SUK BrahMS Dvořák - Frankfurter Orchester Gesellschaft

Transcription

SUK BrahMS Dvořák - Frankfurter Orchester Gesellschaft
SUK
Meditation über den altböhmischen Choral
„Svatý Václave“ op. 35a
Brahms
Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77
Dvořák
Sinfonie Nr. 5 F-Dur op. 76
Frankfurter Orchester Gesellschaft
Andrea Kim, Violine
Stefan Schmitt, Dirigent
Samstag, 9. Juli 2016, 19:30 Uhr
Dr. Hoch‘s Konservatorium, Clara Schumann Saal, Frankfurt
Lions Club Frankfurt Hessischer Löwe: Catering in der Pause
zugunsten gemeinnütziger Projekte in Frankfurt
Kontakt:
Herausgeber: Redaktion und Text: Gestaltung und Satz: Druck: 2
Stefan Schmitt
Telefon: 06196 950906
www.frankfurter-orchester-gesellschaft.de
Frankfurter Orchester Gesellschaft
Paul Landsiedel
Ursula Peter
Druckerei Adelmann, Frankfurt
Josef Suk
(1874 – 1935)
Johannes Brahms (1833 – 1897)
Meditation über den altböhmischen Choral „Svatý Václave“ op. 35a
Adagio, ma con moto
Konzert für Violine und Orchester
D-Dur op. 77
Allegro non troppo
Adagio
Allegro giocoso, ma non troppo vivace
Solistin: Andrea Kim
Antonin Dvořák (1841 – 1904)
PAUSE
Sinfonie Nr. 5 F-Dur op. 76
Allegro, ma non troppo
Andante con moto
Scherzo. Allegro scherzando
Finale. Allegro molto
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suk
Josef Suk (1874 – 1935)
Svatý Václav, „Heiliger Wenzel, des Böhmerlands Herzog, unser
Fürst, bitt´ für uns beim Gott, den Heiligen Geist, Christus Eleison!“
Mit dieser Strophe beginnt der St.-Wenzels-Choral, der aus dem
12. Jahrhundert in der damals üblichen Quadratnotation überliefert ist:
Wenzel von Böhmen herrschte als friedliebender Landesfürst in
einer kleinen Region um Prag, bis er – vermutlich nur 21 Jahre
alt geworden – am 28. September 929 Opfer einer Verschwörung
wurde, die sein Bruder Boleslav I. angezettelt hatte. Schon zu
Lebzeiten ein außergewöhnlicher Mensch, wurde er nach seinem
Tod zu einer mystischen Figur verklärt. Wunder wurden ihm
zugeschrieben, Legenden entstanden, man richtete einen Gedenktag ein, und 1729 wurde Wenzel – vom Volk schon lange als
Heiliger verehrt – offiziell heiliggesprochen: „Svatý Václav“, der
Beschützer und ewige Herrscher Böhmens. Zum 1000. Todestag
1929 fanden mehrtägige Feierlichkeiten statt, und im Jahr 2000
wurde der 28. September zum staatlichen Feiertag erklärt. Auch
der Choral ist bis heute lebendig geblieben, hat fast den Status
einer Nationalhymne.
Vor diesem Hintergrund und dazu an einem denkwürdigen Tag
schrieb Josef Suk die „Meditation über den altböhmischen Choral
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‚Svatý Václave‘ op. 35“. Am 28. Juli 1914, also dem Beginn des
1. Weltkriegs, entstand aus einer altüberlieferten Melodie und
vier Strophen eine Komposition, die sich kontrastreich von
poetischen, beinahe lyrischen Klangpassagen bis zu dissonanten
Klanglinien entwickelt. Leise und verhalten stellt die Viola,
mit Dämpfer gespielt, im langsamen Zeitmaß Adagio das erste
Motiv vor, nach zwei Takten kommen die anderen Streicher auch
mit Dämpfern dazu, und es entwickelt sich ein immer dichter
werdender Satz. Sukzessiv werden am Ende der zweiten Episode
die Dämpfer abgenommen, und es beginnt ein groß angelegtes
Crescendo bis zum dreifachen Forte. Die dritte Episode – die
entsprechende Textzeile lautet: „Lass uns und unsere Nachkommen
nicht zugrunde gehen“ – wird zu einem dynamisch und tonal
expressiven Höhepunkt gesteigert, im Grenzbereich zur Atonalität,
und der letzte Teil – sempre più largamente – endet pianissimo
in A-Dur. Ursprünglich für Streichquartett geschrieben, hat Suk
das Stück – eine Hommage an seine Heimat – später auch für
Streichorchester umgearbeitet, dann als op. 35a.
