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3. FILMANALYSEN Die folgenden Filmanalysen fokussieren die Einbindung der ›Baukasten‹-Elemente in den Erzählverlauf von Filmen, die den Beginn bzw. Höhepunkt von Zyklen markieren oder als Einzelstück herausragen. Dabei zählt – auch wenn Rick Altman die Bedeutung prospektiver GenreÜberlegungen im ›Produzenten-Spiel‹ insgesamt relativiert1 – natürlich auch das (Sub-)Genre zu jenen Komponenten, die bei der Zyklen-Bildung hinterfragt werden. Für die genauere Betrachtung der Romance hat sich die Differenzierung in die folgenden SubGenres als sinnvoll erwiesen: Romantic Comedy, Romantic Drama, Romantic Costume Film, Romantic Ghost Film und Romantic Fairy Tale. ROMANCE Romantic Ghost Film Romantic Costume Film Romantic Fairy Tale Romantic Ghost Film Romantic Fairy Tale R O M A N T I C R O M A N T I C C O M E D Y D R A M A Romantic Ghost Film Romantic Costume Film Romantic Fairy Tale Romantic Ghost Film Romantic Fairy Tale Die beiden dominanten Kategorien, unter die sich alle Filme subsumieren lassen, sind die Romantic Comedy und das Romantic Drama. Die Zuordnung zu einem dieser beiden Sub-Genres lässt sich weitgehend auf Basis der Standardsituationen vornehmen, für die weitere Differenzierung in Romantic Costume Film, Romantic Ghost Film und Romantic Fairy Tale sind die Parameter Handlungszeit, Setting und Figuren bestimmend. In der Romantic Comedy dominieren die Standardsituationen, die zur Anfangsphase von Beziehungen zählen: Es geht um die Begegnung, das Kennenlernen und den heiter-verspielten Schwebezustandstand des Sich-Verliebens und Verliebt-Seins. Am Ende, nachdem kleinere Hindernisse und Meinungsverschiedenheiten aus dem Weg geräumt und minderschwere Missverständnisse geklärt sind, steht in der Regel das in die Zukunft gerichtete Glücksversprechen des Happily Ever After. Als Standardsituationen der körperlichen Intimität sind sowohl Berührungen als auch Küsse in jedem Film vorhanden.2 Die Darstellung von Sexualität beschränkt sich jedoch weitgehend auf das Davor und Danach oder verschiebt den Moment des ersten Beischlafs, der eine Art Markstein in der Beziehungs-Definition darstellt, ins Happily Ever After. Dessen Beginn wird weitaus häufiger mit einer (meist männlichen) Liebeserklärung als mit einem Heiratsantrag oder gar einer 1 2 Vgl. Altman 1999. Kusslose Ausnahme: SLEEPLESS IN SEATTLE. Anette Kaufmann, Der Liebesfilm Copyright by UVK 2007 145 3. Filmanalysen Hochzeit eingeleitet. Gelegentlich dokumentieren Epiloge mit einer Momentaufnahme den Fortbestand des Glücks über den Final Kiss hinaus. Im Romantic Drama liegt der Fokus auf dem Ende der Schwerelosigkeit. Die Standardsituationen nach dem Kennenlernen gewinnen an Gewicht. Es geht um das Lieben, das sich im Unterschied zum Verliebt-Sein als ernst- und manchmal schmerzhafte Angelegenheit darstellt. Längst nicht alle Beziehungs-Hindernisse und Widerstände können aus der Welt geschafft werden. Trennung, Verzicht oder Verlust durch Tod sind mögliche Schluss-Optionen. Erinnerungen an vergangenes Glück oder verpasste Glücks-Chancen gewinnen an Bedeutung. Desgleichen die Darstellung von Sexualität, zu deren Standardsitutionen häufiger als in der Romantic Comedy auch der Akt zählt – nicht zuletzt, weil mit dem (›echten‹) Orgasmus ein Indiz für ›erfüllte‹ Liebe geliefert wird. In den Verbotene-Liebe-Plots markiert der vollzogene Beischlaf die Verbotsüberschreitung bzw. den Betrug. Eine früh platzierte, detailliert ausgestaltete Beischlaf-Szene ist meist Kennzeichen eines Obsessions-Plots. In diesem Kontext sind Leidenschaft und auch der Orgasmus weniger Ausdruck von ›Liebe‹ als von triebgesteuerter Begierde (hinter der sich allerdings meist tiefere emotionale Bedürfnisse verbergen). Von den Erzählformeln gehören jene, in denen eine verbotene oder obsessive Liebe oder ein Opfer-Plot im Zentrum steht, meist zum Romantic Drama, während Cinderella-Plot, ›der Widerspenstigen Zähmung‹, Wiedervereinigung und Rollenspiel überwiegend in der Romantic Comedy zu finden sind. Oftmals ist jedoch nicht die Erzählformel, sondern die Gewichtung der Standardsituationen innerhalb dieses Rahmens entscheidend für die Zugehörigkeit zu einem der beiden Sub-Genres. Der Romantic Costume Film ist durch den Parameter Handlungszeit definiert. Dieses SubGenre rekurriert häufig auf Erzählformeln – Verbote, Pamela- und Opfer-Plot –, die im romantischen Genre Tradition haben, im Gegenwartskontext aufgrund der veränderten ›Verhältnisse‹ jedoch anachronistisch wirken würden. So beschreibt Jane Campion die Vorteile des historischen Settings für ihren Film THE PIANO: The great advantage in setting the story in 1850 lies in the possibility of developing characters who approach love, sex and eroticism naively, whose first experiences one can observe – there are no more such occasions for today. (Campion, in: Wexman (Hg.) 1999: 99) Ausstattung und Kostüme funktionieren mit Beginn des Films als Vergangenheits-Signal und das ›Es war einmal...‹ ermöglicht emotionale Identifikation mit dem erzählten Liebesschicksal bei gleichzeitiger Distanzierung von dessen unzeitgemäßen Inhalten. Das Jahr 1960, das ich als Datumsgrenze1 gewählt habe, ist insofern eine willkürliche Setzung, als die Historizität zwar in den meisten, aber nicht in allen Filme Auswirkungen auf die ›Moral‹ der Liebesgeschichte hat. So habe ich im Fall von THE ENGLISH PATIENT, THE QUIET AMERICAN und SHADOWLANDS die zeitliche Verankerung als weniger einflussreich bewertet und diese Filme im Kontext des Romantic Drama betrachtet. Kennzeichnend für den Romantic Ghost Film ist die Zugehörigkeit der Liebenden zu verschiedenen Realitäts- oder Zeitebenen (›Jenseits‹/Zwischenwelt; Vergangenheit). Die Happily-EverAfter-Perspektive ist hier von der Entscheidung für eine der beiden Dimensionen abhängig. Während einige märchenhafte Erzählformeln – insbesondere Cinderella- und Errettungs-Plot – in Romantic Comedy und Romantic Drama ›entzaubert‹ und in die Realität eingebunden werden, bleibt im Romantic Fairy Tale die Zauberwelt (zumindest partiell) erhalten. Charakteristisch für 1 Vgl. Kapitel 2.1. Anette Kaufmann, Der Liebesfilm Copyright by UVK 2007 146 3.1 Romantic Comedy dieses Sub-Genre ist das un-realistische Setting oder/und die Einbindung von Zauberwesen. Die irrealen Parameter von Romantic Ghost Film und Romantic Fairy Tale lassen sich in den Rahmen der anderen Sub-Genres einpassen, ohne diesen zu sprengen – sie fügen nur ihren jeweils eigenen Aspekt hinzu. So sind etwa die Romantic Ghost Films GHOST, CITY OF ANGELS und MEET JOE BLACK, in denen die andere Dimension, das ›Jenseits‹, eng mit dem Tod verknüpft ist, zugleich dem Romantic Drama zuzurechnen. THE PREACHER’S WIFE und KATE & LEOPOLD gehören hingegen zur Romantic Comedy. 3.1 Romantic Comedy 3.1.1 Mut zur Liebe: Working Girls & Großstadtsingles BROADCAST NEWS (1987) BROADCAST NEWS ist – neben MOONSTRUCK und WORKING GIRL – einer der Filme, die den Übergang zur New Romance markieren. Die Grundkonstellation ist ein Beziehungs-Dreieck: Aaron (Albert Brooks) liebt Jane (Holly Hunter), diese verliebt sich in Tom (William Hurt), der sich seiner Gefühle für sie nicht sicher ist. Noch gibt es kein Happy End und das Beziehungsleben der Figuren bewegt sich im Spannungsfeld aus Abwehr und Wunsch, das für den vorangegangenen Zyklus der ›Nervous Romances‹ charakteristisch ist1 – aber Autor/Regisseur/Produzent James L. Brooks2 suggests how his highly successful comedy BROADCAST NEWS is marked by the desire to return, nostalgically, to pre-1950s conceptions of romance: ›[...] when the whole thing was finished it was amazing to see we were still in the tradition of romantic comedy. [...].‹ (Neale/Krutnik 1990: 172 f.) Für den Unterschied zwischen ›Nervous‹ und New Romance ist – wie im Falle von Screwball und Romantic Comedy – die Gewichtung der Komödien-Elemente und das Geschlechter-Verhältnis von Bedeutung. Dominiert in den ›nervösen‹ Woody-Allen-Filmen die Komik von dessen tragik-komischer Kunstfigur, rückt in BROADCAST NEWS die von Holly Hunter gespielte Jane ins Handlungszentrum. Während sich Annie Hall oder die Frauenfiguren in MANHATTAN vor allem über ihre Beziehung zum jeweiligen Lebensabschnittsgefährten definieren und eine teilweise lächerliche pseudo-intellektuelle Attitüde an den Tag legen, ist Jane eine eigenständige Persönlichkeit, die in Bezug auf ihre Gefühle und Sehnsüchte seriös und authentisch wirkt – obwohl auch sie auf der Suche ist und ihre Neurosen pflegt. So wird sie regelmäßig von Heulattacken heimgesucht. Diese scheinen aus heiterem Himmel zu kommen und dauern nur wenige Minuten, in deren Verlauf sie das Telefon erst aus- und dann wieder einstöpselt, was der ganzen Angelegenheit einen rituellen und skurrilen Charakter verleiht. In mancher Hinsicht erscheint Jane als Vorwegnahme einer Figur wie Ally McBeal. BROADCAST NEWS beginnt mit einem Kindheits-Prolog, in dem die drei Hauptfiguren mit ihrem jeweils dominanten Charaktermerkmal vorgestellt werden. Bei Aaron und Jane sind Intellektualität und Wissensdurst gepaart mit Arroganz und Sturheit (Aaron) bzw. Besserwisserei und Kontrollwahn (Jane). Tom