Management of Neuromuscular Diseases - Letter 4

Transcription

Management of Neuromuscular Diseases - Letter 4
Management of Neuromuscular Diseases - Letter 4
Das Post-Polio-Syndrom
Mathias Tröger · Reinhard Dengler
Einleitung
Bereits Charcot berichtete erstmals 1875 über zunehmende Paresen eines Mannes, der in seiner Kindheit
eine Poliomyelitis erlitten hatte [1].
Nach Ende der letzten großen Polioepidemien in den 60er Jahren und der Einführung der Impfungen nach
Sabin und Salk schwanden die Polio und ihre Opfer aus dem Blickfeld. Etwa dreißig Jahre nach den
letzten großen Epidemien in Deutschland entwickeln sich nun bei einem Teil der Betroffenen neue
Symptome, die man unter dem Begriff Post-Polio-Syndrom zusammenfassen kann.
Die Angaben zur Häufigkeit schwanken. Zwischen 20 und 80 Prozent der ehemaligen Polioopfer
entwickeln nach einem durchschnittlichen stabilen Intervall von ca. 30 Jahren neue Symptome, die als
Spätfolgen der akuten Erkrankung aufzufassen sind. Schätzungen gehen von 10.000 bis 50.000
Betroffenen in Deutschland aus [2].
Diagnostische Kriterien
Im wesentlichen müssen die folgenden fünf Kriterien erfüllt sein, um die Diagnose eines Post-PolioSyndromes (PPS) zu stellen [3]:
durchgemachte Poliomyelitis,
klinisch stabiles Intervall von mind. 10 Jahren,
neue neuromuskuläre Symptome,
in der Untersuchung nachweisbare Residuen der akuten Polio an mindestens einer Extremität
(Atrophie, Reflexausfall, Sensibilität intakt),
Ausschluß anderer Ursachen für die neuen Symptome.
Durchgemachte Poliomyelitis
Jahrzehnte nach der akuten Erkrankung liegen nur bei den wenigsten Patienten noch Originalunterlagen
vor. Dennoch sollte versucht werden, die Wahrscheinlichkeit abzuschätzen, ob tatsächlich eine Polio
vorgelegen hat.
Hilfestellung dabei leisten diagnostische Kriterien für eine akute Poliomyelitis von 1948:
mit Poliomyelitis vereinbarer Verlauf,
Fieber,
Nackensteife oder steifer Rücken,
Liquorzellzahl während der akuten Phase10 – 500/µl,
Liquoreiweiß erhöht,
nachweisbare Paresen.
Mindestens drei dieser Kriterien sollten erfüllt sein. Einschränkend muß angemerkt werden, daß in vielen
Fällen die erforderlichen Informationen nicht zur Verfügung stehen. Hier helfen Angaben über
Polioepidemien der Umgebung, eine fieberhafte Erkrankung mit Entwicklung von Paresen nach
Abklingen des Fiebers und die typischerweise ausgestanzte Verteilung der residualen Parese weiter.
Serologische Untersuchungen führen wegen der weitgehenden Durchimpfung der Bevölkerung und
1 von 11
Management of Neuromuscular Diseases - Letter 4
Übertragung der Impfviren auch auf die Umgebung bei dieser Abschätzung nicht weiter.
Symptome
Die Symptomatik des PPS ist vielgestaltig. Dalakas und Mitarbeiter haben das PPS nach den im
Vordergrund stehenden Beschwerden nochmals in zwei Untergruppen unterteilt:
den muskuloskeletalen Typ mit Schmerzen in Muskeln und Gelenken und die
postpoliomyelitische progressive Muskelatrophie (PPMA).
Auch wenn diese Einteilung zur Bezeichnung von Extremformen ihre Berechtigung hat, leidet die
überwiegende Zahl der Patienten doch an einer Kombination aus beiden Komplexen.
In abnehmender Häufigkeit klagen die Patienten über [/45]:
Müdigkeit bzw. abnorme Ermüdbarkeit (85–90%),
Muskelschmerzen (70–85%),
Gelenkschmerzen (70–80%),
Schwäche in zuvor betroffenen (70–85%), und klinisch nicht betroffenen (50–75%)
Muskelgruppen,
Kälteintoleranz (30–55%) und
neue Atrophien (30–40%).
