Traditionelle chinesische Ansätze bei Gu

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Traditionelle chinesische Ansätze bei Gu
Traditionelle chinesische Ansätze
bei Gu-Syndrom:
Zwei Beispiele aus dem 18. Jahrhundert*
Heiner Frühauf
Su He Tang (Dekokt mit Perilla und Minze) Typische Symptome: Kräftige
Quelle: Neue Rezepturen zur Behandlung des GuSyndroms (Zhigu xinfang)
D
iese obskure und ungewöhnliche gleichwohl
aber äußerst nützliche Rezeptur fand ihre
erste Veröffentlichung 1823, zur Zeit der QingDynastiein, in Lu Shundes Text über Gu-Syndrome
(„Parasitäre Besessenheit“). Während sich Kapitel
zum Gu-Syndrom in den meisten Elementarbüchern
zur Inneren Medizin im alten China finden, so
enthalten doch viele der angeführten Rezepturen
hochgiftige Kräuter oder Substanzen, die nicht
mehr erhältlich sind. Diese relativ junge Arznei
stellt einen altehrwürdigen und sicheren Ansatz bei
vielen chronisch-entzündlichen Krankheiten und
„mysteriösen Erkrankungen“ der Moderne dar. Es
muss betont werden, dass die aufgelisteten Kräuter
in dekoktierter Form etwa 350g Rohdrogen pro
Tag ausmachen – eine ungewöhnlich hohe Menge
für eine chinesische Kräuterrezeptur. Während eine
so hohe Dosis notwendig gewesen sein mag, um
Personen vor lebensbedrohlichen Erkrankungen
wie Schistosomiasis zu retten, ist es empfehlenswert,
die Kräuter in einem modernen klinischen Kontext
geringer zu dosieren, besonders bei einer schwachen
und empfindlichen Konstitution.
Kategorie: Gu-Syndrom (guzheng)
Therapieprinzip: Vertreiben chronisch-parasitärer
(gu) Gifte mit aromatischen Substanzen, Zerstreuen
von chronischem Wind und Feuchtigkeit,
Tonisierung des Mangels von Blut, Qi und Yin,
Beseitigung des Biofilms.
Konstitution, chronische und entkräftende
Verdauungsbeschwerden (Gasbildung, Blähungen,
Aszites, Hodenschwellung und Schmerzen, Wechsel
von Diarrhö und Obstipation, unregelmäßig
geformter Stuhl, Nahrungsmittelallergien, etc);
chronische Abneigung gegen Wind, beständiges
Grippegefühl, wandernde Gelenk- und/oder
Muskelschmerzen; chronisch-neurologische
Symptome (Kopfschmerzen, Nackenschmerzen, das
Gefühl als würde etwas im Gehirn fest stecken oder
eingelagert, Muskelzucken, Zucken der Augenlider,
Ticks, überaus gesteigerte Empfindlichkeit
gegenüber Lärm und/oder Gerüche, veränderter
Geschmackssinn, etc.); schrittweise zunehmende
mental-emotionale Symptome (plötzliche
Stimmungsschwankungen, das Gefühl „Besessen“
zu sein, Angst, Schlafstörungen, Depressionen,
zwanghafte Verhaltensstörungen, etc).
Zunge: rot, mit feuchtem, gelbem Belag
Puls: voll, möglicherweise schnell
Westliche Indikationen: Erste Phase der
Behandlung aller Formen von chronischem und
entkräftendem intestinalem Parasitismus, eine
Protozoeninfektion eingeschlossen (Amöben,
Giardia, Blastocystis, etc.), Wurmbefall (Bandwurm,
Rundwurm, Hakenwurm, Peitschenwurm) und
andere degenerative Infektionen (Schistosomiasis,
Filariose, Schaf-Leberegel [Fasciola hepatica],
Trichinose, systemische Candidose, Bruzellose,
etc.); alle Formen von chronischen und
entkräftenden Entzündungen des Nervensystems
(Borreliose [Borrelia burgdorferi] und andere
© 2011 heiner frühauf, ph.d. & markus goeke1
traditionelle chinesische ansätze bei gu-syndrom:
zwei beispiele aus dem 18. jahrhundert
Borrelieninfektionen, Zeckenfieber [Babesiasis, Ehrlichiose, Rocky Mountain Fieber [Rickettsia],
Bartonelliasis, Zeckenenzephalitis [FSME] und andere Formen chronischer Enzephalitis und Meningitis,
Malaria, Anaplasmose, Leptospirose, West-Nil-Fieber, Denguefieber); Herpes, CMV, Lepra, HIV/AIDS.
