Now! - Saarbrücker Zeitung

Transcription

Now! - Saarbrücker Zeitung
SEITE A2
THEMEN DES TAGES
NR. 68
DIENSTAG, 20. MÄRZ 2012
Abschied vom Bergbau
Am 30. Juni 2012 endet im Saarland eine Epoche. Nach Jahrhunderten der privaten und staatlichen Kohleförderung wird das Kapitel für immer geschlossen. Die SZ beschreibt die fantastische Geschichte des Bergbaus in einer wöchentlichen Serie.
Das Backstein-Bollwerk von Bildstock
Der von Bergleuten erbaute Rechtsschutzsaal gilt als eines der wichtigsten Denkmäler der deutschen Arbeiterbewegung – SZ-Serie, Teil 12
Verkürzung der Schichten auf
acht Stunden, einen besseren Verdienst und die Entfernung der
n einem Friedrichsthaler Gitter an den Stollenmündern
Stadtteil steht ein imposan- verlangte.
Nach diesem mutigen Bekennttes Gebäude, das einmalig ist
in Deutschland: der Rechts- nis kam es zu spontanen Arbeitsschutzsaal von Bildstock. Für niederlegungen, auch zu regelBergarbeiter und Gewerkschafter rechten Streiks. 15 000 Mann pilhat der Klinkerbau mit der mar- gerten am 22. Mai nach Bildstock,
kanten Fassade eine fast sakrale um die Forderung nach einer verBedeutung, denn hier wurde vor nünftigen Arbeitsordnung auf den
120 Jahren Geschichte geschrie- Gruben zu unterstreichen. Dieser
ben. An diesem Ort, der damals Arbeitskampf an der Saar sollte
zentral im Kohlerevier lag, haben für die Bergleute recht positiv ensich Dramen abgespielt, haben die den, auch wenn der Kaiser sich
Bergleute im Kampf gegen den weigerte, eine nach Berlin angepreußischen Bergfiskus trium- reiste Delegation der Saar-Gruphiert – und dann doch verloren. ben zu empfangen. Immerhin
Bauherr und Träger des Gebäu- wurde den Steigern die Annahme
Geschenken
verboten,
des war der „Rechtsschutzverein“ von
(RSV), wenn man so will: die erste Schichtlöhne und die Gedinge-ErGewerkschaft der Bergleute im löse verbessert sowie die SchichtSaarrevier. Dieser Verein war in dauer auf zehn Stunden – mit Einder Folge des Arbeitkampfes vom und Ausfahrt – begrenzt.
Dennoch kam es zur Gründung
Frühjahr 1889 gegründet worden,
sehr zum Missfallen des preußi- der ersten Gewerkschaft der Bergschen Bergfiskus, gegen dessen leute an der Saar, dem RechtsDrangsalierungs-Versuche sich schutzverein von Bildstock. Der
die Bergleute wehren wollten. So Verein hatte ungeahnten Zuwurden etwa die Löhne sowie die spruch. Bereits im Sommer 1891
Zahl der geforderten Arbeitsstun- waren mehr als 20 000 Bergleute
registriert. Zugleich
den nach preußischer
wurde der Bau eines
Gutsherrenart
mal
eigenen Saales für die
nach oben, mal nach
„Ich
Bergleute
immer
unten nivelliert. Auch
dringlicher, da sich eidie Steiger trugen dabefürchte
nerseits die Nebensäle
zu bei, dass der Unmut
wüste
in den vorhandenen
unter den BelegschafGastwirtschaften als
ten ständig wuchs. So
Agitation
in
viel zu klein erwiesen
versuchten viele Vorgesetzte, ihr relativ ge- Permanenz.“ und andererseits Versammlungen
unter
ringes DiensteinkomLandrat Eduard
freiem Himmel von
men durch Korruption
zur Nedden,
der Verwaltung meist
unter Tage aufzubesder den Bau des
untersagt
wurden.
sern.
