Belastung der Betriebe durch Bildungsurlaub begrenzen

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Belastung der Betriebe durch Bildungsurlaub begrenzen
APRIL 2015 I AUSGABE
5
Peer-Michael Dick
Hauptgeschäftsführer
der Arbeitgeber
Baden-Württemberg
Liebe Leserinnen und Leser,
Natürlich ist es kritik- und diskussionswürdig, wenn Frauen hierzulande im
Schnitt 22 Prozent weniger verdienen
als Männer. Aber die Diskussion muss
redlich geführt werden. Denn die Hauptursachen sind unterschiedliches Berufswahlverhalten der Geschlechter, familiär
bedingte, oft unfreiwillig lange berufliche
Auszeiten bei Frauen sowie daraus resultierende Teilzeit, die Karriere und Entgeltentwicklung bremsen – und nicht
willkürliche Ungleichbehandlung!
Die Ursachen beseitigt das als „mehr
Transparenz“ verbrämte Lohnschnüffel­
gesetz gerade nicht. Genau das behauptet aber Frau Schwesig, wenn sie
in einem Atemzug die unterschiedliche
Bezahlung von Altenpflegerinnen und
Maurern beklagt und damit ihr Gesetz
begründet. Offenbar geistert hier ein
Bild von der angeblich „gerechtesten aller Welten“ durch Politikerköpfe, in der
alle dasselbe verdienen – am besten
per staatlichem Dekret. Ökonomische
Grundlagen wie etwa unterschiedliche
Produktivität oder Anforderungsniveaus
werden schlicht ignoriert. Und marktwirtschaftliche Gesetze gelten sowieso
nicht mehr.
Foto: fotolia/kasto
mit einem Gesetz zur Entgeltgleichheit
will Bundesfrauenministerin Schwesig
die Lohnunterschiede zwischen Frauen
und Männern einebnen. Leider zielt sie
damit krachend an den eigentlichen Ursachen vorbei.
Belastung der Betriebe durch
Bildungsurlaub begrenzen
Zwei Jahre lang haben sich die Arbeitgeber Baden-Württemberg vehement
gegen den von der Landesregierung geplanten Bildungsurlaub gewehrt. Verhindern konnten sie das Vorhaben letztlich
nicht. „Dennoch hatte der Widerstand
Erfolg, denn das nun verabschiedete
Gesetz sieht zahlreiche Erleichterungen
für die Betriebe vor, die die negativen
Auswirkungen abmildern“, sagt Dr. Rainer Dulger, Präsident der Arbeitgeber
Baden-Württemberg: „Wir bleiben aber
bei unserer grundsätzlichen Ablehnung,
zumal wir mit einigen Regelungen weiterhin nicht zufrieden sind.“ Besonders
schmerzlich ist aus Sicht der Arbeitgeber, dass die von der Landesregierung
zugesagte Anrechnungsmöglichkeit betrieblicher Weiterbildungsmaßnahmen
nicht sichergestellt ist.
Das Gesetz sieht einen Anspruch auf
fünf zusätzliche vom Arbeitgeber bezahlte Urlaubstage für persönliche Wei-
terbildung vor, wobei die Weiterbildung
beruflichen Zwecken, aber auch der
poli­tischen Bildung oder ehrenamtlichen
Tätigkeiten dienen kann. Um die Belastung der Betriebe zu begrenzen, wurde
unter anderem erreicht, dass pro Jahr
maximal zehn Prozent der Belegschaft
eines Betriebs den Bildungsurlaub beanspruchen können und dass die Regelung
für Kleinbetriebe mit weniger als zehn
Mitarbeitern nicht gilt.
Auch eine Übertragung des Urlaubs­
anspruchs ins Folgejahr, den es in anderen Bundesländern gibt, wird es hierzulande nicht geben. Für Auszubildende
und dual Studierende gilt der Fünf-TageAnspruch nicht pro Jahr, sondern nur für
die gesamte Ausbildungszeit. „Konsequent wäre es aber gewesen, für diesen Personenkreis überhaupt keinen Bildungsurlaub vorzusehen. Denn es ­ergibt
Fortsetzung nächste Seite
L a n d e s v e r e i n i g u n g B a d e n - W ü r t t e m b e r g i s c h e r A r b e i t g e b e r v e r b ä n d e e . V.
