FRANZÖSISCHES – 4. Sinfoniekonzert des Schleswig
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FRANZÖSISCHES – 4. Sinfoniekonzert des Schleswig
FRANZÖSISCHES – 4. Sinfoniekonzert des Schleswig-Holsteinischen Sinfonieorchesters Dirigent: Peter Sommerer 13.01.2015, Schleswig, 19.30 Uhr, A.P. Møller Skolen 14.01.2015, Flensburg, 19.30 Uhr, Deutsches Haus 16.01.2015, Rendsburg, 19.30 Uhr, Stadttheater Joseph Haydn: „Pariser Sinfonie“ Nr. 82 Vivace assai Allegretto Menuetto Vivace In himmelblauen Gehröcken mit elegantem Spitzenbesatz und glänzenden Degen an der Seite spielten sie auf – die Musiker des mit bis zu vierzig Geigen, zehn Kontrabässen und vierfachen Holzbläsern besetzten Orchesters der Pariser Freimaurerloge „de la Parfaite Estime & Société Olympique“. Die von ihnen veranstaltete Konzertreihe „Le Concert de la Loge Olympique“ besaß im Paris des späten 18. Jahrhunderts Kultstatus. Eine umso größere Ehre war es für Joseph Haydn, als man ihn 1784 bat, einige Sinfonien für die Veranstaltungsreihe zu komponieren – Haydns erste große Bewährungsprobe auf internationalem Parkett. Hier konnte er zeigen, was er beim ungestörten Experimentieren mit der kleinen Kapelle seines Dienstherren Nikolai Esterházy in Ungarn kompositorisch entwickelt hatte. Und hier fand Haydn das, was er am Hof des Fürsten Esterházy jahrelang vermisst hatte: ein erstklassiges und vor allem vollbesetztes Orchester, das größte und prachtvollste seiner Zeit. Joseph Haydn in einem zeitgenössischen Stich Haydn komponierte für die Loge 1785 und 1786 sechs „Pariser ® Hulton Archive/Getty Images Sinfonien“ (Nr. 82 bis 87), die als sein erster zusammenhängend konzipierter sinfonischer Zyklus betrachtet werden. Die Sinfonie Nr. 82 ist entgegen ihrer offiziellen Zählung jedoch nicht als erste entstanden, sondern wurde später im Jahre 1786 komponiert. Kraftvoll eröffnet sie im Kopfsatz mit einer unisono aufsteigenden DreiklangFanfare in glänzendem C-Dur, die nach einem kurzen empfindsamen Gedanken der Streicher in einer umso temperamentvolleren Marschpassage im Fortissimo aufgeht. Der zweite Satz bringt anstelle des langsamen Satzes ein bewegtes Allegretto. Haydn gestaltet es im damals überaus beliebten Modell der Doppelvariation: Es besteht aus zwei Abschnitten in F-Dur und f-Moll, die abwechselnd variierend verarbeitet werden. Das elegantrepräsentative Menuett lebt vor allem im Trio von abgestuften Bläserfarben und reizvollen harmonischen Wendungen. Ihren späteren Beinamen „L’Ours“ („Der Bär“) verdankt die Sinfonie ihrem Finale. Angeblich ließ sich Haydn dazu von einem Tanzbären inspirieren, der zu Dudelsack-Melodien auf einer Straße tanzte. Tatsächlich weckt das tapsige Hauptthema des Schlusssatzes, eine Cornemuse-Melodie über brummigen Bordunbässen, allerlei bildliche Assoziationen, bis die Sinfonie in turbulent-ausgelassener Fröhlichkeit ausklingt. Weiterführende Informationen: http://www.haydn-sinfonien.de/text/chapter6.0.html Hörbeispiel: Camerata Salzburg unter Roger Norrington http://youtu.be/4WNykhWtn1I George Enescu: Dixtuor für Holzbläser Doucement mouvementé Modérément Allègrement, mais pas trop vif George Enescu war ein Wunderkind. Mit acht Jahren verließ er seine rumänische Heimatstadt Livini um in Wien Violine, Klavier und Komposition zu studieren, mit dreizehn wechselte er ans Pariser