1. Beispielseiten Elli Drayß - Quintessenz
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1. Beispielseiten Elli Drayß - Quintessenz
Elli bei ihrer Kommunion, 19xx 6 Kindergarten Marienhaus, Elli 2. von rechts Meine Kindheit in Heppenheim Elli, das bin ich bis heute Eva Elisabetha ist mein richtiger Name. Das sind die Namen meiner beiden Omas von hüben und drüben. Schneiders Oma hieß Eva, und die Oma in Hambach hieß Elisabeth. „Die Gode“, also meine Tante Eva, wollte dass ich Eva hieß. Meine Mutter war dagegen: „Nein, sonst wird ja daraus auch noch eine Evl!“ Zur Gode hatten sie immer Evl gesagt. Ich bekam dann zwar doch den Namen Eva, wurde aber immer Elli gerufen. Das wurde auch nie in Evi oder Evl abgewandelt. Die Elli – das bin ich, bis heute. Geboren wurde ich am 21. Juni 1927 in Heppenheim. Ich lebte mit meinen Eltern auf dem Bauernhof in der Heppenheimer Vorstadt. Das war der Hof meines Opas Andreas Schneider. Wir Cousinen und Cousins sind hier alle zusammen wie Geschwister aufgewachsen. Alle waren wir beim Opa daheim. Hier haben wir gegessen, gespielt, gelernt, gearbeitet und gefeiert. Das war mein Elternhaus, auch während des Krieges – der 8 Bei Tante Maja in Offenbach Krieg hatte unsere Familie nur noch enger zusammengehalten. Der Wohnraum war knapp und die Familie groß, da mussten alle zusammenrücken. Meine Großeltern hatten vier Kinder: drei Buben und eine Tochter. Das waren mein Vater Franz, die Gode Eva, der Onkel Andres und der Onkel Peter. Die einzige Tochter meines Opas, meine geliebte Gode, wohnte zuerst in Stuttgart und später in der Darmstädter Straße in Heppenheim. Trotzdem waren sie jeden Tag bei uns. Schon morgens sind sie in die Vorstadt gekommen, nur zum Schlafen sind sie abends wieder nach Hause gegangen. Alle waren noch ledig, bis meine Mutter 1927 aus Hambach in das Haus einheiratete und ich auf die Welt gekommen bin. Etwas später hat mein Onkel Andres die Tante Baweth (Barbara) geheiratet. Sie hatten gleich oben im Haus über der Halle ihren eigenen Haushalt und waren für sich. Die Tante Baweth kam ebenfalls aus einer Bauerei in der Vorstadt, der Bauerei Vock. Sie ist oft heimgegangen in ihr Elternhaus und hat dort noch mitgeholfen. Das wurde so akzeptiert, denn früher waren ja alle zusammen eine große Familie. Ihr Mann Andres hat dafür bei uns in der Bauerei mitgeholfen. Beim Opa im Haushalt – da war ich mit meinen Eltern und den restlichen Tanten und Onkeln. Die Familie vom Onkel Peter, dem ältesten Bruder meines Vaters, und wir: Wir waren alle wie eine große Familie, wir haben zusammen in dem Haus gewohnt. Wir hatten zwar jeder unsere eigene Wohnung und Küche, aber wir waren immer unten beim Opa, bei Tante Veronika und Onkel Peter. Alles Leben spielte sich in ihrer Küche ab. Ich habe mir oft gedacht, wir haben da oben so eine schöne Küche und doch bleiben wir immer unten in der alten Küche. Als Onkel Peter 1934 geheiratet hat, kaufte Tante Veronika eine neue Küche. Es wurde noch ein bisschen umgebaut und dann hat es uns wieder gefallen. Dort hielten wir uns alle auf – bis 1945 die Männer wieder aus dem Krieg zurückkamen. Es blieb mein Zuhause, bis zur Heirat. Vater und Mutter lebten oben, und ich war die meiste Zeit unten bei Tante Veronika und Onkel Peter. Als ich geheiratet hatte und nach Lorsch gezogen bin, wurde Tante Veronika oft gefragt, wie es denn ihrer Tochter in Lorsch gehe. Dabei war ich gar nicht ihre Tochter. Auch ihre wirklichen Töchter Maria, Renate und Inge wurden immer wieder gefragt: „Wie geht es denn eurer Elli?