Leseprobe

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3.
FILMANALYSEN
Die folgenden Filmanalysen fokussieren die Einbindung der ›Baukasten‹-Elemente in den
Erzählverlauf von Filmen, die den Beginn bzw. Höhepunkt von Zyklen markieren oder als Einzelstück herausragen. Dabei zählt – auch wenn Rick Altman die Bedeutung prospektiver GenreÜberlegungen im ›Produzenten-Spiel‹ insgesamt relativiert1 – natürlich auch das (Sub-)Genre zu
jenen Komponenten, die bei der Zyklen-Bildung hinterfragt werden.
Für die genauere Betrachtung der Romance hat sich die Differenzierung in die folgenden SubGenres als sinnvoll erwiesen: Romantic Comedy, Romantic Drama, Romantic Costume Film,
Romantic Ghost Film und Romantic Fairy Tale.
ROMANCE
Romantic
Ghost Film
Romantic
Costume Film
Romantic
Fairy Tale
Romantic
Ghost Film
Romantic
Fairy Tale
R
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D
Y
D
R
A
M
A
Romantic
Ghost Film
Romantic
Costume Film
Romantic
Fairy Tale
Romantic
Ghost Film
Romantic
Fairy Tale
Die beiden dominanten Kategorien, unter die sich alle Filme subsumieren lassen, sind die
Romantic Comedy und das Romantic Drama. Die Zuordnung zu einem dieser beiden Sub-Genres
lässt sich weitgehend auf Basis der Standardsituationen vornehmen, für die weitere Differenzierung in Romantic Costume Film, Romantic Ghost Film und Romantic Fairy Tale sind die Parameter Handlungszeit, Setting und Figuren bestimmend.
In der Romantic Comedy dominieren die Standardsituationen, die zur Anfangsphase von Beziehungen zählen: Es geht um die Begegnung, das Kennenlernen und den heiter-verspielten Schwebezustandstand des Sich-Verliebens und Verliebt-Seins. Am Ende, nachdem kleinere Hindernisse
und Meinungsverschiedenheiten aus dem Weg geräumt und minderschwere Missverständnisse
geklärt sind, steht in der Regel das in die Zukunft gerichtete Glücksversprechen des Happily Ever
After. Als Standardsituationen der körperlichen Intimität sind sowohl Berührungen als auch Küsse
in jedem Film vorhanden.2 Die Darstellung von Sexualität beschränkt sich jedoch weitgehend auf
das Davor und Danach oder verschiebt den Moment des ersten Beischlafs, der eine Art Markstein
in der Beziehungs-Definition darstellt, ins Happily Ever After. Dessen Beginn wird weitaus häufiger mit einer (meist männlichen) Liebeserklärung als mit einem Heiratsantrag oder gar einer
1
2
Vgl. Altman 1999.
Kusslose Ausnahme: SLEEPLESS IN SEATTLE.
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3. Filmanalysen
Hochzeit eingeleitet. Gelegentlich dokumentieren Epiloge mit einer Momentaufnahme den
Fortbestand des Glücks über den Final Kiss hinaus.
Im Romantic Drama liegt der Fokus auf dem Ende der Schwerelosigkeit. Die Standardsituationen nach dem Kennenlernen gewinnen an Gewicht. Es geht um das Lieben, das sich im
Unterschied zum Verliebt-Sein als ernst- und manchmal schmerzhafte Angelegenheit darstellt.
Längst nicht alle Beziehungs-Hindernisse und Widerstände können aus der Welt geschafft werden. Trennung, Verzicht oder Verlust durch Tod sind mögliche Schluss-Optionen. Erinnerungen
an vergangenes Glück oder verpasste Glücks-Chancen gewinnen an Bedeutung. Desgleichen die
Darstellung von Sexualität, zu deren Standardsitutionen häufiger als in der Romantic Comedy
auch der Akt zählt – nicht zuletzt, weil mit dem (›echten‹) Orgasmus ein Indiz für ›erfüllte‹ Liebe
geliefert wird. In den Verbotene-Liebe-Plots markiert der vollzogene Beischlaf die Verbotsüberschreitung bzw. den Betrug. Eine früh platzierte, detailliert ausgestaltete Beischlaf-Szene ist meist
Kennzeichen eines Obsessions-Plots. In diesem Kontext sind Leidenschaft und auch der Orgasmus weniger Ausdruck von ›Liebe‹ als von triebgesteuerter Begierde (hinter der sich allerdings
meist tiefere emotionale Bedürfnisse verbergen).
Von den Erzählformeln gehören jene, in denen eine verbotene oder obsessive Liebe oder ein
Opfer-Plot im Zentrum steht, meist zum Romantic Drama, während Cinderella-Plot, ›der
Widerspenstigen Zähmung‹, Wiedervereinigung und Rollenspiel überwiegend in der Romantic
Comedy zu finden sind. Oftmals ist jedoch nicht die Erzählformel, sondern die Gewichtung der
Standardsituationen innerhalb dieses Rahmens entscheidend für die Zugehörigkeit zu einem der
beiden Sub-Genres.
Der Romantic Costume Film ist durch den Parameter Handlungszeit definiert. Dieses SubGenre rekurriert häufig auf Erzählformeln – Verbote, Pamela- und Opfer-Plot –, die im romantischen Genre Tradition haben, im Gegenwartskontext aufgrund der veränderten ›Verhältnisse‹
jedoch anachronistisch wirken würden. So beschreibt Jane Campion die Vorteile des historischen
Settings für ihren Film THE PIANO:
The great advantage in setting the story in 1850 lies in the possibility of developing
characters who approach love, sex and eroticism naively, whose first experiences one
can observe – there are no more such occasions for today. (Campion, in: Wexman (Hg.)
1999: 99)
Ausstattung und Kostüme funktionieren mit Beginn des Films als Vergangenheits-Signal und
das ›Es war einmal...‹ ermöglicht emotionale Identifikation mit dem erzählten Liebesschicksal
bei gleichzeitiger Distanzierung von dessen unzeitgemäßen Inhalten. Das Jahr 1960, das ich als
Datumsgrenze1 gewählt habe, ist insofern eine willkürliche Setzung, als die Historizität zwar in
den meisten, aber nicht in allen Filme Auswirkungen auf die ›Moral‹ der Liebesgeschichte hat.
So habe ich im Fall von THE ENGLISH PATIENT, THE QUIET AMERICAN und SHADOWLANDS die zeitliche Verankerung als weniger einflussreich bewertet und diese Filme im Kontext des Romantic
Drama betrachtet.
Kennzeichnend für den Romantic Ghost Film ist die Zugehörigkeit der Liebenden zu verschiedenen Realitäts- oder Zeitebenen (›Jenseits‹/Zwischenwelt; Vergangenheit). Die Happily-EverAfter-Perspektive ist hier von der Entscheidung für eine der beiden Dimensionen abhängig.
Während einige märchenhafte Erzählformeln – insbesondere Cinderella- und Errettungs-Plot –
in Romantic Comedy und Romantic Drama ›entzaubert‹ und in die Realität eingebunden werden,
bleibt im Romantic Fairy Tale die Zauberwelt (zumindest partiell) erhalten. Charakteristisch für
1
Vgl. Kapitel 2.1.
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dieses Sub-Genre ist das un-realistische Setting oder/und die Einbindung von Zauberwesen. Die
irrealen Parameter von Romantic Ghost Film und Romantic Fairy Tale lassen sich in den Rahmen
der anderen Sub-Genres einpassen, ohne diesen zu sprengen – sie fügen nur ihren jeweils eigenen
Aspekt hinzu. So sind etwa die Romantic Ghost Films GHOST, CITY OF ANGELS und MEET JOE
BLACK, in denen die andere Dimension, das ›Jenseits‹, eng mit dem Tod verknüpft ist, zugleich
dem Romantic Drama zuzurechnen. THE PREACHER’S WIFE und KATE & LEOPOLD gehören hingegen zur Romantic Comedy.
3.1
Romantic Comedy
3.1.1
Mut zur Liebe: Working Girls & Großstadtsingles
BROADCAST NEWS (1987)
BROADCAST NEWS ist – neben MOONSTRUCK und WORKING GIRL – einer der Filme, die den Übergang zur New Romance markieren. Die Grundkonstellation ist ein Beziehungs-Dreieck: Aaron
(Albert Brooks) liebt Jane (Holly Hunter), diese verliebt sich in Tom (William Hurt), der sich
seiner Gefühle für sie nicht sicher ist. Noch gibt es kein Happy End und das Beziehungsleben
der Figuren bewegt sich im Spannungsfeld aus Abwehr und Wunsch, das für den vorangegangenen Zyklus der ›Nervous Romances‹ charakteristisch ist1 – aber Autor/Regisseur/Produzent
James L. Brooks2
suggests how his highly successful comedy BROADCAST NEWS is marked by the desire to
return, nostalgically, to pre-1950s conceptions of romance: ›[...] when the whole thing
was finished it was amazing to see we were still in the tradition of romantic comedy.
[...].‹ (Neale/Krutnik 1990: 172 f.)
Für den Unterschied zwischen ›Nervous‹ und New Romance ist – wie im Falle von Screwball und
Romantic Comedy – die Gewichtung der Komödien-Elemente und das Geschlechter-Verhältnis
von Bedeutung. Dominiert in den ›nervösen‹ Woody-Allen-Filmen die Komik von dessen tragik-komischer Kunstfigur, rückt in BROADCAST NEWS die von Holly Hunter gespielte Jane ins
Handlungszentrum. Während sich Annie Hall oder die Frauenfiguren in MANHATTAN vor allem
über ihre Beziehung zum jeweiligen Lebensabschnittsgefährten definieren und eine teilweise
lächerliche pseudo-intellektuelle Attitüde an den Tag legen, ist Jane eine eigenständige Persönlichkeit, die in Bezug auf ihre Gefühle und Sehnsüchte seriös und authentisch wirkt – obwohl
auch sie auf der Suche ist und ihre Neurosen pflegt. So wird sie regelmäßig von Heulattacken
heimgesucht. Diese scheinen aus heiterem Himmel zu kommen und dauern nur wenige Minuten, in deren Verlauf sie das Telefon erst aus- und dann wieder einstöpselt, was der ganzen Angelegenheit einen rituellen und skurrilen Charakter verleiht. In mancher Hinsicht erscheint Jane
als Vorwegnahme einer Figur wie Ally McBeal.
BROADCAST NEWS beginnt mit einem Kindheits-Prolog, in dem die drei Hauptfiguren mit
ihrem jeweils dominanten Charaktermerkmal vorgestellt werden. Bei Aaron und Jane sind Intellektualität und Wissensdurst gepaart mit Arroganz und Sturheit (Aaron) bzw. Besserwisserei und
Kontrollwahn (Jane). Tom hingegen leidet sowohl unter den Kommentaren über sein gefälliges
1
2
Vgl. Neale/Krutnik 1990: 171 f.
