Fischoperationen

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Fischoperationen
20. JANUAR 2013
Preis Fr. 4.20 Euro 4.20
LAUBERHORN
Das grosse Debakel unserer
Ski-Nati
DJ ANTOINE
Das Erfolgsgeheimnis
des Schweizer Popstars
Seite 27
Seite 41
27. Jahrgang, Nr. 3 / www.sonntagszeitung.ch
AZA 8021 Zürich Redaktion: 044 248 40 40 · Abo-Service: 044 404 64 40
«Ökofaschisten»:
Chefdiplomat attackiert
Zuwanderungs-Gegner
Migros-Chef Bolliger:
Preise werden steigen
FOTO: KEY
ZÜRICH Kehrtwende im Schweizer Detailhandel: «Bei den
Preisen dürften wir die Talsohle erreicht haben», sagt
Migros-Chef Herbert Bolliger im Interview mit der
SonntagsZeitung. «Ich rechne dieses Jahr mit stabilen
oder leicht steigenden Preisen.» Es sei absehbar, dass
diverse Produkte teurer würden.
WIRTSCHAFT SEITE 55
Harsche Kritik an Staatssekretär Rossier wegen Angriff auf Ecopop-Initianten
VON DENIS VON BURG
BERN Yves Rossier, Staatssekretär
im Aussendepartement (EDA),
bezeichnete an einer CVP-Veranstaltung die Initianten der Volksinitiative «Stopp der Überbevölkerung» als «Ökofaschisten». Nun
stellen CVP-Politiker Rossiers
Eignung als Chefunterhändler im
Algerien: 23 Geiseln und
32 Entführer getötet
EDA und Chef des diplomatischen Korps infrage.
Aussenpolitikerin Kathy Riklin
sagte nach Rossiers Auftritt: «Ein
Staatssekretär, der sich zu solchen Äusserungen hinreissen
lässt, ist ein politisches Risiko für
die Schweiz.» Andere CVP-Politiker raten Aussenminister Didier
Burkhalter, über eine Absetzung
Rossiers nachzudenken. Man
könne nicht sicher sein, dass er
sich in internationalen Verhandlungen beherrschen könne.
Der Vorfall ereignete sich am
vorletzten Freitag im Rahmen
eines Fraktionsseminars der CVP
in Flüeli-Ranft zur Europapolitik.
Dort warnte Rossier als Referent
die CVP vor europapolitischen
Experimenten wie dem EWR.
Es ständen ohnehin schwierige
Abstimmungen an. In diesem Zusammenhang kritisierte Rossier
auch die Ecopop-Initiative, die
eine rigorose Beschränkung der
Einwanderung und damit die
Kündigung der Personenfreizügigkeit mit der Europäischen
Union fordert.
SEITE 3
AIN AMENAS Bei der Geiselnahme in einer Gasförderanlage nahe Ain Amenas (Foto) wurden mindestens
55 Menschen getötet. Gestern stürmte ein Armeekommando die Anlage. Derweil jagen Franzosen
Islamisten in Mali – die Reportage. NACHRICHTEN SEITE 8
Jagd auf Osama Bin Laden:
Was wirklich geschah
WASHINGTON Zum Start des Spielfilms «Zero Dark
Thirty» über die Suche nach Osama Bin Laden hat die
SonntagsZeitung rekonstruiert, wie der meistgesuchte
Terrorist der Welt aufgespürt wurde. Und welche Rolle
FOKUS SEITE 15
die Folter dabei spielte.
HIER WIRD
EIN GOLDFISCH
OPERIERT
G LO S S E
Wer kennt ihn nicht? – «ICH!» – «ICH AUCH NICHT!» –
«WENKENNICHNICH?» – Jetzt wartet doch ab, Kinder!
Also: Wer kennt ihn nicht – den Paten? Don Corleone? –
«KLAR!» – «KENNWIRJADOCH!» – Dann seid still und
lasst mich ausreden, Kinder! Don Corleone ist nämlich
Italienisch und bedeutet so viel wie «Der Götti von
Corleone». Corleone ist aber kein Bub, sondern ein kleines
Städtchen im Süden von Italien, in Sizilien. – «OOHHH!»
