28.10.2015, Foreign Policy/amerika21: »The Making of Leopoldo

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28.10.2015, Foreign Policy/amerika21: »The Making of Leopoldo
Quelle:
, 28.10.2015
The Making of Leopoldo López
Ein näherer Blick auf die demokratischen Qualitäten des Rockstars der
Opposition in Venezuela
Von Roberto Lovato
Übersetzung: Herwig Meyer
Foreign Policy, amerika21
Anhänger von López protestieren gegen
seine
Inhaftierung,
hier
vor
der
venezolanischen Botschaft in Lima, Peru;
Quelle: impresa.prensa.com
Notiz der Herausgeber: Dieser
Artikel wurde wiederholt aktualisiert.
Weiteres dazu finden Sie in den
"Klarstellungen und Korrekturen“ in
den Fußnoten. Siehe dazu auch die
Replik zu diesem Text seitens des
internationalen Büros von Leopoldo
López.
Seit Straßenproteste vor knapp anderthalb Jahren Caracas aufmischten, war die US-Presse
äußerst wohlwollend gegenüber Leopoldo López, dem 44-jährigen eingesperrten Anführer
von Venezuelas radikaler Opposition. Er wurde aufgebaut als Kombination von Nelson
Mandela, Gandhi und seinem entfernten Großonkel Simón Bolívar für seine elektrisierend
konfrontative Politik. Das Nachrichtenmagazin Newsweek schrieb von seinen "blitzenden
Schokoladenaugen und den hohen Backenknochen" und nannte López einen "Revolutionär,
der das alles hat". Die New York Times veröffentlichte ein Foto von ihm mit Kinnlade raus,
Faust in die Luft, vor einer Menge johlender Protestierender und gaben ihm eine Plattform
auf ihrer Meinungsseite. Beim Treffen der Vereinten Nationen letzten September in New
York marschierten Protestierende zur Unterstützung von López auf und Präsident Barack
Obama führte ihn auf einer Liste politischer Gefangener repressiver Länder wie China und
Ägypten, die es "verdienen, frei zu sein". López, der schon Interviews gegeben hatte ohne
ein Hemd an, vereinnahmte Freiheit und Demokratie auf Auditorien weltweit mit Weltstars
wie Kevin Spacey und Cher zu seiner Unterstützung, und der Hashtag #freeleopoldo schoss
währenddessen auf Twitter nach oben.
Aber in Venezuela ist das Bild deutlich komplexer. López ist seit Februar 2014 im Gefängnis,
angeklagt wegen öffentlicher Anstachelung und Verschwörung beim ersten großen
Antiregierungsprotest am 12. Februar 2014 mit drei toten Protestierenden und wochenlangen
Protestzügen, Straßenblockaden, Vandalismus und Gewalt. Die Anklagen gegen ihn, die
Amnesty International "politisch motiviert" nennt, könnten zu zehn Jahren Gefängnis führen.
(Anm. d. Red.: López wurde am 11. September 2015 wegen Aufhetzung zur Gewalt,
Beschädigung von Privateigentum, Brandstiftung und Bildung einer kriminellen Vereinigung
2
zu 13 Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.) Außerhalb vom Gericht verläuft der Streit
zwischen denen, die López für einen Freiheitskämpfer und die Anklage für aufgebläht halten,
und denjenigen, die glauben, er sei ein gewalttätiger "Faschist", wie von der Regierung des
Präsidenten Nicolás Maduro behauptet.
Im Vergleich zur Welle der Straßenproteste – mit schließlich 43 toten
Antiregierungsprotestlern, Regierungsunterstützern und Nationalgardisten – nahm das
López-Gerichtsverfahren ohne großes Aufsehen seinen Fortgang. Der Richter hatte keinerlei
Freundlichkeiten für López' Verteidigung, bis auf einen wurden alle 65 von dessen Anwälten
benannte Zeugen zurückgewiesen, während 108 Zeugen der Anklage zugelassen wurden.
"Dies hier ist kein Gericht", schrieb López letzten Sommer aus dem Gefängnis: "Das ist ein
Erschießungskommando." Diesen September klagte er über seinen offiziellen TwitterZugang Maduro und dessen Innenminister als die "wahren Verantwortlichen für die
Gewalttaten" an. Dennoch, als die Verhandlungen im Februar wiederaufgenommen wurden,
nahmen die venezolanischen Medien davon kaum Notiz.
López' Gerichtstermine in Caracas interessierten außerhalb des Gerichtsgebäudes meist nur
kleine Unterstützergruppen, angeführt von Lilian Tintori, seiner Frau. Andere wichtige
Oppositionsführer hielten sich fern, sie äußern jedoch regelmäßig Unterstützung für López'
Freilassung. Eine Kampagne seiner Partei, der Voluntad Popular, eine Versammlung zur
Neuschreibung der Verfassung und Umorganisierung der Regierung einzuberufen, rief Kritik
hervor, der Anführer einer konkurrierenden Oppositionspartei rief zu "Verantwortung und
Seriosität" auf, ein Gouverneur der Opposition verlangte das Ende von "Anarchie und
guarimbas", den Straßenbarrikaden, eine bevorzugte Taktik von López' jugendlichen
Unterstützern.
***
Während der Venezuela-Besuche im vergangenen Jahr wurde deutlich, dass López auch
nach seiner Verhaftung bei den jungen Aktivisten der Opposition der Rockstar geblieben
war. "Leopoldo ist eine Person mit herausragenden demokratischen und katholischen
Werten", sagte mir Alejandro Aguirre, Mitglied der Javu (Aktive Jugend für ein Vereinigtes
Venezuela), einer der wichtigen Studentengruppen hinter den Februarprotesten. "Außerdem
ist er ein Athlet", fügte Aguirre hinzu, den ich am 7. Mai beim Oppositionsforum "Anders
Denken ist kein Verbrechen" traf, welches von El Nacional ausgerichtet worden war, einer
der größten Tageszeitungen des Landes. "Athleten sind moralisch sauber, unverdorben,
(und) mit schärferem Verstand als andere Leute." Er sprach auch über López' familiäre
Qualitäten. "Leopoldo", sagte er, "ist ein Vorbild für die Jugend."
Später am Tag erschien die teleaffine Tintori, Ex-Model, Kite-Surf-Champion und RealityShowstar, auf einer Kundgebung für politische Gefangene in Chacao, einem Stadtteil von
Caracas, wo ihr Ehemann früher Bürgermeister war, ein Zentrum der
Antiregierungsopposition und außerdem eine der wohlhabendsten Gegenden von ganz
Venezuela.
