifische Gesetze,
Arbeitsteilungen und Verhaltensnormen begründet werden.
Maria und Jesus: historische Figuren und Mythengestalten
Der Mythos von der Gottesmutter, die ein Gotteskind zur Welt bringt ist
uralt. In den vorchristlichen Religionen gab es ihn schon lange, zum
Beispiel als die ägyptische Himmelsgöttin Hathor oder Isis mit dem
Horusknaben. Die jüdische Mutter Jesus übernimmt einige der
Eigenschaften dieser Göttinnen. Die frühesten Marienbilder stammen aus
dem 2. bis 3. Jahrhundert nach Christus. Auf den meisten Abbildungen
wird Maria nun als Mutter, mit dem Jesuskind auf dem Schoß oder Arm
dargestellt. Im Laufe der anhaltenden Marienverehrung gab die
katholische Kirche nach und nach vier Mariendogmen heraus. Danach
besitzt Maria eine “unbefleckte, ewige Jungfräulichkeit“. Sie ist die Gottesmutter und frei von
Sünde (1854). Außerdem wird ihr die Aufnahme in das Himmelreich bescheinigt (1950). Von
christlichen Gläubigen, und sogar von Muslimen, wird Maria in ganz unterschiedlichen Rollen
verehrt: als Jungfrau, als Himmelskönigin, als Schutzherrin und Führsprecherin. Sie wird als
tugendhaft, gehorsam, demütig, gläubig, liebend und fürsorglich beschrieben. In ihrer Rolle als
Jungfrau erscheint sie fast als androgyne, vergeistigte Gestalt. War Maria eine geheime Göttin im
praktizierten Christentum? Und wer war die historische Maria?
14
Maria (hebräisch Mirjam) heißt nach dem Neuen Testament die Mutter des Jesus von Nazaret.
Diese jüdische Frau war mit dem Bauhandwerker Josef verlobt und lebte wahrscheinlich in der
Kleinstadt Nazaret in Galiläa. Die Bibel berichtet von Maria im Zusammenhang mit der Geburt
Jesu: Ein Engel verkündete ihr die jungfräuliche Empfängnis durch den Heiligen Geist. Sie
flüchtete vor dem römischen Statthalter während des
Kindesmords in Bethlehem mit ihrem Verlobten nach Ägypten.
Später wird sie noch einmal im Zusammenhang mit der
Hochzeit in Kana erwähnt. Am Ende der Evangelien benennen
die Apostel sie als Zeugin für die Kreuzigung Jesus. Ihre
Grabstätte und der Zeitpunkt ihres Todes sind nicht bekannt.
Nach geschichtswissenschaftlichen Untersuchungen fallen in
der
biblisch
überlieferten
Maria
wahrscheinlich
ganz
unterschiedliche Frauengestalten zusammen. Im Hebräischen
wird Maria als „almah“ bezeichnet. Das ist der Name für ein
Mädchen oder eine junge Frau. In der griechischen
Übersetzung wird daraus dann die „Jungfrau“.
Jesus, der Begründer des Christentums, wurde wahrscheinlich zwischen 7 und 4 v. Chr. in
Bethlehem oder Nazaret geboren und starb in den Jahren 30, 31 oder 33 n. Chr. in Jerusalem. Ab
dem Alter von etwa 28 Jahren trat er im Gebiet des heutigen Israel und im Westjordanland
öffentlich als Wanderprediger und Heiler auf. Wenige Jahre später wurde er von den Römern
gekreuzigt. Sein genaues Todesjahr ist nicht überliefert.
Das Neue Testament berichtet von den Taten und Worten Jesu, der nach christlichem Glauben
ganzer Mensch und ganzer Gott ist. Es wird das Bild eines Asketen gezeichnet, der Familie und
Beruf verlässt und ohne Besitz und Waffen predigend durch das Land zieht. Jesus verkündete das
Reich Gottes, Nächstenliebe und Vergebung. Dabei verstieß er gegen die geltenden jüdischen
Vorschriften für den Sabbat, die Achtung der Eltern und Reinlichkeitsgesetze. Er heilte sozial
ausgegrenzte Menschen, wie Prostituierte und Ehebrecherinnen oder vorher Ungläubige. Er
führte Lehrgespräche mit Frauen und nahm sie als Begleiterinnen an. Einige scheinen ihm von
Beginn an gefolgt zu sein und ihn auch finanziell unterstützt zu haben. Sie sollen auch die letzten
Zeugen seiner Hinrichtung und seiner Auferstehung geworden sein. Eine Eheschließung dieses
Jesus erwähnt das Neue Testament nicht. Maria von Magdala, wird als eine seiner engsten
Anhängerinnen bezeichnet.
Einige feministische Theologinnen deuten Jesus vor allem als Freund und Befreier der Frauen.
Andere betonen seine angeblich „weiblichen“ Eigenschaften. Auf den frühen Abbildungen
15
erscheint er oft in der Rolle des guten Hirten, des Lehrers oder in der Pose des Herrschers. Er
trägt in der Regel lange Haare und oft auch einen Bart. Im Mittelalter, vor allem in gotischer
Kunst, wird die Menschengestalt Jesu besonders thematisiert. Er erscheint als Leidender, von
Schmerzen entstellt und voller Wunden. Auf
vielen Heiligenbildchen seit dem 18./19. Jh.
gibt es die Darstellung des blutenden Herzens
Jesu. Oder der Schmerzensmann hängt am
Kreuz, trägt eine Dornenkrone und ist von
einer Glorie eingefasst. Der Kunsthistoriker
Steinberg weist darauf hin, dass in vielen
bildlichen Darstellungen des Jesus seine
„Männlichkeit“
betont
wird.
Manche
Muttergottes zeigt auf das Geschlecht des Neugeborenen. Ein anderes Bild zeigt Jesu nach seiner
Kreuzigung, halbnackt in den Armen seiner Mutter. Vor allen Dingen die Abbildungen seiner
Kreuzigung zeigen seine Genitalien unverhüllt. Die Darstellung des Toten wird hier zugleich mit
der Abbildung sexueller Potenz verbunden. Denn - so Steinberg - der Phallus steht als Symbol
für Macht und Fruchtbarkeit und die Überwindung des Todes. Im Tod werden Körperlichkeit
und Sexualität überwunden.
Weiterführende Informationen
Laqueur, Thomas: Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der
Antike bis Freud, Frankfurt/Main-New York 1992
http://www.religioustolerance.org/christ.htm
Schlangenbrut- Zeitschrift für feministische Theologie
http://www.schlangenbrut.de/
ESWTR - Netzwerk für Frauen aus der theologischen Forschung
http://www.eswtr.org/home_d.html
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16
Islam
1. Glaubensgrundsätze
2. Die Schriften
3. Sunniten, Schiiten und Aleviten
4. Der Prophet Mohammed, Chadidscha, Aischa und Fatima
5. Die Geschlechterordnung im Koran
6. Feministische Lesarten der Schriften
Glaubensgrundsätze
Der Islam hat zur Zeit neben dem Christentum die meisten Gläubigen. Der Kernraum der
islamischen Welt sind die arabischen Staaten, die Türkei und der Iran. Aber ungefähr ein Fünftel
der Muslime lebt in Südostasien. "Islam" bedeutet "Hingabe, Annahme, Übergabe,
Unterwerfung" gegenüber Allah (Gott). Allah ist weder männlich noch weiblich. Er trägt 99
Namen, die seine Güte und Barmherzigkeit betonen, aber auch seine Strenge und Gerechtigkeit.
Allah ist der Erste, der Letzte, der Ewige, der Unendliche, der Allmächtige, der Allwissende,
Schöpfer aller Dinge, der Gerechte, der Erbarmer, der Gnädige, der Liebende, der Gütige, der
Erhabene, der Wahrhaftige usw.. Eigenschaften wie „Gnade“ und „Frieden“ zählen zu seinen am
häufigsten genannten Attributen. Sein Wille ist in Schriften und Gesetzen festgelegt, die alle
Lebensbereiche der Gläubigen bestimmen. Den Menschen wurden die Worte Allahs vermittelt
durch Mohammed, den Propheten und Religionsgründer. Mit seiner Auswanderung nach
Medina, im Jahre 622 n. Chr., beginnt die islamische Zeitrechnung.
Die Lehre des Islam basiert auf fünf Säulen. Die erste Säule stellt den Glauben an Gott, die
Engel, die Schriften, Gottes Gesandte und den Jüngsten Tag dar. Zu den Gesandten oder
Propheten gehören auch Adam, Abraham, Moses und Jesus. Mohammed wird als der letzte
Prophet angesehen. Die anderen vier Säulen des Islam verpflichten die Gläubigen dazu, fünf mal
täglich zu beten, Almosensteuern zu geben, vorgegebene Fastenzeiten einzuhalten und eine
17
Pilgerfahrt nach Mekka zu unternehmen. Der Islam ist eine streng monotheistische Religion, die
sich stark von polytheistischen Religionen abgrenzt, in denen mehrere Götter und Göttinnen
verehrt werden. Gott gilt als einzigartig, vollkommen und nicht vorstellbar. Deshalb lehnt der
Islam auch die christliche Lehre vom dreifaltigen Gott (Trinität): als Vater, Sohn (Jesus Christus)
und Heiliger Geist ab. Und er verbietet jede persönliche Vorstellung oder bildliche Darstellung
von Allah, aber auch von lebenden Wesen. Dadurch hat der Islam eine hohe Schriftkunst
(Kalligraphie) und eine Fülle von Ornamenten, besonders Arabesken (Gabelblattranken)
hervorgebracht. Sie sind das Ergebnis komplizierter rechnerischer Formeln, die auf den
wunderbaren Aufbau der Welt hinweisen.
Die Schriften
Der Koran ist seit 1.400 Jahren das zentrale Dokument des Islam, die heilige Schrift, die
Nichtmuslime nicht berühren, besitzen oder herstellen sollen. Nach dem Glauben vieler Muslime
enthält der Koran die wortwörtlichen Offenbarungen Gottes, die dem Propheten Mohammed im
Laufe von zwei Jahrzehnten (um 610-632 n. Chr.) durch den Erzengel Gabriel übermittelt
wurden. Der Koran gilt grundsätzlich als unübersetzbar, weil Gott durch Mohammed in
arabischer Sprache gesprochen hat. Der Gläubige erlebt Gott in der möglichst auswendigen
Rezitation der Koranverse. Es geht nicht so sehr darum, die Inhalte zu verstehen, sondern die
Laute auszusprechen. Nach islamischer Überlieferung konnte selbst der Prophet weder lesen
noch schreiben, daher wurde der Koran erst von seinen Anhängern schriftlich festgehalten. Nach
seinem Tode, zur Zeit des ersten Kalifen (Stellvertreter des Propheten) Abu Bakr um 632 n. Chr.
entstand der erste Koran-Band.
