FRANZÖSISCHES – 4. Sinfoniekonzert des Schleswig

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FRANZÖSISCHES – 4. Sinfoniekonzert des Schleswig
FRANZÖSISCHES – 4. Sinfoniekonzert des Schleswig-Holsteinischen
Sinfonieorchesters
Dirigent: Peter Sommerer
13.01.2015, Schleswig, 19.30 Uhr, A.P. Møller Skolen
14.01.2015, Flensburg, 19.30 Uhr, Deutsches Haus
16.01.2015, Rendsburg, 19.30 Uhr, Stadttheater
Joseph Haydn: „Pariser Sinfonie“ Nr. 82
Vivace assai
Allegretto
Menuetto
Vivace
In himmelblauen Gehröcken mit elegantem Spitzenbesatz und glänzenden Degen an der Seite spielten sie auf –
die Musiker des mit bis zu vierzig Geigen, zehn Kontrabässen und vierfachen Holzbläsern besetzten Orchesters
der Pariser Freimaurerloge „de la Parfaite Estime & Société Olympique“. Die von ihnen veranstaltete Konzertreihe „Le Concert de la Loge Olympique“ besaß im Paris des späten 18. Jahrhunderts Kultstatus.
Eine umso größere Ehre war es für Joseph Haydn, als man ihn
1784 bat, einige Sinfonien für die Veranstaltungsreihe zu komponieren – Haydns erste große Bewährungsprobe auf internationalem Parkett. Hier konnte er zeigen, was er beim ungestörten
Experimentieren mit der kleinen Kapelle seines Dienstherren
Nikolai Esterházy in Ungarn kompositorisch entwickelt hatte.
Und hier fand Haydn das, was er am Hof des Fürsten Esterházy
jahrelang vermisst hatte: ein erstklassiges und vor allem vollbesetztes Orchester, das größte und prachtvollste seiner Zeit.
Joseph Haydn in einem zeitgenössischen Stich Haydn komponierte für die Loge 1785 und 1786 sechs „Pariser
® Hulton Archive/Getty Images
Sinfonien“ (Nr. 82 bis 87), die als sein erster zusammenhängend konzipierter sinfonischer Zyklus betrachtet werden. Die
Sinfonie Nr. 82 ist entgegen ihrer offiziellen Zählung jedoch nicht als erste entstanden, sondern wurde später
im Jahre 1786 komponiert. Kraftvoll eröffnet sie im Kopfsatz mit einer unisono aufsteigenden DreiklangFanfare in glänzendem C-Dur, die nach einem kurzen empfindsamen Gedanken der Streicher in einer umso
temperamentvolleren Marschpassage im Fortissimo aufgeht. Der zweite Satz bringt anstelle des langsamen
Satzes ein bewegtes Allegretto. Haydn gestaltet es im damals überaus beliebten Modell der Doppelvariation: Es
besteht aus zwei Abschnitten in F-Dur und f-Moll, die abwechselnd variierend verarbeitet werden. Das elegantrepräsentative Menuett lebt vor allem im Trio von abgestuften Bläserfarben und reizvollen harmonischen Wendungen. Ihren späteren Beinamen „L’Ours“ („Der Bär“) verdankt die Sinfonie ihrem Finale. Angeblich ließ sich
Haydn dazu von einem Tanzbären inspirieren, der zu Dudelsack-Melodien auf einer Straße tanzte. Tatsächlich
weckt das tapsige Hauptthema des Schlusssatzes, eine Cornemuse-Melodie über brummigen Bordunbässen,
allerlei bildliche Assoziationen, bis die Sinfonie in turbulent-ausgelassener Fröhlichkeit ausklingt.