Sprühend in ihrer leuchtend orangefarbenen Windjacke, mit ihrem makellosen Lächeln und
langem blonden Haar, kam Tintoris Fähigkeit als Bannerträgerin für die Botschaft ihres
eingesperrten Mannes voll zur Geltung.
"Sie wollen unseren Traum einkerkern", rief sie, in Positur neben einer der lebensgroßen
Pappfiguren ihres Ehemannes, wie sie in den Oppositionshochburgen des wohlhabenden
östlichen Caracas allgegenwärtig sind. Sie pries die Bilanz ihres Mannes als Bürgermeister,
wies hin auf das Krankenhaus in Chacao, wo "die Ärzte euch mit Liebe behandeln, als wäret
ihr jemand Besonderes". Und sie fuhr fort: "Das ist es, was wir als Venezolaner sein wollen,
alle gleich, Rechte für alle Menschen ohne Unterscheidung und ohne Privilegien! Der Kampf
eines Einzelnen ist heute der Kampf aller!"
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Die Aktionen des heutigen Tages boten einen Blick auf den mediengestützten Populismus,
wie er López und seiner politischen Partei half, Fahrt aufzunehmen, der Venezuelas
etablierter Opposition, angeführt von der MUD-Koalition (Tisch Demokratischer Einheit),
versagt blieb. Die Opposition hatte in 18 der 19 nationalen und regionalen Wahlen und
Referenden massiv verloren, die abgehalten wurden, seit Präsident Hugo Chávez 1998 zum
ersten Mal gewählt worden war. Obgleich von US-Medien selten registriert, werden die tiefen
Risse zwischen MUD und ihrem Anführer, Henrique Capriles, und dem jüngeren, radikaleren
Flügel der Opposition Venezuelas, angeführt von López, in Venezuelas Medien mit den
Aufgeregtheiten von Seifenopern wiedergegeben. "Bei der Opposition erregt López einen
Zorn, wie sonst allenfalls Chávez", wie Mary Ponte, führendes Mitglied der Mitte-rechtsOppositionspartei Primero Justicia, laut einer diplomatischen US-Depesche 2009 mal sagte.
"Der einzige Unterschied zwischen den beiden ist das erheblich bessere Aussehen von
López." In einem anderen Absatz derselben Depesche der US-Botschaft mit Titel "Das
López-Problem" beschrieben Offizielle des US-Außenministeriums López als "spalterische
Figur innerhalb der Opposition", der "oft als arrogant beschrieben wird, rachsüchtig sei und
machthungrig – aber Parteioffizielle gestehen ihm anhaltende Popularität zu, Charisma und
Begabung als Organisator". Mit Sicherheit hat kein früherer venezolanischer
Oppositionsführer sich selbst in einer Weise auf der internationalen Bühne positioniert, wie
López es geschafft hat.
Aber das internationale Wohlwollen für López hing ganz wesentlich ab von seinem Bild als
standhafter Verteidiger der Demokratie – also als einer mit hinreichender Distanz zum höchst
unpopulären Putschversuch von April 2002, als Militärs und führende Geschäftsleute
Präsident Chávez für 47 Stunden aus dem Amt stießen. Ein Weißbuch vom Juli 2014 über
sein Verfahren, geschrieben von zwei Anwälten, die ihn und seine Familie vertraten – Jared
Genser und José Antonio Maes – stellt fest, dass "López kein Unterstützer des Putsches
war, auch unterschrieb er nicht die 'Verordnung zur Konstituierung der Regierung des
Demokratischen Wandels und der Nationalen Einheit' (Carmona-Dekret), also das Dokument
des Versuchs, Chávez zu stürzen und die Nationalversammlung und das Oberste Gericht
aufzulösen – und er war auch nicht verbündet mit den führenden Geschäftsleuten, die das
betrieben hatten." López selbst betont häufig seine Loyalität zur Verfassung wie etwa in
seinem Gastbeitrag in der New York Times von März 2014, als er schrieb: "Ein Wechsel der
Führungsspitze kann ausschließlich im Rahmen der Verfassung und der Gesetze erreicht
werden."
Aber Interviews mit zentralen Figuren des 2002er-Putsches, ein näherer Blick auf López'
enge Mitarbeiter und die Durchsicht von Presse, Bildmaterial der Ereignisse und
Dokumenten der US-Regierung zeichnen ein komplexeres Bild dieser Beteuerungen.
***
Leopoldo López wurde 1971 in eine der elitärsten Familien Venezuelas hineingeboren, er ist
direkter Nachkomme sowohl des revolutionären Führers Simón Bolívar aus dem 19.
Jahrhundert als auch von Venezuelas erstem Präsidenten Cristóbal Mendoza. Seine Mutter,
Antonieta Mendoza de López, ist Topmanagerin bei Cisneros Group, einem globalen
Medienunternehmen. Sein Vater, Leopoldo López Gil, ist Gastronom, Geschäftsmann und ist
einer der Herausgeber von El Nacional.
"Ich gehöre zu dem einen Prozent der am meisten privilegierten Leute", sagte López als
Teenager, lange bevor die Occupy-Bewegung diesen Ausdruck populär gemacht hatte, in
einem Interview mit einer Studentenzeitung an der Hun School of Princeton, einem privaten
Eliteinternat in New Jersey. Es war an der Hun School, zu deren Alumni saudische Prinzen,
ein Kind eines US-Präsidenten und ein Kind eines der Fortune-500-CEO‘s gehörte, wo
López das "Erwachen der Verantwortung" verspürte, "die ich für die Menschen meines
Landes habe".
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Von der Hun School ging López zum Kenyon College, einer liberalen Kunstakademie in
Ohio, wo er Beziehungen anknüpfte, die ihm bis heute nützlich sind. Es war ein früherer
Klassenkamerad und politischer Berater, Rob Gluck, der die "Freunde für ein Freies
Venezuela" in Szene setzte, die medienzentrierte Anwaltsgruppe hinter der
hochangesiedelten US-Kampagne für López' Freilassung. Als ein Beispiel für den
"nachhaltigen Eindruck, den (López) auf Menschen gemacht hat", berichtete mir Gluck,
Sprecher der Gruppe, wie "innerhalb von Tagen nach dessen Festnahme, ja binnen
Stunden" Freunde von Kenyon in einflussreichen Positionen aus Journalismus,
Kommunikation, Anwaltschaft und Regierung "emailten, Verbindung aufnahmen, sich
freiwillig anboten (und) fragten, was wir denn tun könnten".