Der großen teils in Reimprosa geschriebene Koran ist in 114 Suren (Kapitel) eingeteilt, die nach
ihrer Länge geordnet sind. Der Inhalt besteht aus Lobpreisungen auf Allah, Ankündigungen des
Jüngsten Tages, Trostworten, Ermahnungen, Warnungen und anderem. Da sich der Islam vor
dem Hintergrund des Judentums und Christentums entwickelte, enthält er auch viele Elemente
aus den jüdischen und christlichen Überlieferungen. Er bezeichnet die Tora, die Psalmen und das
Evangelium als heilige Schriften, die von Gott stammen, aber später von Menschen verfälscht
worden seien. Adam wird erwähnt, Hawwa (Eva) als sein Weib bezeichnet. Laut Koran trugen
beide die Verantwortung für die Vertreibung aus dem Paradies, aber ihnen wurde von Gott
verziehen. Im Islam gibt es daher keine Erbsünde. Der Mutter von Jesus, Maryam (Maria),
widmet der Koran eine ganze Sure. Nach dem Glauben vieler Muslime ist Maria in den Himmel
18
aufgefahren und hat Jesus in jungfräulicher Geburt zur Welt gebracht. Sie gilt als eine der vier
hervorragendst Frauen der Menschheitsgeschichte, neben Chadidscha, Aischa und Fatima. Jesus
wird als einer der großen Propheten angesehen, aber nicht als Gottes Sohn. Laut Koran wurde er
nicht gekreuzigt, sondern von Gott errettet.
Die Sunna, d.h. die Gesamtheit der Überlieferungen des Propheten Mohammed, ist die zweite
wichtige Schrift im Islam. Sie beschreibt beispielhaftes, vorbildliches Verhalten und leitet daraus
Handlungsanweisungen für alle gläubigen Muslime ab. Übermittelt wird sie in Form der Hadithe,
d.h. Nachrichten und Erzählungen über das, was der Prophet gesagt, getan, verurteilt oder gelobt
haben soll. Die Hadithe wurden zuerst in mündlicher Überlieferung weitergegeben. Sie gehen auf
Freunde, Verwandte und Bekannte des Propheten zurück. Ihr Wahrheitsgehalt wird an der
Glaubwürdigkeit der Personen gemessen und daran, wie nahe sie dem Propheten gestanden
haben sollen. Auch der angebliche Charakter und der Ruf der Übermittler spielen eine Rolle.
Eine Hadithe besteht aus zwei Komponenten: dem Inhalt und der Kette der Namen derjenigen
Männer und Frauen, die sie überliefert haben. Die ersten Aufzeichnungen entstanden nach
heutiger Islamforschung schon im ersten muslimischen Jahrhundert. Nach dem Tode
Mohammeds kam es zu einer regelrechten Hadithe-Produktion, die zu zahlreichen,
unterschiedlichen Sammlungen führte. Islamische Theologen stellten Regeln für ihre Echtheit auf
und prüften die vorliegenden Quellen. Daraus entwickelten sich die weitgehend noch heute
anerkannten Hadithe-Sammlungen. Im Gegensatz zum Koran gibt es aber keine von allen
akzeptierte Festlegung, welche Hadithen echt sind.
Der Begriff „Scharia“ wird im heutigen Sprachgebrauch für "islamisches Recht" verwendet,
bedeutet im engeren Sinne jedoch die von Gott gesetzte Ordnung. Zurückzuführen ist sie auf die
Schriften von islamischen Rechtsgelehrten des 7. bis 10. Jahrhunderts. Die Scharia regelt nicht
nur Rechtsfragen, sondern enthält auch religiöse, ethische, moralische und soziale Gesetze,
Normen und Gebote. Sie bezieht sich auf den Koran und die Hadithe als Hauptquellen.
Abgesehen von einigen religiösen Gesetzen und Teilen des Familienrechts ist die Scharia auch für
alle nichtmuslimischen Mitglieder in einer islamischen Gesellschaft verbindlich. Es gibt heute in
Staaten mit islamischer Bevölkerungsmehrheit sehr verschiedene Modelle im Blick auf die
Bedeutung der Scharia. Während etwa die Türkei ein säkularer Staat ist, dessen Verfassung keinen
Bezug auf das islamische Recht nimmt, haben Pakistan oder Sudan beschlossen, die Scharia zur
Grundlage der Rechtsprechung zu machen. Das kann in der Praxis heißen, dass neue Gesetze
von islamischen Juristen auf ihre Vereinbarkeit mit dem überlieferten islamischen Recht
überprüft werden. Dazwischen stehen Staaten wie Malaysia, die sich zwar als islamische Staaten
19
bezeichnen,
deren
Gesetzgebungsverfahren
aber
säkular,
also
rein
aufgrund
einer
Mehrheitsentscheidung des Parlamentes erfolgt. Saudi-Arabien hat den Koran zur Verfassung
seiner Monarchie erklärt, in der Praxis aber nicht aufgehört, trotzdem andere Rechtsquellen
heranzuziehen.
Sunniten, Schiiten und Aleviten
Die Streitigkeiten und Machtkämpfe um die Nachfolge Mohammeds führten zu Abspaltungen
innerhalb des Islam und zur Herausbildung unterschiedlicher Konfessionen. Die Sunniten sind
mit etwa 80-90 Prozent die zahlenmäßig größte Gruppe im Islam, gefolgt von den Schiiten und
den Aleviten. Die Sunniten stellen in vielen islamischen
Ländern die Mehrheit der Muslime. Im Iran, im Irak, in
Bahrain und in Aserbaidschan dagegen ist der Anteil der
Sunniten an der Gesamtbevölkerung am größten.
Daneben gibt es noch zahlreiche kleinere Gruppen und
Richtungen,
unter
anderem
den
Sufismus
und
Wahhabismus. Die Sunniten betrachten die ersten vier
Kalifen als die rechtmäßigen Nachfolger Mohammeds.
Die Schiiten und die Aleviten berufen sich hingegen auf
Ali, den Cousin und Schwiegersohn des Propheten, als
legitimen Erben. Beide Strömungen folgen den fünf
Säulen des Islam und stimmen in wesentlichen Glaubensgrundsätzen überein. Unstimmigkeiten
hingegen herrschen in Bezug auf die Gültigkeit und Echtheit bestimmter Hadithe und die
Auslegung der Rechtsprechung.
Die Aleviten bilden nach den Sunniten die zweitgrößte Religionsgemeinschaft in der Türkei.
Nach den Sunniten sind sie auch in Deutschland die zweitstärkste muslimische Konfession. Über
Jahrhunderte waren sie immer wieder Anfeindungen und Verfolgungen ausgesetzt. Die Aleviten
teilen nur das Glaubensbekenntnis mit den Sunniten und Schiiten. Sie folgen nicht den Geboten
der Scharia und der Hadithe und legen den Koran nicht wortwörtlich aus. Die Aleviten treten
stärker als andere Konfessionen im Islam ein für Religionsfreiheit, Menschenrechte und die
Gleichberechtigung der Geschlechter. Männer und Frauen sitzen im Gottesdienst zusammen und
haben dieselben Rechte und Pflichten. Frauen tragen in der Regel kein Kopftuch. Im Zentrum
des alevitischen Denkens und Handelns stehen Liebe, Respekt und Frieden. Für sie manifestiert
20
sich Gott in der Natur und im Menschen, unabhängig von seinem Geschlecht, ethnischer
Zugehörigkeit oder sozialem Stand.
Der Prophet Mohammed, Chadidscha, Aischa und Fatima
Es gibt so gut wie keine unabhängigen zeitgenössischen Quellen zu Mohammeds Leben und
Wirken. Wie auch bei Jesus ranken sich zahlreiche, zum Teil widersprüchliche Legenden und
Erzählungen um seine Person. Mohammed wurde um 570 n. Chr. in Mekka geboren. In jungen
Jahren soll er als Hirte, später als Karawanenführer und Angestellter der Kauffrau Chadidscha
gearbeitet haben. Mit der 15 Jahre älteren Chadidscha war er 25 Jahre verheiratet. Nach ihrem
Tode heiratete er neun Frauen (die Anzahl variiert je nach Quelle) und hatte zwei Sklavinnen als
Nebenfrauen, unter anderem eine Christin. Im Alter von ungefähr 40 Jahren wurden ihm die
ersten Offenbarungen Gottes zuerst in Träumen und Visionen, später mündlich überliefert. Er
predigte gegen den Polytheismus und wurde als angefeindeter Prophet aus Mekka vertrieben.
Nach seiner Übersiedlung nach Medina wurde Mohammed zum geachteten Führer der dortigen
Gemeinde. Seine Feldzüge führten 630 n. Chr. zur Eroberung von Mekka und mündeten in die
religiöse und politische Einigung der arabischen Stämme unter dem Islam. Nach dem Tod
Mohammeds (um 632 n. Chr.) in Medina, trat Ali Bakr, sein langjähriger Freund und Vater seiner
Ehefrau Aischa, seine Nachfolge an.
Chadidscha, die erste Frau des Propheten, war eine wohlhabende Geschäftsfrau in hoher sozialer
Stellung. Sie soll Mohammed die Ehe selbst angeboten haben. Mit ihrer Hilfe erlangte er
finanzielle Unabhängigkeit und soziale Sicherheit. Nach den Hadithen ist sie die erste Person, die
an seine Botschaften glaubte und ihn als Gründer einer neuen Religion unterstützte. Die
islamische Geschichtsschreibung betrachtet sie daher als die erste Muslimin. Als Mutter und
Vorbild aller Gläubigen wird sie hochverehrt. Chadidscha trägt den Beinamen "At-Tahira" (die
Reine). Die Hadithe bezeichnen sie als entschlossene, edle und kluge Frau von vornehmer
Abstammung. Die Berichte heben besonders ihre positiven Eigenschaften in ihrer Funktion als
Ehefrau von Mohammed hervor. Sie erscheint als die mütterliche, beschützende Frau, die den
Propheten mit ihrem Einfluss, ihrem Geld und ihrer Zuneigung unterstützte.
Die spätere Ehefrau Mohammeds, Hafsa, bewahrte die erste Niederschrift des Koran auf, bis die
Teile später zu einem Buch geordnet wurden. Aischa war die dritte Frau des Propheten und die
Tochter seines engsten Freundes Abu Bakr. Der Prophet soll Aischa geheiratet haben, als sie
neun Jahre alt war (ihr genaues Alter variiert je nach Quelle). Sie gilt als eine der gebildetsten
21
Frauen der damaligen Zeit und als eine der wichtigsten Quellen für die Überlieferungen von
Mohammeds Worten und Taten. Die Hadithe beschreiben Aischa als Gelehrte, Politikerin und
Kriegerin, die an mehreren Schlachten Mohammeds beteiligt war. Nach seinem Tode bekämpfte
sie den vierten Kalifen, Ali, den Cousin und Schwiegersohn Mohammeds. Als Lieblingsfrau des
Propheten und Gegenspielerin Alis wird sie besonders von den Sunniten verehrt. Für sie stellt
Aischa ein Vorbild an Frömmigkeit und eine religiöse Autorität dar.
