Der auffällige Vulvabefund
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Der auffällige Vulvabefund
DIAGNOSTIK + THERAPIE DIAGNOSTIK IN DER PRAXIS Der auffällige Vulvabefund Peer Hantschmann Auffällige Befunde der Vulva können mit ausgeprägten Beschwerden verbunden, aber auch vollkommen symptomlos sein. Die rein klinische Differenzialdiagnose ist häufig nicht mit ausreichender Sicherheit möglich, da das Erscheinungsbild zum Teil erhebliche Variationen aufweisen kann. Neben gynäkologischen Krankheitsbildern müssen auch die verschiedenen dermatologischen Erkrankungen in Betracht gezogen werden. Im Folgenden werden charakteristische Läsionen der Vulva vorgestellt und die wesentlichen differenzialdiagnostischen Überlegungen erläutert. Bei der Diagnostik steht zunächst die Inspektion im Vordergrund, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme des Kolposkops mit einer bis zu 30-fachen Vergrößerung und Anwendung von 3–7%iger Essigsäure. Bei Verdacht auf vulväre Infektionserkrankungen ist eine Abstrichentnahme zur Abklärung indiziert, während ansonsten eine Probebiopsie entnommen werden sollte. Dazu eignet sich eine Stanze mit einem Durchmesser von 4 oder 6 mm (Abb. 1). Bei pigmentierten Befunden, die zum Ausschluss eines Melanoms histologisch abgeklärt werden müssen, sollte eine Exzisionsbiopsie durchgeführt werden. Hautfarbene und weißliche Läsionen ■ Condylomata acuminata Bei diesen typischerweise hautfarbenen filiformen papillomatösen Tumoren handelt es sich um den häufigsten benignen Tumor der Vulva, der in über 90 % durch die HPV-Typen 6 und 11 hervorgerufenen wird (1). Unter den sexuell aktiven Erwachsenen in den USA weisen 1 % entsprechende Läsionen auf (2). Diese können einzeln oder multipel vorkommen (Abb. 2). Die Übertragung ist durch sexuelle Kontakte, Schmierinfektionen oder gemeinsames Baden möglich. Bei 956 FRAUENARZT ■ 44 (2003) ■ Nr. 9 Abb. 2: Ausgedehnte Condylomata acuminata. Auftreten von Kondylomen im Kindesalter ist an einen Missbrauch zu denken, obwohl dieser sich nur in weniger als 50 % nachweisen lässt (3). Weil HPV-bedingte Läsionen häufig multizentrisch auftreten, ist immer eine komplette Untersuchung des gesamten unteren Genitaltraktes vorzunehmen. Bei periurethraler Lokalisation sollte eine Urethrozystoskopie, bei perianaler Lokalisation eine proktoskopische Diagnostik zum Ausschluss einer Mitbeteiligung der entsprechenden Organe erfolgen. Differenzialdiagnostisch ist bei hautfarbenen diffusen papillären Strukturen an der Innenseite der Labia minora an eine Mikropapillomatosis labialis vulvae zu denken, die keinen Krankheitswert aufweist. Ebenfalls als hautfarbene Papeln imponieren fibroepitheliale Polypen und papilläre Hidradenome. Abb. 1: 6-mm-Stanze zur Entnahme einer Probeexzision in Lokalanästhesie. Abb. 3: Lichen sclerosus mit porzellanweißem Erscheinungsbild, Rückbildung der Labia minora und verstrichenem Sulcus interlabialis. In 30 % kommt es zur Spontanheilung der Condylomata acuminata. Die medikamentösen Therapeutika können als 0,15%ige PodophyllotoxinCreme oder 0,5%ige Podophyllotoxin-Lösung sowie 5%ige ImiquimodCreme von der Patientin selbst aufgetragen werden (4). In der Schwangerschaft kann durch den Arzt Trichloressigsäure aufgetupft werden. Bei der chirurgischen Therapie führt die CO2-Lasertherapie zu den besten kosmetischen Resultaten; als weitere Option steht die Elektrochirurgie zur Verfügung. ■ Vulväre intraepitheliale Neoplasien (VIN) Abb. 4: VIN 3 mit weißlichem Erscheinungsbild. Abb. 5: Ausgedehnte pigmentierte multifokale VIN-3-Läsionen. ■ Lichen sclerosus nen sind des weiteren typisch für eine Vitiligo, die immer asymptomatisch ist. Depigmentationen können auch als Folge einer melanozytären