Belastung der Betriebe durch
Bildungsurlaub begrenzen
(Fortsetzung von Seite 1)
keinen Sinn, Menschen in der Ausbildung für Weiterbildungszwecke zu beurlauben“, sagt Dulger.
Größtes Manko des verabschiedeten
Gesetzes ist aus Sicht der Arbeitgeber
Baden-Württemberg, dass die versprochene Anrechnungsmöglichkeit betrieblicher Maßnahmen nicht klar genug geregelt ist. „Die Landesregierung steht im
Wort, dass damit eine Überlastung und
Bestrafung der Betriebe verhindert werden soll, die sich schon heute vorbildlich
in der Weiterbildung engagieren“, sagt
Dulger: „Bleibt hier eine belastbare Regelung aus, droht uns ein wirkungsloses Placebo. Auch würden funktionierende Strukturen in der Weiterbildung,
etwa über Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und über individuelle Absprachen beschädigt werden.“ Zwar wolle
die Landesregierung nun durch entsprechende Verordnungen sicherstellen, dass die Anrechnung doch noch
klappt und damit ein wirksamer Überlastungsschutz entsteht. Allerdings sei
nicht klar, ob das gelingt.
Der Landesarbeitgeberpräsident erneuert seine grundsätzliche Kritik an dem
Gesetz, das die SPD offensichtlich den
Gewerkschaften zuliebe vorangetrieben
habe: „Mit Blick auf die Fachkräftesicherung wäre es sinnvoller gewesen, Weiterbildung ziel- und passgenau für die Zielgruppen zu fördern, wo der Bedarf am
höchsten ist. Das wird mit diesem Gießkannenprinzip gerade nicht erreicht.“
Die Arbeitgeber Baden-Württemberg
hätten hierzu mit ihrem Angebot für
einen „Pakt für dauerhafte Vollbeschäftigung“ konkrete Vorschläge gemacht,
etwa zu einer verbesserten Berufsorientierung an Schulen, zur Förderung benachteiligter Jugendlicher, zur besseren
Integration von Menschen mit Behinderung in Ausbildung und Beruf, mit Weiterbildungskonzepten für An- und Ungelernte und Angeboten zur Ausbildung
in Teilzeit zum Beispiel für Alleinerziehende. „Damit würden wir einen echten
Beitrag zu Arbeitsmarktintegration und
Qualifikation leisten“, sagt Dulger: „Der
Bildungsurlaub leistet dies nicht.“
Center for European Trainees bringt Unternehmen
und potenzielle Azubis aus Südeuropa zusammen
Das CET soll dabei unterstützen, die
berufliche Bildung mobiler zu gestalten,
duale Ausbildungsformen in Italien und
Spanien zu entwickeln sowie die Ausbildung junger Erwachsener aus diesen Ländern in Baden-Württemberg zu
Fotos (4): Frank Eppler
Immer mehr Firmen bilden mit Blick auf
den Fachkräfteengpass auch ausländische Jugendliche in ihren Betrieben
aus und eröffnen damit jungen Menschen aus Ländern mit hoher Jugendarbeitslosigkeit neue Perspektiven. Um
baden-württembergische Unternehmen
und Jugendliche aus Südeuropa zu vernetzen, wurde im vergangenen Jahr das
„CET – Center for European Trainees“
unter dem Dach des Bildungswerkes der
Baden-Württembergischen Wirtschaft in
Esslingen gegründet.