“ Ebenso erging es den Söhnen von meiner Gode Eva, dem Günter und dem Helmut: Wir C ousins und Cousinen waren wie Geschwister. Wir kamen eben alle aus einem Haushalt, aus einer großen Familie. Die Leute wussten oft gar nicht, wer denn jetzt zu wem gehört. Und: Wenn wir auf den Acker gegangen sind, wussten wir selbst 9 Meine Kindheit in Heppenheim Alte Postkarte der Heppenheimer Vorstadt: Die Fürther Straße, heute Siegfriedstraße, mit dem Schneiderschen Hof (Rahmen), die beiden Häuser rechts wurden abgerissen. Die Heppenheimer Friedrichstraße, genannt Bachgass‘, um 1940, mit der Stadtmühle im Hintergrund 10 Die Siegfriedstraße in den 50ern 11 Meine Kindheit in Heppenheim Feldarbeit, ca 1930. v. l. Anna Schuster, geb. Berg, Elisabeth und Johann Adam Schuster, eine Nachbarin „Wenn wir auf den Acker gegangen sind, wussten wir oft selbst nicht genau auf wessen Acker wir gerade waren...“ 12 v. l.: Opa Johann Adam Schuster, Lorenz Schuster, seine Frau Anna, geb. Berg, oben: Josef Schuster „...War das jetzt Opas Acker oder Onkel Peters? Oder war das der Acker der Gode? Wir waren eben eine Familie.“ 13 Meine Kindheit in Heppenheim nicht genau, auf wessen Acker wir gerade waren. War das jetzt Opas Acker oder Onkel Peters? Oder war das der Acker der Gode? Wir waren eben eine Familie. Die Gode, das war die Schwester meines Vaters. Sie hieß Eva Schuster, geborene Schneider. Eigentlich war sie ja meine Patentante, aber sie war eben für die ganze Sippe „die Gode“. Und noch heute wird sie von Kindern und Enkelkindern so genannt: „Ach ja, das war die Gode.“ Das Heppenheimer Schwimmbad ist 1932 eröffnet worden, in dem Jahr, als ich fünf Jahre alt wurde, und im Jahr darauf ist die Gode jeden Morgen mit mir ins Schwimmbad gegangen, da „Ach ja, das war die Gode.“ haben wir uns immer zusammen an die Seile im Wasser gehängt. So haben wir zusammen das Schwimmen gelernt. Später hat mir die Gode auch die Zöpfe abschneiden lassen. Die Gode hat sich eben um alles gekümmert. Sie war die stellvertretende Oma. Abends saßen immer die Jungbauern bei uns in der Küche und die Gode hatte ihre Freundinnen dabei. Die haben dann ihre Dummheiten gemacht und ich war da immer mittendrin, in der großen Familie habe ich mich so richtig geborgen gefühlt. Günther und Helmut waren die beiden 14 späteren Söhne meiner Gode. Sie war ja die Schwester meines Vaters und hat den Bruder meiner Mutter geheiratet. Die haben sozusagen getauscht. Darum sagt der Helmut immer: „Elli, deshalb sind wir uns so ähnlich.“ Die Gode, mein Opa, Onkel Peter und die Tante Elise sind mir im Leben immer besonders beigestanden. Die Gode war immer bei uns, wenn ich sie gebraucht habe. Meine Mutter und mein Vater, die hatten da eigentlich nicht mehr viel zu sagen. Deshalb haben auch die Leute nie genau gewusst, zu wem ich eigentlich gehöre. Wenn ich etwas gewollt habe oder etwas auf dem Herzen hatte, dann bin ich damit zur Gode, zur Tante Veronika oder zum Onkel Peter gegangen. Genauso sind auch meine Cousinen hoch zu meiner Mutter, wenn sie etwas auf dem Herzen hatten. Die Inge zum Beispiel, die hatte mal ein Verhältnis und wollte dann nichts mehr von dem Mann wissen. Da ist sie zu meiner Mutter und hat bei ihr gebeichtet. Einmal, als ich noch klein war, war der Onkel Peter mein Schutzpatron: Mein Vater oder meine Mutter wollte mich versohlen. Da hat der Onkel Peter mich hoch genommen, auf den Milchschrank in der damaligen Küche gestellt und gesagt: „Die Kleine wird nicht gehauen!