Medikamente für Menschen

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Medikamente für Menschen
HEUTE FORSCHEN, UM MORGEN ZU HEILEN
european federation of pharmaceutical industries and associations
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Danksagung
Diese Veröffentlichung ist die deutsche Fassung der Broschüre Medicines for Mankind (Volume 4).
Wir danken ihrem Autor Dr. Robert Geursen für die Erlaubnis der Übersetzung.
Die deutsche Übersetzung wurde vom Sprachen-Service im Industriepark Höchst in Frankfurt
am Main unter Leitung von Susanne Scheid vorgenommen. Die wissenschaftliche und medizinische
Begutachtung lag bei Dr. Robert Geursen. Die Koordination der Gesamtarbeiten übernahm Marie-Claire
Pickaert. Hiermit danken wir allen für die Mühe und die Zeit, die sie auf die exakte Redigierung der Texte
verwandt haben. Wir danken dem Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) in Berlin und der
Interpharma in Basel für ihre Unterstützung.
Wir danken Dr. Peter Heer, Bill Kirkness, Philippe Loewenstein, Dr. Jean-Marie Muschart (HCS) und
Marie-Claire Pickaert für ihre Mitarbeit im Redaktionskomitee.
Unsere Anerkennung gilt auch der Gruppe der Forschungsleiter der EFPIA unter Vorsitz von Dr. Jonathan
Knowles, sowie Karima Boubekeur.
Für die Erstellung der Abbildungen und Photos möchten wir folgenden Personen und Einrichtungen
unseren herzlichen Dank ausdrücken: Lander Loeckx (Photograph), Dr Robert Sebbag (sanofi-aventis),
Alain Grillet (sanofi pasteur service communication) und Ramona Schweizer (Roche-Photoarchiv)
und Dr. Jean-Marie Muschart (Szenographie und medizinische Begutachtung).
Unser besonderer Dank geht an alle Personen und Patienten an den verschiedenen Orten, welche sich
freundlicherweise bereit erklärt haben, sich für diese Broschüre aufnehmen zu lassen.
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Medikamente für Gesundheit
und Wohlstand in Europa
Brian Ager, Generaldirektor des Europäischen
Verbands der Pharmazeutischen Industrie (EFPIA)
Die pharmazeutische Industrie leistet einen wichtigen Beitrag zu Gesundheit
und Erwartungen der Patienten, indem sie für bislang ungedeckte medizinische Bedürfnisse Arzneimittel entwickelt, die Leben retten und die Lebensqualität der Betroffenen verbessern können. Im Umfeld des globalen Wettbewerbs trägt die Pharmaindustrie durch nachhaltige Investitionen in Forschung
und Entwicklung zu wissenschaftlichen und technologischen Innovationen, zu
Wirtschaftswachstum und Beschäftigung bei.
Forschende Pharmaunternehmen haben in den letzten 20 Jahren über 90
Prozent aller neuen Medikamente weltweit entwickelt und den Patienten zugänglich gemacht. Während es im Jahre 1900 noch fraglich war, ob ein Kind
überhaupt das Erwachsenenalter erreicht, und die durchschnittliche Lebenserwartung in Europa bei nur 55 Jahren lag, haben die Kinder von heute eine
Lebenserwartung von fast 80 Jahren. Gegenwärtig arbeiten in den Labors
der europäischen Pharmaindustrie über 100.000 Wissenschaftler an der Erforschung und Entwicklung neuer Heilmittel und besserer Behandlungen.
Eine aktuelle Bestandsaufnahme zeigt, dass in den Unternehmen derzeit an
mehr als 700 neuen Arzneimitteln und Impfstoffen in allen therapeutischen
Bereichen gearbeitet wird.
Dennoch nimmt die Bedrohung der Menschen durch Krankheiten ständig zu – allein in den
vergangenen 20 Jahren verzeichnete die Weltgesundheitsorganisation WHO weltweit mindestens 30 neue Krankheiten. Unsere Gesellschaften sind mit zahlreichen Problemen in der
Gesundheitsversorgung konfrontiert, wie beispielsweise der Alterung der Bevölkerung in den
Industrieländern und der Zunahme nicht übertragbarer Krankheiten in den Entwicklungsländern. In Anbetracht des Ausmaßes der ungelösten medizinischen Fragen ist unsere Verantwortung, neue Medikamente zu entwickeln, größer denn je zuvor.
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Welche Funktion hat die pharmazeutische Industrie in diesem Prozess? Unser Kerngeschäft
ist die Entwicklung innovativer Arzneimittel für die Bedürfnisse der Patienten, die sicher,
wirksam und qualitativ hochwertig sind. Die meisten unserer Fortschritte bestehen aus vielen kleinen Schritten, und zudem ist jedes Arzneimittel mit Nutzen und Risiken verbunden.
Dabei ist die Innovationsfähigkeit der Pharmaindustrie weitgehend von dem spezifischen
Umfeld geprägt, in dem die Unternehmen tätig sind. Dieses Umfeld besteht aus den jeweiligen politischen und regulatorischen Rahmenbedingungen, die auf wesentliche Elemente
der pharmazeutischen Wertschöpfungskette, wie beispielsweise die vorklinische und klini-
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Allerdings wiegt diese Verantwortung so schwer, dass die Pharmaindustrie sie nicht alleine
tragen kann. Unsere einzige Chance besteht darin, dass alle Interessengruppen partnerschaftlich zusammenarbeiten. Allein sind weder die Unternehmen noch die Wissenschaft in
der Lage, die medizinischen Probleme lösen, denen die Patienten weltweit gegenüberstehen. Alle am Entwicklungsprozess Beteiligten müssen zusammenarbeiten, um die Grenzen
der Wissenschaft immer wieder neu zu definieren und damit die Patienten und die Gesellschaft wirklich voranzubringen. Die enormen molekulartechnologischen Fortschritte der letzten Jahre in der Grundlagenforschung und der Medizin haben die Tür zu einer neuen Ära
geöffnet, in der dieses Wissen Anwendung finden wird.
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sche Entwicklung, das Zulassungsverfahren sowie den Vertrieb und Verkauf der Medikamente Einfluss nehmen. Alle diese Elemente stehen in Wechselbeziehungen zueinander und sind Bestandteil des Investitions- und Innovations-Kreislaufs der Pharmaindustrie.
Damit wir unseren wichtigen Beitrag zur Gesundheit und zum wirtschaftlichem Wohlstand in Europa sowie zur Förderung des Forschungs- und Wissenschaftsstandorts Europa weiterhin leisten können, sind einige grundlegende politische Maßnahmen erforderlich. Diese sollten darauf abzielen, pharmazeutische Innovationen anzuerkennen und zu honorieren sowie einen raschen Zugang der Patienten zu einer optimalen
Gesundheitsversorgung sicherzustellen.
Es sind zwei gegenläufige Trends zu beobachten, die – sofern sie sich fortsetzen – die
Nachhaltigkeit des Innovationspotenzials der Pharmaindustrie ernsthaft gefährden
könnten. Auf der einen Seite werden Forschung und Entwicklung (F&E) immer kostenintensiver, während auf der anderen Seite die Bereitschaft, einen angemessenen
Preis für neue Arzneimittel zu zahlen, insbesondere in Europa abnimmt. Beide Trends
könnten durch eine Änderung der politischen und regulatorischen Rahmenbedingungen, die das Tätigkeitsumfeld der pharmazeutischen Industrie prägen, beeinflusst werden.
Eine deutliche Mehrheit der allgemeinen Öffentlichkeit ist der Ansicht, dass ihre Regierungen die Ausgaben im Gesundheitssektor erhöhen sollten, da die Menschen immer länger leben und einen Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung und neuen Arzneimitteln erwarten. Die Menschen verlangen einen besseren Zugang zu Informationen über die Gesundheitsversorgung im Allgemeinen und
über neue Arzneimittel im Besonderen – und vor allem eine breitere öffentliche Beteiligung an Entscheidungsprozessen im Gesundheitswesen. Darüber hinaus haben
viele Menschen den Eindruck, dass die Qualität der Gesundheitsversorgung in ihrem
Land leidet, weil ihre Regierungen nicht genügend Mittel für die medizinische Forschung bereitstellen.