Schädigung nach Entzündungen auftreten. Schließlich ist bei umschriebenen weißlichen Läsionen an intraepitheliale Neoplasien der Vulva (Abb. 4) und invasive Karzinome zu denken, die aufgrund einer Hydratation des Stratum corneum weißlich erscheinen können. Charakteristisch für den Lichen sclerosus ist eine porzellanweiße Verfärbung der Haut (Abb. 3). Häufig wird das klinische Bild allerdings durch Sekundäreffekte geprägt. In fortgeschritteneren Krankheitsstadien kommt es zur Schrumpfung der Labia minora, zur Synechienbildung und zu Introitusstenosen. Meist besteht ein quälender Pruritus, besonders abends; gelegentlich sind aber auch ausgedehnte Läsionen symptomfrei. Alle klinisch nicht eindeutigen und therapierefraktären Fälle müssen histologisch untersucht werden. Die Ätiologie der Erkrankung ist unklar; allerdings gibt es Hinweise auf ursächliche Autoimmunprozesse (5). Es gibt zwei Haupterkrankungsepisoden im Leben: Zum einen tritt die Erkrankung auf bei präpubertären Mädchen, bei denen sie sich zum Teil nach der Menarche zurückbildet (6), und zum anderen bei postmenopausalen Frauen, wobei die hormonale Ersatztherapie weder einen protektiven noch einen therapeutischen Effekt aufweist (7). Die wesentlichen Differenzialdiagnosen sind der Lichen planus, zu dem zum Teil Überlappungen bestehen, und eine Psoriasis. Weißliche Läsio- Therapeutisch ist die topische Kortikoidapplikation in Form von Clobetasol-Salbe sehr effektiv (8). Empfohlen wird bei Diagnosestellung eine tägliche Anwendung für vier Wochen, anschließend eine Reduktion auf zunächst zweitägige Applikation für vier Wochen und schließlich zwei Applikationen pro Woche für weitere vier Wochen. Während sich die Hyperkeratose, Fissuren und Ekchymosen meist gut zurückbilden, bleiben Atrophie und Farbveränderungen bestehen. Manche Patientinnen benötigen keine weitere Therapie. Meist ist allerdings eine niedrig dosierte Applikation auf Dauer je nach Bedarf erforderlich (7). Die früher empfohlene Anwendung von Testosteron-Propionat sollte unterbleiben, da sie unwirksam und nebenwirkungsreich ist. Für die weitere Betreuung der Pa- Vulväre intraepitheliale Neoplasien (VIN) können klinisch sehr unterschiedliche Läsionen hervorrufen. Neben weißlichen Läsionen (Abb. 4) sind rötliche und auch pigmentierte Effloreszenzen (Abb. 5) sowie Mischbilder möglich. Veränderungen, denen eine VIN zugrunde liegen könnte, müssen immer bioptisch abgeklärt werden. Dabei ist bei uniformen Läsionen eine Biopsie meist ausreichend, während bei heterogenen Effloreszenzen zum Teil multiple Proben entnommen werden müssen. Histologisch werden die HPV-assoziierten kondylomatösen und basaloiden Typen, die häufig multifokal und multizentrisch bei jüngeren Frauen vorkommen, von dem differenzierten, meist unifokalen Typ abgegrenzt. Die Progressionsrate zum invasiven Vulvakarzinom ist zwar letztendlich nicht klar, jedoch entwickelten in einer Studie sieben von acht unbehandelten Patientinnen ein Karzinom gegenüber nur 3,4 % der behandelten Patientinnen (11). Für die chirurgische Therapie stehen die Exzision mit dem Skalpell, die Laserexzision und die Laservaporisation zur Verfügung. Zu beachten ist, dass die Rate okkulter Invasionen mit bis zu 20 % angegeben wird (12, 13). Mit der photodynamischen Therapie wird insbesondere bei uni- und bifokalen Läsionen eine hohe Remissionsrate erreicht (14); zum Einsatz von Imiquimod liegen nur wenige, nicht einheitliche Daten vor (15, 16). DIAGNOSTIK + THERAPIE tientin ist zu beachten, dass die Inzidenz von Plattenepithelkarzinomen der Vulva bei Patientinnen mit Lichen sclerosus erhöht ist. Allerdings entwickeln nur weniger als 5 % der Patientinnen ein Vulvakarzinom (9, 10). Rötliche Läsionen Bei verschiedenen