Grüner Glamour ohne Jute und Heilandsandalen

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Grüner Glamour ohne Jute und Heilandsandalen
LEBEN
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Tages-Anzeiger · Donnerstag, 16. Oktober 2008
Grüner Glamour ohne Jute und Heilandsandalen
Öko-Mode ist der neue Trend.
Die Avantgarde versucht, mit
nachhaltig produzierter Mode
das Geschäft zu verändern.
Von Sonja Hugentobler-Zurflüh
Mit den Körner pickenden Weltverbesserern der 80er-Jahre in ihren selbstgezimmerten Holzschuhen hat die aktuelle ÖkoBewegung nichts zu tun. Die Alternativen
sind jetzt auch Avantgardisten, sie halten
nichts von Askese und Verzicht. Sie denken konsequent ökologisch und fair, ohne
auf Modernität und Style zu verzichten.
Sie wollen «weder Essen mit Gift, noch
Kleidung mit Blut», wie es der bemerkenswerte Rap der Karmakonsum-Community ausdrückt.
Kurzum, die neuen Ökos sind Genussmenschen mit sozialem Bewusstsein.
Oder wie Peter Ingwersen, der mit seinem
Öko-Label Noir die grüne Revolution in
der Mode anführt, es beschreibt: «Wir geben unser Geld aus, um gut auszusehen,
legen aber Wert darauf, auch den Menschen Gutes zu tun, denen es nicht so gut
geht.» Ingwersen gehört zur neuen grünen Avantgarde, die vom Marketing als
viel versprechende neue Zielgruppe entdeckt worden ist. Die zugehörige Wortschöpfung nennt sich «Lohas» und steht
für «Lifestyle of Health and Sustainability».
Fashion aus Uganda
Vorzeige-Lohas wie Ingwersen machen
Öko-Kleider, denen man den moralischen
Mehrwert nicht ansieht. Noir, die heisseste Bio-Mode aus dem Norden, überzeugt mit Styling und Chic und nicht nur
mit Ethik, genau wie seine Vorreiterin
Stella McCartney. Noir spricht die körperbewusste Frau an, die ihre erotische Ausstrahlung gerne durch ihre Kleidung unterstreicht, die sinnliche Materialien und
verführerische Schnitte sucht. Gerne
spielt Ingwersen mit Elementen aus der
Lingerie und arbeitet mit edlen Stoffen,
die den Gedanken an deren Öko-Herkunft
nicht einmal aufkommen lassen.
Dank Hightech-Stoffproduktion sind
die eigentlichen Innovationen in der Mode
nicht sichtbar, sondern nur spürbar. So haben organische Stoffe das kratzige Jutestatt-Plastik-Image definitiv abgelegt. Die
Marke Illuminati mit Baumwollproduktionsstätte in Uganda bewegt sich in der
oberen Preisklasse, vergleichbar mit anderen Luxuslabels und verzeichnet seit ihrer
Gründung vor drei Jahren einen fulminanten Aufstieg. Sie wird in 60 Ländern weltweit verkauft und zeigte vergangenen
Winter an der New York Fashion Week.
Mit der zu Illuminati gehörigen Stiftung
sorgt Ingwersen durch den Gewinnrückfluss neben fairen Löhnen auch für medizinische Grundversorgung und Ausbildung
der Mitarbeiter.
Doch wie öko ist öko?
Wo sonst ausser bei Noir finden brave
Lohas ehrliche Öko-Mode? Es braucht
Vertrauen in das Produkt, denn nicht
überall, wo Öko draufsteht, ist Öko drin.
Eine einheitliche Zertifizierung für faire
und ökologische Kleidung gibt es nicht. Es
gibt viele Labels, die mit «Öko», «Green»
oder «Organic» das Gewissen ansprechen,
doch was genau dahintersteckt, ist von
Anbieter zu Anbieter unterschiedlich.
«Organic-Cotton» etwa besagt nur,
dass die Baumwolle nach ökologischen Grundsätzen gepflanzt und
geerntet wurde. Das allein qualifiziert ein Produkt aber nicht als
Öko- oder Fair-Trade-Produkt. Es ist nicht damit getan,
eine Baumwolle ohne Pestizide und Entlaubungsmittel
zu produzieren, wenn nachher dem Gewebe Schadstoffe beigemischt werden,
um es schrumpffrei zu machen oder das Hemd von Kinder-Näherinnen verarbeitet
wird.
