Physische Geographie und Humangeographie
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Physische Geographie und Humangeographie
Leseprobe.qxd 14.07.2006 11:14 Uhr Seite U1 Herausgegeben von H. Gebhardt R. Glaser U. Radtke P. Reuber Geographie Physische Geographie und Humangeographie Leseprobe.qxd 14.07.2006 11:15 Uhr Seite U2 Kurzinhalt Teil I „Raum“, „Region“ und „Zeit“: Kategorien und Forschungsfelder der Geographie 1 2 Räumliche Maßstäbe und Gliederungen – von global bis lokal Teil III Methoden und „Wahrheiten“ in der Geographie 5 Wissenschaftliches Arbeiten in der Geographie – einführende Gedanken 6 Was können wir wissen? – Kritischer Rationalismus und naturwissenschaftlich orientierte Verfahren 7 Was können wir erzählen? – Hermeneutische und poststrukturalistische Verfahren Raum und Zeit Teil II Geographische Wissenschaft Teil IV Teilgebiete der Physischen Geographie 3 Geographie – verschiedene Antworten auf die Frage nach der Geographie 4 Das Drei-Säulen-Modell der Geographie Leseprobe.qxd 14.07.2006 11:16 Uhr Seite 1 8 Klimageographie 21 Verkehrsgeographie 9 Geomorphologie 22 Politische Geographie 10 Bodengeographie 23 Bevölkerungsgeographie 11 Biogeographie 24 Geographische Entwicklungsforschung 12 Hydrogeographie 25 Historische Geographie und Kulturlandschaftsforschung 13 Geoökologie, Landschaftsökologie, Stadtökologie 14 Aktuelle Forschungsfelder der Physischen Geographie als intra- und interdisziplinäre Querschnittsaufgaben Teil V Humangeographie 26 Aktuelle Forschungsfelder der Humangeographie als intra- und interdisziplinäre Querschnittsaufgaben Teil VI Natur und Gesellschaft: Schnittfelder von Physischer Geographie und Humangeographie 15 Sozialgeographie 16 Geographie des ländlichen Raumes 17 Stadtgeographie 18 Wirtschaftsgeographie 19 Geographie des Handels und der Dienstleistungen 20 Freizeit- und Tourismusgeographie 27 Natur und Kultur – eine Neubestimmung des Verhältnisses 28 Global Change, Syndromkomplexe und globale Ressourcenkonflikte 29 „Hazards“: Naturgefahren und Naturrisiken Leseprobe.qxd 14.07.2006 11:16 Uhr Seite 2 Teil I „Raum“, „Region“ und „Zeit“: Kategorien und Forschungsfelder der Geographie 1 Räumliche Maßstäbe und Gliederungen – von global bis lokal 2 Raum und Zeit Leseprobe.qxd 14.07.2006 11:16 Uhr Seite 3 Eine Katastrophe und ihre geographische Relevanz Am 2. Weihnachtstag des Jahres 2004 ereignete sich in Süd- und Südostasien eine der größten Naturkatastrophen der Neuzeit: Ein unterirdisches Seebeben vor Sumatra löste eine Riesenwelle, einen Tsunami aus, welcher innerhalb weniger Stunden die Küstenregionen von Sri Lanka und Südindien, den Norden der Insel Sumatra, die Ferienparadiese auf der thailändischen Insel Phuket ebenso wie auf den Malediven überflutete. Über 200 000 Menschen verloren ihr Leben, sehr viele mehr wurden obdachlos und verloren ihre Existenz, manche Küstenregionen werden für längere Zeit nahezu unbewohnbar sein. Ins Bewusstsein der europäischen Öffentlichkeit drang die Katastrophe – anders als im Falle der Hunger- und Aids-Epidemien in Afrika – sehr rasch auch deshalb, weil Tausende von europäischen Urlaubern direkt davon betroffen waren und auch weil nicht wenige Menschen in Europa die überfluteten Ferienregionen aus eigener Anschauung kannten. Das räumlich Ferne wird dann emotional nah, wenn man im Fernsehen das „eigene“ Ferienziel mit all seinen Zerstörungen sieht. Die große Hilfsbereitschaft der Menschen in Europa und Nordamerika, die zahllosen Spendenaktionen, hatten auch damit zu tun, dass es sich hier nicht um Folgen eines Bürgerkriegs oder einer „menschgemachten“ Katastrophe (wie bei der Aids-Epidemie) handelte, sondern um eine Naturkatastrophe, der die Menschen sozusagen „schuldlos“ ausgesetzt waren. Vielen wurde bewusst, auf welcher „geschützten“ Insel wir in Europa leben, selten behelligt von Wirbelstürmen, Flutkatastrophen, Vulkanausbrüchen und sonstigen natural Hazards. Menschen gerade in den tropischen Lebensräumen der Erde leben unter einem hohen „risk assessment“ durch Natureinflüsse und Krankheiten. Ihre häufig prekäre ökonomische Situation am Rand des Existenzminimums macht sie zusätzlich in hohem Maße „verwundbar“ gegenüber solchen Katastrophen. Die rasch einsetzende internationale Katastrophenhilfe war unverzichtbar, weil manche der betroffenen Staaten auch nur schwer in der Lage gewesen wären, diese aus eigener Kraft zu leisten. Andere Staaten wie Indien allerdings verwiesen darauf, dass sie durchaus in der Lage seien, der Katastrophe aus eigener Kraft Herr zu werden und verschleierten – relativ erfolgreich – vor der Weltöffentlichkeit die große Zahl an Opfern auf den abgelegenen Inselgruppen der Andamanen und Nikobaren. Indonesien wiederum war nicht begeistert vom in Aussicht gestellten Schuldenmoratorium, würde es doch die eben erst gewonnene Reputation des südostasiatischen Staates auf den internationalen Finanzmärkten gefährden. Einige der am schlimmsten betroffenen Regionen waren in den ersten Tagen nach der Katastrophe nur schwer erreichbar, nicht zuletzt, weil es sich um „Rebellengebiete“ handelte, welche um Unabhängigkeit von der jeweiligen Zentralregierung kämpfen. Die tamilischen Gebiete auf Sri Lanka gehören ebenso dazu wie die Provinz Aceh auf Sumatra. Immerhin ruhten wenigstens in den ersten Wochen nach der Katastrophe die Waffen, und die indonesische Regierung ließ – nach einigem Zögern – die ausländischen Hilfsorganisationen in die Region. Allerdings saßen die meisten Organisationen dann in der Stadt Banda Aceh fest. In die Katastrophengebiete an der Westküste zu gelangen, erwies sich als außerordentlich schwierig. Nur die vom amerikanischen Flugzeugträger USS Abraham Lincoln startenden Hubschrauber konnten Lebensmittelpakete abwerfen; dabei waren 13 000 US-Soldaten im Einsatz. Befremdend wirkte, dass die indonesische Führung ausländischen Truppen und Hilfskräften eine Frist von drei Monaten setzte und durch bewaffnete Militärs zunehmend deren Bewegungsfreiheit einschränkte. In diesem Augenblick höchster Not, so Leseprobe.qxd 14.07.2006 11:16 Uhr Seite 4 4 Einstieg sollte man meinen, müssten doch eigentlich alle an einem Strang ziehen. Gründe für die Probleme, wirksame Hilfsmaßnahmen in den Küstenregionen der Provinz Aceh umzusetzen, tauchten nach und nach in den Medien auf. Aceh ist seit 30 Jahren in einen Bürgerkrieg zwischen der muslimischen „Bewegung Freies Aceh“ (GAM) und der indonesischen Regierung verstrickt, bei dem Schätzungen zufolge inzwischen über 12 000 Menschen getötet wurden. Auch nach der Weihnachtskatastrophe stellte die indonesische Armee ihre Aktivitäten nicht ein, sondern nutzte vielmehr die günstige Gelegenheit für verstärkte Angriffe. In den ersten drei Wochen nach der Katastrophe sollen bei 86 Einsätzen 208 Rebellen getötet worden sein. Wo liegen die Gründe dafür? Die Provinz ist trotz ihrer Randlage für den indonesischen Staat sehr wichtig. Sie liegt an der Straße von Malakka und damit an einer der Hauptschifffahrtsrouten der Welt. Hier entlang läuft ein Großteil der Ölversorgung der Industriegiganten Japan, Südkorea und Taiwan, in Gegenrichtung verschiffen diese Staaten wie auch China ihre Exporte nach