“ Heute kommen meine Enkel zu mir zum Beichten. Heute muss ich manchmal die Dinge wieder richten. Aber nie musste ich eines meiner Enkel auf den Milchschrank retten. Im Jahr 1932 ist das Heppenheimer Schwimmbad eröffnet worden. Badevergnügen, Elli, 2 v. r. unten Beste Freundinnen: Anna Koob und Elli 15 Meine Kindheit in Heppenheim Gode Eine Verbindung zwischen Patin und Göttin wird besonders in der Volkssprache erkennbar. In weiten Teilen Deutschlands wird die Patin mit Jött, Goat, Gote oder Gode bezeichnet. Nach Sprachforschungen kommt dieses Wort aus dem Keltoromanischen und bedeutet Göttin, bzw. Muttergöttin. Die Benennung von zwei oder drei Schutzpersonen für jedes Kind hat sich in verschiedenen Formen zu allen Zeiten erhalten. In der christlichen Religion wurde die Patenschaft mit dem Taufsakrament gekoppelt. Mit zahlreichen, wechselnden Regulierungen wurde die Patenschaft in das Kirchenrecht aufgenommen. Im alemannischen Sprachraum gibt es für dieses ehrenvolle Amt eine ganze Reihe von Namen: Gotte, die; -, pl. Gotten (schweiz. mdal. für Patin) Götti, der; -pl Göttis, -(schweiz. mdal. für Pate) Gode (Nebenform von Gote [Pate]; die -, -n (südd. u. österr. für Patin) Godel Godl Gode, und Kinder neben der Pferdetränke v. l. Maria, Tochter von Peter und Veronika Schneider, geb. Lies; Walter, Sohn von Andreas und Barbara Schneider, geb. Vock; Elli Schneider mit Helmut Schuster im Arm; Heinz Schneider Eva Schuster (Gode) mit Sohn Günther Schuster Taufpate (Schweiz: Götti m./Gotte f., schwäb.: Döte m./Dote f., saarländ./pfälzisch: Pat m./Got f.) ist ein Ehrenamt in christlichen Kirchen. Der Taufpate begleitet den Täufling bei der Taufe und ist Zeuge der Sakramentsspendung. Sein Name wird im Kirchenbuch vermerkt. Der Begriff „Pate“ kommt vom lateinischen pater spiritualis bzw. patrinus, „Mit-Vater“ (genau wiedergegeben mit dem altdeutschen Wort „Gevatter“). Das Wort “Götti” und “Gote” hat wirklich was mit “Gott” zu tun, wie wir aus dem Herkunfts wörterbuch des Dudenverlags erfahren. “Gote” heisst “zur Gote gehörend“, Go|te, die; -, -n [mhd. gote, göte, ahd. gota; vgl. gleichbed. aengl. godm•dor, aus: god = Gott u. m•dor = Mutter, eigtl. = Mutter in Gott, d. h. “geistliche Mutter“] (landsch.): Patin. (Quelle: Duden Herkunftswörterbuch) „Die Gode hat sich eben um alles gekümmert. Sie war die stellvertretende Oma.“ 16 17 Meine Kindheit in Heppenheim Links: Heinz Schuster aus Sonderbach, Elli mit Bruder Heinz rechts Die Kinder in der Familie Ich war das erste Enkelkind in der Familie. Gleich nach mir wurde im Dezember 1927 die Tochter vom Onkel Andres und seiner Frau Baweth geboren: Frieda. Aber sie hielt sich mehr im Elternhaus ihrer Mutter auf. Ein paar Jahre später wurden viele Kinder hintereinander in die Familie hineingeboren: mein Bruder Heinz, meine andere Cousine Maria, eine Tochter von Onkel Peter, die schon gestorben ist. Dann kam Renate, auch eine Tochter vom Peter. Er hatte insgesamt drei Töchter. Ich als ältestes Kind der Familie musste die anderen Kinder oft hüten. Auf meinen kleinen Bruder Heinz war ich immer eifersüchtig. Als er auf die Welt kam, hieß es bei meiner Mutter immer nur: „Mein Heinzsche, mein Heinzsche!