Dies schlägt sich, wiederum in abnehmender Häufigkeit, in folgenden Funktionen des täglichen Lebens
wieder:
Gehen (65–85%).
Treppen steigen (60–80%) sowie
Ankleiden und Körperpflege (15–60%).
Die Symptomatik ist häufig vielgestaltig und wenig objektivierbar. Dies führte vor dem breiteren
Bekanntwerden des Syndroms zunächst häufig zur Diagnose funktioneller Beschwerden und hatte nicht
selten diagnostische Odysseen zur Folge. Auch wenn während der akuten Polio keine bulbäre Beteiligung
bestand, lassen sich bei einem erheblichen Anteil der Patienten Schluckstörungen nachweisen. Bei
eingehender Diagnostik zeigte sich bei 31 von 32 untersuchten Patienten, von denen lediglich 12 bulbäre
Symptome während der Akutphase hatten, Störungen des Schluckaktes [6].
Nachweisbare Residuen
In der klinischen Untersuchung nachweisbare asymmetrische Atrophien, Paresen und Reflexausfälle ohne
begleitende Sensibilitätsstörungen stellen die typischen Residuen einer durchgemachten Polio dar. In
elektromyographischen Untersuchungen lassen sich auch in klinisch scheinbar gesunden Muskeln zum Teil
ausgeprägte neurogene Veränderungen nachweisen.
Tabelle 1
Typische Nervenkompressionssyndrome bei Post-Polio-Patienten
Nerv
Ursache
N. medianus
N. ulnaris (Loge de Guyon)
Vermehrte Belastung der Hände
durch Gehstützen.
2 von 11
Management of Neuromuscular Diseases - Letter 4
N. ulnaris (Sulcus)
Aufstützen der Ellbogen für mehr
Rumpfstabilität oder beim Übersetzen.
Plexus brachialis
Schlecht angepaßte Mieder bei Skoliose.
N. peronaeus (Fibulaköpfchen)
Ungünstige Haltung in Rollstuhl oder
schlecht angepaßte Orthesen.
Diagnostik und Differentialdiagnosen
Spezifische Testverfahren, die das Vorliegen eines PPS beweisen oder ausschließen gibt es nicht. Auf die
Schwierigkeiten, eine durchgemachte akute Polio nach langer Zeit zu sichern, wurde bereits eingegangen.
Ergänzend sei angemerkt, daß es keine glaubhaften Fallberichte über das Auftreten von PPS nach Fällen
einer nicht-paralytischen Polio gibt.
Wichtig ist es, das Ausmaß verbliebener Residuen möglichst genau zu erfassen, u.U. auch mit Hilfe von
Fotos, Fremdanamnesen usw., um eine mögliche Progredienz besser abschätzen zu können. Bei der
notwendigen Diagnostik hat es sich bewährt, nach den vorliegenden Leitsymptomen vorzugehen:
Schwäche
Wichtig ist es zunächst, neu auftretende oder zunehmende Schwäche in einzelnen Muskeln von
schmerzbedingter Schonung und generalisierter Ermüdung abzugrenzen.
Engpaßsyndrome sind bei PPS-Patienten vermutlich häufiger als in der Normalbevölkerung und teils in
typischer Art durch die Residuen bedingt [7] (Tab.1). Ebenso kann es zu zervikalen oder lumbalen
Wurzelkompressionen kommen. Bei langsam wirksamer Kompression, z.B. im Rahmen degenerativer
Prozesse, können radikuläre Schmerzen gelegentlich fehlen.
Auch eigenständige neuromuskuläre Erkrankungen wie Polyneuropathien, Myasthenie, Polymyositis oder
Muskeldystrophien sollten durch geeignete Untersuchungen ausgeschlossen werden.
Lange wurde diskutiert über eine mögliche Assoziation des PPS mit der klassischen Amyotrophen
Lateralsklerose. Nach derzeitigem Wissensstand lassen sich hierfür keine Anhaltspunkte finden.