– «ECHT?» – Das Städtchen gibt es nicht bloss im Film,
sondern ganz richtig in Wirklichkeit. Dort lebt eine Bürgermeisterin, die Leoluchina Savona heisst. Leoluchina Savona ist eine sehr mutige Frau. Denn sie hat etwas getan, was
in Corleone noch niemand getan hat – wegen der Omertà
und der Angst vor der Mafia. Sie hat sich ganz offiziell und
öffentlich bei allen Opfern von Gewalttaten entschuldigt,
die in vielen, vielen Jahren von den Menschen ihrer
Gemeinde, den Mafiosi, verübt worden sind. «Ich bitte um
Verzeihung für das Blut, das vergossen wurde», hat sie
gesagt. Und die Mafia solle aufhören mit ihren schmutzigen Geschäften. – «VERRÄTERIN!» – «JA GENAU!» –
Philipp!! Christophe! Setzt euch sofort wieder hin und
haltet endlich den Latz!
PETER SCHNEIDER
WETTER
ALPHA
Zuerst freundlich,
trocken, dann
Niederschläge aus Westen,
Temperaturen um 2 Grad.
87 Kaderstellen-Angebote
FOTO: MICHELE LIMINA
Tschuldigung
ZÜRICH Ein komplettes Ärzteteam
ist angetreten, um Traugottli einen
Tumor zu entfernen. Traugottli ist ein
Goldfisch – und mit seinen 10 Jahren
ein Risikopatient. Dementsprechend
vorsichtig gehen OP-Leiter Professor
Hatt (l.) vom Zürcher Tierspital, Tierärztin Wyss mit dem Laser und eine
Helferin, die den Infusionsschlauch
führt, bei dem 29 Gramm schweren
narkotisierten Patienten zu Werke.
SEITE 63
Asyl-Ausweisungen: Höchster
Stand seit zehn Jahren
ZÜRICH/BERN Neues Hoch bei den
Asyl-Ausweisungen auf dem Luftweg: Im Jahr 2012 führten Bund
und Kantone 13 801 kontrollierte
Ausreiseflüge durch. Damit hat
sich die Zahl seit 2008 mehr als
verdoppelt und befindet sich auf
dem höchsten Stand seit dem Ende der Balkankriege. Die hohe
Zahl der Ausreisen stellt insbesondere den Flughafen Zürich vor
grosse Probleme: Die für die
Rückführungen benötigte Infrastruktur ist überlastet. Die kantonalen Sicherheitsdirektoren der
Flughafenkantone haben deshalb
entschieden, dass künftig zehn
Prozent mehr Asylbewerber über
Bern, Basel und Genf ausfliegen
sollen. Die Details werden in den
kommenden Monaten ausgearbeitet.
