SUK BrahMS Dvořák - Frankfurter Orchester Gesellschaft
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SUK BrahMS Dvořák - Frankfurter Orchester Gesellschaft
SUK Meditation über den altböhmischen Choral „Svatý Václave“ op. 35a Brahms Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77 Dvořák Sinfonie Nr. 5 F-Dur op. 76 Frankfurter Orchester Gesellschaft Andrea Kim, Violine Stefan Schmitt, Dirigent Samstag, 9. Juli 2016, 19:30 Uhr Dr. Hoch‘s Konservatorium, Clara Schumann Saal, Frankfurt Lions Club Frankfurt Hessischer Löwe: Catering in der Pause zugunsten gemeinnütziger Projekte in Frankfurt Kontakt: Herausgeber: Redaktion und Text: Gestaltung und Satz: Druck: 2 Stefan Schmitt Telefon: 06196 950906 www.frankfurter-orchester-gesellschaft.de Frankfurter Orchester Gesellschaft Paul Landsiedel Ursula Peter Druckerei Adelmann, Frankfurt Josef Suk (1874 – 1935) Johannes Brahms (1833 – 1897) Meditation über den altböhmischen Choral „Svatý Václave“ op. 35a Adagio, ma con moto Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77 Allegro non troppo Adagio Allegro giocoso, ma non troppo vivace Solistin: Andrea Kim Antonin Dvořák (1841 – 1904) PAUSE Sinfonie Nr. 5 F-Dur op. 76 Allegro, ma non troppo Andante con moto Scherzo. Allegro scherzando Finale. Allegro molto 3 suk Josef Suk (1874 – 1935) Svatý Václav, „Heiliger Wenzel, des Böhmerlands Herzog, unser Fürst, bitt´ für uns beim Gott, den Heiligen Geist, Christus Eleison!“ Mit dieser Strophe beginnt der St.-Wenzels-Choral, der aus dem 12. Jahrhundert in der damals üblichen Quadratnotation überliefert ist: Wenzel von Böhmen herrschte als friedliebender Landesfürst in einer kleinen Region um Prag, bis er – vermutlich nur 21 Jahre alt geworden – am 28. September 929 Opfer einer Verschwörung wurde, die sein Bruder Boleslav I. angezettelt hatte. Schon zu Lebzeiten ein außergewöhnlicher Mensch, wurde er nach seinem Tod zu einer mystischen Figur verklärt. Wunder wurden ihm zugeschrieben, Legenden entstanden, man richtete einen Gedenktag ein, und 1729 wurde Wenzel – vom Volk schon lange als Heiliger verehrt – offiziell heiliggesprochen: „Svatý Václav“, der Beschützer und ewige Herrscher Böhmens. Zum 1000. Todestag 1929 fanden mehrtägige Feierlichkeiten statt, und im Jahr 2000 wurde der 28. September zum staatlichen Feiertag erklärt. Auch der Choral ist bis heute lebendig geblieben, hat fast den Status einer Nationalhymne. Vor diesem Hintergrund und dazu an einem denkwürdigen Tag schrieb Josef Suk die „Meditation über den altböhmischen Choral 4 SUk ‚Svatý Václave‘ op. 35“. Am 28. Juli 1914, also dem Beginn des 1. Weltkriegs, entstand aus einer altüberlieferten Melodie und vier Strophen eine Komposition, die sich kontrastreich von poetischen, beinahe lyrischen Klangpassagen bis zu dissonanten Klanglinien entwickelt. Leise und verhalten stellt die Viola, mit Dämpfer gespielt, im langsamen Zeitmaß Adagio das erste Motiv vor, nach zwei Takten kommen die anderen Streicher auch mit Dämpfern dazu, und es entwickelt sich ein immer dichter werdender Satz. Sukzessiv werden am Ende der zweiten Episode die Dämpfer abgenommen, und es beginnt ein groß angelegtes Crescendo bis zum dreifachen Forte. Die dritte Episode – die entsprechende Textzeile lautet: „Lass uns und unsere Nachkommen nicht zugrunde gehen“ – wird zu einem dynamisch und tonal expressiven Höhepunkt gesteigert, im Grenzbereich zur Atonalität, und der letzte Teil – sempre più largamente – endet pianissimo in A-Dur. Ursprünglich für Streichquartett geschrieben, hat Suk das Stück – eine Hommage an seine Heimat – später auch für Streichorchester umgearbeitet, dann als op. 35a. Josef Suk wurde am 4. Januar 1874 als Sohn eines Dorfschullehrers und Chorleiters in Krecovice (60 km südlich von Prag) geboren. Schon früh zeigt sich sein außergewöhnliches Talent: Mit acht Jahren erhält er ersten Violinunterricht und wird schon drei Jahre später am Prager Konservatorium aufgenommen. Als Antonin Dvořák 1890 dort die Kompositionsklasse übernimmt, nutzt der nun 16-Jährige die Chance, um bei dem berühmten Meister weiterzustudieren. 