Ausbildungs- standard wird hoch eingeschätzt

Transcription

Ausbildungs- standard wird hoch eingeschätzt
DISKUSSION
27
„Bildungsnot – für wen?“
Foto: Manfred Vollmer
Ausbildungsstandard
wird hoch
eingeschätzt
Hinrich Mohr setzt sich in seinem
Diskussionsbeitrag kritisch mit dem
Artikel von Margit Frackmann „Bildungsnot – für wen?“ auseinander.
Vorrang für Bildung. Für den Ausbilder sind die Kompetenzen entscheidend, die der junge
Mensch mitbringt.
Der Beitrag von Margit Frackmann stellt die
Berufsbildung in einer Weise dar, die durch
Praxisferne gekennzeichnet ist. Betriebe
wählen nicht nur nach dem Schulabschluss
aus, sondern verlassen sich mehr auf ein kurzes Praktikum. Im gewerblich-technischen
Bereich werden alle Schulformen berücksichtigt. Der Anteil der Realschüler nimmt zu; dies
aber auch wegen der größeren Durchlässigkeit unseres Schulsystems, verglichen mit
den 70er Jahren.
Die IT-Branche ist nicht repräsentativ für
den Ausbildungsmarkt. Wegen der Theorielastigkeit kommen dort mehr Realschüler
und Abiturienten zum Zuge. Wer aber einen
Industriemechaniker ausbildet, damit er als
solcher später arbeitet, wählt selten Abiturienten, sondern Haupt- und Realschüler
nach vorherigem Praktikum.
Die Wertschätzung unseres Berufsbildungssystems durch das Ausland sollte
man nicht so herunterspielen. Der Ausbildungsstandard bei beruflichen Qualifikationen wird hoch geschätzt. Ich hatte Gelegenheit acht Jahre in verschiedenen Ländern
Lateinamerikas als Berufsbildungsberater zu
arbeiten und kenne die Schwächen, die bei
der Verschulung von Berufsausbildung auftreten. Polytechnische Komponenten in den
allgemeinbildenden Schulen sind als vorbereitende Unterstützung einer Berufsbildung
sicherlich nützlich, sie können sie aber keinesfalls ersetzen.
Berufschulen können nicht so ausgestattet
werden, dass sie die professionelle Arbeitswelt hinreichend abbilden. Der Steuerzahler
kann nicht die Maschinen, Geräte und Anlagen in der Vielzahl und Bandbreite bereitstellen, wie sie dem Auszubildenden im Lehrbetrieb zugänglich sind. Ferner kann das soziale
Umfeld nicht geboten werden, in das sich der
junge Mensch hineinfinden muss („Integrationskompetenz“), d.h. wenige Auszubildende arbeiten mit vielen erwachsenen Facharbeitern. Auch das ist ein wichtiger Bestandteil
der Ausbildung. Die Aufgabenstellungen sind
real und haben einen anderen Ernstcharakter
als in einem Lernbüro, in einer Schülerfirma
oder einer Produktionsschule. Letztere vier
Organisationsformen sind gut, um Vollzeitmaßnahmen im Berufsbildungsbereich zu
besseren Ergebnissen zu führen und ange-
sichts der fehlenden Ausbildungsplätze begrüßenswert. Sie bleiben aber die zweitbeste
Lösung.
Der Rückgang der Ausbildungsplätze ist
beklagenswert und erfordert Maßnahmen für
diejenigen, die keinen Ausbildungsplatz erhalten. Wer aber daraus den Schluss zieht,
japanische Verhältnisse einzuführen, der hat
die Bedeutung des Dualen Berufsbildungssystems für unsere Gesellschaft nicht verstanden. Die japanische Wirtschaft ist traditionell durch Großbetriebe geprägt. Ähnliches konnte ich in Argentinien beobachten.