Josef Suk wurde am 4. Januar 1874 als Sohn eines Dorfschullehrers
und Chorleiters in Krecovice (60 km südlich von Prag) geboren.
Schon früh zeigt sich sein außergewöhnliches Talent: Mit acht
Jahren erhält er ersten Violinunterricht und wird schon drei Jahre
später am Prager Konservatorium aufgenommen. Als Antonin
Dvořák 1890 dort die Kompositionsklasse übernimmt, nutzt der
nun 16-Jährige die Chance, um bei dem berühmten Meister weiterzustudieren. 1892 gründet er mit drei Kommilitonen das später
weltberühmte „Céske kvartet“, das „Tschechische Streichquartett“,
dem er als zweiter Geiger über vierzig Jahre lang angehört.
Das Studium bei Dvořák ist für Suk eine sehr intensive und auch
prägende Zeit. 1891 schreibt er eine viel bestaunte Examensarbeit,
sein Klavierquartett a-moll op. 1. Er arbeitet produktiv und originell,
bevorzugt zum Erstaunen seines Lehrers allerdings Moll-Tonarten.
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suk
Der wohlmeinende Rat: „Es ist Sommer. Also schreiben Sie bitte
etwas Heiteres“ wird umgehend befolgt, und Suk schreibt seine
4-sätzige Streicherserenade Es-Dur op. 6, die in der musikalischen
Öffentlichkeit sofort begeistert aufgenommen wird. Und nicht
nur das, Dvořák zeigt seinem Freund Johannes Brahms die
Partitur, der urteilt kurz und knapp: „Herrgott, ist das aber nett“
und sorgt dafür, dass der Geniestreich des 18-jährigen Suk bei
Fritz Simrock gedruckt wird. Das Verhältnis Lehrer – Schüler hat
sich mittlerweile in eine echte Freundschaft gewandelt, der junge
Mann ist gern gesehener Gast im Hause Dvořák … und verliebt
sich in Otylka, die erst 14 Jahre alte Tochter. Vater Dvořák sieht
die Entwicklung wohlwollend, mahnt aber zu Geduld, und für
die beiden beginnt eine lange Wartezeit. Dann endlich, Otylka ist
gerade 20 Jahre alt geworden, steht einer Heirat nichts mehr im
Weg. Im November 1898 findet das große Fest statt, zusammen mit
der Silberhochzeit der beiden Eltern, der Beginn einer glücklichen
Zeit mit wachsenden Erfolgen und Anerkennung.
Am 1. Mai 1904 stirbt Antonin Dvořák, ein schwerer Schicksalsschlag für die ganze Familie, und Suk vergräbt sich in die Arbeit
an seiner zweiten Sinfonie in c-moll. Er gibt dem Werk den
Namen des Todesengels Asrael, nach jüdischem Verständnis
der Begleiter der Seelen ins Jenseits. Noch während er an der
Komposition arbeitet, stirbt seine junge Frau mit nur 27 Jahren.
In seiner Verzweiflung entwickelt Suk die Idee zu einem
musikalischen Doppelgrabmal: Er verändert das bisher
Geschriebene und fügt zwei neue Sätze hinzu. Nun hat das
Werk zwei Teile: Der erste ist dem Andenken seines Lehrers und
Schwiegervaters gewidmet, und der zweite erinnert an Otylka.
Diese Musik – auf der Schwelle von der Spätromantik zur
Moderne – beeindruckt durch große emotionale Eindringlichkeit,
ist reich an bizarren Verfremdungen, harten Kontrasten,
dramatischen Ausbrüchen, aber auch lyrischen Reminiszenzen;
sie gehört zu den gewaltigsten Werken der tschechischen Sinfonik.