1892 gründet er mit drei Kommilitonen das später weltberühmte „Céske kvartet“, das „Tschechische Streichquartett“, dem er als zweiter Geiger über vierzig Jahre lang angehört. Das Studium bei Dvořák ist für Suk eine sehr intensive und auch prägende Zeit. 1891 schreibt er eine viel bestaunte Examensarbeit, sein Klavierquartett a-moll op. 1. Er arbeitet produktiv und originell, bevorzugt zum Erstaunen seines Lehrers allerdings Moll-Tonarten. 5 suk Der wohlmeinende Rat: „Es ist Sommer. Also schreiben Sie bitte etwas Heiteres“ wird umgehend befolgt, und Suk schreibt seine 4-sätzige Streicherserenade Es-Dur op. 6, die in der musikalischen Öffentlichkeit sofort begeistert aufgenommen wird. Und nicht nur das, Dvořák zeigt seinem Freund Johannes Brahms die Partitur, der urteilt kurz und knapp: „Herrgott, ist das aber nett“ und sorgt dafür, dass der Geniestreich des 18-jährigen Suk bei Fritz Simrock gedruckt wird. Das Verhältnis Lehrer – Schüler hat sich mittlerweile in eine echte Freundschaft gewandelt, der junge Mann ist gern gesehener Gast im Hause Dvořák … und verliebt sich in Otylka, die erst 14 Jahre alte Tochter. Vater Dvořák sieht die Entwicklung wohlwollend, mahnt aber zu Geduld, und für die beiden beginnt eine lange Wartezeit. Dann endlich, Otylka ist gerade 20 Jahre alt geworden, steht einer Heirat nichts mehr im Weg. Im November 1898 findet das große Fest statt, zusammen mit der Silberhochzeit der beiden Eltern, der Beginn einer glücklichen Zeit mit wachsenden Erfolgen und Anerkennung. Am 1. Mai 1904 stirbt Antonin Dvořák, ein schwerer Schicksalsschlag für die ganze Familie, und Suk vergräbt sich in die Arbeit an seiner zweiten Sinfonie in c-moll. Er gibt dem Werk den Namen des Todesengels Asrael, nach jüdischem Verständnis der Begleiter der Seelen ins Jenseits. Noch während er an der Komposition arbeitet, stirbt seine junge Frau mit nur 27 Jahren. In seiner Verzweiflung entwickelt Suk die Idee zu einem musikalischen Doppelgrabmal: Er verändert das bisher Geschriebene und fügt zwei neue Sätze hinzu. Nun hat das Werk zwei Teile: Der erste ist dem Andenken seines Lehrers und Schwiegervaters gewidmet, und der zweite erinnert an Otylka. Diese Musik – auf der Schwelle von der Spätromantik zur Moderne – beeindruckt durch große emotionale Eindringlichkeit, ist reich an bizarren Verfremdungen, harten Kontrasten, dramatischen Ausbrüchen, aber auch lyrischen Reminiszenzen; sie gehört zu den gewaltigsten Werken der tschechischen Sinfonik. 6 brahms In den folgenden Jahren ist Suk ständig mit seinem Streichquartett unterwegs, bereist ganz Europa und gibt mehr als 4000 Konzerte, und er schreibt, losgelöst vom primär harmonischen, spätromantischen Stil, deutlich moderner. Anlässlich der Aufführung seines Quartetts op. 31 beschreibt er, wie das Publikum damals auf seine Musik reagierte: „Im Jahre 1912, als mein zweites Streichquartett in Berlin gespielt wurde, entstand im Publikum ein Tumult, der nicht weit von einer Balgerei entfernt war. Auf der einen Seite Ausrufe der Bewunderung, auf der anderen Missfallenskundgebungen und Auspfeifen. Um diesen Misserfolg hat mich selbst Schönberg beneidet, der auf Misserfolge besonderen Wert legte. Ich will damit sagen, dass auch unsere Generation für ihre Ideale gekämpft hat und lange warten musste, ehe sie aufrichtige und volle Anerkennung ihrer Bestrebungen nach einer neuen Musiksprache erreichte.