Originalanweisungen: „Diese Arznei behandelt alle Typen von Gu-Syndrom – Schlangen-Gu [shegu:
chronische Protozoeninfektion und andere erschöpfende Erkrankungen des Verdauungssystems],
Auszehrungs-Gu [gangu: Lepra und andere degenerative Erkrankungen des Nervensystems], sowie
alle anderen Manifestationen von Gu, die von extremen Schwellungen und Blähungen, von mentaler/
emotionaler Instabilität jeglicher Art (diankuang) oder Konvulsionen begleitet werden. Die Arznei kann
auch in Situationen verwendet werden, in denen der Patient eine normale Erkältung aufweist, begleitet von
Husten und aufwärts steigendem Qi oder einer gespannten und druckempfindlichen Abdominalwand. Die
Arznei ist überdies für alle Situationen geeignet, in denen der Patient Zeichen versteckter Hitze aufweist,
etwa dunklen Urin oder in denen er sich nach Einnahme tonisierender Kräuter widrig verhält. Wenn solch
ein Fall mit dieser Methode behandelt wird, wird dies jedes Mal wirksam sein. Wenn sich nach Einnahme
von 3-4 Dosen in Dekoktform die Symptome schrittweise verbessern, füge 60g Shaojiu (Reiswein) hinzu und
koche ihn gemeinsam mit den Kräuter für lange Zeit, um optimale Resultate zu erzielen. Wenn 6g Tianzhou
Sanqi (Pseudoginseng aus Tianzhou in der Provinz Guangxi) zu jeder Dosis hinzugefügt werden, wird das
Ergebnis sogar noch besser ausfallen. Es ist wichtig, anzumerken, dass man zunächst mit einer geringeren
Dosis beginnen und diese dann allmählich bis zur verordneten Menge steigern sollte. Anderenfalls wird
das innere Gift aufflammen und der Patient wird unruhig und entwickelt möglicherweise Episoden von
Erbrechen und/oder Diarrhö – je intensiver das Aufflammen, desto größer die Angst des Patienten, die
Arznei nochmals einzunehmen. Nach 5-6 Dosen der Rezeptur ist es sicher, auf die volle Dosis zu gehen.“
30g
zi su ye
Folium Perillae Fructescentis
30g
bo he
Herba Mentha Haplocalycis
30g
bai zhi
Radix Angelicae Dahuricae
24g
lian qiao
Fructus Forsythiae Suspensae
18g
chai hu
Radix Bupleuri
30g
dang gui
Radix Angelicae Sinensis
15g
chuan xiong
Radix Ligustici Chuanxiong
15g
bai shao
Radix Paeoniae Lactiflorae
21g
huang qi
Radix Astragali Membranacei
30g
he shou wu
Radix Polygoni Multiflori Präparata
24g
(bei) sha shen
Radix Adenophorae seu Glehniae
24g
sheng di huang
Rehmanniae Radix
30g
qing hao
Herba Artemesiae Annuae
15g
jue ming zi
Semen Cassiae
30g
huai hua
Flores Sophorae Japonicae
紫蘇葉
薄荷
白芷
連翘
柴胡
當歸
川芎
白芍
黄芪
何首烏
北沙參
生地黄
青蒿
决明子
槐花
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traditionelle chinesische ansätze bei gu-syndrom:
zwei beispiele aus dem 18. jahrhundert
Originalmodifikationen:
• Bei aufwärts Flackern von innerem Feuer nach 1-2 Dosen, das sich in Symptomen von Obstipation und
Brennen und Ulzeration von Mund und Zunge manifestiert, entferne Danggui, Baizhi, Chuanxiong,
Zizu, Bohe und füge jeweils 15g von Huangbai, Huangqin, Fuling, Xuanshen, Tianmendang, Zexie und
Shigao hinzu.
• Bei strahlenden Feuer-Symptomen, die sich in dunklem Urin manifestieren, füge jeweils 15g von
Xuanshen, Zhizi und Fuling hinzu.
