7. Rundmail
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7. Rundmail
Hola, hola, im Juli! Den Sommeranfang in Deutschland habe ich jetzt auch schon verpasst; Aber hier habe ich eh das ganze Jahr über sommerliche Temperaturen. Ich erinnere mich, wie ich an Weihnachten dachte, ich würde eine Art „Winter“ vermissen, aber inzwischen weiß ich nicht mehr, ob ich meine Lieblinsjahreszeit jemals wieder gegen einen rauen Herbst oder einen grauen Winter eintauschen möchte. Auch die Tatsache, dass ich hier fast jedes Wochenende die Möglichkeit habe, ans Meer zu fahren, mich an den Strand zu legen, in die Wellen zu tauchen,… Wie werde ich bloß ohne all das auskommen? Offensichtlich mache ich mir immer mehr Gedanken darüber, wie ich den Sprung zurück nach Europa verkrafte – UND das schon in 2 ½ Monaten! Aber obwohl es mir immer noch gefällt und ich wie gesagt jetzt schon das Gefühl habe, länger hier bleiben zu wollen – Obwohl ich es mir jetzt schon schwierig vorstelle zurück ins alte, andere Leben zu müssen – Und obwohl mir die Zeit einfach zu schnell vergeht – freue ich mich auch ein wenig auf die Rückkehr und finde es spannend, aufregend, an diese zu denken. Neben der Tatsache, dass ich selbstverständlich daran denke meine Familie und meine Freunde wieder zu sehen, erscheint es mir zum Beispiel komisch, dass ich seit Ende Oktober keine „Nachrichten“ mehr gehört habe. Ich lebte quasi isoliert in meiner kleinen, einfachen, unkomplizierten Welt ohne Wirtschaftskrise und Katastrophenmeldungen. (Die letzte Neuigkeit - überhaupt, die mir in Quito mitgeteilt wurde, war die Wahl des neuen amerikanischen Präsidenten). Was gibt’s Neues aus Rio Muchacho? - Mit der Hilfe von großen Volontärgruppen (International Student Volonteers) bauen wir Spielplätze aus Bambus und alten Autoreifen in der Umgebung - Im Garten sähen wir nun wieder Trockenzeit-Pflanzen und müssen ständig bewässern; Wo der Schlauch nicht hinreicht muss man Eimer schleppen - Immer mehr Besuchergruppen kommen und besichtigen unsere UmweltGrundschule + Biofarm (darunter auch Lehramt- und Ökotourismusstudenten) - Wir haben einen neuen Wasserturm gebaut, um bei Stromausfall eine größere Reserve zu haben (auf Grund elektrischer Pumpen fällt mit dem Strom nämlich auch das Leitungswasser aus) - Eine weitere Hütte wurde mit eigener Dusche und WC ausgestattet – Wir versuchen natürlich die Unterkünfte und das Farmgelände für unsere Touristen so schön und komfortabel wie möglich zu gestalten. Ein kleiner Abschnitt zum umweltfreundliche, ökonomischen Badezimmer: Hier braucht man keinen Fliesenleger, sondern lediglich Palmblätter, Bambus und Holz. Und natürlich gibt es hier keine Abwassersysteme oder Wasseraufbereitung, daher benutzten wir nur biologisch abbaubare Seifen und können dann das Wasser direkt zur Bewässerung der Büsche und Bäume verwenden. Jedes Mal, wenn jemand duscht, wird das Wasser durch ein paar Kästen mit Steinen und Schwämmen geleitet und versickert dann zum Beispiel im Bambusanbau oder in einem kleinen Teich mit speziellen Algen, die das Wasser weiter filtern. Die trockene Kompostiertoilette funktioniert, wie der Name schon sagt, komplett ohne Wasser und kompostiert ihren Inhalt ganz von alleine. Alles was man dazu braucht ist ein Loch in der Erde und ein kohlenstoffreiches Füllmaterial. Hier auf der Farm haben wir in jeder Toilette eine Kiste Sägemehl stehen, das wir kostenlos von den örtlichen Holzverarbeitern bekommen. Alternativ eignet sich jedoch zum Beispiel auch trockenes Laub. Man gräbt also ein Loch in die Erde, baut darüber die Konstruktion mit dem Toilettensitz und kippt nach jeder Benutzung Sägemehl in Grube. Diese Toiletten stinken nicht! Alles, was ein Kompostierprozess braucht ist Stickstoff (Exkremente), Kohlenstoff (Sägemehl, Toilettenpapier), Feuchtigkeit (Urin) und Sauerstoff (zwischen dem Füllmaterial). Somit zersetzen sich all diese Zutaten und schon nach 2 Wochen erkennt man nichts mehr von deren früherer Form ;) Nach ca. 3 Monaten ist der Kompost fertig. Nun kann man die Grube ausschaufeln und den Dünger für Bäume verwenden oder man gräbt nach der Füllung des Loches ein 2. und