von links: Partner und Befürworter – Staatssekretär Klaus-Peter Murawski, Uta-Micaela Dürig von der Robert Bosch
Stiftung, Stefan Küpper, Geschäftsführer Politik, Bildung und Arbeitsmarkt der Arbeitgeber Baden-Württemberg
fördern. Aber auch das Wissen und die
Erfahrungen der einzelnen Akteure sollen gebündelt und inner- und außerhalb
Baden-Württembergs transparent gemacht werden. Hierbei helfen drei Mitarbeiterinnen mit interkulturellem und
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länderspezifischem Fachwissen. Darüber hinaus beraten sie ausländische Jugendliche, die in Baden-Württemberg
einen Ausbildungsplatz suchen. Aber
auch für Unternehmen ist das CET eine
Anlaufstelle, wenn sie junge Menschen
aus dem Ausland ausbilden wollen.
**Erste Erfolge sichtbar
Am 29. Januar kamen in Stuttgart rund
70 Vertreter aus Politik, Wirtschaft und
Zivilgesellschaft zu einem Netzwerktreffen mit Akteuren aus Italien und Spanien zusammen. Hier wurden erste Erfolge sowie aktuelle Projekte vorgestellt:
Neben zahlreichen Praktikumsplätzen,
die das CET Südeuropäern im Vorfeld
einer Ausbildung in Baden-Württemberg
bereits vermitteln konnte, bringt das
Center jetzt 60 spanische Jugendliche
nach Baden-Württemberg. 30 Unternehmen haben bereits Interesse signa­
lisiert, Jugendliche aus Südeuropa auszubilden.
Für den Staatssekretär und Chef der
Staatskanzlei im Staatsministerium
Baden-Württemberg, Klaus-Peter Murawski, setzt das CET an der richtigen
Stelle an: „Der Abbau der hohen Jugendarbeitslosigkeit ist ein gemeinsames europäisches Ziel. Das duale System der
Berufsbildung kann einen Beitrag zur
nachhaltigen Beschäftigungsfähigkeit
der jungen Generation in Südeuropa
leisten. Dank der erworbenen praktischen Kenntnisse wird den Jugend­
lichen ein besserer Einstieg in den Arbeitsmarkt ermöglicht.“
Vorträge, Gespräche und Erfahrungsaustausch beim CET-Netzwerktreffen am 29. Januar 2015 in Stuttgart.
Das CET soll dauerhaft etabliert werden.
In einem zweiten Schritt sollen weitere
Länder berücksichtigt werden. Das Center wird gefördert von der Robert Bosch
Stiftung mit Kofinanzierung der Arbeitgeber Baden-Württemberg.
Elterngeld Plus:
Betriebe brauchen Flexibilität!
Foto: fotolia/ARochau
Was bedeuten diese Regelungen konkret für die Betriebe? Ein junger Vater
oder eine junge Mutter könnte künftig
innerhalb von acht Jahren in mehreren
Etappen entweder ganz fehlen, oder vorübergehend in Teilzeit oder auch wieder
in Vollzeit arbeiten. Sollte in diesen acht
Jahren ein weiteres Kind folgen, könnte
sich der Zeitraum des pendelnden Beschäftigungsumfangs entsprechend verlängern.
Zum 1. Juli 2015 treten verschiedene
Neuregelungen zum Elterngeld und zur
Elternzeit in Kraft, die jungen Eltern die
Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern sollen. So erfreulich diese Regelungen aus Sicht junger Eltern sein
mögen, sehen sich Betriebe dadurch
vor große Herausforderungen hinsichtlich der Flexibilität gestellt. „Wir fordern
die Politik daher auf, von allen geplanten
Einschränkungen möglicher Ausgleichsinstrumente wie Zeitarbeit, Teilzeit oder
Befristungen Abstand zu nehmen“, sagt
Peer-Michael Dick, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeber Baden-Württemberg.
Die Neuregelung sieht neben der Einführung eines Elterngeld Plus für Eltern,
die in Teilzeit arbeiten und dadurch das
bisherige Elterngeld in maximal halber
Höhe dafür aber bis zu 28 Monate erhalten können, die Einführung eines
Partnerschaftsbonus vor, bei dem Vater und Mutter jeweils für vier weitere
Monate Elterngeld Plus erhalten, wenn
sie sie sich die Betreuung ihres Kindes
aufteilen und parallel für vier Monate
zwischen 25 und 30 Wochenstunden
arbeiten.
