Indianerbilder - Albert Ottenbacher

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Indianerbilder - Albert Ottenbacher
Indianerbilder
Der Göttinger Medizinprofessor Blumenbach bittet am 1.12.1781 den Akademiedirektor Daniel
Chodowiecki zu Berlin, die „fünf Haupt-Raçen“ für seine „Naturgeschichte des
Menschengeschlechts“ zu gestalten.1 Als „Brasilianer“ wünscht er „starke, schön gewachsne
Menschen. Zwar keine Habichtsnase, aber auch keine breitgeplätschte Negernase sondern
ohngefähr wie der Virginier von Wenceslaus Hollart (der auch in Lavaters Physiognomik gut
nachgestochen ist). Doch keinen solchen Kamm von Haaren längst des Scheitels, sondern eine
kahle Glatze mit einer Mönchstonsur, andre etwa mit einer Feder = Krone.“2 Blumenbach bezieht
sich auf das Brustbild eines Ureinwohners von Virgina. Der böhmische Zeichner und Kupferstecher
Wenzel Hollar hat im Jahre 1645 einen unbekleideten jungen Mann mit dem Irokesenhaarschnitt,
dem Ohrschmuck und der Tätowierung um die Augenpartie in Antwerpen „nach dem Leben
gezeichnet und als Ätzradierung ausgeführt.“3 Die uralte Vorlage muß dem Grafiker als Anregung
genügen.
Chodowiecki hat die großen Werke der Literatur seiner Zeit mit Radierungen ausgeschmückt.
Hofrat Johann Friedrich Blumenbach legt großen Wert darauf, daß die Vignetten für sein Buch von
dem berühmten Maler selbst ausgeführt werden. „Daß ja keine andre als Ihre Eigne Meisterhand
einen Strich an diesen fünf Blättern machen darf ! Meine Autor=Eitelkeit oder Stolz ist zu sehr
dabei interessiert.“ Die Frauen sollen mit vollem Haar, von der Jagd mit Pfeil und Bogen
heimkehrend, wie auf einer alten Erdteilallegorie gezeigt werden. Im Januar 1782 hat der Professor
seine Ansicht geändert. Ein Amerikaner muß zu sehen sein „etwa wie er von der Jagd zu seiner
1
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3
Frank William Peter Dougherty, The Correspondence of Johann Friedrich Blumenbach, Briefe 1 – 230. Bd. 1,
Göttingen 2006, S. 290
Dougherty, Correspondence ..., a.a.O., S. 291
Johann Friedrich Blumenbach, Decas Collectionis Suae Craniorum Diversarum Gentium Illustrata, Göttingen 1790,
Bd. 1, S. 25
Frau nach Hause kommt, ein Stück Wild auf dem Rücken. Nebst dem Bogen auch manneslange
Pfeile in der Hand, eine Feder - Haube und Schurz von Federn rund um die Hüften und Lenden.
Halsband von Nüssen. Weiber langes Haar in dicke Zöpfe gedreht.“4 Das Handbuch der
Naturgeschichte erlebt sechs Auflagen.
Blumenbach bewundert 1777 in Schloß Arolsen bei Kassel ein Historiengemälde des Briten
Benjamin West, das den Tod des Generals James Wolfe beim Sturm auf Quebec darstellt. Die
Kameraden halten den sterbenden Krieger, wie den vom Kreuz abgenommenen Leib Christi. Aus
der Seitenwunde sickert Blut. Ein leichter Lufthauch greift in das geraffte Tuch der Fahne, weist
hinauf zum verklärten Wolkenhimmel. Unter den Trauernden sieht Blumenbach einen andächtig
knienden, barfüßigen „americanischen Wilden.“5 Der Mann hat seinen Kopf nachdenklich auf die
Rechte gestützt. Die lange Flinte auf seinem Schoß ziert eine Schlangenlinie. Auf dem kahlen
Schädel trägt er einen roten Federbusch. Über der Schulter hängt eine reich verzierte Jagdtasche.
Am Boden liegt das Kriegsbeil. Benjamin West arbeitet mit dem Drucker und Verleger eng
zusammen. Mit der kleinteiligen grafischen Ausführung der Oberfläche des Gemäldes könnte er
schon die Umsetzung in eine Drucktechnik geplant haben. Die Radierung von William Woollet
erweist sich als einer der wirtschaftlich erfolgreichsten Reproduktionsstiche der Kunstgeschichte.6
Die Schraffuren dieser Strichätzung sind leichter zu drucken, als die Halbtöne einer
Mezzotintoplatte. Die Vorlage wird von anderen Grafikern in Basel, Augsburg, Nürnberg und Paris
unzählige Male nachgestochen.
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Dougherty, Correspondence ..., a.a.O., S. 308
Dougherty, Correspondence ..., a.a.O., S. 120
Helmut von Erffa, Allen Stanley, The Paintings of Benjamin West, New Haven 1986, S. 63
Der halbnackte Ureinwohner bildet in der linken Bildhälfte die Hauptfigur. Bläuliche Linienmuster
sind auf die Stirn, der Wange, Armen und Beinen tätowiert. Der König weigert sich, das Bild
anzukaufen.7 Die Aufregung in der Akademie steigert die öffentliche Aufmerksamkeit so, daß der
Meister und seine Gesellen das Motiv viermal wiederholen müssen. Die Familien der dargestellten
Offiziere erwerben Repliken. Friedrich Prinz von Waldeck kauft eine Fassung für seine Residenz.
Der Fürst hat für England ein Regiment zur Niederschlagung der amerikanischen
Unabhängigkeitsbewegung aufgestellt. Der Herr von Arolsen besitzt eine Sammlung von Antiken
aus Pompeji und Herkulaneum. Dennoch findet er nicht, daß geschichtlich bedeutsame Augenblicke
nur in antiken Gewändern dargestellt werden sollten.
Blumenbach zeigt den Häuptling „Tayadaneega“ als Vertreter des überseeischen Erdteiles in seinen
„Abbildungen naturhistorischer Gegenstände“, die 1796 in Göttingen erscheinen. Außer dem
gefiederten Kopfputz trägt der stolze Mohawk ein poliertes, halbmondförmiges Brustschild, das auf
die Halsberge am ritterlichen Harnisch zurückgeht. In der Missionsschule zu Lebanon, Connetticut
hat er Englisch gelernt und übersetzt die Evangelien in seine Muttersprache. Im Rang eines
Hauptmanns kämpft er auf Seiten der Engländer. Den amerikanischen Siedlern gilt er als Inbegriff
des unerbittlich grausamen Indianers. 1775 kommt er nach England. König George III. empfängt
ihn mit Handschlag. Unter seinem christlichen Namen Joseph Brant wird er in die gehobene
Gesellschaft eingeführt, plaudert mit vornehmen Damen. Porträtisten wie Paul Kane, Gilbert Stuart,
Charles Willson Peale interessieren sich für ihn. Dem Hofmaler George Romney sitzt er am 29.3.
und am 4.4.1776 Modell.8
Blumenbach kennt eine Mezzotintoradierung aus dem Jahre 1779 von dem Gemälde Romneys. Der
Handwerker folgt dem Künstler getreulich, entwickelt ein Gespür für breit fließende, schwingende
Linien. Die Kupferplatte ist mit einem stählernen Wiegemesser so gleichmäßig aufgerauht, daß der
Druck einen samtigen dunklen Ton ergeben müßte. Die Lichter auf dem schwungvoll entworfenen
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Erffa, West ..., a.a.O., S. 55
Humphry Ward, W. Roberts, Romney, A Biographical and Critical Essay, Bd. 2, New York 1904, S. 155
Federschmuck, der getriebenen Brustplatte, den schmückenden Ketten, die kleinen Blitze in den
funkelnden Augen sind so geschabt und poliert, daß sie sich weich und malerisch vom Untergrund
abheben. Der Hintergrund spielt in rätselhaften Schattierungen und unmerklichen Verläufen der
Helligkeit. Die Ansprüche an das zeichnerische Können steigen. Mit dem Drucker lernt der
Sammler, hintergründige Stimmung, pulsierendes, fein abgestuftes Spiel von Licht und Schatten zu
deuten. Das „European Magazine“ und das „London Magazine“ folgen dem öffentlichen Interesse
und kopieren den Indianer mit dem Tomahawk, der das militärische Abzeichen einer europäischen
Armee trägt.9
Blumenbach korrespondiert mit den akademischen Gesellschaften zu Boston und Philadelphia.
Benjamin Smith Barton an der Universität von Pennsylvanien schreibt über die Abstammung der
indianischen Ureinwohner. Bei Cahokia am Ostufer des Mississippi nimmt er den Schädel eines
„Illinois Amerikaners“ aus dem Grab und schickt ihn dem geschätzten Fachmann in Übersee.10 Der
Naturforscher Maximilian Prinz zu Wied-Neuwied hat bei Blumenbach in Göttingen studiert11 und
sich bereits im 18. Jahrhundert lange „unter den barbarischen Indianern“ aufgehalten.12 Das
Museum Blumenbachs verdankt ihm den Schädel eines „menschenfresserischen Botokuden“, der
den Meister an einen affenartigen Satyrn erinnert. Der Prinz sammelt indianische Handwerkserzeugnisse. Unterwegs in Brasilien 1815 – 17 vermißt er „sehr einen guten Portraitmaler, der so
manche characteristische Physiognomie hätte auf das Papier werfen können.“13
Carl Bodmer hat romantische Ansichten vom Mittelrhein geschaffen. Mit Seiner Durchlaucht
unternimmt er eine „Reise in das innere Nord - America in den Jahren 1832-1834.“ Im Spätsommer
1832 geht die Dampferfahrt den Ohio hinunter. Im März 1833 erreicht man aufwärts des
Mississippi St. Louis. Forscher, Maler und ein Präparator folgen den Stützpunkten der
Pelzhandelsgesellschaft in die „interessantesten Gegenden hauptsächlich am Missouri“, dem
längsten Fluß Amerikas. Bodmer fertigt „Abbildungen der dort lebenden Völkerstämme, ihrer
Häuptlinge, Spiele, Waffen etc.“ Der gebürtige Schweizer ist gewohnt, scharf zu beobachten, genau
aufzunehmen. Seine Studien von Landschaft, Zelten, Körperhaltungen, Kostümen und Geräten faßt
er zu ethnographisch zuverlässigen Historienbildern zusammen.