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In den folgenden Jahren ist Suk ständig mit seinem Streichquartett
unterwegs, bereist ganz Europa und gibt mehr als 4000 Konzerte,
und er schreibt, losgelöst vom primär harmonischen, spätromantischen Stil, deutlich moderner. Anlässlich der Aufführung seines
Quartetts op. 31 beschreibt er, wie das Publikum damals auf seine
Musik reagierte:
„Im Jahre 1912, als mein zweites Streichquartett in Berlin gespielt wurde,
entstand im Publikum ein Tumult, der nicht weit von einer Balgerei
entfernt war. Auf der einen Seite Ausrufe der Bewunderung, auf der
anderen Missfallenskundgebungen und Auspfeifen. Um diesen Misserfolg
hat mich selbst Schönberg beneidet, der auf Misserfolge besonderen Wert
legte. Ich will damit sagen, dass auch unsere Generation für ihre Ideale
gekämpft hat und lange warten musste, ehe sie aufrichtige und volle Anerkennung ihrer Bestrebungen nach einer neuen Musiksprache erreichte.“
Johannes Brahms (1833 – 1897)
1853 war für Johannes Brahms ein schicksalhaftes Jahr: Er traf
mit Joseph Joachim zusammen und lernte Robert und Clara
Schumann kennen, erste Kontakte, aus denen sich – auch nach
Robert Schumanns frühem Tod 1856 – langjährige Freundschaften
entwickelten. Brahms bezog die beiden in seine kompositorische
Arbeit ein, schrieb Briefe, verschickte Notenentwürfe, bat um
Ratschläge und akzeptierte Kritik. Joseph Joachim, der damals
berühmteste Geiger Deutschlands, auch Dirigent und Komponist,
half ihm beim Instrumentieren seines ersten großen Orchesterwerks, dem 1. Klavierkonzert, und war, nachdem Brahms ihn so
nachdrücklich gebeten hatte: „Streiche doch jetzt recht tüchtig in
der Violinstimme und der Partitur herum! Für nichts könnte ich Dir
dankbarer sein“, auch für die endgültige Fassung des Violinkonzerts
mitverantwortlich.
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brahms
Im April 1878 machte Brahms, aus Italien kommend, wieder
einmal Station in Pörtschach am Wörthersee. „Hier wollte ich einen
Tag bleiben, als dieser gar zu schön war, noch einen, aber die Schönheit
hielt an, und für´s erste bleibe ich weitere Tage ...“. In dieser Stimmung
reifte das Violinkonzert. Ende August schickte er seinem Freund
Joseph Joachim die Violinstimme des ersten Satzes und den Beginn
des Finales mit der Ankündigung, dass „die ganze Geschichte vier
Sätze“ haben solle. Einige Wochen später hatte sich Brahms jedoch
für die klassische Form in drei Sätzen entschieden und schickte
ihm den gesamten Solopart. Joachim schlug vor, einige besonders
schwierige Stellen zu vereinfachen. Brahms war davon nur
teilweise überzeugt, und es folgte ein intensives Diskutieren, das
sich sogar über die Uraufführung hinaus fortsetzte.
Am Neujahrstag 1879 präsentierte Joseph Joachim mit Brahms
am Dirigentenpult dem gespannten Publikum im Gewandhaus
das Violinkonzert, und die Leipziger Nachrichten kommentierten
das Ereignis:
„So konnte sich der jüngere Meister Brahms wahrhaftig keine geringere
Aufgabe stellen, um seinem Freunde Joachim eine Huldigung, die
dessen Höhe entsprach, darzubringen, d. h., der musste ein Werk
schaffen, welches die beiden größten Violinkonzerte, von Beethoven und
Mendelssohn, erreichen würde. Wir gestehen, dass wir ihre Lösung etwas
mit Herzklopfen erwarteten, doch hielten wir unseren Maßstab aufrecht.
Welche Freude erlebten wir doch. Brahms hat ein solch drittes Werk im
Bunde geschaffen.“ Und Brahms selbst war mit dem Ergebnis sehr
zufrieden: „Auch spielte Joachim mein Stück in jeder Probe schöner,
und die Kadenz ist zum hiesigen Konzert so schön geworden, dass das
Publikum in meine Koda hineinklatschte.“
Die Freude war allerdings nicht einhellig. Es gab auch sehr
unfreundliche Kommentare: Hans von Bülow, gefeierter Pianist
und Dirigent, meinte, das Stück sei nicht „für die Violine“,
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sondern „gegen die Violine“ geschrieben, der fast gleichaltrige
Kollege und Geiger Henryk Wieniawski nannte es „unspielbar“,
und Pablo de Sarasate, der bewunderte Violinvirtuose, wollte das
Konzert nicht spielen, weil es ihn ärgerte, dass „die einzige Melodie
des Stücks ausgerechnet am Beginn des langsamen Satzes der Oboe
vorbehalten war.“
Andrea Kim, unsere Solistin, hat uns auf die Frage „Lieben Sie
Brahms?“ geantwortet: „Dieses Konzert ist eines der schönsten und
auch schwersten Violinkonzerte, die je geschrieben wurden. Allein die
Länge von gut 45 Minuten, da muss man als Solist mit der kleinen
Violine dem Orchester etwas entgegensetzen können. Das ist schon eine
Herausforderung für jeden Geiger. Und da ich Herausforderungen sehr
gern annehme, habe ich dieses Werk gewählt.“ Auf die Frage, wie sich
die Probenarbeit mit der FOG entwickelt hat, sagt sie: „Ich arbeite
schon seit Jahren mit der FOG zusammen. Und es macht mir immer
wieder Freude mit den Laien. Musik wird wieder neu entdeckt. Das tun
wir Profis auch, aber bei den Laien ist es irgendwie anders. Vielleicht nicht
so selbstverständlich wie bei uns. Das macht wirklich Spaß.“
Das Stück, mit den drei Sätzen „schnell – langsam – schnell“ ganz
der Konzerttradition entsprechend, beginnt mit einer sinfonisch
anmutenden Orchestereinleitung, in der das musikalische
Grundmaterial vorgestellt wird. Energisch präsentiert sich die
Violine mit weit gespannten Bögen, Akkordbrechungen und
schnellen Läufen vor einem ruhigen Orchesterhintergrund, bevor
sie in hoher Lage zum ersten Mal das Hauptthema anstimmt.