Bei vielen Patienten, die über zunehmende Schwächen im Bereich der unteren Extremitäten und
Gangverschlechterungen klagen, lassen sich Gewichtszunahmen im Zeitraum vor Einsetzen der neuen
Paresen finden [8/9].
Müdigkeit
Abnorme, generalisierte Müdigkeit stellt häufig einen wichtigen Aspekt im Beschwerdebild dar. Ähnlich
wie bei anderen neurologischen Erkrankungen, z.B. der Multiplen Sklerose, ist der pathophysiologische
Hintergrund im Rahmen des PPS bisher unverstanden.
Diskutiert werden sowohl zentrale wie auch muskuläre Ursachen. Basierend auf Sektionsstudien akuter
Poliofälle und MR-Untersuchungen werden durch Polioviren induzierte Läsionen der Formatio reticularis
als Auslöser diskutiert [10]. In MR-spektroskopischen Untersuchungen der Muskulatur fanden sich aber
auch Hinweise auf eine Störung der intramuskulären Signalübertragung [11].
Auch wenn die Häufigkeit depressiver Verstimmungen bei PPS Patienten sich nicht von der
Normalbevölkerung unterscheidet[12], sollte doch durch geeignete Exploration eine depressive
3 von 11
Management of Neuromuscular Diseases - Letter 4
Stimmungslage ausgeschlossen werden.
Letztlich kann sich jede schwere Allgemeinerkrankung wie Hypothyreose, Anämie, Herzinsuffizienz,
Diabetes durch abnorme Müdigkeit äußern. Besonderes Augenmerk sollte auf die respiratorische Situation
gelegt werden, vor allem bei Patienten mit durch Paresen der Atemmuskulatur oder ausgeprägter Skoliose
eingeschränkter Vitalkapazität. Bei Angabe vermehrter Tagesschläfrigkeit, morgendlicher Kopfschmerzen
und Schnarchen sollte auch an ein Schlaf-Apnoe-Syndrom gedacht und entsprechende Diagnostik
eingeleitet werden.
Tabelle 2
Wichtige Zusatzuntersuchungen
Untersuchung
Indikation
EMG/NLG
Sichern einer abgelaufenen neurogenen Schädigung als Ursache
von Atrophien
Ausschluß anderer
neuromuskulärer Störungen
Polyneuropathie, Engpaßsyndrom / Radikulopathien,
Endplattenstörungen, Myopathien
Quantitative Muskeltestung
Dokumentation für Verlaufsuntersuchungen
Lungenfunktion
Ausschluß relevanter Beteiligung der Atemmuskulatur
Ausgangswert für Verlaufsuntersuchungen
Oximetrie/Schlaflabor
Bei entsprechendem klinischem Verdacht: Ausschluß/Nachweis
relevanter (nächtlicher) Hypoxien
CK
Leichte Erhöhung häufig bei starker Überlastung.
Starke Erhöhung z.B. bei Myopathien
Kraniales oder spinales
CT/NMR
Ausschluß fokaler Strukturdefekte oder Einengungen
(z.B.spinale Stenosen)
Röntgen von Gelenken
Nachweis degenerativer Veränderungen und Fehlstellungen
Psychiatrische Exploration
Ausschluß depressiver Symptome
Andere serologische und
bildgebende Verfahren
Ausschluß anderer Allgemeinerkrankungen abhängig von
Anamnese und Untersuchungsbefund (z.B. Hypothyreose,
Anämie usw.)
Schmerz
Die Einordnung von Schmerzzuständen ist vor allem von den Angaben des Patienten abhängig.
Ausgeprägte Paresen und Atrophien und dadurch ausgelöste Fehlhaltungen prädisponieren zum einen zu
degenerativen Skelett- und Gelenkveränderungen sowohl der betroffenen als auch, infolge
kompensatorischer Überbeanspruchung, der gesunden Extremitäten. Daneben sind häufig generalisierte
Muskelschmerzen, die teils belastungsabhängig sind, wichtiger Bestandteil des Beschwerdekomplexes.