Europa. Überdies stammen ein Großteil der Erdöl- und Gasvorkommen des Landes aus Aceh; der indonesische Staat verdient allein aus der Erdgasförderung über 1 Milliarde US-Dollar im Jahr. Neu war sicher für viele Nachrichtenhörer, dass in diesem Geschäft vor allem die amerikanische Firma Exxon Mobil Corp. engagiert ist, die quasi ein Monopol auf die Förderung hat. Rund 5 000 Mitarbeiter beschäftigt sie in der Region, was ein etwas anderes Licht auf die große Bereitschaft der amerikanischen Militärs wirft, hier mit Hilfsmaßnahmen tätig zu werden. Die Unabhängigkeitsbestrebungen der GAM haben Oman Sana Jemen Indien (nur Festland) 8 920/629 200 Arabisches Meer Addis Abeba Somalia 150/5 000 Lakkadiven (Indien) 10 30 90 Äquator Kambodscha Phnom Penh 5,8 5,7 5,8 Khao Lak Phuket Banda Aceh 9,0 Thailand 8 700/30 000 Malaysia 70/8 000 Kuala SingaLumpur pur Indonesien 118 500/695 000 Jakarta 120 90 Ausbreitung der Flutwelle in Minuten 150 Hauptbeben am 26.12.2004 um ca. 8 Uhr Ortszeit mit Stärke auf der Richterskala Nachbeben 180 5,8 O z e a n 210 Plattengrenzen 240 9,0 270 1 000 km 300 330 500 360 390 420 450 Seychellen 10/150 0 54 0 Male I n d i s c h e r Victoria 0 51 Tansania 10/20 0 48 Daressalam Bangkok 60 Mogadischu Sri Lanka 36 900/ 504 000 Colombo Galle Malediven 100/21 700 Vietnam Rangun Madras Kenia 2/50 Nairobi Go lf vo n B e n gale n Andamanen/6,6 Nikobaren (Indien) 5,9 Cuddalore 7 400/ Mullaittivu 17 500 7,1 Dschibuti Äthiopien Hanoi Bangla- Myanmar desch2/– 60/ Laos Vientiane 3 200 Visakhapatnam Machilipatnam Dschibuti Kalkutta 10 Asmara Maskat 30 180 Saudi-Arabien Eritrea ganz wesentlich damit zu tun, die reichen Ressourcen der Region in die eigene Verfügungsgewalt zu bekommen und einen islamischen Staat errichten zu können. Die vielen Helfer in Aceh störten das indonesische Militär auch deshalb, weil Teile der Armee am Guerillakrieg verdienen. Nur zu etwa einem Drittel, so wird geschätzt, bezieht das Militär seine Mittel aus dem Staatshaushalt, den Rest aus legalen wie illegalen Geschäften, unter anderem durch die Stellung von Wach- und Schutzdiensten für den US-Ölmulti Exxon zum Schutz gegen die Rebellen oder durch illegalen Einschlag von Edelhölzern im Norden Sumatras. Natürlich boten auch die internationalen Hilfsmaßnahmen die Chance, hier durch Korruption mitzuverdienen, doch scheint der erwartbare (politische) Schaden den Nutzen überwogen zu haben. Immerhin wurde der Gouverneur von Aceh, welcher eigentlich Koordinator der Hilfsmaßnahmen hätte sein sollen, zum Jahresende 2004 seines Amtes enthoben und wegen Korruption angeklagt. So in etwa sahen die Informationen aus, die ein interessierter Leser in Europa im Januar und Februar 2005 den Medien entnehmen konnte. Was hat das alles mit Geographie zu tun? Geographie ist wie keine andere Wissenschaft dazu befähigt, die vielfach miteinander verknüpften Problemlagen einer Katastrophe wie des Tsunamis in Süd- und Südostasien in ihren vielfältigen Facetten und Handlungsdimensionen umfassend zu verstehen: als geotektonischen Vorgang, Naturkatastrophe, medizinisches Problem, als Problem der Verwundbarkeit von Bevölkerungsgruppen, von religiösen Gegensätzen oder politischen Konflikten, eingebettet in globale Wirtschaftsverflechtungen und so weiter. Tschagos-Inseln (G.-B.) Flutwelle/Zerstörung: 2 bis über 10m Höhe, sehr starke Zerstörung 1 bis über 2m Höhe, starke Zerstörung bis 1m Höhe, mäßige Zerstörung 8 700/30 000 Todesopfer oder Vermisste/Obdachlose (Schätzungen) Abb. 1 Von der Tsunami-Welle betroffene Küstenregionen in Süd- und Südostasien (verändert nach Geographische Rundschau, Bd. 57, H. 4). Leseprobe.qxd 14.07.2006 11:16 Uhr Seite 5 5 Einstieg Hauptsiedlungsgebiet der Tamilen Indien Golf von Mannar Sri Lanka Colombo Indischer Ozean YalaNationalpark 100 km Abb. 2 Tamilengebiete auf Sri Lanka (verändert nach Spiegel vom 10.1.2005). Geographie ist eine der wenigen Wissenschaften, welche naturwissenschaftliche Fragestellungen (z. B. Ursache von Naturkatastrophen) mit gesellschaftlichen Problemstellungen (unterschiedliche Folgen von Katastrophen in verschiedenen Staaten und Regionen) verknüpfen. Geographie ist eine der wenigen Wissenschaften, welche die unterschiedlichen Maßstabsebenen von global bis lokal miteinander verknüpft, das heißt, die globale Umweltsituation und die ökologische Zukunft unseres Planeten ebenso in den Blick nimmt wie die alltägliche Armut und deren Bestimmungsgründe in einem Dorf der „Dritten“ Welt. Geographie handelt von der Erklärung und vom Verständnis der Abhängigkeiten und Wechselbeziehungen zwischen Standorten und Räumen, sie befasst sich mit der räumlichen Organisation menschlichen Handelns und den Beziehungen zwischen Gesellschaft und Umwelt. Geographie lebt damit vom Perspektivenwechsel. Geographen versetzen sich in andere Rollen; sie dekonstruieren viele Vorurteile unseres alltäglichen „Weltbildes“, all die Vorstellungen des kulturell „Eigenen“ und des „Fremden“. Geographisches Wissen erlaubt damit eine kritische Reflexion vieler in den Medien vermittelter Vorstellungen und ermöglicht politisches Engagement. Die Geographie stellt anwendungsorientiertes Wissen zum Umgang mit natürlichen wie politischen Ereignissen bereit, seien es nun Naturkatastrophen oder die politischen Großereignisse unserer Gegenwart (internationaler Terrorismus). Geographie ist eine der wenigen Wissenschaften, welche aktuelle Ereignisse mit langfristigen Entwicklungen verknüpft, beispielsweise die aktuelle Flutkatastrophe mit lang andauernden tektonischen Prozessen und Veränderungen auf unserem Planeten (Stichwort Global Change). Geographie hat auch auf der „Zeitschiene“ einen „langen Atem“, Prozesse von geographischer Relevanz reichen von kurzfristigen Ereignissen – seien dies katastrophenartige natürliche Prozesse wie Vulkanausbrüche, Lawinen, Wirbelstürme oder kurzatmige kulturelle „Events“ einer Konsumund Freizeitgesellschaft – bis hin zu den langsamen Entwicklungen, beispielsweise ökonomischen Entwicklungszyklen der Menschheit, langen geschichtlichen Phasen der Entwicklung von Städten, globalen klimatischen Veränderungen oder aber der Prozesse der Formung der Erdoberfläche. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Raum. Dieser wird als genuiner Forschungsgegenstand unserer Disziplin für die Menschen und ihre Gesellschaft auf unterschiedlichen Ebenen relevant. Er ist sozusagen mehrdeutig. Raum ist einerseits und zunächst die materielle Anordnung unserer natürlichen und anthropogenen Umwelt. Auf dieser Ebene fragen Geographen danach, warum sich wo welche Dinge ereignen und interpretieren räumliche Muster, sie versuchen gleichartige oder verschiedenartige Räume voneinander abzugrenzen. Dabei kann es sich um primär naturwissenschaftlich definierte Räume handeln (naturräumliche Gliederung, Landschaften) oder aber um wirtschafts- und sozialräumliche Einheiten oder aber politische Räume. Die Geographie versucht dabei, die Welt oder Teile von ihr in Gedanken räumlich zu ordnen, um sie übersichtlicher und verstehbarer zu machen. Der Raum ist für die Geographie aber noch mehr als eine Art strukturelle Ordnungsmatrix. Räume sind in mannigfaltiger Weise aufgeladen mit symbolischer Bedeutung, das heißt, sie haben eine Funktion, die über die physisch-materielle Struktur hinausweist. Auschwitz ist eben nicht nur ein Dorf in Südwestpolen, New York nicht nur eine große Stadt an der Ostküste der USA. Architekten und Bauherren beispielsweise haben zu allen Zeiten nicht nur gebaut, sondern in ihren Bauten Bedeutung zu evozieren und Macht zu symbolisieren versucht, angefangen von den Prachtbauten im alten Rom bis zu den monströsen Stadtplanungen eines Albert Speer im Nationalsozialismus. Auch in mittelalterlichen Domen und Kirchen oder in den „Kathedralen der Moderne“, den hoch aufstrebenden World Trade Centers oder Banktürmen in New York und Frankfurt, ist Macht kodiert. Der Streit in Berlin um den Abriss des ehemaligen Palastes der Republik und den möglichen Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses zeigt, wie hier Raum symbolisch „instandbesetzt“ wird. Hier geht es nicht um Sandsteinsockel, Betonquader oder Flachdächer, sondern um die symbolische Bedeutung von Raum. Raum ist mit seiner vielfältigen symbolischen Bedeutung nicht nur ein Medium sozialer Kommunikation, er ist unverzichtbarer Baustein gesellschaftlicher Strukturierung und Identität. Im Folgenden werden die beiden zentralen Kategorien der Geographie, „Raum und Zeit“, und der Umgang mit ihnen etwas näher beleuchtet. Kap08-LP.qxd 13.07.2006 13:28 Uhr Seite 6 Inversion am Rande des Oberrheingrabens. Kalte Luftmassen fließen, dem Relief folgend, in die Täler ab. Während sich in den Tieflagen unter der Wolkenschicht in der „dicken Suppe“ nach und nach aufgrund von Emissionen Schadstoffe anreichern können, herrscht über der Inversionsgrenze strahlender Sonnenschein (Foto: S. Glaser). Kap08-LP.qxd 13.07.2006 13:29 Uhr Seite 7 Kapitel 8 Klimageographie Kaum ein geographischer Themenkreis ist so im öffentlichen und politischen Meinungsbild verankert wie Klima, Klimaänderung und anthropogener Treibhauseffekt. Neben der Frage nach dem zukünftigen Trend von Temperatur und Niederschlag interessiert vor allem die nach der Entwicklung von Extremen wie Stürmen, Überschwemmungen und Dürren, die in den letzten Jahren gehäuft aufgetreten sind. In Gremien wie dem IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) forschen Stäbe von Wissenschaftlern an Klimaszenarien und bemühen Modelle für unsere klimatische Zukunft. Wie fallen diese aus? Wie werden sich die Folgen des Klimawandels regional auswirken? Diese Fragen interessieren neben Klimatologen vor allem auch Ökonomen, Rückversicherungsgesellschaften und Politiker, die versuchen, Handlungs- und Anpassungsstrategien abzuleiten, um die möglichen Folgen bewältigen zu können. Andere Inhalte des Klimadiskurses umfassen die Wahrnehmung, den Umgang in den Medien oder aber auch die Fragen nach den technischen Pufferungsstrategien oder der Risikoabschätzung. Und schließlich sind Wetter, Witterung und Klima der Stoff, aus dem Drehbücher, literarische Vorlagen und Songtexte sind, wie in den Erfolgstreifen „The Day after Tomorrow“ oder „Twister“. Was ist dabei spezifisch geographisch? Während sich die Meteorologie als Physik der Atmosphäre versteht, beschäftigt sich die Klimageographie explizit mit den Wirkungen des Klimas auf die Erdoberfläche und den Menschen sowie den räumlichen Mustern. Nicht zuletzt wegen der übergreifenden natur- und geisteswissenschaftlichen Struktur ist die Geographie daher besonders geeignet, die heute so wichtige Facette des climatic impact inhaltlich zu füllen. Als ein Spezifikum der Geographie kann die regionale Perspektive angesehen werden. Dabei stellen in der großräumigen globalen Betrachtung Klimaklassifikationen einen gewissen Schwerpunkt dar. Wesentlich waren und sind auch die Konzepte zur allgemeinen planetarischen Zirkulation und die heute weit verbreiteten Arbeiten zur Zirkulationsdynamik sowie zum Klimawandel. Eine weitere Spezifikation ist die Paläoklimatologie, das heißt der Rekonstruktion des Klimas auf verschiedenen zeitlichen und räumlichen Ebenen. Breiten Raum nahmen auch die Arbeiten zur Stadtklimatologie ein. Schließlich sind die noch vergleichsweise selteneren Arbeiten zur Wahrnehmung von Klimaphänomenen zu erwähnen. Alles in allem kann festgehalten werden, dass die Klimageographie wohl in einigen Bereichen eine Schnittmenge mit der Meteorologie bildet, dabei aber schon immer eigene Akzente und weiterführende Facetten entwickeln konnte. Kap08-LP.qxd 8 13.07.2006 13:29 Uhr Seite 8 8 8.1 Definitionen, Probleme, Forschungsfelder und Aufgaben Rüdiger Glaser Dass Klima mit der Sonne bzw. mit den im Jahresverlauf wechselnden Einfallswinkeln der Sonnenstrahlen zu tun hat, war bereits prähistorischen Kulturen bekannt. Offensichtlich standen die Beobachtung der Sonnenbahn und die Kenntnisse um bestimmte Fixpunkte des Jahres bereits früh im Mittelpunkt des Interesses. Aus ihnen konnten wichtige Termine beispielsweise für das Ausbringen der Saat und andere Bearbeitungsphasen bestimmt werden, was für agrare Gesellschaften überlebensnotwendig war und oft als göttliches Wissen angesehen wurde. So finden sich in Stonehenge oder in den Gräbern von Newgrange in Großbritannien ebenso wie in Casa Grande (Abb. 8.1.1) im Südwesten der USA entsprechende bauliche Einrichtungen. In Thüringen wird derzeit ein 7 000 Jahre altes Sonnenobservatorium rekonstruiert, nicht weit von dem Sensationsfund der Himmelscheibe von Nebra, die sich ebenfalls in diese Reihe einstellen lässt. Die besondere Bedeutung klimatologischen Wissens für die seefahrenden Nationen und deren imperiale Großreiche versteht sich von selbst. Von Hippokrates (460 bis 375 v. Chr.) wurde der Begriff Klima aus dem Griechischen für „sich neigen“ abgeleitet. Aus dem frühen antiken Klimabegriff entwickelte man nach und nach griffigere Definitionen. Alexander von Humboldt (1767–1835) vermerkte unter Klima: „Alle Veränderungen in der Atmosphäre, von denen unsere Organe merklich affiziert werden […] Die Temperatur, die Feuchtigkeit, die Veränderungen des 8 Klimageographie barometrischen Druckes, der ruhige Luftzustand oder die Wirkungen ungleichnamiger Winde, die Ladung oder die Größe der elektrischen Spannung, die Reinheit der Atmosphäre oder ihre Vermengung mit mehr oder minder ungesunden Gasaushauchungen.“ In dieser stark auf den Menschen bezogenen Definition kommen schon mehrere Aspekte zum Tragen, die auch von Schouw (1789-1852) für die Unterscheidung von Meteorologie und Klimatologie angeführt wurden. Danach versteht man unter Meteorologie „die Lehre von den Beschaffenheiten der Atmosphäre im Allgemeinen“ und weist es als Teilgebiet der Geophysik aus. Unter Klimatologie wird hingegen eine „geographische Meteorologie“ verstanden, die „als Lehre von den Beschaffenheiten der Atmosphäre in den verschiedenen Erdteilen“ Teil der Physischen Geographie ist. Im Laufe der Zeit hat sich eine ganze Kaskade von Begrifflichkeiten herausgebildet. Zu den wesentlichen zählt dabei die viel zitierte Trilogie „Wetter, Witterung und Klima“. Unter Wetter wird dabei der augenblickliche Zustand der Atmosphäre als Zusammenwirken meteorologischer Messgrößen verstanden. Im Begriff Witterung spiegelt sich der allgemeine Charakter des Wetterablaufs über eine längere Beobachtungszeit von wenigen Tagen bis Monaten. Dies kommt in umgangssprachlichen Begriffen wie „milde Frühjahrswitterung“ oder „heiße Sommerwitterung“ zum Ausdruck. Dieser Begriff ist damit bereits geprägt durch einen mittleren vorherrschenden Grundcharakter über einen längeren Zeitraum. Dem gegenüber betont der Begriff Klima in der klassischen Klimatologie den mittleren Zustand und gewöhnlichen Verlauf der Witterung an einem Ort. Wladimir Köppen (1846–1940) hat bereits sinnigerweise vermerkt: „Die Witterung ändert sich, während das Klima bleibt.