Im Verlauf dieses ersten Satzes – mit 571 Takten groß dimensioniert
– treffen wir auf ein zweites Thema, ganz leicht, elegant
instrumentiert, das raffiniert eine „Walzer-Melodik“ simuliert,
und dann, markant im Rhythmus, ein echter Kontrast zu den
beiden anderen, folgt das d-moll-Thema, das, auch in kleine
Motive aufgespalten, immer wieder die pastorale Stimmung
aufbricht. Im intensiven Dialog ist die Solo-Violine mal ganz in
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brahms
den Orchestersatz eingebunden, liegt sogar unter den 1. Geigen,
umspielt mit weitgreifenden Figuren in hoher Lage die Holzbläser
oder treibt in Synkopen die Entwicklung voran. Der Höhepunkt
ist natürlich die Kadenz: Andrea Kim wird die Originalversion von
Joseph Joachim spielen.
Der 2. Satz beginnt mit dem solistischen Adagio für 10 Bläser in
F-Dur: Die Oboe entwickelt über tiefgesetzten Harmonieflächen
ihr träumerisch-romantisches Thema. Langsam erweitert sich der
Tonraum nach oben und unten, die Bewegungen werden dichter,
und am Ende führt ein sich leise einfügender Streicherakkord
zum Einsatz der Solo-Violine. Die dreiteilige Liedform strukturiert
Brahms mit einer chromatischen Modulation nach fis-moll, und
dieser zweite Teil wird nur von den Orchesterstreichern und den
wie improvisiert wirkenden Figurationen der Solo-Violine gespielt.
Die Oboe bringt uns wieder zum ersten Teil zurück, der, höchst
kunstvoll mit immer neuen Varianten ausgeschmückt, in einem
Tuttiakkord im Pianissimo endet.
In konzertantem Wechselspiel beginnen Solo-Violine und Orchester
den 3. Satz – Allegro giocoso, ma non troppo vivace – mit dem
markanten Thema in D-Dur. Wenn dieses Thema im Orchester
zum vierten Mal auftaucht, wird es verkürzt und rhythmisch
verschoben, eine oft zu beobachtende Stileigentümlichkeit bei
Brahms. Danach hat die Solo-Violine sozusagen „freien Lauf“
und stürmt dem ersten Fortissimo-Höhepunkt zu, der mit einer
Wiederholung des Rondo-Themas die nächste Episode vorbereitet.
Dieser Teil, jetzt im Dreiviertel-Takt mit dolce piano bezeichnet,
stellt einen lyrischen Kontrast zu dem streng rhythmisch
orientierten ersten Thema dar. Nach einer raffinierten Überleitung
erreichen wir wieder den vom Anfang her bekannten ZweiviertelTakt. Eine kurze Kadenz führt zur Stretta poco piu presto: Das
Thema wird jetzt triolisch, der auftaktige Impuls verschwindet,
und mit einem rasanten Orchestertutti endet das Konzert.
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Dvořák
Antonin Dvořák (1841 – 1904)
Das Jahr 1875 beginnt für Dvořák sehr arbeitsintensiv, er schreibt
im März das Quintett G-Dur op. 18, im April seine E-Dur-Serenade
für Streicher op. 22, einen Monat später ist das B-Dur-Trio op. 21
fertig, es folgt innerhalb von vierzehn Tagen das Klavier-Quartett
op. 23, und am 15. Juni beginnt er mit der Einleitung zu seiner
5. Sinfonie, die er am 23. Juli mit einem Fortissimo-Akkord
beendet. Und das wäre dann eigentlich op. 24?