Fatima genießt als Tochter Mohammeds und Ehefrau des vierten Kalifen Ali großes Ansehen
unter den Muslimen, insbesondere bei den Schiiten. Diese zählen sie zusammen mit Mohammed
und den zwölf Imamen zu den „Vierzehn Unfehlbaren“. Hier sind Parallelen zu der christlichen
Marienverehrung zu erkennen, da Fatima auch als „Jungfrau Fatima“ bezeichnet wird. Fatima
war die einzige von Mohammeds Kindern, die männliche Nachkommen hatte und daher auch an
den Streitigkeiten und Kämpfen um seine Nachfolge beteiligt war. Im Volksglauben spielt „die
Hand der Fatima" oder „das Auge der Fatima“, als Abwehr gegen den bösen Blick eine wichtige
Rolle. Dieses Amulett ist ein Schmuckstück in Form einer geöffneten Hand, manchmal auch mit
einem Auge in der Mitte der Hand. Es soll an Fatima erinnern und symbolisiert Standhaftigkeit,
Mut, Loyalität und auch Reue. Es kommt auch bei Juden häufig vor und heißt dort: die Hand der
Schwester von Moses.
Die Geschlechterordnung im Koran
Die Lehre des Islam geht von zwei Geschlechtern aus: dem Mann und der Frau. Gegenüber Allah
sind beide Geschlechter absolut gleichwertig, aber nicht
gleichartig. In der gesellschaftlichen Realität vieler islamischer
Länder herrscht jedoch Geschlechtertrennung, und die Frau
wird als dem Mann untergeordnet angesehen. Aus der
Verschiedenartigkeit
der
Geschlechter
werden
unter-
schiedliche Stellungen und Aufgaben abgeleitet und mit
Hinweis auf entsprechende Aussagen im Koran und in den
Hadithe begründet. Daraus folgen der Ausschluss der Frauen
von bestimmten religiösen und politischen Ämtern und
andere Formen von Diskriminierung.
22
Die Verbindung von Mann und Frau in Ehe und Familie gilt als Ideal, auch wenn die Ehe im
Islam nur ein rechtlicher Vertrag ist und kein heiliger Bund. Der Koran und die Hathide sehen
eine klare Aufgabenteilung für die zwei Geschlechter vor, die als gottgewollt und natürlich gilt.
Der Mann ist für den Lebensunterhalt der Familie verantwortlich. Die Frau erfüllt ihre Pflichten
als Ehefrau und ihre Aufgabe als Mutter. Der Koran begründet die Überordnung des Mannes
über die Frau und gibt ihm das Recht, sie im Falle von Ungehorsam zu bestrafen: „Die Männer
stehen den Frauen in Verantwortung vor, weil Allah die einen vor den anderen ausgezeichnet hat
und weil sie von ihrem Vermögen hingeben. Darum sind tugendhafte Frauen die Gehorsamen
und diejenigen, die (ihrer Gatten) Geheimnisse mit Allahs Hilfe wahren. Und jene, deren
Widerspenstigkeit ihr befürchtet: ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie! Wenn sie
euch dann gehorchen, so sucht gegen sie keine Ausrede...“ (Sure 4, Vers 34; Sure 2 Vers 228).
Auf der anderen Seite ist die Ehe nach islamischem Verständnis eine Einrichtung zur
gegenseitigen Unterstützung, denn „...die gläubigen Männer und Frauen sind einer des anderen
Beschützer...“ (Sure 9, Vers 71). Die beiden Geschlechter sollen sich als Freunde und
„Zwillingshälften“ (Sunan Dawud Abu, Hadith Nr. 226) in ihrer Verschiedenartigkeit ergänzen
und sich mit Zuneigung und Achtung begegnen (Sure 30, Vers 21).
Feministische Lesarten der Schriften
Islamische Feministinnen, wie die Islamwissenschaftlerin Margot Badran, verweisen auf die bisher
eher von männlichen Gelehrten übermittelten Lesarten und Traditionen und setzen sich für eine
zeitgemäße, geschlechtsneutrale Auslegung der Schriften des Korans ein. Aus ihrer Sicht ist eine
neue Interpretation des Koran die Basis für die von ihnen geforderte grundlegende Reformierung
der Rechtsprechung (Scharia). Andere Autorinnen, wie die Soziologin
Fatima Mernissi, verweisen auf die sich widersprechenden Aussagen in
bezug auf die Geschlechterordnung, -beziehungen und -hierarchien im
Koran und in den Hadithe. Sie bezweifelt die Glaubwürdigkeit der
Überlieferer und die Echtheit ihrer Berichte. Die Theologin Riffat
Hassan kritisiert die falsche Übersetzung und Interpretation bestimmter
Koranstellen und nimmt Bezug auf den Schöpfungsmythos im Koran.
Die traditionelle Übersetzung des Schöpfungsberichts lautet: „O ihr Menschen, fürchtet euren
Herrn, der euch erschaffen hat aus einem einzigen Wesen; und aus ihm erschuf er seine Gattin...“
(Sure 4, Vers 1). Nach der Auslegung und Übersetzung von Riffat Hassan erschuf Gott die
Menschen (und nicht den Mann) als Partner und Partnerinnen aus „jener Ursubstanz“ (nafsun
23
wahidatun) und nicht aus einem einzigen Wesen. Damit gleicht sie einigen jüdischen und
christlichen Feministinnen.
Weiterführende Informationen
ZIF Zentrum für Islamische Frauenforschung und Frauenförderung
http://www.zif-koeln.de/
Huda -Netzwerk muslimischer Frauen e. V.
http://www.huda.de/index2.php
Renate Kreile „ Das Verhältnis der Geschlechter und seine Instrumentalisierung in: „Der
Vordere Orient an der Schwelle zum 21. Jahrhundert“, Der Bürger im Staat, Ausgabe 3/1998:
http://www.buergerimstaat.de/4_98/ueberlok.pdf
Dossier zur Kopftuch-Debatte auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung
http://www.bpb.de/themen/NNAABC,0,0,Konfliktstoff_Kopftuch.html
Dossier zum Thema Feministischer Islam auf der Webseite des Internetportals Quantara
http://www.qantara.de/webcom/show_article.php/_c-296/i.html
Hawwa. Journal of Women in the Middle East and the Islamic World
http://www.brill.nl/m_catalogue_sub6_id10263.htm
Peripherie Schwerpunktthema “Gender und Islam“, in Heft 95, 2004
http://www.zeitschrift-peripherie.de/
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24
Hinduismus
1. Glaubensgrundsätze
2. Schriften
3. Ein Gott und viele Götter zugleich: Brahma, Vishnu und Shivas
4. Vishnuismus und Shivaismus
5. Die Verehrung der Göttin: Shaktismus
6. Geschlechtswandlungen und das dritte Geschlecht
Glaubensgrundsätze
Den Hinduismus gibt es eigentlich gar nicht. „Hinduismus“ ist ein von westlichen
Wissenschaftlern eingeführter Begriff, der nicht für eine konkrete Religion steht, sondern für eine
Vielzahl von unterschiedlichen Hindu-Religionen. Entstanden ist er aus der Verschmelzung
altindischer Glaubensvorstellungen mit der Religion der aus dem Norden eingewanderten Arier.
Der Hinduismus umfasst zahlreiche religiöse Strömungen und Denksysteme, die zu
verschiedenen Zeiten in den letzten zwei- bis drei Jahrtausenden auf dem indischen Kontinent
entstanden sind. Die Hindus selbst nennen ihre religiöse Tradition auch „die ewige Ordnung“.
Der Hinduismus wird oft als Polytheismus bezeichnet, weil eine große Zahl an Göttinnen und
Göttern verehrt werden. Aber er kann auch als monotheistische Religion betrachtet werden, denn
viele Hindus sehen in der Vielzahl der Götter und Göttinnen lediglich unterschiedliche Gesichter
oder Erscheinungsformen des einen Gottes „Brahman“ oder des jeweiligen Hauptgottes oder der
Hauptgöttin, die sie anbeten. Der Hinduismus geht nicht auf einen bestimmten Religionsgründer
zurück. Es gibt auch kein gemeinsames für alle Gläubigen gültiges Glaubensbekenntnis. Die
einzelnen Hindu-Religionen haben vielmehr unterschiedliche Gottheiten, Wege zur Erlösung von
der Wiedergeburt, Kulte, Ursprünge, heilige Schriften, und diese sind in unterschiedlichen
Sprachen aufgeschrieben (Sanskrit und diverse Volkssprachen).
25
Aber es gibt Gemeinsamkeiten: fast alle Hindus glauben an einen Gott in irgendeiner
persönlichen oder unpersönlichen Form. Sie gehen davon aus, dass Leben und Tod ein sich
ständig wiederholender endloser Kreislauf (Samsara) sind, der Leiden mit sich bringt und aus
dem der Mensch sich nicht aus eigenem Vermögen befreien kann. Die meisten Hindus glauben
an die Reinkarnation, d.h. die Wanderung der Seele nach dem Tode und die Wiedergeburt in
einer neuen Gestalt. Daraus folgt die große Bedeutung eines Gurus, geistlichen Lehrers oder
„Seelenführers“ in den hinduistischen Religionen. Die Form, in der der Mensch wiedergeboren
wird, ist abhängig von seinem Karma, d.h. bedingt durch Handlungen und Gedanken in seinem
jeweiligen Leben. Der Mensch wird an einem ihm vorbestimmten Platz geboren und hat
entsprechend diesem gesellschaftlichen Stand (und Geschlecht?) spezifische Pflichten und
Rechte. In fast allen Strömungen des Hinduismus spielen Rituale eine wichtige Rolle. Die tägliche
Ausübung dieser religiösen Zeremonien findet nicht nur in öffentlichen Tempeln statt, sondern
vor allem im privaten Bereich: in Form von persönlichen Gebeten, Meditationen, Anbetung von
Götterbildern und Opferungen von Naturprodukten. Hinzu kommt die Pilgerung zu heiligen
Stätten und eine lebendige, ausgeprägte Kultur von religiösen Festen und Bestattungszeremonien.
Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Verehrung der Veden (altindische heilige Texte).