Einige dieser Klassenkameraden gründeten darüber hinaus die "Free Leopoldo"-Kampagne,
eine gut verknüpfte Anwaltsgruppe mit zündender Public Relation und Kampagnen in
sozialen Medien für López' Interessen. Einer der Kenyon-Klassenkameraden, die halfen,
"Free Leopoldo" in den USA einflussreich zu machen, ist Leonardo Alcivar, Funktionär der
Republikanischen Partei, der die Kommunikationsstrategien der Romney-Kampagne und
den 2004er-Nationalkonvent der Republikanischen Partei leitete und der jetzt bei einer
Kommunikationsfirma arbeitet, die Unternehmen bei ihrer Online-Strategie berät. Kein
anderer Teil von Venezuelas Opposition verfügt über einen vergleichbaren USMedieneinsatz wie López durch "Free Leopoldo".
Gluck selbst war früher strategischer Planer bei den Republikanern, der für Lamar
Alexanders Präsidentschaftskampagne arbeitete und die erfolgreiche Kampagne zur
Wiederberufung von Gouverneur Gray Davis, welche zur Wahl von Arnold Schwarzenegger
führte. Er ist derzeit Partner bei der High Lantern Group, einer in Pasadena angesiedelten
Kommunikationsfirma. Er sagt, "López war immer progressiv", und gemessen am politischen
Spektrum der USA sei er "links von der Mitte". Gluck betreibt "Freunde für ein Freies
Venezuela" pro bono – "meine freie Zeit, Leidenschaft und meine Verbindungen" treiben die
Arbeit an, wie er sagt – aber, fügt er hinzu, seine Kommunikationsfirma wird auch in Dienst
genommen von López' Familie, um "die Botschaft von (López') Situation nach draußen zu
bringen".
Nach Kenyon ging López nach Harvard, zur John F. Kennedy School of Government, wo er
eine weitere einflussreiche Person traf, später einer seiner wichtigsten Unterstützer – den
Venezolaner Pedro Burelli, früher ein JP-Morgan Manager und vor der Chávez-Ära einer der
Direktoren von PDVSA, Venezuelas nationaler Ölgesellschaft, die die weltweit größten
Rohölreserven kontrolliert.
Sie beide, sagt Burelli, trafen sich das erste Mal bei einer Vorstellungsreise in Harvard, als
Burelli noch bei JP-Morgan war. "Jemand machte mich auf diesen jungen Venezolaner
aufmerksam, der an der Kennedy School war, wo ich Jahre zuvor Examen gemacht hatte",
erklärt Burelli, jetzt Unternehmensberater bei B+V-Advisors, "und ich nahm Verbindung mit
ihm auf."[1]
López begann 1996 bei PDVSA und war dort drei Jahre lang Analyst. Im Jahre 1994 kam
auch López' Mutter zu PDVSA, und 1998, nach einer ausgedehnten Runde durch
Tochtergesellschaften, wurde sie Vizepräsidentin für Firmenangelegenheiten.[2]
Burelli betrachtet sich selbst als "sehr guten Freund" von López, er unterstützte, sagt er, den
Oppositionsführer seit dessen Zeit bei der PDVSA bis Anfang 2014 mit informellem Rat bei
vielen von dessen umstrittenen politischen Schritten.[3] Während er bei der PDVSA war,
erläutert Burelli, half López bei der Gründung der Gruppe Primero Justicia (Gerechtigkeit
Zuerst) – die 2000 zur Gründung einer Oppositionspartei gleichen Namens führte. Im Jahre
2005 ergab eine Untersuchung des Rechnungshofes, dass die Mutter von López 1998, als
sie und López noch im Unternehmen waren und unter Verletzung von
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Antikorruptionsgesetzen, 120.000 US-Dollar Firmenspenden von der PDVSA zu Primero
Justicia umgeleitet hatte. López' Anwälte weisen darauf hin, dass Primero Justicia zu jener
Zeit eine Non-Profit-Organisation war und noch keine Partei und dass López wegen dieser
Anschuldigungen niemals vor Gericht gestanden hatte. Der Rechnungshof untersagte López
dennoch von 2005 bis 2008 seine Bürotätigkeit. Eine weitere Untersuchung in einer anderen
Angelegenheit verbot López seine Tätigkeit bis 2014.[4]
Die Interamerikanische Kommission und der Interamerikanische Gerichtshof für
Menschenrechte, angerufen von López, erklärten seine Verurteilung und das Verbot seiner
Kandidatur für öffentliche Ämter für ungesetzlich und als Verstoß gegen sein Recht auf freie
politische Betätigung und auf ein ordentliches Gerichtsverfahren. Aber das Oberste Gericht
Venezuelas weigerte sich, dieser Anweisung zu folgen.[5]
López verließ Primero Justicia 2007 im Streit mit anderen Parteimitgliedern, er wechselte
von einer politischen Partei zur nächsten, was schließlich zu seiner Don-QuijotePräsidentschaftskandidatur 2012 für seine aktuelle Partei, Voluntad Popular, führte.
Während dieser Jahre spielte er auch eine zentrale Rolle für die anwachsende studentische
Opposition. In einer geleakten Depesche des US-Außenministeriums von 2007 ist zu lesen:
"Der junge, dynamische oppositionelle Bürgermeister des Chacao-Distrikts in Caracas,
Leopoldo López, redete zu den Studenten bei deren ersten Demonstrationen in seinem
Bezirk, und er gibt ihnen Ratschläge abseits der Öffentlichkeit"; woanders wird López
beschrieben als "die beste Verbindung zur studentischen Bewegung". Einige Javu-Anführer,
unter anderen einer aus den Depeschen, entwickelten sich zu Aktivisten der Voluntad
Popular, der Partei, die López' Aufstieg zur nationalen Bekanntheit anschob.
In der Zeit, als López an seinen politischen Fähigkeiten feilte und sich seine Basis aufbaute,
stand er im Schatten seines früheren Mitstreiters aus der venezolanischen Opposition,
Henrique Capriles, der der Anführer von Primero Justicia blieb und der zweimal für die
Präsidentschaft kandidierte. Aber Capriles verlor 2012 eklatant gegen Chávez,
abgeschlagen mit über einer Million Stimmen Unterschied, was zu den katastrophalen
Verlusten der Opposition später im Jahr bei den Gouverneurswahlen beitrug. 2013 verlor
Capriles wieder, gegen Maduro, wenn auch knapper. Diese Niederlagen führten zu
Spaltungen bei der Opposition und – kombiniert mit Venezuelas wirtschaftlichem Niedergang
und dem langen Warten auf Maduros Abschied 2019 – trieben López und seine
studentischen Unterstützer letzten Februar auf die Straßen mit Parolen wie "Freiheit!" und
"Demokratie!". Sie fingen auch an mit Rufen nach "Salida", also Rücktritt von Maduro, ein
Ausruf, wie er 2002 vielfach auch gegen Chávez benutzt wurde.