Antonín Dvořák, das erste von neun Kindern, wuchs in
Nelahozeves, einem kleinen Ort an der Moldau ca. 30 km nördlich von Prag, auf. Sein Vater betrieb dort eine Gaststätte und
einen Metzgerladen, die er allerdings aufgab, nachdem ihm
eine „Konzession zu erwerbsmäßiger Musikausübung in der
Öffentlichkeit“ erlaubte, seinen Lebensunterhalt als Musiker zu
verdienen, wie auch schon zwei seiner Brüder, ein Trompeter und
ein Geiger. Die so genannte „Metzgerlegende“, immer wieder
gern kolportiert, nach der Antonin Dvořák der einzige Komponist
mit einer Fleischerlehre gewesen sein soll, erzeugt zwar einen
eigenartigen Schauer, ist aber frei erfunden.
Mit sechs Jahren geht er in die Schule und bekommt dort von
seinem Lehrer, Joseph Spitz, ersten Geigenunterricht. Mit 12
wechselt er die Schule, geht nach Zlonice, um Deutsch zu lernen,
und erhält beim dortigen Kantor Anton Liehmann Klavier- und
Orgelunterricht – und er hört Musik von Beethoven. Während
dieser Zeit spielt Antonin gelegentlich aushilfsweise Orgel, hilft in
der Kapelle seines Lehrers aus und fängt an zu komponieren. Sein
Ziel ist das Mekka aller böhmischen Musiker seit Jahrhunderten:
Prag. Ab Oktober 1857 spielt er dort als Bratscher im Orchester des
Cäcilienvereins, besucht die Orgelschule und beendet zwei Jahre
später seine Ausbildung als zweitbester Absolvent.
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Dvořák
Leider kann er keine Orgelstelle bekommen, also verdient er
sein Geld zunächst als Bratscher in Karl Komzáks Kapelle, die in
Kaffeehäusern und auf öffentlichen Plätzen Potpourris, Ouvertüren
und Tänze zum Besten gibt. 1865 werden die Musiker ins Prager
Opernorchester übernommen, Dvořák steigt zum Ersten Bratscher
auf und lernt hier im Theater den 17 Jahre älteren Bedřich Smetana
kennen, dessen „Verkaufte Braut“ 1866 uraufgeführt wird. Dvořák
gibt neben seinem Dienst auch Klavierunterricht und arbeitet an
seinen Kompositionen, die er sehr selbstkritisch beurteilt:
„Ich hatte Ideen“, schrieb er später, „aber ich konnte sie nicht perfekt
äußern.“ Was gefällt, bleibt also vorerst in der Schublade, was nicht,
wird verbrannt, aber nichts wird veröffentlicht – noch nicht.
So hat er z. B. nie seine 1. Sinfonie „Die Glocken von Zlonice“,
die er mit 24 Jahren geschrieben hat, gehört. Die Erstaufführung
dieses großen, 50 Minuten dauernden, kunstvoll gearbeiteten
Werks fand erst 1936 in Brno statt.
Im Alter von 30 Jahren trifft Dvořák eine wichtige Entscheidung:
Er gibt seinen sicheren Posten als Bratscher am Prager Theater
auf, er will als Komponist arbeiten. In den letzten Jahren hatte er
ja schon einiges geschrieben: zwei Opern, zwei Sinfonien, Lieder
und allerhand Kammermusik, aber jetzt muss er – ohne feste
Einkünfte – Werke schreiben, die aufgeführt werden und damit
Geld einspielen.
Interessant seine Strategie: Einmal versuchte er, die aktuelle
politische Situation musikalisch zu interpretieren, d. h. das eigene
Nationalbewusstsein, das sich durch die Distanzierung der
Tschechen von Österreich gerade entwickelte, zu unterstützen.
So schrieb er 1873 den Hymnus „Die Erben des Weißen Berges“,
das mit der Niederlage böhmischer Aufständischer gegen die
Habsburger das traumatische Ereignis in der tschechischen
Geschichte thematisierte. Dieses patriotische Werk wurde in Prag
enthusiastisch aufgenommen, ein erster großer Erfolg.
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Dvořák
Auf der anderen Seite faszinierte ihn die neue Musikrichtung, die
von Wagner und Liszt entwickelt wurde: die Neudeutsche Schule.
Ganz in diesem Sinn schrieb er – ebenfalls 1873 – die Oper „Der
König und der Köhler“, hatte damit allerdings überhaupt kein
Glück. Nach vier Wochen mühsamer Proben wurde das Stück,
weil zu schwierig und unsingbar, vom Spielplan abgesetzt. Nach
diesem Debakel organisierte Dvořák seine Schreibweise neu: Die
Themen wurden „ordentlich“ exponiert, das musikalische Material
überschaubar gegliedert, es gab keine gewagten Modulationen
mehr, dafür verständnisfördernde Wiederholungen. Und für ihn,
den „Vollblutmusiker“ in der Tradition der böhmischen Fiedler,
Pfeifer und Lautenisten, war gerade die slawische Folklore eine
unerschöpfliche Inspirationsquelle: Volkstanz und Volkslied, also
eigentlich Alltagsmusik, wurden mit ihren charakteristischen
Rhythmen, harmonischen Farben und melodischen Linien in
die musikalische Struktur miteinbezogen. Seine Oper schrieb er
übrigens neu und führte sie im November 1874 erfolgreich auf.
