Interview mit Erna Ómarsdóttir
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Interview mit Erna Ómarsdóttir
62 — Erna ÓmarsdÓttir 63 — WE saW monstErs 1 2 3 6 7 — — — — — ForEign aFFairs 2012 bErlinEr FEstspiElE Ich ertrage es nicht, wenn etwas nicht perfekt ist Die Tänzerin und Choreografin Erna Ómarsdóttir über Körperprothesen, die Lust an Horrorfilmen und den Traum von einer eigenen Company Das Gespräch führte Christina Tilmann. Übersetzung von Karen Witthuhn/Transfiction Erna Ómarsdóttir, in Ihren Performances kombinieren Sie Musik und Tanz, Stimme und Körper. Sie treten als Tänzerin und Sängerin auf. Ist das derselbe Impuls, die gleiche Energie? Singen und Schreien sind für mich sehr körperlich, man setzt dabei alle Muskeln ein. Einen lauten Schrei aus zustoßen ist ein ungemein körperlicher Akt. Das ist mit dem Tanz eng verbunden: Ich kann nicht tanzen, ohne auch meine Stimme und meinen Atem einzusetzen, der Tanz bekommt dadurch eine weitere Ebene. Stimme und Körper gehören einfach zusammen. Für die Musiker ist es das Gleiche: Manchmal improvisieren Valdimar Jóhannsson und die anderen im Studio zu dem, was wir machen, dabei inspirieren wir uns gegenseitig. Aber in We saw monsters habe ich sie außerdem gezwungen zu tanzen. Valdimar probiert gerne Neues aus, auch das Singen hat er sich selbst beigebracht. Auch in den Geschichten, die wir in We saw monsters benutzen: All dieses Geschichten sind wahr, wie die von dem Mann in Deutschland, der im Internet jemand such te, um ihn zu essen. Diesen Sommer kam eine andere Geschichte aus Kanada, wo jemand einen Mann in Ein zelteile zerlegt und an verschiedene Universitäten geschickt hat … Wenn man sich diese Kannibalismus Fälle so ansieht, scheint gerade irgendetwas in unserer verrückten Welt zu passieren – oder vielleicht war das schon immer so?! Viele Menschen finden keine Befriedi gung mehr in einfachen Dingen, also suchen sie an scheinend nach etwas Neuem. Um das zu zeigen, setzen wir diesen BMovieEffekt ein. Ist das Singen bei We saw monsters anders als bei den Konzerten mit Ihrer Band? In Australien habe ich an einem Stück für eine dortige Gruppe gearbeitet und gedacht: Warum machen wir nicht mal ein Stück über den Horror an sich? Meine 5jährige Nichte hat dann für mich ein wunderschönes Lied auf Cassette aufgenommen, das mit »Vit saum skrimsli«, auf Englisch »We saw monsters«, endete. Den Titel gab es also von Anfang an. Ja, und auch eine Menge Liebe. Unschuld, die sich in ein Monster verwandelt. Und die Idee des Mutterseins: Als wir an diesem Stück gearbeitet haben, war ich gerade schwanger und fand diesen neuen Zustand sehr interes sant, also habe ich ihn für das Stück genutzt. Dieses kleine, unschuldige Etwas wächst in einem, natürlich kommen da Ängste auf, wie bei Rosemary’s Baby, man macht sich Sorgen und kommt auf alle möglichen komischen Ideen, manchmal ist das wie ein Horrortrip. Hinzu kommt die Vorstellung von dem Monster in uns allen. Und vom getarnten Monster – vielleicht ist sogar dein freundlicher Nachbar eines. Und es gibt auch Monster, die glauben, sie würden Gutes und Schönes tun, wenn sie eigentlich etwas Furchtbares tun. Im Stück ist das die Geschichte dieses Arztes, der glaubt, der Menschheit einen großen Dienst zu erweisen, in dem er schreckliche Experimente an Zwillingen durch führt. Wie in der Kosmetikindustrie, wo in manchen in China hergestellten Anti AgingCremes menschliches Kollagen verwendet