Weiterführende Informationen: http://www.haydn-sinfonien.de/text/chapter6.0.html
Hörbeispiel: Camerata Salzburg unter Roger Norrington
http://youtu.be/4WNykhWtn1I
George Enescu: Dixtuor für Holzbläser
Doucement mouvementé
Modérément
Allègrement, mais pas trop vif
George Enescu war ein Wunderkind. Mit acht Jahren verließ er seine rumänische
Heimatstadt Livini um in Wien Violine, Klavier und Komposition zu studieren, mit
dreizehn wechselte er ans Pariser Konservatorium und wurde Schüler der Komponisten Jules Massenet und Gabriel Fauré. Und schon im Alter von siebzehn Jahren
begeisterte er als Violinvirtuose Europa und Übersee vor allem mit seinen einfühlsamen Interpretationen der Werke Johann Sebastian Bachs. Zu seinen Schülern
sollte später auch der berühmte Geiger Yehudi Menuhin zählen. Später berichtete
Menuhin von seiner ersten Begegnung mit dem Geiger: „Ich verfiel ihm, ehe ich
die erste Note von ihm gehört hatte. Sein Auftreten, seine Haltung, seine wundervolle schwarze Mähne, alles kennzeichnete ihn als freien Menschen, ungebunden
wie ein Zigeuner, ungezwungen, natürlich, schöpferisch begabt und voller Feuer.
Als er dann zu spielen begann, hatte seine Musik eine Leuchtkraft, wie sie mir
noch nirgends begegnet war.“
Doch Enescu war mehr als ein Wunderkind und Virtuose. Vor
allem in Paris, wo er bekannte Komponisten wie Maurice Ravel,
Florent Schmitt und Charles Koechli kennenlernte, bildete sich
Enescu zum Komponisten. Die französische Landeshauptstadt
sollte musikalisch Enescus zweite Heimat werden. Schon seine
Frühwerke zeigen deutlich den Einfluss französischer Musik.
Zur gleichen Zeit wandte der Komponist sich aber auch der rumänischen Volksmusik zu – er komponierte ein „Rumänisches
Poem“ und zwei „Rumänisache Rhapsodien“. Seine musikalische
Sprache geht aber weit über die exotische und folkloristische
Qualität dieser Werke hinaus. Auf elegante Art und Weise
verbinden Enescus Kompositionen vielmehr östlich inspirierte
Melodien mit einer ausgeprägt westlichen, polyphonen Klangund Formensprache. So auch sein Dixtuor für Holzbläser aus
dem Jahr 1906. Die Instrumentation des Stücks entspricht dem
eines doppelten Bläserquintetts, ist also mit je zwei Querflöten,
Oboen, Klarinetten, Fagotten und Hörnern ausgestattet – mit
einer Besonderheit: die zweite Oboe ist durch ein Englischhorn
ersetzt, wodurch sich eine Fülle neuer Klangfarben und Kombinationsmöglichkeiten ergibt.
Weiterführende Informationen:
http://www.musikmph.de/rare_music/composers/a_e/enescu_george/1.html
Hörbeispiel: Orchestre National de France unter George Enescu
http://youtu.be/IA9hHFlbHYU
César Franck: Le chasseur maudit
César-August Franck wurde 1822 in Lüttich geboren.
Nach erstem Kompositions- und Kontrapunktunterricht beim Tschechen Antonín Reicha wurde er
ins Pariser Konservatorium aufgenommen. Auf
Wunsch seines Vaters schlug er zunächst die Laufbahn eines Virtuosen ein, wandte sich aber bald
dem Komponieren zu. Um den Unterhalt seiner
Familie zu sichern, gab er neben seiner Tätigkeit
als Kantor und Organist der Kirche Sainte-Clotilde
auch Unterricht. Franck war 1871 Mitgründer der
„Société Nationale de Musique“ und später deren
Präsident. Ein Jahr später wurde er zum Professor
für Orgel ans Pariser Konservatorium berufen.
Seine pädagogische Tätigkeit brachte eine Schule
hervor, der u.a. die bekannten Komponisten
Henry Duparc, Ernest Chausson oder Vincent
d’Indy angehörten.
César Frank an der Orgel von Sainte-Clotilde
Das Werk César Francks verbindet die deutsche
und französische Kunst. Insbesondere die dramatisch-erregte Ausdruckskraft Francks ist auf das
Erbe Beethovens zurückzuführen. Seine Kompositionen rücken das menschliche Erleben in den
Mittelpunkt und kreisen um die inneren Kämpfe,
die Zweifel und die Schmerzen des Menschen.