Brooks wurde in allen drei Funktionen für den Oscar® nominiert; Nominierungen erhielten auch die drei Hauptdarsteller sowie Kameramann Michael Ballhaus und Cutter Richard Marks.
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3. Filmanalysen
Äußeres als auch unter seinen schwachen schulischen Leistungen – ist aber schon als Kind klug
genug, seine intellektuellen Defizite mit fremder Hilfe zu kompensieren.
Im Unterschied zur wenig später entstandenen Romantic Comedy WHEN HARRY MET SALLY...,
in der am Ende der Beweis erbracht wird, dass Männer und Frauen Freunde und Liebende sein
können, präsentiert BROADCAST NEWS mit Jane und Aaron zunächst ein Paar, dessen Beziehung
kaum freundschaftlicher sein könnte, das aber dennoch nicht zueinander findet. Beide arbeiten
in Washington für einen Fernsehsender: Jane als Nachrichten-Producerin, Aaron als Reporter.
Sie teilen die Leidenschaft für ihren Beruf und das journalistische Berufsethos. Auf dieser beruflichen Ebene, die den wichtigsten Platz in ihrem Leben einnimmt, können sie sich blind vertrauen.
Das professionelle Vertrauensverhältnis geht einher mit einer starken emotionalen Bindung, die
jedoch platonisch bleibt. Aaron bedenkt Jane zwar mit sehnsuchtsvollen Blicken, scheut aber
davor zurück, sich ihr körperlich zu nähern, fürchtet er doch (nicht unbegründet) eine Zurückweisung und die Gefährdung der Freundschaft. »I would give anything if you were two people, so
I could call up the one who’s my friend and tell her about the one that I like so much«, benennt
Aaron seinen Zwiespalt. In dieser Formulierung spiegelt sich vor allem seine Ich-Bezogenheit
wider, denn Aaron ist die Figur, die am meisten fordert und am wenigsten zu geben bereit ist.
Während Jane sich immer wieder für den Freund einsetzt, interessiert sich dieser nur für ihre
Gefühle oder Belange, wenn diese ihn selbst betreffen. Interessant erscheint mir in diesem
Zusammenhang ein Hinweis, den ich in der Internet Movie Data Base (IMDb) gefunden habe:
Aaron-Darsteller Albert Brooks »has been described as a West Coast Woody Allen«. Die Hauptrolle in WHEN HARRY MET SALLY... habe er abgelehnt, weil ihn das Drehbuch zu sehr an einen
Woody-Allen-Film erinnert habe.1 Auch Aaron Altman ist eine solch ›woodyeske‹ Figur. Zunächst erscheint er als tragischer Held: ein Mann, der unglücklich ist, weil ihm sowohl die berufliche Anerkennung als auch die Erwiderung seiner Liebe versagt bleibt. Beim wiederholten Sehen
des Films habe ich Aarons Rolle zunehmend als negativ empfunden. Bereits im Prolog wird die
Figur als Intellektueller charakterisiert. Während diese Eigenschaft mit den Jahren durch professionelle Erfahrungen angereichert wird, hat sich Aarons Persönlichkeit jedoch kaum weiterentwickelt. Als erwachsener Mann versinkt er in Selbstmitleid und kompensiert seine Minderwertigkeitsgefühle mit Grobheit und Zynismus. Seine vermeintliche Kompromisslosigkeit beruht
jedoch auch auf fehlenden Alternativen: Der Unscheinbare hat allen Grund, gegen die Welt des
schönen Scheins zu agitieren. Das, was zunächst als schonungslose und zutreffende Analyse des
von seinem Konkurrenten Tom verkörperten journalistischen Werteverfalls erscheint, ist in erster
Linie eine Eifersuchtsreaktion und auch die abschließende Enthüllung einer journalistischen
Todsünde erfolgt nicht im Interesse der professionellen Ethik. Wie den Woody-Allen-Figuren
geht es auch diesem jüdischen Mann ausschließlich um die eigene Befindlichkeit. Emotional ist
er noch immer ein Kind, das nach der Zuwendung einer Mutter schreit. Wer will es Jane verdenken, dass sie ›Aaron’s Complaint‹2 als erotisch wenig anziehend empfindet?
Während sie den Freund und hochgeschätzten Kollegen als sexuelles Neutrum betrachtet,
fühlt sie sich ausgerechnet zu Tom Grunick hingezogen. Toms Karriere beim Nachrichtensender
basiert in erster Linie auf seiner gefälligen Außenwirkung. Er ist ein großer, schlanker Mann,
blond und gutaussehend. Während sich die anderen für Inhalte und Organisation einer Nachrichten-Sondersendung interessieren, ist Tom mit der Auswahl von Hemd und Krawatte für
1
2
Vgl. http://german.imdb.com/name/nm0000983/bio (16.4.07).
Philip Roths 1969 erschienener Roman Portnoy’s Complaint beschreibt das sexuelle ›Erwachen‹ des jüdischen
Mannes.
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3.1 Romantic Comedy
deren Präsentation beschäftigt. In seiner Schreibtischschublade mit den Oberhemden liegt obenauf eine Haarbürste. Allerdings wird auch er nicht denunziert. Er kennt seine Grenzen und ist
klug genug, die eigenen professionellen Defizite mithilfe qualifizierter Kollegen auszugleichen.
Sein gewinnendes Charisma beruht auch auf einer gewissen Zurückhaltung. Während Aaron
Unsicherheit und mangelndes Selbstvertrauen mit verletzendem Zynismus überspielt, gewinnt
Tom die Sympathie der Kollegen, indem er sie um ihre Meinung und Rat fragt. So, wie er als
Kind die Hilfe seines Vaters angenommen hat, sucht er sich nun auch im Sender kompetente
Partner. Toms Beziehung zu Jane wird in diesem Punkt ambivalent geführt. Einerseits scheint
hinter seinen Annäherungsversuchen auch Berechnung zu stecken, andererseits fühlt er sich
durchaus glaubhaft von Janes Energie angezogen, die seine eigene Kraftlosigkeit auf ideale Weise
ergänzen könnte. Nach einer Sondersendung, in der sich Tom dank Janes großartigem Management als Anchorman bewährt, fällt er enthusiastisch vor ihr auf die Knie: Der gemeinsame
Rhythmus sei wie »great sex« gewesen. Janes Gedanken an Sex mit Tom sind allerdings weniger
spiritueller Natur. Bevor sie gemeinsam mit ihm ein Korrespondenten-Dinner besucht, steckt sie
eine Packung Kondome in ihr Abendtäschchen. Ausgerechnet dieser vorausschauende Akt ruiniert jedoch den Abend. Um der peinlichen Entdeckung der Präservative bei der Einlasskontrolle
zu entgehen, überredet Jane ihren Begleiter zum vorzeitigen Verlassen des Dinners. Draußen
scheint sich mit einem Kuss alles in die von ihr erhoffte Richtung zu entwickeln. Doch dann
steht sie sich (einmal mehr) selbst im Weg. Als Tom bekennt: »I’ve been wondering what it
would be like to be inside all that energy«, führt ihre nüchterne, mit dem Zurückziehen von
Kopf und Oberkörper verbundene Antwort: »Me, too« zur Unterbrechung der romantischen
Stimmung und einem wenig stimmungsvollen Dialog, in dem Jane in der ihr eigenen Art drei
mögliche Interpretationen von Toms Aussage vorträgt. Als sie bei der Option ›Intimität‹ angelangt ist, verhindert sie deren Zustandekommen, indem sie Tom abrupt erklärt, sie müsse Aaron
aufsuchen. Dieser hatte einen durch das Korrespondenten-Dinner entstandenen Personalengpass
genutzt, um sein Glück als Nachrichtenmoderator zu versuchen. Der Bildschirmauftritt endet
jedoch in einem persönlichen Fiasko. Der Mann, der so brillante Texte formulieren kann,
ertrinkt vor der Kamera in seinem eigenen Schweiß. Vor dem Auftritt hatte Aaron mit der ihm
eigenen Rücksichtslosigkeit bereits Janes Pläne für das Dinner ins Wanken gebracht. Unangemeldet drängt er in ihre Wohnung, um sich bei der Auswahl seiner Kleidung beraten zu lassen.
Weil sie in seiner großen Stunde nicht an seiner Seite ist, macht er ihr ein schlechtes Gewissen
und gibt ihr unmissverständlich zu verstehen, dass er am späten Abend fest mit ihrem Besuch
rechnet. Als Jane tatsächlich vor seiner Tür steht, überspielt er seinen Misserfolg zunächst mit
Sarkasmus und erwartet dann ganz selbstverständlich, dass die Freundin nun für ihn da ist und
auf den Abend mit Tom verzichtet. Nach Janes zögernd, beinahe in Frageform formuliertem
Bekenntnis: »I may be in love with him«, attackiert er sie mit einem Eifersuchts-Ausbruch.
Zunächst verweist er sie barsch des Hauses, befiehlt ihr dann jedoch zu bleiben. Danach gibt er
sich als neutraler, wohlwollender Freund. Und hat doch nichts anderes im Sinn als seine eigenen
Interessen:
You can’t end up with Tom, because it totally goes against everything that you’re
about. [...] So don’t get me wrong when I tell you that Tom, while being a very nice
guy, is the devil. [...] He personifies everything that you’ve been fighting against. And
I’m in love with you.
Trotz dieser Eröffnung scheint Jane im anschließenden Telefonat mit Tom eine Fortsetzung des
unterbrochenen Dates in Erwägung zu ziehen. Nachdem sie dem Wartenden die Situation
erklärt hat, schmiegt sie sich an den Türrahmen und verfällt in einen schmeichelnden Ton.
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3. Filmanalysen
Doch diesmal lässt Tom sie abblitzen: »Jane, I’m not some chore that you have to finish so you
can stay on schedule.« Mit zufriedenem Gesicht registriert Aaron den Ausgang des Gesprächs.
Aber auch seine Hoffnungen bleiben unerfüllt. Jane wird die Nacht zu Hause verbringen.
Aaron trifft nach seinem unerwiderten Outing eine einsame Entscheidung, mit der er sich
selbst zum unbeugsamen Helden stilisiert. Während im Rahmen einer Kündigungsmaßnahme
viele Mitarbeiter unfreiwillig ihren Job verlieren, hat er auf seine Weiterbeschäftigung verzichtet
und selbst gekündigt. Jane, die sich das Schicksal ihrer Kollegen sehr zu Herzen nimmt, weiß
nichts von diesem Schritt. Man hat ihr (als erster Frau in der Sendergeschichte) den Posten der
Redaktionsleiterin angeboten. Von ihrem gefeuerten Vorgänger lässt sie sich schließlich zum
Bleiben überreden. Mit Toms Versetzung von Washington nach London zeichnet sich auch für
diesen ein Karrieresprung ab, den er jedoch kaum zu realisieren scheint.