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In diesem Zusammenhang ist ein offener Dialog mit Zulassungsbehörden und Leistungsanbietern im Gesundheitswesen unabdingbar, in den auch die Patienten mit einbezogen werden sollten. Besser informierte Patienten können einen entscheidenden
Beitrag dazu leisten, das Ziel einer zugänglichen, hochqualitativen und nachhaltig finanzierbaren Gesundheitsversorgung zu erreichen.
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Günter Verheugen,Vizepräsident der Europäischen Kommission, Unternehmen und Industrie, hat im Rahmen der Ziele von Lissabon eine neue Strategie für die pharmazeutische Industrie vorgestellt. Die neue Strategie, die seit Anfang 2006 verfolgt wird,
befasst sich mit Themen wie Innovationsförderung, Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Verbesserung der Information und Sicherheit für Patienten. Fortschritte in
diesen Bereichen können Veränderungen anstoßen, die den Patienten und den Kostenträgern, den politischen Interessen und der Pharmabranche dienen. Gemeinsam
mit EU-Kommissar Markos Kyprianou hat Verheugen das High Level Pharmaceutical
Forum ins Leben gerufen.
Die pharmazeutische Industrie und die EFPIA haben sich verpflichtet, partnerschaftlich in diesem Forum mitzuarbeiten, um sicherzustellen, dass Fortschritte in Richtung
positiver Veränderungen erreicht werden.
Mit dieser abschließenden Ausgabe von Medikamente für Menschen wird der Hintergrund dieser politischen Diskussionen umrissen und unterstrichen, wie wichtig es ist,
dass Europa als Investitionsstandort für Forschung auf dem Gebiet der Life Sciences
in Verbindung mit einer dynamischen F&E-Industrie neuen Schwung gewinnt – mit all
den Vorteilen, die dies mit sich bringt.
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Medizinische und
pharmazeutische Forschung
für ein besseres Leben
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist das Leben der Menschen dank der medizinischen
Forschung gesünder, einfacher und bequemer geworden. Noch vor hundert Jahren war
unser Wissen über die Ursachen von Krankheiten und Störungen eher begrenzt. Selbst
in den 50er Jahren war die Diagnose bestimmter Krankheiten nicht mit der Möglichkeit einer Heilung verbunden, und bei den meisten Patienten dieser Zeit erfolgte die
Behandlung rein symptomatisch.
In den 70er Jahren beschloss die internationale wissenschaftliche Gemeinschaft, bei
der Entdeckung der grundlegenden Mechanismen der biologischen Prozesse von Menschen, Tieren und Mikroorganismen zusammenzuarbeiten. Dies führte zu Projekten
wie dem Humangenomprojekt, das den Beginn der so genannten Genomrevolution
kennzeichnete. Die Medikamente unserer Zeit beruhen auf der Erforschung molekularbiologischer Grundlagen, durch die Wissenschaftler Möglichkeiten gefunden haben, körpereigene Regulierungsfaktoren wie Ionenkanäle, Rezeptoren oder Enzyme,
die am Krankheitsgeschehen beteiligt sind, zu stimulieren oder zu blockieren. Gebiete
wie die Genomik und Proteomik eröffnen zu Beginn des 21. Jahrhunderts völlig neue
Perspektiven, nicht nur, um die Funktion der Proteine besser zu verstehen, sondern
auch, wie wir sie bei der Suche nach neuen Medikamenten nutzen können.
Die Arzneimittelforschung hat in den vergangenen Jahrzehnten eindrucksvolle neue
Werkzeuge entwickelt. Parallel dazu führten die Fortschritte der Biotechnologie zu Medikamenten, die an Schlüsselfunktionen ansetzen, die die Krankheitsprogression präziser beeinflussen. Allerdings vergehen heute von der wissenschaftlichen
Theorie bis zur Marktreife neuer Medikamente noch immer ungefähr zehn
Jahre. In diesem Zeitraum werden
Computermodelle neuer Moleküle geprüft, Tausende von Varianten im Reagenzglas untersucht, und eine kleine
Zahl von Kandidaten wird schließlich
in Tiermodellen getestet. Wenn sich
Ärzte und Wissenschaftler sicher sind,
dass kein unvertretbares Risiko besteht, wird das potenzielle neue Arzneimittel anschließend beim Menschen geprüft.
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Von zehn bis fünfzehn Substanzen, die
die Phase der klinischen Forschung erreichen, besteht nur bei einer die
Wahrscheinlichkeit, dass sie bis zur Zulassung gelangt. Außerdem ist der Zeitaufwand für diese klinischen Studien recht
unterschiedlich. Handelt es sich bei dem neuen Arzneimittel beispielsweise um ein
Antibiotikum zur Behandlung von Harnwegsinfekten, wird sich bei allen Patienten
innerhalb weniger Tage ein positives Ergebnis zeigen, sobald die Infektion überwunden ist. Bei chronischen Krankheiten hingegen kann die Studie ein Jahr oder länger
dauern und eine langfristige Nachbeobachtung erforderlich sein, um festzustellen, ob
der klinische Nutzen über einen längeren Zeitraum anhält. Trotz dieser komplexen As-
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pekte ist die Zahl der neuen Arzneimittel, die die Öffentlichkeit erreichen, im letzten
Jahrzehnt mit etwa 35-45 pro Jahr stabil geblieben.
Die medizinisch-wissenschaftliche Forschung und Entwicklung bringt immer wieder
völlig neue Behandlungsansätze gegen Krankheiten hervor, die in früheren Jahrzehnten noch nicht therapierbar waren. Die vier Bände von „Medikamente für Menschen”
beschreiben einige der Fortschritte, die bei der Behandlung von 100 Krankheiten erzielt worden sind. Hinter jeder dieser Krankheiten stehen Tausende oder gar Millionen
von Patienten, die Hilfe suchen und auf Linderung und Heilung ihrer Leiden hoffen.
Medizinische und pharmazeutische Wissenschaft:
Ein besonderer Innovationsprozess
Innovationen finden nicht im luftleeren Raum statt. Ihr Umfeld mit seinen intellektuellen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen bestimmt,
wie schnell der Prozess vorangeht oder ob er überhaupt stattfindet. Der Ausgangspunkt der Erforschung und Entwicklung neuer Arzneimittel ist das Verständnis der genetischen oder biochemischen Grundlagen der Krankheit oder ein spezifischer Angriffspunkt oder Pfad, von dem man annimmt, dass er eine Rolle in dem Mechanismus
spielt, der der Krankheit zugrunde liegt. Und nicht zuletzt muss das Projekt auch chemisch machbar sein.
Forschungsgruppen brauchen darüber hinaus eine langfristige Perspektive. Im Durchschnitt dauert es zehn bis zwölf Jahre, bis ein neu synthetisierter Wirkstoff zu einem
Arzneimittel herangereift ist, das an Patienten abgegeben werden kann. Dass die präklinischen Laborarbeiten und klinischen Studien zum Nachweis der Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit eines neuen Arzneimittels einen so langen Zeitraum in Anspruch nehmen, ist darauf zurückzuführen, dass die Produkte immer anspruchsvoller werden, die behördlichen Anforderungen komplex und die Verwaltungsverfahren langwierig sind.
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Wodurch wird der Innovationsprozess in Gang gesetzt? Mit innovativen Arzneimitteln lassen sich Krankheiten rascher und wirksamer behandeln als mit den herkömmlichen Produkten. In vielen Fällen lassen
sich durch neue Arzneimittel Folgekosten einsparen, die bei weniger
wirksamen Produkten durch Komplikationen, Krankenhausaufenthalte, Arbeitsunfähigkeit, Invaliditätsrenten und die langfristige Belastung der Gesundheitssysteme entstehen. Die Gesellschaft profitiert
von der Einführung neuer und innovativer Produkte. Unternehmen,
die in die Entwicklung und Zulassung neuer Arzneimittel investieren,
zahlen Steuern und schaffen Arbeitsplätze. Sie beschäftigen hoch
qualifizierte Fachkräfte und beleben das Forschungs- und Entwicklungspotenzial lokaler wissenschaftlicher Einrichtungen.
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Andererseits werden neue Arzneimittel häufig als einer der größten
Kostentreiber der ständig steigenden Ausgaben im Gesundheitswesen
betrachtet. Es steht außer Frage, dass neue Arzneimittel benötigt werden und dass die Möglichkeiten, in die eigentlichen Mechanismen der
Krankheiten einzugreifen, größer sind denn je zuvor.
