Examenskolloquium: Medizin im Mittelalter

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Examenskolloquium: Medizin im Mittelalter
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Examenskolloquium Geschichte
Doz.: Prof. Dr. Hanna Vollrath
WS 1999/2000
Antje Kreipe
[email protected]
27.1.2000
Thema: Medizin im Mittelalter
a) Zur Entwicklung der Heilkunde
 ca. 500 v.Chr.-500 n.Chr.  Hippokrates bis Untergang Weström. Reich (Teilung
West-/Ostrom, 476 Ende Westrom) : Antike Medizin
GRIECHISCHE MEDIZIN:
Hippokrates (460-377 v. Chr.)  Ursprung der Humoralpathologie. Klassischer Repräsentant der 4-Säftelehre,
'Vater der Medizin'. * um 460 auf der griechischen Insel Kos. Unterricht bei seinem Vater & berühmten
Lehrern. Praxis als Wanderarzt. + um 377 in Larissa, Thessalien. Eid des Hippokrates (posthippokratisch)
2 Söhne, Leibärzte, Schwiegersohn Polybios, der an Asklepiadenschule von Kos wirkte ( 'De natura
hominis', Schrift, der wir die Elementen- und Qualitätenlehre verdanken, erläutert das Konzept, das bis in
Neuzeit wirksam bleibt - nicht einzelne Organe erkranken, sondern stets der ganze Mensch, wg. schlechter
Säftemischung). Findet sich im
'Corpus Hippocraticum', Sammelwerk von ca. 60 Einzelhandschriften, das um 300 v. Chr. abgeschlossen
wurde - Schriften von Hippokrates und seinen Nachfolgern. Später Ergänzung durch weitere Materialien. 
ganzer Reichtum einer Zeit, Schulrichtungen, Außenseiter, Opposition wie Kritik, also antike Medizin, integrale
Heilkunst. Arabische Sammler und Kommentatoren Corpus weitergetragen und über Jhs lebendig
erhalten. Ausgang MA geht griech-arab. Bildungsgut in die lat. Übersetzungen und bald in Frühdrucke über.
Große Ausgaben in Humanismus.
Im 3. Jh verschob sich das Zentrum der griechischen Medizin nach Alexandria. Von dort aus beeinflußte sie auch
die römischen Eroberer, setzte sich im 1. Jh in Rom durch (aber blieb i.R. in griechischen Händen).
GRIECHISCH-RÖMISCHE MEDIZIN:
Dioskurides (20-79) Grieche. Kam als reifer Student nach Alexandria, Bildungszentrum der damaligen Welt.
Militärarzt unter Nero, Vespasian. Vater der 'Materia Medica', beschrieb über 600 medizinische Pflanzen in 5
Büchern im grundlegenden Werk 'De materia medica', weiterhin Tiere, tierische Produkte, Mineralien.
Bedeutung: nicht nur alphabetische Kräuterlisten wie üblich, sondern Suche nach Sachgebieten (Kriterium:
Therapie). Namen, Synomyme, Heimat, Charakter, Gestalt der Pflanzen, dann Wirkung, Zubereitung,
Indikation, Dosierung. Gewichte, Apparate.
Galen aus Pergamon (129-199) Grieche. Steht am Ende der schöpferischen Periode der griechischen Medizin.
Leibarzt in Rom. wissenschaftlicher Begründer der älteren Heilkunde. Wissenschaft wird Heilkunst nach
Galen nur durch Theorie der Medizin, dieser dienen alle anderen Wissenschaften, v.a. Logik, Physik, Ethik _>
klassisches Haus der Heilkunde mit Physiologie, Pathologie, Therapie, dieser wiederum gegliedert in
Diätetik, Pharmazeutik, Chirurgie. Medizin als Wissenschaft vom menschlichen Körper (Heilkunde,
Gesundheitspflege, gemeinsame Forschungsgrundlage). Medizin als Theorie der Kultur - im theoretischen
Bereich liefere Physiologie die Basis aller Kultur, in der Praxis sei Diätetik die einzige Möglichkeit, ein konkretes
Stück der Welt sinnvill zu organisieren.
Galensche Pysiologie: Grundthesen hielten sich bis weit ins 17. Jh. - Blut stammt aus Leber... im Herz kommt
Blut in Kontakt mit luftartiger Substanz Pneuma, bevor es gleichsam gezeitenartig wieder in Organismus
zurückflutet (schwerer, folgenreicher Irrtum, gg Blutkreislauf).
Reglement zur gesunden Lebensweise.
Anatomie: Tiersektionen, zahllose richtige Beobachtungen - galenische Irrtümer.
ordnendes und zusammenfassenden Eingreifen  Humoralpathologie (nicht nur Gesundheits-, sondern auch
Krankheitslehre)
 Konzepte und Erkenntnisse der antiken Medizin, v.a. die Humoralpathologie, blieben für das MA
bestimmend  theoretische Grundlagen; die großen antiken Heilkundigen blieben die maßgeblichen
wissenschaftlichen Autoritäten. Rom: Volksgesundheit, Hygiene (Kanalisation, Wasserleitungen, Bäder)
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ca. 4. Jh.-1453  Teilung Rom  West-/ Ostrom (395 Konstantinopel Hauptstadt des oström.
Reiches) bis Eroberung Konstantinopel durch Osmanen.: Byzantinische Medizin
Oreibasios von Pergamom (325-400) Tradierung der antiken Medizin in den byzantinischen Kulturkreis, schuf
in 70 Büchern das erste große Sammelwerk der nachgalenischen Zeit.
 Innovation der umfassenden institutionellen Krankenbetreuung; Wandel der zunächst unspezifischen
christlichen Wohlfahrtsanstalten zu medizinischen Zentren (Hospital), daneben weiter Klosterinfirmarien,
Siechenheime. Hohes medizinisches Gesamtniveau; Wechselwirkung mit arabischem Wissen (ab. 11. Jh,
Übersetzungen aus Arabischem ins Griechische) und Ausstrahlung auf den mittelalterlichen Westen Europas.. Bereits
im 12. Jh werden Quellenstudium und aktives Erfahrungssammeln am Krankenbett als Voraussetzung für
Abschlußexamen genannt. Humoralpathologie. Parallel auch Quacksalberei, Magie. frühe/mittlere Zeit, häufig
Chirurgie, Sezieren, reiches Instrumentarium - dann allmähliche Abkehr von operativen Techniken.
Badetherapie (auch Thermalquellen). Diätetik. Pharmaka.
 ca. 7. Jh.-1500  Übersetzerschulen bis Reconquista, direkter Einfluß versiegte mit Fall
Cordobas & Bagdadas, 13. Jh: Arabisch-islamische Medizin
Hunain Ibn Ishaq (= Johannitius) (809-73). Nestorianer. Arzt in Bagdad. Übersetzer (Hippokrates, Aristoteles,
Dioskurides, Galen...). Isagoge: Einführung in die Zusammenfassung der Werke des Galens. Ins Lateinische
übersetzt wurde Isagoge später eines der beliebtesten Lehrbücher der abendländischen Hochschulen.
Albucasim (+1013). wichtiger Chirurg, Cordoba, Handbuch der (Brenneisen-)Chirurgie, in Toledo von Gerhard
von Cremona ins Lateinische übersetzt.
Avicenna (980-1037). Arzt in Bagdad, Leibarzt. Der 'Galen des Islam'.  Canon medicinae, Lehrbuch,
gegliederte Richtschnur der Medizin, wurde in 2. Rezeptionsphase in Toledo durch Gerhard von Cremona ins
Lateinische übersetzt, wirkte in ganz Europa bis um 1800.
 Das Wissen der griechischen Medizin wurde durch die Vertreibung griechischer Sekten (aus byzantinischem
Reich, z.B. Nestorianer), deren Mitglieder die griechischen Texte übersetzten, ins Morgenland tradiert. Wichtige
Übersetzerschulen im 6.-10. Jh z.B. Damaskus, Bagdad. Arabische Ärzteschulen bewahrten diese Werke und
nutzten sie als Ausgangspunkt ihrer medizinischen Lehren; dazu: altpersische, chinesische, altindische
Überlieferungen. Übersetzung, Bearbeitung und Aufbereitung der griechischen medizinischen Texte.
Die Islamische Medizin hatte 3 Säulen: Diätetik, Arzneimittel, Chirurgie; sie war der abendländischen in der
Kenntnis der antiken Schriften, der Lehre, der praxisnahen Therapie und Diagnostik, dem Badewesen, der
Entwicklung von Krankenhäusern (weitentwickeltes Hospitalwesen) und der Arzneimittellehre weit voraus; durch
Vermittlung arabischer Schriften kehrten die Lehren der Griechen auf weitem Umweg über nahen Osten und
Nordafrika durch die Araber ab dem 10. Jh (Salerno, Montpellier, Toledo) in den abendländischen Kulturraum
zurück.
