Nachruf auf Brigitte Schwaiger von Gertraud Klemm

Transcription

Nachruf auf Brigitte Schwaiger von Gertraud Klemm
...und bitte unterschreiben Sie leserlich!
Ein Nachruf auf Brigitte Schwaiger
von Gertraud Klemm
Eine Woche bevor Brigitte Schwaiger wahrscheinlich den Freitod gewählt hat, hat sie mir
einen Brief geschrieben, in dem stand: rufen Sie mich an. Ich habe nicht angerufen. Ich
habe es vor mir hergeschoben, zu ehrfürchtig, den Kontrollbereich des geschriebenen
Wortes zu verlassen; zu eingeschüchtert von dem psychopathischen Bild, das in den
Medien von ihr gezeichnet wurde. Ich nahm mir vor, vor dem Telefonat ihre Briefe noch
einmal zu lesen, und „Fallen lassen“, jenes Selbst-Porträt, das grauslich und
exhibitionistisch genug war, den Medien Bemerkungen zu entlockten, die ihren Mut
anerkannten. Ich recherchierte, las in dem berüchtigten Porträt der Süddeutschen, in dem
Brigitte Schwaiger abgeräumt wird wie einen Christbaum: was bleibt vom Genie, wenn
man sich an den Schrullen einer psychisch Kranken verbeißt, die ihre Meinung ändert und
nicht fotografiert werden will, die einen Beistand für das Interview braucht, die zwei
Zigaretten gleichzeitig raucht. Das bleibt: ein dürres Konstrukt aus Neurosen und
Psychosen. Im selben Atemzug berichten Nachrichten über die Allüren von Paris Hilton
oder Ben Becker, als wären es verzeihbare Schrullen, die wir lieben gelernt hätten.
Ich war 16, als ich zum ersten Mal mit ihren Texten in Kontakt kam. In „Wie kommt das
Salz ins Meer“ und in „Der Himmel ist süß“ fand ich Sätze geschrieben, die sich in meiner
traurigen Seele verhakten wie ein Klettverschluss. Ich war erlöst von meiner Einsamkeit.
Im lakonischen Ton ihrer Texte fand ich eine Restsüße, die mich tröstete und in der ich
mich zu spiegeln gedachte. Was auch immer sie schrieb – es fiel bei mir auf fruchtbaren
Boden. Es war nicht wie bei Hesse, Kafka oder Flaubert, die ich las und wo ich das Gefühl
hatte, mir würde Allgemeinbildung zwischen die Gehirnwindungen gespickt. Nein; Brigitte
Schwaiger bereitete mir eine sprachliche Heimat, in der ich seufzend wurzeln konnte, um
mich endgültig mit Doris Lessing, Max Frisch oder Ingeborg Bachmann aus den Grauen
der Pubertät zuzurückziehen. Schwaiger war es auch, die mir den Mut zu Schreiben gab,
weil sich die sprachliche Verwandtschaft so ermutigend anließ. Der Welt gefielen diese
Schmerzen, die sie und ich in der Ödnis des normalen Lebens hatten! Endlich waren
meine Depressionen für etwas gut! Ich molk sie und fabrizierte erste Texte, über die wir
lieber kein Wort verlieren. Ich schrieb weiter, wechselte meine Idole und Ideale, verschliss
ganze Ahnengalerien von Vorbildern. Brigitte Schwaiger jedoch war und blieb der
Mutterboden. Ich las „Wie kommt das Salz ins Meer“ und „Der Himmel ist süß“ einmal,
zweimal, fortlaufend. Ich las ihre übrigen Bücher, ja, zugegeben, mit enden wollender
Begeisterung; aber es schmälerte meine Liebe zu ihrer Sprache nicht. Die fünf Bücher
nach „Wie kommt das Salz ins Meer“ schrieb Brigitte Schwaiger, wie ich später erfuhr,
unter dem Druck, eine Familie ernähren zu müssen, und sie bläute mir ein: denken Sie
beim Schreiben nie an Verlage oder Geld. Wie viele Autoren kennen wir denn, die
Familien ernähren?
„Fallen lassen“ las ich mit Entsetzen. Es war immer noch sprachgewaltig, aber da waren
die Fakten, die dazwischen hervor ragten. Jetzt war es heraußen: sexueller Missbrauch,
Abtreibungen, und noch mehr Unglück. Die Kritik war gnädig, aber ich wurde das Gefühl
nicht los, dass sie sich vor lauter „Eh klar“ die Hände rieb und den Mut belohnten – immer
noch nicht das Werk.
Selbst zu schreiben machte mich offener für Schwaigers Seelen- Unheil. Als ich mich vor
ein paar Jahren dem Schreibzwang beugte und meinen Brotberuf an den Nagel hängte,
blickte auch ich der Existenzangst zum ersten Mal in die Augen. Dieser unmenschliche
Druck, dem sie ausgesetzt gewesen sein musste, noch dazu in der Doppelnatur als
Ernährerin – es bleibt beim Versuch, sich ihn vorzustellen. Besser vorstellen kann ich mir
die Einsamkeit dieser Arbeit, und das Vakuum, in das man hineinarbeitet. Niemand fragt,
niemand kontrolliert, niemand kann helfen. Es ist eine saugende Leere, wenn da keiner ist.