Als Jane dem Vorschlag Toms zustimmt, vor dem Antritt der neuen beruflichen Engagements
gemeinsam eine Woche fernab vom Sender zu verbringen, scheint sich ein Happy End anzubahnen. Doch Janes letztes Treffen mit Aaron macht diese Perspektive zunichte. Als sie über ihre
Zukunftspläne sprechen, kränkt er die Freundin, indem er ihr ein Schicksal als fette, einsame
Frau prophezeit. Im Weggehen holt der Verlierer zum entscheidenden Schlag gegen den siegreichen Konkurrenten aus: Er macht Jane auf dessen Verstoß gegen journalistische Grundsätze aufmerksam. Als Jane dem Hinweis nachgeht und feststellt, dass Tom ein von ihm geführtes Interview über Vergewaltigung tatsächlich mit einer nachträglich gestellten emotionalen Reaktion
›aufgepeppt‹ hat, gibt sie ihm unmittelbar vor Reiseantritt den Laufpass. Er besteigt den
Flieger – sie bleibt allein zurück.
Ein Epilog führt die Figuren sieben Jahre später noch einmal zusammen. Es ist das gleiche
Treffen lokaler Fernsehanbieter, bei dem sich Jane und Tom am Anfang des Films begegnet sind.
Diesmal tritt Tom als Redner auf. Als Moderator der Abendnachrichten ist er nun das Aushängeschild des Senders. Ausdrücklich weist er in seiner Rede darauf hin, dass er die sonst übliche
Personalunion von Anchorman und verantwortlichem Redakteur abgelehnt hat. Es gebe Bessere
als ihn für die Qualitätskontrolle. Unter den Zuhörern befindet sich auch Aaron mit seinem
etwa sechsjährigen Sohn. Er arbeitet noch immer für einen Lokalsender in Portland. Gemeinsam
gehen die Männer nach draußen, um Jane zu treffen. Entgegen Aarons gehässiger Prognose sieht
sie blendend aus. Der Beruf wird sie wieder näher mit Tom zusammenbringen: Sie nimmt das
Angebot an, als sein Managing Editor nach New York zu gehen. Da beide zwar anderweitig liiert,
aber noch immer nicht verheiratet sind, rückt hier sogar ein Happy End wieder in den Bereich
des Möglichen.
Auch in BROADCAST NEWS ist das private Scheitern letztlich auf die Neudefinition der Geschlechterrollen zurückzuführen. Jane lebt für ihren Beruf. Im Engagement für die Sache wirkt sie
ebenso authentisch wie in der emotionalen Betroffenheit über das Schicksal ihrer entlassenen
Kollegen. Ihr Dilemma besteht jedoch nicht aus der Unvereinbarkeit von Karriere und Familie.
Vielmehr ist sie unfähig, Berufsethos und Privatleben zu trennen. Toms professioneller Regelverstoß macht ihn auch privat zur Persona non grata. Während in BROADCAST NEWS das Berufsleben
die Aktionsfläche für die Figuren bietet und die private mit professioneller Inkompatibilität
begründet, blenden die meisten später entstandenen Filme den Konflikt zwischen weiblicher
Karriere und Privatleben weitgehend aus. Meist wird nur ein beruflicher Status quo behauptet,
der die private Erfüllung verhindert hat. Die Handlung beginnt an einem Punkt, an dem die
Frau (meist unausgesprochen) bereit ist, ›Mut zur Liebe‹ zu beweisen und zugunsten der Familienplanung auszusteigen. Noch häufiger wird dieser Punkt – der nach dem Happy End liegt –
überhaupt nicht thematisiert.
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3.1 Romantic Comedy
Das Bestreben, alles unter Kontrolle haben zu wollen, das Janes Arbeit als Producerin auszeichnet, erweist sich in Bezug auf das Gefühlsleben als Problem. Für eine Frau, die selbst für ihre Tränenausbrüche eine kontrollierbare Situation schafft, ist ›die Liebe‹ eine unkalkulierbare Größe.
Das forsche, zielgerichtete Handeln, mit dem Jane beruflich erfolgreich ist, widerspricht den tradierten Rollenmustern und erschwert so das Zustandekommen von Beziehungen. Zwar ist es
Tom, der die Begegnung mit Jane herbeiführt, indem er sie auf einer Tagung nach einem missglückten Vortrag anspricht. Doch bereits der Gestus seines Lobes lässt sich als ›weiblich‹ bezeichnen, denn er bringt die eigene ›Betroffenheit‹ ins Spiel. Danach übernimmt Jane die Führung und
spricht Einladungen zum Abendessen und in ihr Hotelzimmer aus. Letztere unterstreicht sie mit
einem energischen Ausstrecken des linken Arms. Zur Weiterführung des Gesprächs kniet sie sich
vor die eine Seite des Doppelbetts, sodass sich Tom – will er von Angesicht zu Angesicht mit ihr
kommunizieren – auf der anderen Seite des Möbelstücks niederlassen muss. Um sich gegen die
Offensive zu wappnen, greift er jedoch gleich zu einem Kissen, das er als Barriere zwischen sich
und Jane legt. Als sie sich ihm auf dem Bett entgegenrollt und spielerisch eine Rückenmassage
vorschlägt, entzieht er sich dieser Bedrängnis und steht auf. Jane merkt, dass sie zu weit gegangen
ist. Die Unterhaltung wird ohne weitere Annäherungsversuche fortgesetzt.
Werden sonst eher die Frauen zum Objekt gemacht, ist es in BROADCAST NEWS
William Hurt, der seine Haut zu Markte
trägt und als Lustobjekt inszeniert und
wahrgenommen wird, während die intellektuellen Fähigkeiten seiner Figur
kaum überzeugen. Bereits in BODY HEAT
verkörpert er einen Charakter, dem die
Geliebte das zweifelhafte Kompliment
macht: »You aren’t too bright. I like that
in a man.« Die erste Einstellung auf
Der ›feminisierte‹ Mann
Tom zeigt ihn als Zuhörer von Janes
Rede. Die Hand der neben ihm sitzenden, roséfarben gekleideten Blondine ruht besitzergreifend
in seinem Schritt. Bei der anschließenden Begegnung mit Jane schaut die Kamera leicht auf ihn
hinab. Diese Perspektive wird auch beibehalten, als Jane die Essens-Einladung ausspricht, die
Tom mit mädchenhaft-kokettem Schieflegen des Kopfes annimmt. Die erste wirkliche Großaufnahme des Films erfasst sein Gesicht, als ihm Jane die Leviten in Bezug auf seine professionellen
Defizite liest. Direkt danach steht er auf und verlässt ihr Hotelzimmer mit den Worten: »I hated
the way you talked to me just now. And it wasn’t just because you were right.« An seinem ersten
Arbeitstag im Sender durchquert Tom die Lobby des Bürogebäudes mit perfekt gefönter Frisur
und luftig wippender Tolle. Und nachdem er mit seiner Kollegin in deren Bett gelandet ist,
beginnt das Danach (der Akt ist nicht zu sehen) mit einer Nahen auf das verzückte Gesicht des
Mannes, der – in ausgesprochen weiblicher Pose – verschwitzt auf dem Rücken liegt. Anschließend wird sein nackter (Ober-)Körper (ähnlich wie in BODY HEAT) zum Gegenstand der
Betrachtung. Rückblickend erscheint der 1950 geborene William Hurt, mit drei Oscar®-Nominierungen in drei aufeinanderfolgenden Jahren (1985–87), als einer der wichtigsten männlichen
Stars der späten 1980er. Mit seinen Rollen in KISS OF THE SPIDER WOMAN, CHILDREN OF A LESSER
GOD, BROADCAST NEWS und THE ACCIDENTAL TOURIST verkörperte er wie kaum ein anderer amerikanischer Darsteller in dieser Dekade ›feminisierte‹ Männer.1
1
Seinen bisher einzigen Oscar® gewann Hurt für die Rolle des Homosexuellen in KISS OF THE SPIDER WOMAN.
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3. Filmanalysen
Während Aarons Gefühlswelt um die eigene Befindlichkeit kreist, besteht ein großer Teil von
Toms Erfolg aus seiner Sensibilität für die Emotionen Anderer. Auch sein journalistisches Vergehen zielt auf den Gefühlsbereich. Die getürkte Einstellung zeigt, wie ihm als Zuhörer einer
Vergewaltigungs-Schilderung eine Träne die Wange hinunterläuft. Und so mag Tom der schlechtere Journalist sein – verkörpert jedoch im sich verändernden Geschlechter-Verhältnis das frauenaffinere männliche Rollenmodell. Allerdings löst auch er sich letztlich nicht von tradierten
Rollenmustern. Die Frau, die er im Epilog als seine Verlobte Lila vorstellt, gleicht seiner rosafarbenen Begleiterin vom Anfang. Beide repräsentieren optisch den als attraktiv geltenden Frauentypus jener Jahre: blonde lange Haare, groß und schlank, Perlenkette, dezent-weibliche Garderobe. Auch die von Ex-Model Lois Chiles verkörperte Journalisten-Kollegin, mit der Tom schläft,
ist eine modifizierte Variante dieses Typus. Jane hingegen fällt bereits optisch aus dem Rahmen.
Die nur 1,57 Meter große Holly Hunter ist ein drahtiges Persönchen mit brünetter Pagenkopffrisur. Aufgrund ihrer Statur muss sie zu den meisten Menschen aufschauen. Mit kampflustig
nach vorne gerecktem Kinn tritt sie energisch für ihre Überzeugungen ein und widerspricht mit
schmalen Lippen selbst dem Chef des Senders, wenn sie dies für nötig erachtet. Es käme dieser
Frau niemals in den Sinn, zum Erreichen beruflicher Ziele ihre Weiblichkeit einzusetzen. Bei
ihrer Rede zu Beginn des Films steckt sie in einem formlosen, schlammfarbenen Kleid – deutlich
unterschieden vom pastellfarbenen Look der meisten Zuhörerinnen. Offensichtlich will die Rednerin nur durch Inhalt überzeugen. Anders als in den meisten Filmen, in denen die äußere Metamorphose zugleich die Veränderung der inneren Haltung visualisiert, bleibt sich Jane auch im
schulterfreien Abendkleid treu: In der puppigen Verpackung, die sie für das KorrespondentenDinner ausgewählt hat, steckt noch immer die gleiche Person. Ein Kleidungsdetail definiert –
wie nebenbei – Janes Beziehung zu Aaron. Bevor sie ins Taxi steigt, entfernt die zierliche Frau die
Schulterpolster aus ihrem Jäckchen, um die Erscheinung des Mannes aufzupolstern.