Materia Medica: Auch hier sind Heilmittel 'Hände der Götter'. Herausbildung einer reichen, selbständigen
Drogenkunde (hellenistische, altpersische, indische, chinesische Heilmittellehren), relativ früh ein eigener
Apothekerstand. Zahlreiche pharmakologische Lehrbücher. Heilmittel nach arabischem Verständnis: jede
Substanz, die Wirkung auf menschlichen/tierischen Körper ausübt. Simplicia/Composita. Pflanzen, Tiere,
Mineralien. Entwicklung der taqwim, Schachtafelbücher, große Tafelwerke, auf denen in übersichtlicher Weise
ein Gerüst der Heilmittellhre aufgezeichnet war - große Bedeutung für Unterricht im lateinischen MA. Diätetik:
Grundlage auch Koran (Körperübungen beim Pflichtgebet, Fasten, Alkohol/Schweinefleisch verboten, Vorschriften zu
Intimbereich/Sexualität, Unreinheit macht Gebet ungültig). Und auch Gesundheitsregeln der Antike. Heilkunde als
Lebenskunst, Mitte als Maß, auch bei arabischen Autoren 6 Punkte, Diätetik reich spezialisiert und
systematisiert.
Ärzte schon früh organisiert in regelrechter Zunft.
Institutionen der Gesundheitspflege: pädagogische Institutionen (Schulen), medizinische Einrichtungen (Haus
der Kranken), Armenhilfswerke, hygienische Vorsorgemaßnahmen (Bäder, Aborte, Brücken). Im Mittelpunkt
zumeist die Moschee, der Schule, Hospital, Herberge, Bäder etc. angegliedert waren. - Aus der im Raum der
Moschee eingeschlossenen Schule entwickelten sich im 10./11. Jh mehr oder weniger fest organisierte Zentren
(Bagdad, Haus der Weisheiten...), die sich später nach Cordoba, Toledo verlagerten und von dort - über zahlreiche
Mischformen/Zwischenstufen - ein europäisches Schulhaus, scholastische Zentren, bildeten. Grundschule:
Koranschule, höhere Bildung: Madrasa. Hier auf theolog.-philosoph. Basis auch naturwissenschaftl. & medizin.
Studien - Studien antiker Autoritäten und empirische Tätigkeit um Krankenhaus. Ab 11. Jh: Madrasa organisiert
sich mehr und mehr zu regelrechter Akademie, an die Bibliotheken, Spitalanlagen, Apotheken... angegliedert
waren. - Bismaristan, Krankenhaus. Hier erwächst die Form einer kompletten Krankenhausanlage (innen oft
Bad). Auch Unterricht am Krankenbett. Mit 11. Jh entstanden riesige Krankenhausanlagen, in denen auch
Medizinstudenten ausgebildet wurden (therapeut. & didaktische Zwecke). - Bad, Hamam: fast immer neben
Moschee. Reinigung, Ausschwitzen schlechter Säfte, Massagen, Abreibungen, Ruhe. Hier kam zivilisierte
Alltagskultur zum Aufblühen, die alle Muster der antiken Diätetik umfaßte. Rituelle Grundlagen. Freier Zutritt
für alle. Medizinische Baderegeln.
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Medizin im Mittelalterlichen Abendland
 ca. 5.-12. Jh.  Beginn MA bis Konzile/Rezeption/Scholastik: Monastische Medizin
Cassiodor (+583)  Rettung und Tradierung antiker Schriften, Verfaßt Schulungsschriften, Institutiones
(Extrakt des alten Wissens und Anleitung, wie man es erwerben soll  Lesen, Schreiben, Artesstudium, weitere
Studien [Theologie, Jura, evtl. Medizin, Architektur]. Trivium: Grammatik, Rhetorik, Dialektik / Quadricvium:
Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik
Benedikt von Nursia (470-547). + auf Monte Cassino. Einsiedler, der dann Eremiten um sich sammelte, 529
Gründung einer neuen Mönchsgemeinschaft auf dem Monte Cassino, der er die Benediktiner-Regel gab:
Diese ordnete den Tagesablauf der Mönche nach diätetischen Gesichtspunkten [ora et labora], brachte ein eigenes
Kapitel über Krankenversorgung mit Vorschriften über Krankenräume, Gebrauch der Bäder, Krankenkost,
Krankenpflege, wobei Abt die höchste Sorge in der Aufsicht über die Krankenfürsorge obliegt. Kap. 36: 'Um die
Kranken soll man vor allem und über alles besorgt sein. Man diene ihnen wirklich wie Christus; denn er hat
gesagt: Ich war krank, und ihr habt mich besucht.' Seelsorge, körperliche Betreuung, Barmherzigkeit, Fürsorge.
 neue Ämeter (infirmar), klösterliche Institutionen (Spital, Herberge...). Gehorsam, Armut, Keuschheit.
Hildegard von Bingen (1098-1179). Nonne, Äbtissin. s. eigene Zettel.
1130: Konzil von Clermont: Verbot praktischer ärztlicher Tätigkeit für Mönche und Regularkanoniker
1163: Konzil von Tours: Medizinisches Ausbildungsverbot für Mönche
1215: IV. Laterankonzil: auch Weltgeistlichkeit verliert Recht auf ärztl. Ausbildung und chirurgische Betätigung
 Diese Phase ist weniger durch heiltechnische Errungenschaften, Theoriebildung oder Forschung geprägt (kein
Streben nach Originalität) als durch die Übersetzung und Tradierung des erhaltenen antiken Bildungsguts und
seine Verbindung mit der christlichen Heilslehre; der Benediktinerregel folgend, widmeten sich Mönche und
Nonnen mit barmherzigem Mitgefühl dem körperlichen und seelischen Heil der Kranken (v.a.
Mitbrüder/Schwestern, Pilger. Heilung stand in Gottes Macht, war abhängig von Gottes Wille.
Klöster als Orte der a)Wissensvermittlung: Abschrift und Übersetzung der erhaltenen antiken Schriften, aber
nur wenig, z.B. Teile Corpus Hippocratium, Galen, Dioskurides; v.a. Kräuterbücher, die an antike Autoren
anknüpften, Vermittlungsform entsprach praktischen Bedürfnissen. Obschon Medizin im Bildungsplan der
Klöster eine Außenseiterrolle einnahm, da sie nicht zu 7 freien Künsten gehörte, gab es doch zahlreiche
Versuche, sie als Integration aller Artes, als Teil der Artes mechanicae, oder - wie Alkuin im Rahmen der
karolingischen Bildungsreform - als achte Kunst zu integrieren.
b) Krankenpflege . Institutionen eingerichtet: Herberge für Arme & Pilger (oft Westen)/Unterkunft für reiche
Pilger und vornehme Gäste (meist Norden)/Krankenstation für Mönche und Brüder im Osten (Infirmarium),
letzterem angeschlossen i.R. Aderlaßhaus, Bäder, Lagerräume für Arzneimittel, Kräutergarten, vereinzelt auch
Station für Schwerkranke. Christus medicus (Sorge für Gesunde und Kranke, seelisch wie körperlich) oder
Leprösenhäuser weit außerhalb. Klöster wurden zu Orten der praktischen heilkundlichen Tätigkeit, Gedanke der
christlichen Barmherzigkeit. Krankenpflege erhält erstmals und zunehmend institutionellen Rang, wobei Leibesund Seelenpflege gleichrangig.
Die Versorgung der meist ärmeren Kranken war auf die diätetische Basispflege abgestimmt, die
Gesundheitsregeln der klassischen Diätetik dienten als Leitfaden (6 Punkte).
c) Heilmittelzubereitung Heilkräutergarten [u.a. Lilie, Bohnenkraut, Salbei, Minze, Rosmarin, Raute, Fenchel],
von Karl d. Große diesbezügliche Vorschriften erlassen [?]. Kräuterlisten z.B. aus Hortulus des Walahfrid Strabo
- Reichenauer Abt, 9. Jh, letzter Vertreter der karolingischen Renaissance-). Man stellte einfache Heilmittel her.
Heilmittel als Heilsmittel.
Die Klostermedizin war geprägt von einer Verbindung der christlichen Offenbarung mit den überlieferten
Resten antiken medizinischen Wissens, von praktischer Erfahrung aus der Heiltätigkeit, volksmedizinischen und
auch. magischen Praktiken [Beschwörungen, Wort wichtig, Geister/Dämonen, Baumzauber...]. Wichtigst
diagnostische Maßnahmen: Harnschau, häufige Therapie: Aderlaß. Klosterspitäler der Benediktiner, der
Cluniazenser (ca, ab 1000), der Zisterzienser (ab 1100)
Unabhängig von den Klöstern gab es zunehmend auch in Schüler-Lehrer-Verhältnis ausgebildete Wundärzte,
Steinschneider und Starstecher, die chirurgische Eingriffe vornahmen. Einige wenige gut ausgebildete jüdische
Ärzte praktizierten vorrangig an Fürsten- und Königshöfen.
