Zwischen Tradition und Moderne
Transcription
Zwischen Tradition und Moderne
Fischer Kruse Zwischen Tradition und Moderne von Henning Ahrens Eine bewegliche Webcam die sich um die eigene Achse drehen kann, wünscht sich Hans-Werner Kruse. Vorerst muss er sich aber mit der Version begnügen, die in 4 m Höhe über seinem Arbeitsplatz installiert ist. Immerhin mache diese pro Stunde, jeweils zwei Minuten vor der vollen Stunde, ein Bild, das dann im Internet zu sehen ist. „Es sind schon Leute angereist, die haben sich zu der bestimmten Zeit mit einem Plakat hingestellt und ablichten lassen. Die Leute konnten sich dann im Internet von ihren Bekannten bewundern lassen“, erzählt Hans-Werner Kruse sichtlich zufrieden. Vermarktung, auch mit den so genannten „Neuen Medien“ wie dem Internet gehört, für ihn zum Geschäft. Morgendämmerung - es ist 5:30 Uhr in der Frühe, fast windstill und nur die Möwen kreischen, als Hans Werner Kruse, groß, von kräftiger Statur und vollbärtig, in Gummistiefeln über den Deich stiefelt. Zielstrebig steuert er das Ufer der Ostsee an. In den Händen trägt er eine Box mit Broten und eine Kaffeekanne. Derweil schaukelt ungefähr 300 m vor der Küste am Schönberger Strand der kleine Fischkutter im seichten Wasser. Fix macht Fischer Kruse mit seinem Angestellten Hauke das kleine Boot mit Außenborder fertig, um zu seinem Kutter überzusetzen. Erst seit ein paar Wochen fährt er wieder zum Fischen auf die Ostsee, da sein Kutter dieses Jahr länger als geplant in der Werft bleiben musste, der TÜV hatte verschiedene Mängel beanstandet. Nun dient der Kutter wieder dem Fischfangen und ist Fischer Kruses Fortbewegungsmittel. Knapp fünf Minuten dauert die Fahrt, ehe Fischer Kruse umsteigen und den Diesel des Kutters anschmeißen kann. Seit 25 Jahren fährt der gelernte Fischwirtschaftsmeister Kruse auf die Ostsee und fängt Fisch, den er später an seiner Fischerbude direkt auf dem Deich in unmittelbarer Nähe des Strandes verkauft. „Die Zeiten habe sich geändert: während man heute gerade einmal 2 Euro für das Kilo Fisch am Seefischmarkt bekommt, kann ich hier das Brötchen mit Fisch für 4 Euro verkaufen,“ gibt er zu. Die Aussichten für den traditionellen Beruf des Fischers sind zweifellos schlecht. Nicht nur die geringen Erlöse beim Verkauf der Fische und die von der EU auferlegten Fangquoten bedrohen das Gewerbe, die geringen Bestände spielen eine ebenso große Rolle wie der fehlende Nachwuchs. „Keine Ahnung ob meine Kinder später den Beruf des Fischers ausüben, heute wollen sie doch alle nur noch im Büro vor dem Computer sitzen“, äußerst sich Fischer Kruse nachdenklich. Schließlich sei der Fischerberuf harter Alltag mit langen Arbeitszeiten und geringen Erlösen. Das www.ostseerouten.uni -kiel.de Fischer Kruse spreche heute kaum einen noch an. Aber er habe Verständnis, falls seine Kinder nicht in seine Fußstapfen treten. Trotz der düsteren Aussichten seines Berufstandes fährt Fischer Kruse mit seinem blau gestrichenen Fischkutter, der gleich drei Namen trägt, so häufig es geht vom Liegeplatz am Strand in die Kieler Bucht hinaus. In vier Kilometer Entfernung befindet sich das Ziel der Ausfahrten. Das Global Positioning System (GPS) führt Fischer Kruse metergenau zu dem Ort, an dem eins seiner Stellnetze im Wasser auf Beute wartet. Monitore, die an der Decke der engen Kajüte befestigt sind, zeigen die genaue Position des Kutters und die Wassertiefe an, im Durchschnitt 13 Meter. 40 mal 40 Meter ist das zusammengeknüpfte Netz lang, das Fischer Kruse und seinen Helfer Hauke die nächste Stunde beschäftigen wird. Auf dem Weg zu den mit Bojen markierten Netzen, bleibt genug Zeit für eine warme Tasse Kaffee und einige Zigaretten, die Fischer Kruse am Steuerrad des Kutters genüsslich raucht. Der Radiosender RSH versucht derweil sich gegen das Motorengeräusch des Diesels durchzusetzen, die Wortfetzen der Vorhersage lassen gutes Wetter für diesen Tag vermuten. Während der Fahrt sitzt Fischer Kruse in seinem blau-weißen gestreiften Fischerhemd in der Kajüte, mit Ankunft bei den Netzen streift er sich geübt die orangefarbene Ganzkörper-Arbeitskleidung aus Gummi über. Die Arbeit kann losgehen. „Wir leben von den Touristen und den Stammkunden, die jedes Jahr wieder herkommen“, ist die einhellige Meinung bei den Angestellten der Fischerbuden. Einer dieser Stammkunden ist Helmut, ein ehemaliger LKW Fahrer aus Bad Segeberg, der auf dem angrenzenden Campingplatz