In diesem Zusammenhang sind politische Entscheidungsträger versucht, Systeme zur Bewertung des Innovationsgrads und des wirtschaftlichen Werts neuer Arzneimittel zu entwickeln, sobald diese auf
den Markt kommen. Dahinter steht die Vorstellung, dass es unnötig viele ähnliche Arzneimittel für ein und dasselbe Anwendungsgebiet gibt und dass geringfügige Verbesserungen zu kostspielig sind und dem Patienten letztlich keine Vorteile bieten. Auf
den ersten Blick hat dieser Ansatz eine gewisse Logik, doch letztendlich hält er einer
längeren Beurteilung nicht Stand, denn er führt zu einer Einschränkung der Anzahl
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Freisetzung
anderer
Ressourcen im
Gesundheitswesen
Produktivitätsvorteile
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Behandlung neuer
Krankheiten/
Indikationsgebiete
Innovation
Patientenkomfort
Behandlung von
Subpopulation
Wechselwirkungen mit
anderen
Arzneimitteln
Gesundheitsnutzen
- Lebensqualität á
- Lebensdauer á
Schnellere
Behandlung
Sicherheit
- Nebenwirkungen â
- Verträglichkeit á
Innovationsmerkmale bei neu entwickelten Arzneimitteln
Quelle: Office of Health Economics (OHE, Amt für Gesundheitsökonomie), London, 2005
von Medikamenten, die den Patienten zur Verfügung stehen, und damit zu Nachteilen für ihre Gesundheit.
Wie lässt sich die Kluft zwischen öffentlicher Wahrnehmung und Wirklichkeit schließen? Entgegen einer verbreiteten Fehleinschätzung finden Fortschritte und Innovationen in der Medizin stets in kleinen Schritten statt - und dies gilt nicht nur für Arzneimittel. Innovation ist eine graduelle Entwicklung, und nicht eine Eigenschaft, die vorhanden ist oder nicht. Das Kriterium bei Innovation ist nicht „ja oder nein“, sondern
sie sollte vielmehr als Kontinuum betrachtet werden.
Darüber hinaus ist Innovation mehrdimensional. Je größer die Verbesserung und je
mehr Dimensionen erreicht werden, desto höher ist der Grad der Innovation. Die wichtigsten potenziellen Dimensionen medizinischer Innovationen sind: Fortschritte, die
zur Verbesserung der Gesundheit führen, Fortschritte, die den Patienten das Leben einfacher machen sowie jeglicher sonstige gesellschaftliche Wertzuwachs. Ein solcher
Wertzuwachs für die Gesellschaft kann beispielsweise darin bestehen, dass andere
Ressourcen im Gesundheitswesen freigesetzt werden, wenn neue Arzneimittel die Art
der Gesundheitsversorgung von Patienten verändern, oder es kann sich um Einsparungen durch Produktivitätssteigerungen handeln.
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Häufig wird in Diskussionen über Innovationen die Bedeutung neuer Indikationen für
solche Arzneimittel außer Acht gelassen, die bereits auf dem Markt sind. Oft erweisen
sich Arzneimittel, die ursprünglich für die Behandlung einer bestimmten Krankheit
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Medizinischer Fortschritt ist nur gelegentlich ein „ganz großer Durchbruch“ und selbst
dann ist er von einer Ansammlung von Wissen abhängig. Mit der Zeit summieren sich
dann mehrere kleine Schritte zu einem großen Fortschritt oder einem Paradigmenwechsel. Fortschritt in der Medizin ist ein allmählicher, schrittweiser Prozess. Die Definition des Begriffs „Innovation“ wird - vor allem in der medizinischen Forschung – seit
einiger Zeit kontrovers diskutiert. Dramatische Durchbrüche und Medikamente, die als
erstes einer neuen Wirkstoffklasse entwickelt werden, werden als „Innovationen“ akzeptiert, während weitere Moleküle derselben Klasse oder die Erweiterung der Indikationsgebiete für ein Produkt gewöhnlich nicht dazu gezählt werden. Darüber, wie klinischer Fortschritt wirklich stattfindet, nämlich als eine Abfolge kleiner Schritte, ist nur
wenig bekannt.
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oder Störung entwickelt wurden, später auch als
wertvoll für andere Anwendungsgebiete. Dabei
kann das neue Anwendungsgebiet völlig unabhängig von der ursprünglichen Indikation sein.
Wenn das Medikament beispielsweise zur Behandlung einer seltenen Krankheit eingesetzt
werden kann, kann dies einen bedeutenden Fortschritt in diesem Bereich darstellen.
Auch wird häufig übersehen, dass solche stufenweise Fortschritte möglicherweise verschiedene
kurzfristige therapeutische und wirtschaftliche
Vorteile mit sich bringen können. So können beispielsweise eine Verringerung des Schweregrads,
der Art oder Häufigkeit von Nebenwirkungen oder
eine Verbesserung des Verabreichungschemas
und bessere Abgabesysteme die Patientencompliance erhöhen und die Kosten für die Behandlung und Überwachung unerwünschter
Wirkungen senken. Sukzessive Fortschritte tragen außerdem zum Aufbau umfassender
medizinischer und wirtschaftlicher Datensammlungen über die gesamte Wirkstoffklasse bei, womit wiederum die Behandlung insgesamt und somit letztlich die wirtschaftliche Entscheidungsfindung verbessert werden.
Wir müssen den Weg fortsetzen!
Die medizinische Praxis hat sich im Laufe des letzten Jahrhunderts durch Innovationen in der Gesundheitsversorgung stark gewandelt. Technologische Innovationen können erhebliche Vorteile für die Prävention, Diagnose und Behandlung von Krankheiten sowie für den Zugang zur Versorgung haben. Die Förderung effizienter und effektiver Technologien im Gesundheitswesen stellt eine bedeutende Herausforderung für
die Politik dar.
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Viele politische Entscheidungsträger stehen vor der Herausforderung, politische Instrumente zu entwickeln, die nicht nur zu einem optimalen Verbreitungs- bzw. Anwendungsgrad führen, sondern auch die Entwicklung von Technologien fördern, die einen
ungedeckten Bedarf befriedigen. Die effiziente Integration der Technologien in die Gesundheitssysteme ist jedoch eine komplexe Aufgabe, da Tausende von Entscheidungsträgern gemeinsam die Verbreitung und Nutzung von Technologien beeinflussen.
Noch schwieriger wird diese Aufgabe durch den Umstand, dass einige gesundheitspolitische Entscheidungen unmittelbar Einfluss darauf haben, wer welche Versorgung
wann und zu welchen Bedingungen erhält. Derartige Entscheidungen bringen komplexe analytische Aspekte geradewegs in die öffentliche Meinung, da die Erwartungen
der Bürger und Patienten in Bezug auf Gesundheitsfragen extrem hoch sind.
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Jede Innovation hat Konsequenzen, und jede Chance birgt Risiken. Und vor jeder neuen Fähigkeit steht der Ehrgeiz, sie zu erwerben. Diese allgemeinen Aussagen treffen
auch auf die pharmazeutische Forschung und Entwicklung neuer, moderner Arzneimittel zu, die nicht nur medizinisch-wissenschaftliche, sondern auch ethische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte beinhalten.
Vor uns liegt kein einfacher Weg, aber letztlich können Lösungen gefunden werden,
von denen alle profitieren. Die Menschheit wird weiterhin neue Behandlungen und
Arzneimittel benötigen, bis Krankheiten geheilt oder gelindert werden können. Nur
durch die Erforschung neuer Arzneimittel werden unsere Patienten die Therapien
erhalten, die sie so dringend brauchen.
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MEDIKAMENTE FÜR MENSCHEN
einer Substanz, die für das Überleben von T.cruzi notwendig ist
und menschliche Zellen nicht beeinträchtigt.
Darüber hinaus prüfen Forscher einen neuen antiparasitären
Wirkstoff, der als Proteasehemmer gezielt auf ein Enzym wirkt,
das T.cruzi zum Überleben braucht. Seit 2002 wird dieses Therapieprinzip in Tierversuchen und klinischen Studien der Phase
1/2 untersucht.
Langzeitperspektiven
Die Molekularbiologie bietet die Gelegenheit, noch spezifischer nach neuen Ansatzpunkten für Impfstoffe zu suchen. Die
derzeit erforschten Angriffspunkte für Impfstoffe sind die
Paraflagella-Rod-(PFR-)Proteine. Dies sind für Trypanosoma
spezifische Proteine, die zur Ausbildung ihrer Geiseln erforderlich sind und es dem
Erreger ermöglichen, in die bevorzugten Gewebe zu wandern. Die Trans-Salidase-Gene
von T.cruzi, ASP-1, ASP-2 und TSA-1, sind weitere mögliche Zielantigene. Diese Proteine kommen in großer Menge auf der Oberfläche des Parasiten vor und erfüllen offenbar wichtige enzymatische Aufgaben für das Überleben von T.cruzi.