Inzwischen hatte Dvořák seine Schülerin Anna Čermáková
geheiratet (mit der er sechs Kinder haben wird) und versucht, seine eher unsicheren finanziellen Verhältnisse zu verbessern: Er nimmt eine Organistenstelle an der St.-Adalbert-Kirche an und
unterrichtet an einer privaten Musikschule. Aber die Situation
bleibt schwierig. Schließlich bemüht er sich um ein Stipendium
und schickt 1874 seine Bewerbung nach Wien. Der Vorsitzende der
Kommission, der einflussreiche Kritiker Eduard Hanslick, schreibt
in seinen Erinnerungen, dass es „eine gar angenehme Überraschung“
gewesen sei, „als eines Tages ein Prager Bittsteller, Anton Dvořák,
Proben eines intensiven, wenngleich noch unausgegorenen CompositionsTalentes einsandte.“ Und er befürwortete die Erteilung dieses
staatlichen österreichischen Künstlerstipendiums mit dem Vermerk:
„Anton Dvořák, 33 Jahre alt, Musiklehrer, gänzlich mittellos … Der
Bittsteller, welcher sich bis heute nicht einmal ein eigenes Klavier
anschaffen konnte, verdient durch ein Stipendium in seiner erdrückenden
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Dvořák
Lage erleichtert und zu einem sorgenfreien Schaffen ermuntert zu
werden.“ Trotz seines nicht mehr ganz jugendlichen Alters wurde
ihm das Stipendium in den folgenden fünf Jahren gewährt, und
als Johannes Brahms, der 1872 nach Wien übersiedelt war, 1875
Mitglied der Stipendiumskommission wurde, begann für Antonín
Dvořák ein neuer Lebensabschnitt. Brahms hatte das Potenzial
seines acht Jahre jüngeren Kollegen sofort erkannt, brachte ihn
mit seinem Verleger Fritz Simrock zusammen, der ihm vorschlug,
eine Reihe von „nationalen Klavierwerken“ nach dem Vorbild von
Brahms’ „Ungarischen Tänzen“ zu komponieren. Dvořák griff die
Anregung umgehend auf, verfasste Anfang 1878 innerhalb von
acht Wochen die erste Serie der „Slawischen Tänze“, arbeitete auch
eine Orchesterfassung aus. Die Stücke wurden gedruckt, gespielt:
Das Publikum war begeistert.
So schreibt die „Times“ 1879 anlässlich eines Konzertes in London:
„Was Schubert, Brahms und Liszt hinsichtlich der nationalen Weisen
Ungarns getan haben, versucht Mr. Dvořák hinsichtlich derjenigen
des Slawischen Teiles des österreichischen Kaiserreiches zu tun ... Er
kleidet die einfachen Tanzformen des Volkes in all den Glanz brillanter
Orchestration, ohne das Pikante und die Lebhaftigkeit ihres melodischen
und rhythmischen Charakters zu beschneiden.“
Und Dvořák ist fleißig: Er schreibt Opern und Schauspielmusiken,
Sinfonien und Orchesterwerke, Solokonzerte, Vokalwerke und
Kammermusik. Er besucht siebenmal London, 1891 wird er
Ehrendoktor der Universität Cambridge, ein Jahr zuvor hatte ihm bereits die Prager Universität die gleiche Ehrung verliehen,
und dann erreicht ihn ein geradezu unglaubliches Angebot: „Ich soll auf 2 Jahre nach Amerika fahren! Es wird mir die Stelle des
Direktors am Konservatorium und die Leitung von 10 Konzerten
(eigener Kompositionen) auf 8 Monate und 4 Monate Urlaub angeboten
und als Entgelt jährlich 15.000 Dollar.“
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Dvořák
Wir wissen, wie die Geschichte weitergeht … und kommen auf
das Jahr 1875 zurück und sehen diese unglaublich konzentrierte
Schaffensphase in neuem Licht. Antonin Dvořák, von höchster
Stelle akzeptiert und großzügig unterstützt, will der Wiener
Kommission beweisen, was er kann, und schreibt, orientiert an
der Traditionslinie Beethoven – Schubert – Schumann – Brahms
in rascher Folge Kompositionen sehr persönlicher Prägung
in einer von Folklore inspirierten musikalischen Sprache. So
entsteht in gut einem Monat die 5. Sinfonie F-Dur, die, wie schon
erwähnt, eigentlich op. 24 sein müsste, von Simrock allerdings
– verkaufstechnische Überlegungen waren wichtiger als die
Chronologie – kurzerhand zum op. 76 erklärt wurde. So werden
die 6. Sinfonie op. 60 und die Siebte op. 70 irreführend als frühere
Arbeiten und die Fünfte als ein Produkt der Reifezeit eingeordnet,
übrigens durchaus berechtigt, denn heute gilt die F-Dur-Sinfonie
als ein Schlüsselwerk der tschechischen Sinfonik.