Den Textteil der Publikation aus Koblenz schmücken 60 Holzstiche. Von den 81 großformatigen
Grafiken des Bildbandes können zwanzig handkoloriert geliefert werden.14 Sollten sämtliche
Blätter des Prachtwerkes, „wie Ähnliches in Deutschland nicht gesehen wurde“, farbig gewünscht
werden, sind 200 Thaler zu berappen.15 Die französische Ausgabe erscheint 1840 in Paris bei
Arthus Bertram, die englische Fassung 1843 bei Ackermann & Co. in London. In manchen Drucken
sind mehrere Verfahren des Tiefdruckes zugleich eingesetzt. Die Handwerksmeister ätzen
Aquatinta, granieren mit dem Mezzotintomesser, hauchen Kreidestriche mit Roulette und Mattoir.16
Barone, Grafen, Prinzen, Könige und kaiserliche Hoheiten in Mannheim, Berlin, Kopenhagen,
„Thurn & Taxis“ in Regensburg wissen das repräsentative Unternehmen zu schätzen. Kronprinz
und Kunstakademie in München beschaffen sich die großartige Ausgabe mit der rätselhaften
„Elkhorn – Pyramide“ bei nahendem Regenschauer, dem stattlichen „Blackfoot Indianer zu Pferd“,
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David A. Cross, A Striking Likeness, The Life of George Romney, Brookefield 2000, S. 67
Blumenbach, Decas ..., a.a.O., Bd. 4, S. 14
Hans Wilderotter, Edelleute der Natur, George Catlin, Carl Bodmer und das Bild des Indianers, Stuttgart 1986, S. 23
Blumenbach, Decas ..., a.a.O., Bd. 6, S. 15
Prinz Max zu Wied, Leben und Werk, Begleitschrift zur Ausstellung im Landschaftsmuseum Hachenburg 1994,
http://www.zuwied.de/hachenburg/pmw13.htm
W. Raymond Wood, Joseph C. Porter, David C. Hunt, Karl Bodmer's Studio Art, The Newberry Library Bodmer
Collection, Urbana 2002, S. 106
Ph. Wirtgen, Zum Andenken an Prinz Maximilian zu Wied, sein Leben und wissenschaftliche Thätigkeit, Neuwied
1867, S. 14
Hunt, Bodmer's America ..., a.a.O., S. 65
der in rohledernem Gewand auf ungesatteltem Mustang streift.17 Gutsbesitzer, Generäle,
Professoren, Pfarrer und Geheimräte schmücken ihre Bibliotheken mit dem Folianten, in dem
heidnische Riten, wie das „Zauber Maal bei den Assiniboin Indianern“, oder „Ptihu – Tak Ochatä“, der rituelle Tanz der Mandan – Frauen vorgeführt werden.
„Außer den abenteuerlichen Figuren dieses Tanzes hatte Herr Bodmer auch noch den Chef Mató –
Tope in ganzer Figur in seinem schönsten Anzuge gemalt. Eitel wie alle Indianer sind, hatte dieser
Mann mehrere Tage unbeweglich gestanden; Sein Bild ist deshalb auch vortrefflich gelungen. Er
trug bei dieser Gelegenheit ein schönes neues Hemde von Bighorn – Leder, auf dem Kopfe die
große Federmütze Máhchsi – Akub – Haschka, und in der Hand eine lange mit Skalpen und Federn
behangene Lanze.“18 Ein feiner Druck gibt die Malerei des Häuptlings „Vier Bären“ wieder, der in
winterlichen Mußestunden eigenhändig auf geschabter, mit Stachelschweinborsten bestickter
Bisonhaut seinen ritterlichen Kampf mit einem Cheyenne festgehalten hat.
Das Werk ist heute im Linden – Museum zu Stuttgart ausgestellt.19 Mató – Tope „befand sich
damals mit einigen wenigen Mandans zu Fuße auf einem Kriegsstreifzuge, als sie vier berittenen
Chayennes, ihren erbittertsten Feinden, begegneten. Die beiden Chefs schossen nacheinander,
fehlten, warfen die Gewehre weg und griffen schnell zu der blanken Waffe. Der Chayenne, ein
großer starker Mann, zog sein Messer, der leichtere, sehr gewandte Mató-Tópe führte die Streitaxt.
Eben wollte der erstere den letzteren erstechen, als ihm dieser in das Messer griff, sich zwar stark
an der Hand verwundete, aber dem Feind die Waffe aus der Hand drehte und ihn damit erstach,
worauf die Chayennes die Flucht ergriffen. Der Chayenne ist durch eine über die Stirn laufende
Otterbinde kenntlich.“20
Der Prinz vom Rhein sieht in dem „ausgezeichneten Mann“ ein ebenbürtiges Gegenüber. „Das
letztere Prädikat verdiente er mit vollem Rechte; denn er war nicht bloß ein ausgezeichneter
Krieger, sondern es lagen seinem Charakter auch edle Züge zu Grunde. Im Kriege hatte er sich
allzeit seinen ausgezichneten Ruf zu erhalten gewußt.“ Dieser Indianer erscheint auch dem Maler
George Catlin als der „beliebteste Mann unter den Mandanern und sowohl ein hochherziger und
tapferer Krieger als auch ein höflicher und feiner Weltmann.“21
Catlin beobachtet in der ersten Jahrhunderthälfte die Indianer mit großem Zeichenfleiß und einer
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Hunt, Bodmer's America ..., a.a.O., S. 379
Maximilian Prinz zu Wied, Reise in das Innere von Nord – America, in den Jahren 1832 – 1834, Bd. 2, Koblenz
1841, S. 315
Axel Schulze – Thulin, Amerika – Abteilung, Linden – Museum, Stuttgart 1989, S. 31
Wied, Reise ..., a.a.O., S. 316
George Catlin, Die Indianer Nordamerikas, nach dem deutschen Erstdruck von 1851, Aus dem Englischen übersetzt
von Heinrich Berghaus, Wels o. J., S. 105
Ausdauer, die der Anerkennung der von ihm aufgesuchten Menschen sicher sein darf. Er gewinnt
Einsichten, die sich nicht beiläufig einstellen, die seine ausdauernde Teilnahme, sein eingehendes
Interesse an den wirtschaftlichen Verhältnissen belegen. Catlin nähert sich indianischem Leben
behutsam. Er ist begeistert, einen Bildgegenstand gefunden zu haben, der die gleiche zeichnerische
und malerische Zuwendung verdient, wie europäische Trachten und Volksszenen. Seine
Kompositionen sind lehrhaft durchdacht, verliebt in die persönlich entdeckten Einzelheiten eines
fremden Alltags, geleitet von staunenden Einsichten in Lebenszusammenhänge, deren Bedrohung er
nicht ahnt.
Catlin und Bodmer treten fast zur gleichen Zeit in das Licht der Öffentlichkeit und fördern das
Interesse an den Indianern stark.22 Die „Fliegenden Blätter“ vergröbern Bodmers „Wettrennen von
Sioux Indianern“ im Holzstich.23 „Graham's Magazine“ bedient sich der „Elkhorn Pyramide“ für
eine Illustration in der Technik des Stahlstiches. Ein Lithograph übernimmt den Blick auf das
Indianerlager bei Fort McKenzie für ein Geschichtsbuch der amerikanischen Ureinwohner.24
Auflagenstarke Zeitschriften wie „The United States Illustrated“, populäre Nachschlagewerke und
weit verbreitete Reiseliteratur, „Meyer's Universum“ und „Le Magasin pittoresque“ schöpfen aus
dem Bilderschatz.
Catlin zeigt seine „Indianergalerie“ in der Clinton Hall von New York, im Old Theatre von
Washington, in Baltimore, Philadelphia und Boston.25 Er schifft sich samt Gemälden und
völkerkundlicher Sammlung am 25.11.1839 nach England ein. 1841 heuert er eine Gruppe Cockney
an, verkleidet sie als Indianer und gruppiert sie zu Tableaux Vivants. Er zieht weiter durch
Edinburgh, Manchester, Liverpool, trifft dort auf eine Gruppe von neun Ojibwa, geht mit ihnen
zurück nach London. Sie führen in der „Egyptian Hall“ am Piccadilly ihren Kriegstanz, Nachtlager,
Anschleichen, Kampf, Skalpieren und einen Reigen mit der Friedenspfeife auf. Am nächsten Abend
zeigt der Medizinmann, wie er einen Schwerkranken heilt. Pocahontas rettet Captain Smith vor dem
sicheren Tod. Eine indianische Hochzeit, Ringkampf, Ballspiel und der nächtliche Tanz der
Seminolen sind geboten.
Catlin mimt an der Staffelei persönlich, wie er das Porträt eines Häuptlings malt. 26 Umrahmt von
einem geöffneten Zelt, steht er sinnend inmitten des Dorfes. Unter dem Kittel aus rohem, bestickten
Leder trägt er ein weißes Hemd. Den feinen Borstenpinsel hat er in das Rot seiner Palette getupft.