Insbesondere
sollen die Steiger Geld Rechtsschutzsaals Und so kam es am 12.
verhindern wollte
Januar 1890 im Bildund Naturalgeschenke
stocker
Gasthaus
von den Bergleuten erKron zur Sitzung einer
presst haben, selbst
das „Recht der ersten Nacht“ soll Vertrauensmännerkonferenz, die
gefordert worden sein. Wer sich den Bau eines eigenen Vereinshier nicht fügte, hatte keine guten saals beschloss. Die Obrigkeit verKarten, denn dann wurde er bei suchte zwar mit allen Mitteln, die
der Zuteilung der Arbeit oder Umsetzung dieses Plans zu verbeim Verwiegen der geförderten hindern, da man „wüste Agitation
in
Permanenz“
befürchtete
Kohlen benachteiligt.
Vor diesem Hintergrund kam es (Landrat Eduard zur Nedden),
im Frühjahr 1889 auf den Berg- doch trotz schikanöser Auflagen
werken zu ersten Streiks. Schnell und Verzögerungen wurde der
entstand eine Massenbewegung. Bau schließlich am 13. Dezember
Entlang der Bergmannspfade 1890 genehmigt.
Nachdem man sich auf ein
wurden Plakate mit Forderungen
nach einer Acht-Stunden-Schicht Grundstück hinter dem Gasthaus
sowie nach höheren Löhnen auf- Kron als Bauplatz geeinigt hatte,
gehängt. Am 14. Mai ließen sich begannen die Bauarbeiten zum
die beiden Bergleute Nikolaus Rechtsschutzsaal am 10. Mai 1891.
Warken und Matthias Bachmann Die Stimmung unter den Arbeieine Versammlung für den nächs- tern war so euphorisch, dass sie
ten Tag in Bildstock genehmigen. planten, eine dauerhafte „ProzesRund 3000 Bergleute kamen, um sion“ nach Bildstock zu veranstaldas so genannte „Bildstocker Pro- ten, denn jedes Mitglied des RSV
tokoll“ zu verabschieden, das die musste eine Mark und zwei Back-
Von SZ-Redakteur
Gerhard Franz
I
Steinernes Symbol des Kampfes der Bergleute gegen den Bergfiskus: der Rechtsschutzsaal von Bildstock.
steine zum Bau des Hauses beisteuern. Natürlich wurde sofort
verboten, dass die Bergleute mit
ihren Steinen nach Bildstock zogen, doch einzelne Trupps ließen
sich nicht davon abhalten.
Ein Jahr später stand der Rohbau, vier Monate danach, am 11.
September 1892, konnte der
schmucke Saalbau eingeweiht
werden. Es war ein Sieg, der die
Bergleute stolz und sicher machte
– zu jener Zeit konnten sie noch
nicht ahnen, dass der Rechtsschutzverein und damit die Sinnhaftigkeit des Baus schon wenig
später zerbrechen sollten.
Dass der Rechtsschutzverein
scheitern musste, war bereits im
Interessenkonflikt der handelnden Personen angelegt. Arbeiterführer Nikolaus Warken ließ sich,
gestärkt durch den Arbeitskampf
im Frühjahr 1889, als Kandidat
der Bergleute für die Reichstagswahl 1890 aufstellen. Damit wurde er zum persönlichen Konkurrenten von Kaplan Georg-Friedrich Dasbach, den das katholische
Zentrum ins Rennen geschickt
hatte. Doch Dasbach war derjenige, der den Bergleuten das geistige
Rüstzeug für ihre Auseinandersetzungen mit dem Bergfiskus geliefert hatte.
Seinen Niedergang erlebte der
RSV im Arbeitskampf 1892/93, als
Streiks während einer Absatzkrise
für die Steinkohle angezettelt
wurden. Das erlaubte es der Bergwerksdirektion, die streikwilligen
Arbeiter fristlos zu entlassen oder
sie mit dieser Drohung massiv unter Druck zu setzen. Viele Bergleute gerieten in existenzielle Not,
AUF E IN E N BLIC K
.................................
Der Rechtsschutzsaal in
Bildstock wird heute unter
anderem von Vereinen und
Schulen genutzt. Für die
Gaststätte wird gerade ein
neuer Pächter gesucht. Informationen unter Telefon
(0 68 97) 85 68 101, E-Mail
[email protected]. red
sie bekamen Angst – und resignierten: Bis Ende März 1893 wurden mehr als 10 000 Austritte aus
dem Rechtsschutzverein registriert, nachdem die Bergwerksdirektion keine Vereinsmitglieder
mehr auf ihren Gruben duldete.