“ Es handelt sich also um einen Begriff, der als klassische Mittelwertsklimatologie auf einen lan- Abb. 8.1.1 Casa Grande südöstlich von Phönix in Arizona, USA. Das vier Stockwerke hohe „Große Haus“ bildet das Zentrum einer Anlage, die in die späte Hohokam-Periode (vermutlich 14. Jahrhundert) datiert wird. Wahrscheinlich diente dieses Haus als Observatorium, da seine Wände nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet sind und verschiedene Öffnungen in den Mauern mit markanten Mondund Sonnenstellungen wie dem Sommersolstitium übereinstimmen (Foto: R. Glaser). Kap08-LP.qxd 13.07.2006 13:29 Uhr Seite 9 9 8.1 Definitionen, Probleme, Forschungsfelder und Aufgaben gen Zeitraum von so genannten Standardperioden von 30 Jahren, zum Beispiel 1951 bis 1980, abhebt. Neben dieser Mittelwertsklimatologie wird auch von einer synoptischen Klimatologie gesprochen. Darunter versteht man die Abfolge typischer Witterungslagen während eines längeren Zeitraums. Als synoptische Grundeinheiten werden Luftmassen, Fronten, Druckgebilde und Großwetterlagen herangezogen. Im Zusammenhang mit der numerischen Behandlung wird auch von „klimatischen Gegebenheiten“ (climatic state) gesprochen. Klimatische Größen werden dabei in definierten Zeiteinheiten innerhalb eines langfristigen Bezugsrahmens mit Größen wie Streuung, Häufigkeitsverteilung, Extremwerten aber auch Sturmfluten und Hochwässern in Beziehung gebracht. Zu den heute zentralen Begriffen der Klimaschwankungen und Klimaänderungen lieferte bereits Conrad (1936) folgende Definition: „Unter Klima verstehen wir den mittleren Zustand der Atmosphäre über einem bestimmten Erdort, bezogen auf eine bestimmte Zeitepoche mit Rücksicht auf die mittleren und extremen Veränderungen, denen die zeitlich und örtlich definierten atmosphärischen Zustände unterworfen sind.“ Oft werden die Klimaschwankungen und Klimaänderungen mit Normal- und Standardperioden in Beziehung gesetzt. Überschreiten die beobachteten Werte definierte Grenzwerte dieser Bezugsperioden, beispielsweise mehrfache Standardabweichungen, dann wird von einer Klimaänderung gesprochen. Die Klimatologie lässt sich auch nach verschiedenen Arbeitsgebieten beschreiben. So unterscheidet man neben einer allgemeinen eine spezielle und eine regionale (Abb. 8.1.2). Während in der allgemeinen Klimatologie Klima als statische Größe behandelt wird mit der separativen (d. h. getrennten) Behandlung der Einzelelemente, finden sich in der speziellen Klimatologie viele angewandte Bereiche, etwa die Bio- oder Agrarklimatologie sowie eine synoptische und dynamische Sicht des Klimas. Die regionale Klimatologie thematisiert hingegen individuelle Erdräume und die regionale Differenzierung globaler Prozesse und Phänomene. Auch die räumlichen Dimensionen finden sich in verschiedenen Begrifflichkeiten wieder. Im Rahmen der Mikroklimatologie werden kleinräumige Wirkungen an der Erdoberfläche analysiert, wobei vor allem das Klima der bodennahen Luftschicht von besonderem Interesse ist (Geiger 1961). Demgegenüber behandelt die Mesoklimatologie Hang- und Talwindsysteme, Land-Seewind-Systeme sowie das Stadtklima. Letztlich Vorgänge und Erscheinungsformen, die stark von der Geländetopographie und der Beschaffenheit der Erdoberfläche geprägt sind. Die Makroklimatologie hat hingegen großräumige Bewegungsvorgänge in der Atmosphäre zum Gegenstand. Hier sind vor allem die allgemeine Zirkulation sowie globale und zonale Betrachtungsweisen angesiedelt (Abb. 8.1.3). Als Klimaelemente werden die physikalisch messbaren Erscheinungen der Atmosphäre wie Temperatur, Luftdruck oder Niederschlag bezeichnet, während Klimafaktoren das Klima beeinflussende Größen sind, wie die Erdbahnparameter, Solarstrahlung, aber auch die Höhenlage oder Luv- und Leelagenwirkungen. Klimatologie allgemeine Klimatologie spezielle Klimatologie regionale Klimatologie separative Klimatologie synoptische und dynamische Klimatologie Klimatologie individueller Erdräume Grundlagen der synoptischen und dynamischen Klimatologie natürliche Klimaschwankungen, anthropogene Klimamodifikationen regionale Differenzierung globaler Prozesse und Phänomene angewandte Klimatologie Klima als statische Größe; separative Behandlung der Einzelelemente etwa Bio- und Agrarklimatologie, Hydroklimatologie Abb. 8.1.2 Arbeitsgebiete der Klimatologie. Zusammenhang der Einzelelemente in typischer Kombination in dynamischen Systemen; synoptische Grundeinheiten (Luftmassen, Fronten, Druckgebilde, Großwetterlagen) 8 60° 160°W Friagem 80° Pampero 0° Belat Bat Hiddan 40° 80° M au riti us-O Afghanetz Außertropische Stürme/Winterstürme erhöhte Gefährdung durch außertropische Stürme, überwiegend im Winter Hauptzugbahnen außertropischer Stürme Starkniederschlag, Überschwemmung Trockenheit, Dürre Erwärmung der Meeresoberfläche 1–2°C Erwärmung der Meeresoberfläche >2°C El Niño-Folgen Shamal Haboob Cape Doctor Chamsin Abb. 8.10.4 Weltkarte atmosphärischer Gefahren (verändert nach Münchener Rückversicherung 1998). Tornadohäufigkeit 0,5–2 pro Jahr Tornadohäufigkeit > 2 pro Jahr Hagelschwerpunkt Hauptwindrichtung und Bezeichnung regionaler Stürme Monsunsturmhäufigkeit Gewittertage >100 pro Jahr 40° Ghibli Föhn Bora 120° r ka n e 160°E fu ne 20° Äquator kritischer Meeresspiegelanstieg Packeis Grenze der Eisbergvorstöße Klimawandel und andere Naturgefahren Bengalenzyklone ai 40° 10 Hauptzugbahnen tropischer Wirbelstürme ≥3,0 pro Jahr 1,0 bis 3,0 pro Jahr 120° Zonda Marajos Sturm, Tornado, Hagel (regional) sos Mistral 60° T Risiko tropischer Wirbelstürme (Windstärke ≥ 8 (Beaufort-Skala) 0,1 bis <1,0 pro Jahr 40° ona Chubasco Blizzards Purga 80° 13:29 Uhr Co r d Santa Ana Chubasco Chinook e 8 13.07.2006 H u r ri ka n Kap08-LP.qxd Seite 10 8 Klimageographie Kap08-LP.qxd 13.07.2006 13:29 Uhr Seite 11 11 8.10 Atmosphärische Gefahren Exkurs 8.10.1 „Katrina“ – der verheerendste Hurrikan in der Geschichte der USA Am 29. August 2005 traf der Hurrikan „Katrina“ auf die Küste der US-Staaten Louisiana und Mississippi. Die Wasseroberflächentemperaturen von zirka 30 °C im Golf von Mexiko lieferten die latente Energie für die darüber streichenden Luftmassen. Sintflutartige, tagelang anhaltende Niederschläge, extreme Luftdruckgegensätze sowie Windgeschwindigkeiten von bis zu 230 km/h waren die Folge. Im Zentrum eines solchen Tiefdrucksystems führt der durch die Rotation zusätzlich abgesenkte Luftdruck in der Höhe zum Absinken von Luftmassen und zur Wolkenauflösung („Auge des Zyklons“). An Küsten wird das Meereswasser durch die Orkanwinde zu mehrere Meter hohen Brechern aufgepeitscht. Bei „Katrina“ erreichte die