"Demokratie" ist der innere Kern beim Anspruch auf Legitimität für die neue, radikalere
Bewegung. Zentral für diesen Anspruch ist die Fähigkeit des charismatischen Anführers, sich
von Venezuelas kurzem Putschversuch 2002 zu distanzieren, der immer noch eine offene
politische Wunde ist.
Mitte April 2002, mitten in einem oppositionsgeführten Generalstreik gegen die PDVSA und
Massenprotesten gegen (und für) Präsident Hugo Chávez, nahm eine Gruppe Militärs und
führender Geschäftsleute Chávez in Haft und ernannte einen vorläufigen Präsidenten, Pedro
Carmona, der damals Präsident der venezolanischen Industrie- und Handelskammer war.
Das zentrale Dokument, in dem die Putschisten ihre neue Regierung ankündigten, wurde in
Miraflores, dem Präsidentenpalast, am 12. April 2002 unterzeichnet, dem Tag, an dem
Chávez festgenommen wurde und Carmona die Macht übernahm. In diesem Dokument,
bekannt als Carmona-Dekret, wurden Nationalversammlung und Oberstes Gericht aufgelöst,
also die 1999er-Verfassung des Landes effektiv abgeschafft. Das Schicksal des
Putschversuchs hing entscheidend von den Ereignissen der folgenden Tage ab, die
Opposition lancierte Generalstreik, Massenproteste und Medienkampagnen zur
Unterstützung der Rechtmäßigkeit der Carmona-Regierung im Lande und außerhalb. Der
Putschversuch wurde von Regierungen weltweit verurteilt, die Regierung des früheren US-
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Präsidenten George W. Bush jedoch verweigerte sich dem und gab Carmona damit
Rückenwind. Tagelang wurde von Militärs Druck auf Chávez ausgeübt, freiwillig
zurückzutreten, Putschistenführer behaupteten fälschlicherweise, er habe das getan. ProChávez-Kräfte hatten währenddessen eigene Massenproteste organisiert; getragen von
dieser Welle, drohten Pro-Chávez-Militärs, Carmona aus dem Amt zu holen, worauf der
schließlich zurücktrat, und Chávez wurde zum Präsidentenpalast zurückgeflogen.
Der Putschversuch ist in Venezuela immer noch äußerst unpopulär, nicht zuletzt wegen
Carmonas Entscheidung, die Verfassung aufzuheben, ein Dokument, dem nur drei Jahre
vorher eine überwältigende Mehrheit der Venezolaner zugestimmt hatte, dabei auch viele
Sympathisanten der Opposition. Eine Umfrage von September 2003 von Datanalisis, einem
der bekannten Meinungsforschungsinstitute Venezuelas, kam zum Ergebnis, dass 90
Prozent der Befragten sich eine legale, demokratische und friedliche Lösung der politischen
Krise des Landes wünschten. Die fehlende Popularität des Putsches wurde noch einmal
bestätigt bei Chávez‘ überwältigendem Sieg beim Abwahlversuch 2004. Jene zwei
Putschtage 2002 bleiben laut Luis Vincente Leon, Präsident von Datanalisis, eine "delikate"
Angelegenheit für die Opposition. "Sie haben etwas angestellt, das sie zu verdrängen
suchten", sagte er, "und das wollen sie immer noch."
López und seine Helfer vom radikalen Oppositionsflügel versuchen seit Langem, diese
Erinnerung loszuwerden. López hat all die Jahre stets betont, er habe das Carmona-Dekret
nicht unterschrieben – und es gibt keinen Hinweis, dass er das doch tat. Auch habe er
keinerlei Rolle bei den Putschvorbereitungen gespielt. "In keinerlei Weise war López
Unterstützer des Coups, er war auch nicht verbündet mit den Unternehmern, die ihn
anführten", ist im Weißbuch seiner Anwälte zu lesen. Dieses Papier wurde am 21. Juli 2014
bei einer Pressekonferenz des Nationalen Presseklubs veröffentlicht, die von einem
emotionalen Appel Tintoris für "Solidarität" und zur Freilassung ihres Mannes aus dem
Gefängnis geprägt war. "Mir bricht es das Herz", sagte sie den versammelten Journalisten
und Unterstützern, "meiner Tochter nach jedem Besuch erklären zu müssen, warum ihr Papa
nicht nach Hause kommen kann."
Aber
Nachrichtentexte,
Parlamentsprotokolle,
Dokumente
der
US-Regierung,
Videoaufzeichnungen und Interviews zeigen, dass López vom Putschversuch und dessen
Rädelsführern keineswegs dermaßen weit entfernt war, wie er und seine Vertreter es
glauben machen. Zu den Putsch-Anstiftern und den Unterzeichnern des Carmona-Dekrets
gehören Figuren, die zur fraglichen Zeit und auch jetzt zu López' innerem Kreis gehören. Der
in Harvard ausgebildete Leopoldo Martinez, mehrere Jahre lang Oppositionsführer im
Parlament, leitete Primero Justicia zusammen mit López; er war vorgesehen als
Finanzminister der kurzlebigen Carmona-Regierung. Maria Corina Machado, López' engste
Mitarbeiterin, die zusammen mit ihm zu den Protesten im letzten Februar aufgerufen hatte,
war Unterzeichnerin; ebenso Manuel Rosales, früherer Anführer von Un Nuevo Tiempo,
einer Partei, der López beigetreten war und die er 2007 aufbauen half (und aus der er 2009
ausgeschlossen wurde). Einer der etwa 400 Geschäftsleute, Militärs, Medienleute und
politischen Figuren, die das Dekret in einer lärmigen Zeremonie im April 2002 in Miraflores
unterzeichneten – während Chávez nicht weit weg in einer Militäranlage festgehalten wurde
– war Leopoldo López Gil, López' Vater.
Letzten Mai, bei einer Kundgebung für politische Gefangene in Caracas, näherte ich mich
López Senior, um ihn zu seiner Entscheidung, zu unterzeichnen, zu befragen. "Habe ich
nicht, keiner von uns, die da waren, hat irgendein 'Dekret' unterschrieben", sagte er. "Was
sie herumgereicht haben, war eine Anwesenheitsliste, die später missinterpretiert wurde.