SEITE 5
Geheimtreffen: Burkhalter
redet mit Norwegen über EWR
ZÜRICH Aussenminister Didier
Burkhalter trifft kommende Woche am Weltwirtschaftsforum in
Davos seinen norwegischen Amtskollegen Barth Eide, wie die
SonntagsZeitung aus dem norwegischen Aussenministerium erfahren hat. Das Thema: die Beziehung der Schweiz zur Europäischen Union. Gemäss involvierten Kreisen soll am Gespräch die
Frage behandelt werden, ob und
wie die Schweiz an bestehende
Institutionen andocken könnte,
ohne dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), geschweige
denn der EU, beitreten zu müssen. Für diese Lösung könnte die
Schweiz Norwegen als Brückenbauer brauchen. Beide Länder
sind Mitglieder der Europäischen
Freihandelszone (Efta). SEITE 53
20. JANUAR 2013
Wissen
Unter Eis leben Seite 64
Auf Mikrobensuche
im See tief unter einem
Antarktisgletscher
Trickreich leben Seite 66
Wie Tiere die Gesetze
der Physik nutzen
& Multimedia
GESUND LEBEN
FÜR DIE LEINWAND LEBEN
Empfehlungen werden
kaum beachtet
Ein ETH-Professor ist
Meister der Spezialeffekte
SEITE 65
SEITE 69
Kompliziert leben Seite 68
Neue TV-Standards sind oft
schwer verständlich
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Ein Goldfisch auf dem OP-Tisch
Von Ultraschall über Laser-Operation bis zur Reha – auch Fische profitieren von der Hightech-Medizin
Der narkotisierte Traugottli
während der Operation: Über
den Infusionsschlauch bekommt
er Wasser, gelöstes Backpulver
und ein Betäubungsmittel
VON MARTINA FREI (TEXT)
UND MICHELE LIMINA (FOTOS)
Traugottli schlingert. «Er ist jetzt
am Einschlafen», sagt JeanMichel Hatt, Direktor der Klinik
für Zoo-, Heim- und Wildtiere am
Zürcher Tierspital. Dann kippt
der 29 Gramm leichte Goldfisch
zur Seite. Das Betäubungsmittel
in seinem Bassinwasser wirkt.
«Gut narkotisiert und bewässert
könnte man einen Fisch theoretisch stundenlang auf den Operationstisch legen», erklärt Hatt.
Aufgrund seines Alters von zehn
Jahren sei Traugottli jedoch «ein
Risikopatient. Wir müssen schnell
arbeiten», brieft Hatt seine Kollegin Fabia Wyss, die sich in Chirurgenmanier die Hände wäscht.
Vorsichtig hebt er den Patienten
aus seinem Plastikbecken und legt
ihn auf den Operationstisch. Eine
Tierarzthelferin schiebt dem betäubten Traugottli den Infusionsschlauch ins Maul. In der Infusion
ist Wasser aus seinem Aquarium,
das mit genau dosiertem Betäubungsmittel plus Backpulver versetzt ist. Letzteres bewirkt, dass
die Lösung nicht zu sauer wird.
Traugottli schluckt im Sekundentakt. Zusätzlich träufelt die Helferin Narkoselösung auf seine linke
Kieme. Etwas verloren liegt der
rund zehn Zentimeter kleine Goldfisch auf dem Operationstisch. Er
ist einer von schätzungsweise sieben Millionen Zierfischen in der
Schweiz. In den letzten Jahren
sind immer mehr Fischbesitzer bereit, in medizinische Abklärungen
zu investieren.
Salbe auf die Wunde und eine
Antibiotika-Spritze ins Filet
Seit zwei Jahren habe Traugottli
diesen immer grösser werdenden
Tumor an der Schwanzflosse,
berichtet seine Besitzerin Heike
Botha. In letzter Zeit schränke ihn
das in der Bewegung ein. Das Gewicht der einen Zentimeter grossen Geschwulst zieht das kleine
Tier nach unten, «er musste mehr
schwadern, um gegenzusteuern».
Der Goldfisch ermüdete. Immer
wieder legte er sich zum Erholen
auf den Aquariumsboden. Um ihm
Erleichterung zu verschaffen, entschloss sich Botha zur Operation.
Mit einem Laser trägt die Tierärztin Fabia Wyss vorsichtig die
Geschwulst ab. Sie komplett auszuschneiden, sei nicht ratsam.
«Dann wäre die Schwanzflosse
kaputt und die Wirbelsäule verletzt», erklärt Hatt.
Fünf Minuten dauert der Eingriff, zwei Minuten die Nachbehandlung: desinfizierende Salbe
auf die Wunde und eine Antibiotika-Spritze «ins Filet». Dann
setzt Hatt Traugottli behutsam in
einen Eimer mit Wasser – vertrautes Wasser aus dem heimischen
Aquarium. Das ist für den Patienten am bekömmlichsten. Die
Fischbesitzerin hat extra 12 Liter
davon mitgebracht.