Dass Norbert Grob den Film in einer Zeit-Kritik aus dem Jahr 1988 dem Melodram zurechnet,1 lässt sich wahrscheinlich in erster Linie auf die bereits thematisierte Begriffsunschärfe und
das fehlende Bewusstsein für die verschiedenen Spielarten des romantischen Genres zurückführen. Zugleich ist diese Zuordnung jedoch ein Beleg für den oft melodramatischen Gehalt romantischer Komödien. Wie eng Romantic Comedy und Romantic Drama manchmal beieinander liegen, zeigt ein Vergleich zwischen BROADCAST NEWS und THE WAY WE WERE. Die verhinderte
Liebesgeschichte zwischen Jane und Tom besitzt auffällige Parallelen zur scheiternden Liebe des
Paars Katie und Hubbell in dem von Sydney Pollack inszenierten Romantic Drama aus dem Jahr
1973. Die Handlung von THE WAY WE WERE beginnt im Frühjahr 1945, blendet dann (als Erinnerung der Protagonistin) zurück in die Vorkriegszeit und kehrt wieder an den Ausgangspunkt
1945 zurück. Danach wird die Geschichte (mit einigen Zeitsprüngen) über ca. sechs Jahre chronologisch entwickelt und springt am Ende für den Epilog um einige Jahre nach vorn. Interessant
ist in diesem Zusammenhang Pollacks Einschätzung, dass die unchronologische Erzählstruktur2
mit der Erinnerungs-Sequenz als romantischer empfunden werde als eine streng chronologische
Erzählweise. Tatsächlich bedienen sich einige der erfolgreichsten Romantic Dramas (auf unterschiedliche Weise) solcher Erinnerungs-Muster.
Wie in BROADCAST NEWS hat auch in THE WAY WE WERE eine Frau, die nicht dem gängigen
Schönheitsideal entspricht und sich für ihre Überzeugung engagiert, ein Auge auf einen überdurchschnittlich gutaussehenden Mann geworfen, dem es an Ehrgeiz fehlt: Die von Barbra Streisand verkörperte jüdische Kommunistin Katie begehrt den von Robert Redford dargestellten
1
2
Vgl. Grob 2003: 96.
B – A – B – C; A = Vergangenheit, B=Gegenwart, C=Zukunft; DVD-Audio-Kommentar des Regisseurs.
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3.1 Romantic Comedy
WASP-Modellathleten und angehenden Schriftsteller Hubbell. Die Protagonistinnen beider
Filme werden als beweglich und energiegeladen eingeführt, die Männer als passiv. Robert Redford ist – stärker noch als William Hurt – augenfällig als weiblicher Blickfang inszeniert. Die
erste Einstellung auf Hubbell Gardiner folgt Katie Moroskys Blick: In weißer Ausgehuniform
sitzt er am Ende eines Tresens. Seine Augen sind geschlossen. Eine Nahe auf Katie und eine
schnelle Zufahrt auf den schlafenden Mann akzentuieren die Blick-Richtung. Nachdem sie
beobachtet hat, wie sich eine Blondine vergeblich an Hubbell zu schaffen macht, geht Katie langsam auf ihn zu und berührt schließlich vorsichtig seine Haare. Mit dieser Geste wird die Rückblende eingeleitet, die ihn beim Joggen zeigt, während sie auf dem Campus Flugblätter gegen
Franco verteilt. Eine Montage, über der die Titel und der Oscar®-prämierte Streisand-Song The
Way We Were liegen, kontrastiert die verschiedenen Welten, in denen die beiden Protagonisten
als Studenten leben. Um ihr Studium zu finanzieren, jobbt Katie als Kellnerin und bedient dort,
wo Hubbell mit seinen Freunden konsumiert. Im Unterschied zu Tom beschränkt sich Hubbells
Anziehungskraft allerdings nicht auf das physische Erscheinungsbild. Er hat auch Talent zum
Schreiben – eine Begabung, die Katie für sich selbst ersehnt. Da es Hubbell an Ehrgeiz fehlt, ist
dies der Punkt, in dem sich die beiden später auf ideale Weise ergänzen: Sie wird zur Triebfeder
für seinen beruflichen Erfolg. Bis sie ihn damit überfordert.
Die Rückblende schließt mit einem Tanz und Katies sehnsuchtsvollem Blick, nachdem Hubbell sie wieder an einen anderen Tänzer übergeben hat und davongeht. Dieser Blick wird langsam in eine Großaufnahme des noch immer schlafend am Tresen sitzenden Mannes überblendet.
Als sie ihn mit seinem Namen anspricht, öffnet er langsam die Augen. Während sie ihn sofort
wiedererkannt hat, scheint er in seinem Gedächtnis zu kramen. Im Taxi ist er bereits wieder eingeschlafen. Katie nimmt ihn mit in ihre Wohnung. Dort verschwindet er im Badezimmer, um
sich zu übergeben. Und während Katie zur Musik von In the Mood hektisch Kaffee kocht, hat
sich Hubbell (im Off ) bereits ausgezogen und in ihr Bett gelegt. Das Pfeifen des Wasserkessels
reißt ihn kurz aus dem Schlaf, seine alarmierte Reaktion stellt einen Bezug zu den weniger
›schmucken‹ Seiten des Krieges her. Als Katie aus der Küche ins Schlafzimmer zurückkehrt, liegt
er jedoch bereits wieder leise schnarchend auf dem Rücken. Mehrere Einstellungen geben seinen
nackten Oberkörper der ungestörten Betrachtung preis. Katie entkleidet sich langsam und legt
sich neben ihn. Vorsichtig streckt sie ihren linken Arm in seine Richtung. Es folgt eine der merkwürdigsten Liebesszenen der Filmgeschichte: Im Stadium schläfrig-betrunkener Bewusstlosigkeit
rollt sich Hubbell auf Katie, beginnt mit dem Vorspiel, schläft mit ihr – und dann auf ihr ein.
Für Katie erfüllt sich mit dieser Vereinigung einerseits ein Traum. Zugleich jedoch muss sie sich
die Frage stellen, ob der Mann, der gerade mit ihr geschlafen hat, überhaupt realisiert, wer sie ist.
Hubbells hastiger Aufbruch am nächsten Morgen spricht Bände. Die ›bewusste‹ Vereinigung findet erst bei einer späteren Begegnung statt. Trotz weltanschaulicher Differenzen, die sich vor
allem am apolitischen Lebensstil von Hubbells Bekanntenkreis entzünden, wird aus Katie und
Hubbell schließlich ein (Ehe-)Paar. Mit dem Umzug von der Ost- an die Westküste rückt Hubbells Karriere als Hollywood-Autor in den Mittelpunkt. Doch die Gemeinsamkeiten sind nicht
stark genug, um die Differenzen dauerhaft zu überbrücken. Langfristig überfordern Katies (ideelle) Ansprüche den weniger ambitionierten Mann. Ihr wiederum gelingt es nicht, sich auf seinen eher oberflächlichen Lebensstil einzulassen. Die Liebesgeschichte des Paars endet mit einer
(zuvor besprochenen) Trennung, unmittelbar nach Katies Entbindung.
Auch THE WAY WE WERE schließt mit einem Epilog, der die beiden Protagonisten nach einigen Jahren noch einmal zusammengeführt. Beide sind in ihre Welt zurückgekehrt: Katie verteilt
am Central Park Flugblätter gegen die Atombombe. Hubbell, der nun als Drehbuchautor fürs
Fernsehen arbeitet, ist im Plaza abgestiegen. Während Katie inzwischen mit einem jüdischen
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3. Filmanalysen
Arzt verheiratet ist, befindet sich Hubbell in Begleitung einer Frau, die einen angepassten Gattinnen-Typus repräsentiert. Zur gemeinsamen Tochter hat er keinen Kontakt. In dieser letzten
Sequenz dominiert die Wehmut über das Scheitern einer Liebe – wobei der Verlust, den Hubbell
durch die Trennung erlitten hat, als der gravierendere erscheint. Ans Kämpfen und Verlieren
gewöhnt, hat Katie sich neue Lebensinhalte gesucht, Hubbell hingegen führt ohne sie ein nur
mittelmäßiges Leben (wenn auch auf hohem Niveau).
Ausdrücklich erwähnt sei in diesem Zusammenhang noch einmal die Inszenierung von
Robert Redford: Angefangen bei der bereits beschriebenen Einführung und der Bett-Szene, wird
sein Körper immer wieder als Blickfang präsentiert. Während Hubbells Aussehen (bis auf den
Wechsel zwischen Uniform und Zivilkleidung) weitgehend unverändert bleibt, spiegelt sich die
Wandlung der weiblichen Figur – wie so oft – auch in deren äußerem Erscheinungsbild wider.
Hier betrifft die Veränderung Katies Frisur: Am Ende ist sie zur Naturkrause ihrer Studentenzeit
zurückgekehrt, die sie im ›angepassten‹ Mittelteil geglättet hatte.
Im Audio-Kommentar der DVD weist Sydney Pollack auf zwei substanzielle Veränderungen
am Drehbuch von Arthur Laurents hin. Zum einen habe er die politischen Verknüpfungen im
Schnitt erheblich reduziert. In der Ursprungsfassung, die bei Testvorführungen durchfiel, war
die Trennung des Paars während der McCarthy-Ära wesentlich durch die Spätfolgen von Katies
kommunistischer Vergangenheit motiviert – in der Endfassung hingegen erscheint der Bruch vor
allem als Konsequenz eines von Hubbell begangenen Ehebruchs. Dass die Frau, mit der er Katie
betrügt, von derselben Darstellerin (Lois Chiles) verkörpert wird, die in BROADCAST NEWS Janes
erotische Konkurrentin verkörpert, sei nur am Rande erwähnt. Die andere Veränderung betrifft
die Gewichtung der beiden Protagonisten. Während sich Laurents Drehbuch auf die weibliche
Hauptfigur konzentrierte, sei im Laufe der Überarbeitungen Hubbells Charakter erheblich
gestärkt worden. Zutreffend weist Pollack in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung des
Dual Focus für das Funktionieren einer Liebesgeschichte hin:
The object of love stories is to make the audience care about both people and want
them to be together – otherwise you don’t have a love story.