Wie hätten wir etwas unterzeichnen sollen, das wir nicht einmal gesehen hatten?" Aber
Bildmaterial der Carmona-Unterschriftenaktion vom 12. April, das erst vor einigen Jahren ans
Licht kam, zeigt eine andere Wahrheit: Ein überfüllter Raum mit Männern in Anzügen jubelt,
als Teile des Dekrets zur Auflösung aller Bereiche der Regierung von Daniel Romero,
Carmonas designiertem Generalstaatsanwalt, bei donnerndem Applaus vorgelesen werden.
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Das Video zeigt auch die Vereidigung Carmonas als Präsident und Romero, wie er die
Anwesenden einlädt, "das Dekret, das soeben vorgelesen wurde, zur Unterstützung des
Prozesses zu unterzeichnen".
Der jüngere López, damals 30, war zur Zeit des Putschversuchs Bürgermeister von Chacao,
einem Stadtteil von Caracas. Er unterstützte sowohl den Generalstreik des 9./10. April als
auch den großen Marsch der Opposition vom 11. April unmittelbar vor Chávez‘ Absetzung.
Beides waren Schlüsselereignisse für den kurzen Erfolg des Coups, und López und Primero
Justicia verschafften dessen Anführern sowohl Legitimität als auch notwendigen Rückhalt an
öffentlicher Unterstützung.
Bei einer parlamentarischen Anhörung zum Coup im Juni des Jahres wurden Videobilder
einer Übertragung von "24 Horas" (24 Stunden) wiedergegeben, einer Nachrichtensendung
von Venevision, bei der der jüngere López, wie es scheint, Chávez‘ Absetzung feiert.
(Venevisión sagt, es könne kein Filmmaterial von 2002 mehr auffinden.) "Dieser Tag war für
mich von Beginn an ein Tag ohne Umkehr", sagt er gemäß offiziellem Parlamentsprotokoll.
"Dies war ein Tag, als wir sagten, hier fiel die Maske der Diktatur, und darauf hatten wir alle
gesetzt." (Ein Mitglied von López' Anwaltsteam, um einen Kommentar zu diesen Zeilen
gebeten, erklärte per Mail: "Nichts in dem, was Leopoldo sagte, ist ein Hinweis auf seine
Unterstützung des Coups: Er rief niemals zur Absetzung von Präsident Chávez auf oder zum
Umsturz", fügte er hinzu. "Und Sie können definitiv kein Vertrauen zu dem haben, was die
Regierung Venezuelas gesagt hat", sagte er.)
Andere Videoquellen aus der fraglichen Zeit deuten hingegen auf großen Enthusiasmus von
López für Chávez‘ Absetzung. In einer Nachrichtensendung vom zentralen PDVSAProtestmarsch in Caracas am 9. April 2002 erscheint López mit Baseballcap auf der Bühne
und dirigiert eine Menge Zehntausender zum Chor "Kein Schritt zurück!". Mit gellender
Stimme schreit er: "Wir sind hier die ganze Nacht und morgen den ganzen Tag, bis der
Präsident verschwindet!" ("Die Proteste und der Marsch", sagt López' Anwalt, "waren kein
Putschversuch – sie wurden später dazu gemacht, aber nicht von ihm".)
In einem Videokommuniqué, veröffentlicht von Primero Justicia am 11. April, als der Coup im
Gange war, stehen López und andere Parteiführer neben ihrem Sprecher, dem
oppositionellen Parlamentsmitglied Julio Borges, der erklärt, er und andere Parlamentarier
seien bereit, von ihren Positionen zurückzutreten, und, in der Taktik, die Auflösung der
Chávez-Regierung zu legitimieren, verlangten sie vom Obersten Gericht, vom Präsidenten
und von dessen Kabinett, ebenfalls von ihren Posten "zurückzutreten". López benutzte
wiederholt den Begriff "renuncia", Rücktritt, ebenso wie "salida", also den von den CoupAnführen favorisierten Begriff während eines Interviews am 11. April bei Venevisions
beliebter "Napoleon Bravo"-Morgentalkshow. Gemäß noch verfügbarer Auszüge aus diesem
Interview beschreibt López kurz, wie eine "Übergangsregierung" aussehen könne, und er
sieht nur zwei mögliche Auswege aus der politischen Krise: den Coup oder die Auflösung der
Regierung. "Was für Möglichkeiten haben wir in Venezuela?", fragt er rhetorisch. "Entweder
gibt es einen Coup, kurz, nüchtern oder sonst wie, oder eben unseren Vorschlag (das heißt
Rücktritt der Chávez-Regierung). Es gibt keinen anderen Weg, hier in Venezuela über den
toten Punkt zu kommen." Chávez trat natürlich niemals zurück, stattdessen wurde er
verhaftet.
In seinem Buch mit einer Beschreibung der Vorgänge von April 2002, "Mein Zeugnis vor der
Geschichte", weist Carmona darauf hin, dass der Marsch am 11. April ursprünglich zur
PDVSA gehen sollte, dann aber zum Präsidentenpalast umgeleitet wurde, wo Pro-ChávezProtestierer sich schon versammelt hatten. Als die beiden Seiten nahe beim Palast
zusammenstießen, eskalierte der Konflikt und 19 Protestierende – beider Seiten – wurden
von Kugeln getroffen und getötet. Carmona schreibt, dass er López "konsultierte" und dass
die fatale Routenänderung des Protestzuges von "Bürgermeister Leopoldo López autorisiert"
wurde.
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Doch eineinhalb Monate nach dieser gewalttätigen Konfrontation und bei einer
Zeugenaussage vor einer parlamentarischen Kommission, die zum Umsturzversuch
ermittelte, bestand López darauf: "Zu keinem Zeitpunkt hatten wir Kontakt mit Sprechern der
Übergangsregierung … Alle unsere Entscheidungen waren vollständig und absolut
autonom."
Die am meisten kontroverse Episode von López bleibt die vom 12. April, die Festnahme und
Einkerkerung des damaligen Innenministers Ramon Rodriguez Chacin. López, damaliger
Bürgermeister von Chacao, und Capriles, Bürgermeister von Baruta (anderer Stadtteil von
Caracas), erschienen nach Hinweisen aus der Nachbarschaft, wie sie sagen, bei dem Haus,
wo Chacin sich aufhielt, unbewacht, und machten ihn persönlich verantwortlich für die 19
Erschossenen des Vortags. Als Oppositionelle und Medienleute sich außerhalb des Hauses
in Baruta sammelten, setzten die beiden Bürgermeister ihn gefangen. (Die Todesfälle
blieben bislang ungeklärt; beide Seiten beharren darauf, dass die andere verantwortlich sei.)