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Ralph E. Friar, The Only Good Indian ..., The Hollywood Gospel, New York 1972, S. 34
David C. Hunt, Marsha V. Gallagher, Karl Bodmer's America, Omaha 1984, S. 33
Hunt, Bodmer's America ..., a.a.O., S. 24
Wilderotter, Edelleute ...., a.a.O., S. 54
Catlin's Notes of Eight Years' Travels and Residence in Europe, With His North American Indian Collection,
London 1848, Bd. 1, S. 96
Neben ihm steht die auf Keilrahmen genagelte Leinwand bereit. Zwei indianische Figuren im
Hintergrund schauen ihm über die Schulter. Der Meister erklärt : „Nichts hat wohl die Mandaner
jemals so sehr in Erstaunen versetzt, als die Arbeiten meines Pinsels. Die Porträtmalerei war etwas
ganz Neues für sie, und mit meinem Erscheinen begann hier eine neue Ära in den Geheimnissen der
Medizin.“27
Queen Victoria bittet die Gruppe zu einem Empfang. Die Königin, der Prinz und die Herzogin von
Kent folgen in der „Waterloo Gallery“ des Schlosses Windsor den Darbietungen und hören die
Rede des Häuptlings.28 1844 treten vierzehn Iowa an die Stelle der Ojibwa. Der französische König
Louis Phillipe lädt den Künstler und seine Iowa zur Audienz.29 Unter den dorischen Säulen, den
Kronleuchtern und Marmorstatuen, vor den livrierten Bedienten und Höflingen ertönen zwei
Trommeln. Drei in Tierhäute gekleidete Männer und ein Kind drehen sich im Kreise. Der
Bürgerkönig im schwarzen Gehrock sitzt nachdenklich am Fenster. Die „Indian Gallery“ ist im
Louvre zu bewundern. George Sand schreibt über ihre Beobachtungen „Les sauvages de Paris“
einen kurzen Prosatext. Eugène Delacroix zeichnet zwei Ojibwa Indianer mit Bleistift auf Papier.30
1848 berichtet Catlin in einem zweibändigen Werk über die Begebenheiten auf seinen Reisen mit
drei verschiedenen Gruppen von Indianern, die er am englischen, französischen und belgischen
Hofe vorgestellt hat.
Die Briefe und Aufzeichnungen des Malers Catlin zu den Sitten, Gebräuchen und Lebensbedingungen der nordamerikanischen Indianer, „geschrieben während einer achtjährigen Reise
unter den wildesten Stämmen“ erscheinen in London 1841. Eine erste deutsche Ausgabe liegt
sieben Jahre später vor. Catlin schildert das Trommeln und Rasseln, den kehligen Gesang und das
Jauchzen beim „Büffeltanz“ : „Etwa zehn oder fünfzehn Mandaner tanzen zu gleicher Zeit, wobei
jeder die Kopfhaut eines Büffels mit den Hörnern auf dem Kopfe und seinen Lieblingsbogen oder
Lanze, womit er den Büffel zu töten pflegt, in der Hand trägt.“ 31 In der Abbildung schreiten
geduckte, mit Halsketten behängte Gestalten im Sinne des Uhrzeigers. In den Händen schwingen
sie Kriegsbeil, Schädelbrecher, Schild und Tamburin. Ihre Oberkörper und Gesichter sind mit
Streifen bemalt. Von den Gürteln baumeln Büffelschwänze.
Die frühe Fotografie würdigt Honoratioren in zweireihigen Gehröcken, hochgeschlossene Damen,
schätzt ordentliche Herbarien und Stadtansichten. Indianer kommen selten zu der Ehre, für die
Ewigkeit auf den kleinen, versilberten Blechplatten der Daguerreotypie festgehalten zu werden. Die
Belichtungszeit beträgt 45 Sekunden, wenn die Empfindlichkeit der jodierten Aufnahmeschicht mit
Chlordämpfen gesteigert wird. Fotografen und Fotografierte wirken bei diesem Verfahren
einvernehmlich zusammen, strengen sich gemeinsam für eine gute Aufnahme an. William
Blackmore lichtet Mitglieder indianischer Delegationen ab, die in Washington vorsprechen.32
Thomas M. Easterly arbeitet 1846 für die Smithsonian Institution.33 Ein Mann mit bemaltem
Oberkörper lehnt sich an eine gepolsterte Rückenlehne, stützt sich fest auf das Beil in der Linken,
stemmt die Rechte in die Hüfte, fixiert aufmerksam und ruhig das Objektiv. An Hals, Ohren,
Oberarmen und Handgelenken trägt er Schmuck, dazu den gefiederten Kopfputz.
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Catlin, Die Indianer ..., a.a.O., S. 97
Catlin's Notes ..., a.a.O., Bd. 1, S. 135
Wilderotter, Edelleute ...., a.a.O., S. 58
Wilderotter, Edelleute ...., a.a.O., S. 59
Catlin, Die Indianer ..., a.a.O., S. 1117
George Gurney, Therese Thau Heymann (Hrsg.), George Catlin and his Indian Gallery, Washington 2002, S. 9
Prärie- und Plainsindianer, Die Reise in das innere Nord – America von Maximilian Prinz zu Wied und Carl
Bodmer, Katalog zur Ausstellung des Landesmuseums Koblenz, Mainz 1993, S. 93
Ein Mann vom Stamme der Seneca mit dem christlichen Namen Ely S. Parker legt Hemd und Jacke
ab für die Aufnahme, die Edward Tomkins Witney für das Peabody Museum anfertigen will. Parker
ist zur Zeit der Aufnahme Mitte Zwanzig, aufgewachsen im Tonawanda Reservat im Westen des
Staates New York, hat die Cayuga Akademie besucht, Griechisch und Latein gelernt. Er studiert
Jura. 34 Jean Louis Rodolphe Agassiz, einer der „Gründerväter“ der modernen amerikanischen
Wissenschaftstradition35 läßt zwischen 1840 und 1855 von verschiedenen Fotografen Belegstücke
für eine Rassentypologie herstellen. In der anthropologischen Sammlung des Peabody Museum für
Archäologie und Ethnologie an der Universität Harvard sind 15 Daguerreotypien erhalten, die aus
Afrika verschleppte Sklaven abbilden. Dazu sind Name der Familie und Plantage, Herkunftsgegend
oder Stammeszugehörigkeit verzeichnet.36 37 Agassiz empfindet „Mitleid beim Anblick dieser
verderbten und entarteten Rasse.“38 Ihn beschleicht das Gefühl „daß sie nicht vom selben Blut sind
wie wir.“ Der Sohn eines calvinistischen Geistlichen aus der französischen Schweiz nimmt an, daß
die Menschheit an neun verschiedenen Orten erschaffen wurde.39 Sie müsse „in Nationen
entstanden sein, wie die Bienen in Schwärmen.“40 Trotz kirchlicher Angriffe besteht er auf seiner
Lehre, daß es mehr als einen Adam gegeben habe.41
34
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38
39
40
41
Melissa Banta, A Curious and Ingenious Art, Reflections on Daguerreotypes at Harvard, Iowa City 2000, S. 94
http://www.ucmp.berkeley.edu/history/agassiz.html
<http://www.peabody.harvard.edu/photo/n_america/illustrations.html , Daguerreotypes, Inventory No. 10-78,
Accession No. 35-05
M. Susan Barger, William B. White, The Daguerreotype, Nineteenth-Century Technology and modern Science,
Washington 1991, S.80
Stephen Jay Gould, Der falsch vermessene Mensch, Frankfurt am Main 1999, S. 42
Meyers Großes Konversations=Lexikon, Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens, Bd. 13, Leipzig 1908, S.
604
Gould, Mensch ..., a.a.O., S. 42
Gould, Mensch ..., a.a.O., S. 41
Das Pariser Reisejournal „Le Tour du Monde“ läßt 1866 Catlins Gemälde in Holz stechen, um sie
einem Massenpublikum vorführen zu können.42 Die Xylographie zieht ihren Nutzen aus den
Schwierigkeiten der Fotografie, kürzeste Augenblicke abzubilden. Sie übersetzt wüste Bewegung,
Flackern und Irrlichtern in hartes Holz. Jedes Schattenstückchen, jedes Lichtfleckchen, jeder Blitz
und jede flüchtige Muskelzuckung wird in Buchenholz, in Hartholz übersetzt, eingefärbt und auf
Papier gedruckt. Der Vergleich von Catlins Gemälden mit den Reproduktionen zeigt, daß sich die
Dynamik verstärkt. Die Pariser Grafiker nutzen jede Gelegenheit, um in der dämmerigen
Atmosphäre vielfiguriger Zeremonien und Tänze rauschhaftes Wirbeln, besinnungsloses Taumeln,
wüst ausschreitendes Toben herauszuarbeiten.
Der Vergleich von Catlins Gemälden mit den am Ende des Jahrhunderts entstandenen
Holzstichreproduktionen zeigt, daß sich das Interesse an der Bewegung verstärkt. Die Pariser
Grafiker nutzen jede Gelegenheit, um in der dämmerigen Atmosphäre vielfiguriger Zeremonien und
Tänze jede Andeutung des rauschhaften Wirbelns, besinnungslosen Taumelns, wüst
ausschreitenden Tobens herauszuarbeiten. Die Stecher verstehen es, aus der harten
Buchsbaumplatte fließende Bewegungsunschärfen, verziehendes Verwischen, bewußte
Begrenzungen der Schärfentiefe zu holen. Die früher als Fehler verworfenen Nebenerscheinungen
der fotografischen Momentaufnahmen sind bekannt, aber nicht mehr gefürchtet. Sie werden
malerisch zielstrebig angewandt. Absichtliche Kamerabewegungen, überlange oder mehrfache
Belichtungen werden als Gestaltungsmittel eingesetzt, um dem massenhaft verbreiteten Druckwerk
den Reiz des unmittelbar am Ort des Geschehens rasch Hingeworfenen, mit leichter Hand unter den
42
Exkursion parmi les tribus indiennes des Bassins de la Colombia et du Haut – Missouri, D' après M. G. Catlin, Le
Tour du Monde, Nr. 20, Paris 1866, S. 161 ff.