• Bei Hitze-Husten und Husten mit Blut im Sputum – immer Zeichen von Fülle-Hitze – entferne
zeitweilig Zisu und Bohe und nimm weiters Danggui, Chuanxiong und Baizhi aus der Rezeptur und
füge jeweils 30g von Sanqi, Baihe und Maimendaon hinzu.
• Bei Symptomen einer Kälteschädigung (shanghan) mit Kälte-Husten verwende zwei Dosen einer
Rezeptur mit Paojiang, Chenpi, Xiyangshen, Dingxiang, Danggui, Chuanxiong, Xingren, (Zhi)
Huangqi, Heshouwu und (Zhi) Gancao und, falls es Zeichne innerer Kälte gibt, Rougui und andere
Kräuter, um das akute Symptombild zu behandeln. Kehre dann, nachdem sich der Husten gebessert hat
zu Zisu Tang und seinen Modifikationen zurück, um die Wurzel des Problems zu behandeln.
• Bei Diarrhö bei konstitutionell schwachen Personen entferne Bei Shashen, Lianqiao, Huaihua,
Chaihu, Huangqi, Qinghao, Shen Dihuang, Zisu, Bohe, Juemingzi und füge jeweils 9g von Baihe,
Fuzi, Baibiandou, Shanyao, Sharen, Baizhu, Ganjiang und jeweils 3g von Xiyangshen, Dingxiang und
Muxiang hinzu.
• In Fällen, in denen Suhe Tang für lange Zeit eingenommen wurde und bei denen die ursprünglichen
Feuer-Symptome jetzt zurück gegangen sind, das primäre Symptom nun aber Schmerzen im unteren
Rücken sind, entferne Bei Shashen, Lianqiao, Huangqi, Huaihua, Chaihu, Qinghao, Sheng Dihuang,
Juemingzi, Baishao (roh), Zisu, und Bohe und füge 15g Chenpi hinzu oder 15g Shu Dihuang, 6g Rougui,
15g Paojiang, 9g Dingxiang, 9g Zhi Gancao, 6g Duzhong, 9g Baizhu (gebraten), 9g Baishao (in Wein
gebraten) und 3g Fuling.
• Bei Patienten mit Kälte und Mangel des Milz- und Nierensystems, die sich wieder mit Gu angesteckt
haben oder die Suhe Tang über lange Zeit genommen haben und das Gu-Gift nahezu aufgelöst ist
und was nun angesprochen werden muss sind Kälte und Mangel aller Organsysteme, sollte Suhe Tang
nicht weiter verordnet werden. Stattdessen sind Kräuter die wärmen, tonisieren und die Qi-Bewegung
unterstützen angezeigt (siehe Jiajian Su He Tang).
B
Jiajian Su He Tang (Dekokt mit Perilla und Minze, modifiziert)
Quelle: Neue Rezepturen zur Behandlung des Gu-Syndroms (Zhigu xinfang)
S
iehe die Anmerkungen der vorangegangenen Seiten zur Schwesterarznei Su He Tang. Jiajian Su He
Tang ist besser geeignet für Mangelkonstitutionen, die an einer lang bestehenden viralen, spirochätalen
oder Protozoen Infektion leiden. Diese Rezeptur ist daher die Hauptquelle, die der Zusammensetzung der
Thunder und Lightning Pearls zugrunde liegt.
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traditionelle chinesische ansätze bei gu-syndrom:
zwei beispiele aus dem 18. jahrhundert
Kategorie: Gu-Syndrom (guzheng)
Therapieprinzip: Vertreiben chronisch-parasitärer (gu) Gifte mit aromatischen Substanzen, Zerstreuen von
chronischem Wind und Feuchtigkeit, Tonisierung des Mangels von Blut, Qi und Yin, wärmen innerer Kälte
in erschöpften Organsystemen, Beseitigung des Biofilms.