Hatt hält den noch betäubten
Fisch in seiner Hand, bis dieser
allmählich aus der Narkose erwacht. Eine halbe Stunde später
schwimmt Traugottli wieder. «Er
wirkt noch etwas müde, aber es
geht ihm gut», sagt Heike Botha.
Die nächste Woche bekommt der
Goldfisch ein Antibiotikum ins
Futter gemischt und täglich etwas
Salbe auf die Wunde. Zusätzlich
hat Botha den Salzgehalt im
Aquariumwasser erhöht. Dies
beugt Wundinfektionen vor.
Nachdem sie ihren Hund vor
Jahren einschläfern lassen musste, wollte sie kein Tier mehr, mit
dem sie eine enge Beziehung eingehen würde. Also schaffte sich
Botha drei Goldfische an. Doch
die Rechnung ging nicht auf.
«Traugottli lebt jetzt seit acht
Jahren bei mir. Zuerst habe ich gedacht, ich lasse ihn einschläfern.
Aber ich hänge an ihm», bekennt
die Tierhalterin. Mit der Zeit entwickle man auch zu Fischen eine
Beziehung. «Sie freuen sich zum
Beispiel, wenn die Sonne in ihr
Aquarium scheint.» Traugottli sei
unter den drei Fischen immer der
«Underdog» gewesen. Der Eingriff, hofft Botha, werde ihm noch
ein paar beschwerdefreie Jahre
bringen. Die Lebenserwartung
eines Zucht-Goldfischs beträgt in
der Regel 10 bis 20 Jahre.
«Auch Patienten wie dieser
Goldfisch haben einen emotionalen Wert», findet Hatt. «Eine
Schildkröte, die 80 Jahre alt wird,
kann Ihnen viel länger ans Herz
wachsen als ein Hund.» Bisher
lassen aber erst wenige Fischbesitzer ihre Tiere hier operieren.
Hinzu kommen Fische aus dem
Zoo Zürich. Etwa fünf solcher
Eingriffe, die rund 160 Franken
kosten, finden jährlich am Zürcher Tierspital statt.
Verletzungen durch Katzen
oder scharfe Steine im Teich
In der Koi-Klinik Langenthal dagegen stehen Fischoperationen
regelmässig auf dem Programm.
Offiziell wird sie erst im März eröffnen, doch bereits jetzt sind die
15 Becken mit Patienten oder –
streng davon getrennt – Überwinterungsgästen belegt.
Im Hauptberuf verkauft Klinikbesitzer Marco Stauffer Koi in
allen Farben und Grössen. Der
günstigste kostet 35, der teuerste
über 10 000 Franken. «Ein Koi
lebt 15 bis 20 Jahre. Ich will auch
nach dem Kauf einen Service bieten», begründet er seine Motivation. Mit «Fishdoc» Ralph Knüsel
als Belegarzt und der 100 Meter
entfernten Kleintierpraxis Gelbe
Pfote offeriert Stauffer hier umfassende Patientenbetreuung.
«Als Fischtierarzt steht man oft an
einem Teich und denkt: Schade,
dass man nicht mehr machen
kann», sagt Knüsel. In der KoiKlinik habe er viel mehr Möglichkeiten: Transportservice, Röntgen, Ultraschall, selbst gebauter
Fisch-Operationstisch, Reha.
Nebst Infektionen durch Bakterien, Viren, Parasiten oder Pilze gehören Verletzungen durch
Katzen oder scharfe Steine im
Teich zu den häufigsten Problemen bei Zierfischen. Auch Prellungen bei zu wildem Ablaichen
und Tumore sind bei Koi häufig.
Kleinere Eingriffe erledigt Knüsel
jeweils direkt vor Ort. Grössere
führt er in der Klinik durch.
«Kürzlich haben wir einem Koi
eine handballgrosse Zyste aus
dem Bauch entfernt. Es ist erstaunlich, wie schnell sich die Tiere erholen. Eine halbe Stunde
später schwimmen sie, als wäre
nichts gewesen.»