Bedingungen der direkten Teilhabe Skizzierten zu geben.
Die Chromolithografie verbessert das Verfahren der Schablonenkolorierung. Bilderbücher,
Kunstdrucke, Postkarten werden bunt. Ein lithographischer Farbendruck läßt sich auch auf Gelatine
ausführen. Ein zarter Farbfilm entsteht. Es gibt die Möglichkeit, solche Abziehbildchen auf Glas zu
übertragen. Diese Farbbilder lassen sich projizieren, mit der „Laterna magica“ an die Wand werfen.
Gleichzeitig bilden sich massenwirksame Klischees heraus : „Im Charakter zeichnet die Indianer
ein verschlossenes, in sich gekehrtes Wesen aus; der Indianer aller Zonen vermag aufs mannhafteste
arge körperliche Schmerzen zu ertragen ohne Klage; auch bei kränkender Beleidigung verzieht er
keine Miene, doch vergißt er jene auch nicht und wartet nur auf gelegene Stunde, um heiß ersehnte
Rache zu üben.“43
Das nasse Kollodiumverfahren kommt Mitte des 19. Jahrhunderts in Gebrauch. Schießbaumwolle,
ein faseriges, leicht entflammbares Cellulosenitrat, wird in einem flüchtigen Gemisch aus Äthanol
und Äther gelöst. Mit der feuchten Gelatine können die lichtempfindlichen Silbersalze auf einer
Glasplatte festgehalten werden.44 Die Aufnahme ist kein Unikat mehr. Vom belichteten Negativ
lassen sich beliebig viele Diapositive und Papierabzüge in gewaltigen Formaten kopieren.
„Diapositive, photographische Projektions- oder Laternenbilder werden gegenwärtig sehr häufig
erzeugt, weil sie einen wichtigen Behelf für Demonstrations- und Unterrichtszwecke vor einem
größerem Publikum bilden.“45
28 Diapositive zeigen Indianer bei der Büffeljagd, ihren Zeremonien und Tänzen. 46 An Ort und
Stelle in Nordamerika sind Wanderfotografen unterwegs, wie George oder „Gus“ Trager, der ein
„Wigwam Studio“ in Omaha betreibt. Bei diesen frühen Aufnahmen, zu denen das Einverständnis
der Dargestellten nötig ist, fällt auf, daß die Menschen sich nach den Regeln der Porträtfotografie
geordnet, ruhig und gesittet präsentieren. Trager ist 1876 aus Deutschland eingewandert und hat das
Photographenhandwerk in Chadron, Nebraska gelernt.47 Stereoskopbilder einer New Yorker
Gesellschaft zeigen einen Kiowa, der auf einem erlegten Bison thront. Der Begleittext vermerkt,
daß er viele Weiße getötet und auch gegen Navajos und Utes gekämpft haben soll.
43
44
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46
47
Heinrich Leuteman, Bilder aus dem Völkerleben, mit erläuterndem Text von Professor Dr. Alfred Kirchhoff, Druck
und Verlag von G. Löwensohn, Fürth 1888, S. 53
Jürgen Falbe, Manfred Regitz, Römpp Chemie Lexikon, Bd. 2, Stuttgart 1990, S. 779
Meyers Großes Konversations=Lexikon, Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens, Bd. 13, Leipzig 1896, S.
885
Wes Cowan, Auktionskatalog, Historic Americana Auction, Cincinnati 2006, Nr. 684,
http://www.cowanauctions.com/index.asp#
http://www.omahapubliclibrary.org/earlyomaha/collections.html
Der Schausteller Barnum inszeniert im Jahre 1843 eine Büffeljagd in Hoboken, New Jersey. Ein
anderer Zirkus wiederholt diese Nummer 1856.48 Indianer sind seit langer Zeit auf amerikanischen
Jahrmärkten tätig, zeigen sich als lebendige Schaustücke in Museen.49 1864 sind mitten in
Manhattan indianische Kriegstänze zu sehen. Drei Männer vom Stamme der Ute lassen sich bei
dem Kunstfotografen Gurney am Broadway ablichten.50 Militär und zivile Zuschauer sehen die
große Konferenz der Plains - Indianer bei den Vertragsverhandlungen 1867. Einwohner vom Fort
McPherson lernen 1869 die Kriegstänze der Pawnee – Scouts kennen. Tänze der Sioux sind in Fort
Robinson in Nebraska bis in die 1870er Jahre zu verfolgen.51 In den 1870er können Indianer bei
verschiedenen Schaustellergesellschaften anheuern. 1874 verlangen Lakota – Indianer Eintrittsgeld
von den Siedlern, die ihre Tänze sehen wollen. Auch Fotografien werden verkauft. 1877 verlangen
Lakota, die von ihren Kämpfen mit der Armee zurückkehren, sechs Dollar für ein Foto. Pawnee Kundschafter führen Indianerkämpfe und Angriffe für Jagdgesellschaften auf.
Sechszehn tapfere Krieger und vier Squaws, alle „Mitglieder des berühmten Indianerstammes der
wilden Apachen“ eröffnen die Herbstsaison 1876 am „Olympischen Theater“ in St. Louis.52 Der
frühere Indianeragent Mr. John P. Clum leitet und kommentiert völkerkundliche Aufführungen, die
sich getreulich an die Vorgaben aus den Zeiten des George Catlin halten. Das Orchester begleitet
stimmungsvolle Szenen im Indianerdorf, beim großen Kriegsrat, Kriegstanz, Handgemenge samt
Skalpieren, Kampf und Sieg der Weißen. Den Abschluß bilden Handarbeiten, Gesellschaftsspiele
und ein großer Reigen. Der Applaus ist ohrenbetäubend.
Die Wildwestschau von Buffalo Bill bringt artistische, halsbrecherische, mit äußerstem Wagemut
ausgeführte Zirkusnummern. William Cody stellt sich zuerst als entschlossener Killer dar, erzählt
1873 einem Zeitungsreporter von seinen gnadenlosen Kämpfen gegen Indianer : „nehme genug
Skalps, um einen Lehnstuhl für deine Alte zu polstern.“53 Er ist am Anfang ein Indianerverfolger
und Indianerschlächter und braucht dann doch die Indianer für seine Schaustellungen. Er zeigt sich
in einem Freundschaftsporträt mit Sitting Bull, einem Indianerhäuptling, der zu Berühmtheit
gelangt.
Der „Sitzende Stier“ wird von der Leipziger Illustrierten Zeitung zu einem der mächtigsten Führer
der Sioux im „Feldzug zur Ausrottung der Weißen“ erklärt. 54 Die Häuptlinge Sitting Bull, Gall,
Two Moon, Crazy Horse und Spotted Elk alias Big Foot haben sich mit fünf- bis sechstausend
Kriegern am Ufer des Little Big Horn in Montana versammelt.55 Am 25. Juni 1876 greift General
Custer mit sechshundert Soldaten das Lager der Indianer an. „Von den Operationen dieses neuen
Corps erwartete man eine rasche Unterdrückung des seit dem Frühjahr in jenen schwer
zugänglichen Gegenden herrschenden Guerillakriegs; um so niederschmetternder wirkte die Kunde,
daß General Custer mit 5 Compagnien seiner Reiter am 25. Juni am Little-Horn-Fluß von den Sioux
aufgerieben worden ist.“ Die deutsche Illustrierte malt im Holzstich aus, wie drei rasende
Indianerinnen einen Soldaten berauben und skalpieren. Eine Frau mit wirrem Haar schwingt den
Säbel des Niedergestreckten. Die andere hat den Totschläger beiseite gelegt und zückt das Messer,
um die Kopfschwarte vom Schädel des Bedauernswerten zu trennen.
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Louis B. Warren, Buffalo Bill's America, William Cody and the Wild West Show, New York 2005, S. 131
Warren, Buffalo Bill's ..., a.a.O., S. 190
Cowan, Auktionskatalog ..., a.a.O., Nr. 638
Warren, Buffalo Bill's ..., a.a.O., S. 192
Friar, Indian ..., a.a.O., S. 58
Warren, Buffalo Bill's ..., a.a.O., S. 196
Illustrierte Zeitung, Nr. 1732, Leipzig, 9.9.1876, S. 223
Frederick Converse Beach (Hrsg.), The Enciclopedia Americana, Bd. 5, New York 1903
Mathew Brady nimmt im September 1877 im Studio zu Washington ein Gruppenbild auf. Der
Sioux „Spotted Tail“ und 23 seiner Getreuen sind so dicht arrangiert, daß sich hinter ihnen noch der
Präsident der Vereinigten Staaten und General Crook aufstellen können.56 Am rechten Bildrand
sind das Objektiv einer weiteren Kamera und ein Gestell zu sehen, das dazu dient, Menschen bei
Porträtaufnahmen ruhig zu halten. In „Harper's Weekly“ erscheint ein Holzstich, der auf die zwei
Aufnahmen von Brady zurückgeht. Die Überschrift gibt den Ton an : „Leute, die General Custer
erschlagen haben, werden von Präsident Hayes im Weißen Haus empfangen.“ Der Meldung ist zu
entnehmen, daß das Treffen stattfand, um über den Grundbesitz der Indianer und seine
landwirtschaftliche Nutzung zu verhandeln. Der Grafiker erfindet eine Gegenüberstellung zwischen
dem an den linken Bildrand zurückgewichenen Präsidenten und einem Anführer mit Federkrone,
der die Hand zum Schwur hebt. In der Eile oder absichtlich hat der Zeichner das Motiv
seitenverkehrt wiedergegeben, sodaß der Indianer mit der gereckten Linken meineidig aussieht.