Die in den Statuten festgelegten
Aktivitäten des Vereins wurden
am 13. Juli 1893 beendet. Das hatte gravierende Auswirkungen
auch auf den Rechtsschutzsaal:
Weil noch viele offene Rechnungen zu begleichen waren, musste
bereits im September 1893 die Inneneinrichtung des Saals, der ja
erst ein Jahr zuvor eingeweiht
worden war, versteigert werden.
Damit war klar: Die Bergleute
konnten ihren Saal nicht mehr
halten. Nachdem die Neunkircher
Schloß-Brauerei das Haus Ende
1893 erworben hatte, wollte sie
das für kommunale Veranstaltungen etwas überdimensionierte
Gebäude dann doch wieder loswerden und verkaufte es am 2. Januar 1895 – ausgerechnet! – an
den Königlich-Preußischen Berg-
FOTO: ULI BARBIAN
fiskus. Eines der wichtigsten
Denkmäler der Gewerkschaftsbewegung war damit in die Hände
der „Arbeitgeber“ geraten. Danach wurde der Saal jahrzehntelang mal als Kindergarten, mal als
Ausbildungsstätte für Hauswirtschaft, mal als Veranstaltungsort
für Vereine sowie als Wohnraum
genutzt – bis er rund 100 Jahre
später aus seinem Dornröschenschlaf aufgeweckt werden sollte.
Unter Leitung von Bürgermeister Werner Cornelius wurde 1990
die „Stiftung Rechtsschutzsaal“
gegründet, an der sich das Land,
der Stadtverband Saarbrücken,
die Stadt Friedrichsthal, die Saarbergwerke, der DGB, die IG Bergbau und Energie, die HeinrichBöckler-Stiftung, die Arbeitskammer sowie der Gesangverein Edelweiß-Germania beteiligten. Stiftungsziel war es, den Rechtsschutzsaal wieder in einen würdigen Zustand zu versetzen. Cornelius sagt heute rückblickend: „Das
war ein Aufgabe, die mich gereizt
und meinen Ehrgeiz geweckt hat.“
H I N T E RG R U N D
.................................
„Eckstein ist Trumpf!“
Nikolaus Warken, alias
„Eckstein“, wurde Anfang
der 1890er Jahre fast wie
ein Heiliger verehrt. Eindrucksvoll erzählt dies der
Holzer Bergmann Johannes Meiser (1855-1918) in
seinen „Erlebnissen und
Erinnerungen“. Eckstein
sei zum „Fundament unserer Erlösung und Befreiung“
geworden,
zum
„Held“. Händler und Krämer im Saarrevier hätten
darauf reagiert, mit „Eckstein-Pfeifen“, Zigaretten,
Karten, ja sogar mit Abführmitteln, die Warkens
Konterfei trugen. Die bemerkenswerten Aufzeichnungen Meisers, vom Verlag als „sozialgeschichtliches Juwel“ bezeichnet,
sind 2005 als Buch erschienen: „Auch dafür danke ich
dem lieben Gott!“, Conte
Verlag, 14,90 Euro.
red
Der Hasborner Bauernsohn Nikolaus Warken, den alle nur „Eckstein“ nannten, war der erste Arbeiterführer an der Saar
www.
saarbruecker-zeitung.de/
bergbauende
Er legte sich mit den Mächtigen an,
versteckte sich in einem Kellerverlies vor der Polizei: Der 1851 in Hasborn geborene Nikolaus Warken
war einer der Gründerväter der Arbeiterbewegung an der Saar.
Von SZ-Redakteur
Gerhard Franz
Hasborn. Nikolaus Warken, ein
unerschrockener Mann mit Vollbart und von großer Statur, war
der erste saarländische Arbeiterführer. Nachdem er bei den großen Arbeitskämpfen im Bergbau
im Mai 1889 an die Spitze des
Streikkomitees gewählt worden
war, übernahm er auch Verantwortung für den Bildstocker
„Rechtsschutzverein für die bergmännische Bevölkerung des
Oberbergamtsbezirks
Bonn“.