verschiebt das (in diesem Fall „portable“) Toilettenhäuschen, während die erste Grube ruhen kann, oder man direkt etwas auf ihr pflanzt. Auf der Farm haben wir verschiedene dieser Kompostiertoiletten, darunter auch eines, mit 2 Toilettensitzen neben einander/ in einem Häuschen. Darunter befinden sich 2 getrennte Kammern. Solange Sitz + Kammer No.1 in Benutzung ist, hat No.2 Zeit zu kompostieren. Bevor auch Kammer No. 1 voll ist (ca. 3 Monate, abhängig von der Anzahl der Benutzer), wird Kammer No.2 ausgeschaufelt. All diese Systeme sind weltweit zu empfehlen, da sie weder das Grundwasser kontaminieren, noch unsere Süßwasservorräte verschwenden. Diese werden in Zukunft mir Sicherheit ein konkretes, weltweites Problem darstellen! Es gibt auch schon kompakte Kompostiertoiletten-Designs für den „Indoor“ Gebrauch (und demnach keine Ausreden für diejenigen, die keinen Garten vorm Haus haben). Was sonst noch geschah… Auf dem Grundstück eines Nachbars wurde über Nacht ein Baum geklaut. Man glaubt gar nicht, was hier alles geklaut wird! (Als wir eine Woche Stromausfall hatten, hat sich herausgestellt, dass die Ursache hierfür der Diebstahl von Hochspannungsleitungen war. Zwischen San Vicente und Canoa kamen nachts ein paar Transporter angefahren; die Kabel wurden abgeschnitten und in der nächsten Provinz verkauft…) Nun, der Baum war natürlich ein ganz besonderer Baum: „Samango“ heißt er und wächst weltweit nur hier in der Übergangsregion zwischen tropischem Trocken- und tropischem Regenwald. Er hat eine riesige Baumkrone und sieht auf den Hügelspitzen aus, wie ein gigantischer Pilz. Was ihn besonders macht, ist, dass er eine riesige Fläche Schatten spendet (bis zu einem halben Fußballfeld würde ich sagen) und im Stamm genug Wasser speichern kann, um für die gesamten 8 Monate der Trockenzeit seine Blätter nicht abwerfen zu müssen. Der Baum, der hier gefällt, zerkleinert und abtransportiert wurde hatte einen Stamm von 2 Metern Durchmesser; also schon ein größeres Exemplar! Was der Besitzer am nächsten morgen fand/ Was die Holzschmuggler zurückgelassen hatten, ist genug, um die Dorfkirche neu zu bestuhlen und ihr einen neuen Dachstuhl zu verpassen. Der Besitzer spendete großzügiger Weise das Holz an die Communidad und wir Volontäre von der Farm und ein paar freiwillige Anwohner helfen mit, das Holz zu bearbeiten, zur Kirche zu bringen, und diese in den nächsten Wochen zu renovieren. (Der Spender ist übrigens der allmächtige Landherr der nahezu gesamten Umgebung und hat alleine in Rio Muchacho 20.000 Kühe auf verschiedenen Weideflächen). Weiteres Ereignis: Letztens kam ein Mann mit 2 Affen-Babys (Schwarze Brüllaffen) vorbei. Diese hatte er im Wald gefangen und nun spazierte er mit seinem Plastiksack durch das Dorf, um sie zu verkaufen. 40 $ das Stueck!! Dass diese Tiere wahrscheinlich vom Aussterben bedroht sind, weiß hier keiner oder zumindest denkt daran niemand. Die Leute hier haben eben andere Haustiere; Ich habe auch schon Papageien mit beschnittenen Flügeln auf den Terrassen sitzen sehen. Es hat zwar auch jeder einen Hund vorm Haus, aber der ist nur zum Bellen da – gefüttert oder gar gestreichelt wird nicht. (Tatsächlich verbieten die erwachsenen hier den Kindern, mit Hunden oder Katzen zu spielen, weil sie befürchten, dass diese schlimme Krankheiten übertragen.) Was auch auffällt, ist der verzweifelte Versuch, mit allem Geld zu machen; Der Wald hat für die Bevölkerung hier – abgesehen vom Holz – keinen Wert, den man in Geld messen kann, weswegen er meistens abgeholzt und als Weidefläche benutzt wird. Diejenigen, die keinen Wald besitzen, gehen und fangen Tiere auf dem Grundstück anderer. So werden auf der Straße auch andere Exoten, wie z.B. Gürteltiere verkauft (zum Verzehr gedacht)… Bei der Abreise anderer Langzeitvolontäre kommt auch bei mir ein seltsames Gefühl des Abschieds auf. Manchmal sehe ich mich schon halb im Flieger sitzen, weil ich einfach weiß, wie schnell die naechsten Wochen vergehen werden. Ich kann also fast schon sagen: „bis bald“ (obwohl das für den ein oder anderen übertrieben erscheinen mag). Ich wünsche einen schönen Sommer, bis bald, Thomas