López erklärte den Reportern damals, dass er und Capriles einen Durchsuchungsbefehl für
das Haus bekommen hätten, und sie hätten Chacins Festnahme mit der Polizei von Baruta
koordiniert. Kurz nachdem Chacin weggebracht war, zeigen weitere Videobilder López, wie
er Reportern erzählt, dass "Präsident Carmona über die Festnahme Bescheid weiß", ein
weiterer Hinweis der Zusammenarbeit mit dem Anführer des Coups, also etwas, das López
in allgemeinen Worten seitdem viele Male bestritten hat. (Nachdem Chávez wieder an der
Macht war, wurden Capriles und López wegen illegaler Festnahme in diesem Vorfall
angezeigt, aber sie wurden später im Zuge einer weitreichenden und kontroversen Amnestie
begnadigt. Danach bei einer Pro-Regierungs-Talkshow 2012 gefragt, gestand López ein,
dass diese Festnahme ein Fehler war.)
Im März 2014 saß ich mit Chacin zusammen, derzeitiger Gouverneur im Staat Guarico, um
über die Ereignisse jenes Tages zu reden. "Ich hatte Carmona damals in dessen Haus
getroffen, um herauszufinden, wie man zu einer Übereinkunft kommen könne, dem Land
Frieden zu bringen", sagte er. Die Festnahme, nur eine Woche später, kam für ihn
überraschend.
"Leopoldo López fing an, mit einem Megafon in der Nachbarschaft herumzuziehen, ich sei
ein Mörder und sei verantwortlich für die Toten", sagte Chacin. "Er rief sie zusammen und
erzählte ihnen, ich würde vor Gericht gebracht für die Mordaktionen der vergangenen Tage."
Ein Nachrichtenclip des Vorfalls zeigt, wie Chacin von der Menge geschlagen wird. Aber ein
anderes Video jenes Tages zitiert, gemäß Protokoll der Parlamentsanhörung von Juni 2002
über den Coup, López mit der Behauptung, die Chávez-Regierung habe "sich versteckt, aber
hier wird es Gerechtigkeit geben, denn was Venezuela hier und jetzt braucht, ist
Gerechtigkeit".
Chacin fuhr fort: "Sie sagten, sie würden mich festhalten und sie würden das sowieso tun,
denn 'das hier ist ein Staatsstreich, und Chávez ist zurückgetreten.' Ich entgegnete ihnen:
'Nein, Chávez ist nicht zurückgetreten'."
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López wurde nie gerichtlich beschuldigt, einen Putsch geplant zu haben. Aber die Tatsache,
dass er in den strittigen Ereignissen 2002 eine Rolle spielte, ist in seinem Heimatland weithin
bekannt, und dies hat den Blick vieler Venezolaner auf seine Rolle bei den letzten Februar in
Caracas aufgeflammten Protesten sicherlich geprägt. Letzten März, als die "guarimbas", die
Straßenbarrikaden, in den Hochburgen der oppositionellen Elite, immer noch standen,
sprach ich mit Hermann Escarra, einem Verfassungsanwalt und früherem oppositionellen
Aktivisten, der einer der hauptsächlichen Architekten der 1999er-Verfassung Venezuelas
war. Obgleich Escarra von Chavistas geschmäht wird wegen seiner Opposition gegen
Präsident Chávez und dessen Unterstützer (beziehungsweise gegen deren Plan, die
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Präsidentschaft unbeschränkt auszudehnen), bezeichnet Escarra die Vorgänge 2002 als
"Bruch der verfassungsmäßigen Ordnung".
Escarra äußert persönlichen Respekt für López, er sei aber nicht einverstanden mit dem,
was er López' Missachtung der Verfassung nennt. Bei einem mit Video aufgenommenen
Oppositionstreffen im Februar 2004 saß er neben López, als der junge Politiker erklärte: "Wir
sollten stolz sein auf den 11. April, als wir Chávez stürzten mit einem Marsch! … Der Mann
trat am 11. April zurück, er zog seinen Schwanz ein und verschwand" – was eine
verblüffende Aussage fast zwei Jahre nach dem Coup ist, als die Behauptung, Chávez sei
jemals zurückgetreten, keinesfalls mehr plausibel war.
Ich bat ihn, über die Proteste zu reflektieren, die immer noch Unruhe in die Stadt bringen,
und über die Behauptung der Regierung, López sei mitverantwortlich für die Gewalt. Die
aktuellen Vorwürfe gegen López wollte Escarra nicht kommentieren, er sei mit den Details
nicht hinreichend vertraut, und er verteidigte die Rechte der Opposition auf friedliche
Proteste. Aber er äußerte große Sorge über die kürzlich durchgeführten oppositionellen
Proteste, die gesetzlos und gewalttätig geworden waren. "Was jetzt in Venezuela passiert,
würde in den USA nie passieren und wird dort nicht passieren. Keiner würde daran denken,
Autos oder Reifen anzustecken, Straßen Richtung Weißes Haus in Brand zu setzen, weil es
härteste Strafen dafür geben würde", sagte Escarra. "Hier gibt es die 'guarimbas' genannten
Barrikaden, wo sie Kriegsmaterial gefunden haben und wo sie Molotowcocktails gefunden
haben."
Im Verlauf des vergangenen Jahres gab es neue Anschuldigungen seitens der Regierung,
die den Focus von der 2014er-Protestwelle wegnahmen. Es fing an mit einem
Regierungsreport mit dünner Quellenlage, herausgegeben im Mai letzten Jahres. Unter dem
Titel "Putsch- und Mordplan in Venezuela enthüllt", verknüpft dieser Report den USBotschafter in Kolumbien, Kevin Whitaker, und zwei enge López-Verbündete – Maria Corina
Machado, jetzt an der Spitze der Vente-Venezuela-Partei, und López' alten Freund und
Mentor von Harvard, Pedro Burelli – mit einer Verschwörung, Maduro zu "vernichten" und die
Regierung zu stürzen. Gemäß dem damaligem Justizminister Miguel Rodriguez Torres
gehörten Politiker, Geschäftsleute und Militärs zu dem Plot, die, wie er behauptete, die
wirklichen Kräfte hinter den Straßenprotesten von Februar 2014 waren. [6]
Um ihre Anschuldigungen zu stützen, veröffentlichte die Regierung E-Mails der angeblichen
Verschwörer, dazu Aufnahmen von Gesprächen mit Burelli, der derzeit in McLean, Virginia,
lebt. Burelli bestreitet alle Anschuldigungen, er engagierte forensische Ermittler, die sagten,
die E-Mails seien gefälscht und bei Google gebe es keine Spuren zu deren Übermittlung. Ein
Sprecher des US-Außenministeriums qualifizierte die Vorwürfe gegen Whitaker als „falsche
Anschuldigungen in einer langen Linie unbegründeter Vorwürfe gegen US-Diplomaten
seitens der venezolanischen Regierung". Machado wies die Anklagen als "Fantasie" zurück.
