Donau Zeitung 3.2.2006 (pdf 52k) - Johann-Michael

Transcription

Donau Zeitung 3.2.2006 (pdf 52k) - Johann-Michael
Stadt und Kreis Dillingen
Freitag, 3. Februar 2006
DZ · Nummer 28
DZ
Das Martyrium
Auschwitz überlebt
Hugo Höllenreiner sprach am Sailer über „das Unfassbare“
Dillingen (PETI).
„Man hat keine Kindheit mehr, man denkt
wie ein Dreißigjähriger.“ Mit diesen Worten
charakterisierte Hugo Höllenreiner sein
Martyrium als Neunjähriger in Auschwitz.
Anlässlich des Gedenktages für die Opfer
des Nationalsozialismus hatte das JohannMichael-Sailer-Gymnasium den aus München stammenden Sinto als Zeitzeugen eingeladen. Den ergriffen lauschenden Schülern der neunten bis elften Klassen vermittelte Hugo Höllenreiner in seinem Kindheitsbericht einen bedrückenden und schockierenden Einblick „in das Unfassbare“.
Der Schulfreund Hans, der ihm nicht wie
üblich in der Pause den Apfel schenkt, sondern ihn statt dessen vor seinen Augen zertritt,
zeigt dem damals Neunjährigen wie Ausgrenzung aussieht. Die gleiche Erfahrung macht
die Familie, als der Vater 1942 die Wehrmachtsuniform ablegen muss, weil ein Sinto
ihrer nicht würdig sei.
Blutsfreund erschossen
Mit Deportation rechnete die ehemalige
Fuhrunternehmersfamilie immer noch nicht.
Nachdem einige Geschwister in Dachau inhaftiert worden waren, wird eines Tages die
restliche Familie von der Gestapo abgeholt, in
einen Viehwaggon gepfercht und nach
Auschwitz transportiert. Es dauert nicht lange, bis der Junge die Greuel dieses Konzentrationslagers erfasst. Er weiß um die Besonderheit der „Duschen“ und kennt die Funktion
der hohen Kamine. Unbelastete Spiele gibt es
an diesem Schreckensort nicht mehr. Sein
Blutsfreund, mit dem er mit einem, aus Lumpen gefertigten Ball spielt, wird erschossen,
als er beim Ball holen dem Zaun zu nahe
kommt.
Brutal ausgepeitscht
Der neunjährige Hugo muss miterleben,
wie sein Vater sich als Blockältester für eine
gerechte Essensverteilung einsetzt und dafür
brutal ausgepeitscht wird. Seine Zivilcourage,
die Weigerung den Block zu verlassen, rettet
die Familie und sämtliche Blockinsassen vor
dem sicheren Gang ins Gas.
Nur noch den Tod gewünscht
Der ruhige Vortragston Hugo Höllenreiners
ändert sich, die Hände geraten in Bewegung,
als er von seiner „Behandlung“ durch den Lagerarzt Josef Mengele erzählt. Er und sein
Bruder wissen, dass der Mediziner an Geschlechtsumwandlungen experimentiert. Versteinert lauschen die Schülerinnen und Schü-
Vor dem Denkmal des NS-Opfers Michael Kitzelmann (von links): Schulleiter Herbert Hofmann,
Schülersprecherin Verena Heinrich (Klasse 10c), Hugo Höllenreiner, Oberstudienrat Werner
Flurschütz und Höllenreiners Freund und organisatorische Helfer Albert Yaman. Bild: Ritter
ler als sie erfahren, was die beiden Geschwister ohne Narkose ertragen müssen. „Aber wenigstens waren wir noch Jungs. Man hat uns
nicht zu Mädchen gemacht.“
Als der Junge, von seinen Eltern getrennt, in
einem Steinbruch zum Arbeiten eingesetzt
wird, wünscht er sich nur noch den Tod. Ein
glücklicher Zufall lässt ihn seine Mutter wieder finden, bevor beide ins Lager Bergen-Belsen transportiert werden. Dort muss er bis zur
völligen Auszehrung geschwächt, Gruben für
Leichen ausheben. Die Fäuste der Toten
bricht er auf, um Essenskrümel zu finden.
„Was Hunger ist, kann ich euch nicht erklären“. Die Befreiung des Lagers durch die Engländer rettet den jetzt Elfjährigen und seine
Mutter vor dem sicheren Tod. Am Ende der
Veranstaltung liest Oberstudienrat Werner
Flurschütz, der diesen Vortrag initiiert hat, einen Brief von der Tante Hugo Höllenreiners
vor. Er endet mit dem Satz: „Alles, was hier geschah, war unfassbar.“