Trotz aller Unterschiede können Hindus der verschiedenen religiösen Richtungen weitgehend
gemeinsam feiern und beten; und innerhalb einer Familie werden manchmal mehrere Götter
nebeneinander angebetet. Der Hinduismus verändert sich ständig: jedes Dorf und jeder
Landstrich in Indien; Nepal; Bangladesh, Sri Lanka, Bali und anderen Ländern hat seine eigenen
Lokal- oder Stammesgottheiten, die durch die Identifikation mit den Hauptgöttern in die
jeweilige religiöse Richtung mitaufgenommen werden. In den Hindu-Religionen steckt daher eine
stark integrierende Kraft, die sich durch „Einheit in der Vielfalt“ ausdrückt, und prinzipiell für
Flexibilität und Toleranz gegenüber fremden Elementen und anderen Religionen steht.
Schriften
Die Vielfalt der Hindu-Religionen spiegelt sich ebenfalls in der Anzahl der Schriften wider. Eine
für alle Gläubigen verbindliche Schrift, wie etwa die Bibel oder den Koran, gibt es nicht. Generell
wird unterschieden zwischen den Shrutis (das von Weisen/Gott Gehörte oder von Sehern
Geschaute) und den Smriti (das Erinnerte). Shrutis sind die heiligen und verbindlichen Schriften,
Smritis gelten als von Menschen gemacht und übermitteln die Tradition. Zu den Shrutis gehören
die Veden und die Upanishaden.
26
Die vier Veden (Wissen) zählen zu den wichtigsten heiligen Schriften und kommen in ihrem
Umfang einer enormen Enzyklopädie gleich. Sie sind zwischen 1.000-300 v.Chr. entstanden und
bestehen aus religiösen Lobpreisungen, Formeln und Liedern sowie Anweisungen zur
Durchführung und Interpretationen von (Opfer)Ritualen. Die Texte sind in Prosa- und Versform
geschrieben, galten früher als geheim und stellen eine Art „Priesterhandbuch“ dar. In den
Gesängen wurden die göttlichen Kräfte gepriesen und in ihnen liegen auch die Wurzeln der
heutigen indisch-klassischen Musik. Wie im Islam, so ist auch im Hinduismus die wortwörtliche
Rezitation sehr wichtig. Die Veden wurden mündlich von Priestern zu Schülern weitergegeben
und erst um das 5. Jahrhundert n.Chr. niedergeschrieben. Zum Teil gehen ihre Namen auf die
angeblichen Verfasser zurück, diese sind aber nicht historisch belegt. Einerseits verboten einige
Gesetzgeber Frauen das Lesen der Veden, auf der anderen Seite sollen einige Hymnen, zum
Beispiel in der Rigveda, von Frauen geschrieben worden sein.
Die Upanischaden (Geheimlehren) entstanden zwischen 700-200 v.Chr. und bestehen aus
insgesamt 108 Büchern. Die Texte erklären und erläutern die Veden. Darüber hinaus nehmen sie
in Form von philosophischen Abhandlungen zu den zentralen Lehren der Hindu-Religionen
Stellung und geben religiöse Ratschläge und Empfehlungen. Die Upanischaden wurden bisher
immer männlichen Verfassern zugeordnet. Erst in diesem Jahrhundert wurden die Manuskripte
der Autorin Tirukkoneri Dasyai entdeckt, die im 15. Jahrhundert entstanden sind.
Zur zweiten Gruppe der Schriften, den Smritis, gehören die beiden
umfangreichen Helden-Epen Mahabharata und Ramayana. Sie
bilden den Kern der religiösen Hindu-Literatur, aber sie erheben
keinen Anspruch auf Übermittlung der absoluten Wahrheit. Die
vielfältigen Mythen, Legenden und Philosophien der HinduReligionen werden hier in Form von Erzählungen wiedergegeben.
Diese Geschichten sind in Indien bis heute sehr populär. Sie
werden nicht nur auf religiösen Festen vorgelesen und haben die
Malerei und Bildhauerei inspiriert sondern dienen auch als Vorlage
für Kinofilme und Comics. Das Mahabharata wurde wahrscheinlich zwischen 400 v.Chr. und 400
n.Chr. niedergeschrieben, geht aber auf ältere Überlieferungen zurück. Es umfasst etwa 100.000
Doppelverse. Die Bhagavad Gita (Der Gesang des Erhabenen) ist Teil dieses Epos und gilt als
das
bedeutendste
und
bekannteste
Werk
der
Hindu-Literatur.
In
Form
eines
religionsphilosophischen Gedichts erzählt es die Geschichte vom großen Krieger Arjuna und
dem Gott Krishna. Der Weise Vyasa aus der indischen Mythologie wird als der Autor der
Bhagavad Gita angenommen.
27
Ein Gott und viele Götter zugleich: Brahma, Vishnu und Shivas
Zur Zeit der Entstehung der Veden repräsentierten die Götter die Naturkräfte. Erst mit den
späteren
Schriften
der
Upanischaden
entstanden
die
zentralen
hinduistischen
Glaubensvorstellungen von Erlösung, Widergeburt und der Alleinheitslehre. Diese Lehre von der
Alleinheit verkörpert eine monotheistische Richtung des Hinduismus. In ihr repräsentiert
Brahman das unpersönlich vorgestellte höchste Sein, das nicht nur in der Seele jedes Lebewesens
enthalten ist (Atman), sondern die Seele des ganzen Kosmos darstellt (Brahman). Brahman ist
das höchste Göttliche, ohne (körperliche) Form und daher nicht abbildbar. Es kann auch nicht
angebetet werden, da es ja den Anbetenden mit einschließt.
Daneben gibt es eine hinduistische Richtung, die Parallelen zur
Dreifaltigkeit im Christentum aufweist und auch als hinduistische
Trinität bezeichnet wird. Brahman (All-Eine) wird in der Dreigestalt
von Brahma (nicht zu verwechseln mit Brahman) dem Schöpfer,
Vishnu dem Erhalter und Shiva dem Zerstörer repräsentiert. Alle drei
Götter sind unterschiedliche Erscheinungsformen des einen höchsten
Wesens und seiner drei Aspekte bzw. Funktionen. Diese Dreigestalt
wird entweder in einer einzigen Figur mit drei Köpfen und sechs
Armen dargestellt oder als drei einzelne Gottheiten. Jedem Gott wird
eine Göttin als Ehefrau zur Seite gestellt. Saraswati, die Ehefrau von Brahma, ist die Göttin der
Wissenschaft, Weisheit, Poesie und Musik. Die Göttin Lakshmi und Ehefrau von Vishnu steht
für Glück, Schönheit und Reichtum. Parvati, die weibliche Seite Shivas, ist die Göttin der
Schönheit, des Glanzes und der Heiterkeit.
Zeichnungen, Statuen und Gemälde zeigen den Gott Brahma als älteren, bärtigen Mann mit vier
Gesichtern, die in alle Himmelsrichtungen zeigen, und mit vier Armen. Als eigenständige
Gottheit wird er im heutigen Indien nur noch in seiner Funktion als Offenbarer der Veden
verehrt. Die Strömung innerhalb des Hinduismus, die Brahma als den einen Gott anbetete, ist
praktisch so gut wie nicht mehr anzutreffen. Die beiden Götter Vishnu und Shiva sind nicht nur
Teil der hinduistischen Dreigestalt, die das höchste Wesen Brahman repräsentiert. Der Glaube
entweder an Shiva oder Vishnu als eigenständige Hauptgottheit steht auch für die Aufteilung in
zwei wichtige Glaubensrichtungen innerhalb des Hinduismus: Vishnuismus und Shivaismus.
Zeitlich fällt diese Aufspaltung in die zwei Hauptströmungen mit dem Ende der UpanischadenZeit und der Niederschrift der beiden bedeutenden Helden-Epen zusammen.
28
Vishnuismus und Shivaismus
Im Vishnuismus spielt die Hingabe an einen persönlichen Gott
meist eine größere Rolle als im Shivaismus. Die Gründe dafür
liegen vielleicht in der weitgehend positiven Darstellung des
angebeteten Gottes. Vishnu erscheint auf den Abbildungen oft
als strahlender, jugendlicher Gott mit vier Armen, die eine
Diskusscheibe, Keule, Muschel oder Lotusblüte halten. Eine
andere Darstellung zeigt ihn schlafend auf den Windungen einer
(Ur)Schlange. Die Anhänger des Vishnuismus verehren ihn als
den Gott der Liebe und Gnade, der zum Menschen wird, um die
Menschheit zu retten und die Weltordnung wiederherzustellen. Dabei inkarniert er sich in
vielfältiger Gestalt als Mensch oder Tier und unter verschiedenen Namen. Dennoch verstehen
sich viele seiner Anhänger als Monotheisten, denn sie verehren nur die unterschiedlichen Formen
und Aspekte des einen Gottes Vishnu. Schon in den Veden findet sein Name Erwähnung. In
seiner Reinkarnation als Krishna und Rama ist er der Held in vielen Legenden der beiden großen
Hindu-Epen, Mahabharata und Ramayana. Insbesondere die Bhagavad Gita repräsentiert in der
Geschichte von Arjuna und Krishna ein Modell vischnuitischen Hindu-Denkens.
In der Figur des Gottes Shiva sind, wie bei Vishnu, verschiedene
regionale Götter zu einer Einheit verschmolzen. Shiva erscheint in
seiner
unberechenbaren
Doppelnatur
sowohl
als
grausamer
Zerstörer als auch als Erneuerer. In dieser Funktion symbolisiert er
den hinduistischen Glauben an Reinkarnation. Auf Abbildungen tritt
er in den Rollen des Herrschers mit Dreizack und Axt, des Asketen
in meditativer Versenkung oder als vierarmiger Tänzer auf. Er ist
sowohl der belohnende als auch der strafende Gott und wird oft mit
einem um die Taille gewickelten Tigerfell und mit Schlangen um den Hals dargestellt. Shiva ist
der Gott der Geschlechtlichkeit und wird nicht figürlich verehrt, sondern in seinem Symbol, dem
Phallus. Zeichnungen und Gemälde zeigen ihn oft mit seiner Gattin Parvati zusammen in inniger
Umarmung oder beim Geschlechtsakt. Die berühmte Skulptur in den Elephanta-Höhlen in der
Nähe von Bombay bildet ihn als zweigeschlechtliche Gottheit ab, halb Mann, halb Frau, mit nur
einer Brust. Als ambivalenter Gott besitzt Shiva einen weiblichen Aspekt, der als seine shakti
(Energie) verehrt wird und in der Mythologie von seiner Gattin Parvati verkörpert wird.