DNA-Impfstoffe könnten eine Möglichkeit darstellen, einen Schutz vor der ChagasKrankheit herbeizuführen, da sie relativ leicht herzustellen sind und billig produziert
werden können, so dass sich auch ärmere Länder die Impfung leisten könnten. Die
Tests stecken noch in den Kinderschuhen, und der Impfschutz durch die bisher getesteten Impfstoffe war von unterschiedlicher Dauer. Neue Technologien eröffnen außerdem die Möglichkeit, Impfstoffe aus Pflanzenextrakten zu erforschen, die Enzyme
von T.cruzi blockieren könnten und somit einen neuen Ansatz für die Impfstoffforschung bieten.
MEDIKAMENTE FÜR MENSCHEN
Inhaltsverzeichnis der 4 Bände
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M E D I K A M E N T E
Addison-Krankheit
14
Alpha-1-Antitrypsinmangel
17
Anästhesie
BAND 1
BAND 2
BAND 3
BAND 4
Mai 2003
Mai 2004
Mai 2005
Mai 2006
23
Borreliose
AIDS
Adipositas
Akne
Addison-Krankheit
26
Chagas-Krankheit
Alzheimer-Krankheit
Allergie
Alkoholabhängigkeit
Alpha-1-Antitrypsinmangel
29
Cushing-Krankheit
Asthma
Amyotrophe Lateralsklerose
Anästhesie
32
Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME)
Bakterielle Infektionen
Atherosklerose
Altersbedingte
Makuladegeneration
Chronisch Obstruktive
Lungenerkrankung
Aufmerksamkeits-DefizitSyndrom
Chagas-Krankheit
36
Geschlechtskrankheiten
Cushing-Krankheit
39
Hypertrophe Kardiomyopathie
Depression
Benigne Prostatahyperplasie
Diarrhö
Diabetes
Chronisch entzündliche
Darmerkrankungen
Eklampsie
FrühsommerMeningoenzephalitis
(FSME)
42
Legionärskrankheit
45
Melanom
49
Meningokokkenmeningitis
52
Mumps
55
Mycosis fungoides
Meningokokkenmeningitis
59
Pankreasinsuffizienz
Mumps
62
Poliomyelitis
65
Restless-Legs-Syndrom
Poliomyelitis
68
Rückenmarksverletzung
Restless-Legs-Syndrom
72
Sarkoidose
Rückenmarksverletzung
75
SARS
78
Schlaflosigkeit
Schlaflosigkeit
81
Sklerodermie
Sklerodermie
84
Spondylitis ankylosans
87
Typhus
90
Wilson-Krankheit
Epilepsie
Herzinsuffizienz
Herzrhythmusstörungen
28
11
Empfängnisverhütung
Anämie
Angstzustände
Endometriose
Gicht
Erbliche
Stoffwechselstörungen
Glaukom
Erektile Dysfunktion
Im Juli 2005 berichteten Wissenschaftler über die erfolgreiche Sequenzierung und
den Vergleich der Genome von drei Parasiten, die für die Schlafkrankheit, die ChagasKrankheit und die Leishmaniose verantwortlich sind. Jeder dieser Parasiten hat vermutlich etwa 8.000 bis 10.000 Gene. Forscher identifizierten etwa 6.200 Schlüsselgene, die bei allen drei Parasiten in ähnlicher Form im Genom vorkommen. Einige der
von diesen Genen codierten Proteine könnten als Zielmoleküle für Medikamente und
Impfstoffe dienen. Dies ist angesichts der Tatsache, dass bislang keine Impfstoffe und
nur wenige Medikamente für diese Krankheiten zur Verfügung stehen, ein durchaus
lohnendes Ziel.
Hypertonie
Migräne
Nierenkrankheiten
Myasthenia gravis
Die Forscher fanden zahlreiche Gene für Enzyme, die beim Menschen unbekannt sind.
Das Genomprojekt spürte Schlüsselgene auf, die allen drei Parasiten gemeinsam sind
und wahrscheinlich über einen so genannten “horizontalen Gentransfer“ von Bakterien übernommen wurden. Medikamente, die an diesen erworbenen Enzymen angreifen, könnten erfolgreiche therapeutische Ansatzpunkte darstellen, da die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass sie Auswirkungen auf den Wirt haben.
Multiple Sklerose
Osteoarthritis
Nausea
Osteoporose
Periphere arterielle
Verschlusskrankheit
Paget-Syndrom
Die Forscher fanden heraus, dass T.cruzi im Laufe seiner Entwicklung in Insekten und
im Menschen vier Lebenszyklen durchläuft. Außerdem haben die Wissenschaftler die
Sequenzierung von drei Kinetoplastidengenomen abgeschlossen und eine proteomische Analyse der Lebenszyklen des Parasiten durchgeführt. Sie konnten zeigen, dass
T.cruzi während seiner Entwicklung in Überträgerinsekten offenbar Histidin als Energiequelle nutzt, während der Parasit in Säugerzellen auf Fettsäuren zurückgreift. Die
Kenntnis von stadienspezifischen Signalwegen könnte bei der künftigen Auswahl von
Zielstrukturen für medikamentöse Behandlungen hilfreich sein.
Schizophrenie
Koronare Herzkrankheit
Krebs
Leukämien und Lymphome
Magen- und
Zwölffingerdarmgeschwüre
Parkinson-Krankheit
Pilzinfektionen
Rheumatoide Arthritis
Schlaganfall
Transplantation
Zystische Fibrose
(Mukoviszidose)
Grippe
Filariose
Hämophilie
Glaskörperblutung
Harninkontinenz
Hypogonadismus
Herpesvirus-Infektionen
Lepra
Malaria
Lupus erythematodes
Psoriasis
Schmerz
Thrombose
Tuberkulose
Unfruchtbarkeit
Virushepatitis
Wachstumsstörungen
Pulmonale Hypertonie
Reizdarmsyndrom
Respiratory Distress Syndrom
Schilddrüsenkrankheiten
Schlafkrankheit
Tabakabhängigkeit
Tollwut
Borreliose
Geschlechtskrankheiten
Hypertrophe
Kardiomyopathie
Legionärskrankheit
Melanom
Mycosis fungoides
Pankreasinsuffizienz
Sarkoidose
SARS
Spondylitis ankylosans
Typhus
Wilson-Krankheit
Es wurde die größte Mühe darauf verwandt, in diese Veröffentlichung exakte und aktuelle
Informationen aufzunehmen, aber der Herausgeber kann keine Garantie dafür übernehmen,
dass diese immer akkurat und vollständig sind. Fragen Sie Ihren Arzt oder einen anderen
qualifizierten Angehörigen eines Gesundheitsberufes zu jedwedem spezifischen Thema oder
Problem, welches sich bei der Lektüre dieser Publikation ergeben könnte.
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einer Substanz, die für das Überleben von T.cruzi notwendig ist
und menschliche Zellen nicht beeinträchtigt.
Darüber hinaus prüfen Forscher einen neuen antiparasitären
Wirkstoff, der als Proteasehemmer gezielt auf ein Enzym wirkt,
das T.cruzi zum Überleben braucht. Seit 2002 wird dieses Therapieprinzip in Tierversuchen und klinischen Studien der Phase
1/2 untersucht.
Langzeitperspektiven
Die Molekularbiologie bietet die Gelegenheit, noch spezifischer nach neuen Ansatzpunkten für Impfstoffe zu suchen. Die
derzeit erforschten Angriffspunkte für Impfstoffe sind die
Paraflagella-Rod-(PFR-)Proteine. Dies sind für Trypanosoma
spezifische Proteine, die zur Ausbildung ihrer Geiseln erforderlich sind und es dem
Erreger ermöglichen, in die bevorzugten Gewebe zu wandern. Die Trans-Salidase-Gene
von T.cruzi, ASP-1, ASP-2 und TSA-1, sind weitere mögliche Zielantigene. Diese Proteine kommen in großer Menge auf der Oberfläche des Parasiten vor und erfüllen offenbar wichtige enzymatische Aufgaben für das Überleben von T.cruzi.