hingegen leidet sowohl unter den Kommentaren über sein gefälliges 1 2 Vgl. Neale/Krutnik 1990: 171 f. Brooks wurde in allen drei Funktionen für den Oscar® nominiert; Nominierungen erhielten auch die drei Hauptdarsteller sowie Kameramann Michael Ballhaus und Cutter Richard Marks. Anette Kaufmann, Der Liebesfilm Copyright by UVK 2007 147 3. Filmanalysen Äußeres als auch unter seinen schwachen schulischen Leistungen – ist aber schon als Kind klug genug, seine intellektuellen Defizite mit fremder Hilfe zu kompensieren. Im Unterschied zur wenig später entstandenen Romantic Comedy WHEN HARRY MET SALLY..., in der am Ende der Beweis erbracht wird, dass Männer und Frauen Freunde und Liebende sein können, präsentiert BROADCAST NEWS mit Jane und Aaron zunächst ein Paar, dessen Beziehung kaum freundschaftlicher sein könnte, das aber dennoch nicht zueinander findet. Beide arbeiten in Washington für einen Fernsehsender: Jane als Nachrichten-Producerin, Aaron als Reporter. Sie teilen die Leidenschaft für ihren Beruf und das journalistische Berufsethos. Auf dieser beruflichen Ebene, die den wichtigsten Platz in ihrem Leben einnimmt, können sie sich blind vertrauen. Das professionelle Vertrauensverhältnis geht einher mit einer starken emotionalen Bindung, die jedoch platonisch bleibt. Aaron bedenkt Jane zwar mit sehnsuchtsvollen Blicken, scheut aber davor zurück, sich ihr körperlich zu nähern, fürchtet er doch (nicht unbegründet) eine Zurückweisung und die Gefährdung der Freundschaft. »I would give anything if you were two people, so I could call up the one who’s my friend and tell her about the one that I like so much«, benennt Aaron seinen Zwiespalt. In dieser Formulierung spiegelt sich vor allem seine Ich-Bezogenheit wider, denn Aaron ist die Figur, die am meisten fordert und am wenigsten zu geben bereit ist. Während Jane sich immer wieder für den Freund einsetzt, interessiert sich dieser nur für ihre Gefühle oder Belange, wenn diese ihn selbst betreffen. Interessant erscheint mir in diesem Zusammenhang ein Hinweis, den ich in der Internet Movie Data Base (IMDb) gefunden habe: Aaron-Darsteller Albert Brooks »has been described as a West Coast Woody Allen«. Die Hauptrolle in WHEN HARRY MET SALLY... habe er abgelehnt, weil ihn das Drehbuch zu sehr an einen Woody-Allen-Film erinnert habe.1 Auch Aaron Altman ist eine solch ›woodyeske‹ Figur. Zunächst erscheint er als tragischer Held: ein Mann, der unglücklich ist, weil ihm sowohl die berufliche Anerkennung als auch die Erwiderung seiner Liebe versagt bleibt. Beim wiederholten Sehen des Films habe ich Aarons Rolle zunehmend als negativ empfunden. Bereits im Prolog wird die Figur als Intellektueller charakterisiert. Während diese Eigenschaft mit den Jahren durch professionelle Erfahrungen angereichert wird, hat sich Aarons Persönlichkeit jedoch kaum weiterentwickelt. Als erwachsener Mann versinkt er in Selbstmitleid und kompensiert seine Minderwertigkeitsgefühle mit Grobheit und Zynismus. Seine vermeintliche Kompromisslosigkeit beruht jedoch auch auf fehlenden Alternativen: Der Unscheinbare hat allen Grund, gegen die Welt des schönen Scheins zu agitieren. Das, was zunächst als schonungslose und zutreffende Analyse des von seinem Konkurrenten Tom verkörperten journalistischen Werteverfalls erscheint, ist in erster Linie eine Eifersuchtsreaktion und auch die abschließende Enthüllung einer journalistischen Todsünde erfolgt nicht im Interesse der professionellen Ethik. Wie den Woody-Allen-Figuren geht es auch diesem jüdischen Mann ausschließlich um die eigene Befindlichkeit. Emotional ist er noch immer ein Kind, das nach der Zuwendung einer Mutter schreit. Wer will es Jane verdenken, dass sie ›Aaron’s Complaint‹2 als erotisch wenig anziehend empfindet? Während sie den Freund und hochgeschätzten Kollegen als sexuelles Neutrum betrachtet, fühlt sie sich ausgerechnet zu Tom Grunick hingezogen. Toms Karriere beim Nachrichtensender basiert in erster Linie auf seiner gefälligen Außenwirkung. Er ist ein großer, schlanker Mann, blond und gutaussehend. Während sich die anderen für Inhalte und Organisation einer Nachrichten-Sondersendung interessieren, ist Tom mit der Auswahl von Hemd und Krawatte für 1 2 Vgl. http://german.imdb.com/name/nm0000983/bio (16.4.07). Philip Roths 1969 erschienener Roman Portnoy’s Complaint beschreibt das sexuelle ›Erwachen‹ des jüdischen Mannes. Anette Kaufmann, Der Liebesfilm Copyright by UVK 2007 148 3.1 Romantic Comedy deren Präsentation beschäftigt. In seiner Schreibtischschublade mit den Oberhemden liegt obenauf eine Haarbürste. Allerdings wird auch er nicht denunziert. Er kennt seine Grenzen und ist klug genug, die eigenen professionellen Defizite mithilfe qualifizierter Kollegen auszugleichen. Sein gewinnendes Charisma beruht auch auf einer gewissen Zurückhaltung. Während Aaron Unsicherheit und mangelndes Selbstvertrauen mit verletzendem Zynismus überspielt, gewinnt Tom die Sympathie der Kollegen, indem er sie um ihre Meinung und Rat fragt. So, wie er als Kind die Hilfe seines Vaters angenommen hat, sucht er sich nun auch im Sender kompetente Partner. Toms Beziehung zu Jane wird in diesem Punkt ambivalent geführt. Einerseits scheint hinter seinen Annäherungsversuchen auch Berechnung zu stecken, andererseits fühlt er sich durchaus glaubhaft von Janes Energie angezogen, die seine eigene Kraftlosigkeit auf ideale Weise ergänzen könnte. Nach einer Sondersendung, in der sich Tom dank Janes großartigem Management als Anchorman bewährt, fällt er enthusiastisch vor ihr auf die Knie: Der gemeinsame Rhythmus sei wie »great sex« gewesen. Janes Gedanken an Sex mit Tom sind allerdings weniger spiritueller Natur. Bevor sie gemeinsam mit ihm ein Korrespondenten-Dinner besucht, steckt sie eine Packung Kondome in ihr Abendtäschchen. Ausgerechnet dieser vorausschauende Akt ruiniert jedoch den Abend. Um der peinlichen Entdeckung der Präservative bei der Einlasskontrolle zu entgehen, überredet Jane ihren Begleiter zum vorzeitigen Verlassen des Dinners. Draußen scheint sich mit einem Kuss alles in die von ihr erhoffte Richtung zu entwickeln. Doch dann steht sie sich (einmal mehr) selbst im Weg. Als Tom bekennt: »I’ve been wondering what it would be like to be inside all that energy«, führt ihre nüchterne, mit dem Zurückziehen von Kopf und Oberkörper verbundene Antwort: »Me, too« zur Unterbrechung der romantischen Stimmung und einem wenig stimmungsvollen Dialog, in dem Jane in der ihr eigenen Art drei mögliche Interpretationen von Toms Aussage vorträgt. Als sie bei der Option ›Intimität‹ angelangt ist, verhindert sie deren Zustandekommen, indem sie Tom abrupt erklärt, sie müsse Aaron aufsuchen. Dieser hatte einen durch das Korrespondenten-Dinner entstandenen Personalengpass genutzt, um sein Glück als Nachrichtenmoderator zu versuchen. Der Bildschirmauftritt endet jedoch in einem persönlichen Fiasko. Der Mann, der so brillante Texte formulieren kann, ertrinkt vor der Kamera in seinem eigenen Schweiß. Vor dem Auftritt hatte Aaron mit der ihm eigenen Rücksichtslosigkeit bereits Janes Pläne für das Dinner ins Wanken gebracht. Unangemeldet drängt er in ihre Wohnung, um sich bei der Auswahl seiner Kleidung beraten zu lassen. Weil sie in seiner großen Stunde nicht an seiner Seite ist, macht er ihr ein schlechtes Gewissen und gibt ihr unmissverständlich zu verstehen, dass er am späten Abend fest mit ihrem Besuch rechnet. Als Jane tatsächlich vor seiner Tür steht, überspielt er seinen Misserfolg zunächst mit Sarkasmus und erwartet dann ganz selbstverständlich, dass die Freundin nun für ihn da ist und auf den Abend mit Tom verzichtet. Nach Janes zögernd, beinahe in Frageform formuliertem Bekenntnis: »I may be in love with him«, attackiert er sie mit einem Eifersuchts-Ausbruch. Zunächst verweist er sie barsch des Hauses, befiehlt ihr dann jedoch zu bleiben. Danach gibt er sich als neutraler, wohlwollender Freund. Und hat doch nichts anderes im Sinn als seine eigenen Interessen: You can’t end up with Tom, because it totally goes against everything that you’re about. [...] So don’t get me wrong when I tell you that Tom, while being a very nice guy, is the devil. [...] He personifies everything that you’ve been fighting against. And I’m in love with you. Trotz dieser Eröffnung scheint Jane im anschließenden Telefonat mit Tom eine Fortsetzung des unterbrochenen Dates in Erwägung zu ziehen. Nachdem sie dem Wartenden die Situation erklärt hat, schmiegt sie sich an den Türrahmen und verfällt in einen schmeichelnden Ton. Anette Kaufmann, Der Liebesfilm Copyright by UVK 2007 149 3. Filmanalysen Doch diesmal lässt Tom sie abblitzen: »Jane, I’m not some chore that you have to finish so you can stay on schedule.