Konservatorium und wurde Schüler der Komponisten Jules Massenet und Gabriel Fauré. Und schon im Alter von siebzehn Jahren begeisterte er als Violinvirtuose Europa und Übersee vor allem mit seinen einfühlsamen Interpretationen der Werke Johann Sebastian Bachs. Zu seinen Schülern sollte später auch der berühmte Geiger Yehudi Menuhin zählen. Später berichtete Menuhin von seiner ersten Begegnung mit dem Geiger: „Ich verfiel ihm, ehe ich die erste Note von ihm gehört hatte. Sein Auftreten, seine Haltung, seine wundervolle schwarze Mähne, alles kennzeichnete ihn als freien Menschen, ungebunden wie ein Zigeuner, ungezwungen, natürlich, schöpferisch begabt und voller Feuer. Als er dann zu spielen begann, hatte seine Musik eine Leuchtkraft, wie sie mir noch nirgends begegnet war.“ Doch Enescu war mehr als ein Wunderkind und Virtuose. Vor allem in Paris, wo er bekannte Komponisten wie Maurice Ravel, Florent Schmitt und Charles Koechli kennenlernte, bildete sich Enescu zum Komponisten. Die französische Landeshauptstadt sollte musikalisch Enescus zweite Heimat werden. Schon seine Frühwerke zeigen deutlich den Einfluss französischer Musik. Zur gleichen Zeit wandte der Komponist sich aber auch der rumänischen Volksmusik zu – er komponierte ein „Rumänisches Poem“ und zwei „Rumänisache Rhapsodien“. Seine musikalische Sprache geht aber weit über die exotische und folkloristische Qualität dieser Werke hinaus. Auf elegante Art und Weise verbinden Enescus Kompositionen vielmehr östlich inspirierte Melodien mit einer ausgeprägt westlichen, polyphonen Klangund Formensprache. So auch sein Dixtuor für Holzbläser aus dem Jahr 1906. Die Instrumentation des Stücks entspricht dem eines doppelten Bläserquintetts, ist also mit je zwei Querflöten, Oboen, Klarinetten, Fagotten und Hörnern ausgestattet – mit einer Besonderheit: die zweite Oboe ist durch ein Englischhorn ersetzt, wodurch sich eine Fülle neuer Klangfarben und Kombinationsmöglichkeiten ergibt. Weiterführende Informationen: http://www.musikmph.de/rare_music/composers/a_e/enescu_george/1.html Hörbeispiel: Orchestre National de France unter George Enescu http://youtu.be/IA9hHFlbHYU César Franck: Le chasseur maudit César-August Franck wurde 1822 in Lüttich geboren. Nach erstem Kompositions- und Kontrapunktunterricht beim Tschechen Antonín Reicha wurde er ins Pariser Konservatorium aufgenommen. Auf Wunsch seines Vaters schlug er zunächst die Laufbahn eines Virtuosen ein, wandte sich aber bald dem Komponieren zu. Um den Unterhalt seiner Familie zu sichern, gab er neben seiner Tätigkeit als Kantor und Organist der Kirche Sainte-Clotilde auch Unterricht. Franck war 1871 Mitgründer der „Société Nationale de Musique“ und später deren Präsident. Ein Jahr später wurde er zum Professor für Orgel ans Pariser Konservatorium berufen. Seine pädagogische Tätigkeit brachte eine Schule hervor, der u.a. die bekannten Komponisten Henry Duparc, Ernest Chausson oder Vincent d’Indy angehörten. César Frank an der Orgel von Sainte-Clotilde Das Werk César Francks verbindet die deutsche und französische Kunst. Insbesondere die dramatisch-erregte Ausdruckskraft Francks ist auf das Erbe Beethovens zurückzuführen. Seine Kompositionen rücken das menschliche Erleben in den Mittelpunkt und kreisen um die inneren Kämpfe, die Zweifel und die Schmerzen des