Herr Barry fotografiert in seinem „Dakota Territory Studio“ in Bismarck, einen Indianer, der den
Kriegsruf ausgestoßen und einen weiteren, der Custer getötet haben soll. Er läßt einen Katalog
seiner Aufnahmen drucken.57 Sioux sind nach dem Tod Custers für Schaustellungen besonders
begehrt. Von Fotografen verlangen sie sechs Dollar für eine Aufnahme. Im Herbst 1877 bucht Cody
einige Oglala Sioux von der Agentur „Rote Wolke“ für die folgende Spielzeit.58 Sitting Bull flüchtet
bis zu seiner Amnestierung durch General Miles im Jahre 1879 nach Kanada. Cody gelingt es 1883
nicht, ihn für seine erste Show zu gewinnen. Das Indian Office besteht darauf, daß er im Reservat
bleibt. Sitting Bull geht 1884 zum Theater. Er stellt wirkliches Indianerleben vor ausverkauften
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Roy Meredith, Mr. Lincoln's Camera Man, New York 1946, S. 223
Cowan, Auktionskatalog ..., a.a.O., Nr. 652
Warren, Buffalo Bill's ..., a.a.O., S. 192
Häusern in New York und Philadelphia dar.59 Cody erwirkt mit Unterstützung des Generals
Sherman die Erlaubnis, den Häuptling auf die Tour der Saison 1885/86 mitzunehmen. Der Sioux
reitet zu Beginn der Vorstellung durch die Arena und bekommt wiederholt heftigen Beifall.60 Er
zeigt sich mit seiner Familie im Tipi des Indianerdorfes und verkauft Postkarten mit Autogramm an
seine Bewunderer. Die Behörden hindern Sitting Bull nach 1886, weiterhin an der Show
mitzuwirken.
Ein „Panorama des Siouxkrieges“ entrollt sich 1880 in Minnesota. „Cycloramen“ genannte
Rundgemälde kommen zu dieser Zeit in Gebrauch. Zum Horizont hin werden sie mit verkleinerten
Reliefdarstellungen des Geländes und maßstäblich passenden geschnitzten Figuren ausstaffiert.
Dazu ertönen Geräuscheffekte wie Rufe der Viehtreiber, Muhen. Die Windmaschine, ein
Präriefeuer als Beleuchtungseffekt, passende Gerüche, Indianerveteranen und Ausrüstungsstücke
werden vorgeführt. Hunderte Darsteller, Dutzende Tiere, kistenweise Requisiten reisen mit Schiff
und Eisenbahn durch die Welt. Die Wildwestschau schmückt sich seit 1885 mit einem
Gebirgshintergrund auf Sperrholz. Für das „Drama der Zivilisation“ wird das Tal am Little Big
Horn gemalt.61 Eine ähnliche Landschaft dient als Hintergrund für eine mit Platzpatronen
vorgetragene Kavallerieattacke gegen die Lakota im Ambrose Park zu Denver Colorado. Reiter
sprengen durch ein Tor inmitten der riesigen Kulisse.62 Das Publikum kommt mit der Eisenbahn aus
der Umgebung der großen Städte. 1886 füllt die Wild West Show den Madison Square Garden im
New York.63 Bald folgt eine Tour nach England, 1887 zur Weltausstellung nach Paris, 1893 zur
World Columbian Exposition in Chicago.64
Der wilde „Büffeltanz“, den Catlin schon als Zugnummer verwendet, hat sich eingeprägt. „Typen
der Sioux - Indianer“ führen ihn 1884 bei Hagenbeck im Berliner Panoptikum auf. Die Leipziger
Illustrierte berichtet : „Zu dieser zweifelhaften instrumentalen Grundlage gesellt sich ein
furchtbares, hundeartiges Geheul; die freundlichen, übermütig darein schauenden Gesichter der
Schreier lassen jedoch vermuten, daß das verübte Gewimmer etwa eine gangbare indianische
Polonaise ist, zu welcher jeder Tänzer ab libitum seine gesanglichen Beiträge zu liefern berechtigt
ist. Nachdem die einleitenden Rhythmen verklungen sind, erhebt sich ein junger Sioux und zeigt
stolzen Blickes die hünenhafte, kraftvolle Gestalt. Die Kleidung beschränkt sich auf den
polizeilichen Schurz und den Kopfschmuck.“65
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Warren, Buffalo Bill's ..., a.a.O., S. 194
Warren, Buffalo Bill's ..., a.a.O., S. 253
Warren, Buffalo Bill's ..., a.a.O., S. 259
Warren, Buffalo Bill's ..., a.a.O., S. 261
Warren, Buffalo Bill's ..., a.a.O., S. 40
Warren, Buffalo Bill's ..., a.a.O., S. 51
Illustrierte Zeitung, Nr. 2118, Leipzig 2.2.1884, S. 91
1886 wird die Show des Buffalo Bill in New York seßhaft. Sie spielt sich für einen ganzen Sommer
lang in dem neu geschaffenen Vergnügungsgelände namens „Erastina“ auf Staten Island ab. Die
Menschen strömen aus dem nahen New York zu den Darbietungen. Das Camp bleibt auch an
Sonntagen geöffnet und Besucher aus dem weiten Umland der Großstadt suchen hier ihre
feiertägliche Unterhaltung. Die Medien interessieren sich. Tageszeitungen berichten über Idyllen
auf dem Jahrmarktsgelände. „Cowboys, mexikanische Hirten und Indianer plauderten
liebenswürdig mit Familien aus Manhattan und Queens.“66 Die Öffentlichkeit liest von den
Indianern, die eine benachbarte Kirche besuchen und in der Sprache der Lakota „Näher Mein Gott
zu Dir“ singen. „Die Indianer erwarben Hängematten und spannten sie zwischen die Bäume von
Erastina und rösteten einen Hund, während die Bummler durch „das romantische Lager der Indianer
und Cowboys“ wanderten.“ Die Massenpresse berichtet „Einzelheiten aus Wildwest, als wäre es
eine Provinz von Amerika.“
William Kennedy – Laurie Dickson, ein enger Mitarbeiter des Erfinders Edison, packt eine
Indianertruppe in sein Aufnahmestudio, die „Black Maria.“ Der Name dieses mit Teerpappe
verkleideten, nach dem Sonnenstand drehbaren Verschlages ist abgeleitet von der
umgangssprachlichen Bezeichnung des polizeilichen Gefangenenwagens. Mit der „Black Maria“
werden, wie hierzulande mit dem „Zeiserlwagen“, der „Grünen Minna“, festgenommene
Verdächtige oder Verurteilte weggefahren. Edison schafft Exoten aus aller Welt und allen
Schichten in ein finsteres Gehäuse, das mit seinen Wänden einen gleichmäßig schwarzen
Hintergrund für die Aufnahmen der Filmkamera bietet. Boxer, Jongleure, Komödianten, Araber,
Indianer, Schönheitstänzerinnen, Japanerinnen bevölkern die Bude mit halbminütigen, bewegten
Vorführungen.
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Warren, Buffalo Bill's ..., a.a.O., S. 230
„Der Kinematograph macht auf einem bandförmigen, viele Meter langen Film 15 - 30 Aufnahmen
in der Sekunde. Er besteht aus drei Kästchen, deren oberes zwei Rollen aufnimmt, von denen die
eine den Negativstreifen enthält. Dieser gleitet, bei der Aufnahme über verschiedene Rollen geführt,
durch den Apparat und wickelt sich auf eine Rolle.“67 Der Film ist für Edison nur Spielerei,
Belustigung, Zeitvertreib. Die Kundschaft wird eingeladen, wechselnde Sonderbarkeiten, kuriose
„lebendige Photographien“ zu verfolgen. Fremdes gelangt in kurzen Bewegungsmustern zur
Aufführung. Jeder Tritt, die kleinste Zuckung, die Geschwindigkeit einer Drehung, die Richtung
einer Handbewegung wird verewigt, vervielfältigt, veröffentlicht.
Am Institut der Künste und Wissenschaften in Brooklyn läuft am 9.5.1893 erstmals öffentlich ein
Kinetoskop. Das Publikum steht Schlange, um nacheinander zu betrachten, wie drei Schmiede
glühendes Eisen bearbeiten.68 Anfang 1894 werden drei Tanzbären gefilmt.69 Edison ist der Erfinder
der Glühbirne. Er benutzt den Strom, um seine Kinetoskopbilder mit einem kleinen Lämpchen zu
beleuchten. Ab August lockt ein eigener Salon am Broadway ein Publikum, das Centbeträge in
Apparate wirft, um Indianer tanzen zu sehen.
