Predigt 2. Kor 3,3-6 „Die Gemeinde als Brief Christi“ II (Der
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Predigt 2. Kor 3,3-6 „Die Gemeinde als Brief Christi“ II (Der
Predigt 2. Kor 3,3-6 „Die Gemeinde als Brief Christi“ II (Der Leistungsausweis der Gemeinde) von Prof. Dr. med. Christian Kind, Präsident der Kirchenvorsteherschaft der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde St. Gallen C, gehalten am Reformationssonntag, 2. November 2014, im evangelischen Kirchgemeindehaus St. Georgen Liebe Gemeinde In meiner Zeit am Kinderspital musste ich gelegentlich für jüngere Ärztinnen oder Ärzte ein Empfehlungsschreiben verfassen. Es ging entweder um eine Stelle im Ausland oder um ein Gesuch für die Finanzierung eines Forschungsprojekts. Ein solcher Empfehlungsbrief muss von jemandem verfasst sein, der eine gewisse Autorität hat und den Empfohlenen gut kennt. Der Inhalt beschreibt einerseits dessen Charakter als tüchtigen und integren Arzt, andererseits seinen Leistungsausweis, also das was er in der Behandlung von Patienten bereits gelernt und bewirkt hat oder was von ihm als Forscher in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht worden ist. Trotz der heutigen Informationsmöglichkeiten über Google und Facebook spielen solche Empfehlungsschreiben immer noch eine wichtige Rolle. Man möchte schliesslich sicher gehen, dass man nicht nur einer übertrieben positiven Selbstdarstellung zum Opfer fällt. In der Antike, mit ihren beschränkteren und vor allem viel viel langsameren Kommunikationsmitteln, waren Empfehlungsschreiben völlig unerlässlich. Wie konnte man sonst wissen, dass jemand, der von weit her kam und sich als Apostel ausgab, wirklich die nötige Befähigung dafür hatte? Paulus antwortet der zweifelnden Gemeinde in Korinth: schaut Euch selbst an, Ihr seid mein Empfehlungsschreiben, mein Leistungsausweis – ich habe Euch doch gegründet, gehegt und gepflegt. Damit lenkt er von seiner Person ab und richtet den Blick der Korinther auf sich selbst. Ihr, die Gemeinde, seid mein Empfehlungsschreiben, aber nicht mit Tinte geschrieben oder auf Steintafeln gemeisselt, sondern durch den Geist Gottes in Euer lebendiges Herz eingeprägt. In diesem eigenartigen Bild, vereinigt Paulus Anklänge an drei alttestamentliche Textstellen, die ihm und wohl auch vielen korinthischen Gemeindegliedern aus Gottesdienst und Lektüre vertraut waren. Die steinernen Tafeln erinnern an Mose, der nach dem Auszug aus Ägypten das göttliche Gesetz auf zwei Steintafeln erhielt. Dieses göttliche Gesetz konnte seinen Zweck, den Einklang zwischen Gott, Schöpfung und Mensch wiederherzustellen, jedoch nicht erreichen, weil es die Härte der menschlichen Herzen nicht überwinden konnte. Dass das nicht so bleiben sollte, war die grosse Hoffnung des Volkes Israel. Beim Propheten Ezechiel wird dies mit dem Bild ausgedrückt, dass Gott das steinerne Herz aus der Brust der Menschen herausnehmen und dafür eines aus Fleisch einsetzen wird. In dieses lebendige Herz wird Gott das Gesetz direkt hineinschreiben, so dass jede und jeder es kennt und ohne fremde Unterweisung selbst erfüllen kann. So haben wir es in der Lesung aus dem Propheten Jeremiah gehört. Für Paulus sind diese alttestamentlichen Prophezeihungen mit dem Kreuzestod und der Auferstehung Jesu Christi erfüllt. Die Korinther haben den Geist Gottes empfangen und dieser vermittelt Empfehlung und Leistungsausweis für Paulus und seine Mitarbeiter, damit verbunden aber auch eine Empfehlung für die Gemeinde selbst. Wie ist das zu verstehen, nachdem Paulus die Korinther in diesem und in seinem ersten Brief an die Gemeinde recht heftig kritisiert und zurechtgewiesen hat? Paulus sagt von sich, dass er nicht aus sich selbst heraus zu etwas fähig ist, sondern dass seine Befähigung aus Gott kommt. Umso mehr muss das auch für die Gemeinde gelten. Der Leistungsausweis der Gemeinde in Korinth ist nicht eine Liste, die sich schwarz auf