« Mit zufriedenem Gesicht registriert Aaron den Ausgang des Gesprächs. Aber auch seine Hoffnungen bleiben unerfüllt. Jane wird die Nacht zu Hause verbringen. Aaron trifft nach seinem unerwiderten Outing eine einsame Entscheidung, mit der er sich selbst zum unbeugsamen Helden stilisiert. Während im Rahmen einer Kündigungsmaßnahme viele Mitarbeiter unfreiwillig ihren Job verlieren, hat er auf seine Weiterbeschäftigung verzichtet und selbst gekündigt. Jane, die sich das Schicksal ihrer Kollegen sehr zu Herzen nimmt, weiß nichts von diesem Schritt. Man hat ihr (als erster Frau in der Sendergeschichte) den Posten der Redaktionsleiterin angeboten. Von ihrem gefeuerten Vorgänger lässt sie sich schließlich zum Bleiben überreden. Mit Toms Versetzung von Washington nach London zeichnet sich auch für diesen ein Karrieresprung ab, den er jedoch kaum zu realisieren scheint. Als Jane dem Vorschlag Toms zustimmt, vor dem Antritt der neuen beruflichen Engagements gemeinsam eine Woche fernab vom Sender zu verbringen, scheint sich ein Happy End anzubahnen. Doch Janes letztes Treffen mit Aaron macht diese Perspektive zunichte. Als sie über ihre Zukunftspläne sprechen, kränkt er die Freundin, indem er ihr ein Schicksal als fette, einsame Frau prophezeit. Im Weggehen holt der Verlierer zum entscheidenden Schlag gegen den siegreichen Konkurrenten aus: Er macht Jane auf dessen Verstoß gegen journalistische Grundsätze aufmerksam. Als Jane dem Hinweis nachgeht und feststellt, dass Tom ein von ihm geführtes Interview über Vergewaltigung tatsächlich mit einer nachträglich gestellten emotionalen Reaktion ›aufgepeppt‹ hat, gibt sie ihm unmittelbar vor Reiseantritt den Laufpass. Er besteigt den Flieger – sie bleibt allein zurück. Ein Epilog führt die Figuren sieben Jahre später noch einmal zusammen. Es ist das gleiche Treffen lokaler Fernsehanbieter, bei dem sich Jane und Tom am Anfang des Films begegnet sind. Diesmal tritt Tom als Redner auf. Als Moderator der Abendnachrichten ist er nun das Aushängeschild des Senders. Ausdrücklich weist er in seiner Rede darauf hin, dass er die sonst übliche Personalunion von Anchorman und verantwortlichem Redakteur abgelehnt hat. Es gebe Bessere als ihn für die Qualitätskontrolle. Unter den Zuhörern befindet sich auch Aaron mit seinem etwa sechsjährigen Sohn. Er arbeitet noch immer für einen Lokalsender in Portland. Gemeinsam gehen die Männer nach draußen, um Jane zu treffen. Entgegen Aarons gehässiger Prognose sieht sie blendend aus. Der Beruf wird sie wieder näher mit Tom zusammenbringen: Sie nimmt das Angebot an, als sein Managing Editor nach New York zu gehen. Da beide zwar anderweitig liiert, aber noch immer nicht verheiratet sind, rückt hier sogar ein Happy End wieder in den Bereich des Möglichen. Auch in BROADCAST NEWS ist das private Scheitern letztlich auf die Neudefinition der Geschlechterrollen zurückzuführen. Jane lebt für ihren Beruf. Im Engagement für die Sache wirkt sie ebenso authentisch wie in der emotionalen Betroffenheit über das Schicksal ihrer entlassenen Kollegen. Ihr Dilemma besteht jedoch nicht aus der Unvereinbarkeit von Karriere und Familie. Vielmehr ist sie unfähig, Berufsethos und Privatleben zu trennen. Toms professioneller Regelverstoß macht ihn auch privat zur Persona non grata. Während in BROADCAST NEWS das Berufsleben die Aktionsfläche für die Figuren bietet und die private mit professioneller Inkompatibilität begründet, blenden die meisten später entstandenen Filme den Konflikt zwischen weiblicher Karriere und Privatleben weitgehend aus. Meist wird nur ein beruflicher Status quo behauptet, der die private Erfüllung verhindert hat. Die Handlung beginnt an einem Punkt, an dem die Frau (meist unausgesprochen) bereit ist, ›Mut zur Liebe‹ zu beweisen und zugunsten der Familienplanung auszusteigen. Noch häufiger wird dieser Punkt – der nach dem Happy End liegt – überhaupt nicht thematisiert. Anette Kaufmann, Der Liebesfilm Copyright by UVK 2007 150 3.1 Romantic Comedy Das Bestreben, alles unter Kontrolle haben zu wollen, das Janes Arbeit als Producerin auszeichnet, erweist sich in Bezug auf das Gefühlsleben als Problem. Für eine Frau, die selbst für ihre Tränenausbrüche eine kontrollierbare Situation schafft, ist ›die Liebe‹ eine unkalkulierbare Größe. Das forsche, zielgerichtete Handeln, mit dem Jane beruflich erfolgreich ist, widerspricht den tradierten Rollenmustern und erschwert so das Zustandekommen von Beziehungen. Zwar ist es Tom, der die Begegnung mit Jane herbeiführt, indem er sie auf einer Tagung nach einem missglückten Vortrag anspricht. Doch bereits der Gestus seines Lobes lässt sich als ›weiblich‹ bezeichnen, denn er bringt die eigene ›Betroffenheit‹ ins Spiel. Danach übernimmt Jane die Führung und spricht Einladungen zum Abendessen und in ihr Hotelzimmer aus. Letztere unterstreicht sie mit einem energischen Ausstrecken des linken Arms. Zur Weiterführung des Gesprächs kniet sie sich vor die eine Seite des Doppelbetts, sodass sich Tom – will er von Angesicht zu Angesicht mit ihr kommunizieren – auf der anderen Seite des Möbelstücks niederlassen muss. Um sich gegen die Offensive zu wappnen, greift er jedoch gleich zu einem Kissen, das er als Barriere zwischen sich und Jane legt. Als sie sich ihm auf dem Bett entgegenrollt und spielerisch eine Rückenmassage vorschlägt, entzieht er sich dieser Bedrängnis und steht auf. Jane merkt, dass sie zu weit gegangen ist. Die Unterhaltung wird ohne weitere Annäherungsversuche fortgesetzt. Werden sonst eher die Frauen zum Objekt gemacht, ist es in BROADCAST NEWS William Hurt, der seine Haut zu Markte trägt und als Lustobjekt inszeniert und wahrgenommen wird, während die intellektuellen Fähigkeiten seiner Figur kaum überzeugen. Bereits in BODY HEAT verkörpert er einen Charakter, dem die Geliebte das zweifelhafte Kompliment macht: »You aren’t too bright. I like that in a man.« Die erste Einstellung auf Der ›feminisierte‹ Mann Tom zeigt ihn als Zuhörer von Janes Rede. Die Hand der neben ihm sitzenden, roséfarben gekleideten Blondine ruht besitzergreifend in seinem Schritt. Bei der anschließenden Begegnung mit Jane schaut die Kamera leicht auf ihn hinab. Diese Perspektive wird auch beibehalten, als Jane die Essens-Einladung ausspricht, die Tom mit mädchenhaft-kokettem Schieflegen des Kopfes annimmt. Die erste wirkliche Großaufnahme des Films erfasst sein Gesicht, als ihm Jane die Leviten in Bezug auf seine professionellen Defizite liest. Direkt danach steht er auf und verlässt ihr Hotelzimmer mit den Worten: »I hated the way you talked to me just now. And it wasn’t just because you were right.« An seinem ersten Arbeitstag im Sender durchquert Tom die Lobby des Bürogebäudes mit perfekt gefönter Frisur und luftig wippender Tolle. Und nachdem er mit seiner Kollegin in deren Bett gelandet ist, beginnt das Danach (der Akt ist nicht zu sehen) mit einer Nahen auf das verzückte Gesicht des Mannes, der – in ausgesprochen weiblicher Pose – verschwitzt auf dem Rücken liegt. Anschließend wird sein nackter (Ober-)Körper (ähnlich wie in BODY HEAT) zum Gegenstand der Betrachtung. Rückblickend erscheint der 1950 geborene William Hurt, mit drei Oscar®-Nominierungen in drei aufeinanderfolgenden Jahren (1985–87), als einer der wichtigsten männlichen Stars der späten 1980er. Mit seinen Rollen in KISS OF THE SPIDER WOMAN, CHILDREN OF A LESSER GOD, BROADCAST NEWS und THE ACCIDENTAL TOURIST verkörperte er wie kaum ein anderer amerikanischer Darsteller in dieser Dekade ›feminisierte‹ Männer.1 1 Seinen bisher einzigen Oscar® gewann Hurt für die Rolle des Homosexuellen in KISS OF THE SPIDER WOMAN. Anette Kaufmann, Der Liebesfilm Copyright by UVK 2007 151 3. Filmanalysen Während Aarons Gefühlswelt um die eigene Befindlichkeit kreist, besteht ein großer Teil von Toms Erfolg aus seiner Sensibilität für die Emotionen Anderer. Auch sein journalistisches Vergehen zielt auf den Gefühlsbereich. Die getürkte Einstellung zeigt, wie ihm als Zuhörer einer Vergewaltigungs-Schilderung eine Träne die Wange hinunterläuft. Und so mag Tom der schlechtere Journalist sein – verkörpert jedoch im sich verändernden Geschlechter-Verhältnis das frauenaffinere männliche Rollenmodell. Allerdings löst auch er sich letztlich nicht von tradierten Rollenmustern. Die Frau, die er im Epilog als seine Verlobte Lila vorstellt, gleicht seiner rosafarbenen Begleiterin vom Anfang. Beide repräsentieren optisch den als attraktiv geltenden Frauentypus jener Jahre: blonde lange Haare, groß und schlank, Perlenkette, dezent-weibliche Garderobe. Auch die von Ex-Model Lois Chiles verkörperte Journalisten-Kollegin, mit der Tom schläft, ist eine modifizierte Variante dieses Typus. Jane hingegen fällt bereits optisch aus dem Rahmen. Die nur 1,57 Meter große Holly Hunter ist ein drahtiges Persönchen mit brünetter Pagenkopffrisur. Aufgrund ihrer Statur muss sie zu den meisten Menschen aufschauen. Mit kampflustig nach vorne gerecktem Kinn tritt sie energisch für ihre Überzeugungen ein und widerspricht mit schmalen Lippen selbst dem Chef des Senders, wenn sie dies für nötig erachtet. Es käme dieser Frau niemals in den Sinn, zum Erreichen beruflicher Ziele ihre Weiblichkeit einzusetzen. Bei ihrer Rede zu Beginn des Films steckt sie in einem formlosen, schlammfarbenen Kleid – deutlich unterschieden vom pastellfarbenen Look der meisten Zuhörerinnen. Offensichtlich will die Rednerin nur durch Inhalt überzeugen. Anders als in den meisten Filmen, in denen die äußere Metamorphose zugleich die Veränderung der inneren Haltung visualisiert, bleibt sich Jane auch im schulterfreien Abendkleid treu: In der puppigen Verpackung, die sie für das