Die Indianertruppe aus Buffalo Bills Wildwestschau im Ambrose Park in Brooklyn kommt in das
neu gebaute Aufnahmestudio in West Orange, New Jersey, in der Nähe der Großstadt. Am
24.9.1894 führen „Last Horse“, „Parts His Hair“ und „Hair Coat“ für Kameramann William Heise
einen „Büffeltanz“ auf. Der erste Auftritt von Indianern im Film dauert 15 Sekunden. Zwei Mann
schlagen im Hintergrund auf den knapp zwei Metern Film die Trommeln. Beim „Kriegsrat“ rauchen
Buffalo Bill und seine Indianerkrieger die Friedenspfeife.70 Der „Geistertanz der Sioux“ und der
„Kriegsrat der Indianer“ lassen sich auf Zelluloid bannen.71 Im Herbst 1895 verfolgt die Kamera im
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71
Meyers Großes Konversations=Lexikon, Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens, Bd. 11, Leipzig und Wien
1905, S. 19
Ray Phillips, Edison's Kinetoscope and Its Films, A History to 1896, Westport 1997, S. 123
Phillips, Edison's Kinetoscope ..., a.a.O., S. 192
Phillips, Edison's Kinetoscope ..., a.a.O., S. 53
Phillips, Edison's Kinetoscope ..., a.a.O., S. 128
Wald, wie ein Siedler von Indianern verfolgt, überwältigt und skalpiert wird.72
Die Preisliste der Firma Edison bietet den „Geistertanz der Sioux“ vom August 1895 „mit echten
Sioux Indianern in vollem Kostüm und mit Kriegsbemalung“ für 15 Dollar an. 73 An dem Rundtanz
der Männer nehmen zwei kleine Buben teil. Die Werbung formt daraus eine „unheimliche und
interessante Szene.“ Das kurze Schauspiel im Freiluftstudio steht in keiner Verbindung mit der
marktschreierisch behaupteten Sensation, einer jüngst gescheiterten Aufstandsbewegung. Im
Kinetoscope – Salon mit seinen Fächerpalmen, Deckenventilatoren und groß gemusterten Tapeten
erinnert nur der reisserische Filmtitel an ein schlimmes Ende. Nichts weist auf verzweifelte,
schlecht ernährte Indianer hin, die in öden Reservaten glauben, ihre Ahnen stünden ihnen bei, wenn
sie sich zur Wehr setzten. 74
Die „Geistertänzer“ ergeben sich der Armee. Sie sind umzingelt und von Maschinenwaffen bedroht,
sollen ihre eigenen Gewehre abgeben. Dabei kommt es zu einem Mißgeschick, einem
Mißverständnis. Ein Schuß löst sich und die anwesende Gesellschaft von einigen hundert
Geistertänzern wird niedergemetzelt. In der Nacht wütet ein Schneesturm, der die Verwundeten
tötet. Der gefrorene Leichnam eines Miniconjou Sioux namens „Gelber Vogel“ wird von „Gus“
Trager abgelichtet, mit Kommentaren versehen und zu Geld gemacht. Am 30.12.1890 fertigt er elf
Aufnahmen vom „Massaker am Wounded Knee.“ Er zeigt den Wagen, der von
Maschinengewehren der Firma Hotchkiss zertrümmert wurde.75 Außerdem ihm fotografieren fünf
weitere Männer auf dem Schlachtfeld.76 Zwei Jahre später kommen bereits „Geistertanz und Ausfall
der Sioux“ vor Panoramahintergrund als Wildweststück zur Aufführung.77
Anfang des Jahres 1890 gastiert die Wildwestschau des Buffalo Bill in Rom. Die Indianer
verneigen sich vor Papst Leo XIII. Der Siouxhäuptling ist von katholischen Missionaren im
Reservat getauft. „Rocky Bear“ kniet nieder und bekreuzigt sich.78 Die Indianertruppe reist im
Frühjahr mit dem Sonderzug aus Mailand nach München. Als Arena dient die neue Schießstätte auf
der Theresienhöhe, die hinter dem Bierkeller der Hackerbrauerei liegt.79 Die Leute aus der Vorstadt,
der „Schwanthalerhöh'“ steigen durch die Dachluken, halten sich am Kamin fest, balancieren auf
dem Dachfirst, um über die Sichtblenden vor dem Schauplatz zu lugen.80 In luftiger Höhe wollen sie
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Phillips, Edison's Kinetoscope ..., a.a.O., S. 185
Phillips, Edison's Kinetoscope ..., a.a.O., S. 53
Friar, Indian ..., a.a.O., S. 70
Cowan, Auktionskatalog ..., a.a.O., Nr. 676
Chadron Journal, 4.1.1924, http://www.omahapubliclibrary.org/earlyomaha/collections.html
Warren, Buffalo Bill's ..., a.a.O., S. 258
http://www.cowboysindians.com/articles/archives/0398/indians.html
Münchner Neueste Nachrichten, 21.4.1890, S. 1
Stadtbibliothek München, Monacensia Sammlung, II Ae Schauveranstaltungen
die Vorstellung verfolgen, ohne Eintritt zu bezahlen. Die Truppe des Obersten Cody „setzt sich aus
100 Indianern, 100 Jägern, Schützen und Cowboys, 200 Tieren, als ungezähmten Büffeln, Pferden
und Maulthieren zusammen und gibt Schaustellungen aus dem Indianerleben des Westens der
Vereinigten Staaten.“81
Ein Film Edisons aus dem Jahr 1902 zeigt eine Parade von Buffalo Bills Wildwestschau in New
York. Behelmte Polizisten zu Fuß und hoch zu Roß begleiten den langen Zug berittener Indianer
und Cowboys. Die Ordnungshüter schützen eine riesige, hauptsächlich aus kleinen Buben
bestehende Menschenmenge davor, in ihrer Begeisterung unter die Hufe zu geraten. Die
Federkronen wiegen sich in Schrittgeschwindigkeit. Breitkrempige Hüte werden geschwenkt. Ein
paar kleine Afroamerikaner tollen durch das Bild. Die große Postkutsche rollt heran. Die
Vorüberziehenden schauen neugierig in die Kamera. Ein Radfahrer schwankt. Drei Mädchen mit
Hüten und langen Röcken haben sich unter die Zuschauer gewagt.
Indianerromane finden massenhaften Absatz. Groschenhefte mit Indianergeschichten können
Auflagen von 400.000 Exemplaren erreichen.82 Das Titelblatt der 383. Ausgabe der „Blockhaus –
Bibliothek“ druckt 1896 noch einmal ein sechs Jahre altes Klischee, das „Buffalo Bill's besten
Schuß“ feiert. Der Reiter trifft im gestreckten Galopp zwei Pferdediebe mit derselben Kugel.83 In
der populären Literatur am Ende des Jahrhunderts kämpfen oft weiße Siedler gegen die Indianer
zum Schutz der Familie und „zum Segen des eigenen Hauses.“84 Mit dem Übergang vom
mühsamen nassen Kollodiumverfahren zur Trockengelatineplatte setzt eine Flut von
Indianerfotografien ein. Als der Traum von der großen Freiheit in der Prärie, von den weiten
Ebenen, dem endlosen, unermeßlichen Land ausgeträumt ist, treten die Visionen auf den Plan. Die
Indianerporträts der Jahrhundertwende zeigen den einsamen, schönen Wilden mit geheimnisvollen
Amuletten, hübschen Lederarbeiten, Stickereien, Perlenzier. Als diese fremde Kultur bildhaft
greifbar wird, als sie vom Postkartensammler angeeignet werden kann, setzt eine genaue
Betrachtung ein, ein Interesse an den kulturellen, den kostümgeschichtlichen Einzelheiten, eine
wehmütige Schwärmerei für das Dahingegangene, ein Bemühen, das noch Verbliebene zu schützen
und zu bewahren.
Die Aufnahmen sind wie Starporträts, Visitkarten von Opernstars oder Theaterschauspielern
gestaltet. Es überwiegen die gemalten Hintergründe, die Ansichten von unten, die den Dargestellten
denkmalhaft wiedergeben. Auf den Negativen sind meist die Namen und kurze Einzelheiten
angegeben, um den Sammlern die Unterscheidung und das Auswendiglernen zu ermöglichen. Wenn
81
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84
Münchner Neueste Nachrichten, 19.4.1890, S. 5
Friar, Indian ..., a.a.O., S. 45
Ned Buntline, Buffalo Bill's Best Shot, New York September 1890
Warren, Buffalo Bill's ..., a.a.O., S. 31
Personen nicht exotisch indianisch gekleidet sind, kann es sich um Berühmtheiten handeln,
Aufständische, die jetzt in Reservaten traurig leben und ihren Namen mit ihrer Postkarte verkaufen.
Der Apachenhäuptling Geronimo ergibt sich am 4.9.1886 dem General Nelson Miles. Er wird
später Rancher, nimmt 1901 am „Indian Congress“ in Buffalo teil85, verkauft 1904 auf einer
Ausstellung in St. Louis Souvenirs und reitet im folgenden Jahr bei der Parade zur Amtseinführung
von Präsident Theodore Roosevelt mit.
Die Völkerkunde kümmert sich um die verbliebenen Bräuche mit den neuesten Medien. Der
Anthropologe Francis La Flesche stammt selbst aus einem Reservat für Omaha – Indianer in der
Nähe von Macy, Nebraska. Der Jurist arbeitet seit 1881 als Dolmetscher für das Komitee des
Senates für Indianerangelegenheiten. 1893 erscheint in Cambridge seine Studie über die Musik der
Omaha. Am 24.8.1897 nehmen La Flesche und Alice Cunningham Fletcher auf die Wachswalze
ihres Phonographen ein Liebeslied auf. Es wird angestimmt von dem etwa 45jährigen George
Miller, der mit seinem Indianernamen „Inke'tonga“ oder „Große Schulter“ heißt.86 Fletcher hält
1898 auf einem Kongreß in Omaha während der Trans - Mississippi Exposition Vorträge über die
Gesänge der nordamerikanischen Indianer. Dazu singen Menschen vom Stamme der Omaha ihre
Lieder. Daraus entwickelt sich ihr 1900 erscheinendes Buch über Geschichten und Musik der
amerikanischen Ureinwohner.
Die „Pan American Exposition“ 1901 in Buffalo entfaltet europäische Pracht. Champs Elysees, Arc
de Triomphe, Place de la Concorde und Tuilerien sind in amerikanischem Maßstab am Eriesee
entstanden.87 Die Grundfläche ist eineinhalb Mal größer, als bei der Weltausstellung in Chicago,
doppelt so groß, wie in Paris.88 Das ikonografisch ausgefeilte Programm der 125 Skulpturengruppen
entwirft der aus Wien eingewanderte und dort an der Hochschule für Angewandte Kunst
ausgebildete Karl Bitter.89 Das Ausstellungsgelände planen die Architekten Thomas Hastings und
John Merven Carrère. Sie sind seit ihrer Studienzeit in Paris befreundet, wo sie die École des Beaux
– Arts absolviert haben. Die Firma Carrère & Hastings errichtet in Anlehnung an
Renaissancemotive amerikanische Villen, Bürohochhäuser und Grandhotels wie das „Ponce de
Leon“ in Florida, das „Jefferson“ in Richmond und das „Alcazar“. 1897 gewinnen sie den
Wettbewerb für die Public Library in New York.