29
Die Verehrung der Göttin: Shaktismus
Der Shaktismus entwickelte sich zwischen dem 4. und 7. Jahrhundert; seine Ursprünge gehen aber
schon auf die Veden zurück. Er spielt heute besonders in den ländlichen Gegenden Indiens eine
große Rolle und bildet die dritte Hauptströmung innerhalb der Hindu-Religionen. In jedem
hinduistischen Kult gibt es weibliche Gottheiten. Die Abgrenzung zu diesen Kulten liegt darin,
dass im Shaktismus eine oder mehrere Göttinnen als Energien aufgefasst oder als eigenständige
höchste Gottheit verehrt werden. Seine Anhänger sehen in der Shakti (Energie) die aktive
weiblichen Kraft, die den Ursprung allen Lebens darstellt. Die Götter (Brahma, Vishnu und
Shiva) werden als reiner passiver Geist angesehen, der erst durch die aktive Kraft der Shakti
wirksam wird. Nach dieser Sichtweise verkörpert die Shakti den weiblichen Aspekt in Gestalt der
Göttinnen Saraswati, Lakshmi und Paravati. In einigen Regionen Indiens, wie zum Beispiel in
Bengalen, wo der vorarische Muttergöttinnenkult besonders ausgeprägt war, wird die Göttin
(Devi) als Höchste Gottheit verehrt. Auch sie erscheint in ihren Funktionen als Schöpferin,
Bewahrerin und Vernichterin. Sie wird sowohl in ihren gütigen, mütterlichen Aspekten als auch
in ihren grausamen oder erotischen Formen verehrt und taucht in den verschiedensten Gestalten
und unter unterschiedlichen Namen auf. Als Kali mit herausgestreckter,
blutiger Zunge und Stoßzähnen, behängt mit einer Kette aus
Totenschädeln und bekleidet mit einem Gürtel aus abgeschlagenen
Händen, ist sie oft von dunkler Hautfarbe und nackt. Eine andere
Darstellung zeigt sie als junge Frau, die auf dem hingestreckt liegenden
Körper von Shiva steht. Als Waffen schwingende Kriegerin Durga reitet
sie auf einem Löwen und tötet Dämonen. In ihren liebenden und erotischen Anteilen sieht man
sie in ihrer Funktion als Ehefrau und Sexualpartnerin der Götter
Brahma, Vishnu und Shiva. Viele Abbildungen zeigen sie Hand in
Hand mit ihrem Ehemann, auf seinen Knien sitzend oder seine Füße
streichelnd. Auch in dem berühmten Hindu-Epos Ramayana, das die
Liebesgeschichte
Königstochter
vom
Sita
Gott Rama
erzählt,
wird
und
seiner Ehefrau, der
das
Bild
einer
treuen,
Ungerechtigkeiten erduldenden Gattin entworfen. Gegen dieses Bild
haben vor allem indische Feministinnen wie Madhu Purnima Kishwar, die Gründerin der
Zeitschrift Manushi, rebelliert.
30
Geschlechtswandlungen und das dritte Geschlecht
Die Götter und Göttinnen im Hinduismus erscheinen zum Teil in androgynen und mehrdeutigen
Gestalten. In ihren unterschiedlichen Formen und unter verschiedenen Namen treten sie in oft
gegensätzlichen und widersprüchlichen Funktionen und Rollen auf. Auch die Grenzen zwischen
den Geschlechtern wirken eher fließend und sind durch spielerische Übergänge geprägt. Die
indische Mythologie ist voll von Beispielen für Geschlechtswandlungen, gleichgeschlechtliche
Sexualität und Ideen von einem dritten Geschlecht. In der Welt der Götter verwandelt sich der
männliche Krishna oder der Gott Vishnu manchmal in eine Frau und nennt sich dann Mohini.
Der Gott Shiva wird erst durch die Verbindung mit dem männlichen Feuergott Agni zur
Zeugung von Nachkommen fähig. Die Götter Vishnu und Shiva vereinigen sich zu der Gottheit
Harihara, die aus zwei verschiedenen männlichen Hälften besteht. Kama, der Gott der Liebe,
schießt Pfeile auf zwei Frauen ab, die sich anschließend ineinander verlieben. Und ein
bengalisches Epos erzählt die Geschichte zweier Frauen, die zusammen den Hindu-König
Bhagiratha zeugen und gebären.
Der Indologe und Religionswissenschaftler Thomas Gugler weist auf die Vorstellung von einem
dritten Geschlecht hin, die in Indien schon zur Zeit der Entstehung der Veden existierte. So
berichteten die Veden in ihren Ritualtexten von „klibas“ oder „napumsakas“(Nichtmännchen),
die als unmännliche schwache Männer, mit langen Haaren und „weibischen“ Eigenschaften, wie
Geschwätzigkeit, beschrieben werden. Laut Gugler gehen auch die drei Artikel der deutschen
Sprache auf Grundlagen der Sanskrit-Grammatik zurück, während die semitischen Sprachen kein
grammatikalisches drittes Geschlecht kennen.
Auch Hijras, wie Transsexuelle im heutigen
Indien genannt werden, repräsentieren das
dritte
Geschlecht.
Sie
sind
körperlich
größtenteils „Männer“, die sich in der Regel als
Frauen kleiden und keine eindeutig weibliche
oder männliche Geschlechtsidentität haben. Die
Hijras leben in eigenen Gemeinschaften und
verdienen ihren Lebensunterhalt traditionell durch religiöse Tänze und Zeremonien bei
Hauseinweihungen, Hochzeiten oder nach der Geburt eines Sohnes. Obwohl sich einige von
ihnen zum Islam, Buddhismus, hinduistischen Richtungen oder dem Christentum bekennen,
verstehen sich alle als Anhängerinnen der Göttin „Bahuchara Mata“. Auf der einen Seite stehen
die Hijras außerhalb der gesellschaftlichen Norm und Ordnung, andererseits sind sie aber keine
31
Außenseiter, sondern haben eine religiöse Funktion als Vermittler zwischen den Göttern und den
Menschen.
Nach Auffassung der Ethnologin und Religionswissenschaftlerin Lidia Guzy gibt es in Indien
noch eine andere Gruppe von Menschen, die gewissermaßen das dritte Geschlecht darstellen: die
Asketen. Die Asketen der religiösen Gruppe Mahima Dharma in der ostindischen Provinz Orissa
sagen, dass sie durch das Zölibat und die Disziplinen der Askese die Kraft der Göttin Shakti in
sich tragen. Laut Guzy bündeln sie die weiblichen und männlichen Schöpfungskräfte und
verwandeln sie in ein neues Geschlecht. Für ihre Anhänger sind sie Mutter und Vater zugleich.
Sie sind androgyn und damit, in der hinduistischen Vorstellungswelt, dem Göttlichen nah. Dies
zeige sich auch in ihrer körperlichen Erscheinung: trotz ihres athletischen Oberkörpers haben die
Asketen in der Regel einen sehr rundlichen Bauch, der dem schwangeren Bauch einer Frau
ähnelt, und erscheinen durch das Tragen ihrer langen Haare als „weiblich“.
Weiterführende Informationen
Alois Payer - Materialien zur Religionswissenschaft
http://www.payer.de/hinduismus/hindu01.htm
Südasien Info - das Informationsportal zu Südasien (Unter den Schlagwörtern Hinduismus,
Queer, Sexualität und Gender finden sich zahlreiche Artikel zum Download)
http://www.suedasien.info/keywords/Hinduismus/ und keywords/Hindu-Nationalism/
Amritsa Basu: Feminism Inverted: The Real Women and Gendered Imagery of Hindu
Nationalism, in: Bulletin of Concerned Asian Scholars, Vol. 25, 1993
http://www.questia.com/PM.qst?a=o&d=97784708
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32
Buddhismus
1. Glaubengrundsätze
2. Die drei Körbe und der Sanskrit-Kanon
3. Theravada- und Mahayana
4. Tara und die Dakinis – der Tibetische Buddhismus
5. Siddhartha Gautama – der historische Buddha
6. Buddhismus und Gender
Glaubengrundsätze
Der Buddhismus ist eine Religion, die heute nahezu in ganz Asien vertreten ist, und seit den 60er
Jahren auch in westlichen Ländern großen Anklang findet. Seine Gründung geht auf Siddhartha
Gautama, den historischen Buddha, zurück, der im 6. Jh. v. Chr. in Nordindien lebte. Der
Buddhismus entstand in der Umgebung der Hindu-Religionen und teilt mit diesen, mit geringen
Abweichungen, die Glaubensvorstellungen von Wiedergeburt und Karma. Er stellt aber auch
eine Reformbewegung dar, die sich gegen die Macht der Brahmanen (Priester) im Kastensystem
der hinduistischen Gesellschaften richtete. Aus buddhistischer Sicht ist das Leben der Menschen
durch Leid (Alter, Krankheit, Tod), Vergänglichkeit, und Begierde gekennzeichnet. Wie die
Hindu-Religionen so hat auch der Buddhismus das Ziel, dem fortlaufenden leidvollen Kreislauf
von Leben, Tod und Wiedergeburt zu entkommen und einen Zustand der „Erleuchtung“
(Bodhi) zu erreichen, der zum Nirvana führt (Wunsch nach Leben, aber auch nach Tod, erlischt).
Buddha sah sich nicht als Überbringer einer göttlichen Offenbarung, sondern einer Erkenntnis,
die jedem Menschen zugänglich ist. Seine Lehre ist eine Art Philosophie, die die Ursachen des
menschlichen Leids ergründet und Wege zu seiner Überwindung aufzeigt. Die daraus gewonnene
Einsicht soll in Verbindung mit der regelmäßigen Praxis bestimmter Methoden und Techniken
(z. B. Meditation), durch ethisches Verhalten und durch Entwicklung bestimmter Tugenden, wie
Mitgefühl, Weisheit und Selbstlosigkeit, zur Erleuchtung führen. Die drei Zufluchten des
33
Buddhisten sind das Bekenntnis zu Buddha, seiner Lehre und zu einem Leben in der
Gemeinschaft (Orden). Den Kern dieser Lehre bilden die Vier Edlen Wahrheiten, die den
gemeinsamen Nenner aller buddhistischen Richtungen bzw. Schulen darstellen. Die erste
Wahrheit stellt die Diagnose, die zweite benennt die Ursachen, die dritte Wahrheit formuliert
Auswege und die vierte Wahrheit beschreibt den praktischen Weg, der zur Überwindung des
Leidens führt. Dieser Weg wird als achtfacher Pfad beschrieben und beinhaltet Anweisungen zu
„rechter Ansicht, rechtem Denken, rechter Rede und Handlung, rechtem Lebenserwerb, rechter
Anstrengung, Achtsamkeit und Konzentration“.
Von den anderen vier Weltreligionen unterscheidet sich der Buddhismus vor allen Dingen
dadurch, dass er weder einen allmächtigen, ewigen Gott noch eine unsterbliche Seele kennt. Er
gibt keinen Trost in irgendeiner Vorstellung von einem Paradies oder Himmel nach dem Tode.