Daneben besteht die Möglichkeit, die
bis zu 36-monatige Elternzeit künftig auf
bis zu drei Etappen innerhalb von acht
Jahren nach Geburt des Kindes zu verteilen, bis zu zwei Jahre davon zwischen
dem 3. und dem 8. Geburtstag des Kindes. Eine Zustimmung des Arbeitgebers
ist nicht mehr erforderlich. Im Herbst
soll dann noch für Teilzeitbeschäftigte
ein Rückkehrrecht in Vollzeit folgen.
„Große Betriebe, die ausreichende interne Ausgleichsmöglichkeiten haben,
mögen damit vielleicht zurechtkommen“, sagt Dick: „Für kleine Betriebe,
in denen es für einzelne Beschäftigte
nicht einmal eine Vertretungslösung
gibt, ist das aber eine gewaltige Herausforderung.“ Gerade diese Unternehmen seien daher darauf angewiesen,
entsprechende Alternativen nutzen zu
können, um die Fehlzeiten der jungen
Eltern zu überbrücken.
Aus Sicht der Arbeitgeber sind dies in
erster Linie Instrumente wie Zeitarbeit,
Teilzeit und Befristungen, aber auch die
Möglichkeit, bestimmte Funktionen vorübergehend per Dienst- oder Werkvertrag an externe Dienstleister vergeben
zu können. „Wer Gesetze auf den Weg
bringt, die den Betrieben mehr Flexibilität abverlangt, muss auch die Frage beantworten, wie die Betriebe damit noch
umgehen sollen“, sagt Dick: „Leider
scheint das aber weder vielen Bundespolitikern noch Teilen unserer Landesregierung klar zu sein, die solche flexiblen Ausgleichsinstrumente als angeblich
‚prekäre‘ Beschäftigung verteufeln. Eine
solche Politik ist im wörtlichen Sinne
verantwortungslos.“
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Entgeltgleichheit:
Placebo für die Frauen
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes, das die 22-Prozent-Zahl erhoben hat, sind allein 15 Prozentpunkte
darauf zurückzuführen, dass Frauen andere, oftmals schlechter bezahlte Berufe ausüben als Männer. Unterschiedliche Qualifikationen, Tätigkeiten oder
Erwerbsbiografien spielen dabei keine
Rolle. Weitere fünf Prozentpunkte, damit
insgesamt also 20 der ominösen 22 Prozent, haben ihre Ursache in längeren familienbedingten Auszeiten bei Frauen,
häufig verbunden mit einem beruflichen
Wiedereinstieg in Teilzeit und damit mit
geringeren Karrierechancen und Entwicklungsmöglichkeiten beim Gehalt.
„Diese Ursachen werden aber mit dem
geplanten Gesetz zu mehr Lohntransparenz in den Betrieben überhaupt nicht
beseitigt“, sagt Dick. Landespolitikern
oder Bundesfrauenministerin Schwesig,
die in einem Atemzug die unter­schied­
lichen Löhne von Altenpflegerinnen und
Maurern oder Industriearbeitern beklagen und mit dem Gesetz Abhilfe versprechen, wirft er bewusste Irreführung der
Öffentlichkeit vor: „Eine Altenpflegerin
und ein Maurer oder ein Mechatroniker
arbeiten nicht im selben Betrieb. Deshalb wird das Gesetz nichts an ihrer ungleichen Bezahlung ändern.“
Die Arbeitgeber fordern die Politik auf,
die wirklichen Ursachen der Entgeltlücke gezielt anzugehen, denn diese
seien größtenteils auch von der Politik
zu verantworten. „Die Entgeltlücke wird
nur geringer, wenn mehr Mädchen und
junge Frauen beispielsweise für technische Berufe mit guten Verdienstperspektiven begeistert werden können,
was heute leider viel zu selten der Fall
ist“, sagt Dick: „Hier muss die Bildungspolitik eine Antwort darauf geben, weshalb Mädchen am Ende der Grundschulzeit bei den Mathekompetenzen mit den
Jungs fast gleichauf liegen, danach aber
immer weiter ins Hintertreffen geraten.“
Auch den oftmals ungewollt längeren
Karriereunterbrechungen bei Frauen
könne die Politik mit einer besseren
Ganztagsbetreuung begegnen.