Ende der Mönchnsmedizin ab 12. Jh wg Konzilsbeschlüssen, Vordringen der arabischen Wissenschaft,
Aufkommen Scholastik. Konzilsbeschlüsse untersagten Klerikern ärztliche Eingriffe und führten zudem zur
Trennung Chirurgie-Medizin. ecclesia abhorret a sanguine. Hintergrund: Lebensgefahr der Eingriffe (Mitschuld
am Tod des Patienten war mit Priesteramt unvereinbar), Bestreben, die Geistlichkeit zur Rückbesinnung auf ihre
eigentlichen Aufgaben zu bewegen.
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ca. (11./) 12.-16. Jh.: Scholastische Medizin
Medizinische Hochschulen existierten im 12./13. Jh v.a. im südfränkischen und nordspanischen Raum ( Islam),
wo allein im 13. Jh nicht weniger al 7 Unis gegründet wurden. Die wichtigsten Zentren für die Medizin aber
bildeten sich in Italien, wo die Medizinschule von Salerno sich als besonders fruchtbares Kristallisationszentrum
erwies.
Salerno (Übersetzerschule, [Constantinus Africanus], bedeutende Lehrschriften, medizinische Ausbildung)
Laienschule. Im Zuge der ersten Rezeption griechisch-arabischer Texte entwickelte sich im Verlauf des 12. Jh
die Schule von Salerno zu einer eigenständigen Gelehrtenrepublik, die als Modell einer sich korporierenden
Universität gelten kann (im 9./0. Jh zwar hohes Ansehen salernitanischer Ärzte, aber kein Beleg für geregelten,
organisierten Unibetrieb, Verleihung akademischer Grade, Korporationen..). Promotor dieser frühen
Rezeptionsbewegung: Constantinus Africanus (Sohn islamischer Eltern, übersetzte arabische Texte ins
Lateinische und stellte sie der Schule zur Verfügung. 1918-1087), Mönch in Monte Cassino; gilt als erster
Interpret der islamischen Medizin im Westen. nach Übertritt zum Christentum bald Benediktinermönch). Lehre
einer praxisorientierten Medizin incl. chirurgischer Ausbildung. Anatomie (besondere Pflege, Tiersektionen, v.a.
an Schweinen) und Chirurgie entwickelten sich zu eigenen Disziplinen; Diätetik und Hygiene fanden
tradierbaren Platz, Pharmazie formte sich aus Kräuterbüchern und Rezepturen zu eigenem Fachgebiet.
Entwicklung einer eigenen Wissenschaftssprache. Bedeutende (Lehr-)schriften. Enge Verbindung von Medizin
und Philosophie. Gegen 1200 hat sich auch der salerner Unterrichtskanon in Montpellier und Paris durchgesetzt,
deren Fachschrifttum gezielt auf Salerner Vorlagen zurückgreift.
Salerner Gesundheitsregeln (wohl nicht in Salerno, sondern Toledo gesammelt, große Wirkung.
Roger von Salerno: bedeutender Chirurg, Schüler stellte Aufzeichnungen zusammen (R. konnte nicht schreiben),
wurde zu beliebtem Lehrbuch.
Phasen: FRÜHSALERNO (995-1087): Quellensichernde Arbeiten, Übersetzungen, Anfänge der
Wissenschaftssprache, Praxisorientierung. Constantinus Africanus beginnt 1063 mit Übersetzungen.
HOCHSALERNO (1087-1175): Überleiten zur Assimilationsphase, gekennzeichnet durch Kommentare und
Kompendien. Tiersektionen. Diagnostik. Fachsprache allseits genutzt und verbreitet. Reform des
Arzneimittelsektors durch Nicolaus Salernitanus [Antidotarium Nicolai] (s. auch Plaetarius [Circa Instans]) leitet die
Ausgliederung der seit 110 nachweisbaren Apotheker ein und begründete zugleich ein öffentliches Medizinalwesen.
SPÄTSALERNO (1175-1250): Corpusbildung. Neben der pharmazeutischen Ausgliederung deutete sich die der
Chirurgie aus dem Ärztestand an. Frühscholastische Tendenzen. Quaestiones salernitanae. Einsetzen der
landessprachlichen Rezeption.
Lehrbetrieb, Status: Medizinischer Unterricht nach einem regulären Lehrprogramm, das auf dem Studium der
Standardwerke basierte.Über Verleihung von Doktortiteln ist jedoch vor Medizinalordnung 1231 nichts
bekannt. Die Lehrer der Medizin bildeten bei der Lizenzprüfung lediglich eine Prüfungskommission (Titel von
Kaiser oder Repräsentant), kein Collegium, das Studientitel verleihen konnte. Erst Mitte des 15. Jh wurde ein
derartiges Collegium gebildet. Der Schule wurde jedoch das Recht zur Verleihung des Magistertitels zuerkannt,
nachdem der Kandidat in Gegenwart eines königlichen Amtsträgers eine Prüfung abgelegt hatte. [Verlauf:
Anwärter trat vor Conventus, wo die Literatur zusammengetragen war; eine Seite wurde blind aufgeschlagen und
vom Prüfling frei kommentiert; öffentliche Diskussion].
Roger II, Normannenkönig, 1140: Bestimmung: Alle Ärzte seines Landes dürfen erst nach einer Prüfung
Patienten behandeln. Stauferkaiser Friedrich II, 1231, Konstitutionen von Melfi/Medizinalordnung:
gehörte zu den ersten ärztlichen Prüfungsordnungen Europas. Alle Ärzte seines Herrschaftsgebiets mußten 3 J.
Logik, 5J. Medizin studieren  Prüfung, um dann in der Praxis (1jährige Kontrolle) tätig zu sein.
1269: Steuerfreiheit für Studenten. 1280: Steuerfreiheit auf für Profs, gleichzeitig: erstes reguläres Statut der
Schule erlassen. Anfang des 14. Jh: erstmals öffentliche Besoldung von Profs erwähnt. Aufgabe des
traditionellen Systems der Bezahlung der Lehrende durch die Studis auf der Basis eines privaten Vertrages. 1811:
Schließung der Schule.
Toledo (Übersetzerschule, [Gerhard von Cremona]). Islamisch (erobert) - Rückeroberung durch den Cid 1085.
Nun ging es darum, vom islamischen Gegner zu lernen - EB von Toledo rief Übersetzer zusammen, die das
Wissen des Feindes erkunden sollten, u.a. Medizin. Schule erwies sich als Sammelbecken und Promotor der sich
rasch verzweigenden Rezeptionsbewegung.
Frühzeit: anonymes Übersetzerkollektiv. zunächst Aristoteles Arabicus übersetzt  neuer Wissensstoff und
verbesserte Lehrform, weil die schematische Ordnung, dem islamischen Vorbild folgend, straffer durchgeführt
wurde. vorbildlich wirkende frühscholastische Unterrichtsmethode von Toledo. Mit Toledanischer Wissenschaftslehre
bekam die Medizin erstmals ihren systematischen Standort und eine verbindliche Nomenklatur. Systematik geht
aus vom enzyklopädischen Charakter der Heilkunde. Logik, Physik, Ehtik, als eigenständige Disziplin dann
Abgrenzung. Hochtoledo: Blütezeit, 2. Rezeptionsphase, u.a. übersetzt Gerhard vom Cremona (1134-87, Arzt,
Übersetzer), der u.a. Rhazes, Albucasim, Galen, Avicenna übersetzte. Spättoledo: Übersetzerschule gerät ins
Zwielicht, u.a. wg. Astrologie & Alchimie, ab 1230 Beginn der 'Diskriminierung von Toledo' - Sprechen vom
bedenklichen Arabismus (Einbruch griech-islam Philosophie und Naturkunde in Welt des christl. Glaubens).
Kathedralschule von Chartres (Knotenpunkt der Assimilation griechisch-arabischen Bildungsgutes) Im
Zentrum der geistigen Bewegung um den neuen Aristoteles bildtete sich um Mitte 12. Jh an der Kathedralschule
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von Chartres ein den neuen Wissenschaften aufgeschlossener Schwerpunkt. Sammelbecken & Knotenpunkt der
griechisch-arabischen Rezeption.
Montpellier (zunächst Medizinschule, dann wird Medizin in eine der ersten Gesamtuniversitäten inkorporiert).
Medizinschule von Montpellier kam zu neuer Blüte, lag an transeuropäischen Pilgerwegen, im labilen
Übergangsfeld zwischen Christen und Muslimen. Eine der ersten Universitäten. 13. Jh: Konstitutioneller
Rahmen: 1220: Gründungsurkunde durch Kardinal Konrad. 1242: Statuten des Bischofs Jean de Montlaur II.