Der Buddhismus betont die Vergänglichkeit des Lebens und die Selbstverantwortung des
Menschen. Er warnt vor Autoritätsgläubigkeit und mahnt zur Skepsis gegenüber Schriften,
feststehenden Lehren und Vorstellungen. Zudem gilt er als außergewöhnlich tolerante Religion,
in deren Namen keine Kriege geführt wurden, und die es Mönchen oder Nonnen
unterschiedlicher buddhistischer Richtungen ermöglicht, in einem Kloster zusammenzuleben.
Die drei Körbe und der Sanskrit-Kanon
Die heilige Schrift des Buddhismus, Pali-Kanon oder Tripitaka
genannt, entstand im 1. Jh. v. Chr. und geht im Gegensatz zu
anderen Religionen nicht auf eine göttliche Überlieferung zurück.
Diese Texte werden von den Anhängern des streng traditionellen
Theravada-Buddhismus als die einzig gültige und verbindliche
Schrift angesehen. Da Buddha keine schriftliche Lehre hinterlassen
hatte, wurden seine Reden in vier verschiedenen Konzilien, d.h.
Versammlungen von Mönchen und Nonnen, zusammengetragen
und mündlich überliefert. Für die Mehrzahl der westlichen
Forscher ist die erste Niederschrift des Pali-Kanons nicht das Originaldokument, sondern sie
vermuten, dass eine verlorengegangene ursprüngliche Fassung in Buddhas eigener Sprache
existiert hat. Der Pali-Kanon gliedert sich in drei Bereiche oder „Körbe“ (die Texte wurden auf
Palmblättern geschrieben und in drei Körben aufbewahrt): Ordensregeln, die Lehrreden Buddhas
und philosophische Kommentare. Der zweite Korb enthält auch die Verse der Nonnen und
Mönche und die Lieder der Nonnen. Der Gelehrte Buddhaghosa (5. Jh. n. Chr.) gilt als einer der
bedeutendsten Kommentatoren. Einige Kommentare der frühen Theravada-Literatur schüren die
34
Furcht vor der Macht und Anziehungskraft der Frauen und bezeichnen sie als Grundlage allen
Übels, als Ausdruck der Welt der Begierde und als Hindernis auf dem Weg zur Erleuchtung.
Diese Aussagen müssen in Zusammenhang mit der Bedeutung der Ordenstradition gesehen
werden, die auf dem Keuschheitsgelübde der Mönche basierte. Es stellt sich die Frage, ob diese
Äußerungen von Buddha selbst stammen, ihm untergeschoben wurden oder an die Mönche
gerichtet waren, die keine sexuellen Beziehungen und familiären Bindungen eingehen sollten.
Über den Pali-Kanon hinaus gibt es eine gewaltige Sammlung an Schriften späteren Datums, der
Sanskrit-Kanon genannt wird. Ein großer Teil dieser Originaltexte galt als verschwunden, nur die
Übersetzungen ins Tibetanische und Chinesische blieben erhalten. Erst Mitte des 20.
Jahrhunderts entdeckten westliche Forscher Teile der Original-Schriften in einer Höhle in
Zentralasien. Diese Texte enthalten Legenden, Gedichte und Meditationsübungen und geben
einen großen Teil der buddhistischen Philosophie und Psychologie wieder. Der Sanskrit-Kanon
ist in einzelne Sutren (Leitfäden) unterteilt. Diese unterschiedlichen Sutren bilden die Grundlage
für die verschiedenen Richtungen des Mahayana-Buddhismus, so steht zum Beispiel das
Diamant-Sutra für den Zen-Buddhismus. In einigen Sutren spricht anstelle des Buddhas auch ein
erleuchteter Mensch, z. B. die Königin Shrimala oder ein Laie (Nicht-Mönch), der Haushälter
Vimalakirti.
Für
die
Mahayana-Schulen
stellt
der
Sanskrit-Kanon
eine
historische
Weiterentwicklung der Schriften dar. Sie behaupten aber auch, dass ihre Lehre, die später
entstand, von denjenigen Schülern Buddhas stammt, die ihm am nächsten gestanden haben. Aus
der Sicht westlicher Wissenschaftler stellt der Pali-Kanon die authentischere Lehre Buddhas dar.
Theravada- und Mahayana
Der Buddhismus zeigte schon bald nach Buddhas Tod verschiedene Schwerpunkte,
Ausprägungen und erste Abspaltungen. Im Laufe der Jahrhunderte verbreitete er sich in
unterschiedlichsten Ländern und Kulturen und veränderte sich durch die Anpassung an die
jeweiligen lokalen Gegebenheiten. Die buddhistischen Traditionen lassen sich grob in Theravada
(Alter Weg, manchmal auch als Hinayana bezeichnet) und Mahayana (Großer Weg) einteilen.
Den Theravada-Buddhismus kann man auf Ceylon, in Burma, Sri-Lanka, Thailand, Laos,
Kambodscha und allgemein in Südasien finden.
Im Theravada genießt das Mönchstum eine bevorzugte Stellung und nur ein Mönch kann den
Zustand der Erleuchtung erreichen. Der Buddhismus ist hier vor allem eine Ordensreligion, und
das Zusammenspiel zwischen Mönchen bzw. Nonnen und den Laien ist durch gegenseitige
Abhängigkeit geprägt. Die Laien unterstützen die Klöster materiell und erwerben dadurch
religiöse Verdienste, die sogar vererbt werden können. Die Mönche und Nonnen sind auf die
35
Essensspenden der Laien angewiesen und lesen im Gegenzug dazu aus den heiligen Schriften
vor. Das Theravada versteht sich als die einzig überlebende Schule des Ur-Buddhismus und als
Bewahrer der zeitlosen, direkt von Buddha überlieferten Worte. Die Betonung liegt auf der
Kontrolle des Geistes und auf dem Vermeiden von Leid. Das Ziel ist die Erlösung des Einzelnen
und der völlige Rückzug von dieser Welt der Erscheinungen.
Die Richtungen des Mahayana sind besonders in Nepal, Nordindien, Tibet, Japan, Bhutan,
Taiwan, China, der Mongolei und teilweise auch in Indonesien präsent. Im Mahayana sind
Mönche und Laien eher gleichgestellt, und beide haben eine Chance auf Erlösung im Nirvana.
Die Sutras sprechen von einer „Buddha-Natur“, die in jedem
Wesen steckt, egal ob Mönch, Laie, Frau oder Mann, und die eine
größere Bedeutung erhält als der historische Buddha. Im täglichen
Leben liegt der Schwerpunkt auf dem Vermeiden von Zorn und
der Entwicklung von Mitgefühl. Der Kern der Lehre ist die
Philosophie der selbstlosen Barmherzigkeit. Das menschliche
Ideal ist der Erleuchtete (Bodhisattva), der schon zum Buddha
geworden ist, aber auf das Nirvana verzichtet und aus Mitgefühl in
die Welt zurückkehrt, um anderen Menschen auf dem Weg zur
Erleuchtung beizustehen. Daraus resultiert die große Bedeutung der Rolle des Lehrers (Guru)
und
des
Meister-Schüler-Verhältnisses
im
Mahayana-Buddhismus.
Das
Prinzip
der
Barmherzigkeit weist eine Parallele zum Christentum und der Lehre von Jesus im Neuen
Testament auf.
Die Lehre von Anatta gilt als die wichtigste Lehre in allen buddhistischer Richtungen und wird
auch mit dem Prinzip der “Leerheit“ umschrieben. Dieser Gedanke spielt auch bei der
Betrachtung der Geschlechterordnung, -hierarchien und -beziehungen im Buddhismus eine große
Rolle. Leerheit bedeutet, dass es kein beständiges Ich mit wesensmäßigen, naturhaften
Eigenschaften gibt, sondern nur Erscheinungen, die sich wandeln und voneinander abhängen.
Das „Weibliche“ hat demnach kein eigene Wirklichkeit, so wenig wie das „Männliche“. Es gibt
nur eine Ansammlung von sich konstant verändernden, physischen und psychischen
Bestandteilen. Das Ziel der buddhistischen Lehre ist, sich von der Vorstellung eines festen Selbst
zu lösen bzw. die Anhaftung daran loszulassen.
36
Tara und die Dakinis – der Tibetische Buddhismus
Der Tibetische Buddhismus (Diamantweg) ist eine Sammelbezeichnung für verschiedene Schulen,
die nicht nur in Tibet, sondern auch in Bhutan, Nepal, Indien, Japan, China und der Mongolei
verbreitet sind. Er beruht auf den philosophischen Grundlagen des Mahayana, ergänzt diese aber
um bestimmte Rituale, wie das Rezitieren von bestimmten Wortfolgen (Mantras) oder
Körperpraktiken, wie z. B. Joga.
In der Mahayana-Tradition gibt es die Vorstellung, dass jeder Bodhisattva, d. h. Erleuchtete eine
Erscheinungsform von Buddha darstellt. Es wird behauptet, dass der Buddhismus keine Götter
kenne, doch das stimmt nur bedingt. Die ursprünglichen Bon-Gottheiten im alten Tibet wurden
in den Buddhismus integriert und verwandelten sich in männliche oder weibliche Bodhisattvas,
die nun verschiedene Aspekte von Buddha darstellen. Das „weibliche Prinzip“ wird durch
sogenannte weibliche Buddhas, Erleuchtete, Göttinnen oder Dakinis repräsentiert. Ein Beispiel
dafür ist die Göttin Prajnaparamita, die „Vervollkommnung der Weisheit“, die als „Mutter aller
Buddhas“ mit vollen Brüsten abgebildet wird.
Das Sutra „der goldene Rosenkranz“ erzählt die Geschichte der
Prinzessin Mond der Weisheit, die sich tagtäglich in den
buddhistischen Disziplinen übte. Als ihr die Mönche den Rat gaben,
ihre Kräfte einzusetzen, um in ihrem nächsten Leben als Mann
wiedergeboren zu werden, lehnte sie sich gegen sie auf und sagte: „Es
gibt hier keinen Mann, es gibt keine Frau, kein Selbst, keine Person
und kein Bewusstsein. Die Bezeichnung „Mann“ oder „Frau“ hat
keine Essenz, sondern führt die verblendete Welt irre“. Diese
Aussage muss in Zusammenhang mit der buddhistischen Philosophie
der Leerheit interpretiert werden. Die Legende erzählt weiter, dass sie später erleuchtet wurde,
ihren Namen änderte und zu Tara der Schutzgöttin Tibets wurde. Tara ist die wichtigste
buddhistische Göttin, und ihre frühesten Darstellungen fallen in das 6.