Was die Zuordnung von BROADCAST NEWS zur Romantic Comedy bzw. von THE WAY WE WERE
zum Romantic Drama angeht, ist dem Zerbrechen einer Beziehung grundsätzlich mehr dramatisches Gewicht beizumessen als dem Nicht-Zustandekommen einer Partnerschaft. In der Romantic Comedy geht es ›nur‹ um eine verpasste Zweisamkeits-Perspektive, im Romantic Drama hingegen um erlebten Verlust. Dreh- und Angelpunkt für die Beziehungs-Definition ist die
Aufnahme eines körperlichen Verhältnisses.
Am Beispiel von THE WAY WE WERE lässt sich auch die Mythenbildung innerhalb des Genres
aufzeigen. Ähnlich wie AN AFFAIR TO REMEMBER für SLEEPLESS IN SEATTLES wird in einer Episode
der in New York spielenden Fernsehserie SEX AND THE CITY der Film THE WAY WE WERE zum
romantischen Bezugspunkt. In SEX AND THE CITY1 muss die Hauptfigur Carrie mit der Verlobung
ihres ›Ex‹ Mr. Big fertig werden. Beim Gespräch über diese persönliche Krise erinnern sich drei
der vier Freundinnen nahezu symbiotisch an den Epilog von THE WAY WE WERE. Lediglich die
unromantisch nymphomane Freundin Samantha kennt den Film nicht. Ausgelöst durch Carries
Erwähnung des Namens Hubbell kann jede der Drei aus dem Stand den Streisand-Song The Way
We Were singen und den Epilog nacherzählen. Dabei werden Parallelen zwischen Katie und Carrie ›erkannt‹, wobei sich viel auf die Polarität gekräuselte (Katie/Carrie) bzw. glatte Haare (Ehefrau/Verlobte) konzentriert (störrische Locken = komplizierter Charakter). Bei der Begegnung
1
Folge 30/Finale Season II.
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3.1 Romantic Comedy
zwischen Carrie und dem frischverlobten Big, die im Anschluss an die Freundinnen-Sequenz vor
dem Plaza stattfindet, streicht Carrie ihrem Ex-Freund eine Haarsträhne aus der Stirn und zitiert
damit eine (zuvor thematisierte) Geste aus THE WAY WE WERE sowie einen Dialogsatz: »Your girl
is lovely, Hubbell«, den Big nicht zuordnen kann: »I don’t get it?« »And you never did.«
Original (THE WAY WE WERE)
Zitat (SEX AND THE CITY)
WHEN HARRY MET SALLY... (1989)
Als Harry (Billy Crystal) und Sally (Meg Ryan) sich im Jahr 1977 auf dem Campus der Universität von Chicago zum ersten Mal begegnen, ist sie ein zickiges Collegegirl und er ein testosterongesteuertes Großmaul. Zusammengeführt hat sie eine Autofahrt nach New York. Dort soll
für beide ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Sallys altes Auto ist Harrys Mitfahrgelegenheit.
Obwohl es der Zuschauer besser weiß,1 spricht anfangs wenig dafür, dass nach dieser Begegnung
aus Harry und Sally jemals ein Liebespaar werden könnte.
Während der Fahrt vertritt Sally mit Vehemenz merkwürdige Ansichten. So sagt ihr der praktische Frauen-Verstand, dass sie an Ingrid Bergmans Stelle ebenfalls ins Flugzeug gestiegen und
First Lady der Tschechoslowakei geworden wäre – anstatt mit einem Kneipenbesitzer in Casablanca hängenzubleiben. Als Zeichen von Sallys romantischem Reifeprozess weicht dieser pragmatische Ansatz im Laufe der Filmhandlung der konventionell-romantischen Sichtweise auf
CASABLANCA. Die Modalitäten der 18-stündigen Autofahrt hat Sally ebenso akribisch ausgerechnet wie ihren Anteil am Imbiss. Im Diner sorgt ihre konfuse Sonderbestellung für Verwirrung
bei der Kellnerin. Als Trennungsgrund von ihrem Freund, dessen Tauglichkeit für ›Great Sex‹
Harry allein aufgrund des Vornamens Sheldon vehement anzweifelt, gibt sie dessen Eifersucht
an. Sheldon sei misstrauisch geworden, weil sich unter ihren Wochentage-Unterhosen kein
Sonntags-Slip befand. Dabei ist Sally – natürlich – völlig schuldlos: Eine Sonntags-Unterhose
fehlt in der Kollektion. »Because of God.«
Harry kennt nur ein Thema: Sex. In der ersten Szene tauscht er einen langen Abschiedskuss
mit seiner Freundin Amanda. Ein paar Stunden später wäre er bereit, auch Sally attraktiv zu finden. Aber seine Bagger-Versuche prallen an ihr ab, denn Sally hat Prinzipien: Ebenso wenig wie
sie zwischen den Mahlzeiten isst, würde sie etwas mit dem Freund ihrer besten Freundin anfangen. Eine von Harrys Thesen, die er ausführlich erläutert, zieht sich als roter Faden durch den
1
Das heißt: Weiß er/sie das im Jahr 1989 tatsächlich?
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3. Filmanalysen
Film (und anschließend durch die Filmgeschichte): »Men and women can’t be friends because
the sex part always gets in the way.« Die (vermeintliche) Unvereinbarkeit von Freundschaft und
Liebe hat bereits den Denkern in früheren Jahrhunderten Kopfzerbrechen bereitet. So zitiert
Peter Gay in seiner Studie Die zarte Leidenschaft den »Erzromantiker Lord Byron« mit folgender
Aussage: »›Liebende mögen Feinde sein, und im allgemeinen sind sie es wirklich‹, schrieb er
1822, ›aber niemals können sie Freunde sein. [...] Vielmehr betrachte ich die Liebe ganz und gar
als eine Art feindseliger Akt‹«(Gay 1987: 50).
Nachdem sich die Wege der Fahrgemeinschaft am Washington Square ohne weitere Perspektive
getrennt haben, begegnen sich Harry und Sally fünf Jahre später erneut. Diesmal ist Sally in
einen Kuss versunken. Ihr Freund Joe hat sie zum Flughafen begleitet. Erleichtert (aber auch ein
bisschen gekränkt) glaubt sie, Harry habe sie nicht wiedererkannt. Im Flugzeug weckt dann
jedoch ihre umständliche Getränke-Bestellung seine Aufmerksamkeit und seine Erinnerung.
Sally ist inzwischen, wie geplant, Journalistin geworden, Harry politischer Berater. Aus der Tatsache, dass Joe sie zum
Flughafen begleitet hat, schließt Harry
(der die Männer kennt), dass die Beziehung nicht älter als drei Wochen sein
könne (es sind vier). Er selbst plant, sich
in Kürze zu verheiraten. Obwohl Harry
aufgrund der veränderten Lebens- und
Beziehungs-Umstände seine These über
ANNIE HALL
Männer- und Frauenfreundschaft etwas
modifiziert hat, lehnt Sally eine Verabredung zum Essen ab, sodass sich die
Wege auf dem Laufband des Flughafens
erneut trennen.
WHEN HARRY MET SALLY...
Weitere fünf Jahre später müssen Harry
und Sally mit der Trennung von ihren
Partnern fertig werden. Im Buchladen,
bei der Ratgeber-Literatur,1 begegnen sie
sich das dritte Mal. Und diesmal werden
sie Freunde. Bis ihnen der Sex dazwischenkommt... Als sie ihren Freundschafts-Pakt schließen, zitiert das Bild
die Schlusseinstellung von CASABLANCA,
in der Humphrey Bogart und Claude
Rains Seite an Seite, mit dem Rücken
zur Kamera, in der Tiefe des Raums verschwinden: Hier wie dort signalisiert der
Gang den ›Beginn einer wunderbaren
PILLOW TALK
Auch ein Zeit-Phänomen. Über das Leseverhalten in zeitgenössischen Romantic Comedies vgl. auch Babington/
Evans 1989: 270.
1
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3.1 Romantic Comedy
Freundschaft‹. Die Originalszene aus CASABLANCA ist wenig später im Fernsehen zu sehen. Die
Sequenz beginnt mit einem abendlichen Anruf von Harry, der Sally erreicht, als sie sich gerade
CASABLANCA anschaut. Der Beginn des Gesprächs liegt über einer Montage aus einsamen
Momenten und gemeinsamen Unternehmungen. Als im Fernsehen die Schlussszene des Klassikers läuft, wird das Telefonat im On weitergeführt. Ein Split Screen zeigt Harry und Sally in
ihren Betten liegend, bei der zeitgleichen Rezeption des Films. Die beiden Bildhälften sind so
nahtlos aneinandergefügt, dass die Illusion eines Doppelbetts entsteht. Auch die Wahl dieses Stilmittels ist eine Reminiszenz an Hollywood-Vorbilder. So ist unter anderem das telefonische
›Bettgeflüster‹ von Doris Day und Rock Hudson in PILLOW TALK in Split Screen aufgelöst. Insbesondere ein Badewannen-Telefonat, in dem sich die Füße der beiden Protagonisten in der
Bildmitte zu berühren scheinen, schafft eine mit der Doppelbett-Sequenz vergleichbare RaumIllusion. Die Parallel-Rezeption von CASABLANCA liefert darüber hinaus einen Beleg für Hawkins’
These, dass Bogarts Rick der ideale Held sowohl für Männer als auch für Frauen ist.1 Frank
Krutnik, der in seinem 1998 erschienenen Aufsatz Love Lies: Romantic Fabrication in Contemporary Romantic Comedy einen Vergleich zwischen WHEN HARRY MET SALLY... und den ›Nervous
Romances‹ von Woody Allen zieht, weist im Zusammenhang mit der Verwendung des Split
Screen zutreffend auf dessen unterschiedliche Funktion hin: Während Allen in ANNIE HALL mit
der zweigeteilten Leinwand die Differenzen des Paars betont, unterstreicht diese in WHEN HARRY
MET SALLY... dessen Gemeinsamkeiten.2 Die geteilte Leinwand ist nicht das einzige Element, das
sowohl in Allens ›Nervous Romances‹ als auch in WHEN HARRY MET SALLY... Verwendung findet.