1289: Universitätsbulle des Papstes Nikolaus IV.  Medizinschule wird in Verbindung mit philosoph. und jurist.
Studien zu studium generale erhoben. Grundlage des Studiums: Hippokrates und Galen nach arabischen
Übersetzungen, Teile aus Rhazes und Avicenna etc. Jahrhundertelange Dominanz arabischer Autoritäten. Seit
ausg. 12. Jh sind nach arab. Modell verankerte Institutionen (Bibliothek, Spitaleinrichtungen) belegt.
 Das Praxisverbot für Kleriker und der zunehmende Einfluß der arabischen Wissenschaft auf die
abendländische Welt führten zum Niedergang der empirisch orientierten monastischen Medizin. Übersetzer- und
weltliche Medizinschulen blühten auf und lösten die Klöster als Vermittler medizinischen Wissens ab. Rezeption
und Assimilation der griechisch-arabischen Heilkunde führten seit dem 12. Jh zu einer Anhäufung neuer
Bildungsstoffe und zu strengeren Bildungskriterien, die einer Verwissenschaftlichung der Heilkunst und einer
Professionalisierung des Ärztestandes Vorschub leisteten. Im ausgehenden 12. Jh erhält die Medizin ihren festen
Platz im Katalog der Wissenschaften, zu Beginn des 13. Jh wird sie zunehmend als eigene 'facultas' in das
'studium generale' der sich bildenden Universitäten aufgenommen.
 Exkurs: Universität: Mit einem literarischen Corpus (wesentl. antike Werke übersetzt) unmittelbar
verbunden sind weitere formale Kriterien einer sich bildenden Schulorganisation von Schülern und Lehrern im
Verband der Universitas. Neues antikes Wissen muß in Einklang mit Bibel gebracht werden  scholastische
Methode. Neuer Aristoteles (bislang unbekannte aristotelische Texte werden Wiederentdeckt - Aneignung von Themen,
Argumentationen und Kenntnisse über die Natur des Menschen  Mechanismus von Ursache und Wirkung, Hunger nach
Büchern - Schaffung von Institutionen, um ihn zu stillen. aber auch Gegner der aristotelischen Lehren). Wissensdurst
(Wissenschaft - unabhängiger Eigenwert), Renaissance des 12. Jh., aufblühende Städte, Höfe (deren kompizierte polit.,
soziale, geistige Aufgaben neue Anforderungen stellen), Bürgertum und seine ausgreifende Wirtschaft wie kommunale
Stadtverfassung (braucht schrift- und rechtskundige Fachleute).
Junge Leute ziehen an die Wirkungsorte berühmter Lehrer. Diese Schulen haben oft keine klaren Rechtsformen,
teils private Veranstaltungen der Lehrer, teils Kloster- und Domschulen/Kathedralschulen angegliedert. Früheste
und berühmteste Zentren: Salerno (Medizin), Bologna (Recht), Paris (Theologie). Unis bestanden aus
verschiedenen Fachbereichen, die sich in Wissen um Theorie und Praxis gliederten und sich als Zusammenschluß
von Lehrern und Schülern verstanden. Was sich seit Beginn des 12. Jh zu organisieren versuchte, war zunächst
ein Zusammenschluß der Schüler (Gilde von Scholaren), die in der Fremde Rechtsschutz gegen die Bürgerschaft,
die Stadt, die Kirche suchten, korporative Autonomie. Zunftartige Schülerinnungen wurden schließlich zu einer
Zentralschule mit weitgehenden Privilegien - anderer Rechtsstatus der Scholaren. Auch die Lehrer hatten ihren
eigenen Interessenverband organisiert, ein Professorenkollegium, das sich in die Disziplinen Theologie, Jura,
Medizin, Artes gleiderte. Die Professorengilde legte die Studienordnung fest und sicherte sich nach und nach die
Promotionsrechte u.a. Privilegien. Sie erwarben die Gerichtsbarkeit über die Studis und garantierten dafür die
'akademische Freiheit'. Die Unis erhielten ihr Gründungsprivileg zuerst vom Papst, dann aber auch vom Kaiser
und schließlich auch vom Landesherrn - manche existierten aber auch ohne Legitimation. Das Privileg des
Papstes begründete die Selbstverwaltung und die Selbstgerichtsbarkeit. Die Studenten sind in den
Studentenverzeichnissen (Matrikeln) nach Name & Herkunft, teils auch nach sozialer Stellung nachweisbar
Neben der Einteilung nach Fachgebieten gab es auch die Gliederung nach Nationen, landsmannschaftlich
organisierten Gruppen. Sie kamen meist jung auf die hohen Schulen und mußten sich in studentischen
Wohnhäusern einem strengen Reglement unterwerfen. Alle Universitäten waren hierarchisch streng geordnet. Mit
der Einführung des studium generale wurde eine im Vergleich zu Kloster-/Stadtschulen höhere Form des wiss.
Unterrichts erteilt. Der schulmäßig aufgebaute Lehrbetrieb umfaßte an allen MA Schulen die gleichen Fächer,
die auf den gleichen Autoritäten und den gleichen Lehrbüchern beruhten und auf Latein in gleicher Reihenfolge
und gleicher Methode gelehrt wurden. Am Ende: Prüfungen, nach deren Bestehen Grade verliehen wurden.
Disputationen stellten einen Prüfstand für die Anwendung präsenten Wissens dar, bei denen vor Auditorium
Geschick bei Rede/Gegenrede gezeigt werden mußte. Doktortitel = Lehrbefugnis.
studium generale: 4 Facultas: 1. Artes, 2. Theologie, 3, Rechtskunde, 4. Medizin. Artes = Propädeutik, dann
kann man in einer Fakultät weiter studieren.
Scholastische Methode: lectio, disputatio (Gelesenes wird in Diskussion bohrenden Zweifel ausgesetzt,
Textvergleiche, pro/contra), solutio (Ergebnisse, richtige These als 'Dogma'). Texte im Zentrum, nicht Erfahren,
Ausprobieren, Praxis.
 Medizin an der Universität: Medizin wird an der Uni zur intellektuellen, auf rationale Prinzipien
gegründeten Disziplin. Auch hier gab es nach Art der Zunftorganisation Lehrlinge (scholares), Gesellen
(baccalaurei), Meister (magistri - später Lehrer, doctores). Auch die Medizin war eingebunden in die Strukturen
des Studium generale. Wissenschaftssystematik nach Aristoteles wird auch methodisches Leitbild für Medizin.
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Von ihrem theoretischen Aspekt aus verstand sich die Medizin als Naturphilosophie, die in der ärztlichen Praxis
zur Anwendung kam. Dieses naturphilosphische Konzept hatte sich weithin an den Lehrschriften des
Aristoteles orientiert, wie sie um 1200 in Toledo assimiliert worden waren. Als Fakultät hatte sich die Medizin
mit Logik, Physik, Ethik zu befassen. Stoff waren die Naturkunde, die Krankheitslehre, die Lebenskunde. Als
Ganzes war die Medizin gegliedert in Theorie (Gesundheitslehre/Heilkunst) und Praxis, wobei die Praxis
wiederum unterteilt war in Diätetik (eigenständige Literaturgattung: Regimina sanitatis), Pharmazeutik (Antidotarium
Nicolai, Circa Instans, Lehrbücher basieren auf Dioskurides & arabischem Arzneiwissen; Simplicia/Composita;
Schachtafelbücher), Chirurgie (Anatomie als Propädeutikum; Teil: Frauenheilkunde & Geburtshilfe. Blüte als eigenständige
Disziplin: Ausgang 12. Jh - Roger Frugardi, Guy de Chauillac).
Die universitäre medizinische Lehre folgte der scholastischen Methode. Vorteile: Medizin wird zur rationalen
Wissenschaft, Kenntnis der antiken Medizin. Nachteile: Autoritätsgläubigkeit (Elemente der Beobachtung, Erfahrung
und Quantifizierung werden vernachlässigt); fehlender Praxisbezug (kaum Lehre am Krankenbett - Studenten Versiert in
Rhetorik und Auslegung medizinischer Texte; alltägliches Handwerk oft nur mangelhaft), scholastischer Disput steht über
medizinischem Handwerk. Medizin wird gleichsam zur 'Geisteswissenschaft'. Lehrbücher:, v.a. Articella (um
1150), Sammelhandschrift repräsentativer Schriften zu Lehr- und Prüfungszwecken (Isagoge, Teile des Canon
des Avicenna als klassische Kodifikation des Systems der Heilkunst etc.).
Gegen Ende 13. Jh kommt es auch in Paris zur Abgrenzung Schulmedizin gegen mehr empirisch eingestellte
Heilberufe wie Apotheker, Herbarii, Chirurgen...