wird, das von Gefangenen oder abgetriebenen Föten stammt. Auch das ist monströs. Kennen Sie die mexikanische Künstlerin Teresa Margolles, die eine ganze Wand mit menschlichem Fett bemalt hatte, das Frauen bei Schönheitsoperationen abgesaugt worden war – es sah wunderschön aus und schimmerte golden, dann erfuhr man, was es war, und fand es absolut eklig … Das wusste ich nicht. Aber in unserer Arbeit geht es oft darum, aus etwas Schrecklichem oder Angstein flößendem Kunst zu machen, und manchmal gelingt es uns, aus diesen furchterregenden Dingen etwas Poetisches und Schönes entstehen zu lassen. Künstlerische Leitung – Erna Ómarsdóttir Konzept – Erna Ómarsdóttir, Valdimar Jóhannsson Musik – Valdimar Jóhannsson Kostüme – Gabríela Friđriksdóttir, Hrafnhildur Hólmgeirsdóttir Dramaturgie – Karen María Jónsdóttir Lichtdesign – Larus Björnsson and Sylvain Rausa Ton – Lieven Dousselaere Produktionsleitung – Esther WelgerBarboza Das sind alles Verlängerungen. Es fing damit an, dass wir bei einem Freund zu Besuch waren und ich mir etwas zu essen holen wollte. Ich ging also in die Küche und stieß auf diese sehr schön gemachte Plastikhand auf dem Kühlschrank. Ich habe nur noch geschrien. Der Freund stellt Prothesen für Horrorfilme her, und ich habe ihn gebeten, für mich ganz viele Arme zu machen. Die haben wir im Paradiesbild am Ende benutzt, wir hatten die Uraufführung am Isländischen National theater, und konnten für das Bühnenbild alle möglichen Dinge benutzen, die wir dort gefunden haben. Aber in dem Stück ist auch viel Zärtlichkeit, viel Poesie. Zum Beispiel in der Szene, wenn der Tod mit seinem Opfer spielt wie eine Katze mit der Maus … 67 — Haar fasziniert mich – es kann ein bisschen eklig sein, vor allem, wenn man drüber nachdenkt, dass Haare und Nägel nach dem Tod noch eine Weile weiterwachsen… Außerdem hat das hat auch mit den Horrorfilmen und ihrer Ästhetik zu tun: immer kommen Haare vor, zum Beispiel in den japanischen Filmen wie The Ring, oder die kleinen, blonden Mädchen in Kubricks Shining. Zu erst hatten wir nur eine Langhaarperücke für eine Tänzerin gekauft, die kurze Haare hatte, aber dann merkten wir, was sich damit alles machen lässt. Ich fand das wunderschön, aber auch etwas eklig. Ein Leben ohne singen und tanzen kann ich mir nicht vorstellen, ich wäre zutiefst unglücklich. Schon als Kind habe ich gerne gesungen, aber immer leicht schief, und meine Mutter meinte: Tanz lieber. Sing nicht. Du kannst gut tanzen, aber nicht singen. Da habe ich trotzig er widert: Oh doch, ich will singen! Also bringe ich in jeder TanzPerformance ein wenig Gesang unter. Ich habe schon früher ein paar Mal in Bands und Chören gesungen, und jetzt in dieser Band Lazyblood ist das Singen eine Art Befreiung − und etwas Anderes. Isländische Musik ist normalerweise sehr schön und melancholisch. Eine Frau, die zu Metalmusik schreit, ist etwas Neues, das mögen die Leute. Wir nehmen gern Einflüsse aus dem Kino auf, sowohl was die Musik als auch was das Licht betrifft. Wir denken dabei eher an BHorrorMovieRegisseure wie Dario Argento oder den französischen Regisseur Jean Rollin als zum Beispiel an Lars von Trier. In diesen BHorror Movies übertreiben die Schauspieler oft ziemlich, aber darin liegt eine Art Schönheit, die ich sehr interessant finde. Ich finde Horrorfilme generell sehr inspirierend. Ich schätze, ich habe seit meiner Jugend ein Trauma: Wir durften als Kinder eigentlich keine Filme gucken, aber eines