“ Johannes Brahms (1833 – 1897) 1853 war für Johannes Brahms ein schicksalhaftes Jahr: Er traf mit Joseph Joachim zusammen und lernte Robert und Clara Schumann kennen, erste Kontakte, aus denen sich – auch nach Robert Schumanns frühem Tod 1856 – langjährige Freundschaften entwickelten. Brahms bezog die beiden in seine kompositorische Arbeit ein, schrieb Briefe, verschickte Notenentwürfe, bat um Ratschläge und akzeptierte Kritik. Joseph Joachim, der damals berühmteste Geiger Deutschlands, auch Dirigent und Komponist, half ihm beim Instrumentieren seines ersten großen Orchesterwerks, dem 1. Klavierkonzert, und war, nachdem Brahms ihn so nachdrücklich gebeten hatte: „Streiche doch jetzt recht tüchtig in der Violinstimme und der Partitur herum! Für nichts könnte ich Dir dankbarer sein“, auch für die endgültige Fassung des Violinkonzerts mitverantwortlich. 7 brahms Im April 1878 machte Brahms, aus Italien kommend, wieder einmal Station in Pörtschach am Wörthersee. „Hier wollte ich einen Tag bleiben, als dieser gar zu schön war, noch einen, aber die Schönheit hielt an, und für´s erste bleibe ich weitere Tage ...“. In dieser Stimmung reifte das Violinkonzert. Ende August schickte er seinem Freund Joseph Joachim die Violinstimme des ersten Satzes und den Beginn des Finales mit der Ankündigung, dass „die ganze Geschichte vier Sätze“ haben solle. Einige Wochen später hatte sich Brahms jedoch für die klassische Form in drei Sätzen entschieden und schickte ihm den gesamten Solopart. Joachim schlug vor, einige besonders schwierige Stellen zu vereinfachen. Brahms war davon nur teilweise überzeugt, und es folgte ein intensives Diskutieren, das sich sogar über die Uraufführung hinaus fortsetzte. Am Neujahrstag 1879 präsentierte Joseph Joachim mit Brahms am Dirigentenpult dem gespannten Publikum im Gewandhaus das Violinkonzert, und die Leipziger Nachrichten kommentierten das Ereignis: „So konnte sich der jüngere Meister Brahms wahrhaftig keine geringere Aufgabe stellen, um seinem Freunde Joachim eine Huldigung, die dessen Höhe entsprach, darzubringen, d. h., der musste ein Werk schaffen, welches die beiden größten Violinkonzerte, von Beethoven und Mendelssohn, erreichen würde. Wir gestehen, dass wir ihre Lösung etwas mit Herzklopfen erwarteten, doch hielten wir unseren Maßstab aufrecht. Welche Freude erlebten wir doch. Brahms hat ein solch drittes Werk im Bunde geschaffen.“ Und Brahms selbst war mit dem Ergebnis sehr zufrieden: „Auch spielte Joachim mein Stück in jeder Probe schöner, und die Kadenz ist zum hiesigen Konzert so schön geworden, dass das Publikum in meine Koda hineinklatschte.“ Die Freude war allerdings nicht einhellig. Es gab auch sehr unfreundliche Kommentare: Hans von Bülow, gefeierter Pianist und Dirigent, meinte, das Stück sei nicht „für die Violine“, 8 brahms sondern „gegen die Violine“ geschrieben, der fast gleichaltrige Kollege und Geiger Henryk Wieniawski nannte es „unspielbar“, und Pablo de Sarasate, der bewunderte Violinvirtuose, wollte das Konzert nicht spielen, weil es ihn ärgerte, dass „die einzige Melodie des Stücks ausgerechnet am Beginn des langsamen Satzes der Oboe vorbehalten war.“ Andrea Kim, unsere Solistin, hat uns auf die Frage „Lieben Sie Brahms?“ geantwortet: „Dieses Konzert ist eines der schönsten und auch schwersten Violinkonzerte, die je geschrieben wurden. Allein die Länge von gut 45 Minuten, da muss man als Solist mit der kleinen Violine dem Orchester etwas entgegensetzen können. Das ist schon eine Herausforderung für jeden Geiger. Und da ich Herausforderungen sehr gern annehme, habe ich dieses Werk gewählt.“ Auf die Frage, wie sich die Probenarbeit mit der FOG entwickelt hat, sagt sie: „Ich arbeite schon seit Jahren mit der FOG zusammen. Und es macht mir immer wieder Freude mit den Laien. Musik wird wieder neu entdeckt. Das tun wir Profis auch, aber bei den Laien ist es irgendwie anders. Vielleicht nicht so selbstverständlich wie bei uns. Das macht wirklich Spaß.