 Aufgrund des immer tieferen Gegensatzes zwischen Chirurgie und akademischer Heilkunst blieben
wissenschaftlich ausgebildete Wundärzte die Ausnahme. Bereits im FrühMA begann sich die Chirurgie von der
übrigen Heilkunde abzugrenzen, Vertreter oft nur praktisch ausgebildet, ohne Artes-Studium, oft Laien. Im
Hoch-MA erhielt auch die Chirurgie durch die Rezeption entscheidenden Auftrieb, was zur Herausbildung einer
umfangreichen wundärztlichen Fachliteratur, Konturierung chirurgischer Zentren, Verbreitung neuer
Behandlungsmaßnahmen und schärferer Abrenzung auf berufl.-standespolitischer Ebene führte. Vorstoß der
Chirurgie auf Hochschulebene, dennoch machen die meisten eine Art 'handwerkliche Lehre'. Gegensatz durch
autoritative Theologie verschärft. Mediizinalordnungen  erste Versuche der Ordnung der medizinischen
Ausbildung und über die Organisation des Gesundheitswesens den Leistungsstand der Wundärzte festzulegen
und zu überwachen. Die Medizinalordnung Friedrichs II, 1231 legte den Studiengang des Chirurgen genau
fest, wobei das Studium der Anatomie als selbstverständlich vorausgesetzt wurde. Bedeutsam: die eigenständige
Stellung des Wundarztes (Chirurgus) gegenüber dem Leibarzt (physicus) wie auch dem Apotheker. Neben
akademisch gebildeten 'physici' praktizierten im scholastischen Meister-Schüler -Verhältnis 'handwerklich'
ausgebildete wundärztliche Praktiker, die nach der Ausbildung nach Gesellenart auf Wanderschaft gingen, sich
mit Kollegen und anderen Heilberuflern in städtischen Zünften zusammenschlossen und sich regionalen
Prüfungsbestimmungen und Zulassungsbestimmenden unterwarfen. Im späten MA wurde die Chirurgie in das
Zunftwesen der Städte eingegliedert. In Paris, Zunft praktizierender Wundärzte, die seit 1258 von 6
geschworenen Meistern geprüft wurden. In dieser Zeit hatte der Wundarzt - neben den niederen Heilberufen wie
Bader, Starstecher etc. - aufgrund niedriger Gebührensätze die Hauptlast der medizinischen Versorgung zu
tragen, während 'physici' vorrangig die Oberschicht behandelten. Als selbstständiger Wundarzt wirkte der
Chirurg in freier Praxis, als Hofwundarzt an Fürstenhöfen, als vereidigter Wundarzt nahm er städtische Ämter im
öffentlichen Gesundheitswesen war - weiterhin Behandlungen in Spitälern, Schiffsärzte, Feldschere und fahrende
Wundärzte, die als Zahnärzte, Bruchschneider, Augenärzte und Bader die medizinische Basisversorgung
dünnbesiedelter Gebiete übernahmen.
Behandlungen: Verrenkungen, Brüche richten, Knochensplitter entfernen, Aderlass, Ausbrennen Hämorrhoiden
& Nasenpolypen, Starstich, Bruchschnitt. Wundärztliche Maßnahmen  kleine Chirurgie: Wunden reinigen,
verbinden, Nähte, Drainagen, Abszessbehandlung, Geschwulstebehandlung... 'Narkose': Schlafschwämme mit
Auszügen aus Mohnsaft, Alraune, Bilsenkraut, Stechapfel (angefeuchtet über Mund und Nase); Kälte/Hitze,
Abschnüren, Rauschmittel. Aufwecken mit Schwamm, getränkt mit Essig o.ä.
Anatomie: Anatomie war den Ärzten im Altertum keineswegs selbstverständlich. die Griechen verabscheuten
die Berührung eines Toten. Das römische Gesetz untersagte Leichenöffnungen. Anatomische Darstellungen des
MA eher kläglich, wenig mehr als Symbole und Zeichen. Physiologie und Anatomie folgten zu Lebzeiten
Hildegard von Bingens noch strikt Galén, der als unumstrittene Autorität galt; weiterhin war das Menschenbild
selbstverständlich von religiösen Vorstellungen geprägt. Obschon es kein kirchliches Sektionsverbot gab, wurden
dennoch lange Zeit kaum Sektionen zum Zwecke der medizinischen Forschung durchgeführt. Erstmals
nachweisbar: 1268, Cremona. Erste Lehrsektionen im Rahmen des med. Unterrichts: um 1300, Uni Bologna. Erst
ab dem 13./14. Jahrhundert wurden dann, v.a. in Italien, wieder verstärkt systematische Leichenöffnungen
vorgenommen. Diese brachten jedoch keine nennenswerten Veränderungen oder Verbesserungen der
anatomischen Kenntnisse, da sie im wesentlichen zur Demonstration dessen dienten, was in den Schriften
geschrieben stand. Wenn im Verlauf einer solchen scholastischen Leichenöffnung der Text nicht mit dem
Demonstrationsobjekt übereinstimmte, galt das entsprechende Körperteil in der Regel als krankhaft bzw.
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verkümmert oder aber als seit den Zeiten Galéns verändert. Die Autorität des antiken Arztes war und blieb in
dieser Zeit noch unangreifbar. Änderung erst im 16. Jh.
 Apotheker: Bei Arabern wohl Ausbildung eines eigenen Apothekerstands, große Spitalapotheken,
Drogenläden etc. Nicht zu verkennen ist ein islamischer Einfluß auf die Medizinalordnung 1231, die als
Ausgangspunkt aller weiteren Medizinalgesetzgebung wie auch der Entfaltung des Apothekerstandes anzusehen
ist. Auch in Hochsalerno bereits Ausgliederung.
 Erste umfassende medizinalpolitische Bestimmungen Europas: Medizinalordnung Friedrichs II, 1231, die
detaillierte Richtlinien für die ärztliche Ausbildung, das Unterrichts- und Prüfungswesen, die Gebührenordnung,
die Praxisausübung und die öffentlichen Gesundheitsdienste bot.  zunehmende Professionalisierung des
ärztlichen Standes, Neugliederung des öffentlichen Gesundheitswesens (z.B. Trennung Arzt-Apotheker,
Badewesen, Pflege von Geisteskranken etc.)
 Krankenhaus: Eigenständige Institutionen zur Unterbringung, Verpflegung und Behandlung von Kranken
erst im byzantinischen und arabischen (schon im 9. Jh hochdifferenzierte Anlagen) Kulturkreis nachweisbar (nicht im
alten Griechenland/Rom). Die Geschichte des europäischen Hospitals: 400-1800 (modernes Krankenhaus). Das
christliche Spitalwesen im frühen Abendland ist gekennzeichnet durch die enge Verbindung von ärztlichem
Eingriff, theologischem Amt und pflegerischem Dienst. In Gottes Dienst nahm man sich des Lebens und seines
Heils an. Hospitäler waren karitative Einrichtungen, die zunächst allen Bedürftigen offenstanden. Klöster.
Einrichtungen gemäß Benediktinerregel. Im hohen MA entwickelten sich aus den Prinzipien der
Benediktinerregel detaillierte Spitalordnungen - so gaben sich z.B. die Mitglieder des Johanniterordens 1182
Statuten zur Behandlung & Betreuung von Kranken, Säuglingen, Müttern und zur Totenbestattung. Erst im
späten MA entfalteten sich die prachtvollen (weltlichen) Bürgerhospitäler, z.B. Hôtel Dieu, Paris, 1451.
Weiterhin gab es in dieser Zeit spezielle Einrichtungen wie die Leprosorien, die Pesthäuser, die Blindenanstalten,
Irrenhäuser und zahlreiche Paßhospize in den Alpen.
Die (abendländischen) Anstalten waren im MA noch nicht auf eine geregelte medizinische Krankenpflege
ausgerichtet. Die räumlichen Verhältnisse vor 1000 waren bescheiden. Ab 11. Jh erste Differenzierung in
Männer/Frauen, als die städt. Bevölkerung selbst anfing, die Hospitäler in Anspruch zu nehmen. Hopitäler
dienten zunehmend als Altenheime. Ab dem 14. Jh wurde das Klosterspital mehr & mehr kommunalisiert und
verbürgerlicht, geistl. Einfluß aber ungebrochen. Bis weit in Spät MA hinein Prinzip der Gastfreundschaft Spital als Herberge der Elenden, Zuflucht der Unglücklichen, für Kranke, Arme, Schwache, Bettler, Behinderte,
Pilger, Waisen, Verfolgte, Irre. Ab 18. Jh Wandel: von karitativer Einrichtung wird Spital zur bürgerlichen
Versorgungsanstalt.