„Doch hier stiehlt sich die Politik aus
der Verantwortung, stellt lieber die gesamte Wirtschaft unter den Generalverdacht der Diskriminierung und kippt ihr
das Problem auf die Füße“, so Dick. Am
Ende werde jedoch damit den Frauen
nicht geholfen. Es sei daher absehbar,
dass schon bald der Ruf nach weiteren
Maßnahmen laut werde. Es sei auch erkennbar, dass in manchen Politikerköpfen die Idee einer Lohngleichmacherei
über alle Branchen hinweg herumspuke.
„Dann soll Frau Schwesig doch gleich
die IG Metall bitten, in der von Männern
dominierten und gut bezahlenden Industrie zehn Jahre keine Lohnforderungen
mehr aufzustellen. Das würde die Entgeltlücke stärker schließen als ihr unsinniges Gesetzesvorhaben“, sagt Dick.
Foto: fotolia/goodluz
Die Arbeitgeber haben den Befürwortern
eines Gesetzes zur Entgeltgleichheit
vorgeworfen, Frauen und Diskriminierungsgegnern bewusst Sand in die Augen zu streuen. „Wenn Frauen 22 Prozent weniger verdienen als Männer, ist
das sicherlich eine politische Diskussion
wert“, sagt Peer-Michael Dick, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeber BadenWürttemberg: „Allerdings sollte man
der Redlichkeit halber dazusagen, dass
diese Entgeltlücke zum allergrößten
Teil keineswegs auf Diskriminierung zurückzuführen ist. Deshalb wird man sie
auch nicht durch das geplante Gesetz
zur Lohnschnüffelei in den Betrieben beseitigen können.“
Mindestlohn belastet Arbeitgeber – unklare Vorgaben,
Haftungsrisiken und zusätzliche Bürokratie
Der seit dem 1. Januar 2015 geltende
gesetzliche Mindestlohn entwickelt sich
aus Sicht der Arbeitgeber Baden-Württemberg zusehends zu einem „Bürokratiemonster“ und zu einer Belastung der
Betriebe. Neben der eigentlichen Pflicht,
den Mindestlohn zu zahlen, beinhaltet das Gesetz viele unklare und für die
praktische Umsetzung nicht zu Ende gedachte Regelungen. „Wir haben die Pläne
für einen Mindestlohn immer grundsätzlich kritisiert, verhindern konnten wir ihn
jedoch nicht“, sagt Philipp Merkel, Referatsleiter Arbeitsrecht der Arbeitgeber
Baden-Württemberg: „Angesichts der
überbordenden Probleme bei der Umsetzung fordern wir nun jedoch dringend
eine praxistaugliche Anpassung.“ Die Arbeitgeber kritisieren insbesondere:
**Unklare Haftungsregelungen
Nach dem Mindestlohngesetz haften
Auftraggeber – unabhängig von einem
eigenen Verschulden – auch für ihre Lieferanten und Dienstleister (also die im
Rahmen eines Werk- oder Dienstvertrags beauftragten Drittunternehmen,
deren Subunternehmen oder eines
vom Drittunternehmen oder Subunternehmen beauftragten Zeitarbeitsunternehmens). Um das Haftungsrisiko auszuschließen, muss dabei sichergestellt
werden, dass auch die Beschäftigten
dieser Unternehmen den Mindestlohn
erhalten. „In der Praxis ist eine Kontrolle und Durchsetzung bis hin zu Subunternehmen kaum realisierbar“, sagt
Merkel. Davon ab­gese­hen ist der tatsächliche Haftungsumfang unklar. Hier
bedarf es klarer Vorgaben. „Es kann
nicht den Unternehmen und der Rechtsprechung überlassen bleiben, Gesetzestexte zu interpretieren. Bis zu einer
höchstrichterlichen Klärung vergehen
Regulierung – ein Haupthindernis für Betriebe
So viel Prozent der Unternehmen halten
diese Faktoren für starke Investitionshemmnisse
Hohe weltwirtschaftliche Unsicherheit
52
Hohe Energiekosten
50
Hohe Regulierungen
(z. B. Arbeitsrecht)
48
Hohe Arbeitskosten
46
Schwache Entwicklung in Europa
45
Hohe Bürokratie
(z. B. Genehmigungsverfahren)
43
Hohe Unternehmenssteuern
35
0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
55
Quelle: IW-Befragung von 2.525 Unternehmen in Westdeutschland und 392 Unternehmen
in Ostdeutschland im Oktober/November 2014.