KorrespondentenDinner ausgewählt hat, steckt noch immer die gleiche Person. Ein Kleidungsdetail definiert – wie nebenbei – Janes Beziehung zu Aaron. Bevor sie ins Taxi steigt, entfernt die zierliche Frau die Schulterpolster aus ihrem Jäckchen, um die Erscheinung des Mannes aufzupolstern. Dass Norbert Grob den Film in einer Zeit-Kritik aus dem Jahr 1988 dem Melodram zurechnet,1 lässt sich wahrscheinlich in erster Linie auf die bereits thematisierte Begriffsunschärfe und das fehlende Bewusstsein für die verschiedenen Spielarten des romantischen Genres zurückführen. Zugleich ist diese Zuordnung jedoch ein Beleg für den oft melodramatischen Gehalt romantischer Komödien. Wie eng Romantic Comedy und Romantic Drama manchmal beieinander liegen, zeigt ein Vergleich zwischen BROADCAST NEWS und THE WAY WE WERE. Die verhinderte Liebesgeschichte zwischen Jane und Tom besitzt auffällige Parallelen zur scheiternden Liebe des Paars Katie und Hubbell in dem von Sydney Pollack inszenierten Romantic Drama aus dem Jahr 1973. Die Handlung von THE WAY WE WERE beginnt im Frühjahr 1945, blendet dann (als Erinnerung der Protagonistin) zurück in die Vorkriegszeit und kehrt wieder an den Ausgangspunkt 1945 zurück. Danach wird die Geschichte (mit einigen Zeitsprüngen) über ca. sechs Jahre chronologisch entwickelt und springt am Ende für den Epilog um einige Jahre nach vorn. Interessant ist in diesem Zusammenhang Pollacks Einschätzung, dass die unchronologische Erzählstruktur2 mit der Erinnerungs-Sequenz als romantischer empfunden werde als eine streng chronologische Erzählweise. Tatsächlich bedienen sich einige der erfolgreichsten Romantic Dramas (auf unterschiedliche Weise) solcher Erinnerungs-Muster. Wie in BROADCAST NEWS hat auch in THE WAY WE WERE eine Frau, die nicht dem gängigen Schönheitsideal entspricht und sich für ihre Überzeugung engagiert, ein Auge auf einen überdurchschnittlich gutaussehenden Mann geworfen, dem es an Ehrgeiz fehlt: Die von Barbra Streisand verkörperte jüdische Kommunistin Katie begehrt den von Robert Redford dargestellten 1 2 Vgl. Grob 2003: 96. B – A – B – C; A = Vergangenheit, B=Gegenwart, C=Zukunft; DVD-Audio-Kommentar des Regisseurs. Anette Kaufmann, Der Liebesfilm Copyright by UVK 2007 152 3.1 Romantic Comedy WASP-Modellathleten und angehenden Schriftsteller Hubbell. Die Protagonistinnen beider Filme werden als beweglich und energiegeladen eingeführt, die Männer als passiv. Robert Redford ist – stärker noch als William Hurt – augenfällig als weiblicher Blickfang inszeniert. Die erste Einstellung auf Hubbell Gardiner folgt Katie Moroskys Blick: In weißer Ausgehuniform sitzt er am Ende eines Tresens. Seine Augen sind geschlossen. Eine Nahe auf Katie und eine schnelle Zufahrt auf den schlafenden Mann akzentuieren die Blick-Richtung. Nachdem sie beobachtet hat, wie sich eine Blondine vergeblich an Hubbell zu schaffen macht, geht Katie langsam auf ihn zu und berührt schließlich vorsichtig seine Haare. Mit dieser Geste wird die Rückblende eingeleitet, die ihn beim Joggen zeigt, während sie auf dem Campus Flugblätter gegen Franco verteilt. Eine Montage, über der die Titel und der Oscar®-prämierte Streisand-Song The Way We Were liegen, kontrastiert die verschiedenen Welten, in denen die beiden Protagonisten als Studenten leben. Um ihr Studium zu finanzieren, jobbt Katie als Kellnerin und bedient dort, wo Hubbell mit seinen Freunden konsumiert. Im Unterschied zu Tom beschränkt sich Hubbells Anziehungskraft allerdings nicht auf das physische Erscheinungsbild. Er hat auch Talent zum Schreiben – eine Begabung, die Katie für sich selbst ersehnt. Da es Hubbell an Ehrgeiz fehlt, ist dies der Punkt, in dem sich die beiden später auf ideale Weise ergänzen: Sie wird zur Triebfeder für seinen beruflichen Erfolg. Bis sie ihn damit überfordert. Die Rückblende schließt mit einem Tanz und Katies sehnsuchtsvollem Blick, nachdem Hubbell sie wieder an einen anderen Tänzer übergeben hat und davongeht. Dieser Blick wird langsam in eine Großaufnahme des noch immer schlafend am Tresen sitzenden Mannes überblendet. Als sie ihn mit seinem Namen anspricht, öffnet er langsam die Augen. Während sie ihn sofort wiedererkannt hat, scheint er in seinem Gedächtnis zu kramen. Im Taxi ist er bereits wieder eingeschlafen. Katie nimmt ihn mit in ihre Wohnung. Dort verschwindet er im Badezimmer, um sich zu übergeben. Und während Katie zur Musik von In the Mood hektisch Kaffee kocht, hat sich Hubbell (im Off ) bereits ausgezogen und in ihr Bett gelegt. Das Pfeifen des Wasserkessels reißt ihn kurz aus dem Schlaf, seine alarmierte Reaktion stellt einen Bezug zu den weniger ›schmucken‹ Seiten des Krieges her. Als Katie aus der Küche ins Schlafzimmer zurückkehrt, liegt er jedoch bereits wieder leise schnarchend auf dem Rücken. Mehrere Einstellungen geben seinen nackten Oberkörper der ungestörten Betrachtung preis. Katie entkleidet sich langsam und legt sich neben ihn. Vorsichtig streckt sie ihren linken Arm in seine Richtung. Es folgt eine der merkwürdigsten Liebesszenen der Filmgeschichte: Im Stadium schläfrig-betrunkener Bewusstlosigkeit rollt sich Hubbell auf Katie, beginnt mit dem Vorspiel, schläft mit ihr – und dann auf ihr ein. Für Katie erfüllt sich mit dieser Vereinigung einerseits ein Traum. Zugleich jedoch muss sie sich die Frage stellen, ob der Mann, der gerade mit ihr geschlafen hat, überhaupt realisiert, wer sie ist. Hubbells hastiger Aufbruch am nächsten Morgen spricht Bände. Die ›bewusste‹ Vereinigung findet erst bei einer späteren Begegnung statt. Trotz weltanschaulicher Differenzen, die sich vor allem am apolitischen Lebensstil von Hubbells Bekanntenkreis entzünden, wird aus Katie und Hubbell schließlich ein (Ehe-)Paar. Mit dem Umzug von der Ost- an die Westküste rückt Hubbells Karriere als Hollywood-Autor in den Mittelpunkt. Doch die Gemeinsamkeiten sind nicht stark genug, um die Differenzen dauerhaft zu überbrücken. Langfristig überfordern Katies (ideelle) Ansprüche den weniger ambitionierten Mann. Ihr wiederum gelingt es nicht, sich auf seinen eher oberflächlichen Lebensstil einzulassen. Die Liebesgeschichte des Paars endet mit einer (zuvor besprochenen) Trennung, unmittelbar nach Katies Entbindung. Auch THE WAY WE WERE schließt mit einem Epilog, der die beiden Protagonisten nach einigen Jahren noch einmal zusammengeführt. Beide sind in ihre Welt zurückgekehrt: Katie verteilt am Central Park Flugblätter gegen die Atombombe. Hubbell, der nun als Drehbuchautor fürs Fernsehen arbeitet, ist im Plaza abgestiegen. Während Katie inzwischen mit einem jüdischen Anette Kaufmann, Der Liebesfilm Copyright by UVK 2007 153 3. Filmanalysen Arzt verheiratet ist, befindet sich Hubbell in Begleitung einer Frau, die einen angepassten Gattinnen-Typus repräsentiert. Zur gemeinsamen Tochter hat er keinen Kontakt. In dieser letzten Sequenz dominiert die Wehmut über das Scheitern einer Liebe – wobei der Verlust, den Hubbell durch die Trennung erlitten hat, als der gravierendere erscheint. Ans Kämpfen und Verlieren gewöhnt, hat Katie sich neue Lebensinhalte gesucht, Hubbell hingegen führt ohne sie ein nur mittelmäßiges Leben (wenn auch auf hohem Niveau). Ausdrücklich erwähnt sei in diesem Zusammenhang noch einmal die Inszenierung von Robert Redford: Angefangen bei der bereits beschriebenen Einführung und der Bett-Szene, wird sein Körper immer wieder als Blickfang präsentiert. Während Hubbells Aussehen (bis auf den Wechsel zwischen Uniform und Zivilkleidung) weitgehend unverändert bleibt, spiegelt sich die Wandlung der weiblichen Figur – wie so oft – auch in deren äußerem Erscheinungsbild wider. Hier betrifft die Veränderung Katies Frisur: Am Ende ist sie zur Naturkrause ihrer Studentenzeit zurückgekehrt, die sie im ›angepassten‹ Mittelteil geglättet hatte. Im Audio-Kommentar der DVD weist Sydney Pollack auf zwei substanzielle Veränderungen am Drehbuch von Arthur Laurents hin. Zum einen habe er die politischen Verknüpfungen im Schnitt erheblich reduziert. In der Ursprungsfassung, die bei Testvorführungen durchfiel, war die Trennung des Paars während der McCarthy-Ära wesentlich durch die Spätfolgen von Katies kommunistischer Vergangenheit motiviert – in der Endfassung hingegen erscheint der Bruch vor allem als Konsequenz eines von Hubbell begangenen Ehebruchs. Dass die Frau, mit der er Katie betrügt, von derselben Darstellerin (Lois Chiles) verkörpert wird, die in BROADCAST NEWS Janes erotische Konkurrentin verkörpert, sei nur am Rande erwähnt. Die andere Veränderung betrifft die Gewichtung der beiden Protagonisten. Während sich Laurents Drehbuch auf die weibliche Hauptfigur konzentrierte, sei im Laufe der Überarbeitungen Hubbells Charakter erheblich gestärkt worden. Zutreffend weist Pollack in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung des Dual Focus für das Funktionieren einer Liebesgeschichte hin: The object of love stories is to make the audience care about both people and want them to be together – otherwise you don’t have a love story. Was die Zuordnung von BROADCAST NEWS zur Romantic Comedy bzw. von THE WAY WE WERE zum Romantic Drama angeht, ist dem Zerbrechen einer Beziehung grundsätzlich mehr dramatisches Gewicht