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b) Humoralpathologie:
Bestimmend für die gesamte MA-Medizin war das antike, hippokratisch-galénische Konzept der
Humoralpathologie. Es verband die Lehre von den 4 Körpersäften (gelbe/schwarze Galle, Blut, Phlegma)
mit der 4-Elemente und der 4-Qualitätenlehre, dazu noch Konstitutions-/Charaktertypen, Kardinalorgane
und oft Tages- und Jahreszeiten, Lebensalter etc. Analogiekonzept, beruhend auf der Vorstellung, daß
der Makrokosmos mit seinen 4 Elementen im Mikrokosmos des Menschen mit seinen 4 Säften seine
Entsprechung hat und daß Elementen wie Säften paarweise 4 Primärqualitäten (warm, kalt, feucht,
trocken) zugeordnet sind. Ausgewogene Mischung und Temperierung der 4 Säfte kennzeichnen den
Zustand der Gesundheit, Disharmonie bedeutet Krankheit. Die medizinische Technik dient somit einer
Harmonisierung des labilen Fließgleichgewicht zwischen Gesundheit und Krankheit.
c) Gesundheit und Krankheit
Gesundheit - als nie vollständig zu erreichender Idealzustand - und Krankheit - als kritische
Grenzzustände - galten nicht als gegensätzliche Kategorien, sondern als polare Endpunkte, die ein großes
Übergangsfeld, die neutralitas umspannten, auf welches das ärztliche Handeln primär ausgerichtet war.
Krankheit wurde nicht als biologischer Zustand oder pathologischer Prozeß verstanden, sondern als
Defizit, als Mangelstand - Gesundheit dagegen wurde als schöpferischer, kreativer Lebensprozeß
aufgefaßt. Im MA wurde Medizin als Heilkunde eingebunden in christliche Heilskunde.
 Gesundheit: Der Mensch galt als das bevorzugte Wesen des Schöpfers, das ursprünglich in optimaler
Verfassung, 'heil' an Körper und Seele, geschaffen worden sei. Diesen Zustand der Konstitution habe er
durch den Sündenfall verloren, so daß er nun im Zustand der Destitution ein Leben in Sorge und
Krankheit führen müsse. Verheißen sei ihm dennoch eine Wiederauferstehung im endgültigen
Heilszustand der Restitution.
Im Sinne der Humoralpathologie ist Gesundheit ein Zustand von Gleichgewicht und ausgewogener
Mischung der wohltemperierten menschlichen Körpersäfte (Eukrasie).
 Krankheit: Körperliche wie seelische Leiden galten als Konsequenz des Sündenfalls, dessen Folge
Hildegard von Bingen als grundsätzliche Umwandlung des menschliche Stoffwechsels und der
menschlichen Körpersäfte beschreibt (kristallklares Blut Adams wird zur Schwarzgalle). Krankheit
kann als Strafe für Sündhaftigkeit gelten werden und auch als Zustand, in dem sich dem leidenden
Menschen neue Wege zur Läuterung eröffnen.
Im Sinne der Humoralpathologie ist Krankheit eine Entgleisung der natürlichen Harmonie des
menschlichen Säftesystems (Dyskrasie), die Verdorbenheit, Unausgewogenheit oder ungleichmäßige
Temperierung der vier Körpersäfte - je stärker die Disharmonie, desto schlimmer die Krankheit.
Verschiedenartige Störungen führen zu unterschiedlichen Krankheitsbildern. Dyskrasie steht im
Zusammenhang mit Jahreszeit, Alter, Geschlecht, Konstitution und kulturbedingten Einflüssen wie
Lebensführung. Krank ist immer der ganze Mensch, nicht ein 'isolierter' Körperteil ( Säfte).
Der Organismus versucht zunächst, durch eine Art von 'Kochen' die schädlichen Stoffe unschädlich
zu machen und über Schweiß, Urin, Kot, Periode auszuscheiden. Mißlingt dies, so bilden sich
pathologische Produkte: Eiter, Schleim, Galle, Ablagerungen, Versetzungen - was genau passiert ist
unterschiedlich, abhängig von Konstitution. Krankheit hat individuellen Charakter.
Begriffe: kranc: Urprünglich schwach, geringwertig, schlecht - verdrängt ab 14. Jh das bis dahin
vorherrschende siech (ebenso siechtuom, siechtag durch krancheit ersetzt). Daneben: suht für Pest, Aussatz,
Fieber, Wahnsinn. Metaphern aus der heutigen Umgangssprache zeigen noch Nachwirkungen der
Humoralpathologie (Luftikus, Galle läuft über, vertrockneter/trockener Typ. Herbst des Lebens. Ohne Saft
und Kraft...) und auch der Personifikation von Krankheitserscheinungen, die in frühen Kulturen auf
Dämonen zurückgeführt wurden (Krankheit befällt, packt, wirft nieder, streckt hin...) oder einer
Verbindung aus beiden (Krankheit bricht aus, steigt auf...). Einzelne Krankheiten werden nach
Sinnbildern aus Alltagsleben benannt (Sturz, Schlag, Brand, Fallsucht...). Häufig werden Krankheiten im
MA nach Symptomen beschrieben ( Problematik: bestimmte Krankheitsbilder wie z.B. Gicht,
Aussatz, lassen sich heute kaum identifizieren, man darf diese Krankheitsbegriffe nicht einfach
übertragen).
d) Ärztliches Handeln:
Die Medizin als Heilkunst war Lebenskunst. Sie war eingewoben in das Leben mit seinen alltäglichen
Grundbedürfnissen, die es alle insgesamt und in jedem Punkt gesondert zu kultivieren galt. Der Arzt hatte
in erster Linie darauf zu achten, die Gesundheit zu erhalten und erst in zweiter Linie Krankheiten zu
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behandeln. Er hatte die Natur in der Wiederherstellung ihrer Harmonie helfend zu unterstützen. Idee von
der 'heilenden Natur' - Die Natur trägt Prinzip der Selbsterhaltung in sich und wirkt mit ihrer Kraft vorbeugend und
schützend. Arzt ist nur Diener. Heilung gilt als das wiederhergestellte Gleichgewicht der verlorengegangenen
Symmetrie der Säfte und Kräfte.
Diagnostik: v.a sinnliche Wahrnehmung des Patienten (Hautfarbe), Pulsmessung, Harn-, und seltener
Blut-, und Stuhlschau. Vorher: Anamnese. Hinterher: Prognose.
Begriff: Der Begriff heil verweist in allen alten Sprachen auf das unteilbare Ganze menschlicher Existenz,
auf die Integrität des Menschen.
Die Praxis ärztlichen Handelns im MA war bestimmt von einer strengen Rangfolge: An erster Stelle
hatten immer der ärztliche Rat und die Diätetik zu stehen. Falls notwendig, kam anschließend die
Materia medica, der Heilmittelschatz, zur Anwendung. Chirurgie durfte lediglich ultima ratio, letztes
Mittel, sein. (Hippokratisches Diktum: 'Was das Wort nicht heilt, heilt das Kraut, was Kräuter nicht heilen, heilt das
Eisen, was das Eisen nicht heilt, das heilt der Tod.')
 Diätetik: Lehre vom ausgewogenen Gleichmaß der gesamten Lebensführung. Gehörte seit ältesten
Zeiten zu den Aufgabenbereichen der praktischen Medizin. Theorie der Lebensordnung (antike:
Tugend, Einsicht, Bildung...)  Praxis der Lebensführung. Die Diätetik hat eine alle Therapie
begleitende und begründende Funktion. Klassisch: Maßhalten beim Essen, Schlafen, Beischlafen...
Unterschiedliche Konstitution erfordert, ja nach Alter/Geschlecht, unterschiedliche Lebensweise.
Sechs Muster der gesunden Lebensführung: Gesunder Umgang mit Licht & Luft & Wasser & Klima...,
Essen und Trinken, Wachen und Schlafen, Bewegung und Ruhe (harmonische Rhythmisierung des Alltags),
Ausscheidungen/Sexualleben/Badekultur, Affekten/Emotionen. Immer das richtige Maß halten. Der
Mensch ist selber für seinen Lebensstil verantwortlich und muß ihn kultivieren.
Literaturgattung: Regimina Sanitatis, die v.a. MA Gesundheitsvorsorge und Gesundheitsbildung
prägten. Regimen Sanitatis Salernitanum (Sammlung diätetischer Ratschläge und hygienischer Vorschriften in
Form eines Lehrgedichts.  'Halte den Harn zurück nicht zu lang, regts sich im Darm, so folge dem Drang.' /
'Aufgewärmte Speise, Ärzte die nicht weise, und die bösen Weiber, sind Gesundheitsräuber'). Unglaublicher
Einfluß, im dt. Sprachraum weit verbreitet als Ordnung/Garten der Gesundheit... Bald gab es Regeln
für alle Gruppen und alle Lebenslagen
 Heilmittel: Heilmittel waren im MA stets zugleich Heilsvermittler - nicht allein Träger medizinischer
Wirkstoffe, sondern auch Träger göttlicher Kräfte, Hände Gottes. Gott hat den Heilmittel Kraft und
Macht gegeben. Menschliche, gebrechliche Natur ist auf Heilmittel gleichsam angewiesen.