Der Schmerzcharakter ist teils dumpf und drückend, teils eher brennend und oberflächlich lokalisiert.
4 von 11
Management of Neuromuscular Diseases - Letter 4
Pathophysiologische Überlegungen
Autoimmunphänomene oder Viruspersistenz
Großes Aufsehen erregte die Veröffentlichung von Sharief et al. [13], in der eine andauernde intrathekale
Immunantwort gegen Polioviren beschrieben und als Hinweis auf eine Virenpersistenz gewertet wurde.
Allerdings konnten diese Ergebnisse in Folgeuntersuchungen nicht reproduziert werden, so daß es derzeit
keine gesicherten Hinweise auf eine Persistenz von Polioviren als Ursache von PPS gibt [14].
Übereinstimmend berichten viele Autoren über eine erhöhte Inzidenz oligoklonaler Banden im Liquor von
PPS Patienten. In der Serie von Dalakas wiesen 7 von 13 Patienten positive Banden auf [3]. Eine
Antigenspezifität konnte, bis auf die obengenannte Arbeit nicht belegt werden.
Muskelbiopsien zeigten in 13 von 35 Fällen leichte entzündliche Veränderungen in Form von
perivaskulären oder interstitiellen Infiltraten. Ein daraufhin durchgeführter, doppelblinder,
plazebokontrollierter Therapieversuch mit Prednison zeigte jedoch keine positiven Effekte [15].
Insgesamt bleibt das Bild immunologischer Auffälligkeiten uneinheitlich. Routineblutuntersuchungen wie
Blutsenkung, Blutbild, Immunglobulindifferenzierung sind typischerweise normal. Autoantikörper
kommen in gleicher Häufigkeit wie in der Normalbevölkerung vor.
Die Frage, ob es sich bei den obengenannten Auffälligkeiten um Epiphänome oder pathogenetisch
bedeutsame Veränderungen bei einer Minderheit der Patienten handelt, bleibt derzeit ungelöst.
Therapeutische Ansätze ergeben sich jedoch nicht.
Natürliche Alterung
Von einigen Autoren wurde diskutiert, die progredienten Paresen seien allein durch physiologische
Alterungsvorgänge erklärbar, die bei einer durchgemachten Poliomyelitis bei weniger verbliebenen
Motoneuronen lediglich wesentlich deutlicher zutage träten. Sektionsstudien ergaben jedoch, daß
normalerweise die Zahl der Motoneuronen erst nach dem 60.Lebensjahr in nennenswerter Zahl abnimmt,
so daß Alterungsvorgänge bei älteren Patienten möglicherweise eine Rolle spielen, die Beschwerden der
typischerweise 40- bis 50jährigen Patienten aber nicht erklären können.
Überlastung von Motoneuronen
Im Rahmen der akuten Poliomyelitis kommt es zu einer generalisierten Schädigung der Motoneurone.
Untersuchungen haben ergeben, daß ca. 50% der Motoneurone ausfallen müssen, bis sich klinische
Paresen nachweisen lassen.
Im Anschluß an die akute Lähmungsphase setzt eine oft dramatische Restitution ein, die teils auf die
Wiederaufnahme der Funktion partiell geschädigter Motoneurone teils auf Reinnervation denervierter
Muskelfasern durch Sprossung benachbarter Einheiten zurückzuführen ist. In der Konsequenz sind die
motorischen Einheiten nach einer durchgemachten Polio bis zum fünffachen des Normalen vergrößert, bei
teils vorgeschädigten Motoneuronen.
In Biopsien sowohl aus klinisch stabilen als auch aus Muskeln mit zunehmender Schwäche fanden sich
einzelne N-CAM positive (neural-cell adhesion molecule, ein Marker für frische Denervierung)
Muskelfasern verteilt über den gesamten Muskelquerschnitt [3]. Dies wird als Hinweis auf den Untergang
einzelner terminaler Axonsprossen gewertet.
Im konventionellen EMG läßt sich pathologische Spontanaktivität, als Zeichen ablaufender Denervierung,
sowohl in progredient paretischen als auch in klinisch stabilen Muskeln nachweisen. Das Einzelfaser-EMG
5 von 11
Management of Neuromuscular Diseases - Letter 4
zeigte erhöhten Jitter als Zeichen einer Instabilität der neuromuskulären Übertragung einzelner
Axonsprossen [16].