beizumessen als dem Nicht-Zustandekommen einer Partnerschaft. In der Romantic Comedy geht es ›nur‹ um eine verpasste Zweisamkeits-Perspektive, im Romantic Drama hingegen um erlebten Verlust. Dreh- und Angelpunkt für die Beziehungs-Definition ist die Aufnahme eines körperlichen Verhältnisses. Am Beispiel von THE WAY WE WERE lässt sich auch die Mythenbildung innerhalb des Genres aufzeigen. Ähnlich wie AN AFFAIR TO REMEMBER für SLEEPLESS IN SEATTLES wird in einer Episode der in New York spielenden Fernsehserie SEX AND THE CITY der Film THE WAY WE WERE zum romantischen Bezugspunkt. In SEX AND THE CITY1 muss die Hauptfigur Carrie mit der Verlobung ihres ›Ex‹ Mr. Big fertig werden. Beim Gespräch über diese persönliche Krise erinnern sich drei der vier Freundinnen nahezu symbiotisch an den Epilog von THE WAY WE WERE. Lediglich die unromantisch nymphomane Freundin Samantha kennt den Film nicht. Ausgelöst durch Carries Erwähnung des Namens Hubbell kann jede der Drei aus dem Stand den Streisand-Song The Way We Were singen und den Epilog nacherzählen. Dabei werden Parallelen zwischen Katie und Carrie ›erkannt‹, wobei sich viel auf die Polarität gekräuselte (Katie/Carrie) bzw. glatte Haare (Ehefrau/Verlobte) konzentriert (störrische Locken = komplizierter Charakter). Bei der Begegnung 1 Folge 30/Finale Season II. Anette Kaufmann, Der Liebesfilm Copyright by UVK 2007 154 3.1 Romantic Comedy zwischen Carrie und dem frischverlobten Big, die im Anschluss an die Freundinnen-Sequenz vor dem Plaza stattfindet, streicht Carrie ihrem Ex-Freund eine Haarsträhne aus der Stirn und zitiert damit eine (zuvor thematisierte) Geste aus THE WAY WE WERE sowie einen Dialogsatz: »Your girl is lovely, Hubbell«, den Big nicht zuordnen kann: »I don’t get it?« »And you never did.« Original (THE WAY WE WERE) Zitat (SEX AND THE CITY) WHEN HARRY MET SALLY... (1989) Als Harry (Billy Crystal) und Sally (Meg Ryan) sich im Jahr 1977 auf dem Campus der Universität von Chicago zum ersten Mal begegnen, ist sie ein zickiges Collegegirl und er ein testosterongesteuertes Großmaul. Zusammengeführt hat sie eine Autofahrt nach New York. Dort soll für beide ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Sallys altes Auto ist Harrys Mitfahrgelegenheit. Obwohl es der Zuschauer besser weiß,1 spricht anfangs wenig dafür, dass nach dieser Begegnung aus Harry und Sally jemals ein Liebespaar werden könnte. Während der Fahrt vertritt Sally mit Vehemenz merkwürdige Ansichten. So sagt ihr der praktische Frauen-Verstand, dass sie an Ingrid Bergmans Stelle ebenfalls ins Flugzeug gestiegen und First Lady der Tschechoslowakei geworden wäre – anstatt mit einem Kneipenbesitzer in Casablanca hängenzubleiben. Als Zeichen von Sallys romantischem Reifeprozess weicht dieser pragmatische Ansatz im Laufe der Filmhandlung der konventionell-romantischen Sichtweise auf CASABLANCA. Die Modalitäten der 18-stündigen Autofahrt hat Sally ebenso akribisch ausgerechnet wie ihren Anteil am Imbiss. Im Diner sorgt ihre konfuse Sonderbestellung für Verwirrung bei der Kellnerin. Als Trennungsgrund von ihrem Freund, dessen Tauglichkeit für ›Great Sex‹ Harry allein aufgrund des Vornamens Sheldon vehement anzweifelt, gibt sie dessen Eifersucht an. Sheldon sei misstrauisch geworden, weil sich unter ihren Wochentage-Unterhosen kein Sonntags-Slip befand. Dabei ist Sally – natürlich – völlig schuldlos: Eine Sonntags-Unterhose fehlt in der Kollektion. »Because of God.« Harry kennt nur ein Thema: Sex. In der ersten Szene tauscht er einen langen Abschiedskuss mit seiner Freundin Amanda. Ein paar Stunden später wäre er bereit, auch Sally attraktiv zu finden. Aber seine Bagger-Versuche prallen an ihr ab, denn Sally hat Prinzipien: Ebenso wenig wie sie zwischen den Mahlzeiten isst, würde sie etwas mit dem Freund ihrer besten Freundin anfangen. Eine von Harrys Thesen, die er ausführlich erläutert, zieht sich als roter Faden durch den 1 Das heißt: Weiß er/sie das im Jahr 1989 tatsächlich? Anette Kaufmann, Der Liebesfilm Copyright by UVK 2007 155 3. Filmanalysen Film (und anschließend durch die Filmgeschichte): »Men and women can’t be friends because the sex part always gets in the way.« Die (vermeintliche) Unvereinbarkeit von Freundschaft und Liebe hat bereits den Denkern in früheren Jahrhunderten Kopfzerbrechen bereitet. So zitiert Peter Gay in seiner Studie Die zarte Leidenschaft den »Erzromantiker Lord Byron« mit folgender Aussage: »›Liebende mögen Feinde sein, und im allgemeinen sind sie es wirklich‹, schrieb er 1822, ›aber niemals können sie Freunde sein. [...] Vielmehr betrachte ich die Liebe ganz und gar als eine Art feindseliger Akt‹«(Gay 1987: 50). Nachdem sich die Wege der Fahrgemeinschaft am Washington Square ohne weitere Perspektive getrennt haben, begegnen sich Harry und Sally fünf Jahre später erneut. Diesmal ist Sally in einen Kuss versunken. Ihr Freund Joe hat sie zum Flughafen begleitet. Erleichtert (aber auch ein bisschen gekränkt) glaubt sie, Harry habe sie nicht wiedererkannt. Im Flugzeug weckt dann jedoch ihre umständliche Getränke-Bestellung seine Aufmerksamkeit und seine Erinnerung. Sally ist inzwischen, wie geplant, Journalistin geworden, Harry politischer Berater. Aus der Tatsache, dass Joe sie zum Flughafen begleitet hat, schließt Harry (der die Männer kennt), dass die Beziehung nicht älter als drei Wochen sein könne (es sind vier). Er selbst plant, sich in Kürze zu verheiraten. Obwohl Harry aufgrund der veränderten Lebens- und Beziehungs-Umstände seine These über ANNIE HALL Männer- und Frauenfreundschaft etwas modifiziert hat, lehnt Sally eine Verabredung zum Essen ab, sodass sich die Wege auf dem Laufband des Flughafens erneut trennen. WHEN HARRY MET SALLY... Weitere fünf Jahre später müssen Harry und Sally mit der Trennung von ihren Partnern fertig werden. Im Buchladen, bei der Ratgeber-Literatur,1 begegnen sie sich das dritte Mal. Und diesmal werden sie Freunde. Bis ihnen der Sex dazwischenkommt... Als sie ihren Freundschafts-Pakt schließen, zitiert das Bild die Schlusseinstellung von CASABLANCA, in der Humphrey Bogart und Claude Rains Seite an Seite, mit dem Rücken zur Kamera, in der Tiefe des Raums verschwinden: Hier wie dort signalisiert der Gang den ›Beginn einer wunderbaren PILLOW TALK Auch ein Zeit-Phänomen. Über das Leseverhalten in zeitgenössischen Romantic Comedies vgl. auch Babington/ Evans 1989: 270. 1 Anette Kaufmann, Der Liebesfilm Copyright by UVK 2007 156 3.1 Romantic Comedy Freundschaft‹. Die Originalszene aus CASABLANCA ist wenig später im Fernsehen zu sehen. Die Sequenz beginnt mit einem abendlichen Anruf von Harry, der Sally erreicht, als sie sich gerade CASABLANCA anschaut. Der Beginn des Gesprächs liegt über einer Montage aus einsamen Momenten und gemeinsamen Unternehmungen. Als im Fernsehen die Schlussszene des Klassikers läuft, wird das Telefonat im On weitergeführt. Ein Split Screen zeigt Harry und Sally in ihren Betten liegend, bei der zeitgleichen Rezeption des Films. Die beiden Bildhälften sind so nahtlos aneinandergefügt, dass die Illusion eines Doppelbetts entsteht. Auch die Wahl dieses Stilmittels ist eine Reminiszenz an Hollywood-Vorbilder. So ist unter anderem das telefonische ›Bettgeflüster‹ von Doris Day und Rock Hudson in PILLOW TALK in Split Screen aufgelöst. Insbesondere ein Badewannen-Telefonat, in dem sich die Füße der beiden Protagonisten in der Bildmitte zu berühren scheinen, schafft eine mit der Doppelbett-Sequenz vergleichbare RaumIllusion. Die Parallel-Rezeption von CASABLANCA liefert darüber hinaus einen Beleg für Hawkins’ These, dass Bogarts Rick der ideale Held sowohl für Männer als auch für Frauen ist.1 Frank Krutnik, der in seinem 1998 erschienenen Aufsatz Love Lies: Romantic Fabrication in Contemporary Romantic Comedy einen Vergleich zwischen WHEN HARRY MET SALLY... und den ›Nervous Romances‹ von Woody Allen zieht, weist im Zusammenhang mit der Verwendung des Split Screen zutreffend auf dessen unterschiedliche Funktion hin: Während Allen in ANNIE HALL mit der zweigeteilten Leinwand die Differenzen des Paars betont, unterstreicht diese in WHEN HARRY MET SALLY... dessen Gemeinsamkeiten.2 Die geteilte Leinwand ist nicht das einzige Element, das sowohl in Allens ›Nervous Romances‹ als auch in WHEN HARRY MET SALLY... Verwendung findet. Bereits mit der Schrifttype des Titels und der Musikauswahl (It Had to be You3) bezieht sich der von Rob Reiner inszenierte Film auf das Vorbild Woody Allen. Interessant ist jedoch vor allem die Variation dieser Elemente, mit der eine radikale Abkehr vom Beziehungs-Pessimismus der vorangegangen beiden Dekaden verbunden ist. Im Unterschied zu ANNIE HALL und MANHATTAN endet WHEN HARRY MET SALLY... mit der erneuten Hinwendung zur Frau und einem ungebrochenen Happy End – und kehrt somit zum Glücksversprechen der Romantic Comedy zurück. In ANNIE HALL: At the end of the affair, we’ve learned only two things for certain: That enduring relationships are very likely impossible in this time and place (i.e. New York City during Woody Allen’s lifetime), and that life without the search for relationship is unthinkable. (Ebert 1977) Für Harry und Sally hat diese Suche ein Ende. Nachdem