“ Das Stück, mit den drei Sätzen „schnell – langsam – schnell“ ganz der Konzerttradition entsprechend, beginnt mit einer sinfonisch anmutenden Orchestereinleitung, in der das musikalische Grundmaterial vorgestellt wird. Energisch präsentiert sich die Violine mit weit gespannten Bögen, Akkordbrechungen und schnellen Läufen vor einem ruhigen Orchesterhintergrund, bevor sie in hoher Lage zum ersten Mal das Hauptthema anstimmt. Im Verlauf dieses ersten Satzes – mit 571 Takten groß dimensioniert – treffen wir auf ein zweites Thema, ganz leicht, elegant instrumentiert, das raffiniert eine „Walzer-Melodik“ simuliert, und dann, markant im Rhythmus, ein echter Kontrast zu den beiden anderen, folgt das d-moll-Thema, das, auch in kleine Motive aufgespalten, immer wieder die pastorale Stimmung aufbricht. Im intensiven Dialog ist die Solo-Violine mal ganz in 9 brahms den Orchestersatz eingebunden, liegt sogar unter den 1. Geigen, umspielt mit weitgreifenden Figuren in hoher Lage die Holzbläser oder treibt in Synkopen die Entwicklung voran. Der Höhepunkt ist natürlich die Kadenz: Andrea Kim wird die Originalversion von Joseph Joachim spielen. Der 2. Satz beginnt mit dem solistischen Adagio für 10 Bläser in F-Dur: Die Oboe entwickelt über tiefgesetzten Harmonieflächen ihr träumerisch-romantisches Thema. Langsam erweitert sich der Tonraum nach oben und unten, die Bewegungen werden dichter, und am Ende führt ein sich leise einfügender Streicherakkord zum Einsatz der Solo-Violine. Die dreiteilige Liedform strukturiert Brahms mit einer chromatischen Modulation nach fis-moll, und dieser zweite Teil wird nur von den Orchesterstreichern und den wie improvisiert wirkenden Figurationen der Solo-Violine gespielt. Die Oboe bringt uns wieder zum ersten Teil zurück, der, höchst kunstvoll mit immer neuen Varianten ausgeschmückt, in einem Tuttiakkord im Pianissimo endet. In konzertantem Wechselspiel beginnen Solo-Violine und Orchester den 3. Satz – Allegro giocoso, ma non troppo vivace – mit dem markanten Thema in D-Dur. Wenn dieses Thema im Orchester zum vierten Mal auftaucht, wird es verkürzt und rhythmisch verschoben, eine oft zu beobachtende Stileigentümlichkeit bei Brahms. Danach hat die Solo-Violine sozusagen „freien Lauf“ und stürmt dem ersten Fortissimo-Höhepunkt zu, der mit einer Wiederholung des Rondo-Themas die nächste Episode vorbereitet. Dieser Teil, jetzt im Dreiviertel-Takt mit dolce piano bezeichnet, stellt einen lyrischen Kontrast zu dem streng rhythmisch orientierten ersten Thema dar. Nach einer raffinierten Überleitung erreichen wir wieder den vom Anfang her bekannten ZweiviertelTakt. Eine kurze Kadenz führt zur Stretta poco piu presto: Das Thema wird jetzt triolisch, der auftaktige Impuls verschwindet, und mit einem rasanten Orchestertutti endet das Konzert. 10 Dvořák Antonin Dvořák (1841 – 1904) Das Jahr 1875 beginnt für Dvořák sehr arbeitsintensiv, er schreibt im März das Quintett G-Dur op. 18, im April seine E-Dur-Serenade für Streicher op. 22, einen Monat später ist das B-Dur-Trio op. 21 fertig, es folgt innerhalb von vierzehn Tagen das Klavier-Quartett op. 23, und am 15. Juni beginnt er mit der Einleitung zu seiner 5. Sinfonie, die er am 23. Juli mit einem Fortissimo-Akkord beendet. Und das wäre dann eigentlich op. 24? Antonín Dvořák, das erste von neun Kindern, wuchs in Nelahozeves, einem kleinen Ort an der Moldau ca. 30 km nördlich von Prag, auf. Sein Vater betrieb dort eine Gaststätte und einen Metzgerladen, die er allerdings aufgab, nachdem ihm eine „Konzession zu erwerbsmäßiger Musikausübung in der Öffentlichkeit“ erlaubte, seinen Lebensunterhalt als Musiker zu verdienen, wie auch schon zwei seiner Brüder, ein Trompeter und ein Geiger. Die so genannte „Metzgerlegende“, immer wieder gern kolportiert, nach der Antonin Dvořák der einzige Komponist mit einer Fleischerlehre gewesen sein soll, erzeugt zwar einen eigenartigen Schauer, ist aber frei erfunden. Mit sechs Jahren geht er in die Schule und bekommt dort von seinem Lehrer, Joseph Spitz, ersten Geigenunterricht. Mit 12 wechselt er die Schule, geht nach Zlonice, um Deutsch zu lernen, und erhält beim dortigen Kantor Anton Liehmann Klavier- und Orgelunterricht – und er hört Musik von Beethoven. Während dieser Zeit spielt Antonin gelegentlich aushilfsweise Orgel, hilft in der Kapelle seines Lehrers aus und fängt an zu komponieren. Sein Ziel ist das Mekka aller böhmischen Musiker seit Jahrhunderten: Prag. Ab Oktober 1857 spielt er dort als Bratscher im Orchester des Cäcilienvereins, besucht die Orgelschule und beendet zwei Jahre später seine Ausbildung als zweitbester Absolvent. 11 Dvořák Leider kann er keine Orgelstelle bekommen, also verdient er sein Geld zunächst als Bratscher in Karl Komzáks Kapelle, die in Kaffeehäusern und auf öffentlichen Plätzen Potpourris, Ouvertüren und Tänze zum Besten gibt. 1865 werden die Musiker ins Prager Opernorchester übernommen, Dvořák steigt zum Ersten Bratscher auf und lernt hier im Theater den 17 Jahre älteren Bedřich Smetana kennen, dessen „Verkaufte Braut“ 1866 uraufgeführt wird. Dvořák gibt neben seinem Dienst auch Klavierunterricht und arbeitet an seinen Kompositionen, die er sehr selbstkritisch beurteilt: „Ich hatte Ideen“, schrieb er später, „aber ich konnte sie nicht perfekt äußern.“ Was gefällt, bleibt also vorerst in der Schublade, was nicht, wird verbrannt, aber nichts wird veröffentlicht – noch nicht. So hat er z. B. nie seine 1. Sinfonie „Die Glocken von Zlonice“, die er mit 24 Jahren geschrieben hat, gehört. Die Erstaufführung dieses großen, 50 Minuten dauernden, kunstvoll gearbeiteten Werks fand erst 1936 in Brno statt. Im Alter von 30 Jahren trifft Dvořák eine wichtige Entscheidung: Er gibt seinen sicheren Posten als Bratscher am Prager Theater auf, er will als Komponist arbeiten. In den letzten Jahren hatte er ja schon einiges geschrieben: zwei Opern, zwei Sinfonien, Lieder und allerhand Kammermusik, aber jetzt muss er – ohne feste Einkünfte – Werke schreiben, die aufgeführt werden und damit Geld einspielen. Interessant seine Strategie: Einmal versuchte er, die aktuelle politische Situation musikalisch zu interpretieren, d. h. das eigene Nationalbewusstsein, das sich durch die Distanzierung der Tschechen von Österreich gerade entwickelte, zu unterstützen. So schrieb er 1873 den Hymnus „Die Erben des Weißen Berges“, das mit der Niederlage böhmischer Aufständischer gegen die Habsburger das traumatische Ereignis in der tschechischen Geschichte thematisierte. Dieses patriotische Werk wurde in Prag enthusiastisch aufgenommen, ein erster großer Erfolg. 12 Dvořák Auf der anderen Seite faszinierte ihn die neue Musikrichtung, die von Wagner und Liszt entwickelt wurde: die Neudeutsche Schule. Ganz in diesem Sinn schrieb er – ebenfalls 1873 – die Oper „Der König und der Köhler“, hatte damit allerdings überhaupt kein Glück. Nach vier Wochen mühsamer Proben wurde das Stück, weil zu schwierig und unsingbar, vom Spielplan abgesetzt. Nach diesem Debakel organisierte Dvořák seine Schreibweise neu: Die Themen wurden „ordentlich“ exponiert, das musikalische Material überschaubar gegliedert, es gab keine gewagten Modulationen mehr, dafür verständnisfördernde Wiederholungen. Und für ihn, den „Vollblutmusiker“ in der Tradition der böhmischen Fiedler, Pfeifer und Lautenisten, war gerade die slawische Folklore eine unerschöpfliche Inspirationsquelle: Volkstanz und Volkslied, also eigentlich Alltagsmusik, wurden mit ihren charakteristischen Rhythmen, harmonischen Farben und melodischen Linien in die musikalische Struktur miteinbezogen. Seine Oper schrieb er übrigens neu und führte sie im November 1874 erfolgreich auf. Inzwischen hatte Dvořák seine Schülerin Anna Čermáková geheiratet (mit der er sechs Kinder haben wird) und versucht, seine eher unsicheren finanziellen Verhältnisse zu verbessern: Er nimmt eine Organistenstelle an der St.