jedoch mehrere Jahre“, kritisiert der Arbeitsrechtler: „Veranschaulicht man sich
das Haftungsrisiko für die Arbeitgeber,
das Risiko einer Ordnungswidrigkeit und
den Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge, ist dies ein untragbarer
Zustand.“ Die Arbeit­geber fordern daher,
die Haftung grundlegend in Frage zu stellen, zumindest jedoch die Haftung und
eine Ordnungswidrigkeit auf Vorsatz und
grob fahrlässiges Handeln des Auftraggebers zu ­beschränken.
**Für wen gilt der Mindestlohn?
Grundsätzlich gilt der Mindestlohn für
alle Arbeitnehmer, die in Deutschland
beschäftigt sind, dem Wortlaut nach
also auch für den polnischen Lkw-Fahrer, der auf dem Weg nach Frankreich
durch Deutschland fährt. Nach massiver Kritik insbesondere aus Polen und
Tschechien hat die Bundesarbeitsministerin die Kontrollen für die Mindestlohnzahlung für reine Transitfahrten vorerst
ausgesetzt, bis geprüft ist, ob für diese
Fälle die Regelung überhaupt europarechtskonform ist. Aus Sicht der Arbeitgeber ist diese Aussetzung zu begrüßen. Allerdings weist Merkel darauf hin,
dass es noch viel mehr ähnliche Konstellationen gebe – und es längst nicht
nur um philippinische Matrosen gehe,
deren Schiff im Hamburger Hafen ankert: „Die deutschen Auftraggeber können diese Problematik nicht ignorieren,
auch hier stellt sich für sie die unklare
Haftungsfrage.“ Aus Sicht der Arbeitgeber ist eine Aussetzung der Kontrollen
im Transitbereich zwar zu begrüßen. Sie
zeigt jedoch die systematischen Fehler
des Gesetzes. Dies wird auch durch die
zuletzt vom BMAS erklärte Ausnahme
von Amateursportlern auf Minijobbasis
aus dem Anwendungsbereich des Mindestlohngesetzes deutlich. „Auch hier
wird nunmehr nachträglich Flickschusterei außerhalb der gesetzlichen Vorgaben betrieben“, sagt Merkel: „Eine
derartige inhaltlich zu begrüßende Aufweichung des Gesetzes schürt im Gegenzug jedoch die Rechtsunsicherheit.“
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**Berechnung nicht eindeutig
Aus dem Mindestlohngesetz lässt sich
zudem nicht eindeutig ableiten, welche
Entgeltbestandteile für den Mindestlohn
zu berücksichtigen sind. Unklar ist zum
Beispiel, wie Zulagen für besondere Belastungen, Weihnachts- und Urlaubsgeld, Provisionszahlungen oder Umsatzbeteiligungen zu behandeln sind.
Weiter ist unklar, ob die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu
den Branchenmindestlöhnen nach dem
Arbeitnehmer-Entsendegesetz vollumfänglich herangezogen werden können.