“ und sie hat nicht einmal zu mir gesagt: „Ach Ellische!“ Morgens, wenn ich vor der Schule zu meiner Freundin Anna gegangen bin, hat mir meine Mutter vielleicht eine Tasse Kaffee oder ein Glas Milch hingestellt und 18 noch ein Brot gemacht. Aber dann ist sie wieder an ihre Arbeit gegangen. Wenn aber der Heinz zu ihr gekommen ist, hatte sie immer viel Zeit für ihn. Als Kind habe ich sehr darunter gelitten. Eine Zeit lang habe ich mich alleine gefühlt: Meine Cousinen sind ja alle einige Jahre jünger als ich. Renate wurde 1937 geboren. Ich bin Jahrgang 1927, also zehn Jahre älter als sie. Ich nahm Renate immer mit in die Volksschule. Früher konnte man ja ganz einfach Geschwister in die Schule mitbringen. Ich nahm sie schon mit, als sie erst zwei Jahre alt war und gerade einmal „Ell“ zu mir sagen konnte. Den ganzen Namen Elli konnte sie noch nicht aussprechen. Einmal saß sie dann im Religionsunterricht neben mir und sagte plötzlich: „Ell A-A!“ Da haben natürlich alle gelacht. Von da an nannten mich alle „Ell A-A“. Das hat mich geärgert. 1933, Elli in Tante Majas Hof in Offenbach. 19 Meine Kindheit in Heppenheim Spielsachen und Streiche Damals hatten wir wenige Spielsachen – also im Vergleich zu den Kindern heute. Wir haben oft und gerne bei uns im Stein bruch gespielt, das war unser Spielplatz. Dort stand ein alter Pferdeschlitten herum, das war im Spiel unser „Haus“. Wir haben „Nachmachsches“ und „Suchsches“ gespielt. Später waren es oft Ballspiele, wie Völkerball. Als ich noch ganz klein war, habe ich einmal zu Weihnachten eine Puppe bekommen. Irgendwann hatte ich dann auch einen Puppenwagen und eine Puppenkü che, das war mein ganzer Stolz. Von oben aus der Wohnung haben wir das alte Geschirr he runtergeholt und damit gespielt. Von meiner Gode habe ich einmal einen Ball geschenkt bekommen. Auf den war ich ganz stolz, denn es war der größte Ball im Kinder garten. Außerdem habe ich als Kind noch einen Kaufladen geschenkt bekommen. Ansonsten gab 20 Heinz, Dina und Elli 1933 bei den Hambacher Großeltern es eben Kleider und zur Schulzeit einen Ranzen. Später in meiner Jugend habe ich einmal an Weihnachten von meinen Eltern eine Zieh harmonika bekommen. Wenn ich dann in der Küche oder in der Stube geübt habe, hieß es: „Geh doch in den Stall und spiel den Kühen was vor!“ Ich bin dann zu meiner Freundin, die auch eine Ziehharmonika bekommen hatte – und wir haben zusammen geübt. Wir haben das Spie len auch in einem Kurs gelernt. Damals kam die Ziehharmonika groß in Mode. Ich und meine Freundinnen haben auch gern Streiche gemacht. Einmal haben wir Bohnen geputzt und den Abfall haben wir den Nach barn heimlich vor die Tür gestreut. Als wir ein mal „Lattwärje“ (Pflaumenmus) für das ganze Jahr eingekocht haben, haben wir die Kerne den Nachbarn vor die Türe gelegt. Dass die sich geärgert haben, war unsere Freude. 