DNA-Impfstoffe könnten eine Möglichkeit darstellen, einen Schutz vor der ChagasKrankheit herbeizuführen, da sie relativ leicht herzustellen sind und billig produziert
werden können, so dass sich auch ärmere Länder die Impfung leisten könnten. Die
Tests stecken noch in den Kinderschuhen, und der Impfschutz durch die bisher getesteten Impfstoffe war von unterschiedlicher Dauer. Neue Technologien eröffnen außerdem die Möglichkeit, Impfstoffe aus Pflanzenextrakten zu erforschen, die Enzyme
von T.cruzi blockieren könnten und somit einen neuen Ansatz für die Impfstoffforschung bieten.
MEDIKAMENTE FÜR MENSCHEN
Inhaltsverzeichnis der 4 Bände
M E N S C H E N
F Ü R
M E D I K A M E N T E
Addison-Krankheit
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Alpha-1-Antitrypsinmangel
17
Anästhesie
BAND 1
BAND 2
BAND 3
BAND 4
Mai 2003
Mai 2004
Mai 2005
Mai 2006
23
Borreliose
AIDS
Adipositas
Akne
Addison-Krankheit
26
Chagas-Krankheit
Alzheimer-Krankheit
Allergie
Alkoholabhängigkeit
Alpha-1-Antitrypsinmangel
29
Cushing-Krankheit
Asthma
Amyotrophe Lateralsklerose
Anästhesie
32
Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME)
Bakterielle Infektionen
Atherosklerose
Altersbedingte
Makuladegeneration
Chronisch Obstruktive
Lungenerkrankung
Aufmerksamkeits-DefizitSyndrom
Chagas-Krankheit
36
Geschlechtskrankheiten
Cushing-Krankheit
39
Hypertrophe Kardiomyopathie
Depression
Benigne Prostatahyperplasie
Diarrhö
Diabetes
Chronisch entzündliche
Darmerkrankungen
Eklampsie
FrühsommerMeningoenzephalitis
(FSME)
42
Legionärskrankheit
45
Melanom
49
Meningokokkenmeningitis
52
Mumps
55
Mycosis fungoides
Meningokokkenmeningitis
59
Pankreasinsuffizienz
Mumps
62
Poliomyelitis
65
Restless-Legs-Syndrom
Poliomyelitis
68
Rückenmarksverletzung
Restless-Legs-Syndrom
72
Sarkoidose
Rückenmarksverletzung
75
SARS
78
Schlaflosigkeit
Schlaflosigkeit
81
Sklerodermie
Sklerodermie
84
Spondylitis ankylosans
87
Typhus
90
Wilson-Krankheit
Epilepsie
Herzinsuffizienz
Herzrhythmusstörungen
28
11
Empfängnisverhütung
Anämie
Angstzustände
Endometriose
Gicht
Erbliche
Stoffwechselstörungen
Glaukom
Erektile Dysfunktion
Im Juli 2005 berichteten Wissenschaftler über die erfolgreiche Sequenzierung und
den Vergleich der Genome von drei Parasiten, die für die Schlafkrankheit, die ChagasKrankheit und die Leishmaniose verantwortlich sind. Jeder dieser Parasiten hat vermutlich etwa 8.000 bis 10.000 Gene. Forscher identifizierten etwa 6.200 Schlüsselgene, die bei allen drei Parasiten in ähnlicher Form im Genom vorkommen. Einige der
von diesen Genen codierten Proteine könnten als Zielmoleküle für Medikamente und
Impfstoffe dienen. Dies ist angesichts der Tatsache, dass bislang keine Impfstoffe und
nur wenige Medikamente für diese Krankheiten zur Verfügung stehen, ein durchaus
lohnendes Ziel.
Hypertonie
Migräne
Nierenkrankheiten
Myasthenia gravis
Die Forscher fanden zahlreiche Gene für Enzyme, die beim Menschen unbekannt sind.
Das Genomprojekt spürte Schlüsselgene auf, die allen drei Parasiten gemeinsam sind
und wahrscheinlich über einen so genannten “horizontalen Gentransfer“ von Bakterien übernommen wurden. Medikamente, die an diesen erworbenen Enzymen angreifen, könnten erfolgreiche therapeutische Ansatzpunkte darstellen, da die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass sie Auswirkungen auf den Wirt haben.
Multiple Sklerose
Osteoarthritis
Nausea
Osteoporose
Periphere arterielle
Verschlusskrankheit
Paget-Syndrom
Die Forscher fanden heraus, dass T.cruzi im Laufe seiner Entwicklung in Insekten und
im Menschen vier Lebenszyklen durchläuft. Außerdem haben die Wissenschaftler die
Sequenzierung von drei Kinetoplastidengenomen abgeschlossen und eine proteomische Analyse der Lebenszyklen des Parasiten durchgeführt. Sie konnten zeigen, dass
T.cruzi während seiner Entwicklung in Überträgerinsekten offenbar Histidin als Energiequelle nutzt, während der Parasit in Säugerzellen auf Fettsäuren zurückgreift. Die
Kenntnis von stadienspezifischen Signalwegen könnte bei der künftigen Auswahl von
Zielstrukturen für medikamentöse Behandlungen hilfreich sein.
Schizophrenie
Koronare Herzkrankheit
Krebs
Leukämien und Lymphome
Magen- und
Zwölffingerdarmgeschwüre
Parkinson-Krankheit
Pilzinfektionen
Rheumatoide Arthritis
Schlaganfall
Transplantation
Zystische Fibrose
(Mukoviszidose)
Grippe
Filariose
Hämophilie
Glaskörperblutung
Harninkontinenz
Hypogonadismus
Herpesvirus-Infektionen
Lepra
Malaria
Lupus erythematodes
Psoriasis
Schmerz
Thrombose
Tuberkulose
Unfruchtbarkeit
Virushepatitis
Wachstumsstörungen
Pulmonale Hypertonie
Reizdarmsyndrom
Respiratory Distress Syndrom
Schilddrüsenkrankheiten
Schlafkrankheit
Tabakabhängigkeit
Tollwut
Borreliose
Geschlechtskrankheiten
Hypertrophe
Kardiomyopathie
Legionärskrankheit
Melanom
Mycosis fungoides
Pankreasinsuffizienz
Sarkoidose
SARS
Spondylitis ankylosans
Typhus
Wilson-Krankheit
Es wurde die größte Mühe darauf verwandt, in diese Veröffentlichung exakte und aktuelle
Informationen aufzunehmen, aber der Herausgeber kann keine Garantie dafür übernehmen,
dass diese immer akkurat und vollständig sind. Fragen Sie Ihren Arzt oder einen anderen
qualifizierten Angehörigen eines Gesundheitsberufes zu jedwedem spezifischen Thema oder
Problem, welches sich bei der Lektüre dieser Publikation ergeben könnte.
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Addison-Krankheit
Die Addison-Krankheit ist
eine seltene Erkrankung
der Nebennieren. Sie verursacht Symptome wie
Schwäche und niedrigen
Blutdruck, die das Leben
der Patienten erheblich
beeinträchtigen können.
Die Forschung hat wirksame Therapeutika hervorgebracht, die jedoch lebenslang eingenommen werden
müssen.
Was ist die Addison-Krankheit?
Die Addison-Krankheit ist eine Insuffizienz oder Funktionsstörung der Nebennierenrinde, die trotz Ausschüttung des adrenocorticotropen Hormons (ACTH) durch die Hypophyse nicht genügend Hormone freisetzt, um den physiologischen Bedarf des Körpers zu decken. Die Krankheit bricht aus, wenn die Nebennierenrinde zu mindestens
90 Prozent nicht mehr funktioniert oder zerstört ist.
Die Nebennieren befinden sich oberhalb der Nieren. Ihre Rinde produziert verschiedene Steroidhormone, deren wichtigsten das Glucocorticoid Cortisol, das Mineralcorticoid Aldosteron und das Geschlechtshormon Dehydroepiandrosteron (DHEA) sind.
Die Addison-Krankheit beeinträchtigt sowohl die glucocorticoide als auch die mineralcorticoide Funktion. Cortisol spielt eine wesentliche Rolle bei der Regulation von Insulin und Blutzucker sowie bei der Hemmung der Proteinsynthese. Es mobilisiert Fettsäuren und steigert die Aufnahme von Aminosäuren durch die Leber. Durch die Moderation der weißen Blutkörperchen und die Blockade der Zytokinproduktion entfaltet
Cortisol aber auch eine wichtige entzündungshemmende Wirkung. Und nicht zuletzt
steigert Cortisol den Appetit und unterdrückt die Synthese von ACTH.