„Daher müssen Arbeitgeber jede Entgeltzahlung hinsichtlich der Mindestlohnzahlung auf den Prüfstand stellen,
bis dies höchstrichterlich geklärt oder
durch den Gesetzgeber klargestellt ist“,
sagt Merkel.
**Ausnahmeregelungen unklar
In der Praxis sorgt auch der Umgang
mit den Ausnahmetatbeständen für
Unsicherheit – insbesondere bei den
Ausnahmeregelungen zu Praktikanten.
„Manche Praktika sind vom Mindestlohn
befreit, andere nicht. Im Einzelfall ist die
Einordnung für viele Unternehmen sehr
schwierig“, sagt Merkel. Die zahlreichen
unterschiedlichen Möglichkeiten, in welchem Rahmen Praktika absolviert werden können, führten daher vielfach zu
großer rechtlicher Verunsicherung in
den Betrieben.
**Erhöhter Aufwand
Das Mindestlohngesetz sieht für bestimmte Wirtschaftszweige und für geringfügig Beschäftigte besondere Dokumentationspflichten vor. Hiernach sind
Beginn, Ende und Dauer der täglichen
Arbeitszeit zu dokumentieren. Damit
will der Gesetzgeber verhindern, dass
der pro Stunde festgelegte Mindestlohn
einfach durch längere Arbeitszeiten ausgehebelt werden kann.
Aus Arbeitgebersicht ist jedoch nicht
nachvollziehbar, dass diese Regelung
auch für Arbeitnehmer gelten soll, die
– unter Berücksichtigung der maximal
zulässigen Höchstarbeitszeit bei einer
6-Tage-Woche – durch ihren Brutto­lohn
deutlich über dem Mindestlohn liegen.
Derzeit sind Betriebe von diesen Dokumentationspflichten nur bei Beschäf-
tigten befreit, deren monatliches Bruttoeinkommen mindestens 2.958 Euro
beträgt.
„Berücksichtigt man jedoch die maximal
zulässige Höchstarbeitszeit, kann diese
Grenze bedenkenlos auf zehn Euro je
Zeitstunde abgesenkt werden“, sagt
Merkel. Gerade bei geringfügig Beschäftigten erhöhe die Dokumentationspflicht
den Bürokratieaufwand erheblich: „Will
man aber den Bestand dieser Beschäftigungsverhältnisse im Interesse der Beschäftigten nicht gefährden, muss man
den Bürokratieaufwand so gering wie
möglich halten.“
Fachkräfteallianz wirbt
für Flüchtlinge
In den vergangenen Wochen haben
sich die Arbeitgeber Baden-Württemberg und weitere Bündnispartner der
Fachkräfteallianz Baden-Württemberg
darüber beraten, wie Flüchtlingen ein
besserer Zugang zu Ausbildung und
Arbeit ermöglicht werden kann.
Erfahrungen zeigen, dass vor allem
eine erfolgreiche Integration in Beschäftigung auch als Grundlage für
eine erfolgreiche Integration in die
Gesellschaft dient. „Eine Beschäftigung verhilft Flüchtlingen zu einem
Stück Normalität“, sagte der Finanzund Wirtschaftsminister Nils Schmid
beim Treffen. Aber auch mit Blick auf
bereits bestehende Fachkräfteengpässe in einzelnen Branchen, Berufen und Regionen sei es nur richtig,
die Potenziale von Flüchtlingen zu
erschließen, sagte Stefan Küpper,
Geschäftsführer Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik der Arbeitgeber Baden-Württemberg. Viele Flüchtlinge
und Asylbewerber verfügten über eine
Berufsausbildung und gute Qualifikationen. Damit stünde der Wirtschaft
ein Pool an potenziellen Fachkräften
zur Verfügung. Um diese Potenziale
besser für den hiesigen Arbeitsmarkt
nutzen zu können, seien jedoch gemeinschaftliche Anstrengungen notwendig. Als zentrale Herausforderungen machten die Bündnispartner
insbesondere die Sprachförderung,
die Vermittlung in Ausbildung und
Arbeit, die Rechtssicherheit und die
Berufsanerkennung aus.