Heute macht Knüsel die Wundkontrolle bei dem etwa 60 Zentimeter langen Tier: Auf der schön
FORTSETZUNG AUF SEITE 64
WissenAntarktis
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20. JANUAR 2013
Eisgekühltes Leben
MELDUNGEN
Rotstift gibt schlechte Sympathiewerte
COLORADO SPRINGS Die Farbe des Korrekturstifts hat
einen Einfluss auf das Ansehen des Lehrers aus der
Sicht des Schülers, berichten Forscher in «The
Social Science Journal». Bei roten Korrekturstiften
wurde das Lehrer-Schüler-Verhältnis im Vergleich
mit blauen Stiften als schlechter eingestuft. Die
Soziologen hatten 199 Studenten mit Rot- oder
Blaustift korrigierte Aufsätze vorgelegt und befragten sie nach den Merkmalen des fiktiven Lehrers.
Kot kann schwere Darminfektion heilen
AMSTERDAM Es klingt unappetitlich, doch für Menschen, die an einer Infektion mit dem Darmkeim
Clostrodium difficile leiden, kann eine sogenannte
Fäkal-Transplantation Wunder bewirken. Im
Rahmen einer klinischen Studie verschwanden bei
15 von 16 Behandelten die schweren Symptome wie
Durchfall, Fieber und Bauchkrämpfe, nachdem sie
Kot (und damit die Darmflora) eines gesunden
Spenders erhalten hatten. Zum Vergleich: Antibiotika heilten nur jeden vierten Behandelten.
Forscher suchen im antarktischen Whillans-See tief unter dem Gletscher nach Mikroben
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Südpol
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McMurdo-Station
1000 km
SoZ Huwi
Rätselhafte Schnabelwale gefährdet
SAN DIEGO Über keine andere Gruppe von Walen ist
so wenig bekannt wie über die Schnabelwale. Sie
leben weit draussen in den Ozeanen und verbringen
viel Zeit tauchend. Nun haben US-Forscher erstmals Langzeit-Beobachtungsdaten veröffentlicht.
Demnach hat die Zahl der Schnabelwale von 1991
bis 2008 im Pazifik abgenommen. Möglicherweise,
spekulieren die Forscher, seien Sonartests der Navy
und Schiffslärm für den Rückgang verantwortlich.
Chinas «kleine Kaiser» sind auffällig
CLAYTON (AUS) Chinesische Einzelkinder, sogenannte
kleine Kaiser, sind weniger
risikobereit, misstrauischer,
unzuverlässiger, pessimistischer, weniger gewissenhaft und scheuen
eher den Wettbewerb
als Kinder, die mit Geschwistern aufgewachsen sind. Das berichten
Forscher in «Science».
Sie liessen 400 Einwohner Pekings, die
teils vor, teils nach
Einführung der
Ein-Kind-Politik
geboren wurden,
eine Reihe
Gruppenspiele
durchführen
und analysierten das
Verhalten.
Amerikanisches Wissard-Team auf dem Weg zum Bohrloch: «In der dunklen Kälte lebt wohl eine Mikroben-Gemeinschaft»
VON JAMES GORMAN
In unberührten Süsswasserseen
tief unter dem antarktischen Eis
suchen gleich drei Forscherteams
nach Zeichen von Leben. Aber
nur eines der Teams, das US-amerikanische, hat eine reelle Chance, die seit langem dort vermuteten Mikroben zu identifizieren,
bevor die Kälte der diesjährigen
Bohrsaison in knapp einem Monat ein Ende setzen wird. Die Briten mussten wegen technischer
Probleme schon an Weihnachten
aufgeben, die Russen werden ihre
Proben erst zu einem späteren
Zeitpunkt analysieren können.
Das US-Team ist letztes Wochenende nach zweiwöchiger
Fahrt von der McMurdo-Forschungsstation bei der Bohrstelle
über dem Whillans-See angekommen (siehe Karte). Dieser befindet sich etwa 800 Meter unter
dem gleichnamigen Gletscher.