Nebenniere
F Ü R
Harnleiter
Nebenniere und Niere
M E N S C H E N
Die Addison-Krankheit entwickelt sich schleichend und ist durch Schwäche, Müdigkeit, Anorexie (Appetitlosigkeit), Gewichtsabnahme und Hyperpigmentierung gekennzeichnet. Die Haut nimmt typischerweise eine bronzene Färbung an, die auf die erhöhten Blutspiegel von melanozytenstimulierendem Hormon (MSH) zurückzuführen
ist. ACTH und MSH sind Bestandteile desselben Vorläuferhormons. Wenn sich ACTH
vom Vorläufermolekül abspaltet, wird gleichzeitig MSH freigesetzt. In den 1990er Jahren zeigte eine retrospektive Erhebung in den Niederlanden, dass der durchschnittli-
Niere
M E D I K A M E N T E
Aldosteron wird als Reaktion auf die Stimulation von Angiotensin 2 (A-2) durch erhöhte Konzentrationen von Kaliumionen oder herabgesetzte Konzentrationen von
Natriumionen im Blut freigesetzt. Seine Wirkung auf sein primäres Zielorgan, die Niere, besteht darin, die Rückresorption von Natrium und die Sekretion von Kalium und
Wasserstoffionen zu fördern. Dies erhöht letzten Endes das Blutvolumen und den
Blutdruck.
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Die zehn häufigsten Beschwerden und Symptome
bei unbehandelter Addison-Krankheit (in %)
Gefühl der Müdigkeit oder Schwäche
Vermehrte Pigmentierung von Haut oder Schleimhäuten
Unbeabsichtigte Gewichtsabnahme
Übelkeit
Orthostatischer Schwindel
Erniedrigter Blutdruck
Gefühl der geistigen Müdigkeit oder Schwäche
Appetitlosigkeit
Erhöhter Salzbedarf
Erbrechen
99
97
89
86
84
82
80
80
78
70
che Zeitraum zwischen dem Auftreten von ersten Symptomen und
der richtigen Diagnose fast drei Jahre betrug. Nach Angaben der
Autoren waren zwei Faktoren für diese Verzögerung verantwortlich:
erstens die Seltenheit der Addison-Krankheit und zweitens die mangelnde Spezifität der Symptome, die sie hervorruft, so dass zunächst
andere körperliche oder auch psychosomatische Ursachen als Erklärung vermutet wurden.
Die Addison-Krankheit wurde erstmals 1855 vom britischen Arzt
Thomas Addison in seiner Arbeit mit dem Titel “On the Constitutional and Local Effects of Disease of the Supra-Renal Capsules“ beschrieben, während er am Guy’s Hospital in London tätig war. Ursprünglich war die Ursache der Erkrankung eine Infektion der
Quelle: Bericht der Nederlandse Vereniging voor Addison en Cushing Patiënten (NVACP)
Nebennieren, meist mit Tuberkulose, die in den Entwicklungsländern auch heute noch die Hauptursache ist. In den Industrieländern wird die Addison-Krankheit in den meisten Fällen durch eine unspezifische autoimmune Zerstörungsreaktion verursacht. Das Auftreten von Nebennierenrindenantikörpern bei bestimmten Menschen stellt ein erhebliches Risiko für die Entwicklung der
Krankheit dar. Weitere auslösende Ereignisse sind Infektionen, bösartige Tumoren,
Traumata, Medikamente, Gefäßstörungen oder Stoffwechselereignisse.
Wer ist von der Addison-Krankheit betroffen?
Obwohl sie selten auftritt, ist die Addison-Krankheit recht gut bekannt, da einer der
berühmtesten Betroffenen der frühere amerikanische Präsident John F. Kennedy war.
In Europa wird ihre Prävalenz auf etwa 60 Fälle pro eine Million Einwohner geschätzt,
was etwa 24.000 Fällen entspricht. Die beobachtete Prävalenz in Ländern, in denen
Daten erhoben werden, beträgt 39 Fälle auf eine Million Einwohner in Großbritannien
und 60 Fälle auf eine Million Einwohner in Dänemark. Die Inzidenz beträgt fünf bis
sechs Fälle pro eine Million Einwohner pro Jahr.
Das typische Manifestationsalter bei Erwachsenen liegt zwischen 30 und 50 Jahren,
doch die Krankheit kann sich auch bereits früher bemerkbar machen. Die idiopathische autoimmune Addison-Krankheit ist bei Frauen und Kindern meist häufiger zu beobachten. Es hat sich gezeigt, dass das Verhältnis von betroffenen Männern zu Frauen 1:2,5 beträgt. Die Krankheit zeigt keine ethnische Häufung.
Die Morbidität ist normalerweise auf eine zu späte Diagnose der Krankheit oder das
Fehlen einer angemessenen Hormonersatztherapie zurückzuführen. Die Mortalitätsrate der Addison-Krankheit wird auf etwa einen Todesfall pro eine Million Einwohner
geschätzt.
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F Ü R
M E N S C H E N
Aktuelle Therapien
Die Behandlung der Addison-Krankheit erfordert eine lebenslange Steroidersatztherapie. Bei einer richtig eingestellten täglichen medikamentösen Behandlung können die
meisten Betroffenen ihr Leben weitgehend so weiterführen wie vor ihrer Erkrankung.
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Cortisol wird oral mit Tabletten ersetzt, die ein synthetisches Glucocorticoid enthalten
und ein- oder zweimal täglich eingenommen werden. Falls auch ein Aldosteronmangel besteht, wird dieses mit oralen Dosen eines Mineralcorticoids ersetzt, das einmal
täglich eingenommen wird. Patienten unter Aldosteron-Ersatztherapie wird normalerweise empfohlen, ihre Salzzufuhr zu steigern.
Was ist in der Entwicklung?
Zurzeit läuft eine klinische Phase 1-Studie mit einer Tablette mit verzögerter Freisetzung zum medikamentösen Ersatz von Corticosteroiden gemäß dem zirkadianen
Rhythmus, d.h. mit hohen Spiegeln am Morgen und niedrigen Spiegeln in der Nacht.
Die Therapie soll eine geeignete Alternative zu den bisherigen Steroidtherapien darstellen, die nicht den zirkadianen Rhythmus des natürlichen Steroidhormons imitieren.
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Das Medikament hat in der EU bereits den Orphan-DrugStatus (Arzneimittel für seltene Krankheiten) erhalten.
Zur Diagnose von Nebennierenerkrankungen erforschen
Wissenschaftler die Möglichkeit der Verwendung von I131-Jodcholesterin. Diese mit radioaktivem Jod markierte chemische Prüfsubstanz wird zur Zeit in klinischen
Phase 3-Studien geprüft. Nach Injektion in die Vene eines Patienten wird das Molekül in die Nebennieren aufgenommen und ermöglicht die Darstellung des Organs
mit Hilfe der Gamma-Szintigraphie.
Die mit der Addison-Krankheit einhergehende mangelnde Dehydroepiandrosteron (DHEA)-Synthese lässt sich
bisher noch nicht beheben. Einige Forschergruppen
untersuchen derzeit die Wirkung einer Substitutionstherapie mit DHEA. Den ersten Ergebnissen zufolge zeigten psychologische Untersuchungen bei beiden Geschlechtern
eine Steigerung des Selbstwertgefühls mit einer Tendenz zu einem verbesserten allgemeinen Wohlbefinden. Die Befunde legen nahe, dass DHEA möglicherweise nicht
durch Steigerung der peripheren Biosynthese von männlichen Geschlechtshormonen,
sondern direkt auf das Zentralnervensystem wirkt. Da der DHEA-Ersatz bei der Addison-Krankheit umstritten ist, erfordern diese Erkenntnisse weitere Untersuchungen,
um die Bedeutung der DHEA-Substitution besser zu verstehen.
Die Forschung befasst sich auch damit, den Zusammenhang zwischen der AddisonKrankheit und Autoimmunkrankheiten der endokrinen Drüsen und anderer Organe
aufzuklären. Es gibt offenbar einen Zusammenhang zwischen der Addison-Krankheit
und Malabsorptionssyndromen. Antikörper gegen Gewebe der Nebennierenrinde finden sich bei etwa 15 Prozent der Patienten mit Zöliakie.