Sturmflut bis zu 7m Höhe und ließ die Dämme des nördlich von New Orleans gelegenen Pontchartrain-Sees brechen. Die unter dem Meeresniveau im Mississippi-Delta gelegene, eingedeichte Stadt wurde großflächig überflutet. Trotz der angeordneten Evakuierung entlang von „Hurricane Escape Ways“ waren über 1 000 Opfer zu beklagen und übertraf das Ausmaß der Katastrophe alle Vorstellungen. Ganze Ortschaften, wie beispielsweise die Stadt Biloxi, wurden durch die Gewalt der Windböen oder durch Überflutungen zerstört. In der Jazzmetropole musste zur Unterbindung von Plünderungen gar das Kriegsrecht verhängt werden. Die Beschädigung zahlreicher Bohrplattformen im Golf von Mexiko ließ den Rohölpreis innerhalb von einer Woche um 30 Prozent auf bisher unbekannte Höhen steigen. Beim Auftreffen auf die Küste war „Katrina“ bereits zu einem Hurrikan der Kategorie 4 (Tab. 1) abgeflaut. Nur wenige Wochen später, am 24. September, erreichte „Rita“ als Hurrikan der Kategorie 3 westlich von New Orleans bei Port Arthur die texanische Golfküste. Erneut brachen in New Orleans die gerade geflickten Dämme; in Galveston kam es durch zerstörte Stromleitungen und Kurzschlüsse zu Großbränden. Etwa ein Viertel der US-amerikanischen Raffineriekapazität war durch vorsorgliche Schließung der Werke lahm gelegt. Voraus gegangen war die mit 3 Millionen Personen größte Evakuierungsaktion der amerikanischen Geschichte; denn „Rita“ war im Golf von Mexiko zum dritt- Kategorie Maximale Windgeschwindigkeit [m/s km/h] Druck im Zentrum des tropischen Zyklons [hPa] stärksten, seit 1851 beobachteten tropischen Zyklon angewachsen. Wenig später zerstörte Hurrikan „Wilma“ die mexikanische Touristenmetropole Cancún. Noch nie wurden in der Karibik so viele Hurrikane gezählt wie im Jahr 2005. Die Hurrikansaison dauerte bis in den Dezember hinein und die Anfangsbuchstaben des lateinischen Alphabets reichten für die Namensgebung nicht aus. Höhe der Sturmflutwelle [m] 1 33–42 120–153 2 43–49 154–178 979–965 3 50–58 179–210 964–945 2,7–3,8 4 59–69 211–248 944–920 3,9–5,6 5 > 69 > 248 ≥ 980 Abb. 1 Hurrikan „Katrina“ am 28. August 2005 um 17 Uhr UTC (Image courtesy of MODIS Rapid Response Project at NASA/GSFC). < 920 1,0–1,7 1,8–2,6 > 5,6 Tab. 1 Windstärken ab 20 m/sec werden als Sturm, ab 33 m/sec (ca. 120 km/h) als Orkan bezeichnet. Zur weiteren Kategorisierung der Intensität von tropischen Zyklonen dient die Saffir-Simpson-Hurrikanskala. 8 Kap24-LP.qxd 24 13.07.2006 13:32 Uhr Seite 12 12 24.1 Ein neues Paradigma entsteht: von der Entwicklungsländergeographie zur Geographischen Entwicklungsforschung Geographische Entwicklungsforschung bezeichnet ein neues Teilgebiet der Geographie, das darauf abzielt, gesellschaftliche Entwicklungsprozesse und Entwicklungsprobleme in ihren räumlichen Dimensionen und Strukturen zu erfassen und zu erklären. Damit stehen nicht nur, wie bei der herkömmlichen Entwicklungsländergeographie, Länder und Regionen an sich, nicht mehr geographische Forschungen in oder über Entwicklungsländer im Vordergrund des Forschungsinteresses, sondern die räumliche Artikulation und Relevanz von Entwicklung und Unterentwicklung (Scholz 2004). Als wissenschaftliches Programm wurde der Ansatz einer Geographischen Entwicklungsforschung 1979 von Jürgen Blenck in die Geographie eingeführt. Ironischerweise erschien sein grundlegender Aufsatz „Geographische Entwicklungsforschung“ in einem Themenheft mit dem Titel „Geographische Beiträge zur Entwicklungsländerforschung“. Dieses Themenheft enthielt eine erste Dokumentation des von Fred Scholz 1976 in Göttingen gegründeten „Geographischen Arbeitskreises Entwicklungstheorien“. Dieser Arbeitskreis markiert den eigentlichen Beginn der Geographischen Entwicklungsforschung (Leng & Taubmann 1988). In seinem programmatischen Aufsatz „Geographische Entwicklungsforschung“ ging Jürgen Blenck (1979) davon aus, Wissenschaft sei ein von der Gesellschaft für die Gesellschaft finanziertes Unternehmen. Daher habe sie die Aufgabe, problemorientiert zu arbeiten und sich mit gesellschaftlichen Problemlösungsansätzen zu befassen. Im Zentrum der Geographischen Entwicklungsforschung steht Blenck zufolge die These, es gäbe keine „geographischen“ Probleme an sich, der Raum habe also keine Probleme, sondern nur Menschen, menschliche Gruppen und Gesellschaften, die sich mit ihrer geographischen Umwelt auseinander zu setzen haben. Genau hier müsse die geographische Beschäftigung mit Entwicklungsländern ansetzen. Der wissenschaftliche Gegenstand sei dem zufolge nicht länger das Entwicklungsland selbst, sondern Entwicklung bzw. Unterentwicklung rücken in das Zentrum des Interesses. Entwicklung, nicht der geographische Raum, wird so zur erklärenden Variablen. Wenn dieser Ansatz ernst genommen wird, so beschäftigt sich Geographische Entwicklungsforschung in erster Linie mit den gesellschaftlichen Problemen der Entwicklungsländer. Geographie könne daher auch nicht wertneutral und unpolitisch vorgehen, 24 Geographische Entwicklungsforschung sondern es sei erforderlich, den entwicklungstheoretischen bzw. gesellschaftlichen Standort des Wissenschaftlers in seinem Verhältnis zu Entwicklungsfragen offen zu legen. In der Geographischen Entwicklungsforschung werde insofern der Schritt weg von der strikten Raumwissenschaft hin zur Gesellschaftswissenschaft vollzogen. Wollte man allerdings gesellschaftliche Probleme von Entwicklung bzw. Unterentwicklung erklären, so sei es unabdingbar, auch sozialwissenschaftliche Entwicklungstheorien in die Analyse einzubeziehen. Genau dies war das Anliegen des oben erwähnten „Geographischen Arbeitskreises Entwicklungstheorien“. Dieser Arbeitskreis verfolgt bis heute das Ziel, die Geographische Entwicklungsforschung „nach innen“ an die interdisziplinäre Theoriediskussion heranzuführen und „nach außen“ die Bedeutung des Räumlichen mithilfe empirisch fundierter Regionalstudien in den sozialwissenschaftlichen Entwicklungsdiskurs einzubringen (Scholz 1988). Erst allmählich fand dieses neue Paradigma bei der Beschäftigung mit Entwicklungsländern Eingang in den Mainstream der Geographie, nicht zuletzt auch als verspätete Reaktion auf die fundamentale fachinterne Kritik an der Länder- und Landschaftskunde Ende der 1960er-Jahre (Scholz 2004). Der grundlegende Aufsatz von Fred Scholz über „Position und Perspektiven Geographischer Entwicklungsforschung“ (1988) sowie die dreiteilige Dokumentation über Stand und Trends Geographischer Entwicklungsforschung im Rundbrief Geographie (Scholz & Koop 1998) gaben dem neuen Ansatz weiteren Auftrieb. Die Gründung der ersten wissenschaftlichen Reihe zur Geographischen Entwicklungsforschung durch Hans-Georg Bohle 1993 (Freiburger Studien zur Geographischen Entwicklungsforschung; ab 2001 Studien zur Geographischen Entwicklungsforschung, herausgegeben von H.