21 Meine Kindheit in Heppenheim Die Großeltern in Hambach Meine Mutter war eine geborene Schuster aus Hambach. Ihre Eltern hießen Johann und Elisabetha Schuster. Mein Opa wurde am 06.01.1866 geboren, meine Oma am 23.01.1869. Sie hatten auch eine Bauerei. Wir waren jeden Sonntag bei ihnen in Hambach. Beide waren gute Großeltern für mich. Die Hambacher waren – im Gegensatz zur Heppenheimer Sippe - alle eher ruhig und manche auch ein bisschen vornehm. Einer, der Onkel Wilhelm, war sogar in Heppenheim auf die Realschule gegangen. Er war dort immer der „stinkige Bauer“. Aber später einmal sagte er: “Ich habe es vielleicht doch manches Mal weiter gebracht, als die, die nicht gestunken haben.“ Er hat später studiert und hatte dann einen Elektrogroßhandel in Weinheim. Meine Mutter ist um die Jahrhundertwende in Hambach aufgewachsen. In dieser Zeit forderten die E ltern höchsten Respekt von ihren Kindern. Die Prügelstrafe war normal. Meine Mutter hat mir eine Geschichte aus ihrer Kindheit erzählt: Als ihr Vater einmal in die Küche zu ihr hereinkam, sagte er, dass ein übler Geruch in der Luft liegen würde. Etwas vorlaut hatte sie damals geantwortet: „Wer’s zuerst riecht, dem kriecht‘s aus der Ziech“ („Ziech“: Loch). Als sie das wütende Gesicht des Vaters sah, hat sie begriffen, dass sich ein solches Benehmen nicht gehörte. Verfolgt vom Vater rannte sie schnell in die Kammer und schloss sich ein. Dort verharrte sie so lange, 22 bis die Wut des Vaters verflogen war. So war sie der Strafe gerade noch einmal entgangen. Meine Oma hat ihren Kindern und Enkeln immer erzählt, dass sie in der Kirche dafür betete, dass sie und ihr Mann einmal zusammen sterben, damit keiner alleine weiter leben muss. Im November 1943 nutzen die Schusters in Hambach eine Dreschmaschine, die der Bruder des Opas gekauft hatte. Meine Oma Elisabetha Schuster kochte das Essen für die Leute, die beim Dreschen geholfen hatten. Sie wollte vom Schrank Tomaten herunterholen, die dort zum Nachreifen lagen. Dabei kippte der Hocker um und sie fiel zu Boden. Sie hatte einen Oberschenkelbruch. Nur wenige Tage später fiel mein Opa Johann Schuster in der Scheune von einer Leiter. Wegen Verschleißerscheinungen konnte er Leitern nur noch auf den Knien hochsteigen. Bei dem Sturz muss er sich innere Verletzungen zugezogen haben. Ihm ist schlecht geworden und er hat sich hingelegt. Da im Schlafzimmer bereits seine kranke Frau lag, wurde er in die Nebenstube gebracht. Hier lag er noch einen Tag lang. Beide sind sie dann gestorben, kurz nacheinander. Am 04.12.1943 ist der Johann und am 08.12.1943 die Elisabetha gestorben. Die Toten wurden damals noch mehrere Tage lang im Haus aufgebahrt. Kaum war der Opa beerdigt und sein Sarg aus dem Haus, wurde am nächsten Tag der Sarg von der Oma aufgestellt. Familienbild um 1942 oben, von links: Maria Sebald, geb. Schuster, Franz Scheider, Peter Schuster, aus Essen, Christina Schneider, mitte, von links: Maria Schuster, geb. Rutz, Elli mit Erna Schuster (verh. Nack) unten, von links: Heinz Schuster, Johann Adam Schuster, Maria (Ria) Schuster (verh. Simmank), Gisela Schuster (verh. Balsters), Elisabetha Schuster, Heinz Schneider 23 Meine Kindheit in Heppenheim Zur Kerwe in Hambach 1930 von rechts: Lorenz Schuster, Franz Schneider, Anna Schuster (Frau von Lorenz), Christina Schneider, geb. Schuster (Oma Dina), Maria Sebald, geb. Schuster, (Schwester von Christina), Anne