entzündlichen Prozessen an der Vulva entwickeln sich rötliche Läsionen. Diese kommen FRAUENARZT ■ 44 (2003) ■ Nr. 9 957 DIAGNOSTIK + THERAPIE 958 Abb. 6: Erosiver Lichen ruber planus, lokalisiert im Vestibulum vaginae. Abb. 7: Morbus Paget der Vulva mit erythematösen Plaques. Abb. 8: Akanthosis nigricans mit diffuser Pigmentierung in den Intertrigines. bei der vulvovaginalen Candidiasis und bei den unterschiedlichen Dermatitisformen vor, die hier nicht weiter dargestellt werden können. Scharf begrenzte, schuppende rote Plaques, bevorzugt in den Intertrigines, sind charakteristisch für eine Psoriasis, bei der sich häufig auch extragenital charakteristische Effloreszenzen nachweisen lassen. Während die nicht erosive Erkrankung meist sehr gut auf topische Kortikosteroide anspricht, ist die Therapie der erosiven Form problematisch. Kortikosteroide können topisch, in der Vagina als Hydrocortison-Rektalschaum, oder systemisch angewendet werden. Zum Teil ist der Einsatz von Ciclosporin und Retinoiden erforderlich. ■ Lichen ruber planus ■ Morbus Paget ein ekzematöses Aussehen haben und Sekundäreffekte aufweisen (Abb. 7). Die Symptom-Diagnose-Latenz ist bei dieser Erkrankung besonders lang, obwohl eine Stanzbiopsie die charakteristischen Pagetzellen innerhalb der Epidermis nachweisen lässt. Immunhistochemisch kann unterschieden werden zwischen primären und sekundären Formen, bei denen ein assoziiertes Malignom vorliegt (18). Die Ätiologie des Lichen ruber planus ist unbekannt, allerdings besteht eine Assoziation zu Autoimmunerkrankungen. Das Risiko für die Entwicklung eines Vulvakarzinoms ist erhöht. Man unterscheidet eine erosive von einer nicht erosiven Form. Die nicht erosive Form führt meist zu Pruritus; man findet weißliche, unregelmäßig begrenzte Papeln sowie netzförmige oder lineare Effloreszenzen an der Mundschleimhaut. Bei der erosiven Variante beklagen die Patientinnen Schmerzen und Brennen im Vulvabereich, typischerweise sind die Erosionen im Vestibulum lokalisiert und von einer erosiven Vaginitis begleitet (Abb. 6) (17). An der Mundschleimhaut können sich ebenfalls Ulzera befinden. Die Erkrankung führt im weiteren Verlauf zu Narbenbildungen, Adhäsionen und Obliterationen. Beim Morbus Paget finden sich typischerweise einzelne erythematöse, leicht erhabene Plaques, die häufig Nach Diagnosestellung sollte eine Exzision im Gesunden erfolgen. Bei einer Lasertherapie ist wegen der Abb. 9: Melanosis des Praeputium clitoridis. Abb. 10: Superfizial spreitendes Melanom der Vulva mit unregelmäßigen Grenzen (Kürzl). FRAUENARZT ■ 44 (2003) ■ Nr. 9 Pigmentierte Läsionen Abb. 11: Exophytisches Plattenepithelkarzinom der Vulva. Abb. 12: Ulzeriertes Plattenepithelkarzinom der Vulva. Abb. 13a, b: Herpes genitalis mit Ulzerationen nach Aufplatzen der primären Vesiculae. Bei den Pigmentierungen sind umschriebene von diffusen Formen abzugrenzen. Diffuse Formen können konstitutionell oder bei hormonaler Stimulation (z.B. in der Schwangerschaft) auftreten. In den Intertrigines kommt es insbesondere bei adipösen Patientinnen häufig zu einer Pigmentierung, die als Akanthosis nigricans (Abb. 8) bezeichnet wird, obwohl es sich um eine Hyperkeratose und Papillomatose handelt. Umschriebene pigmentierte Läsionen können vielfältige Ursachen haben. Nach entzündlichen Prozessen kann es zu Hyperpigmentationen kommen. Melanozytäre Proliferationen führen zur Pigmentation bei der Lentigo, den verschiedenen Naevi und dem Vulvamelanom (Abb. 9 und 10). Im Einzelfall kann die klinische Differenzialdiagnose zum Vulvamelanom problematisch sein, sodass eine histologische Klärung erforderlich ist. Größenzunahme, unregelmäßige Begrenzung, Asymmetrie und Farbvariation sind verdächtige Charakteristika. Epitheliale