Heilungsvorgänge waren nicht allein körperliche Wiederherstellung, sondern Wege zum Heil. So
haben Heilmittel einen Bezug zum diesseitigen wie zum ewigen Leben. Die Gesundung lag in der
Hand Gottes, es gab keine Garantie. Alle Heilkraft der Natur weist noch hin auf höhere
Heilsordnung.
Pharmaka waren zugleich Heilmittel und Gift, die Dosis war entscheidend. Arzneimittel falten als
spezifische Mischungen der 4 Elemente, es wies die Primärqualitäten auf und damit verbunden
Sekundärqualitäten wie bitter, süß, salzig - alles in verschiedenen Graden. Dazu kommen noch rein
medizinische Effekte wie abführende, adstringierende... Tertiärqualitäten.  große Modifizierbarkeit
dieses Heilmittelschatzes.
Wirkung auch Abhängig von Alter, Zustand des Patienten, Jahreszeit... Heilmittel kann ganz
unterschiedlich wirken. Daher sollte man zunächst die Reaktion des Patienten testen, dann
Dosierung.
Simplicia (einfache) / Composita (zusammengesetzte Heilmittel.
Anfertigung: Zerschneiden, Mörsern, oder Pulverisieren der Drogen. Abkochen, Aufgießen,
Räuchern...
Heilmittelgruppen: Pflanzen, Tiere, Edelsteine, Mineralien, Metalle, Bäder, Trinkkuren; bei Hildegard
weiterhin zentral: Grünkraft.
Pflanzen/Kräuter (Hildegard): Die größte Gruppe der Heilmittel sind bei H die im ersten Buch
der Physica behandelten Pflanzen, v.a. Kräuter. - aus heutiger Sicht: Bestimmungsproblematik.
Vielen Kräutern werden unter Berufung auf Qualitätenlehre Heilkräfte zugeschrieben, z.b. wenn sie besonders wichtig - erwärmend wirken, da sie in hohem Grade warm sind, und so der gefährlichen
frigiditas im menschlichen Körper entgegenwirken. Eine Reihe von Indikationen auch 
Simile-/Analogieprinzip, magische Eigenschaften. Besondere Bedeutung: Grünkraft, in der sich das
Wirken Gottes offenbare, das allen Kreaturen Leben und Wachstum verleihe. Sie ist das Maß von
Wachstums- und Heilkraft der Pflanzen und zeigt sich im Grün der Kräuter  frische Kräuter
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wirksamer als getrocknete, Sammelzeit wichtig, am besten Frühsommer/Mai, früh morgens (Viriditas
abhängig von Einfluß des Mondes und der Sonne).
Edelsteine (H): Behandelt im 2. Buch der Physica. Traditionell betrachtet als Lebewesen, deren
Wachstum unmittelbar von kosmischen Einflüssen und Sonnenrhythmus abhängig sei.  spezifische
Eigenschaften ergeben sich durch diesen Tagesrhythmus,die Edelsteine, die zu verschiedenen
Tageszeiten entstehen, nehmen entsprechend individuelle himmlische wie irdische Kräfte an.
Fungieren zugleich als Heils- wie Heilmittler. Angeraten bei diversen Krankheitsbildern, v.a. bei
Fieber, Herzleiden.
Anwendung fast ausschließlich als Ganzes, Kraft aktiviert durch Anhauchen, Erhitzen... Auflegen auf
die Haut oder Auszüge in Wein übertragen die Heilkraft, teils verstärkt durch das Sprechen von
Weiheformeln.
Bäume (H): Fast allen im 3. Buch der Physica beschriebenen Bäumen werden wunderbare Kräfte
und Eigenschaften zugeschrieben. Dabei durchdringen sich Reste heidnischen Baumkultes
(Verehrung des Baumes als Sinnbild des Lebens, Wohnung der Götter, Opferstätte...) mit christlichen
Vorstellungen (Baum der Erkenntnis, Paradiesbaum...). So schreibt Hildegard den Bäume heilkräftige
Tugenden zu, welche Zauber und Dämonen abzuwehren vermögen - zu diesem Zwecke ist es oftmals
erforderlich, bestimmte magische Beschwörungen auszusprechen.
Tiere (H): Die Reihenfolge, in der die Tiere in der Physica beschrieben werden, entspricht
derjenigen der Schöpfungsgeschichte - zunächst werden die Fische behandelt, dann die Vögel, die
(Säuge-)Tiere und schließlich die Reptilien -, wobei die Klassifizierung nicht unserem heutigen
Verständnis entspricht.
Bei den Fischen geht es Hildegard offenbar weniger um deren heilkundlichen Wert als um eine
Beschreibung der Tiere und ihres Lebensraumes.
Die VÖGEL werden sehr positiv beschrieben, sie sind kälter und reiner als andere Tiere. Heilkräftige
Wirkung schreibt Hildegard z.B., dem Simileprinzip folgend, dem gelben Pirol zu: Auf den Bauch
gebunden soll er gegen Gelbsucht helfen. Ebenso sollen sonnengetrocknete Reiheraugen die
Sehkraft wiederherstellen.
Bestimmte TIERE werden als heilkräftig angesehen, vor allem solche mit menschenähnlichem
Verhalten - andere sollen gemieden werden, da sie als giftig gelten. Wiederum dem Simileprinzip
folgend werden z.B. dem Maulwurf fäulnisaustreibende Fähigkeiten zugesprochen, da dieser
unrechte und nutzlose Erde aus dem Boden werfe. Dagegen ist hinter dem Rat, bei Gelbsucht eine
Fledermaus zunächst auf den Rücken, dann auf den Magen zu binden, damit sie so die Krankheit in
sich ziehe, der volkstümliche Glaube an die Übertragbarkeit von Krankheiten zu vermuten.
Da die ‘niederen’ oftmals kriechenden REPTILIEN von Hildegard für schädlich gehalten werden,
warnt sie eindringlich vor den Gefahren, die von ihnen ausgehen. Zu den Reptilien zählt sie u.a. auch
Würmer, Schlangen und Spinnen, die alle als eine Folge des Sündenfalls betrachtet werden.
 Chirurgie: Besonders verbreitet: Schröpfen, Aderlaß (selbst im Kloster gab es feste Termine, wo Mönche
vom Klosterbarbier prophylaktisch zur Ader gelassen wurden), Hautverbrennung. Weiterhin: Verrenkungen,
Brüche richten, Knochensplitter entfernen, Ausbrennen Hämorrhoiden & Nasenpolypen, Starstich,
Bruchschnitt. Wundärztliche Maßnahmen  kleine Chirurgie: Wunden reinigen, verbinden, Nähte,
Drainagen, Abszessbehandlung, Geschwulstebehandlung... 'Narkose': Schlafschwämme mit Auszügen aus
Mohnsaft, Alraune, Bilsenkraut, Stechapfel (angefeuchtet über Mund und Nase); Kälte/Hitze, Abschnüren,
Rauschmittel. Aufwecken mit Schwamm, getränkt mit Essig o.ä.
Hildegard praktizierte keine Chirurgie, Geistliche - nur einmal erwähnt sie die Abszeßeröffnung mit
Brombeerdorn. Das im MA außerordentlich populäre Mittel des Aderlasses zur Austreibung
schädlicher Säfte wird von ihr erstaunlicherweise kritisch betrachtet - entziehe zwar Krankheitsstoffe,
berge aber Gefahr der Schwächung; maximal 2 Nußschalen voll Blut. Größere Wertschätzung hegt sie
für das Schröpfen. Hautverbrennen zur Ableitung von Schadstoffen sieht sie eher kritisch, Gefahren v.a. Brenneisen findet sie aggressiv, eher schonenderer Einsatz von Brennkegeln auch
Leinwandknoten o.ä.
 Badekultur: MA Badewesen weitgehend von arabischen Vorbildern abhängig. Äußere Reinigung galt
immer auch als innere Heiligung. Alle Regelkreise zur Lebensführung sind mit Badekultur verbunden.
Badekultur als Heilmittel für die Bedürfnisse des Alltags, es gab zahlreiche Badestuben.
Prinzipien des Heilmitteleinsatzes:
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- nur im angebrachten Fall und mit aller Umsicht
- die Dosis ist entscheidend für heilkräftige/toxische Eigenschaften pflanzlicher Mittel
- zumeist galt es, schädliche Säfte/Fäulnis aus dem Körper zu entfernen  Aderlaß, Brennkegel,
Brechmittel, 'ausziehende Drogen.