Mang, geb. Schuster, Richard Mang (Ehemann), Elsa Rall, Heinz Sebald, (Ehemann von Maria Schuster) Peter Schuster (aus Essen, Bruder von Oma Dinas Mutter), Tochter von Peter Schuster und in der Bildmitte Elli Schneider, 3 Jahre alt 24 Heinz, Dina und Elli 25 Die Hambacher: v. wl. Josef, Dina, Heinrich, Paul, Maria, Lorenz, vorn: Elisabetha und Johann Adam Schuster 27 Meine Kindheit in Heppenheim Die Familie von Opa Andres Schneider Die Eltern meines Vaters hießen Andreas Schneider und Eva Schneider, geborene Bangert. Auch sie schon lebten auf dem Bauernhof in Heppenheim, wo ich geboren bin. Früher muss es bei den Schneiders, der Familie meines Opas, deftig zugegangen sein. Das lag wohl auch daran, dass mein Opa jung zum Witwer wurde. Seine Frau bekam fünf Kinder, ein Sohn ist mit 13 Jahren gestorben. Und als die Mutter so früh starb, musste der Vater die Kinder alleine aufziehen. Seine Buben, dabei auch mein Vater, sind dann sozusagen zusammen mit größeren Kindern „im Steinbruch aufgewachsen“. Ohne Mutter waren sie nicht so wohlbehütet wie die Geschwister meiner Mutter. Als einmal in Ober-Laudenbach Kerwe war, ging mein Opa mit seinen vier Kindern dorthin und alle durften soviel essen und trinken, wie sie konnten. Zuerst ging es in die Gaststube und dann in die Bäckerei Arnold. Die Kinder ergriffen die Gelegenheit und aßen so viele Kaffeestückchen, bis sie alle Bauchweh hatten. Der Vater lief dann einen Umweg mit ihnen nach Hause, damit sie das viele Essen besser verdauen konnten. Die Schneiders waren so richtige „Urumpel“. ( Urumpel (pfälzisch) = grober Mensch ) Als meine Mutter mit 29 Jahren nach Heppenheim kam, lagen überall dreckige und zerrissene Strümpfe herum. Die musste sie erst einmal waschen und stopfen. Von Anfang an kümmerte sich meine Mutter um den Haushalt meines 28 Opas. Die Gode war bis dahin die einzige Frau im Haushalt, und sie war noch etwa acht Jahre jünger als meine Mutter. Sie wurde damals mit den vielen Männern auch nicht immer fertig. Meine Mutter blieb aber auch noch lange zu Hause in der Bauerei der Eltern, weil sie meinte, dass sie nicht von ihrer Mutter weg könne und dort weiterhelfen müsse. Aber als sie dann mit mir schwanger war, mussten meine Eltern heiraten. Mein Vater sagte später immer, wenn ich damals nicht unterwegs gewesen wäre, hätte sie ihn überhaupt nie geheiratet. Mein Vater war so einer, der eben alles frei heraus gesagt hat, egal ob sich jemand geärgert hat oder nicht. Doch die meisten haben sich nicht geärgert, sondern haben gelacht – schon allein, weil er selbst immer dazu gelacht hat. Und weil die Schneiders alle so waren, war es eine schöne Kindheit und eine schöne Jugend für mich. Bei den Schneiders ging es immer lebhaft zu, die Schusters waren eher zurückhaltend. Ich bin auch lebhaft, wie die meisten aus meiner Familie. Nur mein Bruder hat ein ruhiges Temperament. Meine Eltern Mein Vater Franz Schneider hatte viel Humor: Er war ein richtiger Spaßmacher. Der hat aus Nichts und zu Allem einen Spaß gemacht, und er hat sich auch nie geniert. Meine Mutter, hristina Schneider, war eher eine Ruhige, und C sie war eine richtige Schafferin. Aber sie hat die Witze vom Vater immer mitgetragen. Manchmal hat sie meinen Vater darum gebeten, dass er die Kinder nicht mehr so oft „drookrieje“ (verulken) soll. Er hat dann nur zurückgefragt, warum er das denn nicht tun sollte. Als der Onkel Paul und die Gode Silberhochzeit gefeiert haben, gab es ein großes Fest in der Lehrstraße. Als die Feier dem Ende zuging, wollte mein Vater nach Hause. Wir warteten schon vor der Haustür auf meine Mutter, die immer noch eine Geschichte mehr zu erzählen hatte. Als meinem Vater die Wartezeit zu lange wurde, ließ er einfach einen lauten Furz von sich, einen nach dem anderen. Meine Mutter schämte sich so sehr, dass sie die Gespräche aufs Schnellste beendete und wir allesamt davongeeilt sind. Zu solchen Geschichten hat meine Mutter dann immer im Spaß gesagt: „Du bist doch ein Lapparsch! Ein Tagteufel! Du bist doch ein Schote, ein Dummbeitel!“ Aber Lapparsch war am meisten dran. Als dann mein kleiner Bruder Heinz auf die Welt kam, habe ich einmal Handtücher im Geschäft „Maurer“ in Heppenheim eingekauft. Die Verkäuferin erkundigte sich, wie es meiner Mutter und meinem Bruder gehen würde. Dann fragte sie mich, ob mein kleiner Bruder denn auch Franz heiße, wie mein Vater. Ich antwortete: „Mein kleiner Bruder heißt Heinz, nicht Franz und Christina Schneider, 27.02.1927 Franz. Sonst gibt’s auch so einen Lapparsch wie mein Papa.“ Ich hatte das eben aufgeschnappt, als meine Mutter wieder einmal aus Spaß zu ihm gesagt hatte: „Ach, was bist du für ein Lapparsch!“ Das war für mich ein Wort! Ich wusste zwar nicht, was es bedeutet, aber es klang gut. Später, als die Verkäuferin schon etwa 80 Jahre alt war, besuchte sie einmal meine Gode und ich traf sie dort. Da hat sie die Geschichte immer noch erzählt. 29 Meine Kindheit in Heppenheim Im Hof in der Vorstadt: v. l. Günther Schuster, Eva Schuster geb. Schneider (Gode) Christina Schneider geb. Schuster (Oma Dina) - halbverdeckt: Veronika Schneider mit Tochter Maria, Walter Schneider (Sohn von Andreas Schneider, gestorben 1948), Elli Schneider, Franz Schneider, Heinz Schneider und Knecht Hannes Frank. 30 31 Meine Kindheit in Heppenheim Alleingang Im Bauernhof hing in der Waschküche über dem kleinen Fenster ein Barometer. Darauf hat man oft geschaut – für die Bauern war das Wetter immer wichtig, um die Arbeit zu planen. An einem Sonntagmorgen standen die Zeichen auf Gewitter. Schnell wurden die Pferde eingespannt. Mit dem Fuhrwerk ging es dann auf die Wiesen, um das Heu noch einzuholen, bevor es nass werden und verfaulen konnte. Solche Arbeiten hatten immer Vorrang, sogar vor dem Kirchgang Elli (rechts) mit Cousine Frieda an diesem Sonntag. Ich war etwa vier Jahre alt. Während die Erwachsenen alle Hände voll zu tun hatten, war ich damit beschäftigt, mich im Schlafzimmer anzuziehen. Ich betrachtete mich mit meinem rosafarbenen Unterrock im „In meinem rosafarbenen Unterrock lief ich durch die Vorstadt...“ Spiegel. Ich fand ihn so hübsch anzusehen, dass ich der Meinung war, man könne so ein feines Kleidungsstück bestimmt auch als Kleid anziehen. Ich lief also damit hinunter in den Hof und wartete auf die Erwachsenen. Ich sah, wie die anderen Leute schon zur Kirche gingen und beschloss, mich alleine auf den Weg zu machen. In meinem rosafarbenen Unterrock lief ich durch die Vorstadt bis in die Kirche hinein und dort den Mittelgang entlang, so wie ich es auch sonst gewohnt war. Einige ältere Mädchen erkannten