Menschen. Besonders deutlich wird dies in seiner Tondichtung „Le chasseur maudit“. Inspiriert von Gottfried August Bürgers berühmter Ballade „Der wilde Jäger” aus dem Jahre 1785 komponierte César Franck knapp hundert Jahre später diese sinfonische Dichtung. Sie erzählt das grausige Schicksal eines hochmütigen Rheinfürsten, der trotz des Glockenrufs am heiligen Sonntag das Jagdvergnügen der Kirche vorzieht. Auf seinem wilden Ritt kennt er kein Erbarmen: weder Tier noch Mensch sind vor ihm sicher, unbarmherzig plündert er die Felder und Wälder seiner Untertanen. Begleitet wird er dabei von zwei unbekannten Reitern, die wie die personifizierten guten und bösen Eingebungen versuchen, den Fürsten weiter anzustacheln bzw. zum Einhalten zu bewegen. Als er schließlich selbst den Warnungen eines Klausners kein Gehör mehr schenkt, findet sich der Graf vor einem geisterhaften Gericht wieder und empfängt seinen Urteilsspruch: In ewiger Verdammnis muss er vor den wilden Mächten der Hölle fliehen, wird vom Jäger zum Gejagten. César Franck setzt Bürgers Ballade musikalisch äußerst plastisch um: von den morgendlichen Hornrufen zur Jagd, den Kirchenglocken, dem galoppierenden Rhythmus der Pferde, der Verkündigung des Fluchs mit düsteren Posaunenklängen über tremolierenden Streichern bis hin zur infernalischen Hetze, die in ihrer orgiastischen Heftigkeit an den „Songe d’une nuit de sabbat“ aus Hector Berlioz‘ „Symphonie Fantastique“ erinnert. Weiterführende Informationen: http://dovesong.com/positive_music/archives/romantic/Franck.asp Hörbeispiel: Orchestre du Capitole de Toulouse unter Michel Plasson http://youtu.be/NGdOEonmGZ0 Gottfried August Bürger: Der wilde Jäger Der wilde Jäger in 5 Bildtafeln, gezeichnet von Joseph Führich Der Wild- und Rheingraf stieß ins Horn: „Hallo, Hallo zu Fuß und Roß!“ Sein Hengst erhob sich wiehernd vorn; Laut rasselnd stürzt‘ ihm nach der Troß; Laut klifft‘ und klafft‘ es, frei vom Koppel, Durch Korn und Dorn, durch Heid‘ und Stoppel. „Schlecht stimmet deines Hornes Klang“, Sprach der zur Rechten, sanftes Muts, „Zu Feierglock und Chorgesang. Kehr um! Erjagst dir heut nichts Guts. Laß dich den guten Engel warnen, Und nicht vom Bösen dich umgarnen!“ - Vom Strahl der Sonntagsfrühe war Des hohen Domes Kuppel blank. Zum Hochamt rufte dumpf und klar Der Glocken ernster Feierklang. Fern tönten lieblich die Gesänge Der andachtsvollen Christenmenge. „Jagt zu, jagt zu, mein edler Herr!“ Fiel rasch der linke Ritter drein. „Was Glockenklang? Was Chorgeplärr? Die Jagdlust mag Euch baß erfreun! Laßt mich, was fürstlich ist, Euch lehren Und Euch von jenem nicht betören!“ - Rischrasch quer übern Kreuzweg ging‘s, Mit Horrido und Hussasa. Sieh da! Sieh da, kam rechts und links Ein Reiter hier, ein Reiter da! Des Rechten Roß war Silbersblinken, Ein Feuerfarbner trug den Linken. „Ha! Wohlgesprochen, linker Mann! Du bist ein Held nach meinem Sinn. Wer nicht des Waidwerks pflegen kann, Der scher ans Paternoster hin! Mag‘s, frommer Narr, dich baß verdrießen, So will ich meine Lust doch büßen!“ - Wer waren Reiter links und rechts? Ich ahnd‘ es wohl, doch weiß ich‘s nicht. Lichthehr erschien der Reiter rechts, Mit mildem Frühlingsangesicht. Graß, dunkelgelb der linke Ritter Schoß Blitz vom Aug, wie Ungewitter. Und hurre hurre vorwärts ging‘s, Feld ein und aus, Berg ab und an. Stets ritten Reiter rechts und links Zu beiden Seiten neben an. Auf sprang ein weißer Hirsch von ferne, Mit sechzehnzackigem Gehörne. „Willkommen hier, zu rechter Frist, Willkommen zu der edlen Jagd! Auf Erden und im Himmel ist Kein Spiel, das lieblicher behagt.