Jh. n. Chr.. Sie wird in verschiedenen Farben dargestellt: als rote, gelbe
und blaue Tara verkörpert sie die grausamen und zerstörerischen
Aspekte der Göttin. Als weiße und grüne Tara erscheint sie in der
Rolle der Mutter, Retterin, Beschützerin und symbolisiert Mitgefühl
und Barmherzigkeit. In China wird sie unter dem Namen Kwan-yin
verehrt, und in Japan wird sie Kwannon genannt.
Wie die Shakti im Hinduismus, so gibt es auch im Buddhismus eine
Form der weiblichen Energie, die hier Dakini genannt wird. Dakinis
37
stellen aber auch eine Verkörperung der Tara und anderer buddhistischer Göttinnen dar. Sie sind
Luftwesen (Himmels-Tänzerinnen), körperlos und unsterblich, mit sehr wechselhaftem, wildem
Temperament. Die Darstellungen zeigen sie in verschiedenen Hautfarben als junge, nackte Frau
mit struppigen langen Haaren, die mit wutverzerrtem Gesicht auf einen am Boden liegenden
Körper herumtrampelt. Andere Abbildungen präsentieren sie, wie die Kali im Hinduismus, mit
Hackmesser, blutgefüllter Schädelschale oder mit einer Krone aus menschlichen Schädeln. Die
Dakinis symbolisieren die Weisheit und erscheinen den praktizierenden Buddhisten, um sie zu
prüfen. Viele große Meisterinnen der religiösen Lehre, wie zum Beispiel Machig Labdrön oder
Niguma, werden als Verkörperung der Dakinis betrachtet.
Siddhartha Gautama – der historische Buddha
Die Daten zum historischen Buddha sind umstritten. Laut Überlieferung wurde Siddhartha
Gautama, als Sohn des Fürsten Shuddhodana und seiner Ehefrau Maya um 563 v. Chr. in
Limbini geboren. Neue historische Theorien gehen teilweise davon aus, dass er bis zu 150 Jahre
später gelebt hat. Siddhartha führte ein luxuriöses Leben, heiratete und bekam einen Sohn. Im
Alter von 29 Jahren gewann er durch die Begegnung mit einem Alten, einem Kranken und einem
Toten Einsicht in das Leid der Menschheit und die Vergänglichkeit des Lebens. Bald darauf
verließ er seinen neugeborenen Sohn, seine Ehefrau und seine Familie und zog als Wanderasket
durch das Tal des Ganges. Nach sechs Jahren des religiösen Studiums und der Meditation
ereichte er mit 35 Jahren die vollkommene Erleuchtung unter dem Baum der Weisheit (bodhi).
Wie Jesus im Christentum so hielt auch Siddhartha seine Lehrreden vor sozial Ausgegrenzten,
wie zum Beispiel Prostituierten und Angehörigen der untersten Kasten. Aus der Gemeinschaft
der ihm folgenden Mönche und Laien entstand der erste Orden. Auf die Bitte seiner Stiefmutter
und Tante Mahaprajapati hin, gründete er den ersten Nonnenorden, dem diese als Nonne beitrat.
Buddha lehrte bis zum Alter von 80 Jahren und starb um 483 v. Chr. an einer
Lebensmittelvergiftung.
Die Legenden, die sich um seine Geburt ranken, sind mit den Schilderungen von der Geburt
Jesus vergleichbar. Sie berichten von einem Engel, der in Gestalt eines weißen Elefanten der
Königin Maya im Traum erscheint und von ihr „Besitz nimmt“. Wie Maria im Christentum, so
soll auch die Mutter von Siddhartha bis zu ihrer Empfängnis ein Leben in völliger Keuschheit
geführt haben und seine jungfräuliche Geburt wird angedeutet. Maya, die Mutter von Siddhartha,
stirbt eine Woche nach seiner Geburt.
38
Die Figur Buddhas verkörpert das Ideal der sexuellen Enthaltsamkeit, der Vergeistigung und der
Gemeinschaft unter Männern. Er wird als das positive Bild eines Mannes gezeichnet, der als
Vorbild für alle buddhistischen Mönche die Bindungen an Ehe und Familie aufgibt. Anders als
Jesus, der eine Ehe mit anschließender Familiengründung nie eingegangen ist, löste sich
Siddhartha aus der Verantwortung gegenüber Familie, Ehefrau und Kind. Damit unterscheidet er
sich vom Religionsgründer des Islam. Mohammed verblieb nach der göttlichen Offenbarung
nicht nur bei seiner Familie, sondern er verbreitete seine Lehre mit Hilfe seiner Ehefrauen, seiner
Tochter und seines Onkels.
Der Pali-Kanon enthält eine Beschreibung Buddhas. Demnach war er ein wohlgestalteter,
majestätisch großer Mann mit sehr heller, fast goldener Hautfarbe. Seine Sprache und
Ausdrucksweise wird als kultiviert, klar und präzise, sein Verhalten als einnehmend und
sympathisch beschrieben. Die ersten Skulpturen von Buddha tauchten erst im 1. Jh. n. Chr. auf
und gehen auf die Anhänger des Mahayana zurück, die ein personales Buddha-Bildnis forderten.
Die
Abbildungen
zeigen
Buddha
meist
in
sitzender
Meditationshaltung mit einer Erhöhung auf der Schädelmitte als
Kennzeichen seiner Erleuchtung. Seine Ohrläppchen sind
langgezogen, seine Haare krausen sich in gedrehten Löckchen.
Obwohl er in der Realität, wie alle Mönche im Buddhismus, den
Kopf kurz geschoren trug. Die Kunst bildet Buddha oft
wohlgenährt ab, aber nicht dick, mit goldener Hautfarbe und in
eine Mönchsrobe gekleidet. Eine Bronzeskulptur in Thailand
zeigt ihn als Asketen bis auf das Skelett abgemagert. Daneben
gibt es die im Westen bekannte Darstellung des lachenden
Buddhas mit dickem Bauch, die aus China stammt.
Buddhismus und Gender
In den buddhistischen Richtungen der Mahayana-Tradition gelten Frauen als Quelle höchster
Weisheit. Die Frau ist in hier in ihrer Rolle als Mutter Vorbild für das Prinzip des Mitgefühls und
der selbstlosen Barmherzigkeit. Im Tibetischen Buddhismus repräsentiert sie die Erkenntnis und
die Leerheit. In den frühbuddhistischen Schulen des traditionellen Theravada verkörpert sie das
Leid und die Begierde. Gemäß den zentralen Lehren Buddhas sind die Geschlechter jedoch nicht
verschieden, und sie besitzen daher auch keine wesensmäßigen, naturhaften Eigenschaften. Die
Religion des Buddhismus dient nicht zur Begründung von Unterschieden, behauptet keine
Wertigkeit der Geschlechter und kann dem zur Folge auch nicht zur Rechtfertigung von
39
Geschlechterhierarchien herangezogen werden. Es gibt keinen Schöpfungsmythos und keinen
Schöpfergott. Insofern stellt sich nicht die Frage, ob beide Geschlechter vor Gott gleichwertig
sind, oder welches Geschlecht zuerst erschaffen wurde und somit höherrangig ist.
Aber es gibt Unterschiede in Bezug darauf, wie groß die Fähigkeit des Menschen ist, die
Erleuchtung zu erlangen, abhängig von seinem Geschlecht. Alle drei großen Hauptrichtungen
des Buddhismus lehren, dass Männern und Frauen diesen Zustand erreichen können und
berichten von großen Lehrern und Meisterinnen. Doch die Aussagen in den Schriften sind
widersprüchlich. Im Pali-Kanon wird Buddha zitiert, der gesagt
habe „Frauen..., die ... (in die Hauslosigkeit) gegangen sind, sind
fähig, ... die Vollkommenheit zu erlangen“ (I.B. Horners
Übersetzung, Band 5, S. 354). In der Sammlung der wichtigsten
und bekanntesten Reden Buddhas soll er hingegen der Frau die
Fähigkeit
zur
höchsten
Verwirklichung
des
Nirvanas
(Arahatschaft) abgesprochen haben: „Unmöglich ist es und
kann nicht sein, dass eine Frau einen Arahat als vollkommen
Erwachten ... darstellen kann.“( (Majjhima-Nikaya 115, A:1,20).
Die vollkommene Erleuchtung kann anscheinend nur in einem
männlichen Körper stattfinden.
In allen Schriften der Hauptrichtungen des Buddhismus gibt es Gebete, in denen man darum
bittet, nicht als Frau wiedergeboren zu werden. Diese Aussagen müssen sicherlich vor dem
sozialen und gesellschaftlichen Hintergrund der jeweiligen Zeit interpretiert werden. Dennoch:
Frauen und Männer, Mönche und Nonnen sind bis heute nicht gleichgestellt und auch nicht
gleichberechtigt. Sie unterliegen unterschiedlichen religiösen Verhaltensregeln und Ge-und
Verboten, die eine Hierarchie abbilden. Dies steht im Widerspruch zu den zentralen Lehren des
Buddhismus.
Weiterführende Informationen
http://www.buddhismus.de/
Deutsche Buddhistische Union
http://www.buddhismus-deutschland.de/dbu/
Internationale Buddhistische Frauenvereinigung
http://www.sakyadhita-europe.org/
zurück
40
Quellenangaben zu den Abbildungen
Abbildungen im Beitrag Judentum:
Abb. Seite 2, Bildzitat: Quelle:http://www.uni-leipzig.de/ru/bilder/judentum/index.htm
Menora, Zeichnung
Abb. Seite 6, Bildzitat: Quelle:http://www.uni-leipzig.de/ru/bilder/gottbild/index.htm
Schöpfungsbild der Lutherbibel, Lukas Cranach
Abb. Seite 7, Bildzitat: Quelle:http://www.uni-leipzig.de/ru/bilder/urgesch1/index.htm
Sündenfall, Titzian
Abbildungen im Beitrag Christentum
Abb. Seite 10, Bildzitat: Quelle:http://www.uni-leipzig.de/ru/bilder/aufersth/index.htm
Auferstehung Christi, Luca della Robbia
Abb. Seite 12, Bildzitat: Quelle:http://www.uni-leipzig.de/ru/bilder/apostel/index.htm
Apostel Paulus, Deonissij
Abb. Seite 15, Bildzitat: Quelle:http://www.uni-leipzig.de/ru/bilder/kindjes/index.htm
Die heilige Familie, Rembrandt
Abb. Seite 16, Bildzitat: Quelle:http://www.uni-leipzig.de/ru/bilder/kindjes/index.htm
Grablegung Christi, Bertolomeo
Abbildungen im Beitrag Islam
Abb. Seite 20, 23
Fotos mit freundlicher Genehmigung von Otmane Khazraji
Abbildungen im Beitrag Hinduismus
Abb. Seite 25-31 mit freundlicher Genehmigung von Bernhardt Kern
Quelle: http://www.asoka.de/hindugoetter/
Abbildungen im Beitrag Buddhismus
Abb. Seite 33-40 mit freundlicher Genehmigung von Harri Czesla
Quelle: http://www.tibet-galerie.de/
41
Literaturhinweise
Gender und Religion
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Konzeption, Texte und Literatur: Dagmar Noeldge
Layout: Elke Mros
Ergänzung:
Homosexualität und Transidentitäten
in den Religionen der Welt
1. Geschlechterordnung und Sexualität in den Religionen
Ähnlich wie Gesellschaften ordnen auch Religionen ihre Gemeinschaft über
Geschlechtszugehörigkeit oder Geschlechtszuschreibungen. Die Frage, wer Zugang zu religiösen
Ämtern und heiligen Orten erhält und wem die Teilhabe an religiösen Ritualen erlaubt ist, ist
meistens gebunden an die Frage von Geschlecht. In den verschiedenen Religionen der Welt
lassen sich eine starke Geschlechtertrennung und geschlechtsspezifische Pflichten und Rollen in
den wichtigen Bereichen religiösen Lebens beobachten. Dabei sind Männer und Frauen keine
gleichen und meist keine gleichberechtigten Mitglieder einer religiösen Gemeinschaft. In welcher
Weise sich ein Geschlechterverhältnis konkret im religiösen Leben niederschlägt unterscheidet
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sich dabei nicht nur von Religion zu Religion, sondern auch innerhalb der verschiedenen
Strömungen oder im Zuge der geschichtlichen Entwicklungen einer Religion.