Aber Burelli bestritt die Echtheit seiner Stimmenaufnahmen nicht, wie sie von zwei örtlichen
Offiziellen bekannt gemacht wurden, denen zufolge die Aufnahmen zwischen dem 20.
Februar und 14. März letzten Jahres gemacht wurden, beim Höhepunkt der Protestwelle, die
López auf die internationale Bühne trug.
"Was ist passiert? Ich sehe Proteste über Proteste, Massen von Leuten auf den Straßen.
Was geht vor in eurem 'colectivo'?", fragt Burelli in einem Gespräch mit einem nicht
identifizierten Militäroffizier und benutzt dabei einen Begriff, der sich oft auf eine politische
Zelle bezieht. [7]
(Im Interview 2014 weigerte sich Burelli, den Offizier beim Namen zu nennen, er sagt nur, er
sei verabschiedet. Später aber identifizierte er den verabschiedeten Offizier als Lt. Col. José
Gustavo Arocha Perez. Burelli erklärte zudem, er habe den Begriff "colectivo" in Bezug auf
die Streitkräfte benutzt.) "Ich denke, die Welt ist außerordentlich aufgewühlt", erklärt Burelli
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dem Offizier in einer Sprach-Mail. "Alles was fehlt, ist, dass das Militär hier die
Entscheidungen trifft, die getroffen werden müssen."
"Mir scheint, dass das ein anderer Leopoldo López bei den Streitkräften ist, einer, der
versteht, dass die Zeit gekommen ist, mit dem Abschaum des Chavismus aufzuräumen, dem
Dreck von Komplizenschaft und Korruption", fährt Burelli fort. "Jede Gruppe die sich jetzt
erhebt und das sagt, wird eine Krise hervorrufen, das garantiere ich. Aber es muss in
Verbindung mit dem Kampf der Menschen sein, zu Leos Kampf und in Solidarität mit Leo …
Dies ist der Moment. Da ist kein Risiko dabei, wenn es richtig gemacht wird."
Als ich Burelli nach den Aufnahmen fragte, sagte er: "Das sind Aufnahmen von mir, aber
diese Aufnahmen beweisen überhaupt nichts … Leute, die das alles komplett gelesen
haben, sagen, das ist eine Unterhaltung, wie man sie mit jedem haben kann."
Im September 2014 zielten Anschuldigungen auf Lorent Saleh, einen der JAVU-Gründer,
einer Studentengruppe, der engste Beziehungen zu den letztjährigen Protesten nachgesagt
werden. Venezuelas Justizminister ließ ihn festnehmen, klagte ihn des Terrorismus an und
veröffentlichte Videos, in denen man Saleh im Gespräch über Anschläge auf Diskos und
Schnapsläden, Inbrandsetzung von Gebäuden und Rekrutierung von Scharfschützen zum
Töten von Basisaktivisten sieht. Obgleich in den US-Medien kaum erwähnt, waren die
Proteste des letzten Jahres geprägt von mehreren derartigen Vorfällen, Bombenanschlägen
auf Regierungsministerien, Kinderläden, Stadtbusse und Fernsehstationen und von tödlichen
Schüssen auf Sicherheitskräfte und Chávez-Sympathisanten.
Schließlich wurde im Februar dieses Jahres Caracas‘ Bürgermeister Antonio Ledezma
festgenommen, eine der drei führenden Figuren zusammen mit López und Machado hinter
den vorherigen Februarunruhen, angeschuldigt wegen Aufruhr und Verschwörung als Teil
eines weiteren angeblichen Putschversuchs. Beide, Saleh und Ledezma, bestreiten alle
Anklagen; der Anwalt des Letzteren gibt an, die Anklagen gegen Ledezma basierten auf
Fälschungen und Beweismanipulationen. (Saleh benennt die Verbindung beider, indem er in
einem Video sagt: "Ledezma ist der Schlüssel … Der Politiker, der den Widerstand am
meisten unterstützt hat, war immer Ledezma.")
Die Vorwürfe gegen Saleh und Ledezma scheuchten die Opposition auf. Sowohl ihr
moderater wie auch ihr radikaler Flügel schlossen sich zur Verteidigung Ledezmas
zusammen, dessen Festnahme für internationale Aufmerksamkeit gesorgt hatte, und
erneuerten Aufrufe, López freizulassen. Aber der Fall von Saleh schied die Geister, einige
von Salehs engsten Gefährten in der Voluntad Popular äußerten Sorge über die "Verletzung
von (Salehs) Menschenrechten", andere gingen bald auf Distanz und sagten, "Saleh
schuldet dem Land eine Erklärung." (Auf die Frage nach López' Verbindungen zu Burelli,
Saleh und Ledezma erklärte der Anwalt von López: "Es gibt jeden Grund für ernsthafte
Zweifel an der Authentizität solcher Behauptungen.")
Die Festnahme von Ledezma geschah nur eine Woche nachdem er, López und Machado –
am Jahrestag der Unruhen des letzten Jahres – einen gemeinsam "Aufruf an die
Venezolaner für ein Nationales Abkommen für den Wechsel" lanciert hatten. Darin wird zu
einem "friedlichen Übergang" der Maduro-Regierung aufgerufen, die, wie das Dokument
erklärt, in ihrer "Endphase" sei.
Präsident Maduro reagierte am 4. März mit der Veröffentlichung eines weiteren angeblichen
oppositionellen Dokuments; dieses Mal mit einem detaillierten 100-Tage-Übergangsplan,
dessen Entwurf Echos von 2002 enthält. Er ließ durchblicken, das Dokument sei „verfasst
worden von den eingesperrten Gewaltanwendern."