Schon drei Wochen später, am 15.
Juni 1889, war er „wegen hervorragender agitatorischer Tätigkeit“
von der Bergwerksdirektion „abgelegt“, also entlassen worden. Im
Dezember desselben Jahres wur-
de er erstmals wegen Beleidigung
von Bergbeamten zu einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt. Insgesamt sollten in den
nächsten Jahren über 30 weitere
Verurteilungen, zum Teil mit
Freiheitsstrafen, folgen, von denen Warken deutlich mehr als
zweieinhalb Jahre hinter Gittern
verbüßte.
Im März 1867 verfuhr Nikolaus
Warken, der am 26. Dezember
1851 als erstes von acht Kindern
eines Bauern in Hasborn geboren
worden war, seine erste Schicht
auf dem Helenen-Schacht in
Friedrichsthal. Wie viele junge
Leute damals, die von der Schulbank weg zur Grube geschickt
wurden, um das Familieneinkommen aufzubessern. Sein Leben
verlief zunächst unauffällig, wie
sich auch aus dem Personalbericht des Tholeyer Bürgermeisters herauslesen lässt, der von der
Saarbrücker Verwaltung wegen
der Vorgänge 1889 in Bildstock
angefordert worden war. Darin
hieß es: „Nikolaus Warken, Berg-
Wurde fast wie ein Heiliger verehrt: Nikolaus Warken. FOTO: SZ
mann, Sohn von Johann Warken,
Ackerer, und Anna Maria Scholl.
Geboren am 26. Dezember 1851 in
Hasborn, Kreis Ottweiler, Preuße,
verheiratet, vier Kinder. Besitzt
92,29 Ar Ländereien im Wert von
600 Mark. Hat beim Militär gedient, über Ruf und Führung
nichts Nachteiliges bekannt.“
Seinen Beinamen „Eckstein“ erhielt der streitbare Bergmann, wie
es die Überlieferung will, wegen
eines Zusammenstoßes mit einem
Steiger im Frühjahr 1889. Nach einer achtstündigen Schicht in
Friedrichsthal hatten Warken und
seine Partieleute Pike und Schaufel zur Seite gelegt, um sich bis zur
Öffnung des Stollenmundes mit
einem Kartenspiel zu unterhalten. Doch just in dem Moment, als
Warken sein Spiel mit der Ansage
„Eckstein ist Trumpf!“ eröffnen
wollte, sei ein Steiger vorbeigekommen und habe die Bergleute
aufgefordert, wieder an die Arbeit
zu gehen. Doch darauf erfolgte
Warkens schroffe Entgegnung,
dass man mit acht Stunden genug
gearbeitet habe und dass das Spiel
nun weitergehe. „Eckstein ist
Trumpf!“, wiederholte er. Seit diesem Vorfall wurde er anerkennend „Eckstein“ gerufen.
Obwohl Warken im Jahr 1890
für den Reichstag kandidierte und
in fast allen Bergmannsdörfern
beachtliche Wahlergebnisse ein-
fuhr, wurde er weiterhin von der
Obrigkeit mit aller Härte verfolgt.
Selbst Hunde setzte man auf seine
Fährte an. Die Spürarbeit war so
intensiv, dass er sich vor der Polizei im Haus seines Vaters in Hasborn versteckte, wo er sich in einem winzigen Kellerverlies einschließen ließ. Obwohl das Haus
einmal sieben Wochen lang ununterbrochen bewacht wurde, konnte Warken sich in seinem Versteck
aufhalten, ohne dass die Polizei
ihn ein einziges Mal wahrgenommen hätte.
Nach dem Zusammenbruch des
Rechtsschutzvereins
verkaufte
Warken sein Haus in Bildstock am
kleinen Markt und zog sich in seinen Heimatort Hasborn zurück,
wo er seinen Lebensunterhalt mit
Landwirtschaft und dem Verkauf
von Fotografien und Bilderrahmen verdiente. Am 24. August
1920 verstarb Warken.
PRODUKTION DIESER SEITE:
THOMAS SCHÄFER, IRIS NEU
BERNARD BERNARDING