“ Er riefs, schlug laut sich an die Hüfte, Und schwang den Hut hoch in die Lüfte. Und lauter stieß der Graf ins Horn; Und rascher flog‘s zu Fuß und Roß; Und sieh! bald hinten und bald vorn Stürzt‘ einer tot dahin vom Troß. „Laß stürzen! Laß zur Hölle stürzen! Das darf nicht Fürstenlust verwürzen.“ Der wilde Jäger in 5 Bildtafeln, gezeichnet von Joseph Führich Das Wild duckt sich ins Ährenfeld Und hofft da sichern Aufenthalt. Sieh da! Ein armer Landmann stellt Sich dar in kläglicher Gestalt. „Erbarmen, lieber Herr, Erbarmen! Verschont den sauern Schweiß des Armen!“ „Hinweg, du Hund!“ schnaubt fürchterlich Der Graf den armen Pflüger an. „Sonst hetz ich selbst, beim Teufel! dich. Hallo, Gesellen, drauf und dran! Zum Zeichen, daß ich wahr geschworen, Knallt ihm die Peitschen um die Ohren!“ Der rechte Ritter sprengt heran, Und warnt den Grafen sanft und gut. Doch baß hetzt ihn der linke Mann Zu schadenfrohem Frevelmut. Der Graf verschmäht des Rechten Warnen Und läßt vom Linken sich umgarnen. Gesagt, getan! Der Wildgraf schwang Sich übern Hagen rasch voran, Und hinterher, bei Knall und Klang, Der Troß mit Hund und Roß und Mann; Und Hund und Mann und Roß zerstampfte Die Halmen, daß der Acker dampfte. Der wilde Jäger in 5 Bildtafeln, gezeichnet von Joseph Führich Vom nahen Lärm emporgescheucht, Feld ein und aus, Berg ab und an Gesprengt, verfolgt, doch unerreicht, Ereilt das Wild des Angers Plan; Und mischt sich, da verschont zu werden, Schlau mitten zwischen zahme Herden. Der rechte Ritter sprengt heran, Und warnt den Grafen sanft und gut. Doch baß hetzt ihn der linke Mann Zu schadenfrohem Frevelmut. Der Graf verschmäht des Rechten Warnen Und läßt vom Linken sich umgarnen. Doch hin und her, durch Flur und Wald, Und her und hin, durch Wald und Flur, Verfolgen und erwittern bald Die raschen Hunde seine Spur. Der Hirt, voll Angst für seine Herde, Wirft vor dem Grafen sich zur Erde. „Verwegner Hund, der du mir wehrst! Ha, daß du deiner besten Kuh Selbst um und angewachsen wärst, Und jede Vettel noch dazu! So sollt es baß mein Herz ergötzen, Euch stracks ins Himmelreich zu hetzen. „Erbarmen, Herr, Erbarmen! Laßt Mein armes stilles Vieh in Ruh! Bedenket, lieber Herr, hier grast So mancher armen Witwe Kuh. Ihr eins und alles spart der Armen! Erbarmen, lieber Herr, Erbarmen!“ Hallo, Gesellen, drauf und dran! Jo! Doho! Hussasa!“ Und jeder Hund fiel wütend an, Was er zunächst vor sich ersah. Bluttriefend sank der Hirt zur Erde, Bluttriefend Stück für Stück die Herde. Der wilde Jäger in 5 Bildtafeln, gezeichnet von Joseph Führich Dem Mordgewühl entrafft sich kaum Das Wild mit immer schwächerm Lauf. Mit Blut besprengt, bedeckt mit Schaum Nimmt jetzt des Waldes Nacht es auf. Tief birgt sich‘s in des Waldes Mitte, In eines Kläusners Gotteshütte. Der Rechte sprengt besorgt heran Und warnt den Grafen sanft und gut. Doch baß hetzt ihn der linke Mann Zu schadenfrohem Frevelmut. Und wehe! trotz des Rechten Warnen, Läßt er vom Linken sich umgarnen! Risch ohne Rast mit Peitschenknall, Mit Horrido und Hussasa, Und Kliff und Klaff und Hörnerschall, Verfolgt‘s der wilde Schwarm auch da. Entgegen tritt mit sanfter Bitte Der fromme Kläusner vor die Hütte. „Verderben hin, Verderben her! Das“, ruft er, „macht mir wenig Graus. Und wenn‘s im dritten Himmel wär, So acht ich‘s keine Fledermaus. Mag‘s Gott und dich, du Narr, verdrießen; So will ich meine Lust doch büßen!