Tages war ich bei einer Freundin zu Besuch, ihre Mutter war nicht zu Hause, und wir haben uns The Exorcist angesehen. Danach hatte ich jahrelang Albträu me. Das steckt aus der Zeit wohl noch in mir drin. Bei einem meiner früheren Stücke, Mysteries of Love, habe ich mit einigen Horrorelementen gearbeitet. Und bei We saw monsters geht es dann wirklich um Horror, um Monster und Angst. Die Angst, die das Monster in un seren Köpfen erschafft, und die Angst, dass es dieses Monster wirklich geben könnte. Deutsche Erstaufführung 64 — 05. oktobEr 2012, 20:00 Uhr 06. oktobEr 2012, 20:00 Uhr 07. oktobEr 2012, 20:00 Uhr sophiEnsÆlE, FEstsaal Mit Erna Ómarsdóttir, Valdimar Jóhannsson, Sigríđur Soffía Níelsdóttir, Sigtryggur Berg Sigmarsson, Ásgeir Helgi Magnússon, Lovísa Ósk Gunnarsdóttir Unechte Haare, Prothesenhände, Sie verwenden häufig körperliche Ersatzteile. Warum? Ihre Arbeiten sind häufig von Filmen beeinflusst, man denkt an David Lynch, Lars von Trier, Stanley Kubricks Shining … Reykjavik 63 — WE saW monstErs Ich war erstaunt über den häufigen Einsatz von Haar in Ihrem Stück, es wird als Vorhang benutzt, es bewegt sich, als sei es lebendig … Sehen Sie sich auch als Sängerin, oder ist das nur ein Hobby? In We saw monsters wird viel weniger gesungen, man könnte auch sagen, das Schreien und Singen ist dort abstrakter und theatralischer, weniger melodisch. Die Musik ist ähnlich, aber bei den Konzerten ist alles etwas härter, da sind viele körperliche Impulse dabei, als würde man mit der Stimme tanzen. We saw monsters ist eher ein Tanz mit musikalischen Impulsen. Es ist schön, beides zu haben, aber ich nehme es nicht allzu ernst. Ich singe sehr gern bei Lazyblood, weil das Touren so ein fach ist, viel entspannter. Man hat mehr Freiheiten, kann machen, was man will, die Reihenfolge der Songs umstellen, aufhören, wann man will, Wasser trinken, zwischendurch etwas sagen … Andererseits bin ich so daran gewöhnt, alles zu organisieren, dass ich sogar beim Singen den Ablauf genau festlege. 62 — Erna ÓmarsdÓttir Eine Produktion von shalala ehf in Koproduktion mit La Biennale di Venezia, Berliner Festspiele/Foreign Affairs, CNDC Centre national de danse contemporaine Angers im Rahmen von »accueil studio/Ministère de la Culture et de la Communication«, Isländisches Nationaltheater, Reykjavíks Arts Festival und der Stadt Kópavogur Mit Unterstützung von ENPARTS – European Network of Performing Arts / Biennale di Venezia im Rahmen des Kulturprogramms der Europäischen Kommission, des isländischen Kulturministeriums, WP Zimmer/ Antwerpen, PAF und CC De Warande in Turnhout Dauer 90 min 68 — artist talk 07. Oktober 2012, im Anschluss an die Vorstellung 69 — konzErt Lazyblood (Erna Ómarsdóttir, Valdimar Jóhannsson) 06. Oktober 2012, 22:00 Uhr, Sophiensæle, Kantine Was war der Ausgangspunkt für We saw monsters? Einen lauten schrei auszustoßen ist ein ungemein körperlicher akt. Zuerst haben nur Sie und Valdimar daran gearbeitet? Wann sind die anderen dazugekommen, zum Beispiel die Zwillinge? Lovísa Ósk Gunnarsdóttir, eine der Zwillinge, ist in meiner vorherigen Produktion Teach us to outgrow our madness für eine andere Frau eingesprungen, die schwanger wurde. Sie hat zusammen mit Sigrídur Soffía Níelsdóttir getanzt, und ich dachte, »Oh mein Gott, ihr seht wie Zwillinge aus. Damit müssen wir was machen.