***
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"Verschwörung und Gegenverschwörung" scheinen eine Konstante im heutigen Venezuela
zu sein; aber diese links- und rechtspolitischen Dramen werden überschattet von
Venezuelas wachsender wirtschaftlicher Krise, und deren Druck hat Wirkung auf die
venezolanische Politik. Am 9. März legte die Obama-Regierung noch nach und erklärte die
Situation in Venezuela zu einer "außerordentlichen Bedrohung für die nationale Sicherheit
und die Außenpolitik der Vereinigten Staaten". (Die Regierung rückte später von dieser
Erklärung wieder ab.)
All diese Unruhen scheinen der venezolanischen Opposition zu nutzen. Luis Vincente Leon,
Meinungsforscher bei Datanalisis, erzählte mir, die jüngsten Umfragen deuteten darauf, dass
Maduro es sei, der den größten politischen Preis für die Krise zahle, seine Popularität fiel im
Januar auf 23 Prozent, den bisher niedrigsten Wert, hingegen sei die Zustimmung für López
und Capriles im März auf jeweils 40 Prozent gestiegen. (Maduros Zustimmung schnellte im
März auf 28 Prozent wieder hoch.) Die regierende Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas
ist nach wie vor die am besten organisierte Partei, und ihre Unterstützung bleibt stark in
Venezuelas ärmeren Bezirken, und dieses Segment wird der Schlüssel sein für die
kommenden Parlamentswahlen, die für später im Jahr geplant sind. Aber Maduros
persönlicher Mangel an Popularität hat die Basis der Partei erodiert, die jetzt nur noch 17
Prozent Wählerunterstützung für sich reklamiert (von 42 Prozent bei Chávez), ebenso viel
zusammengenommen wie die, die sich zu einer der vielen venezolanischen
Oppositionsparteien bekennen.
Wer am meisten durch die Unruhen des letzten Jahres gewann, sagt Leon, ist ohne Zweifel
Leopoldo López. Die Haft hat López' Bild in der Öffentlichkeit gestärkt, und einige sehen in
ihm einen "standhaften Märtyrer, der zu Unrecht eingesperrt wurde, kein Zweifel zu Unrecht
– und ohne jeden Zweifel politischer Gefangener, dem einhellige Solidarität zukommt".
Sein aufsteigender Stern könnte jedoch zu einer weiteren "Spaltung" der Opposition
beitragen, da López nun auf den Podien und in öffentlicher Zustimmung mit Capriles
gleichauf liegt. Capriles, Bannerträger der Opposition, muss sich bemühen, seine eher
moderate Koalition, die MUD, vor weiteren Rissen zu bewahren angesichts des wachsenden
Einflusses von López und dessen radikalem Flügel.
Im vergangenen Mai, nach einem Hungerstreik von López und seinem Aufruf zu
massenhaftem Protest, erschienen diese Brüche in voller Klarheit. "Ein Jahr und drei Monate
nach unseren (Protest-)Aufruf ist die Situation schlimmer als letztes Jahr", sagt López am 23.
Mai in einer Videoaufnahme aus dem Ramo-Verde-Gefängnis. "Brüder und Schwestern
Venezolaner, wir fordern euch zu Protesten an diesen Samstag auf Venezuelas Straßen auf,
machtvollen Protesten, massiv, friedfertig ohne jede Gewalt." Der Hungerstreik mit der
Teilnahme einiger studentischer Unterstützer "repräsentiert das Leid aller Venezolaner",
erklärt López' Frau Lilian. Ihr zur Seite stand Ledezmas Frau beim Caracas-Protest am 30.
Mai, bei dem etwa 3.000 Anhänger präsent waren, nur ein Schatten der Massenaktionen
vom vergangenen Jahr.
Die MUD-Koalition gab eine Erklärung heraus, nicht teilzunehmen (obgleich Capriles laut
Tweet persönlich dabei sein wollte), und mit einem Seitenhieb auf López' "einseitigen" Akt,
wie sie es nannte: "Die besten Entscheidungen sind die, zu denen man gemeinsam kommt,
denn für Einheit gibt es keinen Ersatz", stand in der Erklärung.
Was aus der venezolanischen Opposition letztlich wird, wird nicht entscheidend vom
Ergebnis des López-Gerichtsverfahren abhängen. Viel hängt ab von López' Glaubwürdigkeit:
ob die öffentliche Meinung in der Figur López' und dessen Teil der Opposition weiterhin eine
seriöse neue Stimme für demokratischen Wandel sieht oder eine Bewegung geprägt von
unbeliebter Radikalität.
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Dieser Artikel wurde veröffentlicht in Zusammenarbeit mit "The Investigative Fund" bei "The
Nations Institute" mit Unterstützung der "Puffin Foundation".
Alle Rechte liegen bei foreignpolicy.com. Wir danken für die Genehmigung zur
Veröffentlichung.
--------------------------------------------------1. Klarstellung, 12. August 2015: Pedro Burelli war mit der Anstellung von Leopoldo López
bei PDVSA nicht befasst
2. Klarstellung, 3. September 2015: Leopoldo López' Mutter wurde 1980 ursprünglich bei
einer Tochtergesellschaft der PDVSA eingestellt und 1994 zur Zentrale transferiert.
3. Klarstellung, 12. August 2015: Burelli gab López keine speziellen Anweisungen zu den
Auseinandersetzungen von 2014 mit der venezolanischen Regierung.
4. Klarstellung, 26. August 2015: Wegen eines Editierfehlers in der vorherigen Version
dieses Artikels war es unklar, in welchem Jahr es López verboten wurde, für ein öffentliches
Amt zu kandidieren.
5. Aktualisierung, 12. August 2015: Dieser Artikel wurde aktualisiert, um Notiz zu nehmen
vom Urteil der Interamerikanischen Kommission und des Interamerikanischen Gerichts für
Menschenrechte in der López-Angelegenheit.
6. Korrektur/Klarstellung, 12. August 2015: In der vorherigen Version dieses Artikels war
unkorrekt notiert, Burelli werde „von venezolanischen Behörden als flüchtig vor der Justiz
betrachtet“. Im Juni 2014 berichtete BBC, die venezolanische Regierung bemühe sich um
eine Rote Ausschreibung von Interpol zu seiner Festnahme. Diese wurde nicht gegeben.
7. Aktualisierung, 17. August 2015: Dieser Artikel wurde aktualisiert, um einzugehen auf
Burellis Erklärung zur Bedeutung des Wortes "colectivo" und um den Namen des
pensionierten Offiziers zu nennen, zu dem er gesprochen hatte.
Quelle: Foreign Policy