Läuft alles wie geplant, könnte
das Team schon in ein paar Wochen über allfällige Funde berichten. John Priscu von der Montana State University, der Leiter des
Projekts Wissard (Whillans Ice
Stream Subglacial Access Re-
search Drilling), ist jedenfalls zuversichtlich: «Es deutet alles darauf hin, dass dort unten in der
dunklen Kälte eine Mikroben-Gemeinschaft lebt.»
Die zwei anderen Projekte, das
britische und das russische, wollen Seen anzapfen, die beide mehr
als drei Kilometer unter der Gletscheroberfläche liegen: der Wostok-See (Russland) und der Ellsworth-See (GB). Allen drei unterirdischen Seen ist gemeinsam,
dass die dort vermuteten Lebewesen nur von Mineralien und
der Wärme des Erdinnern leben
können – die Sonne fällt als Energielieferantin weg. Zwar kennt
man auch aus der Tiefsee Organismen, die nicht auf die Fotosynthese angewiesen sind, doch tiefe
Süsswasserseen hat bislang noch
niemand erforscht.
In der Antarktis gibt es etwa
400 unterirdische Seen
Am Wostok-See haben die Russen
zehn Jahre lang versucht, das 3,5
Kilometer dicke Gletschereis zu
durchbohren, um an das Süsswasser zu gelangen, das Tausende
von Jahren von der Umwelt abgeschirmt war. Letzte Saison, kurz
vor Ende, ist es ihnen dann geglückt. Sie mussten allerdings wegen der Witterungsbedingungen
in Wostok, wo mit minus 89 Grad
Celsius die kälteste Temperatur
auf der Erde gemessen wurde,
gleich danach heimkehren.
Diese Saison sind sie zurück,
um Proben vom Seewasser zu
nehmen, das von der Seeoberfläche durch das Bohrloch nach
oben gedrungen ist. Allerdings
werden sie diese Proben erst nach
der Saison in Russland analysieren können. Zudem haben sie nur
Proben von einem einzigen Ort
des riesigen Sees, der fast halb so
gross ist wie die Schweiz.
Das US-amerikanische Projekt
unterscheidet sich vom russischen
und britischen in mehreren Punkten. So ist der Whillans-See kleiner und weniger tief als der Wostok- oder der Ellsworth-See, und
er wird schneller nachgefüllt von
anderen Wasserquellen unter dem
Eis; er ist ein Becken im Fluss
unter dem Eis. Wasser fliesst ständig in den See und aus dem See in
den Ozean. Während das Wasser
im Wostok-See alle 10 000 Jahre
und das im Ellsworth-See alle 700
Jahre ersetzt wird, beträgt diese
FOTO: NYT
Zeitspanne im Whillans-See nur
etwa 10 Jahre.
Auch der wissenschaftliche Zugang ist ein anderer. Das WissardProjekt setzt auf ein torpedoförmiges, etwa 75 Zentimeter grosses Tauchboot. Es wird über eine
anderthalb Kilometer lange Leine
ferngesteuert und soll den unterirdischen See mit all seinen Zuund Abflüssen vermessen. Mit
diesen Daten wollen die Forscher
unter anderem besser verstehen,
wie sich die Gletscher in der Antarktis bewegen und warum einige Gebiete an Gletschermasse zulegen, während andere Eis verlieren. In der Antarktis gibt es rund
400 unterirdische Seen, welche
die Bewegung der Gletscher über
ihnen beeinflussen.
Die Amerikaner wollen zudem
auch Proben aus dem Sediment
des Seebodens nehmen, um dort
nach Spuren von heutigem oder
früherem Leben zu suchen. «Wenn
man schon ein Loch durch eine so
dicke Eisschicht bohrt», sagt der
beteiligte Forscher Robin Bell von
der Columbia University, «will
man so viel wie möglich rausholen.» © «THE NEW YORK TIMES»
ÜBERSETZUNG: NIK WALTER
3 FORTSETZUNG VON SEITE 63
Ein Goldfisch auf dem OP-Tisch
zugewachsenen Naht wächst an
einer Stelle ein verdächtiger brauner Flaum. Knüsel nimmt einen
Abstrich, diagnostiziert mithilfe
des Mikroskops eine Pilzinfektion und desinfiziert die Stelle mit
Malachitgrün.