Zusammenfassend ergibt sich somit der Nachweis erheblich vergrößerter motorischer Einheiten mit
ständiger Denervierung und Reinnervation. Die hiermit verbundene erhebliche metabolische Belastung
der teils vorgeschädigten Motoneurone führt zur Dekompensation, so daß nicht mehr alle Muskelfasern
unmittelbar wieder reinnerviert werden können. Auch wenn der letzte Beweis für diese Hypothese
aussteht, wird sie von den meisten Autoren derzeit favorisiert [17].
Verlauf
Zum Krankheitsverlauf existieren widersprüchliche Angaben. Während Dalakas in seiner grundlegenden
Arbeit – basierend auf manueller Muskeltestung – eine durchschnittliche Kraftabnahme von ca. 1% pro
Jahr angibt, erschienen kürzlich zwei prospektive Langzeituntersuchungen, in denen sich jeweils keine
sichere Progression nachweisen ließ [18/19/20].
Weder in quantitativen noch in elektrophysiologischen Verlaufskontrollen ließ sich eine sichere
Progression nachweisen. Allerdings räumen die Autoren ein, daß langsam zunehmende Paresen nur
weniger Muskeln durchaus durch die Mittelwertbildung übersehen werden könnte. Jedenfalls sind rasch
progrediente Paresen und Atrophien untypisch für ein PPS und sollten zur Suche nach anderen Ursachen
veranlassen.
Therapie
Ausgehend von den o.g. pathophysiologischen Überlegungen muß man betroffenen Patienten empfehlen,
eine weitere Überbeanspruchung der paretischen Muskulatur zu vermeiden. Die jeweiligen Ansatzpunkte
können nur gemeinsam mit dem Patienten ausgehend von Beschwerdebild und Verteilung der Paresen
erarbeitet werden. Im Einzelfall kann dies die zeitweise Benutzung eines Rollstuhles oder orthopädischer
Hilfsmittel bedeuten, aber auch die Aufgabe oder Umstellung körperlich belastender beruflicher
Tätigkeiten oder Freizeitaktivitäten. Es sollten regelmäßige Pausen geplant werden, bevor Erschöpfung
eintritt.
Physikalische Therapie
Bei krankengymnastischen Therapien muß natürlich auch – unter Berücksichtigung der o.g.
pathophysiologischen Überlegungen – eine Überbeanspruchung der Muskulatur vermieden werden.
Gleichwohl stellt schonende, der jeweiligen Leistungsfähigkeit angepaßte Krankengymnastik eine
wichtige Säule im therapeutischen Gesamtkonzept dar.
In einer Reihe von Studien konnte gezeigt werden, daß es möglich ist, durch langsam aufbauende, nicht
ermüdende Übungen die Kraft einzelner Muskelgruppen [21] und auch die kardio-respiratorische
Leistungsfähigkeit [22] ohne unmittelbare negative Effekte zu steigern. Allerdings fehlen bisher
Langzeituntersuchungen, die über eventuelle Spätwirkungen Aufschluß geben könnten. Die besten
Erfolge sind im Training von nur mäßig betroffenen Muskelgruppen (Kraftgrad 4/5 nach der
MRC-Skalierung) zu erwarten.
Wichtig ist, daß sowohl Therapeuten als auch Betroffene Abschied nehmen von der Devise „No pain, no
gain".
6 von 11
Management of Neuromuscular Diseases - Letter 4
Bitte klicken Sie auf die Grafik,
um eine detailliertere Darstellung
zu erhalten.
Medikamente
Kontrollierte Studien zur medikamentösen Therapie des PPS existieren nicht. Folgende Medikamente
haben sich im klinischen Alltag bewährt.