Auch das gängige Label
«Öko-Tex Standard 100»
gibt
ungerechtfertigterweise ein gutes Gewissen,
denn es kümmert sich nur
um die Hautfreundlichkeit
des Textils und lässt Produktionsbedingungen
und Rohwarenbeschaffung ausser Acht.
Der Zusatz «ÖkoTex Standard 1000»
hingegen gibt Gewähr für ökologisches Umweltmanagement, Sicherheit
am Arbeitsplatz und
den Ausschluss von
Kinderarbeit.
Ein echtes ÖkoFair-Trade-Produkt muss die Gewähr geben, dass die
lokale, an der Gewinnung des Produkts
beteiligte
Bevölkerung einen Lohn erhält,
der ihnen den Lebensunterhalt
garantiert,
ohne dass die Kinder mitarbeiten und dass vom
Rohmaterial über die Stoffproduktion bis zur Verarbeitung die ökologischen Richtlinien
eingehalten wurden, die unseren Parametern für nachhaltige Bodennutzung entsprechen.
Engagierte Firmen erarbeiten ihre eigenen Zertifizierungen und lassen Produkte
unter ihrer Kontrolle herstellen, in enger
Zusammenarbeit mit den Rohwarenherstellern in den Ursprungsländern, den
Stoffproduzenten, den Stoffausrüstern
und -färbereien bis hin zu den Konfektionären der Kleider. Grossanbieter wie
Coop, C& A, Migros oder H& M konzentrieren sich bei Öko-Baumwolle mehrheitlich auf Basics wie Unterwäsche, T-Shirts,
Pyjamas oder Bad- und Küchentextilien
und weniger auf High Fashion. Coop ist
die rühmliche Ausnahme mit 14 Prozent
Anteil von Coop Naturaline am Textilumsatz. Dieser mehrheitlich niedrige Anteil
erklärt sich alleine daraus, dass der Anteil
von angebauter Bio-Baumwolle weltweit
nur 0,2 Prozent beträgt.
Grosse Achtung verdient eine wachsende Anzahl von kleinen bis mittleren La-
saden von Produkten und Firmen zu
schauen. Mit wachsendem Austausch
steigt das Interesse an ethisch korrekter
Mode und mit dem zunehmenden ÖkoAngebot auch die Zahl der Lohas.
Dezidierte Kleiderläden für Lohas
Nebst vielen Online-Shops hat sich so
eine neue Shop-Idee entwickelt: Concept
Stores für sexy Öko-Fashion, Accessoires
und Kosmetik. Ein Musterbeispiel ist
Wink Fashion im Zürcher Niederdorf mit
den Labels Kuyichi, Stewart Brown, Edun,
Custom Made, Spring Court, Li-ane, Katharine Hamnett. Solche Shops stehen
ohne Werbung und Presserummel für soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz ein,
ganz im Gegensatz zum stets wachsenden
Kreis von Stars wie Stella McCartney,
Sting, Orlando Bloom, Pamela Anderson,
Mick Jagger, Leonardo di Caprio oder Kylie Minogue, die ihre Unterstützung der
Rettung des leidenden Planeten und ihr
soziales Engagement pressewirksam in
Szene setzen. Auch unser Glamourpaar
Melanie Winiger und Stress geht mit gutem Beispiel voran und rappt und modelt
für eine umweltfreundliche, faire Wirtschaft. Wenn sie erfolgreich sind, wird es
idealerweise bald nur noch «Fair Öko Fashion» geben.
Der Preis dafür ist unwesentlich höher,
im Schnitt weniger als 5 Prozent. Doch der
winzige Betrag von vielleicht 50 Rappen,
den der peruanische Pflücker bei Fair
Trade für die Menge seiner Baumwolle
mehr bekommt, die es für eine Jeans
braucht, bedeuten für ihn eine deutliche
Verbesserung seines Einkommens. Diese
kleine Erhöhung des Einstandspreises des
Rohmaterials multipliziert sich nach Produktion, Transport und Verkauf in der Regel mit Faktor 10. Mit dem Mehrpreis für
ökologischen Gewinn des Rohmaterials
betragen die Mehrkosten am Endprodukt
jedoch maximal 10 Franken. Fair-TradeKunden bezahlen diese zusätzlichen Batzen gern, denn das gute Gewissen ist und
bleibt unbezahlbar.