Besonders deutlich wird dies in seiner Tondichtung „Le chasseur maudit“. Inspiriert von Gottfried August
Bürgers berühmter Ballade „Der wilde Jäger” aus dem Jahre 1785 komponierte César Franck knapp hundert
Jahre später diese sinfonische Dichtung. Sie erzählt das grausige Schicksal eines hochmütigen Rheinfürsten,
der trotz des Glockenrufs am heiligen Sonntag das Jagdvergnügen der Kirche vorzieht. Auf seinem wilden
Ritt kennt er kein Erbarmen: weder Tier noch Mensch sind vor ihm sicher, unbarmherzig plündert er die
Felder und Wälder seiner Untertanen. Begleitet wird er dabei von zwei unbekannten Reitern, die wie die
personifizierten guten und bösen Eingebungen versuchen, den Fürsten weiter anzustacheln bzw. zum
Einhalten zu bewegen. Als er schließlich selbst den Warnungen eines Klausners kein Gehör mehr schenkt,
findet sich der Graf vor einem geisterhaften Gericht wieder und empfängt seinen Urteilsspruch: In ewiger
Verdammnis muss er vor den wilden Mächten der Hölle fliehen, wird vom Jäger zum Gejagten. César Franck
setzt Bürgers Ballade musikalisch äußerst plastisch um: von den morgendlichen Hornrufen zur Jagd, den
Kirchenglocken, dem galoppierenden Rhythmus der Pferde, der Verkündigung des Fluchs mit düsteren Posaunenklängen über tremolierenden Streichern bis hin zur infernalischen Hetze, die in ihrer orgiastischen
Heftigkeit an den „Songe d’une nuit de sabbat“ aus Hector Berlioz‘ „Symphonie Fantastique“ erinnert.
Weiterführende Informationen: http://dovesong.com/positive_music/archives/romantic/Franck.asp
Hörbeispiel: Orchestre du Capitole de Toulouse unter Michel Plasson
http://youtu.be/NGdOEonmGZ0
Gottfried August Bürger: Der wilde Jäger
Der wilde Jäger in 5 Bildtafeln, gezeichnet von Joseph Führich
Der Wild- und Rheingraf stieß ins Horn:
„Hallo, Hallo zu Fuß und Roß!“
Sein Hengst erhob sich wiehernd vorn;
Laut rasselnd stürzt‘ ihm nach der Troß;
Laut klifft‘ und klafft‘ es, frei vom Koppel,
Durch Korn und Dorn, durch Heid‘ und Stoppel.
„Schlecht stimmet deines Hornes Klang“,
Sprach der zur Rechten, sanftes Muts,
„Zu Feierglock und Chorgesang.
Kehr um! Erjagst dir heut nichts Guts.
Laß dich den guten Engel warnen,
Und nicht vom Bösen dich umgarnen!“ -
Vom Strahl der Sonntagsfrühe war
Des hohen Domes Kuppel blank.
Zum Hochamt rufte dumpf und klar
Der Glocken ernster Feierklang.
Fern tönten lieblich die Gesänge
Der andachtsvollen Christenmenge.
„Jagt zu, jagt zu, mein edler Herr!“
Fiel rasch der linke Ritter drein.
„Was Glockenklang? Was Chorgeplärr?
Die Jagdlust mag Euch baß erfreun!
Laßt mich, was fürstlich ist, Euch lehren
Und Euch von jenem nicht betören!“ -
Rischrasch quer übern Kreuzweg ging‘s,
Mit Horrido und Hussasa.
Sieh da! Sieh da, kam rechts und links
Ein Reiter hier, ein Reiter da!
Des Rechten Roß war Silbersblinken,
Ein Feuerfarbner trug den Linken.
„Ha! Wohlgesprochen, linker Mann!
Du bist ein Held nach meinem Sinn.
Wer nicht des Waidwerks pflegen kann,
Der scher ans Paternoster hin!
Mag‘s, frommer Narr, dich baß verdrießen,
So will ich meine Lust doch büßen!“ -
Wer waren Reiter links und rechts?
Ich ahnd‘ es wohl, doch weiß ich‘s nicht.
Lichthehr erschien der Reiter rechts,
Mit mildem Frühlingsangesicht.
Graß, dunkelgelb der linke Ritter
Schoß Blitz vom Aug, wie Ungewitter.
Und hurre hurre vorwärts ging‘s,
Feld ein und aus, Berg ab und an.
Stets ritten Reiter rechts und links
Zu beiden Seiten neben an.
Auf sprang ein weißer Hirsch von ferne,
Mit sechzehnzackigem Gehörne.
„Willkommen hier, zu rechter Frist,
Willkommen zu der edlen Jagd!