“ „Laß ab, laß ab von dieser Spur! Entweihe Gottes Freistatt nicht! Zum Himmel ächzt die Kreatur Und heischt von Gott dein Strafgericht. Zum letzten Male laß dich warnen, Sonst wird Verderben dich umgarnen!“ Der wilde Jäger in 5 Bildtafeln, gezeichnet von Joseph Führich Er schwingt die Peitsche, stößt ins Horn: „Hallo, Gesellen, drauf und dran!“ Hui, schwinden Mann und Hütte vorn, Und hinten schwinden Roß und Mann; Und Knall und Schall und Jagdgebrülle Verschlingt auf einmal Totenstille. Das Grausen weht, das Wetter saust, Und aus der Erd empor huhu! Fährt eine schwarze Riesenfaust; Sie spannt sich auf, sie krallt sich zu; Hui! will sie ihn beim Wirbel packen; Hui! steht sein Angesicht im Nacken. Erschrocken blickt der Graf umher; Er stößt ins Horn, es tönet nicht; Er ruft und hört sich selbst nicht mehr; Der Schwung der Peitsche sauset nicht; Er spornt sein Roß in beide Seiten Und kann nicht vor nicht rückwärts reiten. Es flimmt und flammt rund um ihn her, Mit grüner, blauer, roter Glut; Es wallt um ihn ein Feuermeer; Darinnen wimmelt Höllenbrut. Jach fahren tausend Höllenhunde, Laut angehetzt, empor vom Schlunde. Drauf wird es düster um ihn her, Und immer düstrer, wie ein Grab. Dumpf rauscht es, wie ein fernes Meer. Hoch über seinem Haupt herab Ruft furchtbar, mit Gewittergrimme, Dies Urtel eine Donnerstimme: Er rafft sich auf durch Wald und Feld, Und flieht lautheulend Weh und Ach; Doch durch die ganze weite Welt Rauscht bellend ihm die Hölle nach, Bei Tag tief durch der Erde Klüfte, Um Mitternacht hoch durch die Lüfte. „Du Wütrich, teuflischer Natur, Frech gegen Gott und Mensch und Tier! Das Ach und Weh der Kreatur, Und deine Missetat an ihr Hat laut dich vor Gericht gefodert, Wo hoch der Rache Fackel lodert. Im Nacken bleibt sein Antlitz stehn, So rasch die Flucht ihn vorwärts reißt. Er muß die Ungeheuer sehn, Laut angehetzt vom bösen Geist, Muß sehn das Knirschen und das Jappen Der Rachen, welche nach ihm schnappen. - Fleuch, Unhold, fleuch, und werde jetzt, Von nun an bis in Ewigkeit, Von Höll und Teufel selbst gehetzt! Zum Schreck der Fürsten jeder Zeit, Die, um verruchter Lust zu fronen, Nicht Schöpfer noch Geschöpf verschonen!“ - Das ist des wilden Heeres Jagd, Die bis zum Jüngsten Tage währt, Und oft dem Wüstling noch bei Nacht Zu Schreck und Graus vorüberfährt. Das könnte, müßt er sonst nicht schweigen, Wohl manches Jägers Mund bezeugen. Ein schwefelgelber Wetterschein Umzieht hierauf des Waldes Laub. Angst rieselt ihm durch Mark und Bein; Ihm wird so schwül, so dumpf und taub! Entgegen weht‘ ihm kaltes Grausen, Dem Nacken folgt Gewittersausen. Maurice Ravel: Ma mère l’oye Pavane de la belle au bois dormant Petit poucet Laideronnette, impératrice des pagodes Les entretiens de la belle et de la bête Le jardin féerique Einer ganz anderen Poesie, nämlich der Poesie der Kindheit war Maurice Ravel zeitlebens in ganz besonderer Art und Weise verfallen. Bei großen Gesellschaften fand man ihn nicht selten im Kinderzimmer, spielend und umringt