Gute Designerlabels mit Sozialem und ethischem Gewissen
Noir, Kuyichi, Armed Angels, Katharine
Hamnett, Edun (U2-Sänger Bono) Custom
Made, Jackpot, Misericordia, Made-By,
Slowmo, Stewart & Brown, Edun, Terra
Plana, Armed Angels, Howies, Ivana Basilotta, Slowmo, Veja, Nanso, Dollyrocker,
Hess Natur (neu mit dem Designer Miguel
Adrover) Ketchup+Majo, Zeha, Veja,
Loomstate, Levi’s Eco, Camper und Zürcher Designerin Ruth Grüninger. Für Kinder: Dollyrocker und Milch-Fairtradeshirt.
BILDER PD
So schön kann ein gutes Gewissen sein. Links: Luftiges von
Noir. Daneben Winterliches von Kuyichi.
bels, die eine rigoros anspruchsvolle Politik für Fair Trade verfolgen und auch in Eigenregie ihre Öko-Zertifikate erarbeiten,
jedoch für ihre ganze Kollektion. Das ist
aufwändig, denn anders als die Grossanbieter können sie den Mehraufwand nicht
mittels konventionellen Produkten wettmachen. Kleine Labels mit Öko-Ideologie
opfern ihr teure Werbekampagnen und
setzen stattdessen auf Mund-zu-Mund-
Werbung innerhalb des eingeschworenen
Kreises der Lohas.
Diese tauschen sich auf Portalen, Foren
und Blogs aus (siehe Auflistung rechts)
und informieren sich, welche Labels
ethisch und fair produzieren. Dieses Netz
erlaubt den Beteiligten, deren Potenzial
derzeit auf rund 14 Prozent aller Konsumenten geschätzt wird, abseits von Pressemeldungen und Werbung hinter die Fas-
Online Shops für Öko-Mode
www.goodtruebeautiful.de; www.thegreen-apple.co.uk; www.greenloop.blogspot.com; www.adili.com; www.gonegreen.co.uk; www.ecoshopper.de;
www.true-fashion.com; www.fairwear.de
Öko-Mode-Blogs
www.goodtruebeautiful.de; www.karmakonsum.de (Rap-Hymne); www.kirstenbrodde.de; www.winkfashion.ch ; www.lohaslifestyle.blogspot.com; www.lohasguide.de; www.lohas.de; www.culturalcreatives.org; www.sauberekleidung.de;
http://blog.wiwo.de/gruendertagebuch
ZU FUSS: DIESE WOCHE IM KANTON SCHWYZ
Zuerst das Trittli, dann der Tritt
Von Thomas Widmer *
eue Wanderschuhe gekauft, ich bin bange. Seit
Jahren bin ich nun mit
Schuhen unterwegs, die
knapp unter dem Knöchel enden;
es ist bequem so. Aber immer wieder auch heikel. Jetzt soll das Verstauchungsrisiko minimiert werden, wozu ich 359 Franken in hohe
Lowa-Goretex investiert habe.
Schön sind sie, riechen fein nach
Leder, fühlen sich bei der Anprobe
im «Ruedi Bergsport» untadelig
an. Doch wird mein linker Fuss,
der seit dem Bänderriss (Schlittelunfall) empfindlich ist und auf
Hartbelag schnell schmerzt, das
Modell wirklich akzeptieren?
Das herauszufinden, fahre ich eines kühlen Morgens von Einsiedeln
zur Weglosen, zur Talstation der
Hoch-Ybrig-Seilbahn. Über die
Parkgarage dort muss ich mich
wundern: Was für eine Betonkatakombe! Die andern Leute aus dem
Bus streben jetzt der Bahn zu. Ich
bin der Einzige, der sich zu Fuss an
N
den Steilhang macht. Dabei
ist er abwechslungsreich
und also reizvoll komponiert: Buschwerk und Wald.
Ab und zu eine Alphütte.
Wiesen mit unzähligen
Kuhfläden.
Eingestreute
Steine und Einzelfelsen.
Nach
einer
halben
Stunde halte ich kurz inne
und ziehe ich das erste
Zwischenfazit zum Schuh:
Er ist noch steif, sitzt aber;
die Sache lässt sich gut an.