sie Freunde geworden sind, diskutieren sie – ganz in der Tradition von Woody Allens New-York-Filmen – in den Straßen, Parks und Restaurants von Manhattan ihre Befindlichkeit und ihre Sicht auf das Beziehungs-Leben. Sally sucht nach dem Ende ihrer mehrjährigen nicht-ehelichen Beziehung nach einem geeigneten Partner für Ehe und Familiengründung. Harry ist, wie andere Protagonisten dieser Jahre, ein Opfer des ›narzisstischen Unabhängigkeitsstrebens der post-feministischen Frau‹.4 Er muss damit fertig werden, von seiner Frau Helen, einer Anwältin, die bei der Eheschließung ihren Mädchennamen behielt, ohne weitere Angabe von Gründen verlassen worden zu sein. Während seiner Single-Phase kompensiert er die Frustration über die gescheiterte Beziehung durch pro- 1 2 3 4 Vgl. Hawkins 1990: 30. Vgl. Krutnik 1998: 27. In ANNIE HALL wird der Song von der Titelheldin bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt sehr unsicher vorgetragen. In CASABLANCA ist It Had to be You einer von mehreren Musiktiteln, die Dooley Wilson am Klavier spielt. Vgl. Neale/Krutnik 1990: 172. Anette Kaufmann, Der Liebesfilm Copyright by UVK 2007 157 3. Filmanalysen miskuitives Verhalten, ist jedoch am Ende bereit, sich erneut liebend an eine Partnerin zu binden. Wie Isaac Davis in MANHATTAN rennt Harry zum Schluss durch die Straßen von New York, um zu seiner Auserwählten zu gelangen. Der Song, der seinen Lauf durch die Silvesternacht begleitet, ist erneut It Had to be You, gesungen von Frank Sinatra. In ANNIE HALL, It Had to be You registers the discrepancy between the values of old-fashioned romance and the uncertainties of modern love [...] WHEN HARRY MET SALLY uses it to underscore Harry’s conversion from hesitance to romantic commitment. (Krutnik 1998: 25) Unterschnitten mit Harrys Erinnerungen an Sally ist die Liedzeile »It had to be you« ganz wörtlich zu verstehen. In seinem Aufsatz »Willst Du Dein Herz mir schenken...« charakterisiert Thomas Koebner Harrys Lauf als »Last second-rescue« (Koebner 2004a: 69; Hervorhebung im Original). Im Unterschied zu Isaac, dessen blutjunge Freundin Tracy sich von ihrem abgehetzten (Ex-)Liebhaber nicht umstimmen lässt und Manhattan für sechs Monate verlässt, um in London eine Schauspielschule zu besuchen, gelingt Harry jedoch die (Selbst-)Rettung. Mit seiner Liebeserklärung beendet er einen schwelenden Konflikt und erobert endgültig Sallys Herz: I love that you get cold when it’s seventy one degrees out, I love that it takes you an hour and a half to order a sandwich, I love that you get a little crinkle above your nose when you’re looking at me like I’m nuts, I love that after I spend a day with you I can still smell your perfume on my clothes and I love that you are the last person I want to talk to before I go to sleep at night. And it’s not because I’m lonely, and it’s not because it’s New Years Eve. I came here tonight because when you realize you want to spend the rest of your life with somebody, you want the rest of the life to start as soon as possible. Es ist eine Liebeserklärung, die auf der Kenntnis und Akzeptanz des anderen Menschen beruht – (scheinbar) befreit von romantischen Verklärungen und Wunschbildern. »With all your faults, I love you still«, besingt in It Had to be You auch Frank Sinatra die Liebenswürdigkeit menschlicher Fehler. Genau dies aber bedient romantische Bedürfnisse – denn wünschen wir uns nicht alle, ein (idealer) Partner möge uns so akzeptieren, wie wir nun mal sind? Mit unseren Launen und Cellulite-Dellen an den Oberschenkeln... Auch Bridget Jones’ Lover Mark Darcy spielt sich – 15 Jahre nach Harry – mit der ausgesprochenen Zuneigung zu den weiblichen Problemzonen (»wobbly bits«) seiner Freundin in die Herzen der Zuschauerinnen. Im Moment der Identifikation vergisst man (wahrscheinlich), dass man nicht in Meg Ryans (oder Renée Zellwegers dehnbarer) Haut steckt und Sallys Macken nur drollige kleine Verschrobenheiten sind. Als Harry und Sally im Epilog auf dem Sofa sitzen und von ihrer Hochzeit berichten, spricht alles dafür, dass sie – nachdem sie nach zwölf Jahren und drei Monaten endlich als Paar zusammengefunden haben – auch gemeinsam alt werden. So, wie die fünf alten Ehepaare, die im Verlauf des Films ihre Liebesgeschichte quasi-dokumentarisch in die Kamera memoriert haben. Auch diese Arbeitssieg der Liebe Sequenzen haben ein stilistisches Äquivalent in ANNIE HALL. Dort dokumentieren Alvy Singers in die Kamera gesprochene Kommentare dessen subjektive Sicht auf seine kurzlebigen Beziehungen. Die Ehepaare in WHEN HARRY Anette Kaufmann, Der Liebesfilm Copyright by UVK 2007 158 3.1 Romantic Comedy MET SALLY... hingegen sind Repräsentanten des dauerhaften Zweisamkeits-Konzepts, das sich auch in der Rückkehr zur »dual-focused narrative« (Krutnik 1998: 26) manifestiert: Während in den Allen-Filmen der männliche Protagonist die Handlung (auch quantitativ) dominiert, ist das männlich/weibliche Szenen-Verhältnis in WHEN HARRY MET SALLY... ausgewogen. Allerdings weist Kathleen Rowe zutreffend darauf hin, dass sich die männliche Subjektivität nicht ganz verliert: »it is Harry [...], not Sally [...], whose thoughts are shared with the audience through the film’s only voice-over« (Rowe 1995: 197). Verläuft im Allen-Universum der weibliche Entwicklungsprozess konträr zu den Bedürfnissen des Mannes und führt dort noch unweigerlich zur Trennung, sorgt der gemeinsame Lernprozess der Figuren in WHEN HARRY MET SALLY... dafür, dass sie ihre Differenzen überwinden und am Ende als Paar zusammenfinden. Ihr Miteinander widerlegt Harrys These, dass Männer und Frauen keine Freunde sein können. Aus Freundschaft wird Liebe – mehr noch: Freundschaft ist deren Basis. Wobei der Übergang vom einen ins andere Stadium durch den ›Sex Part‹ markiert wird. This isn’t a romance of passion, although passion is present, but one that becomes possible only because the two people have grown up together, have matured until they can finally see clearly what they really want in a partner. (Ebert 1989) Der Paar-Gedanke ist für Frank Krutnik das Herzstück romantischer Komödien: »At the heart of all romantic comedy is the fantasy of the transcedent couple, achieved through mutual learning, negotiation and exchange« (Krutnik 1998: 22 f.). Zugleich begreift er jedoch dieses Partnerschafts-Ideal auch als eine jener ›Liebeslügen‹, die charakteristisch für die Renaissance der Romantic Comedy seien: »Post-liberationist new romancers, these films suggest, must learn to love, learn to lie, learn to love the lie« (ebd.: 33). Für Christiane Peitz ist WHEN HARRY MET SALLY... genauso eine Schmonzette wie SCHLAFLOS IN SEATTLE, aber immerhin gibt es Meg Ryans simulierten Orgasmus, der mehr über den Geschlechterkampf und das Hollywood-Tabu Sexualität besagt als ganze Studien über Emanzipation oder Zensur. (Peitz 1995: 68) Nora Ephrons Einschätzung, dass Sex der ›Tod der romantischen Komödie‹ gewesen sei, habe ich bereits im Einleitungsteil zitiert. In ihrem Drehbuch zu WHEN HARRY MET SALLY... ist die Bewertung des ›Sex Part‹ ein zentrales Thema. Unter anderem wird vorgeführt, wie aus der (vermeintlich) sexuellen Befreiung Leistungsdruck entsteht – für beide Geschlechter. So meint Sally in der ersten Episode richtigstellen zu müssen, dass sie sehr wohl »great sex« habe. Denn ›guten Sex‹ zu haben, zählt in den ausgehenden 1970ern, in denen diese Episode spielt, zum Selbstverständnis der modernen Frau. Diese hat gelernt, dass die Erzeugung des weiblichen Orgasmus zu den männlichen Liebes-Pflichten gehört und empfindet ihrerseits die Pflicht zum lustvollen sexuellen Erleben. Shere Hite, die in den frühen 1970ern die Sexualität der amerikanischen Frau per Fragebogen erforschte und ihre Ergebnisse 1976 in The Hite Report: A Nationwide Study of Female Sexuality publizierte, konstatiert: Frauen stehen heute unter dem großen Druck, einen Orgasmus haben zu müssen, besonders während des Geschlechtsverkehrs. Es ist völlig selbstverständlich, daß Frauen ein Recht auf Orgasmus beim Sex haben, denn das gehört zum natürlichen Ablauf der Dinge. Seit es sich jedoch herumgesprochen hat, daß ›auch‹ Frauen den Sex genießen dürfen, würde dieses neue ›Recht‹ zu einer Belastung. Frauen sind dazu da, um mit ihrem Orgasmus dem Mann Freude zu bereiten und nicht sich selbst. [...] Es Anette Kaufmann, Der Liebesfilm Copyright by UVK 2007 159 3. Filmanalysen gibt auch einen gesellschaftlichen Druck: Eine Frau, die einen Orgasmus hat, gilt als ›Vollweib‹, eben als ›richtige‹ Frau. (Hite 1977: 107 f.; Hervorhebungen im Original) Von 1664 Frauen antworteten auf die Frage: »Täuschen Sie einen Orgasmus vor?