Klinische Forscher untersuchen die Funktion der Nebennieren nach Lebendnierentransplantation. Da die Zahl der Transplantationen durch den Mangel an Organen begrenzt ist, besteht eine attraktive Strategie darin, die Nieren von Lebendspendern zu
verwenden. Bei der Operation des Spenders müssen die Nierenarterie und die Nierenvene möglichst weit vom Organ entfernt durchtrennt werden, um eine ausreichende
Gefäßlänge für die Wiederherstellung der Gefäßverbindung bei der Transplantationsoperation sicherzustellen. Da bei diesem Eingriff der venöse Abfluss der linken Nebenniere verschlossen wird, kommt es meist zu einer funktionellen Beeinträchtigung dieser Nebenniere. Bei der rechtsseitigen Nierenspende hingegen bleibt die Nebennierenvene unversehrt.
M E D I K A M E N T E
Langzeitperspektiven
Forschergruppen haben unlängst gezeigt, dass die Zielantigene des Autoimmunprozesses in der Nebennierenrinde zu Enzymen gehören, die eine entscheidende Rolle bei
der Synthese von Steroidhormonen, insbesondere der 21-Hydroxylase, 17-Hydroxylase
und des Seitenkettenspaltungsenzyms, spielen. Diese Schlüsselergebnisse eröffnen
neue Einblicke in das Verständnis der Addison-Krankheit und der mit ihr zusammenhängenden Autoimmunstörungen. Die neuen Ansätze umfassen: 1.) die Herstellung
von rekombinanten Nebennieren- und ähnlichen Autoantigenen, 2.) die Charakterisierung der Reaktionen von T-Helfer-Leukozyten und zytotoxischen T-Zellen auf solche
Antigene und 3.) die Entwicklung von Tiermodellen für die Krankheit, um neue immundiagnostische Tests und Immuntherapien zu entwickeln.
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Alpha-1Antitrypsinmangel
Was ist Alpha-1-Antitrypsinmangel?
Der Alpha-1-Antitrypsinmangel (AAT-Mangel), der 1963 erstmals beschrieben wurde,
ist eine der häufigsten rezessiven Erbkrankheiten in der weißen Bevölkerung, die zu
Lungen- und Lebererkrankungen führen kann. Ihre Hauptmanifestation ist das früh
auftretende Emphysem. Im Gegensatz zu der häufigeren Form des Emphysems, die bei
ansonsten gesunden Personen nach jahrelangem Rauchen zu beobachten ist, tritt
das AAT-Mangel-Emphysem in einem sehr viel jüngeren Alter und nach einer weniger langen Belastung der Lunge mit Zigarettenrauch auf. Es entwickelt sich bei Rauchern bereits im dritten bis vierten Lebensjahrzehnt und bei Nichtrauchern etwa zehn
Jahre später.
AAT wird von einem Gen auf dem Chromosom 14 codiert. Dieses Gen ist polymorph,
und seine Allele werden als normal (M), defekt (Z, S) oder null klassifiziert. Menschen
mit den Phänotypen null-null, Z-null oder ZZ haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung der Krankheit. Der Gendefekt verändert die Konfiguration des AAT-Moleküls
und verhindert dessen Freisetzung aus Leberzellen in den Blutkreislauf. Die verminderten Serumspiegel führen zu niedrigen
Konzentrationen in der Lunge, wo AAT normalerweise als Schutzenzym dient.
M E D I K A M E N T E
F Ü R
M E N S C H E N
Die wichtigste biochemische Aktivität des
AAT-Moleküls richtet sich gegen verschiedene Proteasen, wie z.B. Trypsin, Elastase, Proteinase 3 und Cathepsin G, die bei Krankheiten oder Exposition gegenüber Schadstoffen von weißen Blutkörperchen, den so
genannten neutrophilen Granulozyten, freigesetzt werden. Deshalb wäre Alpha-1-Antiprotease die genauere Bezeichnung für die
Substanz. Ärzte und Patienten bezeichnen
die Krankheit jedoch meist als AAT-Mangel.
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Der resultierende Überschuss an Proteasen
in der Lunge zerstört die Alveolarwände und
verursacht dadurch ein Emphysem. Schätzungen zufolge liegt bei etwa einem bis drei
Prozent der Patienten mit diagnostizierter chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung
(COPD) ein AAT-Mangel vor. Eine langsam fortschreitende Dyspnoe ist das Hauptsymptom, doch viele Patienten zeigen anfänglich Symptome wie Husten, pfeifendes
Atmen und Auswurf. Wie bei anderen Emphysemformen macht sich die Dyspnoe beim
AAT-Mangel zunächst nur bei starker körperlicher Anstrengung bemerkbar. Über Jahre hinweg schränkt sie schließlich bereits die leichtesten körperlichen Aktivitäten ein.
Außerdem kann die Ansammlung von überschüssigem AAT in Leberzellen auch zur
Zerstörung der Zellen und schließlich zu klinisch manifesten Lebererkrankungen führen. Der Enzymmangel besteht bereits von Geburt an und kann eine ungewöhnliche
Ursache für eine Neugeborenengelbsucht darstellen. Außerdem kann sich der AATMangel bei Kindern und Erwachsenen als Leberzirrhose oder Leberversagen äußern,
und er ist die häufigste Ursache für eine Lebertransplantation bei Kindern.
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Wer ist von Alpha-1-Antitrypsinmangel betroffen?
Der AAT-Mangel ist in allen Bevölkerungsgruppen festzustellen, tritt jedoch vorwiegend bei Menschen nordeuropäischer und iberischer Abstammung auf. In allen weißen Bevölkerungen weltweit finden sich ähnliche Häufigkeitsraten; bei einer geschätzten Genhäufigkeit von defekten AAT-Allelen von 120 Millionen und 3,5 Millionen Betroffenen. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind in Europa etwa 100.000 Menschen vom AAT-Mangel betroffen, doch bei etwa 90% dieser
Patienten ist die Krankheit noch unerkannt.
Der Alpha-1-Antitrypsinmangel ist eine erbliche
genetische Störung, die
vor allem die Lunge in
Mitleidenschaft zieht.
Sie schränkt bereits die
leichtesten körperlichen
Aktivitäten ein und kann
tödlich verlaufen. Durch
intensive Forschung wird
weiter nach besseren
Behandlungsmöglichkeiten
gesucht.
In den USA ist der AAT-Mangel eine der drei häufigsten tödlichen genetisch bedingten
Krankheiten in der erwachsenen weißen Bevölkerung, von der einer von 3000-5000
Einwohnern betroffen ist (die anderen beiden sind die Mukoviszidose und das DownSyndrom). An einem schweren AAT-Mangel leiden schätzungsweise 100.000 Menschen, und etwa 25 Millionen Menschen sind Träger mindestens eines defekten Gens.
Andere ethnische Gruppen als Weiße sind weniger häufig betroffen. Es besteht keine
erhöhte Häufigkeit bei einem der beiden Geschlechter. Frauen und Männer sind vielmehr gleichermaßen betroffen. Die spezifischen Morbiditäts- und Mortalitätsraten
sind nicht bekannt. Nicht alle Patienten mit homozygotem AAT-Mangel entwickeln
ein symptomatisches Emphysem oder eine Leberzirrhose, doch bei den Patienten mit
symptomatischer Erkrankung ist die Mortalitätsrate hoch.
Aktuelle Therapien
Zur Verbesserung der Lungenfunktion werden kurz wirksame Betarezeptorenblocker
und anticholinerge Bronchodilatatoren verabreicht. Dosieraerosole sind die bevorzugte Methode der Verabreichung. Orale Corticosteroide bleiben akuten Verschlimmerungen mit vermehrtem Husten und Auswurf vorbehalten und sind auf kurze Behandlungen über ein bis zwei Wochen beschränkt. Bei allen akuten
Verschlimmerungen mit eitrigem Auswurf wird eine frühNormal
zeitige Antibiotikatherapie empfohlen. Eine aggressive BePhänotypen
handlung von Infektionen kann dazu beitragen, die zusätzM M
der Eltern
liche Lungenschädigung durch Einwanderung von neutroPhänotypen
philen Granulozyten in die Alveolen zu verringern.