-Adalbert-Kirche an und unterrichtet an einer privaten Musikschule. Aber die Situation bleibt schwierig. Schließlich bemüht er sich um ein Stipendium und schickt 1874 seine Bewerbung nach Wien. Der Vorsitzende der Kommission, der einflussreiche Kritiker Eduard Hanslick, schreibt in seinen Erinnerungen, dass es „eine gar angenehme Überraschung“ gewesen sei, „als eines Tages ein Prager Bittsteller, Anton Dvořák, Proben eines intensiven, wenngleich noch unausgegorenen CompositionsTalentes einsandte.“ Und er befürwortete die Erteilung dieses staatlichen österreichischen Künstlerstipendiums mit dem Vermerk: „Anton Dvořák, 33 Jahre alt, Musiklehrer, gänzlich mittellos … Der Bittsteller, welcher sich bis heute nicht einmal ein eigenes Klavier anschaffen konnte, verdient durch ein Stipendium in seiner erdrückenden 13 Dvořák Lage erleichtert und zu einem sorgenfreien Schaffen ermuntert zu werden.“ Trotz seines nicht mehr ganz jugendlichen Alters wurde ihm das Stipendium in den folgenden fünf Jahren gewährt, und als Johannes Brahms, der 1872 nach Wien übersiedelt war, 1875 Mitglied der Stipendiumskommission wurde, begann für Antonín Dvořák ein neuer Lebensabschnitt. Brahms hatte das Potenzial seines acht Jahre jüngeren Kollegen sofort erkannt, brachte ihn mit seinem Verleger Fritz Simrock zusammen, der ihm vorschlug, eine Reihe von „nationalen Klavierwerken“ nach dem Vorbild von Brahms’ „Ungarischen Tänzen“ zu komponieren. Dvořák griff die Anregung umgehend auf, verfasste Anfang 1878 innerhalb von acht Wochen die erste Serie der „Slawischen Tänze“, arbeitete auch eine Orchesterfassung aus. Die Stücke wurden gedruckt, gespielt: Das Publikum war begeistert. So schreibt die „Times“ 1879 anlässlich eines Konzertes in London: „Was Schubert, Brahms und Liszt hinsichtlich der nationalen Weisen Ungarns getan haben, versucht Mr. Dvořák hinsichtlich derjenigen des Slawischen Teiles des österreichischen Kaiserreiches zu tun ... Er kleidet die einfachen Tanzformen des Volkes in all den Glanz brillanter Orchestration, ohne das Pikante und die Lebhaftigkeit ihres melodischen und rhythmischen Charakters zu beschneiden.“ Und Dvořák ist fleißig: Er schreibt Opern und Schauspielmusiken, Sinfonien und Orchesterwerke, Solokonzerte, Vokalwerke und Kammermusik. Er besucht siebenmal London, 1891 wird er Ehrendoktor der Universität Cambridge, ein Jahr zuvor hatte ihm bereits die Prager Universität die gleiche Ehrung verliehen, und dann erreicht ihn ein geradezu unglaubliches Angebot: „Ich soll auf 2 Jahre nach Amerika fahren! Es wird mir die Stelle des Direktors am Konservatorium und die Leitung von 10 Konzerten (eigener Kompositionen) auf 8 Monate und 4 Monate Urlaub angeboten und als Entgelt jährlich 15.000 Dollar.