Diese haben das Kapital und die Möglichkeit für ihre Bedürfnisse auszubilden. Die
überbetriebliche Kompetenz, die der Fachkraft Flexibilität verleiht, ist kein Gegenstand
betriebswirtschaftlichen Denkens, ist volkswirtschaftlich aber relevant. Kleine und mittlere Betriebe können sich keine Ausbildungszentren leisten und sind meist auf
recht stümperhafte Anlernversuche angewiesen. Das führt zu einem Autodidaktentum mit mehr oder weniger Improvisationskompetenzen. Diese kleineren Betriebe/Unternehmen spielen auf dem Weltmarkt deswegen auch nur eine geringe Rolle. Viele
kleinere Unternehmen aus den Ländern mit
Dualer Berufsbildung können sich aber gut
am Weltmarkt behaupten.
Unser Berufsbildungssystem leistet dazu
einen wichtigen Beitrag. Leider geht die Bedeutung nicht aus den Grafiken hervor. Interessant wäre eine Darstellung, die festhält,
wie viel Prozent aller 25-Jährigen eine betriebliche Duale Ausbildung absolviert haben.
Man wird auf über 50 Prozent kommen. Es
waren mal mehr. Das schmälert aber nicht die
bleibende Bedeutung dieser beruflichen Qualifikation für unsere Gesellschaft.
Nun zu einem weiteren Irrtum der Autorin.
Sie unterstellt, dass die Ausbildung an besonders teuren industriellen Ausbildungsplätzen
besonders gut sei. Die teuersten Ausbildungsplätze richteten die Konzerne der Autound Elektroindustrie ein. Die Auszubildenden
arbeiteten fast ausschließlich in „vergoldeten“
Ausbildungswerkstätten mit teurem Gerät
und Werkzeugmaschinen vom Feinsten. Sie
produzieren aber nur „Edelschrott“, d.h. für
die Ausschusskiste oder Nippes für Omas
Glasvitrine. An der Produktion waren sie
kaum beteiligt. Dies wäre aber aus didaktischen und methodischen Gründen erwünscht. Derartige Ausbildung gibt sich in
der Konzernbilanz immer präsentabel teuer,
ist aber nur zweitklassig.
Kleine und mittlere Betriebe können sich
dies nicht leisten und integrieren die Ausbildung in den Arbeitsprozess des Unternehmens mit dem Bewusstsein des Auszubildenden und der Ausbilder, dass Fehler
und Irrtum möglich sind, die man einem
fertigen Facharbeiter nicht nachsehen würde, egal ob er in rein schulischer Form
oder in einem Betrieb ausgebildet wurde.
Der Auszubildende lernt am realen Objekt/Projekt in einem betrieblichen Umfeld,
in das er sich integrieren kann. Dabei
schafft er Werte, die die Ausbildungskosten
erheblich senken. Ergebnis: Die Ausbildung
ist besser und kostengünstiger als an den
angeblich hochwertigen teuren Ausbildungsplätzen. Voraussetzung ist dabei,
dass die Zuweisung der Arbeiten dem Ausbildungsplan entspricht.
Um bessere Zugangsvoraussetzungen für
die Schulabgänger und vor allem für Migrantenkinder zu schaffen, sollte man nicht die
funktionierende Berufsbildung durch zweitklassige vollschulische Maßnahmen ersetzen
– es wäre schlicht nicht finanzierbar und würde dann wohl drittklassig geraten –, sondern
die Mittel in ein verbindliches kostenloses
Vorschuljahr/Kindergartenjahr investieren, in
dem Sprach- und Verhaltensdefizite ausgeglichen und angepasst werden können. Weiter
sollten die Grundschulklassen kleiner und mit
Zusatzangeboten, z.B. Sprachförderung,
ausgestattet werden – aber bitte nicht zu Lasten anderer Angebote. Die zu frühe Differenzierung in Haupt-, Real- und Gymnasialzweig
sollte mindestens auf das 6. Schuljahr verschoben werden, um Sozialisationsprozesse
im Klassenverband fortzuschreiben und nicht
dann zu stören, wenn die Klassen gerade zu
einer Gemeinschaft zusammengewachsen
sind. Die Differenzierung nach Haupt- und
Realschülern ist für den Ausbilder von geringerer Bedeutung; er richtet sich letztlich nach
den Kompetenzen, die der junge Mensch mitbringt.
HINRICH MOHR
NIEDERSACHSEN
5/2006