von einer ganzen Kinderschar. „Ravel erzählte mir wunderbare Geschichten. Ich setzte mich auf seinen Schoß und er begann, ohne jemals müde zu werden, mit seinem ,Es war einmal…‘“ erinnert sich Mimi Godebski an ihre Kindheit mit dem komponierenden Märchenerzähler. Eben jener Mimi und ihrem Bruder Jean – den klavierspielenden Kindern der befreundeten Familie Godebski – widmete Ravel seine vierhändige Klaviersuite „Ma mère l’oye“, die er 1911 zu einem fünfsätzigen Orchesterwerk umarbeitete. Den Titel entlehnte er den „Contes de ma mère l’oye“ („Geschichten der Mutter Gans“), einer Märchensammlung Charles Perraults aus dem Jahre 1697, die in Frankreich ähnliche Beliebtheit besitzt wie die Erzählungen der Gebrüder Grimm hierzulande. In hinreißenden musikalischen Miniaturen lässt Ravel Mutter Gans ihre Märchen erzählen. Réunion d‘ „apaches“ chez Cipa Godebski, Georges d‘Espagnat, 1910 Von rechts nach links: Florent Schmitt, Déodat de Séverac, Michel Dimitri Calvocoressi, Cipa Godebski (sitzend), Jean Godebski (sein Sohn), Albert Roussel, Ricardo Viñes (am Klavier), Maurice Ravel (über das Klavier gebeugt). ® Musée de l‘Opéra de Paris Die Suite setzt an mit der Geschichte Dornröschens, die in einen hundertjährigen Schlaf gefallen ist. So unmodisch wie Dornröschens Kleid bei ihrem Erwachen ist auch ihr Tanz: Ravel charakterisiert sie mit einer gravitätischen Pavane, einem höfischen Schreittanz aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Es folgt das Märchen vom kleinen Däumling, der sich – ähnlich wie „Hänsel und Gretel“ – mit seinen Brüdern im Wald verirrt hat. Diesem Stück stellte Ravel ein Motto von Perrault voran, das sich deutlich in der Musik wiedererkennen lässt: „Der Däumling hatte gehofft, den Weg durch die Brotkrumen, die er im Gehen fallen gelassen, wiederzufinden: aber wie war er erstaunt, als er kein einziges Krumchen mehr fand. Die Vöglein hatten alles aufgepickt.“ Richtungslose Ketten von durchgehenden Achtelbewegungen zeigen die verzweifelte Suche der Kinder nach dem rechten Weg, begleitet von unheimlichen Vogelrufen. Anders als die ersten beiden Sätze ist das Sujet von „Laideronnette, der Kaiserin der Pagoden“ nicht der Sammlung Perraults entnommen, sondern stammt von dessen Zeitgenossin Marie-Catherine d’Aulnoy. Erzählt wird von der Badezeremonie der chinesischen Kaiserin, die musikalisch von auf Walnüssen spielenden Zwergen begleitet wird. Celesta, Glockenspiel, Piccoloflöte und Tam-Tam entführen in diesem Satz mit pentatonischen Melodien in die Märchenwelt fernöstlicher Exotik. Die „Unterhaltung der Schönen mit dem Biest“ geht auf ein Märchen von Jeanne-Marie Leprince de Beaumont zurück und beschreibt die rührende Geschichte eines jungen Mädchens, das in der verzauberten Bestie ein gutes Herz erkennt und es durch ihre Liebe vom Fluch erlöst. Die Verwandlung des Ungeheuers zum Prinzen vollzieht sich musikalisch vom dunklen Motiv des Kontrafagotts über ein zartes Harfenglissando bis hin zu hellen Streichertönen. Den Abschluss der musikalischen Märchenerzählung bildet der von Ravel frei erfundene „Feengarten“, den der Komponist mit Glocken und Fanfaren als jubelndes Finale gestaltet. Weiterführende Informationen: http://www.maurice-ravel.net/index.htm Hörbeispiel: Royal Concertgebouw Orchestra unter Danielle Gatti http://youtu.be/mCrJfBP4xE4