- Contraria contrariis: Folgt dem Konzept der Humoralpathologie. Z.B. wird ein Übermaß an kaltem und
feuchtem Schleim durch warme und trockene Drogen behandelt. Da frigiditas, die Kälte grundsätzlich als
besonders schädlich gilt, kommt den erwärmenden Heilmittel die größte Heilkraft zu.
- Simileprinzip: Entstammt der Volksmedizin. Behandlung von Gleichem mit Gleichem  z.B. soll
gelber Pirol gegen Gelbsucht helfen, wenn er auf den Bauch gebunden wird. Ein Maulwurf soll Fäulnis
austreiben.
- Signaturenlehre: Pflanzen werden aufgrund ihrer äußeren Form und Farbe als wirksam gegen
bestimmte Krankheiten eingestuft  z.B. Mariendistel (stachelig) gegen Seitenstechen.
- Magie: Beschwörungen und magische Prozeduren galten in bestimmten Fällen als probates Mittel der
Krankheitsbekämpfung ( Mandragora, FArn etc.). Teils glaubte man auch an das volksmedizinische
Konzept der Übertragbarkeit von Krankheiten auf bestimmte Tiere oder Pflanzen.
Verabreichungsformen:
Es gab keine strenge Trennung zwischen diätetischen und medikamentösen Zubereitungen, zwischen
Küchen- und Heilkräutern.
Innerliche Anwendung: Trank, Aufguß, Dekokt, Leckmittel, Tortelli.
- Trank (soff, jus, potio): häufigste Arzneiform. Hergestellt aus einem Auszug der Kräuter mit Wein,
Wasser oder Essig; der mit Honig versetzt wurde. Meist mußte der Trank warm eingenommen werden.
- Aufguß: Siedendes Wasser wird auf Droge(n) gegeben.
- Dekokt: Abkochen der Droge(n).
- Tortelli (kucheln): häufige Arzneiform von der Größe einer Münze. Herstellung: In Teig aus Mehl und
Eigelb werden die pulverisierten Drogen eingearbeitet, dann werden die Tortellis in der Sonne oder im
Ofen getrocknet. Anwendung: essen, auflegen, zu Salben o.ä. weiterverarbeiten. Die Tortellis waren eine
Form der Konservierung der Arzneimittel.
- Leckmittel: mit Honig zubereitete Arzneimittel musartiger Konsistenz, die nicht nur geleckt wurden.
Äußere Anwendung: v.a. Salben, Kataplasmen, Umschläge, Räucherung
- Salben: Heilmittel mit verschiedenen Fetten verarbeitet.
- Kataplasmen: Sehr häufig. Ein Brei aus Brot oder Mehl mit eingearbeiteten Drogen wurde auf ein
Leintuch gestrichen und auf die schmerzende Stelle aufgelegt.
- Kalte/warme Umschläge: Sehr häufig. Mit Drogendekokt getränktes Leintuch oder die gekochte Droge
selbst wurde direkt auf Körper auf das erkrankte Körperteil gelegt und mit einem Leintuch bedeckt.
- Räucherungen: Wurden v.a. gegen Kopfschmerzen und Erkältungskrankheiten eingesetzt. Der
Rauch wurde durch Aufstreuen aromatischer Kräuter auf glühende Dachziegel o.ä erzeugt.
e) Krankheiten:
- Morbidität und Mortalität werden im hohen und späten MA durch die großen Volkskrankheiten geprägt,
die in der Regel epidemischen Charakter trugen und mit sozialen Katastrophen verknüpft waren, z.B.
Aussatz, Pest, Antoniusfeuer (Mutterkornvergiftung) und die psychischen Epidemien Tanzwut, Veitstanz des
ausgehenden MA.
Hautkrankheiten: Haut galt als Schutzmantel wie auch als Reinigungs- und Kläranlage und auch als
Sinneszentrale, als Gleichgewichtsorgan etc. In den Hautkrankheiten sah man oberflächliche
Ablagerungen von krankhaften inneren Prozessen ( Säfte).
Im MA am aufdringlichsten: Lepra. Breitete sich über gesamten abendländischen Kulturraum aus, ließ in
Europa erst im ausgehenden MA nach. Unter Lepra verstand man im MA eine Vielfalt auffälliger
Erscheinungen der Haut. Besonders dramatisch gestaltete sich das soziale Los der Aussätzigen,
Rechtsvorschriften  Ausgliederung aus der Gesellschaft. Leprosorien i.R. außerhalb der Stadtmauern,
z.T. auch spezielle Bruderschaften zur Pflege.
Pest: Verlief weitaus verheerender als die Lepra, schwerste aller Seuchen des MA. Fast 30% der gesamten
Bevölkerung Europas hingerafft. 1347 Lungenpest vom Schwarzen Meer aus auf Mittelmeerhäfen
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übertragen, Ausbreitung ab 1348. Übertragen durch Hautkontakt (Beulenpest) oder Flöhe (Lungenpest).
Alles wurde als mögliche Ursache erwogen, aber man dachte eher an verseuchte Luft als an verlauste
Kreaturen. Gesundheitspolitische Maßnahmen: rasche Leichenbestattung, Kadaverbeseitigung, Isolierung der
Kranken (Sondersiechenhäuser), ganze Regionen isoliert. Empfehlungen zur hygienischen Lebensweise,
weitgehend unwirksame Medikamente, Duftstoffe, Talismane...
Geburtshilfe: im frühen/hohen MA fast ausschließlich durch Hebammen.
Geistes- & Gehirnkrankheiten: Der Irrsinnige wurde im MA oft zum Symbol für die verrückte Welt,
die auf normale Weise kaum zu verstehen ist. Die christlichen Mystiker beginnen ab dem späten MA von
einem abgründigen Wissen der Narren zu sprechen (z.B. sagte einer, daß sich die Extreme von Heiligem
und Ketzer, wie bei Genie und Wahnsinn - berührten). Mit erstaunlich hohem Niveau beeindruckt die
Irrepflege im arabischen MA (besonders enges Verhältnis des Narren zu Allah, Besessene oft wie Heilige
verehrt. Schon durch Propheten Mohammed waren die arabischen Ärzte angewiesen worden, sich in
humaner Weise mit den Geistesstörungen zu beschäftigen. Bereits im 5. Jh besaß Bagdad das erste
selbständige Irrenhaus). Im abendländischen Kulturraum wurden bereits im 12./13. Jh eigene Häuser
für die Unterbringung von Geisteskranken bereitgestellt.
Bis ins späte MA wurden die Geisteskrankheiten als Störungen im leiblichen Säftesystem aufgefaßt und
behandelt.
Zahnheilkunde: Geradezu uferlos spezialisiert wurden Heilmittel gegen Zahnleiden im MA Abendland.
Allein in den (aus arab. Überlieferung kommenden) Schriften des Constantinus Africanus finden sich 185
Pharmaka gegen Zahnleiden, u.a. Zimt, Nelken, Knoblauch, Kamille, Bilsenkraut... Aus arabischer
Tradition stammen auch die zahnärztlichen Instrumente.
f) Literatur:
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Ackerknecht, Erwin H.: Geschichte der Medizin. 6. durchges. und ergänzte Aufl. Stuttgart 1989.
Jetter, Dieter Geschichte der Medizin. Einführung in die Entwicklung der Heilkunde aller Länder und Zeiten.
Stuttgart. NY 1992.
Molkenthin, Ralf (Hrsg): Die beiden Gesichter der Hildegard von Bingen. Geslsenkirchen 1998.
Müller, Irmgard: Krankheit und Heilmittel im Werk Hildegards von Bingen. In: Hildegard von Bingen
1179-1979. Festschrift zum 800. Todestag der Heiligen. Hrsg. von Anton. Ph. Brück. Mainz 1979. S. 311-349.
Riethe, Peter: Die medizinische Lithologie der Hildegard von Bingen. In: Hildegard von Bingen 1179-1979.
Festschrift zum 800. Todestag der Heiligen. Hrsg. von Anton. Ph. Brück. Mainz 1979. S. 351-370.
Schipperges, Heinrich: Geschichte der Medizin in Schlaglichtern. Mannheim. Wien. Zürich 1990.
Ders.: Medizin. In: LexMA, Bd. 6, Sp. 452-59.
Ders.: Menschenkunde und Heilkunst bei Hildegard von Bingen. In: Hildegard von Bingen 1179-1979.
Festschrift zum 800. Todestag der Heiligen. Hrsg. von Anton. Ph. Brück. Mainz 1979. S. 295-309.
Ders.: Arabische Medizin im lateinischen Mittelalter. in: Sitzungsberichte der Heidelberger Adademie der
Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse, 2/1976.
14
a) Schema der Humoralpathologie
b) Systematik der älteren Heilkunde
c) St. Galler Klosterplan (um 820)