Auf Erden und im Himmel ist
Kein Spiel, das lieblicher behagt.“ Er riefs, schlug laut sich an die Hüfte,
Und schwang den Hut hoch in die Lüfte.
Und lauter stieß der Graf ins Horn;
Und rascher flog‘s zu Fuß und Roß;
Und sieh! bald hinten und bald vorn
Stürzt‘ einer tot dahin vom Troß.
„Laß stürzen! Laß zur Hölle stürzen!
Das darf nicht Fürstenlust verwürzen.“
Der wilde Jäger in 5 Bildtafeln, gezeichnet von Joseph Führich
Das Wild duckt sich ins Ährenfeld
Und hofft da sichern Aufenthalt.
Sieh da! Ein armer Landmann stellt
Sich dar in kläglicher Gestalt.
„Erbarmen, lieber Herr, Erbarmen!
Verschont den sauern Schweiß des Armen!“
„Hinweg, du Hund!“ schnaubt fürchterlich
Der Graf den armen Pflüger an.
„Sonst hetz ich selbst, beim Teufel! dich.
Hallo, Gesellen, drauf und dran!
Zum Zeichen, daß ich wahr geschworen,
Knallt ihm die Peitschen um die Ohren!“
Der rechte Ritter sprengt heran,
Und warnt den Grafen sanft und gut.
Doch baß hetzt ihn der linke Mann
Zu schadenfrohem Frevelmut.
Der Graf verschmäht des Rechten Warnen
Und läßt vom Linken sich umgarnen.
Gesagt, getan! Der Wildgraf schwang
Sich übern Hagen rasch voran,
Und hinterher, bei Knall und Klang,
Der Troß mit Hund und Roß und Mann;
Und Hund und Mann und Roß zerstampfte
Die Halmen, daß der Acker dampfte.
Der wilde Jäger in 5 Bildtafeln, gezeichnet von Joseph Führich
Vom nahen Lärm emporgescheucht,
Feld ein und aus, Berg ab und an
Gesprengt, verfolgt, doch unerreicht,
Ereilt das Wild des Angers Plan;
Und mischt sich, da verschont zu werden,
Schlau mitten zwischen zahme Herden.
Der rechte Ritter sprengt heran,
Und warnt den Grafen sanft und gut.
Doch baß hetzt ihn der linke Mann
Zu schadenfrohem Frevelmut.
Der Graf verschmäht des Rechten Warnen
Und läßt vom Linken sich umgarnen.
Doch hin und her, durch Flur und Wald,
Und her und hin, durch Wald und Flur,
Verfolgen und erwittern bald
Die raschen Hunde seine Spur.
Der Hirt, voll Angst für seine Herde,
Wirft vor dem Grafen sich zur Erde.
„Verwegner Hund, der du mir wehrst!
Ha, daß du deiner besten Kuh
Selbst um und angewachsen wärst,
Und jede Vettel noch dazu!
So sollt es baß mein Herz ergötzen,
Euch stracks ins Himmelreich zu hetzen.
„Erbarmen, Herr, Erbarmen! Laßt
Mein armes stilles Vieh in Ruh!
Bedenket, lieber Herr, hier grast
So mancher armen Witwe Kuh.
Ihr eins und alles spart der Armen!
Erbarmen, lieber Herr, Erbarmen!“
Hallo, Gesellen, drauf und dran!
Jo! Doho! Hussasa!“ Und jeder Hund fiel wütend an,
Was er zunächst vor sich ersah.
Bluttriefend sank der Hirt zur Erde,
Bluttriefend Stück für Stück die Herde.
Der wilde Jäger in 5 Bildtafeln, gezeichnet von Joseph Führich
Dem Mordgewühl entrafft sich kaum
Das Wild mit immer schwächerm Lauf.
Mit Blut besprengt, bedeckt mit Schaum
Nimmt jetzt des Waldes Nacht es auf.
Tief birgt sich‘s in des Waldes Mitte,
In eines Kläusners Gotteshütte.
Der Rechte sprengt besorgt heran
Und warnt den Grafen sanft und gut.
Doch baß hetzt ihn der linke Mann
Zu schadenfrohem Frevelmut.
Und wehe! trotz des Rechten Warnen,
Läßt er vom Linken sich umgarnen!
Risch ohne Rast mit Peitschenknall,
Mit Horrido und Hussasa,
Und Kliff und Klaff und Hörnerschall,
Verfolgt‘s der wilde Schwarm auch da.