« Ásgeir Helgi Magnússon hat mit mir in einem anderen Stück für die Icelandic Dance Company getanzt, er ist so großartig, dass ich wieder mit ihm arbeiten wollte und einen Weg fand, ihn einzusetzen. Es gibt also drei professionelle Tänzer und zwei Musiker, die in diesem Stück ebenfalls tanzen, Valdimar Jóhannsson and Sigtryggur Berg Sigmarsson, der auch Bildender Künst ler ist und daher perfekt war für unser Stück. Er hat früher in dem Videoverleih gearbeitet, wo wir oft Filme ausgeliehen haben, und uns immer völlige abgefahrene Videos empfohlen, das fand ich sehr inspirierend und wollte es nutzen. Ihre Arbeit hat eine starke Verbindung zur Bildenden Kunst, die Künstlerin Gabríela Fridriksdóttir hat das Bühnenbild entworfen, Sie sind in einer ihrer Arbeiten aufgetreten. War diese Verbindung schon immer so stark? Ich fühle mich der Bildenden Kunst sehr verbunden. Ich liebe es, Bilder zu erzeugen, also ist mir die visuelle Ebene auf der Bühne immer sehr wichtig. Diesmal hat Gabríela die Kostüme für uns entworfen. Aber in an deren Stücken, wie Transaquania, war sie viel stärker involviert, man sieht ihre Handschrift dort besser. Ich habe in der Arbeit mit ihr viel gelernt, ebenso mit Jan Fabre. Er ist sehr genau, das geht mir ebenso, ich ertrage es nicht, wenn etwas nicht perfekt ist. Erna Ómarsdóttir Erna Ómarsdóttir, geboren 1972, ist Tänzerin und Choreografin aus Island. Sie studierte bei Anne Teresa De Keersmaeker an den Per forming Arts Research and Training Studios (P.A.R.T.S) in Brüssel und machte 1998 ihren Abschluss. Seither hat sie mit verschiedenen Regisseuren und Choreografen zusammengearbeitet, darunter Jan Fabre, Sidi Larbi Cherkaoui und les ballets C de la B. 2008 gründete sie zusammen mit dem Musiker Valdimar Jóhannsson die Tanz company shalala, zu deren Arbeiten Teach us to outgrow our madness und die Konzertperformance Lazyblood gehören. Erna Ómarsdóttir ist Gründungsmitglied der Kollektive Ekka / Reykjavik und Poni / Brüssel. Sie hat als Choreografin für das Isländische Nationaltheater gearbeitet und unter anderem mit Gabríela Fridriksdottir, Björk, Ólöf Arnalds, Ben Frost, Reykjavík! und Margrét Sara Gudjonsdottir zusammengearbeitet. Bereits fünf Mal ist sie mit dem ›Griman‹, dem isländischen Theaterpreis in der Sparte Tanz, ausgezeichnet worden. Künstlerische Leitung – Frie Leysen Künstlerische Mitarbeit – Nadine Vollmer Finanzmanagement – Hanka Rörig Produktionsmanagement – Albrecht Grüß Rahmenprogramm / Publikumsarbeit – Anne Schulz Technische Leitung Harald Frings Assistenz Technische Leitung AnnChristin Görtz Musikprogramm – Fred Fröse / Haute Areal Ausstattung Festivalzentrum – Heike Schuppelius Assistenz Ausstattung – Victoria Philipp Praktikum Produktion – Paola Eleonora Bascon Zegarra, Luisa Grass, Lydia Holter, MarieIrène Igelmann, Gohsuke Masuda, Sandra Wieser Praktikum Publikumsarbeit / Student Affairs – Friederike Wohlfahrt Sophiensæle: Künstlerische Leitung – Franziska Werner Geschäftsführung – Kerstin Müller Dramaturgie / Assistenz der Künstlerischen Leitung – Christiane Kretschmer Assistenz Dramaturgie – Luisa Egle Presse und Öffentlichkeitsarbeit – Gesa Rindermann, Thomas Gottschalk, Jana von Ohlen, Natalie Schütze Künstlerisches Betriebsbüro – Elisabeth Schelhas Assistenz Künstlerisches Betriebsbüro – Sari Heintze Technik – Susanna Alonso, Walter Freitag, Ernesto Hernandez, Werner Kernebeck, Robert Lange, Fabian Lehmann,Dirk Lutz, Nicolina Riccardi, Norman Duncan Thörel, Falk Windmüller Spielstättenleitung – Luisa Grass 180 — WWW.bErlinErFEstspiElE.dE