“ 14 Dvořák Wir wissen, wie die Geschichte weitergeht … und kommen auf das Jahr 1875 zurück und sehen diese unglaublich konzentrierte Schaffensphase in neuem Licht. Antonin Dvořák, von höchster Stelle akzeptiert und großzügig unterstützt, will der Wiener Kommission beweisen, was er kann, und schreibt, orientiert an der Traditionslinie Beethoven – Schubert – Schumann – Brahms in rascher Folge Kompositionen sehr persönlicher Prägung in einer von Folklore inspirierten musikalischen Sprache. So entsteht in gut einem Monat die 5. Sinfonie F-Dur, die, wie schon erwähnt, eigentlich op. 24 sein müsste, von Simrock allerdings – verkaufstechnische Überlegungen waren wichtiger als die Chronologie – kurzerhand zum op. 76 erklärt wurde. So werden die 6. Sinfonie op. 60 und die Siebte op. 70 irreführend als frühere Arbeiten und die Fünfte als ein Produkt der Reifezeit eingeordnet, übrigens durchaus berechtigt, denn heute gilt die F-Dur-Sinfonie als ein Schlüsselwerk der tschechischen Sinfonik. Hermann Kretschmar (1848 – 1924), ein hochdekorierter Musikwissenschaftler, hat Dvořáks Entwicklung zeitgleich miterlebt und in seinem „Führer durch den Konzertsaal“ alle neun Sinfonien in einem sehr eigenen Stil ausführlich behandelt. Zur fünften schreibt er: „Dvořáks F-Dur-Sinfonie ist zum guten Teil eine Pastoralsinfonie. Besonders trägt ihr erster Satz den Charakter einer derartigen Tondichtung. Es ist die Stimmung eines Ausmarsches am schönen Sonntagmorgen, mit dem sein erstes Thema einsetzt: munter im ersten Teil, fromm am Schluss ... die Musik ergänzt das Stimmungsbild noch durch Schilderung der äußern Natur: in den Klarinetten schlagen leise Triolenterzen an, leibhaftig dieselben, wie im ersten Satz von Beethovens Pastoralsinfonie. Es flüstert in den Bäumen. Es zirpt im Grase ... Und nun folgt eine lange Strecke, in der immer wieder in sehr regelmäßigen Abschnitten die erste Hälfte dieses Themas vorüberzieht. Es hat gerade in dieser ersten Hälfte den Charakter einfachster Signale, besteht hier 15 Dvořák nur aus Akkordnoten, gewissermaßen aus musikalischen Naturlauten, und schlägt damit eigentlich in ein Kunstfach, das die Russen und solche Männer der äußersten Linken in der neuesten Sinfoniekomposition für sich beanspruchen, von denen Dvořák in Ansprüchen und Zielen weit entfernt steht ... In Abendrot und zartem Mondenschein geht der schöne Tag, in den uns die Tondichtung versetzt, zu Ende.“ Der 2. Satz könnte möglicherweise gefährlich werden, denn Kretschmar überlegt: „Es wäre denkbar, dass der Satz und namentlich sein Schluss auf abergläubische und hysterische Zuhörer beängstigend wirkt. Dvořák trägt dem ganz ungewöhnlichen Ausgang seines langsamen Satzes noch dadurch Rechnung, dass er dem dritten Satz eine Einleitung vorausschickt, die an die Rezitative erinnert, mit denen das Finale von Beethovens Neunter beginnt ... Da schließt sich an die Fermate, die hier einem Fragezeichen gleicht, ganz unwillkürlich ein hübscher – wohl böhmischer – Walzer an, von dessen Liebenswürdigkeit der Anfang eine genügende Probe gibt.“ Zum Finale schreibt Kretschmar: „Dem Komponisten war eben daran gelegen, auch hier Schema und Schablone zu vermeiden und uns das thematische Material, mit dem er arbeitet, in seiner Entstehung und als Produkt einer Stimmungskrise zu zeigen. Aus diesem Grunde beginnt er mit den Bassrezitativen, mit Unmut und Empörung, mit den harten, an Beethoven erinnernden Unisonostreichen des gesamten Orchesters. Er bildet eine Szene der Verwirrung und Verzweiflung, die ihren Charakter am bedrohlichsten in einem hinabstürzenden Achtelunisono äußert ... und in den letzten zwölf Takten stehen wir vor dem Anfang der Sinfonie. Glänzend intoniert die Posaune das erste Thema des ersten Satzes.