Das Gelände der „Pan“ ist nachts mit Myriaden von Glühbirnen beleuchtet.90 Starke Lichtkegel
strahlen von den Türmen. Im Brunnenhof richten sich Unterwasserscheinwerfer auf gut 15 Meter
hohe Springbrunnen und einen Wasserfall. Dahinter ragt der „Elektrische Turm“, der mit einem
Aufzug und einer künstlichen Kaskade versehen ist. Der Strom für die Pumpen und den Lift kommt
von Turbinen, welche die Wasserkraft der nahe gelegenen Niagarafälle nutzen. Die „Edison
Manufacturing company“ stellt ihre neuesten Errungenschaften im „Elektrizitätsgebäude“ aus. Das
Publikum bewundert den Phonographen und eine Vorrichtung zum Speichern des elektrischen
Stroms.91
Das Gebäude der Ethnologie liegt gegenüber dem Tempel der Musik, wo sich die große Esplanade
um ein großes Becken mit Springbrunnen weitet. Das Völkerkundemuseum ist vom Stil der
Renaissance geprägt.92 Seine fünfzig Meter hohe, wie beim Pantheon oben offene Kuppel ist von
85
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88
89
90
91
92
Mary Bronson Hartt, How to See the Pan-American Exposition, Everybody's Magazine, October 1901
http://memory.loc.gov/ammem/omhhtml/omhhome.html
John M. Carrere, Chairman Board of Architects, The Architectural Scheme,
http://panam1901.bfn.org/documents/archscheme.html
http://ublib.buffalo.edu/libraries/exhibits/panam/index.html
Wayne Craven, Sculpture in America, New York 1968, S. 476
New York Times, 6.1.1901, S. 16
"Edison at the Pan-American Exposition", Western Electrician, Bd. 29, Nr. 7,17.8.1901, S. 103,
http://ublib.buffalo.edu/libraries/exhibits/panam/sel/edisonatexpo.html
George Cary, The Ethnology Building,
http://ublib.buffalo.edu/libraries/exhibits/panam/art/architecture/ethnologybldg.html
einem Säulengang umstanden, in den sich vier Portale fügen. Die Terrassen oberhalb der
Kolonnaden sind öffentlich zugänglich. In den Giebeldreiecken über den Eingängen finden sich
völkerkundliche Darstellungen von McNeil. Darüber recken sich Figurengruppen wie ein berittener
„Fackelträger“ von Philip Martiny oder eine Quadriga, die von Phimister Proctor im Vorjahr bei der
Weltausstellung in Paris gezeigt wurde. Innen sind Ausstellungen der Smithsonian Institution und
des Nationalmuseums der Vereinigten Staaten zu sehen. Lebensgroße Figuren in großen Glaskästen
zeigen Gesichtsbildung, Kleidung und Gerätschaften der Indianer. Zudem sind Erzeugnisse der
staatlichen „Indian Industrial School“ von Carlisle zu bewundern.93
Die „Carlisle Indian Band“ trägt rote Uniformen, spielt amerikanische Blasmusik und ist ein
Zeichen, wie weit Indianer mit entsprechender Ausbildung gebracht werden können. Die Kapelle
der Carlisle-Indianerschule aus Pennsilvanien setzt sich aus den Angehörigen von mehr als 25
Stämmen zusammen. Dazu gehören Apachen aus Arizona, Sioux und Schoschonen. Auf die große
Trommel ist der Kopf einer Rothaut mit einer Feder in den langen schwarzen Haaren gemalt. Das
Repertoire des Orchesters umfaßt Stücke aus „Thannhauser“, „Wilhelm Tell“ und „Rienzi“. Die
jungen Musiker beherrschen Stücke von Grieg, Schubert, Rossini, Weber und Mozart. Sie stehen
unter der Leitung von Leutnant Ettinger. Außer ihm fungiert der gebürtige Oneida Indianer und
frühere Militärmusiker Dennison Wheelock als Dirigent. Am späten Nachmittag schmettern die 45
Mann im Konzertpavillon vor dem Kasino „Stars and Stripes Forever“, Walzermelodien und
Operettenouverturen. Zum Schluß erfreut der Sioux Mr. Robert Bruce mit einem Soloauftritt am
Euphonium.
Die Truppe Buffalo Bills ist in Europa unterwegs. Für die „Pan“ arrangiert Frederick T. Cummins
eine Indianerversammlung, zu der Angehörige von 42 Stämmen erscheinen. Zu den Häuptlingen
gehört „Rocky Bear.“ Die 700 Indianer haben ihr eigenes Zeltdorf neben der Tierschau. Sie führen
ihr malerisches Familienleben, Tänze und Spiele vor.94 Die Frauen weben. In einem Restaurant ist
„Ethnic food“ angerichtet. Die Krieger mit ihren Federkronen halten Paraden auf der Hauptstraße
ab. Sie treten im Stadion vor 12.000 Menschen auf. Am letzten Tag der Ausstellung findet dort um
drei Uhr nachmittags ein Schaukampf statt mit den Truppen der amerikanischen Armee aus Fort
Porter.95 Ein Schlachtgemälde entfaltet sich, wo sonst Baseballspiele, Radrennen oder
Vorführungen landwirtschaftlicher Maschinen abrollen. Im klassisch griechisch dekorierten Rund
weht der Pulverdampf der Platzpatronen. Cummins inszeniert die Niederlage der amerikanischen
Armee gegen Indianerstämme, die sich am Little Big Horn gegen den General Custer und seine
Soldaten siegreich zur Wehr gesetzt haben.
93
94
95
N. Hudson Moore, The Pan-American Exposition at Buffalo, The Delineator Magazine, August 1901
Mary Bronson Hartt, How to See the Pan-American Exposition, Everybody's Magazine, October 1901
Buffalo Evening News, 2.1.1901
In der Mitte des Stadions ist ein Geviert abgegrenzt und mit Fahnen geschmückt. Dort muß die
Kamera stehen. Sie kann schwenken auf die Indianer und die Manöver der Truppen. Die Loge für
den Präsidenten und seine Gäste ist mit dem Sternenbanner ausgeschlagen. Die Trikolore weht über
allen Bögen des kolossalen Rundbaues. Die einziehenden indianischen Reiter heben sich
silhouettenartig vor dem sonnenbeglänzten Hintergrund ab. Einige haben die Läufe ihrer Gewehre
zum Himmel gerichtet. Einer raucht sichtlich die Friedenspfeife. Der Blick auf das Spielfeld öffnet
sich, als die Reiter in den Hintergrund trotten. Soldaten gehen in das Bild. Über den entfernten
Indianern steigen Rauchwölkchen auf, die im Stummfilm Schüsse bedeuten. Die Angreifer sitzen
ab, gehen zur Kamera hin vor. Die Rothäute bedrängen die Uniformierten. Das Militär zieht sich
zurück, bekommt Verstärkung. Zum guten Ende feuern die Sioux in die Luft.
Der Film wird mit einem Exzenter ruckartig fortbewegt. Beim Transport muß das aus der Lampe
einfallende Licht abgedunkelt werden. Die Hauptwelle trägt eine teilweise ausgeschnittene
Kreisscheibe, die sich mit jeder Umdrehung vor dem Objektiv bewegt. Der Film ist leicht
entzündlich und brennbar.96 Sein Trägermaterial, das Zelluloid entflammt bereits unter
Sonneneinstrahlung. Die Vorführapparate sind explosionsgefährdet. Beim Stillstand des
Laufwerkes kann sich das brennglasartig bestrahlte Bild entzünden und die Filmspule zum feurigen
Zerbersten bringen. 1896 perfektioniert Edison den Vitascope-Projektor und führt ein Modell vor,
das sich als wirtschaftlich erfolgreichstes Filmvorführgerät Amerikas erweist. Die Filme werden
nicht mehr in den hölzernen Guckkästen des Kinetoskops vorgeführt, sondern mit elektrischem
Licht oder mit Karbidlicht auf Leinwände projeziert, sodaß eine größere Gesellschaft gleichzeitig
das Geschehen verfolgen kann.
Pliny Goddard, Doktor der Anthropologie an der Universität von Kalifornien kennt die Sprachen
der Hopi, Navajo und Apachen. Im Herbst 1912 begibt er sich mit dem Kameramann Howard Mc
Cormick auf eine Forschungsreise in den amerikanischen Südwesten. Ein achtminütiger Film über
den Schlangentanz in Shipaulovi, Arizona entsteht.97 Der frühere amerikanische Präsident Theodore
Roosevelt erscheint zu einem Tanz der Hopi-Indianer am späten Nachmittag des 20. 8. 1913 in
Walpi, Arizona. Er ist mit seinen beiden Söhnen und einem Cousin am Schluß des langen Films zu
sehen, der eine zeremoniellen Schlangentanz des Antilopenclans inmitten einer Siedlung der HopiIndianer zeigt. Die Männer in Lendenschürzen und Fuchspelzen, mit Adlerfedern in den langen
Haaren tanzen um eine fünf Meter hohe Felsklippe. Sie rasseln mit Schildkrötenpanzern, stehen
sich in zwei Reihen gegenüber, singen, schwingen harmlose und giftige Schlangen. Der Priester
trägt ein Gebet vor. Roosevelt schreibt drei Jahre später ausführlich über seine Eindrücke. Sein
Sohn Archie hat sich mit jungen Indianer unterhalten, die sich unauffällig kleiden, als Christen
96
97
Falbe,Römpp ..., a.a.O.,Bd. 1, Stuttgart 1989, S. 613
Alison Griffiths, Wondrous Difference, Cinema, Anthropology & Turn-of-the-Century Visual Culture, New York
2002, S. 287
fühlen, aber am Tanz teilnehmen. Sie sprechen englisch, haben Schulen außerhalb der Reservate
besucht und sind jetzt gute Bürger und Bauern.98
Solche religiösen Vorführungen sind in Reservaten verboten als Zeichen heidnischer Wildheit. Sie
gelten als Zeugnis, daß sich die Mission nicht genügend durchgesetzt hat, zu wenig Beachtung
findet. Jetzt zeigt der prominente Politiker sich selbst bei einer solchen Vorführung. Neben ihm
sitzen Touristen, Händler, Viehzüchter, Bauern. Einge hundert Zuschauer, Regierungsbeamte,
Politiker und Cowboys haben sich auf dem über der weiten Landschaft steil aufragenden
Felsplateau eingefunden. Wissenschaftler und Angehörige wohltätiger Organisationen, wie
Baptistenmissionare, ein Geistlicher der „Episcopal Cathedral“ und ein Franziskanerpater nehmen
an dem großen Ereignis im Hopi-Land teil.