Entgegen tritt mit sanfter Bitte
Der fromme Kläusner vor die Hütte.
„Verderben hin, Verderben her!
Das“, ruft er, „macht mir wenig Graus.
Und wenn‘s im dritten Himmel wär,
So acht ich‘s keine Fledermaus.
Mag‘s Gott und dich, du Narr, verdrießen;
So will ich meine Lust doch büßen!“
„Laß ab, laß ab von dieser Spur!
Entweihe Gottes Freistatt nicht!
Zum Himmel ächzt die Kreatur
Und heischt von Gott dein Strafgericht.
Zum letzten Male laß dich warnen,
Sonst wird Verderben dich umgarnen!“
Der wilde Jäger in 5 Bildtafeln, gezeichnet von Joseph Führich
Er schwingt die Peitsche, stößt ins Horn:
„Hallo, Gesellen, drauf und dran!“
Hui, schwinden Mann und Hütte vorn,
Und hinten schwinden Roß und Mann;
Und Knall und Schall und Jagdgebrülle
Verschlingt auf einmal Totenstille.
Das Grausen weht, das Wetter saust,
Und aus der Erd empor huhu!
Fährt eine schwarze Riesenfaust;
Sie spannt sich auf, sie krallt sich zu;
Hui! will sie ihn beim Wirbel packen;
Hui! steht sein Angesicht im Nacken.
Erschrocken blickt der Graf umher;
Er stößt ins Horn, es tönet nicht;
Er ruft und hört sich selbst nicht mehr;
Der Schwung der Peitsche sauset nicht;
Er spornt sein Roß in beide Seiten
Und kann nicht vor nicht rückwärts reiten.
Es flimmt und flammt rund um ihn her,
Mit grüner, blauer, roter Glut;
Es wallt um ihn ein Feuermeer;
Darinnen wimmelt Höllenbrut.
Jach fahren tausend Höllenhunde,
Laut angehetzt, empor vom Schlunde.
Drauf wird es düster um ihn her,
Und immer düstrer, wie ein Grab.
Dumpf rauscht es, wie ein fernes Meer.
Hoch über seinem Haupt herab
Ruft furchtbar, mit Gewittergrimme,
Dies Urtel eine Donnerstimme:
Er rafft sich auf durch Wald und Feld,
Und flieht lautheulend Weh und Ach;
Doch durch die ganze weite Welt
Rauscht bellend ihm die Hölle nach,
Bei Tag tief durch der Erde Klüfte,
Um Mitternacht hoch durch die Lüfte.
„Du Wütrich, teuflischer Natur,
Frech gegen Gott und Mensch und Tier!
Das Ach und Weh der Kreatur,
Und deine Missetat an ihr
Hat laut dich vor Gericht gefodert,
Wo hoch der Rache Fackel lodert.
Im Nacken bleibt sein Antlitz stehn,
So rasch die Flucht ihn vorwärts reißt.
Er muß die Ungeheuer sehn,
Laut angehetzt vom bösen Geist,
Muß sehn das Knirschen und das Jappen
Der Rachen, welche nach ihm schnappen. -
Fleuch, Unhold, fleuch, und werde jetzt,
Von nun an bis in Ewigkeit,
Von Höll und Teufel selbst gehetzt!
Zum Schreck der Fürsten jeder Zeit,
Die, um verruchter Lust zu fronen,
Nicht Schöpfer noch Geschöpf verschonen!“ -
Das ist des wilden Heeres Jagd,
Die bis zum Jüngsten Tage währt,
Und oft dem Wüstling noch bei Nacht
Zu Schreck und Graus vorüberfährt.
Das könnte, müßt er sonst nicht schweigen,
Wohl manches Jägers Mund bezeugen.
Ein schwefelgelber Wetterschein
Umzieht hierauf des Waldes Laub.
Angst rieselt ihm durch Mark und Bein;
Ihm wird so schwül, so dumpf und taub!
Entgegen weht‘ ihm kaltes Grausen,
Dem Nacken folgt Gewittersausen.