“ 16 Die interpreten die interpreten Andrea Eun-Jeong Kim Andrea Kim wurde im niederrheinischen Dinslaken geboren. Schon als Kind begann sie Geige zu spielen. Später studierte sie in Düsseldorf, Berlin, Lübeck und Wien bei Michael Gaiser, Thomas Brandis und Gerhard Schulz. Im Gustav Mahler Jugendorchester und als Konzertmeisterin des Jeunesses Musicales Worldorchestra konnte Andrea Kim früh wertvolle Erfahrungen sammeln. Sie arbeitete mit berühmten Dirigenten wie Claudio Abbado, Seiji Ozawa, Lorin Maazel, Kurt Masur und Paavo Järvi zusammen. In der Kombination aus Virtuosität und Emotionalität und durch ihr Engagement im Musikleben zählt Andrea Kim heute zu den bemerkenswertesten Musikerinnen ihrer Generation. Bereits während ihres Studiums gewann sie wichtige nationale und internationale Auszeichnungen. So ist Andrea Kim u. a. Preisträgerin des „Ibolyka Gyarfas“-Wettbewerbs in Berlin und war Stipendiatin und Förderpreisträgerin der Stiftung „Villa Musica“ sowie Stipendiatin des PE-Förderkreises. Im Sommer 2006 gab sie ihr Debüt als Solistin beim Schleswig Holstein Musik Festival. 2007 war sie Finalistin und Gewinnerin des Stipendiums beim Deutschen Musikwettbewerb in Berlin, und 2009 gewann sie beim Internationalen Schubert Wettbewerb in Graz mit ihrem Klavierpartner einen Sonderpreis für die beste Interpretation eines modernen Werkes. Sie ist immer wieder bei nationalen und internationalen Festivals zu Gast und konzertiert und unterrichtet regelmäßig in Seoul. 17 Die interpreten Im November 2010 gab sie ihr Solistendebüt mit dem hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Kristian Järvi bei den Kasseler Musiktagen. 2012 unterrichtete sie Masterclasses in der Western Illinois University in den USA und gastierte bei dem dortigen Orchester als Solistin. Zu ihren musikalischen Partnern gehörten u. a. Thomas Brandis, Pascal Devoyon, Ulf Hölscher, Sabine Meyer und Benjamin Rivinius. Im Frühjahr 2010 gründete Andrea Kim das Amici Ensemble Frankfurt. Das im Kern aus befreundeten Musikern der beiden großen Frankfurter Orchester – hr-Sinfonieorchester und Museumsorchester – bestehende Ensemble veranstaltet unter ihrer Leitung regelmäßig eigene Kammermusikfestivals im Rhein-Main-Gebiet und in Nordhessen, engagiert sich in Zusammenarbeit mit dem hessischen Kultusministerium in edukativen Projekten und gibt darüber hinaus Gastkonzerte. Mit dem Bratschisten Martin von der Nahmer und dem Cellisten Stefan Heinemeyer gründete sie 2016 das Heinrich-Heine-Trio. Nach ihrem Engagement als Konzertmeisterin beim Philharmonischen Orchester Lübeck und bei den Bremer Philharmonikern ist sie seit 2008 Vorspielerin der 1. Violinen im hr-Sinfonieorchester Frankfurt. Stefan Schmitt, Dirigent Stefan Schmitt studierte an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main Schulmusik, Hauptfach Gitarre bei Michael Teuchert und Dirigieren bei Professor Jirí Starek. 18 Die interpreten Frankfurter Orchester Gesellschaft 1963 entstand auf Initiative von Horst Langkamm das Orchester der Volkshochschule Frankfurt. 1989 übernahm Stefan Schmitt die Leitung. Fünf Jahre später war die Suche nach einem geeigneten Probenort der Anlass, als Träger des Orchesters den Verein „Frankfurter Orchester Gesellschaft“ zu gründen. In jeweils zwei Konzertprojekten stellt das Sinfonieorchester jedes Jahr Werke aus Klassik, Romantik und Spätromantik vor, daneben bilden Uraufführungen und die Darbietung wenig bekannter Kompositionen besondere Höhepunkte. In eigener Sache Wenn Sie mehr über das Orchester erfahren oder selbst mitspielen möchten – zurzeit sind noch einige Streicherstellen frei und auch Posaunisten sowie ein Pauker sind willkommen –, wenden Sie sich bitte an unseren Dirigenten Stefan Schmitt (Telefon 06196 950906). Weitere Informationen finden Sie auf unserer Homepage: www.frankfurter-orchester-gesellschaft.de Das Sinfonieorchester der Frankfurter Orchester Gesellschaft ist als gemeinnütziger eingetragener Verein auf die Unterstützung durch seine Mitglieder und auf Sponsoren angewiesen. Wenn Ihnen das Konzert gefallen hat und Sie unsere Arbeit fördern wollen, freuen wir uns über eine finanzielle Zuwendung, für die wir Ihnen gerne eine Spendenquittung ausstellen (IBAN: DE24 5005 0201 0000 3559 90). 19