Theodore Roosevelt würdigt die Verdienste von Natalie Curtis, die sich um die Bewahrung
indianischer Kultur sorgt. Die Forscherin sammelt Gedichte, Lieder, Märchen, Mythen und
Erzählungen verschiedener Indianerstämme als wertvolle Zeugnisse der einheimischen
amerikanischen Kultur. Sie setzt sich dafür ein, die malerischen Felsenstädte der Hopi zu erhalten
und wirbt für Verständnis und Toleranz. Die Unterdrückung der Indianertänze hält sie für
„Tyrannei.“ 1907 hat sie ein Buch mit Legenden, der Folklore, mit Zeichnungen und Fotografien
der Ureinwohner Amerikas vorgelegt. Sie empfiehlt, vom vorhandenen Kunsthandwerk , etwa der
Silberschmiede und Töpfer, dem Weben und Flechten ausgehend, indianisches Kunstgewerbe zu
fördern.
Der beliebteste Drehort in Großstadtnähe liegt bei Fort Lee in New Jersey. Die Catskill – Berge im
Staate New York genügen meist als Wilder Westen. Pathé und Gaumont stellen ursprünglich ihre
kurzen Indianergeschichten in Frankreich her.99 Weiße verfilmen romantische Indianerliteratur wie
„The Song of Hiawatha“ von Henry Wadsworth Longfellow und die Werke von James Fenimore
Cooper mit weißen Darstellern für ein ebensolches Publikum.100 1908 dreht Edison mit
altertümlichen Kostümen und notdürftig zurechtgemachten Ureinwohnern „Pocahontas“, die
Geschichte vom Indianermädchen, das einen Soldaten rettet. Ein indianischer Kinobesucher beklagt
sich 1911 über die rassistischen Verzerrungen in einem Drama, das ausmalt, wie ein Indianer alle
Erziehung und Bildung vergißt, zu seinem Stamm zurückkehrt, der Trunksucht verfällt, mordet und
nach langer Verfolgung getötet wird.101
Griffith zeigt Mitgefühl mit Indianern, die unter den weißen Eindringlingen leiden. Ein ruchloser
Galan verführt die „Tochter des Häuptlings.“ In „The Indian Runner’s Romance“ spielt die
dunkeläugige Mary Pickford mit schwarzhaariger Perücke, eine Squaw, die von goldgierigen
Banditen entführt wird. Ihren tapferen Retter verkörpert der als Rothaut geschminkte James
Kirkwood. Die Schauspielerin ist häufig im Indianerkostüm auf den Hügeln nördlich New Yorks
unterwegs. Für die „Pueblo Legende“ reist sie 1912 nach New Mexiko in das Indianerdorf von
Isleta. Ein Franzose, der den Medizinmann spielen soll, hat sich im Museum von Albuquerque ein
Kostüm ausgeliehen. Als er einen Tanz aufführt, erregt er Anstoß bei den einheimischen
Zuschauern.102 Der Häuptling verlangt, den Regisseur zu sprechen. Griffith verhandelt den ganzen
Nachmittag um die Erlaubnis, seine Dreharbeiten fortzusetzen. Vergebens bietet er zweitausend
Dollars an. Das Filmteam ist ratlos. Die Aufnahmen müssen an einem anderen Ort abgeschlossen
werden.
Die neu errichteten Studios der Gebrüder Pathé an der Westküste bei Los Angeles engagieren James
„Junger Hirsch“, um in ihre Filme mehr Lebensnähe zu bringen. Der junge Mann vom Stamme der
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Theodore Roosevelt, A book-lover’s holidays in the open, New York 1916, http://www.bartelby.net/57/3.html
Friar, Indian ..., a.a.O., S. 80
Gretchen M. Bataille, Charles L. P. Silet, The Pretend Indians, Ames 1980, S. 23
Friar, Indian ..., a.a.O., S. 97
Friar, Indian ..., a.a.O., S. 119
Winnebago schreibt Drehbücher. 1910 führt er in Regie in „White Fawn's Devotion“, in dem es um
die Ehe zwischen einer Indianerin und einem Weißen geht.103 Seine Gattin, die Prinzessin „Rote
Schwinge“, die sich auch Lillian St. Cyr nennt, stammt aus einem Reservat der Winnebago in
Nebraska und hat die Indianerschule in Carlisle besucht. Als Schauspielerin für edle indianische
Charakter, als „höchst angenehme Mischung von amerikanischer und indianischer Art“104 ist sie
sehr begehrt.
Carl Laemmle verfilmt 1909 „Hiawatha“ an den Wasserfällen von Minnehaha im Land der Dakota.
Eine Firma des Edison - Trust übernimmt zwei Jahre später die „101 Ranch Wild West Show" samt
Cowboys, Indianern, Pferden, Büffeln und Wagen. Das Atelier wird beträchtlich ausgebaut.
Thomas Harper Ince stellt hier serienmäßig Wildwestfilme her. Zum Studio gehören große
malerische Landschaftsgebiete zwischen dem Ozean und den Bergen bei Santa Monica,
nordwestlich von Los Angeles. Viele Oglalas sind von Pine Ridge, South Dakota hierher
übersiedelt.
Der Enkel von Geronimo und der Häuptling „Stehender Bär“ wechseln von der Schaustellerei zum
Film. Der Oglalasioux William Eagleshirt spielt 1912 Sitting Bull. Im selben Jahr entsteht „Das
Herz eines Indianers“, in dem der kaltblütige Überfall weißer Siedler auf ein Indianerdorf inszeniert
wird.105 Für das abschließende Schlachtgemälde von „Custers letzter Kampf“ gruppieren sich 1912
um die Fahne untersichtig auf der Anhöhe die letzten Getreuen. Indianische Reiter und Schützen zu
Fuß stehen unschlüssig am Rande des hügeligen Schlachtfeldes. Ein zu Boden gegangener
Kavallerist zielt mit dem Colt, um den Kameraden vor dem Skalpieren zu retten. Ince und Griffith
verfilmen „Custers letzter Kampf“ um die Wette. Beide Filme werden gleichzeitig fertiggestellt,
erscheinen aber erst 1914.
Tausend Indianer, von denen viele an den tatsächlichen Schlachten teilgenommen haben und ein
ganzes Reiterregiment der regulären Armee samt Offizieren werden „historisch richtig“ verfilmt.
Eine Fachzeitschrift beteuert, alle Szenen seien „genau auf den originalen Schlachtfeldern
aufgenommen.“106 Die alten Männer erschauern, als sie wieder in die Läufe von
Schnellfeuergewehren und Geschützen schauen müssen. Frevlerisch scheint ihnen, auf den Gräbern
Filmaufnahmen zu veranstalten.107 Trotzdem genehmigt das Innenministerium die Dreharbeiten an
den Originalschauplätzen. Vier ergraute Generäle steigen noch einmal in die Sättel. Plakate können
von der „Geschichtsfilmgesellschaft“ des Obersten Cody in Chicago im riesigen Format von sechs
bedruckten, zusammensetzbaren Bögen bezogen werden. Anfang Dezember 1913 kündigen die
Münchner Neuesten Nachrichten den „Kampf mit Rothäuten, Ein hochinteressantes WildwestDrama unter Mitwirkung des weltbekannten Buffalo-Bill“ an.108 Dabei könnte es sich um „The Last
Indian War“ handeln, den Cody ab September 1913 an Originalschauplätzen wie Pine Ridge und
Wounded Knee dreht.109 Der Film wird kein Kassenschlager. Das Interesse am nachgestellten
Blutbad erlischt mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges.
Albert Ottenbacher Gotthardstr. 68 80689 München
Zum Video über „Indianermalerei“ :
http://www.albert-ottenbacher.de/videos/Artblog3_Indianermalerei_high.html
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Angela Aleiss, Native Americans : The Surprising Silents, 1995,
http://library.berkeley.edu/MRC/NativeAmericans.html
Jean Sanders, Lillian St. Cyr (Princess Red Wing) and James Young Deer: First Native American Silent Movie
"Power Couple", 2004, http://www.nsea.org/news/StCyrYoungDeerProfile.htm
Peter Flynn, The Silent Western as Mythmaker, http://www.imagesjournal.com/issue06/infocus/silentwesterns4.htm
Friar, Indian ..., a.a.O., S. 71
Friar, Indian ..., a.a.O., S. 73
Generalanzeiger der Münchner Neuesten Nachrichten , 7.12.1913, S. 4
Warren, Buffalo Bill's ..., a.a.O., S. 538