-G. Bohle und T. Krings) war ein weiterer Schritt bei der Etablierung der neuen Teildisziplin. Zwischenzeitlich ist auch der wertbeladene (weil nachholende Entwicklung implizierende) Terminus „Entwicklungsländer“ in die Kritik geraten und allmählich durch den neutraleren Begriff „Länder des Südens“ (Scholz 2000) ersetzt worden. Erst das 2004 erschienene wegweisende Lehrbuch von Fred Scholz über „Geographische Entwicklungsforschung. Methoden und Theorien“ dürfte dem neuen Paradigma einer problemorientierten, theoriegeleiteten und auf den Menschen bezogenen Geographischen Entwicklungsforschung wirklich zum Durchbruch verholfen haben. Im Folgenden sollen drei Leitfragen angesprochen werden: • Wie erklärt Geographische Entwicklungsforschung Entwicklung bzw. Unterentwicklung? • Welche Dimensionen von Entwicklung verknüpfen die Geographische Entwicklungsforschung mit neuen Ansätzen der Sozialwissenschaften und speziell den humangeographischen Teildisziplinen? Kap24-LP.qxd 13.07.2006 13:32 Uhr Seite 13 24.4 Geographische Verwundbarkeitsforschung 13 Abb. 24.3.5 Wochenmärkte bilden das traditionelle Versorgungssystem in vielen Entwicklungsländern. An die Stelle der alten Märkte auf freiem Feld (links) treten in jüngerer Zeit verstärkt Märkte längs der Überlandstraßen, auf denen direkt vom LKW verkauft wird (rechts, Fotos: H. Gebhardt). Erst an der Schnittstelle zwischen Politik, Ökonomie, Kultur und Raum, so ein Fazit dieser Analyse, kann eine konfliktbezogene Geographische Entwicklungsforschung wirklich fruchtbar werden. Insofern haben zurzeit solche Ansätze Konjunktur, die verschiedene Dimensionen von Entwicklung bzw. Unterentwicklung miteinander verknüpfen und die transdisziplinär vorgehen. Eine weit gefasste geographische Verwundbarkeitsforschung ist hierfür ein gutes Beispiel. 24.4 Vieldimensionale Geographische Entwicklungsforschung: das Beispiel der geographischen Verwundbarkeitsforschung Ansätze von sozialer Verwundbarkeit Der Verwundbarkeitsansatz wurde in den 1980er-Jahren sowohl im Rahmen der sozialwissenschaftlichen Entwicklungsforschung (Chambers 1989) als auch innerhalb der entwicklungsorientierten Umweltwissenschaften (Timmermann 1981) eingeführt. In den Sozialwissenschaften ging es zunächst um eine Erweiterung des Armutsbegriffes und um seine „Disaggregierung“ (Swift 1989). Soziale Verwundbarkeit wurde hier als eine Funktion der Risikoexposition und der Schutzlosigkeit gesellschaftlicher Gruppen sowie ihres Mangels an Bewältigungs- und Anpassungsmöglichkeiten verstanden. Diese Funktion aus Exposition einerseits und Reaktion ande- rerseits bildet bis heute den Kern des sozialwissenschaftlichen Verwundbarkeitskonzeptes (Krüger 2003). Als Grundgerüst gesellschaftlicher Verwundbarkeit haben Watts und Bohle (1993) die „Koordinaten“ von Risikoexposition, Bewältigung und Folgeschäden herausgestellt und drei Ursachenkomplexe zur Erklärung von sozialer Verwundbarkeit vorgeschlagen. Soziale Verwundbarkeit beruht demzufolge auf gesellschaftlichen Strukturen und Beziehungen, welche die verwundbaren Gruppen und Gesellschaften in ein Netzwerk aus kritischer Ressourcenbasis, mangelnden Verfügungsrechten und prekären Abhängigkeitsverhältnissen und damit in eine riskante Position der Benachteiligung rücken (Krüger 2003). Diese Risikoexposition bildet dann als „externe“ Seite von Verwundbarkeit (Chambers 1989) ein Strukturgeflecht im Sinne von Giddens’ (1988) Strukturationstheorie. Innerhalb von risikobehafteten Rahmenbedingungen (structure) suchen verwundbare Gruppen und Gesellschaften aktiv nach Anpassungsmöglichkeiten und Bewältigungsoptionen (agency), um ihr Überleben zu sichern und drohende negative Folgewirkungen abzuwehren. Auf diese „interne“ Seite von Verwundbarkeit richten sich verstärkt die handlungsorientierten Ansätze der geographischen Verwundbarkeitsforschung (Bohle 2001a). Auch erste Versuche einer konsequenten Operationalisierung des Verwundbarkeitskonzeptes (van Dillen 2004) haben sich ganz auf die Aktivitätsmuster verwundbarer Gruppen konzentriert. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht ist gesellschaftliche Verwundbarkeit demzufolge immer ein relationales und dynamisches Konzept, das gesellschaftliche Beziehungen und Prozesse als Bestimmungsfaktoren von Verwundbarkeit sieht, zum Beispiel Machtverhältnisse, verfügungsrechtliche Beziehungen, Partizipationschancen oder sich verändernde Mensch-Umwelt-Beziehungen. Da Beziehungen von Macht und Ohnmacht, Partizipation und Marginalisierung, Verfügungsrechten und Ausgrenzung 24 Kap24-LP.qxd 24 13.07.2006 13:32 Uhr Seite 14 14 24 Geographische Entwicklungsforschung ökologische Verwundbarkeit soziale Verwundbarkeit nationale/globale Ebene regionale Ebene lokale Ebene Haushalt/ Individuum Gruppe/ Gemeinschaft Nationalstaat/ globale Gesellschaft Verwundbarkeit gegenüber Verwundbarkeit gegenüber Verwundbarkeit gegenüber Verwundbarkeit gegenüber Verwundbarkeit gegenüber Verwundbarkeit gegenüber großräumigen Umweltkrisen Naturkatastrophen lokalen Ressourcenkrisen livelihood-Krisen regionalen Sozialkrisen globalen Gesellschaftskrisen • El NiñoPhänomene • globaler Klimawandel • Verlust an Biodiversität • Desertifikation etc. • • • • • • • Landdegradation • Wasserkrisen • Waldvernichtung • Krisen von Gemeinschaftsressourcen etc. • • • • • • Gesundheitskrisen • Nahrungskrisen • Krisen sozialer Sicherungssysteme • demographische Krisen etc. • • • • Globale Umweltforschung + Erdbeben Flutkatastropen Stürme Tsunamis Dürrekrisen kritische Massenbewegungen etc. HazardForschung + Politische Ökologie + Hunger Armut Arbeitslosigkeit Verschuldung Krankheit etc. livelihoodAnsätze + Verfügungsrechtliche Ansätze globale Seuchen Wirtschaftskrisen Bürgerkriege Mega-Urbanisierung • Globalisierung/ Fragmentierung etc. + Theorie der Fragmentierung Verwundbarkeitskonzepte Ansätze der Geographischen Entwicklungsforschung Abb. 24.4.1 Ein Analyserahmen zur Verwundbarkeitsforschung. immer auch politischer Natur sind, können Verwundbarkeitsanalysen niemals ganz wertneutral sein. Darüber hinaus ist sozialwissenschaftliche Verwundbarkeitsforschung stets gesellschaftliche Mehrebenen-Analyse, beispielsweise im Kontext von individuellen livelihoodKrisen, regionalen Sozialkrisen und umfassenden Gesellschaftskrisen (Abb. 24.4.1). Auch die gesellschaftlichen Bedrohungen sind mehrskaliger Natur und vielschichtig. Sie reichen von individueller Risikoexposition gegenüber Krankheit, Armut oder Hunger über gruppenspezifische Schutzlosigkeiten in Form von Nahrungskrisen oder Verfall sozialer Sicherungssysteme bis hin zu umfassenden Gesellschaftskrisen wie Bürgerkriegen, Megaurbanisierung oder Fragmentierung (Abb. 24.4.1). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die sozialwissenschaftliche Verwundbarkeitsforschung grundsätzlich vieldimensional ist. Sie integriert ökonomische, politische, soziale und kulturelle Dimensionen von Entwicklung bzw. Unterentwicklung und versucht, Verwundbarkeit über Ansätze der livelihood-Forschung, über verfügungsrechtliche Ansätze oder mit Hilfe von Krisen- und Konflikttheorien bzw. Theorien einer fragmentierenden Entwicklung zu erklären. Diese Grundansätze einer sozialwissenschaftlich orientierten Geographischen Entwicklungsforschung werden in den Exkursen 24.4.1, 24.4.2 und 24.4.3 exemplarisch vorgestellt. Abb. 24.4.2 Plakatwände in Vietnam (links) und Laos (rechts) zeigen, dass hier trotz Wirtschaftsliberalisierung dem Aufbau des Sozialismus gefolgt wird (Fotos: H. Gebhardt). Kap24-LP.qxd 13.07.2006 13:33 Uhr Seite 15 15 24.4 Geographische Verwundbarkeitsforschung Exkurs 24.4.3 Die Theorie der fragmentierenden Entwicklung Lange Zeit wurde Globalisierung als ein Prozess angesehen, der alle gesellschaftlichen Bereiche gleichermaßen in einen globalen Markt einbindet und der zu einer weltweiten Homogenisierung sozialer und kultureller Werte und Präferenzen führt. Inzwischen haben Globalisierungsforscher jedoch empirisch belegt, dass Globalisierung einen zutiefst widersprüchlichen, heterogenen und polarisierenden Prozess darstellt (Beck 1997). Dies drückt sich in dem Niedergang von Nationalstaaten und der Entgrenzung von Staatenwelten ebenso aus wie in sich verschärfenden sozialen und regionalen Gegensätzen, in sich beschleunigenden Standortfluktuationen, in massenhafter Arbeitslosigkeit und Armut, in Ausgrenzung, Migration und Flucht. Ihren räumlichen Niederschlag finden diese Erscheinungen in dem Nebeneinander integrierender und bruchhaft trennender, also fragmentierender Prozesse. Der Sozialwissenschaftler Ulrich Menzel (1998) hat dieses Phänomen als Fragmentierung bezeichnet, in der Geographischen Entwicklungsforschung hat Fred Scholz (2002) daraus die Theorie der fragmentierenden Entwicklung konzipiert. Das Modell globaler Fragmentierung unterscheidet drei Grundelemente, die weltweit die gesellschaftlichen und räumlichen Strukturen kennzeichnen: die globalen Orte (acting global cities), die globalisierten Orte (affected global cities) und die ausgegrenzte Restwelt (new periphery). Bei den Global Cities handelt es sich um die Kommandozentralen der weltwirtschaftlich agierenden transnationalen Unternehmen, um die Schaltstellen globaler Finanzdienste, um die Hauptquartiere internationaler Organisationen und um die Standorte kultureller Einrichtungen mit Weltrang. Globalisierte Orte umfassen neben Hightech-Dienstleistungen auch freie Produktionszonen, Zentren der Rohstoffextraktion, Steuerparadiese und Zentren der globalen Tourismusindustrie. Als „Hinterhöfe“ (Scholz 2002) der Globalisierung verknüpfen sie die Global Cities mit der globalen Peripherie. Die neue Peripherie umfasst die ausgegrenzte Restwelt, die zwar von den gesellschaftlichen und kulturellen Einflüssen der Globalisierung in tief greifender Weise passiv betroffen ist, selbst aber weder hinsichtlich ihrer Arbeitskräfte noch ihrer Konsumenten aktiv an der globalisierten Welt teilhaben kann. In diesem Lebensraum der ausgeschlossenen Mehrheit der Weltbevölkerung entwickeln sich zunehmend brisante Mischungen aus konfliktträchtigen Ethnoregionalismen, Separatismen und Fundamentalismen. Fragmentierende Entwicklung dokumentiert sich hier durch die Gleichzeitigkeit und das funktionale wie räumliche Nebeneinander von exzessiver, oft krimineller Reichtumsanhäufung auf der einen und verzweifelten Strategien der elementarsten Überlebenssicherung auf der anderen Seite (Scholz 2002). Abb. 24.4.3 Ein zentrales Problem in vielen Entwicklungsländern ist die Verkehrsanbindung der ländlichen Regionen. Die Bilder zeigen eine abgelegene Siedlung im Hochgebirgsraum des Jemen und den Zufahrtsweg dorthin (Fotos: H. Gebhardt). 24 Kap24-LP.qxd 24 13.07.2006 13:33 Uhr Seite 16 16 24 Geographische Entwicklungsforschung Ausblick Im Schlusskapitel seines Lehrbuches zur Geographischen Entwicklungsforschung hat Fred Scholz (2004) die zukünftigen Herausforderungen für Geographische Entwicklungsforschung folgendermaßen formuliert: • entgrenzte Konkurrenzen • zunehmende Konflikte • bruchhafte soziale und räumliche Sonderungen • unstete Fluktuationen • transnationale Bewegungen • ersatzloser Verlust zum Beispiel von öffentlicher Sicherheit und regionaler Identität • Wettbewerbsgesteuerte Herausbildung von Netzwerkregionen • radikales Aufleben von Nationalismen und Regionalismen Vor diesem Hintergrund und auch im Zusammenhang mit den aufgeführten Beispielen erscheint es erforderlich, dass die Geographische Entwicklungsforschung zunehmend als eine krisen- und konfliktorientierte Querschnittsforschung konzipiert wird. Dazu gehören beispielsweise die folgenden konzeptionellen Orientierungen: • eine Verknüpfung der Ansätze von handlungsorientierten Sozialwissenschaften mit denen von problemorientierten Umweltwissenschaften • eine Mehrebenenanalyse mit Ausrichtung auf hierarchisch verknüpfte „glokale“ Akteursbeziehungen und auf vielskalige ökologische Systemzusammenhänge und Interaktionen • eine Fokussierung auf Krisenerscheinungen, Konflikte und Fragmentierungsprozesse, von der lokalen bis hin zur globalen Ebene • eine Ausrichtung auf gekoppelte Mensch-Umwelt-Systeme (Turner et al. 2003) mit einem Schwerpunkt auf nachhaltigem Krisen- und Konfliktmanagement • eine diskursive Verkoppelung der Kategorien von Raum bzw. Räumlichkeit mit konstruktivistischen Konzeptionen von Natur, Kultur und Gesellschaft In einer Geographischen Entwicklungsforschung, die sich zusätzlich zu den bisherigen Herausforderungen wie Armut, Hunger oder Nachhaltigkeit auch noch neuen Problemfeldern wie Krisen, Konflikten, Fragmentierungen oder Ausgrenzungen zuwendet, muss auch das Konzept von Raum bzw. Räumlichkeit neu gefasst werden. Für Geographische Entwicklungsforschung ist Raum nämlich nicht nur eine Arena von ökologischen und gesellschaftlichen Prozessen, Raum ist darüber hinaus in vielerlei Hinsicht auch das soziale und politische Werkzeug von Transformationen. Dabei ist Raum nicht in erster Linie „an sich“ bedeutsam, sondern als ein Produkt von Beziehungen und Interaktionen, als Quelle von Fragmentierungen und Pluralitäten, und gleichzeitig als ein Konstrukt, das heißt als ein sozial, kulturell und ökologisch belegter, instrumentalisierter, interpretierter und imaginierter Raum. Erst mit einer solchen Konzeption von Räumlichkeit im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse und Entwicklungsprobleme ist der Übergang von herkömmlicher Entwicklungsländergeographie hin zu einer zukunftsfähigen Geographischen Entwicklungsforschung vollzogen – zu einer Entwicklungsforschung, die sich den großen Zukunftsfragen der Gesellschaft im Zeitalter der Globalisierung zuwenden kann. Weiterführende Literatur Bohle HG (2001 b) Neue Ansätze der geographischen Risikoforschung. Eine Analyserahmen zur Bestimmung nachhaltiger Lebenssicherung von Armutsgruppen. In: Die Erde 132: 119140 Kreutzmann H (2003) Theorie und Praxis in der Entwicklungsforschung. Einführung zum Themenheft. In: Geographica Helvetica 58 (1): 2–10 Krüger F (2003) Handlungsorientierte Entwicklungsforschung: Trends, Perspektiven, Defizite. In: Petermanns Geographische Mitteilungen 147 (1): 6–15 Menzel U (1998) Globalisierung versus Fragmentierung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main Scholz F (2004) Geographische Entwicklungsforschung. Methoden und Theorien. Gebrüder Borntraeger Verlagsbuchhandlung, Berlin, Stuttgart Leseprobe.qxd 14.07.2006 11:16 Uhr Seite U3 Autorenverzeichnis Herausgeber Prof. Dr. Hans Gebhardt, Heidelberg Prof. Dr. Rüdiger Glaser, Freiburg Prof. Dr. Ulrich Radtke, Köln Prof. Dr. Paul Reuber, Münster Redaktion Dipl.