Bereits mit der Schrifttype des Titels und der Musikauswahl (It Had to be You3) bezieht sich der
von Rob Reiner inszenierte Film auf das Vorbild Woody Allen. Interessant ist jedoch vor allem
die Variation dieser Elemente, mit der eine radikale Abkehr vom Beziehungs-Pessimismus der
vorangegangen beiden Dekaden verbunden ist. Im Unterschied zu ANNIE HALL und MANHATTAN
endet WHEN HARRY MET SALLY... mit der erneuten Hinwendung zur Frau und einem ungebrochenen Happy End – und kehrt somit zum Glücksversprechen der Romantic Comedy zurück. In
ANNIE HALL:
At the end of the affair, we’ve learned only two things for certain: That enduring relationships are very likely impossible in this time and place (i.e. New York City during
Woody Allen’s lifetime), and that life without the search for relationship is unthinkable. (Ebert 1977)
Für Harry und Sally hat diese Suche ein Ende. Nachdem sie Freunde geworden sind, diskutieren
sie – ganz in der Tradition von Woody Allens New-York-Filmen – in den Straßen, Parks und
Restaurants von Manhattan ihre Befindlichkeit und ihre Sicht auf das Beziehungs-Leben. Sally
sucht nach dem Ende ihrer mehrjährigen nicht-ehelichen Beziehung nach einem geeigneten
Partner für Ehe und Familiengründung. Harry ist, wie andere Protagonisten dieser Jahre, ein
Opfer des ›narzisstischen Unabhängigkeitsstrebens der post-feministischen Frau‹.4 Er muss
damit fertig werden, von seiner Frau Helen, einer Anwältin, die bei der Eheschließung ihren
Mädchennamen behielt, ohne weitere Angabe von Gründen verlassen worden zu sein. Während
seiner Single-Phase kompensiert er die Frustration über die gescheiterte Beziehung durch pro-
1
2
3
4
Vgl. Hawkins 1990: 30.
Vgl. Krutnik 1998: 27.
In ANNIE HALL wird der Song von der Titelheldin bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt sehr unsicher vorgetragen.
In CASABLANCA ist It Had to be You einer von mehreren Musiktiteln, die Dooley Wilson am Klavier spielt.
Vgl. Neale/Krutnik 1990: 172.
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3. Filmanalysen
miskuitives Verhalten, ist jedoch am Ende bereit, sich erneut liebend an eine Partnerin zu binden. Wie Isaac Davis in MANHATTAN rennt Harry zum Schluss durch die Straßen von New York,
um zu seiner Auserwählten zu gelangen. Der Song, der seinen Lauf durch die Silvesternacht
begleitet, ist erneut It Had to be You, gesungen von Frank Sinatra.
In ANNIE HALL, It Had to be You registers the discrepancy between the values of old-fashioned romance and the uncertainties of modern love [...] WHEN HARRY MET SALLY uses it
to underscore Harry’s conversion from hesitance to romantic commitment. (Krutnik
1998: 25)
Unterschnitten mit Harrys Erinnerungen an Sally ist die Liedzeile »It had to be you« ganz wörtlich zu verstehen. In seinem Aufsatz »Willst Du Dein Herz mir schenken...« charakterisiert Thomas Koebner Harrys Lauf als »Last second-rescue« (Koebner 2004a: 69; Hervorhebung im Original). Im Unterschied zu Isaac, dessen blutjunge Freundin Tracy sich von ihrem abgehetzten
(Ex-)Liebhaber nicht umstimmen lässt und Manhattan für sechs Monate verlässt, um in London
eine Schauspielschule zu besuchen, gelingt Harry jedoch die (Selbst-)Rettung. Mit seiner Liebeserklärung beendet er einen schwelenden Konflikt und erobert endgültig Sallys Herz:
I love that you get cold when it’s seventy one degrees out, I love that it takes you an
hour and a half to order a sandwich, I love that you get a little crinkle above your nose
when you’re looking at me like I’m nuts, I love that after I spend a day with you I can still
smell your perfume on my clothes and I love that you are the last person I want to talk to
before I go to sleep at night. And it’s not because I’m lonely, and it’s not because it’s
New Years Eve. I came here tonight because when you realize you want to spend the
rest of your life with somebody, you want the rest of the life to start as soon as possible.
Es ist eine Liebeserklärung, die auf der Kenntnis und Akzeptanz des anderen Menschen beruht –
(scheinbar) befreit von romantischen Verklärungen und Wunschbildern. »With all your faults, I
love you still«, besingt in It Had to be You auch Frank Sinatra die Liebenswürdigkeit menschlicher Fehler. Genau dies aber bedient romantische Bedürfnisse – denn wünschen wir uns nicht
alle, ein (idealer) Partner möge uns so akzeptieren, wie wir nun mal sind? Mit unseren Launen
und Cellulite-Dellen an den Oberschenkeln... Auch Bridget Jones’ Lover Mark Darcy spielt
sich – 15 Jahre nach Harry – mit der ausgesprochenen Zuneigung zu den weiblichen Problemzonen (»wobbly bits«) seiner Freundin in die Herzen der Zuschauerinnen. Im Moment der Identifikation vergisst man (wahrscheinlich), dass man nicht in Meg Ryans (oder Renée Zellwegers
dehnbarer) Haut steckt und Sallys Macken nur drollige kleine Verschrobenheiten sind.
Als Harry und Sally im Epilog auf dem
Sofa sitzen und von ihrer Hochzeit berichten, spricht alles dafür, dass sie –
nachdem sie nach zwölf Jahren und drei
Monaten endlich als Paar zusammengefunden haben – auch gemeinsam alt
werden. So, wie die fünf alten Ehepaare,
die im Verlauf des Films ihre Liebesgeschichte quasi-dokumentarisch in die
Kamera memoriert haben. Auch diese
Arbeitssieg der Liebe
Sequenzen haben ein stilistisches Äquivalent in ANNIE HALL. Dort dokumentieren Alvy Singers in die Kamera gesprochene Kommentare dessen subjektive Sicht auf seine kurzlebigen Beziehungen. Die Ehepaare in WHEN HARRY
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3.1 Romantic Comedy
MET SALLY... hingegen sind Repräsentanten des dauerhaften Zweisamkeits-Konzepts, das sich
auch in der Rückkehr zur »dual-focused narrative« (Krutnik 1998: 26) manifestiert: Während in
den Allen-Filmen der männliche Protagonist die Handlung (auch quantitativ) dominiert, ist das
männlich/weibliche Szenen-Verhältnis in WHEN HARRY MET SALLY... ausgewogen. Allerdings
weist Kathleen Rowe zutreffend darauf hin, dass sich die männliche Subjektivität nicht ganz verliert: »it is Harry [...], not Sally [...], whose thoughts are shared with the audience through the
film’s only voice-over« (Rowe 1995: 197).
Verläuft im Allen-Universum der weibliche Entwicklungsprozess konträr zu den Bedürfnissen
des Mannes und führt dort noch unweigerlich zur Trennung, sorgt der gemeinsame Lernprozess
der Figuren in WHEN HARRY MET SALLY... dafür, dass sie ihre Differenzen überwinden und am
Ende als Paar zusammenfinden. Ihr Miteinander widerlegt Harrys These, dass Männer und Frauen
keine Freunde sein können. Aus Freundschaft wird Liebe – mehr noch: Freundschaft ist deren
Basis. Wobei der Übergang vom einen ins andere Stadium durch den ›Sex Part‹ markiert wird.
This isn’t a romance of passion, although passion is present, but one that becomes possible only because the two people have grown up together, have matured until they
can finally see clearly what they really want in a partner. (Ebert 1989)
Der Paar-Gedanke ist für Frank Krutnik das Herzstück romantischer Komödien: »At the heart
of all romantic comedy is the fantasy of the transcedent couple, achieved through mutual learning, negotiation and exchange« (Krutnik 1998: 22 f.). Zugleich begreift er jedoch dieses Partnerschafts-Ideal auch als eine jener ›Liebeslügen‹, die charakteristisch für die Renaissance der
Romantic Comedy seien: »Post-liberationist new romancers, these films suggest, must learn to
love, learn to lie, learn to love the lie« (ebd.: 33).
Für Christiane Peitz ist WHEN HARRY MET SALLY...
genauso eine Schmonzette wie SCHLAFLOS IN SEATTLE, aber immerhin gibt es Meg Ryans
simulierten Orgasmus, der mehr über den Geschlechterkampf und das Hollywood-Tabu
Sexualität besagt als ganze Studien über Emanzipation oder Zensur. (Peitz 1995: 68)
Nora Ephrons Einschätzung, dass Sex der ›Tod der romantischen Komödie‹ gewesen sei, habe
ich bereits im Einleitungsteil zitiert. In ihrem Drehbuch zu WHEN HARRY MET SALLY... ist die
Bewertung des ›Sex Part‹ ein zentrales Thema. Unter anderem wird vorgeführt, wie aus der (vermeintlich) sexuellen Befreiung Leistungsdruck entsteht – für beide Geschlechter. So meint Sally
in der ersten Episode richtigstellen zu müssen, dass sie sehr wohl »great sex« habe. Denn ›guten
Sex‹ zu haben, zählt in den ausgehenden 1970ern, in denen diese Episode spielt, zum Selbstverständnis der modernen Frau. Diese hat gelernt, dass die Erzeugung des weiblichen Orgasmus zu
den männlichen Liebes-Pflichten gehört und empfindet ihrerseits die Pflicht zum lustvollen
sexuellen Erleben. Shere Hite, die in den frühen 1970ern die Sexualität der amerikanischen Frau
per Fragebogen erforschte und ihre Ergebnisse 1976 in The Hite Report: A Nationwide Study of
Female Sexuality publizierte, konstatiert:
Frauen stehen heute unter dem großen Druck, einen Orgasmus haben zu müssen,
besonders während des Geschlechtsverkehrs. Es ist völlig selbstverständlich, daß
Frauen ein Recht auf Orgasmus beim Sex haben, denn das gehört zum natürlichen
Ablauf der Dinge. Seit es sich jedoch herumgesprochen hat, daß ›auch‹ Frauen den Sex
genießen dürfen, würde dieses neue ›Recht‹ zu einer Belastung. Frauen sind dazu da,
um mit ihrem Orgasmus dem Mann Freude zu bereiten und nicht sich selbst. [...] Es
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3. Filmanalysen