Proliferationen können ebenfalls zu pigmentierten Läsionen führen, z.B. bei der seborrhoischen Keratose oder der vulvären intraepithelialen Neoplasie (s. Abb. 5 auf S. 957). DIAGNOSTIK + THERAPIE Ausbreitung der Erkrankung auf die Hautanhangsgebilde auf eine ausreichende Tiefenwirkung zu achten. Rezidive treten in Abhängigkeit vom Resektionsrand häufig auf, sind aber fast immer ebenfalls rein intraepitheliale Erkrankungen. Exophytische und ulzerierte Tumoren Abb. 14a, b: Herpes zoster der linken Vulva mit Ausbreitung der Effloreszenzen im gesamtem S3-Dermatom. Diese Läsionen sind typisch für Plattenepithelkarzinome der Vulva (Abb. 11 und 12). Meist imponieren sie rötlich oder weißlich. Jede verdächtige Veränderung ist durch eine Probebiopsie abzuklären, die bei Ulzera aus dem Randbereich des Ulkus entnommen werden sollte. FRAUENARZT ■ 44 (2003) ■ Nr. 9 959 DIAGNOSTIK + THERAPIE meisten asymptomatischen Rezidive erkannt werden können (21). Beim Rezidiv können bei milden Formen symptomatische Therapien ausreichen, ansonsten sollte so früh wie möglich mit Aciclovir therapiert werden. Häufige Rezidive können durch eine sechs- bis zwölfmonatige Applikation von Aciclovir behandelt werden. Als Therapiealternative stehen Famciclovir und Valaciclovir zur Verfügung (22). Abb. 15: Über die gesamte Vulva verteilte Bläschen bei Zustand nach pelviner Lymphonodektomie und Radiotherapie. Blasen bildende Erkrankungen ■ Herpes genitalis Die genitale Primärinfektion mit dem Herpes-simplex-Virus (HSV) führt typischerweise zu ausgedehnten vulvären Vesiculae und Ulzerationen (Abb. 13a und b). In über 90 % sind eine Zervizitis sowie generalisierte Krankheitszeichen vorhanden wie Fieber, Myalgien und starke Kopfschmerzen im Rahmen einer aseptischen Meningitis. Selten entwickelt sich eine sakrale Radikulitis mit Harnverhalt. Reaktivierungen können jederzeit aus den Ganglien erfolgen, in denen die Viren persistieren, zum Teil assoziiert zu auslösenden Faktoren wie Menstruation, Kohabitation oder Stress. Ursächlich können die HSV-Typen 1 und 2 sein, die Inzidenz von HSV-1 ist dabei zunehmend (19). Infektionen mit HSV-1 verlaufen in der Regel milder und haben ein geringeres Rezidivrisiko, während 80 % der HSV-2-infizierten Patientinnen ein Rezidiv innerhalb des ersten Jahres entwickeln (20). Der Virusnachweis im Abstrich beweist die Infektion. Therapeutisch wird 5 x 200 mg Aciclovir oral, in schweren Fällen ggf. auch intravenös eingesetzt. Rezidive können asymptomatisch verlaufen, obwohl durch exakte Information der Patientin die 960 FRAUENARZT ■ 44 (2003) ■ Nr. 9 ■ Herpes zoster Bei streng unilateralem Auftreten ist an einen Herpes zoster im S3-Dermatom zu denken und nach weiteren Effloreszenzen in dem entsprechenden Dermatom zu suchen (Abb. 14 a und b). Die Patientinnen werden möglichst frühzeitig mit 5 x 800 mg Aciclovir oral täglich behandelt. ■ Lymphangiome Vesiculae können bei Lymphgefäßpathologien, Lymphangiomen oder selten als Therapiefolge nach Operation und Radiotherapie entstehen (Abb. 15). Literatur 1. Gross G, Ikenberg H, Gissmann L et al.: Papillomavirus infection of the anogenital region: correlation between histology, clinical picture, and virus type. Proposal of a new nomenclature. J Invest Dermatol 85 (1985) 147–152. 2. Koutsky L: Epidemiology of genital human papillomavirus infection. Am J Med 102 (1997) 3–8. 3. Ingram DL, Everett VD, Lyna PR. Et al.: Epidemiology of adult sexually transmitted disease agents in children being evaluated for sexual abuse. Pediatr Infect Dis J 11 (1992) 945–950. 4. Maw R, von Krogh G: The management of anogenital [correction of anal] warts. Br Med J 321 (2000) 910–911. 5. 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