L-Carnitin
L-Carnitin, das physiologisch für den Transport der Fettsäuren über die mitochondriale Membran benötigt
wird, verbessert in einer Dosierung von 2 ¥ 1g/die bei vielen Patienten die Leistungsfähigkeit der
Muskulatur. Insbesondere eine Steigerung der muskulären, aber auch allgemeinen Ausdauer sowie
Linderung von dumpfen Muskelschmerzen werden übereinstimmend von vielen Patienten berichtet. Nicht
alle Patienten sprechen auf diese Medikation an und bei einem Teil der Patienten scheint die Wirksamkeit
im Lauf der Zeit nachzulassen. Hier kann sich nach einer Auslaßphase erneut eine positive Wirkung
einstellen.
Pyridostigmin
Durchaus naheliegend ist es, die abnorme Ermüdbarkeit der Muskulatur bei elektrophysiologischen
Hinweisen auf eine Instabilität der Endplattenregion bei PPS Patienten mit Acetylcholinesterasehemmern
zu therapieren. In einer offenen Therapiestudie [23] mit Pyridostigmin 3¥60mg/die gaben 16 von 27
Patienten eine subjektive Verbesserung der Müdigkeit an.
Allerdings ist dieser Therapieansatz durchaus mit Zurückhaltung zu sehen. Eine andauernde
7 von 11
Management of Neuromuscular Diseases - Letter 4
Überstimulation der ohnehin instabilen Endplattenregion kann zumindest theoretisch die Dekompensation
beschleunigen und so auf lange Sicht schädlich wirken. Aufgrund dieser Unsicherheiten setzen wir zur Zeit
Pyridostigmin nicht routinemäßig in der Therapie von PPS-Patienten ein.
Amitryptilin
In Dosierungen von 50 – 100 mg/die können mit diesem Medikament insbesondere chronische
Schmerzsyndrome relativ gut beeinflußt werden. Zudem kann eine gewisse Antriebssteigerung erreicht
werden. Schwierigkeiten kann die initial auftretende Müdigkeit bereiten. Eingehende Aufklärung über den
temporären Charakter dieser Nebenwirkung und erst später einsetzende Therapieeffekte sind für den
Erhalt der Compliance unabdingbar.
Amantadin und Seligelin
Einzelfallberichte beschreiben gute Erfolge in der Therapie von Müdigkeit mit beiden Substanzen. In
unserer Erfahrung sprechen zumindest einige Patienten mit exzessiver Müdigkeit gut auf eine der
Substanzen an.
Psychosoziale Unterstützung
Häufig erfordern die Beschwerden einschneidende Einschränkungen der Aktivitäten zusätzlich zu den
oftmals therapeutisch nur unvollständig zu beeinflussenden Schmerzen. Somit fällt der Unterstützung und
Bestärkung des Patienten eine nicht zu unterschätzende Rolle im therapeutischen Gesamtkonzept zu.
Literatur
[1] Charcot JM Raymond
Paralysie essentielle de l'enfance:
atrophie musculaire consécutive.
Gaz Med (Paris) 1875; 4: 225–6
[2] Böthig B, Dittman S
Spätfolgen der spinalen Kinderlähmung:
Das Post-Polio-Syndrom.
Bundesgesundheitsblatt; 1992: 408–410
[3] Dalakas MC, Elder G, Hallett M et al.
A long-term follow-up study of patients with
post-poliomyelitis neuromuscular symptoms.
N Engl J Med 1986; 314: 959–63
[4] Agre JC, Rodriguez AA, Sperling KB
Symptoms and clinical impressions of
patients seen in a postpolio clinic.
Arch Phys Med Rehabil 70: 367–70, 1989
[5] Halsteadt LS, Rossi CD
New problems in old polio patients:
Results of a survey of 539 polio survivors.
Orthopedics 8: 845–50,1985
[6] Sonies BC, Dalakas MC
Dysphagia in patients with the post-polio syndrome.
8 von 11
Management of Neuromuscular Diseases - Letter 4
N Engl J Med 1991; 324: 1162–7
[7] Windebank AJ
Differential diagnosis and prognosis.
In: Halstead LS, Grimby G (eds.) Post-polio syndrome.
1995 Hanley & Belfus
[8] Diard C, Ravaud J-F, Held J-P
French survey of postpolio sequelae
Am J Phys Med Rehab 1994; 73: 264–67
[9] Trojan DA, Cashman NR, Shapiro S et al.