weiss, mit Tinte geschrieben, präsentieren und Buchstabe für Buchstabe kontrollieren und aufrechnen lässt. Er lässt sich nicht für Vergleiche und Ranglisten brauchen, sondern nur in der lebendigen Wirkung des Geistes erfahren. Dabei dürfen wir aber Paulus nicht missverstehen. «Der Buchstabe tötet» heisst nicht, dass Gesetz und Ordnung überflüssig und nutzlos geworden sind. Er ermahnt ja die Korinther mehrfach dazu ihren Lebenswandel zu korrigieren. Es heisst vielmehr, dass es tödlich ist, seine Hoffnung auf den eigenen Leistungsausweis zu setzen, da wir damit letzten Endes nicht bestehen können. Wenn wir dagegen durch den Geist Jesu Christi wissen, dass wir von Gott akzeptiert werden, so wie wir sind, dann können wir getrost und mit der Hilfe des Gottesgeistes versuchen, eine leistungsfähige Kirchgemeinde zu sein. Wenn uns dies geschenkt wird, dann können wir nicht nur ein Empfehlungsbrief sein, sondern werden, wie Paulus weiter unten im gleichen Kapitel des Korintherbriefes sagt, gerade auch in Schwäche und Scheitern «die Herrlichkeit Gottes ausstrahlen». Das tönt ja sehr schön, aber zielt es nicht völlig vorbei an der konkreten Realität unserer Kirchgemeinde und ihrer Leitung durch die Kirchenvorsteherschaft? Sind wir nicht verpflichtet unseren Leistungsausweis schwarz auf weiss, gedruckt im Amtsbericht, zu veröffentlichen und der Kirchbürgerversammlung zur Abstimmung vorzulegen? Das Budget muss ausgeglichen sein, trotz Kirchenaustritten und Sparbemühungen rundum. Die Wirkung unserer Gottesdienste und Anlässe wird an der Anzahl erreichter Personen gemessen. Wir müssen unsere Aufgaben priorisieren und auf einen möglichst effizienten Einsatz der uns zur Verfügung gestellten personellen und finanziellen Ressourcen achten. Dies alles könnte den Anschein erwecken, als ob sich die Führung einer Kirchgemeinde in nichts von der Führung irgendeines Unternehmens in der Wirtschaft unterscheiden würde. Ob materielle oder spirituelle Güter produziert werden, spielt für die Betriebswirtschaft keine Rolle. Wenn wir uns von diesem Denken in Zahlen beherrschen lassen, dann sind wir der tötenden Wirkung des Buchstabens verfallen. In der Antike wurden ja auch die Zahlen als Buchstaben geschrieben. Wenn wir unsere Zukunft von der Anpassung an Marktkräfte und gesellschaftliche Trends erhoffen, hat unsere Kirchgemeinde wohl keine langfristigen Überlebenschancen. Unsere begründete Hoffnung liegt allein im Geist Christi der in den Herzen der Gemeindemitglieder wirkt. Wenn wir von dieser Hoffnung getragen sind, dann können wir gelassener und wohl auch wirksamer mit den ökonomischen und gesellschaftlichen Zwängen unserer Zeit umgehen. Vor ihnen die Augen zu verschliessen wäre töricht, sich von ihnen hypnotisieren zu lassen dagegen fatal. Wie aber erfahren wir das Wirken des göttlichen Geistes? Es fällt uns schwer, da wir so gewohnt sind, Wirkungen aufzuzeichnen, zu messen und zu berechnen. Dem entzieht sich der Geist. Paulus spricht von Früchten des Geistes. Früchte kann man zwar zählen und wiegen, aber ihre eigentliche Qualität entfaltet sich erst, wenn man sie kostet. Das Wirken des Geistes lässt sich weder zählen noch messen, sondern nur erfahren. Im Galaterbrief nennt Paulus als Frucht des Geistes: «Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Güte, Rechtschaffenheit, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung. Solchen Dingen kann das Gesetz nichts anhaben.» Vor allem Planen, Organisieren, Umsetzen und Evaluieren ginge es also in der Gemeindeleitung darum, nach dem Wirken des Gottesgeistes Ausschau zu halten und ihn gewähren zu lassen. Wo wir ihn erfahren, gilt es dann tatkräftig und zielbewusst zu handeln. Wenn wir die Frucht des Geistes, das heisst die Menschenfreundlichkeit nach dem Vorbild Jesu geschenkt erhalten, dann können uns auch die Gesetze der Ökonomie und die Zwänge der Gesellschaft nicht zu Fall bringen und wir sind wirklich ein Brief Christi.