gibt auch einen gesellschaftlichen Druck: Eine Frau, die einen Orgasmus hat, gilt als
›Vollweib‹, eben als ›richtige‹ Frau. (Hite 1977: 107 f.; Hervorhebungen im Original)
Von 1664 Frauen antworteten auf die Frage: »Täuschen Sie einen Orgasmus vor?« 567 mit »Ja«,
775 mit »Nein« und 318 mit »früher«, vier waren der Ansicht, dies sei »zwecklos, da nicht überzeugend« (ebd.: 223). Die Pflicht zur Lust kommentiert auch Alice Schwarzer in ihrer 1975
erschienenen emanzipatorischen Schrift Der »kleine Unterschied« und seine großen Folgen. Unter
der Überschrift »Die Lüge von der sexuellen Befreiung« resümiert sie:
Frauen müssen die nicht vorhandene Lust nun auch noch vorspielen. Früher konnten
Frauen sich aus Prüderie oder Angst vor unerwünschter Schwangerschaft wenigstens
verweigern, wenn sie keine Lust hatten, heute haben sie dank Aufklärung und Pille zur
Verfügung zu stehen. (Schwarzer 1975: 179)
Die Qualität von Sallys sexuellen Erfahrungen wird im Film mit ihrer – mittlerweile legendären –
Darbietung eines Fake Orgasm inmitten eines vollbesetzten Restaurants infrage gestellt. Dass
eine Frau in der Lage ist, in völlig unpassender Umgebung aus dem Stand einen (akustisch und
mimisch) überzeugenden Orgasmus vorzutäuschen, erzählt unmissverständlich, dass sie diese
Fähigkeit bereits praktisch zur Anwendung gebracht hat. Der vorgetäuschte Orgasmus demonstriert eine der weiblichen Strategien, sich dem sexuellen Leistungsdruck gleichermaßen unterzuordnen und zu entziehen. Wobei Sallys Orgasmus-Vorstellung mit der Tatsache in Beziehung
gesetzt werden muss, dass sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit Harry geschlafen hat. Letztlich
vertritt nämlich auch WHEN HARRY MET SALLY... die These, dass Sex mit dem richtigen Mann
zur ganzheitlichen Befriedigung der Frau führt – allerdings wirkt Sallys verklärtes ZahnpastaLächeln nach ihrem ersten Mal mit Harry einen Hauch zu glückselig...1
Aber auch der Mann muss sich unter Druck gesetzt fühlen. Das erste Kapitel von Bernie Zilbergelds 1992 erschienenem Buch über ›die neue Sexualität der Männer‹ trägt die Überschrift:
»Wie Männer zu Leistungssportlern abgerichtet werden« (Zilbergeld 1992: 21). Die OrgasmusPflicht des ›Vollweibs‹ korrespondiert mit der Forderung an den Mann, ihr diesen zu ›besorgen‹,
und der vorgespielte Orgasmus bedeutet, dass er in diesem Punkt versagt hat. Dass eine NormalFrau wie Sally einen Orgasmus vorzutäuschen in der Lage ist, muss das männliche Weltbild nachhaltig erschüttert haben. Zumal das eines Sexual-Athleten wie Harry, den der Leistungsdruck bis
in den Schlaf verfolgt. Sallys Orgasmus-Vorstellung bestätigt männliche Ängste, die unter anderem in früher entstandenen Woody-Allen-Filmen thematisiert wurden. So beschäftigt sich eine
der Episoden von EVERYTHING YOU ALWAYS WANTED TO KNOW ABOUT SEX BUT WERE AFRAID TO
ASK mit weiblicher Frigidität und Orgasmusschwierigkeiten und in ANNIE HALL ›verlässt‹ Annie
beim Sex gelangweilt ihren Körper. Auch Zilbergeld nimmt in seinen Ausführungen ausdrücklich
auf Sallys Orgasmus-Vorstellung Bezug und betont deren geschlechtsspezifische Bewertung:
Viele Männer weigern sich zu glauben, daß Frauen Orgasmen vortäuschen. Die Publikumsreaktionen zu dem Film WHEN HARRY MET SALLY sind hierzu sehr aufschlußreich. Ich
habe die Szene mit dem vorgetäuschten Orgasmus [...] sehr oft in Klassen, Workshops
und auch zweimal im Kino gesehen. Die Frauen lachen immer unisono voller Verständnis – sie wissen genau, was vor sich geht – aber ein Großteil der Männer scheint
perplex und einige, wie Billy Crystal, weigern sich strikt zu glauben, daß so etwas im echten Leben, zumindest in ihrem Leben passieren kann. (Zilbergeld 1994: 611)
1
Vgl. auch Krutnik 1998: 35.
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3.1 Romantic Comedy
Dabei sind die – vom Leistungsdruck befreiten – Ansprüche der Normal-Frau Sally insgesamt
eher bescheiden: In deren einziger sexueller Phantasie reißt ihr ein gesichtsloser Mann die Kleider vom Leib – wobei die Variationen ihres Traums lediglich aus wechselnden Kleidungsstücken
bestehen. Die eigentliche Sehnsucht gilt der familiären Geborgenheit. Auch Sally wünscht sich
eine Familie. Ihre biologische Uhr tickt, das böse 40. Lebensjahr steht aus ihrer Sicht unmittelbar
bevor (sie ist 32...). Ernüchtert hat sie zur Kenntnis genommen, dass sie bisher auf Kinder verzichtete, ohne die theoretischen Freiheiten der Kinderlosigkeit – wie spontane Kurzreisen nach
Rom oder Spontan-Sex auf dem Küchenboden – praktisch zu genießen. (Die Option auf ) ›Great
Sex‹ erscheint hier lediglich als Surrogat für das Leben an der Seite von Mr. Right. Wie überhaupt der Sex – obwohl so viel über ihn geredet wird – letztlich nicht so wichtig ist. Zumindest
nicht im Partnerschafts-Ideal, das der Film vertritt: »[T]he best way to get rid of sex as an issue is
to get married, since married people always seem too tired for sex« (Ebert 1989).
Die Suche nach dem/der Richtigen unter all den Großstadt-Singles ist das zweite große Thema
von WHEN HARRY MET SALLY... Es ist ein Thema, das das folgende Jahrzehnt bestimmen wird.
Eine neue Protagonistin rückt in den Mittelpunkt der filmischen und literarischen Fiktion: die
unverheiratete, beruflich erfolgreiche Frau Anfang 30. Der berufliche Erfolg ist Bestandteil ihrer
Lebensplanung. Bis sie im Job reüssiert hat, vernachlässigt sie den traditionellen Part des FrauSeins: das Heiraten und Kinderkriegen. Erst wenn sie das berufliche Ziel erreicht hat, begibt sie
sich ernsthaft auf die Suche nach Mr. Right, da dessen verfrühtes Auftauchen die Karriereplanung durcheinander bringen würde. Wurden vergleichbare Frauenfiguren kurz zuvor in Filmen
wie FATAL ATTRACTION oder WORKING GIRL noch dämonisiert oder in die Rolle der negativen
Antagonistin gedrängt, avancieren sie zu positiven Heldinnen der 1990er. Zur ›Strafe‹ für den
Egoismus befällt sie allerdings biologische Torschlusspanik – und die Erkenntnis, dass das Angebot der infrage kommenden, ungebundenen Männer begrenzt ist und von der Nachfrage durch
bindungswillige Frauen deutlich übertroffen wird. Eine dieser typischen Single-Frauen steht
1988 – mehr als zehn Jahre vor SEX AND THE CITY – bereits im Mittelpunkt von Elizabeth Dunkels
Zeitgeist-Roman Every Woman Loves a Russian Poet:
Als weiblicher Single in Manhattan zu leben war grauenhaft. Nein, schlimmer noch: Es
war ein Klischee! Und sie, Kate Odinokov, war zu einer Zahl in der Statistik geworden!
Dann war diese drastische Titelstory in Newsweek über die Heiratschancen einer Frau
über dreißig erschienen. Und diese Chancen standen nicht sehr gut. (Dunkel 1990: 15)
Kate sehnt sich »so sehr danach, ein ›normales‹ Leben zu führen, endlich befreit von diesem ständigen Zwang, Verbindungen zu knüpfen« (ebd.: 11). Unter diesem Zwang leiden auch die Figuren in WHEN HARRY MET SALLY... Für Harry und Sally ist es vordringlich, nach der Trennung
wieder einen neuen Partner zu finden. Ihre ersten Dates verlaufen unbefriedigend. Auch ein
Kuppelversuch im Freundeskreis endet anders als geplant: Anstatt überkreuz in Harry bzw. Sally
verlieben sich deren beste Freunde Jess und Marie ineinander. Am Beispiel von Marie, die bei
einem Treffen mit ihren Freundinnen einen Rolodex mit den Namen vermeintlich vakanter
Männer bei sich trägt, wird zuvor als Running Gag eine andere weibliche Single-Option durchgespielt: der Geliebten-Status. Marie hat seit Jahren ein Verhältnis mit einem verheirateten
Mann. Allen – auch Marie – ist klar, dass dieser seine Ehefrau niemals verlassen wird. Aber noch
schlimmer als diese perspektivlose Verbindung wäre der völlig männerlose Zustand. Dabei hat
Marie (gespielt von der 1956 geborenen Carrie Fisher) das ›Verfallsdatum‹ für den weiblichen
Single-Markt eigentlich längst erreicht. Als sie schließlich in Harrys Freund Jess eine verwandte
Seele und einen Mann zum Heiraten findet, ist sie sehr erleichtert. Friedlich und asexuell liegen
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3. Filmanalysen
die beiden Verlobten nebeneinander im Doppelbett und Marie seufzt angesichts der Liebes-Nöte
von Harry und Sally: »Tell me I’ll never be out there again.«
FOUR WEDDINGS AND A FUNERAL (1994)
Charles (Hugh Grant) verschläft gern. Besonders, wenn geheiratet wird. Beinahe verschläft er
sogar sein eigenes Glück und landet mit der falschen Frau vor dem Traualtar. Verliebt hat sich
der schüchterne Brite in die Amerikanerin Carrie (Andie MacDowell), die ihm mit ihrem großen schwarzen Hut auf der ersten der titelgebenden vier Hochzeiten sofort ins Auge fällt. Auf
sein Kompliment (für den Hut) reagiert sie zwar zugewandt, dennoch führen Charles’ zurückhaltend-unbeholfene Kontakterweiterungs-Versuche zunächst nicht zum Erfolg. Selbstironisch fragt
er einen Freund: »Do you think there really are people who can just go up and say: ›Hi, babe.
Name’s Charles. This is your lucky night‹?« Die Antwort: »Well, if there are, they’re not English«,
charakterisiert eine Besonderheit von FOUR WEDDINGS AND A FUNERAL: Die Liebes- und Beziehungsgeschichten, die BLACK-ADDER- und MR.-BEAN-Autor Richard Curtis in dieser britischen
Romantic Comedy entwickelt, leben wesentlich von der genau beobachteten, humorvollen Darstellung nationaler Eigenheiten.