« 567 mit »Ja«, 775 mit »Nein« und 318 mit »früher«, vier waren der Ansicht, dies sei »zwecklos, da nicht überzeugend« (ebd.: 223). Die Pflicht zur Lust kommentiert auch Alice Schwarzer in ihrer 1975 erschienenen emanzipatorischen Schrift Der »kleine Unterschied« und seine großen Folgen. Unter der Überschrift »Die Lüge von der sexuellen Befreiung« resümiert sie: Frauen müssen die nicht vorhandene Lust nun auch noch vorspielen. Früher konnten Frauen sich aus Prüderie oder Angst vor unerwünschter Schwangerschaft wenigstens verweigern, wenn sie keine Lust hatten, heute haben sie dank Aufklärung und Pille zur Verfügung zu stehen. (Schwarzer 1975: 179) Die Qualität von Sallys sexuellen Erfahrungen wird im Film mit ihrer – mittlerweile legendären – Darbietung eines Fake Orgasm inmitten eines vollbesetzten Restaurants infrage gestellt. Dass eine Frau in der Lage ist, in völlig unpassender Umgebung aus dem Stand einen (akustisch und mimisch) überzeugenden Orgasmus vorzutäuschen, erzählt unmissverständlich, dass sie diese Fähigkeit bereits praktisch zur Anwendung gebracht hat. Der vorgetäuschte Orgasmus demonstriert eine der weiblichen Strategien, sich dem sexuellen Leistungsdruck gleichermaßen unterzuordnen und zu entziehen. Wobei Sallys Orgasmus-Vorstellung mit der Tatsache in Beziehung gesetzt werden muss, dass sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit Harry geschlafen hat. Letztlich vertritt nämlich auch WHEN HARRY MET SALLY... die These, dass Sex mit dem richtigen Mann zur ganzheitlichen Befriedigung der Frau führt – allerdings wirkt Sallys verklärtes ZahnpastaLächeln nach ihrem ersten Mal mit Harry einen Hauch zu glückselig...1 Aber auch der Mann muss sich unter Druck gesetzt fühlen. Das erste Kapitel von Bernie Zilbergelds 1992 erschienenem Buch über ›die neue Sexualität der Männer‹ trägt die Überschrift: »Wie Männer zu Leistungssportlern abgerichtet werden« (Zilbergeld 1992: 21). Die OrgasmusPflicht des ›Vollweibs‹ korrespondiert mit der Forderung an den Mann, ihr diesen zu ›besorgen‹, und der vorgespielte Orgasmus bedeutet, dass er in diesem Punkt versagt hat. Dass eine NormalFrau wie Sally einen Orgasmus vorzutäuschen in der Lage ist, muss das männliche Weltbild nachhaltig erschüttert haben. Zumal das eines Sexual-Athleten wie Harry, den der Leistungsdruck bis in den Schlaf verfolgt. Sallys Orgasmus-Vorstellung bestätigt männliche Ängste, die unter anderem in früher entstandenen Woody-Allen-Filmen thematisiert wurden. So beschäftigt sich eine der Episoden von EVERYTHING YOU ALWAYS WANTED TO KNOW ABOUT SEX BUT WERE AFRAID TO ASK mit weiblicher Frigidität und Orgasmusschwierigkeiten und in ANNIE HALL ›verlässt‹ Annie beim Sex gelangweilt ihren Körper. Auch Zilbergeld nimmt in seinen Ausführungen ausdrücklich auf Sallys Orgasmus-Vorstellung Bezug und betont deren geschlechtsspezifische Bewertung: Viele Männer weigern sich zu glauben, daß Frauen Orgasmen vortäuschen. Die Publikumsreaktionen zu dem Film WHEN HARRY MET SALLY sind hierzu sehr aufschlußreich. Ich habe die Szene mit dem vorgetäuschten Orgasmus [...] sehr oft in Klassen, Workshops und auch zweimal im Kino gesehen. Die Frauen lachen immer unisono voller Verständnis – sie wissen genau, was vor sich geht – aber ein Großteil der Männer scheint perplex und einige, wie Billy Crystal, weigern sich strikt zu glauben, daß so etwas im echten Leben, zumindest in ihrem Leben passieren kann. (Zilbergeld 1994: 611) 1 Vgl. auch Krutnik 1998: 35. Anette Kaufmann, Der Liebesfilm Copyright by UVK 2007 160 3.1 Romantic Comedy Dabei sind die – vom Leistungsdruck befreiten – Ansprüche der Normal-Frau Sally insgesamt eher bescheiden: In deren einziger sexueller Phantasie reißt ihr ein gesichtsloser Mann die Kleider vom Leib – wobei die Variationen ihres Traums lediglich aus wechselnden Kleidungsstücken bestehen. Die eigentliche Sehnsucht gilt der familiären Geborgenheit. Auch Sally wünscht sich eine Familie. Ihre biologische Uhr tickt, das böse 40. Lebensjahr steht aus ihrer Sicht unmittelbar bevor (sie ist 32...). Ernüchtert hat sie zur Kenntnis genommen, dass sie bisher auf Kinder verzichtete, ohne die theoretischen Freiheiten der Kinderlosigkeit – wie spontane Kurzreisen nach Rom oder Spontan-Sex auf dem Küchenboden – praktisch zu genießen. (Die Option auf ) ›Great Sex‹ erscheint hier lediglich als Surrogat für das Leben an der Seite von Mr. Right. Wie überhaupt der Sex – obwohl so viel über ihn geredet wird – letztlich nicht so wichtig ist. Zumindest nicht im Partnerschafts-Ideal, das der Film vertritt: »[T]he best way to get rid of sex as an issue is to get married, since married people always seem too tired for sex« (Ebert 1989). Die Suche nach dem/der Richtigen unter all den Großstadt-Singles ist das zweite große Thema von WHEN HARRY MET SALLY... Es ist ein Thema, das das folgende Jahrzehnt bestimmen wird. Eine neue Protagonistin rückt in den Mittelpunkt der filmischen und literarischen Fiktion: die unverheiratete, beruflich erfolgreiche Frau Anfang 30. Der berufliche Erfolg ist Bestandteil ihrer Lebensplanung. Bis sie im Job reüssiert hat, vernachlässigt sie den traditionellen Part des FrauSeins: das Heiraten und Kinderkriegen. Erst wenn sie das berufliche Ziel erreicht hat, begibt sie sich ernsthaft auf die Suche nach Mr. Right, da dessen verfrühtes Auftauchen die Karriereplanung durcheinander bringen würde. Wurden vergleichbare Frauenfiguren kurz zuvor in Filmen wie FATAL ATTRACTION oder WORKING GIRL noch dämonisiert oder in die Rolle der negativen Antagonistin gedrängt, avancieren sie zu positiven Heldinnen der 1990er. Zur ›Strafe‹ für den Egoismus befällt sie allerdings biologische Torschlusspanik – und die Erkenntnis, dass das Angebot der infrage kommenden, ungebundenen Männer begrenzt ist und von der Nachfrage durch bindungswillige Frauen deutlich übertroffen wird. Eine dieser typischen Single-Frauen steht 1988 – mehr als zehn Jahre vor SEX AND THE CITY – bereits im Mittelpunkt von Elizabeth Dunkels Zeitgeist-Roman Every Woman Loves a Russian Poet: Als weiblicher Single in Manhattan zu leben war grauenhaft. Nein, schlimmer noch: Es war ein Klischee! Und sie, Kate Odinokov, war zu einer Zahl in der Statistik geworden! Dann war diese drastische Titelstory in Newsweek über die Heiratschancen einer Frau über dreißig erschienen. Und diese Chancen standen nicht sehr gut. (Dunkel 1990: 15) Kate sehnt sich »so sehr danach, ein ›normales‹ Leben zu führen, endlich befreit von diesem ständigen Zwang, Verbindungen zu knüpfen« (ebd.: 11). Unter diesem Zwang leiden auch die Figuren in WHEN HARRY MET SALLY... Für Harry und Sally ist es vordringlich, nach der Trennung wieder einen neuen Partner zu finden. Ihre ersten Dates verlaufen unbefriedigend. Auch ein Kuppelversuch im Freundeskreis endet anders als geplant: Anstatt überkreuz in Harry bzw. Sally verlieben sich deren beste Freunde Jess und Marie ineinander. Am Beispiel von Marie, die bei einem Treffen mit ihren Freundinnen einen Rolodex mit den Namen vermeintlich vakanter Männer bei sich trägt, wird zuvor als Running Gag eine andere weibliche Single-Option durchgespielt: der Geliebten-Status. Marie hat seit Jahren ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann. Allen – auch Marie – ist klar, dass dieser seine Ehefrau niemals verlassen wird. Aber noch schlimmer als diese perspektivlose Verbindung wäre der völlig männerlose Zustand. Dabei hat Marie (gespielt von der 1956 geborenen Carrie Fisher) das ›Verfallsdatum‹ für den weiblichen Single-Markt eigentlich längst erreicht. Als sie schließlich in Harrys Freund Jess eine verwandte Seele und einen Mann zum Heiraten findet, ist sie sehr erleichtert. Friedlich und asexuell liegen Anette Kaufmann, Der Liebesfilm Copyright by UVK 2007 161 3. Filmanalysen die beiden Verlobten nebeneinander im Doppelbett und Marie seufzt angesichts der Liebes-Nöte von Harry und Sally: »Tell me I’ll never be out there again.« FOUR WEDDINGS AND A FUNERAL (1994) Charles (Hugh Grant) verschläft gern. Besonders, wenn geheiratet wird. Beinahe verschläft er sogar sein eigenes Glück und landet mit der falschen Frau vor dem Traualtar. Verliebt hat sich der schüchterne Brite in die Amerikanerin Carrie (Andie MacDowell), die ihm mit ihrem großen schwarzen Hut auf der ersten der titelgebenden vier Hochzeiten sofort ins Auge fällt. Auf sein Kompliment (für den Hut) reagiert sie zwar zugewandt, dennoch führen Charles’ zurückhaltend-unbeholfene Kontakterweiterungs-Versuche zunächst nicht zum Erfolg. Selbstironisch fragt er einen Freund: »Do you think there really are people who can just go up and say: ›Hi, babe. Name’s Charles. This is your lucky night‹?« Die Antwort: »Well, if there are, they’re not English«, charakterisiert eine Besonderheit von FOUR WEDDINGS AND A FUNERAL: Die Liebes- und Beziehungsgeschichten, die BLACK-ADDER- und MR.