Mehr Informationen:
http://bit.ly/asyl-fluechtlingspolitik
Starke Initiative für Schulfach Wirtschaft
konsequent weiterzugehen und sich
dabei nicht durch eine offensichtlich an
engen Einzelinteressen orientierte Kritik
beirren zu lassen“, sagt Küpper.
Foto: fotolia/Marco2811
Wirtschaft
Unter der Federführung der Arbeitgeber Baden-Württemberg haben insgesamt 19 Organisationen aus Wirtschaft,
Schule, Wissenschaft und Kommunen
der Landesregierung öffentlich den Rücken gestärkt, wie geplant 2016 das
eigen­stän­dige Unterrichtsfach Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung
an den weiterführenden Schulen einzuführen.
In einem gemeinsamen Brief an Ministerpräsident Kretschmann sowie die Minister Schmid und Stoch bezeichnen die
19 Organisationen die geplante Einführung des eigenständigen Unterrichtsfachs als „Meilenstein“. „Für eine solide Allgemeinbildung wird in unserer
dynamischen Gesellschaft die ökonomische Bildung immer wichtiger“, sagt
Stefan Küpper, Geschäftsführer Bildung
der Arbeitgeber Baden-Württemberg:
„Das geplante eigenständige Fach und
die dazu vorliegenden Entwürfe des Bildungsplans sind aus unserer Sicht dazu
geeignet, diesen Ansatz wirkungsvoll
einzulösen.“
Mit der Veröffentlichung der gemeinsamen Initiative wollen die beteiligten Organisationen die beeindruckende gesellschaftliche Breite der Unterstützung für
das Schulfach Wirtschaft verdeutlichen.
Ökonomische Fragestellungen, etwa
die unterschiedlichen Rollen des Einzelnen als Verbraucher, Erwerbstätiger
oder Wirtschaftsbürger, seien in einem
eigen­stän­digen Fach besser zu vermitteln als in einem fächerübergreifenden,
punktuellen Aufgreifen wirtschaftlicher
Themen in den Fächern Geschichte, Gemeinschaftskunde oder Erdkunde. „Wir
empfehlen der Landesregierung daher
dringend, den eingeschlagenen Weg
Diese Kritik komme insbesondere aus
dem Lager wirtschaftskritischer Soziologen und der Gewerkschaften – obwohl
der Deutsche Gewerkschaftsbund sich
noch vor einigen Jahren gemeinsam mit
den Arbeitgebern für mehr sozioökonomische Bildung und ein eigenständiges
Unterrichtsfach Wirtschaft stark gemacht habe, sagt Küpper: „Aber die lautstark vorgetragene Befürchtung ­einer zu
großen Einflussnahme der Wirtschaft ist
ideologisch gefärbt und unbegründet.
Wir reden hier schließlich über ökonomische Grundbildung, bei der – und da
sind sich alle Beteiligten einig – alle Betrachtungs- und Sichtweisen berücksichtigt werden sollen. Ausgerechnet
diejenigen, die mit Vorliebe über die
vermeintliche Dominanz einer ominösen Mainstreamökonomie, über die vermeintliche Macht der Wirtschaftslobby
und über die Notwendigkeit von Multiperspektivität schwadronieren, müssen sich fragen lassen, warum sie nur
ihre eigenen Programmsätze zur Wahrheit für Schule und Unterricht erheben.
Auch gegen diese Art der Politisierung
und Instrumentalisierung von Schule
wenden sich die Partner der Initiative
für ein Fach Wirtschaft.“
IMPRESSUM
Arbeitgeber Baden-Württemberg
Landesvereinigung
Baden-Württembergischer
Arbeitgeberverbände e. V.
Löffelstr. 22-24, 70597 Stuttgart
www.agv-bw.de
V.i.S.d.P.: Volker Steinmaier
Gestaltung und Produktion:
IW Medien GmbH, Köln · Berlin