Die Ehe stellt für alle Religionen den richtigen und angemessenen Rahmen des Zusammenlebens
von Frauen und Männern dar. Wichtig ist hierbei, dass die Ehe als ‚Mittel’ zur Regulierung und
Kontrolle von Sexualität angesehen wird. Sexualität dient in Religionen, bis auf wenige
Sonderströmungen wie dem indischen Tantrismus, der Fortpflanzung. Damit ist Sexualität in den
Religionen meist heterosexuell ausgerichtet und sexuelle Handlungen, die keinen reproduktiven
‚Zweck’ erfüllen, sind häufig verboten. Diese skizzierten religiösen Positionen zu ‚Geschlecht’
und ‚Sexualität’ leiten sich aus den Interpretationen der maßgebenden Schriften der Religionen
her, die sich bis heute in vielen Bereichen gelebter Religion wirkmächtig zeigen. Dennoch finden
sich in Religionen, vor allem bei den Menschen, die sie leben und gestalten, immer auch
Ausnahmen von diesen Regeln.
2. Homosexualität
Dieses religiöse Verständnis von Sexualität zeigt, dass sich die Verbote von sexuellen Handlungen vor allem darüber begründen, dass sie nicht den Zweck der Fortpflanzung erfüllen.
Verboten sind damit bestimmte Handlungen, wie z.B. Oralverkehr oder Masturbation, gleich ob
sie zwischen Mann und Frau oder zwischen Menschen gleichen Geschlechts stattfinden. In den
normativen Schriften der Religionen finden sich aber auch ausdrückliche Verbote von Sexualität
zwischen Menschen gleichen Geschlechts. Diese beziehen sich insbesondere bei den
monotheistischen Religionen vor allem auf männliche Homosexualität. Besonders bekannt sind
die Deutungen entsprechender Stellen in der hebräischen Bibel, z.B. im Buch Leviticus, oder im
Neuen Testament, z.B. im Römerbrief. Auch in Auslegungen des Koran und in der islamischen
Rechtslehre, Scharia, finden sich Verbote sexueller Handlungen zwischen Männern. Weibliche
Homosexualität wird seltener angesprochen und meist milder bestraft. Eine Ausnahme ist die
härtere Bestrafung sexueller Handlungen unter Frauen im Hinduismus.
Die Regeln der religiösen Schriften lassen sich jedoch nicht gleichsetzen mit dem, wie Menschen
ihre Religion leben und lebten. Ihre Geschichte und ihre Alltagswelt sehen oft anders aus, als es
die vielen religiösen Vorschriften vorsehen, und das gilt auch für ihr Sexualleben. Dass sich
Menschen ausdrücklich sowohl zu ihrer Religion wie auch zu ihrer Homosexualität bekennen
und diese beiden wichtigen Bereiche ihres Lebens miteinander verbinden, ist jedoch eine
Entwicklung der jüngsten Zeit. Sie hängt mit gesellschaftspolitischen Veränderungen der letzten
40 Jahre zusammen. Denn die Proteste der Frauen- und vor allem der Homosexuellenbewegungen haben auch innerhalb von Religionen einige Diskussionen in Gang gesetzt und ein
neues Selbstbewusstsein von Schwulen und Lesben in den Religionen begründet. Dies gilt
übrigens nicht nur für ‚westliche’ Länder. Auch z.B. im heutigen Iran, Südafrika oder in Indien
gibt es Gruppen die sich für ihre Anerkennung als religiöse Schwule und Lesben engagieren. Ein
wichtiges Thema ist dabei die Schaffung von Räumen der Anerkennung. ‚Räume’ meint hier
verschiedenes: a) die Einrichtung konkreter Orte, an welchen man sich sicher und in positiver
Atmosphäre religiös begegnen kann; b) die Frage der religiösen Vergemeinschaftung: gibt es eine
Möglichkeit innerhalb der ‚Mehrheitsgemeinde’ einen solchen sicheren Ort einzurichten? Oder
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gründet man eine ‚eigene’, abgegrenzte Gemeinschaft? c) religiöse Lehren, welche so formuliert
und gedeutet werden, dass Schwule und Lesben sich wieder finden können.
Weiterhin beinhalten viele Initiationsriten verschiedener Kulturen der Welt ‚homosexuelle’
Handlungen. Diese finden jedoch in einem strengen rituellen Rahmen statt und sind von
symbolischer Bedeutung. Sie sind daher nicht vergleichbar mit sexuellen Handlungen oder gar
einer Liebesbeziehungen zwischen Menschen gleichen Geschlechts.
3. Transidentitäten
‚Transidentität’ meint eine Geschlechtsidentität, die sich nicht als ‚männlich’ oder ‚weiblich’
versteht oder verstehen lässt und bezieht sich auf Menschen, die sich weder als Mann oder Frau
fühlen. Dies kann sich auf den Körper beziehen (Transsexualität) aber auch auf
geschlechtsspezifische Verhaltensweisen, Rollen oder auch Kleidung (Transgender).
Häufig werden Schamanen, von welchen man richtigerweise nur mit Bezug auf den Raum
Sibiriens sprechen kann, als ‚Geschlechtergrenzen überschreitend’ charakterisiert. Ähnlich wie bei
bestimmten HeilerInnen und PriesterInnen einiger afrikanischer Kulturen und einigen indischen
Traditionen findet dieser Wandel der geschlechtlichen „Rolle“ jedoch nur im zeitlich begrenzten
Rahmen von Ritualen oder z.B. Ekstasezuständen statt. Als Beispiele für das so genannte ‚dritte
Geschlecht’ lassen sich vielmehr die Hijras des indisch-pakistanischen Raums oder die ‚ZweiSeelen-Leute’ (Two-Spirit-People) vieler nordamerikanischer Indianerkulturen benennen. Hijras
sind „Männer“, welche „weibliche“ Verhaltensweisen, Rollen und den Status einer Frau
annehmen, z.T. auch über Kastration. Oft wollen sie weder als ‚Frau’ noch als ‚Mann’, sondern
als eigene Gruppe wahrgenommen und akzeptiert werden. Aufgrund ihrer sozial sehr schlechten
Stellung leben sie in engen Gemeinschaften zusammen; sie leben von Bettelei und Prostitution.
Sie sind hinduistischen oder muslimischen Glaubens und bis zu einem gewissen Grad pflegen sie
eine eigene Religiosität und verehren z.B. bestimmte Gottheiten, die sich ihrer speziellen
Situation annehmen sollen. Auch erfüllen sie in der breiteren Gemeinschaft besondere rituelle
Aufgaben, z.B. das Segnen Neugeborener. Die ‚Zwei-Seelen-Leute’ konnten Frauen oder Männer
sein, die entweder bestimmte Aufgaben oder die Kleidung des anderen Geschlechts annahmen
oder ihren geschlechtlichen Status gänzlich wechselten und damit die soziale Identität des
anderen Geschlechts annahmen. Zum Teil übernahmen auch sie besondere rituelle Aufgaben,
wie z.B. das Heilen. Auch kam es vor, dass dieser ‚Geschlechtswechsel’ wieder rückgängig
gemacht wurde. Ihnen war es möglich mit Menschen des gleichen oder des anderen Geschlechts
zusammen zu leben. Viele afrikanische Kulturen kennen eine ähnliche Geschlechterwandelbarkeit und, in diesem Rahmen, die Möglichkeit gleichgeschlechtlicher Beziehungen. Diese
Geschlechterordnungen wandelten sich dramatisch durch die europäisch-christliche und, in
Afrika, islamische Expansion und Missionierung.
Heutzutage werden unter den Begriffen ‚Transgender’, ‚Transsexuell’, ‚Intersexuell’ oder auch
‚queer’ verschiedene Geschlechter gefasst, die von der ‚Normalität’ der zwei Geschlechter ‚Mann’
und ‚Frau’ abweichen (wollen). Ihr Engagement für gesellschaftliche und rechtliche Anerkennung
findet in vielen Ländern, Kulturen und Religionen statt. Dabei vertreten sie viele unterschiedliche
(Selbst-)Verständnisse und verfolgen unterschiedliche Ziele. Darin, dass zunächst einmal die
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Realität von mehr als zwei Geschlechtern überhaupt wahrgenommen und akzeptiert werden
muss, sind sie sich jedoch einig.
Ausgewählte Internetseiten schwuler/lesbischer/queerer Gruppen in Deutschland:
Jüdisch:
http://www.yachad-deutschland.de/
Christlich:
http://www.lsgg.org/
Muslimisch:
http://www.queermuslimehamburg.de/1.html
Buddhistisch:
http://www.kandayata.net/kandayataseiten/buddha/index.html
http://www.gaysangha.de/
Ausgewählte Literatur
Fels, Eva: Auf der Suche nach dem dritten Geschlecht. Wien 2005.
Karle, Isolde: Da ist nicht Mann noch Frau…’ .Theologie jenseits der Geschlechterdifferenz.
Gütersloh 2006.
Parrinder, Geoffrey: Sexualität in den Religionen der Welt. Düsseldorf 2004.
Berlin, 15. Januar 2008
Márcia Moser M.A.
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