-BEAN-Autor Richard Curtis in dieser britischen Romantic Comedy entwickelt, leben wesentlich von der genau beobachteten, humorvollen Darstellung nationaler Eigenheiten. Dass der gehemmte Charles am Abend der Hochzeitsfeierlichkeiten mit Carrie im Hotelbett landet, ist ausschließlich deren Initiative zu verdanken. In einer Umkehr der üblichen RollenMuster erlöst sie ihn ritterlich von einer quälenden Konversation mit einem anderen Hotelgast, indem sie sich als seine Ehefrau ausgibt. Danach leitet sie mit dem Küssen die nächtliche Liebesszene ein. In dieser Situation – konventionell in Körper-Details aufgelöst und mit zahlreichen Überblendungen arbeitend – besteht Parität zwischen den Geschlechtern. Ungewöhnlich ist allenfalls die Weiterführung der vergleichsweise geschliffenen Konversation während des Akts. Normalerweise wird beim Sex in Filmen nicht so viel und reflektiert geredet. Eine Fortsetzung findet der Rollentausch am ›Morgen danach‹: In der Manier eines sich heimlich davonstehlenden Liebhabers schließt Carrie vorsichtig den Reißverschluss ihrer Reisetasche, während Charles langsam aus dem Schlaf erwacht. Bevor sie zurück in die USA reist, stürzt sie den im Bett liegenden Junggesellen allerdings erheblich in Verwirrung, indem sie ihn mit ernster Miene nach der Bekanntgabe der Verlobung fragt. Als Charles nach kurzem Schreckmoment realisiert, dass sich Carrie einen Scherz mit ihm erlaubt hat, verwandelt sich die verwirrte Anspannung auf seinem Gesicht in erleichtertes Grinsen. Die Bemerkung, er habe für einen Moment gedacht, sie sei Glenn Close und er komme nach Hause und finde sein Kaninchen im Kochtopf, charakterisiert Charles’ Eigenheit, seine Gefühle auf Umwegen auszudrücken. Darüber hinaus betont der Verweis auf FATAL ATTRACTION die Bedeutung dieses Films als kollektive männliche Angstphantasie der frühen 1990er. Hinter Carries Scherz verbirgt sich allerdings die durchaus ernsthafte Frage nach einer gemeinsamen Zukunft – die hier durch Charles’ Reaktion verneint wird. Bei der Wiederbegegnung am Rande der nächsten Hochzeitsfeierlichkeiten ist Carrie mit einem älteren, reichen und nicht sonderlich sympathischen Schotten verlobt – was sie allerdings nicht daran hindert, nach dessen Abreise die erotische Beziehung zu Charles für eine Nacht wieder aufleben zu lassen. In der nächsten Episode flattert – an einem ansonsten heiratsfreien Wochenende – die Einladung zu Carries Vermählung ins Haus. Im Geschäft, in dem die Hochzeitsliste ausliegt, trifft Charles erneut auf seine Traumfrau und begleitet sie zum Kauf des Brautkleids. Im daran anschließenden Gespräch in einem Bistro – eine Situation, die sowohl Parallelen zur Fake-Orgasm-Szene aus WHEN HARRY MET SALLY... als auch zum Impotenz-Gespräch in SEX, LIES, AND Anette Kaufmann, Der Liebesfilm Copyright by UVK 2007 162 3.1 Romantic Comedy erkennen lässt – unterhalten sich die beiden über die Anzahl ihrer verflossenen Liebhaber/innen, wobei Carries Quote (33) die von Charles (9) bei weitem übertrifft. Die Sequenz endet mit seinem verbal höchst verschlungenen Versuch, ihr seine Liebe zu gestehen: »[...] eh, the words of David Cassidy in fact, eh, while he was still with the Partridge family, eh, ›I think I love you‹, [...]« – dann jedoch zieht er sich erneut zurück, sodass auch diese Begegnung mit einer Trennung endet. Einen Monat später schaut Charles – wie immer verspätet – tatenlos zu, wie seine Traumfrau dem Anderen das Ja-Wort gibt. Doch die Verbindung steht unter keinem guten Stern: Bei der Ansprache des Bräutigams erleidet der liebenswert-exaltierte Homosexuelle Gareth einen Herzinfarkt und stirbt. Auf der Trauerfeier hält Gareths Lebensgefährte Matthew eine bewegende Rede, die bei Charles und seinen Freunden Nachdenklichkeit über das Wesen von Zweier-Beziehungen und die eigenen Ansprüche auslöst. Zehn Monate später ist eine weitere Hochzeit geplant. Diesmal soll Charles unter die Haube gebracht werden. Seine Freunde sorgen dafür, dass er ausnahmsweise pünktlich in der Kirche erscheint. Doch dort wird er definitiv auf die falsche Braut treffen: Henrietta – eine Ex-Freundin, die auf der zweiten Hochzeit heulend eine Aussprache gesucht und auf der dritten krampfhaft ›Hen im Glück‹ gespielt hat, will Charles’ Leben als »serial monogamist« ein Ende bereiten. Auch Carrie ist gekommen. Dass sie bereits wieder von Hamish getrennt ist, stürzt Charles unmittelbar vor der Trauung mit Mrs. Wrong in eine tiefe Krise. Auf dem Weg zu Carries Sitzplatz schreiten die beiden im Mittelgang der Kirche ein kurzes Stück wie Braut und Bräutigam nebeneinander her. Doch anstatt sich endlich zu seinen Gefühlen zu bekennen, trottet das Junggesellen-Lamm freiwillig zur Ehe-Schlachtbank. Unmittelbar vor dem Gelöbnis ergreift dann jedoch – als Retter in letzter Sekunde – Charles’ taubstummer Bruder David das Wort. Charles muss übersetzen, was er sich selbst nicht zu sagen traut: »I think the groom really loves someone else!« Als er dies auf Nachfrage des Pfarrers bestätigt, streckt ihn die gedemütigte Braut mit einem Fausthieb zu Boden. Das anschließende Wunden-Lecken im Kreise der Freunde wird durch ein Klingeln an der Tür unterbrochen. Draußen steht die völlig durchnässte Carrie. Im strömenden Regen erklärt ihr Charles – endlich – seine Liebe. Weil das Heiraten jedoch erwiesenermaßen mit Unwägbarkeiten und Peinlichkeiten verbunden ist, mündet sein Bekenntnis in einen Nichtheirats-Antrag: VIDEOTAPE Do you think, after we’ve dried off, after we’ve spent lots more time together, you might agree not to marry me? And do you think not being married to me might maybe be something you’d consider doing for the rest of your life? Carrie beantwortet den Antrag mit der traditionellen Verehelichungs-Formel: »I do.« Nach dem Final Kiss schwenkt die Kamera in den von einem Blitz zerrissenen Gewitter-Himmel. Und während das Liebespaar gewillt ist, sich ohne Trauschein zu binden, werden im Epilog die Biographien der anderen Figuren mit weiteren Hochzeiten abgerundet. Der Londoner Freundeskreises, der in FOUR WEDDINGS AND A FUNERAL vorgestellt wird, besteht überwiegend aus Singles – mit Anfang/Mitte 30 nicht mehr ganz jung – auf der Suche nach einem Lebenspartner. ›Gefunden‹ hat sich einzig das homosexuelle Paar Gareth und Matthew, das bereits im Prolog mit ein paar zärtlich-zugewandten Gesten als offensichtlich glückliche Lebensgemeinschaft charakterisiert wird. Matthews liebevolle Trauerrede auf seinen verstorbenen Freund, in dem er über jene Verschrobenheiten spricht, die dessen Charakter so unverwechselbar machten, ist der emotionale Höhepunkt des Films. Nicht die Ehe, sondern »Love is the answer«. Diese ebenso schlichte wie allumfassende Wahrheit – eine Zeile aus dem Anette Kaufmann, Der Liebesfilm Copyright by UVK 2007 163 3. Filmanalysen John-Lennon-Song Mind Games – ist die Botschaft von Carries schottischer Hochzeitsrede. Bis Charles »know[s] that for sure« vergeht allerdings mehr als ein Jahr. Nicht nur die episodische Struktur von FOUR WEDDINGS AND A FUNERAL gleicht WHEN HARRY MET SALLY... In beiden Filmen schafft erst die Bereitschaft des Mannes, sich unzweideutig zu seinen Gefühlen zu bekennen – seine Liebe zu erklären – die Voraussetzung für das Happy End, wobei die Essenz von Harrys Bekenntnis große Ähnlichkeit mit Matthews Liebeserklärung an den toten Freund besitzt. Auch musikalisch gibt es Berührungspunkte. In WHEN HARRY MET SALLY... ist der aus Swing-Titeln bestehende Soundtrack ein zentrales atmosphärisches Element, der Rückgriff auf die Musik der 1930er und 1940er wird in den 1990er Jahren zunehmend zu einem Charakteristikum romantischer Komödien. FOUR WEDDINGS AND A FUNERAL beschränkt diese musikalischen Reminiszenzen allerdings auf die Verwendung eines Titels: Am Filmanfang und in der Brautkleid-Sequenz kommentiert der Gershwin-Song But Not for Me (hier in einer Interpretation von Elton John) die Leerstelle in Charles’ Leben. Dem 1960 geborenen Hugh Grant, dessen Filmkarriere 1987 mit der Rolle eines Bisexuellen in der Merchant-IvoryProduktion MAURICE startete, bescherte der Überraschungserfolg von FOUR WEDDINGS AND A FUNERAL den internationalen Durchbruch. Im Verlauf der 1990er Jahre wird der Typus des jungenhaften, unsicher stammelnden und nervös blinzelnden Junggesellen zu seinem MarkenHugh Grant zeichen und er entwickelt sich zum einzigen männlichen Star, der eindeutig mit einem romantischen Sub-Genre assoziiert wird. Grants Figuren wirken relativ unmännlich und kompensieren ihre Unsicherheit im Umgang mit dem anderen Geschlecht mit spezifischem Witz. Diese Unbeholfenheit in Liebesdingen scheint bei Frauen (auf und vor der Leinwand) gut anzukommen. In seinen beiden (bisher) größten Erfolgen fühlt sich der Grant-Typus zu sehr selbstbewussten Partnerinnen hingezogen. Sowohl in FOUR WEDDINGS AND A FUNERAL als auch in NOTTING HILL (mit Julia Roberts) tritt eine amerikanische Traumfrau ins Leben des britischen Junggesellen und übernimmt die Initiative. Beide Male sind die Frauen – über deren Leben man weitaus weniger erfährt als über das des Protagonisten – sexuell erfahrener, beruflich erfolgreicher und vermögender als der Mann. Dessen passiv-unsichere Attitüde sowie seine ausgeprägte (Liebes-)Leidensfähigkeit kennzeichnen ihn als einen jener ›feminisierten‹ oder ›melodramatisierten‹ Männer, die für die Renaissance des Liebesfilms charakteristisch sind. BRIDGET JONES’S DIARY (2001) Großstadt-Single, weiblich, über 30, sucht – verzweifelt! – Mann für’s Leben. Bridget Jones, schokoladen-, zigaretten- und alkoholsüchtig, führt akribisch Tagebuch über ihre Sehnsüchte und Laster – immer verbunden mit jener Sorte guter Vorsätze, die unmöglich in die Tat umzusetzen sind. In ihrer Disziplinlosigkeit ist die Titelheldin von Helen Fieldings 1996 erschienenem Bestseller Bridget Jones’s Diary eine von uns. Auch die Film-Bridget in Gestalt von Renée Zellweger (oder genauer: Renée Zellweger in der Gestalt von Bridget) ist eine von uns. Keine Stilikone – sondern eine durchschnittlich ge- 164