mich und haben mich zurück nach Hause gebracht. Dort herrschte große Aufregung, weil mich die Familie schon gesucht hatte. Dass ich alleine und nur mit einem Unterrock bekleidet in die Kirche gegangen war – damit hatte keiner gerechnet. Schnell wurde mir ein Rock angezogen und es ging wieder in die Wiesen. Ausflug zur Kerwe In den frühen dreißiger Jahren, als ich noch ein kleines Kind war, besuchte ich mit meinen Eltern einmal im Jahr regelmäßig die Lorscher Kerwe. Mein Vater hatte drei Cousinen in Lorsch, die Töchter seines Onkels. Ihnen haben wir dann nacheinander einen Besuch abgestattet. Als erstes ging es zur Cousine Regina Fehres, geborene Bangert. Sie war die Wirtin des Gasthofs „Zum weißen Kreuz“. Hier trafen wir auch gleich die Schwester vom Vater, meine Gode, 32 die hier im Gasthaus arbeitete. Nach Kaffee und Kuchen ging es weiter in die Rheinstraße 17, zur Cousine Elisabeth Jäger, geborene Bangert. Mir fiel auf, dass die Straßen in H eppenheim schon viel besser gepflastert waren als die in Lorsch. Hier hatte auch jeder noch seine eigene Pumpe im Hof und das Wasser musste noch von Hand hochgepumpt werden, während man in den meisten Haushalten in Heppenheim nur noch den Wasserhahn aufzudrehen brauchte. Von der Elisabeth Jäger ging es weiter durch das „Gaasenescht“ in die Bahnhofstraße zur nächsten Cousine, der Eva Brunnengräber, geborene Bangert. Mein Vater ließ sich immer noch ein Welschbrot einpacken, das gab es in Heppenheim nicht. Ich kann mich noch genau erinnern, dass ich an der Bäckerei Drayß vorbeigekommen bin und mehrmals jemanden Klavierspielen gehört habe. Zum Abschluss des Tages bin ich mit m einen Eltern dann noch einmal im „Weißen Kreuz“ eingekehrt. Dort gab es noch ein Abendessen. Wenn dann die Gaslaternen in Lorsch a ngezündet wurden, war es an der Zeit nach Hause zu gehen – nach Heppenheim, wo schon elektrisches Licht brannte. „Mein Vater ließ sich immer noch ein Welschbrot einpacken, das gab es in Heppenheim nicht.“ 33 Meine Kindheit in Heppenheim Gedicht aus Kindertagen In der Kinderschule musste ich jedes Jahr an Weihnachten ein Gedicht aufsagen. Heute sagen es meine Urenkel auf: S eht, da kommen hoch vom Himmel viele kleine Weihnachtsenglein. Sagen schön sich „Guten Tag“ – fleißig sein wie jedes Jahr. Gucken durch die Fensterlein, zu den Kindern groß und klein. Lauschen, ob sie artig sind, ob sie folgen auch geschwind? Gleich ruft die Sibylle aus: „Ach ich möcht’ ein Puppenhaus!“ Der kleine Fritz kommt auch daher: „Ich hätt’ gerne Helm, Säbel und Gewehr!“ Liebes Englein freut sich nun, denn es gibt jetzt viel zu tun. Ganz geschwind steht, schmuck und fein, ein Häuschen da, aus feinem Stein. Und Fensterlein, so klein, setzen unsre Englein rein. Und sie hobeln, zisch, zisch, zisch, für das Häuschen einen Tisch. Rühren Leim im Töpfchen rum, klopfen lustig tum, tum, tum. Fertig sind die Stühlchen jetzt, Püppchen werden draufgesetzt. Weihnachtsaufführung des Kindergartens im Vereinshaus Heppenheim, 1932 dritte von links: Elli Es sind jetzt kleine Püppchen fünf – Englein stricken für sie Strümpf. Nähen auch die Kleider schnell, singen dabei froh und hell: Ihr Kinderlein kommet… Fertig ist die Arbeit nun, gar nichts gibt’s jetzt mehr zu tun! Bis mein Kindelein erwacht, sind die Englein fort bei Nacht. 34 35