Maurice Ravel: Ma mère l’oye
Pavane de la belle au bois dormant
Petit poucet
Laideronnette, impératrice des pagodes
Les entretiens de la belle et de la bête
Le jardin féerique
Einer ganz anderen Poesie, nämlich der Poesie der Kindheit war Maurice Ravel zeitlebens in ganz besonderer Art und
Weise verfallen. Bei großen Gesellschaften fand man ihn nicht selten im Kinderzimmer, spielend und umringt von
einer ganzen Kinderschar. „Ravel erzählte mir wunderbare Geschichten. Ich setzte mich auf seinen Schoß und er
begann, ohne jemals müde zu werden, mit seinem ,Es war einmal…‘“ erinnert sich Mimi Godebski an ihre Kindheit
mit dem komponierenden Märchenerzähler. Eben jener Mimi und ihrem Bruder Jean – den klavierspielenden Kindern
der befreundeten Familie Godebski – widmete Ravel seine vierhändige Klaviersuite „Ma mère l’oye“, die er 1911 zu
einem fünfsätzigen Orchesterwerk umarbeitete. Den Titel entlehnte er den „Contes de ma mère l’oye“ („Geschichten
der Mutter Gans“), einer Märchensammlung Charles Perraults aus dem Jahre 1697, die in Frankreich ähnliche Beliebtheit besitzt wie die Erzählungen der Gebrüder Grimm hierzulande. In hinreißenden musikalischen Miniaturen lässt
Ravel Mutter Gans ihre Märchen erzählen.
Réunion d‘ „apaches“ chez Cipa Godebski, Georges d‘Espagnat, 1910
Von rechts nach links: Florent Schmitt, Déodat de Séverac, Michel Dimitri Calvocoressi, Cipa Godebski (sitzend), Jean Godebski (sein Sohn), Albert Roussel,
Ricardo Viñes (am Klavier), Maurice Ravel (über das Klavier gebeugt).
® Musée de l‘Opéra de Paris
Die Suite setzt an mit der Geschichte Dornröschens, die in einen hundertjährigen Schlaf gefallen ist. So unmodisch
wie Dornröschens Kleid bei ihrem Erwachen ist auch ihr Tanz: Ravel charakterisiert sie mit einer gravitätischen
Pavane, einem höfischen Schreittanz aus dem 16. und 17. Jahrhundert.
Es folgt das Märchen vom kleinen Däumling, der sich – ähnlich wie „Hänsel und Gretel“ – mit seinen Brüdern im Wald
verirrt hat. Diesem Stück stellte Ravel ein Motto von Perrault voran, das sich deutlich in der Musik wiedererkennen
lässt: „Der Däumling hatte gehofft, den Weg durch die Brotkrumen, die er im Gehen fallen gelassen, wiederzufinden:
aber wie war er erstaunt, als er kein einziges Krumchen mehr fand. Die Vöglein hatten alles aufgepickt.“ Richtungslose Ketten von durchgehenden Achtelbewegungen zeigen die verzweifelte Suche der Kinder nach dem rechten Weg,
begleitet von unheimlichen Vogelrufen.
Anders als die ersten beiden Sätze ist das Sujet von „Laideronnette, der Kaiserin der Pagoden“ nicht der Sammlung
Perraults entnommen, sondern stammt von dessen Zeitgenossin Marie-Catherine d’Aulnoy. Erzählt wird von der
Badezeremonie der chinesischen Kaiserin, die musikalisch von auf Walnüssen spielenden Zwergen begleitet wird.
Celesta, Glockenspiel, Piccoloflöte und Tam-Tam entführen in diesem Satz mit pentatonischen Melodien in die
Märchenwelt fernöstlicher Exotik.
Die „Unterhaltung der Schönen mit dem Biest“ geht auf ein Märchen von Jeanne-Marie Leprince de Beaumont
zurück und beschreibt die rührende Geschichte eines jungen Mädchens, das in der verzauberten Bestie ein gutes
Herz erkennt und es durch ihre Liebe vom Fluch erlöst. Die Verwandlung des Ungeheuers zum Prinzen vollzieht sich
musikalisch vom dunklen Motiv des Kontrafagotts über ein zartes Harfenglissando bis hin zu hellen Streichertönen.
Den Abschluss der musikalischen Märchenerzählung bildet der von Ravel frei erfundene „Feengarten“, den der
Komponist mit Glocken und Fanfaren als jubelndes Finale gestaltet.
Weiterführende Informationen: http://www.maurice-ravel.net/index.htm
Hörbeispiel: Royal Concertgebouw Orchestra unter Danielle Gatti
http://youtu.be/mCrJfBP4xE4