Dass der gehemmte Charles am Abend der Hochzeitsfeierlichkeiten mit Carrie im Hotelbett
landet, ist ausschließlich deren Initiative zu verdanken. In einer Umkehr der üblichen RollenMuster erlöst sie ihn ritterlich von einer quälenden Konversation mit einem anderen Hotelgast,
indem sie sich als seine Ehefrau ausgibt. Danach leitet sie mit dem Küssen die nächtliche Liebesszene ein. In dieser Situation – konventionell in Körper-Details aufgelöst und mit zahlreichen Überblendungen arbeitend – besteht Parität zwischen den Geschlechtern. Ungewöhnlich
ist allenfalls die Weiterführung der vergleichsweise geschliffenen Konversation während des
Akts. Normalerweise wird beim Sex in Filmen nicht so viel und reflektiert geredet. Eine Fortsetzung findet der Rollentausch am ›Morgen danach‹: In der Manier eines sich heimlich davonstehlenden Liebhabers schließt Carrie vorsichtig den Reißverschluss ihrer Reisetasche, während
Charles langsam aus dem Schlaf erwacht. Bevor sie zurück in die USA reist, stürzt sie den im
Bett liegenden Junggesellen allerdings erheblich in Verwirrung, indem sie ihn mit ernster Miene
nach der Bekanntgabe der Verlobung fragt. Als Charles nach kurzem Schreckmoment realisiert,
dass sich Carrie einen Scherz mit ihm erlaubt hat, verwandelt sich die verwirrte Anspannung
auf seinem Gesicht in erleichtertes Grinsen. Die Bemerkung, er habe für einen Moment
gedacht, sie sei Glenn Close und er komme nach Hause und finde sein Kaninchen im Kochtopf, charakterisiert Charles’ Eigenheit, seine Gefühle auf Umwegen auszudrücken. Darüber
hinaus betont der Verweis auf FATAL ATTRACTION die Bedeutung dieses Films als kollektive
männliche Angstphantasie der frühen 1990er. Hinter Carries Scherz verbirgt sich allerdings die
durchaus ernsthafte Frage nach einer gemeinsamen Zukunft – die hier durch Charles’ Reaktion
verneint wird.
Bei der Wiederbegegnung am Rande der nächsten Hochzeitsfeierlichkeiten ist Carrie mit
einem älteren, reichen und nicht sonderlich sympathischen Schotten verlobt – was sie allerdings
nicht daran hindert, nach dessen Abreise die erotische Beziehung zu Charles für eine Nacht wieder aufleben zu lassen.
In der nächsten Episode flattert – an einem ansonsten heiratsfreien Wochenende – die Einladung zu Carries Vermählung ins Haus. Im Geschäft, in dem die Hochzeitsliste ausliegt, trifft
Charles erneut auf seine Traumfrau und begleitet sie zum Kauf des Brautkleids. Im daran
anschließenden Gespräch in einem Bistro – eine Situation, die sowohl Parallelen zur Fake-Orgasm-Szene aus WHEN HARRY MET SALLY... als auch zum Impotenz-Gespräch in SEX, LIES, AND
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3.1 Romantic Comedy
erkennen lässt – unterhalten sich die beiden über die Anzahl ihrer verflossenen Liebhaber/innen, wobei Carries Quote (33) die von Charles (9) bei weitem übertrifft. Die Sequenz
endet mit seinem verbal höchst verschlungenen Versuch, ihr seine Liebe zu gestehen: »[...] eh,
the words of David Cassidy in fact, eh, while he was still with the Partridge family, eh, ›I think I
love you‹, [...]« – dann jedoch zieht er sich erneut zurück, sodass auch diese Begegnung mit einer
Trennung endet.
Einen Monat später schaut Charles – wie immer verspätet – tatenlos zu, wie seine Traumfrau
dem Anderen das Ja-Wort gibt. Doch die Verbindung steht unter keinem guten Stern: Bei der
Ansprache des Bräutigams erleidet der liebenswert-exaltierte Homosexuelle Gareth einen Herzinfarkt und stirbt.
Auf der Trauerfeier hält Gareths Lebensgefährte Matthew eine bewegende Rede, die bei
Charles und seinen Freunden Nachdenklichkeit über das Wesen von Zweier-Beziehungen und
die eigenen Ansprüche auslöst.
Zehn Monate später ist eine weitere Hochzeit geplant. Diesmal soll Charles unter die Haube
gebracht werden. Seine Freunde sorgen dafür, dass er ausnahmsweise pünktlich in der Kirche
erscheint. Doch dort wird er definitiv auf die falsche Braut treffen: Henrietta – eine Ex-Freundin, die auf der zweiten Hochzeit heulend eine Aussprache gesucht und auf der dritten krampfhaft ›Hen im Glück‹ gespielt hat, will Charles’ Leben als »serial monogamist« ein Ende bereiten.
Auch Carrie ist gekommen. Dass sie bereits wieder von Hamish getrennt ist, stürzt Charles
unmittelbar vor der Trauung mit Mrs. Wrong in eine tiefe Krise. Auf dem Weg zu Carries Sitzplatz schreiten die beiden im Mittelgang der Kirche ein kurzes Stück wie Braut und Bräutigam
nebeneinander her. Doch anstatt sich endlich zu seinen Gefühlen zu bekennen, trottet das Junggesellen-Lamm freiwillig zur Ehe-Schlachtbank. Unmittelbar vor dem Gelöbnis ergreift dann
jedoch – als Retter in letzter Sekunde – Charles’ taubstummer Bruder David das Wort. Charles
muss übersetzen, was er sich selbst nicht zu sagen traut: »I think the groom really loves someone
else!« Als er dies auf Nachfrage des Pfarrers bestätigt, streckt ihn die gedemütigte Braut mit
einem Fausthieb zu Boden.
Das anschließende Wunden-Lecken im Kreise der Freunde wird durch ein Klingeln an der
Tür unterbrochen. Draußen steht die völlig durchnässte Carrie. Im strömenden Regen erklärt
ihr Charles – endlich – seine Liebe. Weil das Heiraten jedoch erwiesenermaßen mit Unwägbarkeiten und Peinlichkeiten verbunden ist, mündet sein Bekenntnis in einen Nichtheirats-Antrag:
VIDEOTAPE
Do you think, after we’ve dried off, after we’ve spent lots more time together, you
might agree not to marry me? And do you think not being married to me might maybe
be something you’d consider doing for the rest of your life?
Carrie beantwortet den Antrag mit der traditionellen Verehelichungs-Formel: »I do.« Nach dem
Final Kiss schwenkt die Kamera in den von einem Blitz zerrissenen Gewitter-Himmel. Und während das Liebespaar gewillt ist, sich ohne Trauschein zu binden, werden im Epilog die Biographien der anderen Figuren mit weiteren Hochzeiten abgerundet.
Der Londoner Freundeskreises, der in FOUR WEDDINGS AND A FUNERAL vorgestellt wird,
besteht überwiegend aus Singles – mit Anfang/Mitte 30 nicht mehr ganz jung – auf der Suche
nach einem Lebenspartner. ›Gefunden‹ hat sich einzig das homosexuelle Paar Gareth und Matthew, das bereits im Prolog mit ein paar zärtlich-zugewandten Gesten als offensichtlich glückliche Lebensgemeinschaft charakterisiert wird. Matthews liebevolle Trauerrede auf seinen verstorbenen Freund, in dem er über jene Verschrobenheiten spricht, die dessen Charakter so
unverwechselbar machten, ist der emotionale Höhepunkt des Films. Nicht die Ehe, sondern
»Love is the answer«. Diese ebenso schlichte wie allumfassende Wahrheit – eine Zeile aus dem
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3. Filmanalysen
John-Lennon-Song Mind Games – ist die Botschaft von Carries schottischer Hochzeitsrede. Bis
Charles »know[s] that for sure« vergeht allerdings mehr als ein Jahr.
Nicht nur die episodische Struktur von FOUR WEDDINGS AND A FUNERAL gleicht WHEN HARRY
MET SALLY... In beiden Filmen schafft erst die Bereitschaft des Mannes, sich unzweideutig zu seinen Gefühlen zu bekennen – seine Liebe zu erklären – die Voraussetzung für das Happy End,
wobei die Essenz von Harrys Bekenntnis große Ähnlichkeit mit Matthews Liebeserklärung an
den toten Freund besitzt. Auch musikalisch gibt es Berührungspunkte. In WHEN HARRY MET
SALLY... ist der aus Swing-Titeln bestehende Soundtrack ein zentrales atmosphärisches Element,
der Rückgriff auf die Musik der 1930er und 1940er wird in den 1990er Jahren zunehmend zu
einem Charakteristikum romantischer Komödien. FOUR WEDDINGS AND A FUNERAL beschränkt
diese musikalischen Reminiszenzen allerdings auf die Verwendung eines Titels: Am Filmanfang
und in der Brautkleid-Sequenz kommentiert der Gershwin-Song But Not for Me (hier in einer
Interpretation von Elton John) die Leerstelle in Charles’ Leben.
Dem 1960 geborenen Hugh Grant, dessen Filmkarriere 1987 mit der Rolle
eines Bisexuellen in der Merchant-IvoryProduktion MAURICE startete, bescherte
der Überraschungserfolg von FOUR WEDDINGS AND A FUNERAL den internationalen Durchbruch. Im Verlauf der 1990er
Jahre wird der Typus des jungenhaften,
unsicher stammelnden und nervös blinzelnden Junggesellen zu seinem MarkenHugh Grant
zeichen und er entwickelt sich zum einzigen männlichen Star, der eindeutig mit
einem romantischen Sub-Genre assoziiert wird. Grants Figuren wirken relativ unmännlich und
kompensieren ihre Unsicherheit im Umgang mit dem anderen Geschlecht mit spezifischem
Witz. Diese Unbeholfenheit in Liebesdingen scheint bei Frauen (auf und vor der Leinwand) gut
anzukommen. In seinen beiden (bisher) größten Erfolgen fühlt sich der Grant-Typus zu sehr
selbstbewussten Partnerinnen hingezogen. Sowohl in FOUR WEDDINGS AND A FUNERAL als auch in
NOTTING HILL (mit Julia Roberts) tritt eine amerikanische Traumfrau ins Leben des britischen
Junggesellen und übernimmt die Initiative. Beide Male sind die Frauen – über deren Leben man
weitaus weniger erfährt als über das des Protagonisten – sexuell erfahrener, beruflich erfolgreicher
und vermögender als der Mann. Dessen passiv-unsichere Attitüde sowie seine ausgeprägte (Liebes-)Leidensfähigkeit kennzeichnen ihn als einen jener ›feminisierten‹ oder ›melodramatisierten‹
Männer, die für die Renaissance des Liebesfilms charakteristisch sind.
BRIDGET JONES’S DIARY (2001)
Großstadt-Single, weiblich, über 30, sucht – verzweifelt! – Mann für’s Leben. Bridget Jones,
schokoladen-, zigaretten- und alkoholsüchtig, führt akribisch Tagebuch über ihre Sehnsüchte
und Laster – immer verbunden mit jener Sorte guter Vorsätze, die unmöglich in die Tat umzusetzen sind. In ihrer Disziplinlosigkeit ist die Titelheldin von Helen Fieldings 1996 erschienenem Bestseller Bridget Jones’s Diary eine von uns.
Auch die Film-Bridget in Gestalt von Renée Zellweger (oder genauer: Renée Zellweger in der
Gestalt von Bridget) ist eine von uns. Keine Stilikone – sondern eine durchschnittlich ge-
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