«Trittli» und «Tritt»
BILD THOMAS WIDMER
will ich auf dem Weg ins
Muotatal bewältigen. Ich Steilwand unter dem Hoch-Ybrig.
bin auf diese Route gekommen, indem ich tat, was ich oft tue: gerölligen Fluh. Erst die neuzeitlizu Hause Wanderkarten studieren che, 220-stufige Holztreppe hat die
und mir das Gelände vorstellen. Im Gefahr beseitigt.
Wort «Tritt» schwingt ein priMein Schwyzer «Trittli», das
ckelnder Verdacht: Es könnte rup- ich nach zwei Stunden und
pig werden, so ist das an anderen
600 Höhenmetern aufwärts erreiOrten dieses Namens. Zwischen
che, stellt sich als vergleichsweise
harmlos heraus; freilich muss man
Davos und Arosa unterhalb der
bei Feuchtigkeit doch vorsichtig
Latschüelfurgga etwa. Jener Tritt
auftreten. Von der Passhöhe aus
ist Teil eines alten Handelsweges.
erblicke ich unter mir ganz nah
Doch immer wieder verunfallten
den Hoch-Ybrig-Kessel und denke
in der Vergangenheit Leute in der
nen. Oben auf der Krete
esse ich ein Chokito,
schütte etwas StudentenRoggenstock
futter nach und erfreue
mich am Spitzenpanorama
i g
gen Süden. Das da hinten
H
r
o c h - Y b
ist . . . jawohl. . . das ist der
Trittli
Urnersee. 1000 HöhenmeSpirstock
ter geht es fortan abwärts
Nätschboden
ins Muotatal; und apropos,
(1662 m ü. M.)
liebe Leserin, lieber Leser dort findet am 25. und 26.
Kt. Schwyz
Tritt
Oktober der Muotitaler
Alpchäsmärcht statt, den
SCHWEIZ
ich allen ans Herz lege: Man
Muotathal
(610m ü. M.)
kann an diesem saftigen
TA-Grafik san
Volksfest grossartigen Käse
kaufen, direkt bei den Senangesichts der Seilbahn-Restaunen und Bauern von all den Alpen
rant-Ferienlager-Ferienhaus-Gerundum wie Roggenloch, Bödmebäulichkeiten zum zweiten Mal an ren, Goldplangg, Dreckloch.
diesem Tag, dass es feinfühligere
Ein gutes Stichwort: Dreck. Die
Architekten gibt als die, die in die- neuen Schuhe versinken auf der
ser Gegend aktiv waren. Danach
Strecke hinab zur Fraumatt im Mohalte ich auf den Nätschboden zu,
rast. Immerhin, über die gröbsten
den höchsten Punkt der WandeStellen retten Holzbretter.
rung auf 1662 Metern. Das Bergres- Schliesslich, noch 600 Meter über
taurant Stäfel hat leider – heute ist dem Talboden, der «Tritt». Er hält,
Dienstag – Ruhetag, und ich muss
was sein Name verspricht: Dies ist
mich aus meinem Notvorrat bedie- eine heikle Passage. Mehrere Male
2 km
Weglosen
(1035 m ü. M.)
blicke ich wie aus einem Helikopter oder Heissluftballon auf die
langgezogene Gemeinde Muotathal und stehe am Rand des Abgrunds. Drahtseile und Metallleitern helfen; unten, nach fünfeinhalb Gehstunden, bin ich sehr zufrieden. Diese Route war, Tritt sei
Dank, ein Abenteuer. Und meine
neuen hohen Schuhe, die nun
schon ein bisschen verschrammt
sind, vor allem aber sehr schmutzig, haben den Reality Check bestanden: keine Blasen, keine
Druckstellen, alles okay. Ich denke,
wir werden uns mögen.
Einkehr: Bergrestaurant Stäfel,
letzter Saisontag 26. 10. www.staefel.ch. Bestes Restaurant im Muotatal: Landgasthof Adler in RiedMuotathal, gehobenes Essniveau.
www.adler-muotathal.ch
www.alpkaesemarkt.ch.
* Thomas Widmer stellt jeden
Donnerstag eine Wanderung in der
Schweiz vor. Seine Bücher «Zu
Fuss» und «Zu Fuss 2» sind im
Echtzeit Verlag erschienen.