Typische Symptome: Schwache Konstitution; chronische und entkräftende Verdauungsbeschwerden
(Gasbildung, Blähungen, Aszites, Hodenschwellung und Schmerzen, Wechsel von Diarrhö und Obstipation,
unregelmäßig geformter Stuhl, Nahrungsmittelallergien, etc); chronische Abneigung gegen Wind,
beständiges Grippegefühl, wandernde Gelenk- und/oder Muskelschmerzen; chronisch-neurologische
Symptome (Kopfschmerzen, Nackenschmerzen, das Gefühl als würde etwas im Gehirn fest stecken oder
eingelagert, Muskelzucken, Zucken der Augenlider, Ticks, überaus gesteigerte Empfindlichkeit gegenüber
Lärm und/oder Gerüche, veränderter Geschmackssinn, etc.); schrittweise zunehmende mental-emotionale
Symptome (plötzliche Stimmungsschwankungen, das Gefühl „Besessen“ zu sein, Angst, Schlafstörungen,
Depressionen, zwanghafte Verhaltensstörungen, etc).
Zunge: blass, mit Wurzel, feuchter, weißer Belag.
Puls: kraftlos oder tief
Westliche Indikationen: Mittleres und spätes Stadium (oder bei schwachen Patienten das Frühstadium)
der Behandlung aller Formen von chronischem und entkräftendem intestinalem Parasitismus, eine
Protozoeninfektion eingeschlossen (Amöben, Giardia, Blastocystis, etc.), und andere degenerative
Infektionen (Schistosomiasis, Filariose, Schaf-Leberegel [Fasciola hepatica], Trichinose, systemische
Candidose, Bruzellose, etc.); alle Formen von chronischen und entkräftenden Entzündungen des
Nervensystems (Borreliose [Borrelia burgdorferi] und andere Borrelieninfektionen, Zeckenfieber [Babesiasis,
Ehrlichiose, Rocky Mountain Fieber [Rickettsia], Bartonelliasis, Zeckenenzephalitis [FSME] und andere
Formen chronischer Enzephalitis und Meningitis, Malaria, Anaplasmose, Leptospirose, West-Nil-Fieber,
Denguefieber); chronisches Müdigkeitssyndrom, Fibromyalgie, HIV/AIDS.
15g
zi su ye
Folium Perillae Fructescentis
15g
bo he
Herba Mentha Haplocalycis
15g
bai zhi
Radix Angelicae Dahuricae
21g
dang gui
Radix Angelicae Sinensis
15g
chuan xiong
Radix Ligustici Chuanxiong
15g
huang qi
Radix Astragali Membranacei
15g
(sheng) gan cao
Radix Glycyrrhizae Uralensis
15g
wu jia pi
Acanthopanacis Cortex
15g
he shou wu
Radix Polygoni Multiflori Präparata
15g
bai he
Bulbus Lilii
3g
ding xiang
Flos Caryophylli
6g
chen pi
Pericarpium Citri Reticulatae
紫蘇葉
薄荷
白芷
當歸
川芎
黄芪
甘草
五加皮
何首烏
白合
丁香
陳皮
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traditionelle chinesische ansätze bei gu-syndrom:
zwei beispiele aus dem 18. jahrhundert
6g
ze lan
Herba Lycopi Lucidi
澤蘭
3g
yu jin
Tuber Curcumae
3g
mu xiang
Radix Aucklandiae Lappae
6g
san leng
Rhizoma Sparganii Stoloniferi
6g
e zhu
Rhizoma Curcumae Ezhu
鬱金
木香
三棱
莪术
Modifikationen: Siehe Suhe Tang
B
Für detailliertere Informationen zur Diagnose und Behandlung des Gu-Syndroms siehe die Artikel:
“Das Vertreiben von Dämonen und Schlangen: Antike chinesische Parasitologie und die Behandlung des
Gu-Syndroms in der modernen klinischen Praxis“ (The Journal of Chinese Medicine, Mai 1998) und „Das
Gu-Syndrom: Eine ausführliche Diskussion mit Heiner Frühauf“ (beide Artikel können unter www.
classicalchinesemedicine.org herunter geladen werden).
Für ausführliche Informationen zu den gegenwärtigen Fertigarzneien Thunder Pearls, Lightning Pearls und
anderer Arzneien der Classical Pearls Produktlinie, die auf dem einschlägigen Konzept des Gu-Syndroms
und von Su He Tang basieren, besuchen Sie bitte www.classicalpearls.org.
* Auszug aus Heiner Frühauf, A Clinical Handbook for Chinese Herbal Medicine (Portland, OR: Hai Shan
Press, 2011)
© Heiner Frühauf, 2011
Übersetzung ins Deutsche Markus Goeke, 2011
© 2011 heiner frühauf, ph.d. & markus goeke5