seit Jahren Urlaub macht. „Wir feiern dieses Jahr unsere silberne Hochzeit,“ freut sich Helmut, die Bierflache in der Hand haltend, und deutet damit die mittlerweile 25-jährige Freundschaft mit Fischer Kruse an. „Das wichtigste ist, dass die Kunden sich wohl fühlen und wiederkommen“, betont Fischer Kruse. Vor allem durch Mundpropaganda spreche sich die Attraktivität der Fischerbude herum. www.ostseerouten.uni -kiel.de Fischer Kruse Zusätzlich hat sich Fischer Kruse dem modernen Zeitgeist angepasst. Viele Besucher stoßen erst auf der professionell gestalteten Webseite über ihn, seine Angebote und die Bilder der Webcam. Mehr als 400.000 Besuche zählte die Webseite (www.fischer-kruse.de) seit 2000, das Gästebuch besitzt über 600 Einträge mit positiven Bewertungen, Grüßen und Danksagungen. Kurze Reportagen im Regionalfernsehen und Zeitungsinterviews steigern die Bekanntheit. Und im Sommer richtet Fischer Kruse Heringstage, Open-Air-Kino und das Fischerfest aus und rundet damit die Anpassung an eine Art „modernen Fischer“ ab: „Man muss schon solche Sachen machen wie wir, um zu überleben.“ 3 weitere Fischbuden in Mecklenburg-Vorpommern und ein eigener Lieferservice vervollständigen das kleine Imperium. Und die Kunden kommen. Mit acht Angestellten bewerkstelligt Fischer Kruse die Aufgabe des Verkaufen, Schlachten, Braten und Räuchern. Letzteres ist eine Art kleine Attraktion, wenn nach einiger Zeit des Räucherns die goldgelben Fische aus dem qualmenden Räucherofen, der etwas unterhalb der Fischerbuden aufgebaut ist, herausgeholt und zum Verkauf ausgelegt werden. Auch die Handgriffe auf See sind Routine. Während der Fischkutter mit wenigen Knoten Geschwindigkeit Kurs hält, zieht eine Winde das Stellnetz aus dem Wasser. Fischer Kruse und Hauke sortieren die Fische heraus. Beide schwitzen unter ihrer Haut aus Gummi. „Gefangen werden heute eigentlich nur noch Butt und Dorsche, selten verirren sich andere Fische in die Netze“, klagt Fischer Kruse, der aus diesem Grund aus Dänemark und Norwegen zukauft. Auch an diesem Tag finden sich nur zwei Sorten Fisch im Netz. Allerdings legen sich die Fischer der Genossenschaft auch Fangverbote für bestimmte Zeiten auf, so dass manchmal die ein oder andere Makrele im Netz ist. Während die gefangenen Fische in die weißen Fischkisten geworfen werden, sammelt sich in einer großen grünen Tonne das Stellnetz. Mit Hilfe einer Winde entwirrt Hauke das Netz, bevor es dann wieder kursgenau und parallel zur Küstenlinie ausgebracht wird. Die Enden werden mit Bojen markiert. Mit zwei Schnitten und wenigen Bewegungen entledigt Fischer Kruse, Zigarette rauchend, den Fischen ihrer Gedärme, die von den umherfliegenden Möwen allzu gerne aus dem Wasser geschnappt werden. „Die Ruhe an diesem Arbeitsplatz ist einzigartig,“ schwärmt Fischer Kruse und lässt den Blick über das ruhige Wasser und den mittlerweile wolkenlosen, blauen Himmel streifen. Nur am Horizont sind Frachtschiffe und die nach Kiel einlaufende „Stena Germanica“ zu erkennen. „Wer kann schon von sich behaupten so einen Arbeitsplatz zu haben?“, fragt Fischer Kruse und grinst. www.ostseerouten.uni -kiel.de Fischer Kruse Kurz nach halb zehn legen er, Hauke und sieben Kisten fangfrischer Fisch am Strand an. Es sind nicht viele Kunden, die an diesem Morgen auf ihn warten. Dafür stehen die vier schon am Wasser und freuen sich auf die exklusive Abnahme des Fisches. Ausgesucht wird sofort, gewogen und bezahlt an der Fischerbude. Hier warten dann auch weitere Kunden da rauf, ihr Mittag- oder Abendessen zu kaufen. Fischer Kruse wirkt nach 4 Stunden Arbeit erschöpft, streicht sich über den Kopf und gönnt sich auf der Bank vor seiner Fischerbude eine Zigarette und einen großen Schluck Kaffee. Neben ihm sitzt Ex-Fernfahrer Helmut, trinkt ein Bier Marke Jever und informiert sich über den Fang und die Befindlichkeit seines langjährigen Freundes. „Spätestens nächstes Jahr soll die bewegliche Webcam installiert werden“, hofft Fischer Kruse, sicherlich wird dann die Fischbude und ihr Internetauftritt noch attraktiver. Das Kapital sind jedoch die Fische, die Kunden an seiner Fischerbude auf dem Deich und die eigene Vermarktung. Denn ohne sie würde Fischer Kruse in seinem traditionellen Beruf wohl weitaus weniger Chancen haben zu überleben. "Kruses Räucherfisch" Fischerhütte 1b 24217 Schönberger Strand Telefon: 04344 - 66 53 http://www.fischer-kruse.de www.ostseerouten.uni -kiel.de