Hermann Kretschmar (1848 – 1924), ein hochdekorierter Musikwissenschaftler, hat Dvořáks Entwicklung zeitgleich miterlebt
und in seinem „Führer durch den Konzertsaal“ alle neun Sinfonien
in einem sehr eigenen Stil ausführlich behandelt. Zur fünften
schreibt er:
„Dvořáks F-Dur-Sinfonie ist zum guten Teil eine Pastoralsinfonie.
Besonders trägt ihr erster Satz den Charakter einer derartigen
Tondichtung. Es ist die Stimmung eines Ausmarsches am schönen
Sonntagmorgen, mit dem sein erstes Thema einsetzt: munter im ersten
Teil, fromm am Schluss ... die Musik ergänzt das Stimmungsbild noch
durch Schilderung der äußern Natur: in den Klarinetten schlagen leise
Triolenterzen an, leibhaftig dieselben, wie im ersten Satz von Beethovens
Pastoralsinfonie. Es flüstert in den Bäumen. Es zirpt im Grase ... Und
nun folgt eine lange Strecke, in der immer wieder in sehr regelmäßigen
Abschnitten die erste Hälfte dieses Themas vorüberzieht. Es hat gerade
in dieser ersten Hälfte den Charakter einfachster Signale, besteht hier
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Dvořák
nur aus Akkordnoten, gewissermaßen aus musikalischen Naturlauten,
und schlägt damit eigentlich in ein Kunstfach, das die Russen und solche
Männer der äußersten Linken in der neuesten Sinfoniekomposition für
sich beanspruchen, von denen Dvořák in Ansprüchen und Zielen weit
entfernt steht ... In Abendrot und zartem Mondenschein geht der schöne
Tag, in den uns die Tondichtung versetzt, zu Ende.“
Der 2. Satz könnte möglicherweise gefährlich werden, denn
Kretschmar überlegt: „Es wäre denkbar, dass der Satz und namentlich
sein Schluss auf abergläubische und hysterische Zuhörer beängstigend
wirkt. Dvořák trägt dem ganz ungewöhnlichen Ausgang seines
langsamen Satzes noch dadurch Rechnung, dass er dem dritten Satz
eine Einleitung vorausschickt, die an die Rezitative erinnert, mit denen
das Finale von Beethovens Neunter beginnt ... Da schließt sich an die
Fermate, die hier einem Fragezeichen gleicht, ganz unwillkürlich ein
hübscher – wohl böhmischer – Walzer an, von dessen Liebenswürdigkeit
der Anfang eine genügende Probe gibt.“
Zum Finale schreibt Kretschmar: „Dem Komponisten war eben daran
gelegen, auch hier Schema und Schablone zu vermeiden und uns das
thematische Material, mit dem er arbeitet, in seiner Entstehung und als
Produkt einer Stimmungskrise zu zeigen. Aus diesem Grunde beginnt er
mit den Bassrezitativen, mit Unmut und Empörung, mit den harten, an
Beethoven erinnernden Unisonostreichen des gesamten Orchesters. Er
bildet eine Szene der Verwirrung und Verzweiflung, die ihren Charakter
am bedrohlichsten in einem hinabstürzenden Achtelunisono äußert ...
und in den letzten zwölf Takten stehen wir vor dem Anfang der Sinfonie.
Glänzend intoniert die Posaune das erste Thema des ersten Satzes.“
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Die interpreten
die interpreten
Andrea Eun-Jeong Kim
Andrea Kim wurde im niederrheinischen
Dinslaken geboren. Schon als Kind
begann sie Geige zu spielen. Später
studierte sie in Düsseldorf, Berlin,
Lübeck und Wien bei Michael Gaiser,
Thomas Brandis und Gerhard Schulz. Im
Gustav Mahler Jugendorchester und als
Konzertmeisterin des Jeunesses Musicales
Worldorchestra konnte Andrea Kim
früh wertvolle Erfahrungen sammeln.