-Geogr. Christiane Martin, Köln Autoren Prof. Dr. Roland Baumhauer, Würzburg Prof. Dr. Ruppert Bäumler, Erlangen Dr. Christoph Beck, Offenbach Prof. Dr. Jörg Bendix, Marburg Prof. Dr. Wolf Dieter Blümel, Stuttgart Prof. Dr. Hans-Georg Bohle, Bonn Dr. Jürgen Böhner, Göttingen Prof. Dr. Michael Bollig, Köln Prof. Dr. Jürgen Breuste, Salzburg Prof. Dr. Helmut Brückner, Marburg Prof. Dr Ernst Brunotte, Köln Dr. Olaf Bubenzer, Köln Prof. Dr. Richard Dikau, Bonn Dr. Andreas Dix, Bonn Prof. Dr. Bernhard Eitel, Heidelberg Prof. Dr. Wilfried Endlicher, Berlin Prof. Dr. Heinz Fassmann, Wien Prof. Dr. Dominik Faust, Dresden Dr. Michael Flitner, Freiburg Prof. Dr. Arne Friedmann, Augsburg Prof. Dr. Manfred Frühauf, Halle (Saale) Dr. Thomas Gaiser, Stuttgart Prof. Dr. Paul Gans, Mannheim Prof. Dr. Hans Gebhardt, Heidelberg Dr. Renate Gerlach, Bonn Prof. Dr. Gerhard Gerold, Göttingen Prof. Dr. Ernst Giese, Gießen PD Dr. Thomas Glade, Bonn Prof. Dr. Rüdiger Glaser, Freiburg Dipl.-Geogr. Stephanie Glaser, Freiburg Dr. Georg Glasze, Mainz PD Dr. Stephan Glatzel, Göttingen Prof. Dr. Rainer Glawion, Freiburg Dr. Johannes Glückler, Frankfurt Prof. Dr. Ulrike Grabksi-Kieron, Münster Prof. Dr. Wilfried Haeberli, Zürich Dr. Susanne Heeg, Hamburg Prof. Dr. Heinz Heineberg, Münster Prof. Dr. Günter Heinritz, München Prof. Dr. Michael Hemmer, Münster Prof. Dr. Juergen Herget, Bonn Prof. Dr. Armin Hüttermann, Ludwigsburg Prof. Dr. Hans Hopfinger, Eichstätt Prof. Dr. Jucundus Jacobeit, Augsburg Dipl.-Geogr. Henriette Joseph, Leipzig Prof. Dr. Norbert Jürgens, Hamburg Prof. Dr. Andreas Kagermeier, Trier Prof. Dr. Dieter Kelletat, Essen Prof. Dr. Arno Kleber, Dresden Prof. Dr. Frauke Kraas, Köln Prof. Dr. Hermann Kreutzmann, Berlin Prof. Dr. Thomas Krings, Freiburg Dipl.-Geogr. Marco Lechner, Freiburg Prof. Dr. Frank Lehmkuhl, Aachen Dr. Julia Lossau, Heidelberg Dr. Valerie Louis, Heidelberg Junior-Professorin Annika Mattissek, Berlin Prof. Dr. Tim Mansfeldt, Köln Prof. Dr. Roland Mäusbacher, Jena Prof. Dr. Wolfram Mauser, München Prof. Dr. Manfred Meurer, Karlsruhe Prof. Dr. Peter Meusburger, Heidelberg Dr. Steffen Möller, Berlin Prof. Dr. Thomas Mosimann, Hannover Prof. Dr. Detlev Müller-Mahn, Bayreuth Dr. Urs Neu, Bern Prof. Dr. Josef Nipper, Köln Prof. Dr. Christian Opp, Marburg Prof. Dr. Jürgen Oßenbrügge, Hamburg Prof. Dr. Eberhard Parlow, Basel Prof. Dr. Carmella Pfaffenbach, Bayreuth Prof. Dr. Jürgen Pohl, Bonn Prof. Dr. Robert Pütz, Frankfurt Prof. Dr. Ulrich Radtke, Köln Prof. Dr. Paul Reuber, Münster Dr. Heiko Riemer, Köln Prof. Dr. Konrad Rögner, München PD Dr. Wolfgang Römer, Aachen Prof. Dr. Jürgen Runge, Frankfurt Prof. Dr. Ulrike Sailer, Trier Dipl.-Geogr. Patrick Sakdapolrak, Bonn Prof. Dr. Rainer Sauerborn, Heidelberg PD Dr. Martin Sauerwein, Halle (Saale) Dr. Helmut Saurer, Freiburg Prof. Dr. Frank Schäbitz, Köln Prof. Dr. Gerhard Schellmann, Bamberg Prof. Dr. Winfried Schenk, Bonn Prof. Dr. Karl-Heinz Schmidt,– Prof. Dr. Thomas Schmitt, Bochum PD Dr. Elisabeth Schmitt, Giessen Prof. Dr. Karl Schneider, Köln Prof. Dr. Thomas Scholten, Tübingen Prof. Dr. Ulrich Scholz, Gießen Prof. Dr. Christian-D. Schönwiese, Frankfurt Dr. Frank Schröder, München Prof. Dr. Lothar Schrott, Wien Prof. Dr. Achim Schulte, Berlin Prof. Dr. Brigitta Schütt, Berlin Prof. Dr. Peter Sedlacek, Jena Jennifer Sehring M. A., Gießen Prof. Dr. Dietrich Soyez, Köln PD Dr. Barbara Sponholz, Würzburg Prof. Dr. Simone Strambach, Marburg Dr. Anke Strüver, Münster Prof. Dr. Heinz Veit, Bern Prof. Dr. Jörg-Friedhelm Venzke, Bremen Dr. Hans von Storch, Geesthacht Prof. Dr. Jörg Völkel, Regensburg Dr. Ute Wardenga, Leipzig Prof. Dr. Peter Weichhart, Wien Prof. Dr. Gerd Wenzens, Herrischried Prof. Dr. Benno Werlen,Jena Dr. Franziska Whelan, Bamberg Dr. Günther Wolkersdorfer, Münster Prof. Dr. Gerald Wood, Münster Prof. Dr. Jürgen Wunderlich, Frankfurt PD Dr. Klaus Zehner, Köln PD Dr. Wolfgang Zierhofer, Basel Prof. Dr. Bernd Zolitschka, Bremen Prof. Dr. Ludwig Zöller, Bayreuth Leseprobe.qxd 14.07.2006 11:27 Uhr Seite U4 Die gesamte Geographie in einem Buch Das Lehrbuch der Geographie behandelt auf etwa 1200 Seiten die gesamte Geographie, also Physische Geographie wie auch Humangeographie. Gerade in einer Phase, in der um das „Integrationsfach“ Geographie wieder heftig gerungen wird, dokumentiert das von H. Gebhardt, R. Glaser, U. Radtke und P. Reuber herausgegebene Lehrbuch, wie eine auf aktuellen methodischen Konzepten aufbauende Geographie konkret aussehen kann. Sowohl für Studierende und Dozenten/-innen des Faches als auch für jene in den Nachbarwissenschaften sowie für interessierte Wissenschaftler/-innen der Geo- und Gesellschaftswissenschaften und Lehrer/-innen wie auch Schüler/-innen wird die Bandbreite und Faszination der modernen Geographie überzeugend vorgestellt. Im Lehrbuch werden nicht nur sämtliche größeren Teilgebiete der Physischen Geographie und der Humangeographie und deren aktuelle Forschungsfelder herausgearbeitet, sondern es wird auch ein besonderes Augenmerk auf die Schnittbereiche der beiden Teilfächer gelegt, auf das Wechselverhältnis von Natur und Gesellschaft. Hier werden integrative Ansätze wie die Humanökologie und die Politische Ökologie vorgestellt und darauf aufbauend unter anderem Syndromkomplexe von Global Change und aktuelle Ressourcenkonflikte – um Wasser oder Erdöl – sowie verschiedene Aspekte von Naturgefahren und natural and man made hazards behandelt. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf Methoden, wobei die Autoren analytisch-szientistische Verfahren sowohl in der Physischen Geographie (Labormethoden) wie in der Humangeographie (Befragungen und quantitativ-statistische Analysen) beschreiben und diesen die hermeneutischen und poststrukturalistischen Verfahren (qualitative Interviews, Text- und Diskursanalysen) gegenüberstellen. Das didaktisch ausgerichtete, grafisch einheitliche, vierfarbige Werk enthält zirka 750 Abbildungen, davon etwa 500 Grafiken und Tabellen, sowie Boxen mit Exkursen, welche einzelne Aspekte besonders hervorheben. Die Herausgeber: Hans Gebhardt (Universität Heidelberg) wie auch Paul Reuber (Universität Münster) sind Dozenten für Humangeographie. Rüdiger Glaser (Universität Freiburg) und Ulrich Radtke (Universität Köln) zeichnen für die physiogeographischen Teile verantwortlich. Die Autoren: Etwa 130 Autoren aus dem deutschsprachigen Raum haben an dem Buch mitgearbeitet. Leseprobe aus Gebhardt/Glaser/Radtke/Reuber (Hrsg.) Geographie. Physische Geographie und Humangeographie Der voraussichtliche Erscheinungstermin des Lehrbuches ist November 2006 Euro (D) 89,50 / Euro (A) 92,10 / sFR 138,00 Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2007 © Elsevier GmbH, München Spektrum Akademischer Verlag ist ein Imprint der Elsevier GmbH. ISBN-13: 978-3-8274-1543-1 ISBN-10: 3-8274-1543-8 Aktuelle Informationen finden Sie im Internet unter www.elsevier.de Werbemittel-Nr. 949906316 Ergänzend dazu: Die Bild-CD-ROM Geographie ermöglicht Dozenten/-innen und Lehrern/-innen ebenso wie Studierenden und Schülern/ -innen, die circa 500 Grafiken in der Lehre einzusetzen — in PPT-Präsentationen, als Folien, Dias oder Ausdrucke. ISBN-13: 978-3-8274-1791-6/ISBN-10: 3-8274-1791-0 Voraussichtlicher Erscheinungstermin: Oktober 2006 Euro (D) 25,00 / Euro (A) 25,90 / sFR 38,00