Predictive factors for post-poliomyelitis syndrome.
Arch Phys Med Rehabil 1994; 75: 770–7
[10] Bruno RL, Cohen JM, Galski T et al.
The neuroanatomy of post-polio fatigue.
Arch Phys Med Rehabil 1994; 75: 498–504
[11] Sharma KR, Kent-Braun J, Mynhier MA et al.
Excessive muscular fatigue in the postpoliomyelitis
syndrome. Neurology 1994; 44: 642–46
[12] Windebank AJ, Litchy WJ, Daube JR et al.
Late effects of paralytic poliomyelitis in Olmstedt
county, Minnesota. Neurology 1994; 41: 501–7
[13] Sharief MK, Hengtes R, Ciardi M
Intrathecal immune response in patients
with the post-polio syndrome.
N Engl J Med 1991; 325: 749–55
[14] Melchers W, de Visser M, Jongen P et al.
The postpolio syndrome: No evidence
for poliovirus persistence.
Ann Neurol 1992; 32: 728–32
[15] Dinsmore ST, Dambrosia J, Dalakas MC
A double blind placebo controlled trial of prednisone
for the treatment of the post-polio syndrome (PPS).
Ann N Y Acad Sci 1994
[16] Trojan DA, Gendron D, Cashman NR
Stimulation frequency-dependent neuromuscular junction
transmission defects in patients with prior poliomyelitis.
J Neurol Sci 1993; 118: 150–7
[17] Dalakas MC, Illa I
Post-polio syndrome: Concepts in clinical diagnosis,
pathogenesis, and etiology. In: Rowland LP (eds.)
Advances in Neurology: Amyotrophic lateral sclerosis
and other motor neuron diseases. 1991 Raven Press
[18] Muni MC, Jaweed M, Staas WE et al.
Postpoliomyelitis muscle weakness:
A prospective study of quadriceps strength.
9 von 11
Management of Neuromuscular Diseases - Letter 4
Arch Phys Med Rehabil 1991; 72: 729–33
[19] Windebank AJ, Litchy WJ, Daube JR et al.
Lack of progression of neurologic deficit in
survivors of paralytic polio: A 5-year prospective
population-based study. Neurology 1996; 46: 80–4
[20] Ivanyi B, Nelemans PJ, De Jongh R et al.
Muscle strength in postpolio patients:
A prospective follow-up study.
Muscle&Nerve 1996; 19: 738–42
[21] Agre JC, Rodriguez AA
Intermittent isometric activity: Its effect on
muscle fatigue in post-polio patients.
Arch Phys Med Rehabil 1991; 72: 971–75
[22] Kriz JL, Jones DR, Speier JL et al.
Cardiorespiratory responses to upper extremity
aerobic training by postpolio subjects.
Arch Phys Med Rehabil 1992; 73: 49–54
[23] Trojan DA, Cashman NR
An open trial of pyridostigmine in post-poliomyelitis
syndrome. Can J Neurol Sci 1995; 22: 223–27
DGM · Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V.
Im Moos 4
D-79122Freiburg
Anschriften der Verfasser:
Prof. Dr. Reinhard Dengler
Mathias Tröger
Neurologische Klinik mit
klinischer Neurophysiologie
Medizinische Hochschule Hannover
Konstanty-Gutschow-Straße 8
30625 Hannover
Herausgeber der Schriftenreihe:
Prof. Dr. med. R. Dengler · Hannover
Prof. Dr. med. D. Pongratz · München
Aventis GmbH
ZNS-Service · Ulrich Zipper
Nattermannallee 1 · 50829 Köln
10 von 11
Management of Neuromuscular Diseases - Letter 4
Postfach 350120 · 50792 Köln
Management of Neuromuscular Diseases
Das Post-Polio-Syndrom
Entwurf und Gestaltung
DECON Design Contor GmbH
Frankfurt am Main
© ARCIS Verlag GmbH · München
Druck · Locher GmbH · Köln
ISSN 0949–1503
2. Jahrgang
11 von 11