Sie arbeitete mit berühmten Dirigenten wie Claudio Abbado, Seiji
Ozawa, Lorin Maazel, Kurt Masur und Paavo Järvi zusammen.
In der Kombination aus Virtuosität und Emotionalität und durch
ihr Engagement im Musikleben zählt Andrea Kim heute zu den
bemerkenswertesten Musikerinnen ihrer Generation.
Bereits während ihres Studiums gewann sie wichtige nationale
und internationale Auszeichnungen. So ist Andrea Kim u. a.
Preisträgerin des „Ibolyka Gyarfas“-Wettbewerbs in Berlin und
war Stipendiatin und Förderpreisträgerin der Stiftung „Villa
Musica“ sowie Stipendiatin des PE-Förderkreises. Im Sommer
2006 gab sie ihr Debüt als Solistin beim Schleswig Holstein Musik
Festival. 2007 war sie Finalistin und Gewinnerin des Stipendiums
beim Deutschen Musikwettbewerb in Berlin, und 2009 gewann
sie beim Internationalen Schubert Wettbewerb in Graz mit ihrem
Klavierpartner einen Sonderpreis für die beste Interpretation
eines modernen Werkes. Sie ist immer wieder bei nationalen und
internationalen Festivals zu Gast und konzertiert und unterrichtet
regelmäßig in Seoul.
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Die interpreten
Im November 2010 gab sie ihr Solistendebüt mit dem hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Kristian Järvi bei den Kasseler
Musiktagen. 2012 unterrichtete sie Masterclasses in der Western
Illinois University in den USA und gastierte bei dem dortigen
Orchester als Solistin. Zu ihren musikalischen Partnern gehörten
u. a. Thomas Brandis, Pascal Devoyon, Ulf Hölscher, Sabine Meyer
und Benjamin Rivinius.
Im Frühjahr 2010 gründete Andrea Kim das Amici Ensemble
Frankfurt. Das im Kern aus befreundeten Musikern der beiden
großen Frankfurter Orchester – hr-Sinfonieorchester und
Museumsorchester – bestehende Ensemble veranstaltet unter
ihrer Leitung regelmäßig eigene Kammermusikfestivals im
Rhein-Main-Gebiet und in Nordhessen, engagiert sich in
Zusammenarbeit mit dem hessischen Kultusministerium in
edukativen Projekten und gibt darüber hinaus Gastkonzerte.
Mit dem Bratschisten Martin von der Nahmer und dem Cellisten
Stefan Heinemeyer gründete sie 2016 das Heinrich-Heine-Trio.
Nach ihrem Engagement als Konzertmeisterin beim
Philharmonischen Orchester Lübeck und bei den Bremer
Philharmonikern ist sie seit 2008 Vorspielerin der 1. Violinen
im hr-Sinfonieorchester Frankfurt.
Stefan Schmitt, Dirigent
Stefan Schmitt studierte an der Hochschule für Musik und
Darstellende Kunst in Frankfurt am Main Schulmusik, Hauptfach
Gitarre bei Michael Teuchert und Dirigieren bei Professor Jirí Starek.
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Die interpreten
Frankfurter Orchester Gesellschaft
1963 entstand auf Initiative von Horst Langkamm das Orchester
der Volkshochschule Frankfurt. 1989 übernahm Stefan Schmitt
die Leitung. Fünf Jahre später war die Suche nach einem
geeigneten Probenort der Anlass, als Träger des Orchesters den
Verein „Frankfurter Orchester Gesellschaft“ zu gründen.
In jeweils zwei Konzertprojekten stellt das Sinfonieorchester jedes
Jahr Werke aus Klassik, Romantik und Spätromantik vor, daneben
bilden Uraufführungen und die Darbietung wenig bekannter
Kompositionen besondere Höhepunkte.
In eigener Sache
Wenn Sie mehr über das Orchester erfahren oder selbst mitspielen möchten – zurzeit sind noch einige
Streicherstellen frei und auch Posaunisten sowie ein Pauker sind willkommen –, wenden Sie sich bitte an unseren Dirigenten Stefan Schmitt (Telefon 06196 950906).
Weitere Informationen finden Sie auf unserer Homepage:
www.frankfurter-orchester-gesellschaft.de
Das Sinfonieorchester der Frankfurter Orchester Gesellschaft
ist als gemeinnütziger eingetragener Verein auf die Unterstützung durch seine Mitglieder und auf Sponsoren
angewiesen. Wenn Ihnen das Konzert gefallen hat und Sie
unsere Arbeit fördern wollen, freuen wir uns über eine
finanzielle Zuwendung, für die wir Ihnen gerne eine Spendenquittung ausstellen (IBAN: DE24 5005 0201 0000 3559 90).
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