Einem glücklichen Zufall habe ich zu verdanken, dass sie mit einem Text von mir in
Berührung kam und mir ausrichten ließ: „Dieses Mädchen muss schreiben.“ Ich unterstrich
den Satz rot und hängte ihn in mein Sichtfeld, ganz gehorsame Schülerin: als Mahnung,
nicht aufzugeben, als ewiges Feedback in der Stille, als Piloten in der Schreibwüste, wenn
man Autorin ist und unbekannt und die Berufung ganz, ganz leise. Dann kam die
Aufforderung, ich möge ihr schreiben. Es kostete mich Monate, mich zu einem Beginn zu
überwinden, und weitere Wochen, bis ich es wagte, den Brief wegzuschicken. „Wie fange
ich ihn nur an, diesen ersten Brief“, würgte ich damals die Einleitung hervor. „Indem ich
Ihnen mitteile, daß die Sprache Ihrer Prosa die erste war, die nicht gleichgültig an mir
vorüber gegangen ist, oder an meinem pubertären Widerwillen abgeprallt. Ist das zu
übereifrig?“
Was zurückkam, war prompt, roch sehr stark nach kaltem Rauch und war tatsächlich mein
Brief – mit ihren Bemerkungen, zwischen die Zeilen gekritzelt. Sie kommentierte meine
Prosa, meine Lyrik, sie lobte, und sie wurde nicht müde, an der Unleserlichkeit meiner
Unterschrift herumzunörgeln, was mir entsetzlich auf die Nerven ging, ich jedoch demütig
über mich ergehen ließ. Sie ließ mich wissen, dass sie verliebt sei, und dass es zu heiß
sei zu denken, zu kalt, die Wohnung zu verlassen. Sie lektorierte unaufgefordert und
entschuldigte sich dafür, wenn es sie zu sehr anstrengte. Sie warnte mich davor, meinen
autobiografischen Stoff nicht unter einem Pseudonym zu publizieren, was ich in den Wind
schlug. Sie korrigierte seelenruhig meine Rechtschreibfehler und warnte mich vor der
Kälte der Verlage, und sie diagnostizierte meine Schweißausbrüche vor dem Abschicken
meiner Manuskripte an Verlage lapidar als berechtigte Instinkte. Ich war glücklich,
befremdet, besorgt wegen des fühlbaren Auf und Ab. Nein, Freundinnen waren wir nicht.
Wir kommunizierten mit den Fingerkuppen, dazwischen dickes Glas. Wir entdeckten
Gemeinsamkeiten: die nächtlichen Diktate im Kopf, die berechtigte Sorge, Kreativität
entspringe dem Unglück; die herzhafte Missgunst gegenüber Bestseller-Autoren, unsere
Ahnung, dass die Stimme der Autorinnen weniger wiegt als jene ihrer Kollegen.
Kaum ist sie tot, klappen die Mäuler auf und plappern. Ich lese immer und überall, sie
hätte nicht anknüpfen können an ihren Erfolg. Bis zuletzt. Sie konnte nicht anknüpfen.
Dieser Satz konzentriert die ganze Blödheit und Eindimensionalität des Buchmarktes; ich
will ihn entwurzeln und seinen Urhebern in den Rachen zurückschieben. Dann lasse ich
kraftlos die Wut sinken. Es ist der Satz, der bleibt, wenn ich das Netz auswerfe um nach
der Anerkennung zu fischen, die ihr gerecht würde. Die Linearität der Verkaufszahlen, das
bleibt. Die Reihenfolge von Erfolg und Misserfolg, gepaart mit den Grauen der Psychiatrie.
Schwaiger stellte den kleinen Raum, in den ich mich zurückziehen konnte, um mich an
meinem großen Vorbild zu wärmen. Aus diesem Raum spreche ich, um freizulegen, was
im Brei der Nachrufe zu versinken droht: die wortgewaltige Autorin Brigitte Schwaiger,
meine Mentorin, nicht mehr und nicht weniger.
Ich starre auf die Briefe, auf die Gedichte, die sie mir geschenkt hat, auf Prosa-Fragmente.
Verwenden Sie sie doch, hat sie keck geschrieben. Und, nicht gerade schmeichelhaft für
uns beide: „Abfälle von meinem Schreibtisch, für Sie, GK.“ Ich kann sie nicht reinstallieren. Das können andere besser. Eine posthume Würdigung böte sich an; die
österreichische Lösung. Zu Lebzeiten kam nicht viel an öffentlicher Würdigung – ein
oberösterreichischer Kulturpreis 1984. Das Ministerium hat schon mal einen Anfang
gemacht und via Claudia Schmied ausrichten lassen, Österreich habe eine viel gelesene
Autorin verloren. Da ist noch einiges drin, würde ich meinen. Ich kann die Versatzstücke
verwahren, die zurückbleiben. Ihre Zuwendung, die mich adelt. Die dankenden Worte,
meine Texte seien inspirierend für sie, der kalte Rauchgeruch der Briefe. Mir bleibt der
kleine, versteinerte Raum, dort kann ich ihrer gedenken und mich in meinen Gram
verbeißen, bis ich müde werde. Alle ihre Bücher bleiben, die Metaphern, die in meinem
Wortschatz verankert sind, ihr Werk und das, was nur ich habe, getippt auf
Schreibmaschine, die Beistriche und Punkte so fest angeschlagen, dass sie sich auf der
Rückseite durchdrücken, über die ich meine Fingerkuppen führen kann. Es ist nicht wenig.
Brigitte Schwaiger war meine Mentorin. Was will ich mehr.
„Aus einem Totenhaus komm ich
Und in ein Totenhaus geh' ich
Dazwischen ist mir nichts
den Gott, den wünsch' ich mir als Sonne
die alles überstrahlt und wärmt
Was aus den Leiden ich gelernt.
BS, 15.12.08, sehr früh“