Die Behandlung kostet je nach
Aufwand zwischen 500 und 2000
Franken. Darin inbegriffen ist die
Beckenmiete von 180 bis 350
Franken monatlich, zuzüglich
eines Heizzuschlags bis zu 80
Franken. In wärmerem Wasser
heilen viele Erkrankungen bei den
wechselwarmen Tieren besser.
Ist ein Fisch diesen Aufwand
wert? Ja, findet Knüsel und geht
an den Rand eines Beckens. Sofort kommen mehrere Koi angeschwommen, einer lässt sich streicheln. Viele Besitzer hätten eine
spezielle Beziehung zu ihren Koi.
Ausserdem seien sie viel wert.
«Da lohnt sich eine Operation
auch finanziell.»
«Fischhalter sind heute sensibilisierter, wenn ein Fisch krank
wird», bestätigt Hans Gonella von
der Fischauffangstation in Zürich.
Bei Schwarmfischen wie Guppys
dagegen sind Behandlungen eine
Seltenheit. «Viele Besitzer bemerken dort gar nicht, wenn ein Fisch
krank ist. Oft gehen die Tiere einfach ein, dann werden neue gekauft», sagt Gonella.
Trotz aller Neuerungen hinkt
die Fischmedizin der Heimtiermedizin hinterher. Etliche Infektionen bei Fischen verlaufen noch
immer tödlich, die bei Koi
häufigen Leber- und Nierentumore sind inoperabel und nicht
heilbar, weiss der Fischtierarzt
Matthias Escher.
Seit 2001 betreibt er eine KoiPraxis im freiburgischen Ulmiz.
«Punkto Medikamente hat sich in
der Fischmedizin in den letzten
20 Jahren nicht viel getan.
Was bei Zierfischen hilft, wissen
MEINUNG
Martina frei REDAKTORIN
Kein Haustier
zweiter Klasse
Hunde und Katzen bringt man
selbstverständlich zum Tierarzt, wenn ihnen etwas fehlt.
Aber einen Fisch? Wer das
macht, muss mit dem Spott und
Unverständnis seiner Mitmenschen rechnen. Fische gelten
vielen als Haustiere 2. Klasse.
Doch egal, um welche Spezies
es sich handelt: Wer sich ein
Tier anschafft, ist für dessen
Wohlergehen verantwortlich.
Das heisst nicht, dass er immer
alles tun soll, was medizinisch
machbar ist. Aber er muss gut
begründen können, warum er
einem kranken Tier die
Behandlung versagt. Das
Argument «Es ist ja nur ein
Fisch» zählt dabei nicht.
Koi-Klinik (o.), Tierspital: Röntgen- und Lasertechnik für Fische
wir mehrheitlich aus Erfahrung.
Da gibt es kaum Forschung.
Wir hatten einen Behandlungsnotstand.»
Vor 2011 gab es hierzulande
zum Beispiel kein zugelassenes
Medikament zum Einschläfern
von Aquarienfischen. «Fischhalter kommen auf alle möglichen
Ideen», sagt Escher. Nelkenöl,
das früher als Fisch-Narkosemittel benützt wurde, ist noch
das harmloseste. Andere frieren
ihren Fisch ein, spülen ihn das
WC hinunter oder stecken ihn
in ein Kuvert und springen zu
zweit darauf.
Um dem abzuhelfen, haben
Escher und sein Kollege Knüsel
die wichtigsten Fischmedikamente in der Schweiz registrieren
lassen und importieren sie. «Ein
Geschäft ist das nicht», so Escher.
Von den 6000 Dosen Fishmed
Sleep zum Einschläfern beispielsweise werden sie über 2000 entsorgen müssen – sie wurden nicht
verkauft, das Verfallsdatum läuft
Ende März ab.