M
der Kinder
In Fällen mit schwerer Atembehinderung und Hypoxämie
ist eine Sauerstofftherapie angezeigt, da diese die Belastungsfähigkeit erhöht, die geistige Leistungsfähigkeit steigert und die Schlafqualität verbessert. Den Patienten wird
außerdem ein physikalisches Rehabilitationsprogramm
empfohlen, wie es auch für Patienten mit der durch das
Rauchen bedingten COPD konzipiert worden ist. Selbstverständlich ist es unverzichtbar, mit dem Rauchen aufzuhören. Darüber hinaus werden Gentests bei Verwandten
empfohlen.
Z
Z
Z
A
Träger
P
Wenn ein Elternteil normale Spiegel von AAT (d.h. den Phänotyp MM) und
der
P andere sehr niedrige Spiegel hat (d.h. den Phänotyp ZZ), zeigen die
Kinder den Phänotyp MZ (ein Gen von jedem Elternteil). Ihre Lungen sind
geschützt, doch sie sind Träger des Gendefekts.
T
M
Träger
Phänotypen
der Eltern
Mögliche
Phänotypen
der Kinder
N M
M
Träger
Z T
M
MA
M
Normal
Z
Träger
Z
Z
Z
AAT-Mangel
Wenn beide Eltern Träger sind (MZ), ist der Phänotyp der Kinder entweder
normal (MM) oder „Träger“ (MZ) oder „AAT-Mangel“ (ZZ).
H
Phänotypen
der Eltern
Phänotypen
der Kinder
M
M
M
M
M
Z
Z
Z
Z
Z
Z
AAT-Mangel
Vererbungsmuster
M E N S C H E N
Wenn beide Eltern den Phänotyp MM oder ZZ haben, haben die Kinder
entweder MM oder ZZ.
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Normal
M
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Seit Ende der 1980er Jahre werden Patienten mit AATMangel und Anzeichen für die Entwicklung eines schweren
Emphysems mit einem humanen Plasmaproteinkonzentrat
als Ersatz für das fehlende Enzym behandelt. Mittlerweile
stehen verschiedene Präparate zur Verfügung. Wöchentliche intravenöse Infusionen stellen die schützenden AATKonzentrationen in Serum und Alveolen wieder her. Eine
Metaanalyse von Daten aus Patientenregistern in Dänemark, Deutschland und den USA zeigt, dass die Therapie
günstige Wirkungen auf die Gesamtüberlebensrate und
die Lungenfunktionsparameter hat.
AAT-Mangel
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Eine Pneumokokkenimpfung und jährliche Influenzaimpfungen tragen zur Vorbeugung von Atemwegsinfektionen bei. Bei Patienten mit terminaler Lungenerkrankung
kann eine Lungentransplantation angezeigt sein.
Was ist in der Entwicklung?
Wissenschaftler untersuchen in einer klinischen Phase 1-Studie das pharmakokinetische Profil eines intravenösen Präparats aus funktionell intaktem humanem AAT.
Außerdem haben Prüfärzte eine klinische Studie begonnen, um die Wirkungen einer
inhalativen rekombinanten AAT-Therapie zu beurteilen. Das Ziel ist, die kurzfristige
Sicherheit und Verträglichkeit des Präparats in drei verschiedenen Dosierungen zu
bestimmen.
Eine andere Forschergruppe führt eine multizentrische klinische Studie der Phase 3
durch, um die Wirksamkeit und Sicherheit einer AAT-Augmentationstherapie bei Patienten mit Emphysem infolge eines AAT-Mangels zu untersuchen. Die Wirkung der
Substanz auf das Fortschreiten des Emphysems wird anhand der Abnahme der Lungendichte beurteilt, die computertomographisch gemessen wird.
Transgene Tiere können biologische Produkte erzeugen. Es könnte möglich sein, mit
Hilfe von transgenen Tieren seltene biologische Substanzen für die medizinische Behandlung herzustellen. Humanes AAT ist ein solcher Kandidat, und die Forschung arbeitet an der Züchtung von transgenen Schafen, die das Glykoprotein in ihrer Milch
produzieren.
Langzeitperspektiven
Es ist bekannt, dass der Zeitpunkt des Ausbruchs von klinischen Symptomen bei Betroffenen mit AAT-Mangel sehr unterschiedlich ist. Forscher versuchen die genauen
genetischen Gründe herauszufinden, warum einige Patienten ein Emphysem und eine
COPD entwickeln, während andere davon verschont bleiben. In diesen Forschungsarbeiten versucht man festzustellen, ob es bei den Patienten, die an der schweren Form
der Krankheit leiden, erbliche Faktoren gibt, die die Entwicklung der Lungenerkrankung befördern.
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Es wurden Arbeiten vorgestellt, die das entzündungsfördernde Potenzial von AATPolymeren in den Lungen von Patienten mit AAT-Mangel belegen. Forschergruppen
untersuchen die Entwicklung von kleinmolekularen Hemmstoffen, um die Polymerisation von Z-AAT zu blockieren. Diese Fortschritte beim Verständnis der grundlegenden
Mechanismen von Entzündungen werden die Entwicklung neuartiger entzündungshemmender Therapien für eine Vielzahl von Lungenkrankheiten ermöglichen.
16
Es hat sich gezeigt, dass der AAT-Mangel durch die Fehlfunktion eines Enzyms verursacht wird, das von einem einzigen Gen auf dem Chromosom 14 codiert wird. Eine
Gentherapie, d.h. das Einbringen eines normalen Gens als Ersatz für das nicht funktionierende Gen, sollte das letztendliche Ziel auf dem Weg zur Linderung oder Heilung
der Krankheit sein. Präklinische Sicherheitsstudien an Tieren mit zwei verschiedenen
potenziellen Formulierungen für eine mögliche Gentherapie der AAT wurden bereits
abgeschlossen. Beide Formulierungen befinden sich zurzeit in klinischen Prüfungen
der Phase 1/2. Darüber hinaus untersuchen Wissenschaftler die Einbringung von gesunden AAT-Genen in das Atemwegsepithel von Patienten mit AAT-Mangel mit Hilfe
von Plasmiden an kationischen Liposomen, um potenziell therapeutische lokale AATKonzentrationen herbeizuführen.
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Anästhesie
Was ist Anästhesie?
Anästhesie ist das Herabsetzen oder Ausschalten der Wahrnehmung von Schmerzen
und körperlichen Empfindungen durch Medikamente (Anästhetika) allein oder in
Kombination mit komplementären Maßnahmen. Dadurch können Patienten Operationen und anderen medizinischen Eingriffen unterzogen werden, ohne die damit verbundenen Belastungen und Schmerzen zu verspüren. Die Anästhesie ist eine der bedeutendsten Errungenschaften der modernen Medizin, da sie es ermöglicht, Behandlungen durchzuführen, die normalerweise unerträgliche Schmerzen verursachen würden, während der Patient entspannt schläft und sich später nicht an die Operation
erinnert.
Die Anästhesie macht es
möglich, Operationen
durchzuführen, während
der Patient schläft und
ohne dass er sich danach
an den Eingriff erinnert.
Die pharmazeutische
Industrie erforscht
laufend neue und bessere
Anästhetika.
Das Wort „Anästhesie“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet Unempfindlichkeit
oder Gefühllosigkeit. Im ersten Jahrhundert n. Chr. beschrieb der griechische Arzt
Dioscorides die Anwendung von Wein aus der Pflanze Mandragora (Alraune), um Patienten, die einer Operation unterzogen wurden, in tiefen Schlaf zu versetzen. In seinen Schriften benutzte er den Begriff „Anaesthesia“, um den Zustand der Bewusstlosigkeit zu beschreiben. Das Substantiv wurde 1846 von dem amerikanischen Anatomieprofessor Dr. Oliver Wendell Holmes neu belebt, nachdem Chirurgen
in einer öffentlichen Demonstration
in Boston erstmals erfolgreich Aether
verwendet hatten, um einen Patienten vor einer Operation in Bewusstlosigkeit zu versetzen.
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Die Anästhesie lässt sich unterteilen
in 1.) die Lokalanästhesie, die zur Gefühllosigkeit des Körperteils führt, in
den das Medikament injiziert wurde,
z.B. bei Verabreichung einer Spritze
vor dem Ziehen eines Zahns, vor dem
Nähen einer Wunde oder vor Entfernen eines Muttermals bei vollem Bewusstsein, 2.) die Regionalanästhesie, z.B. als Spinalanästhesie, bei der
ein Anästhetikum in den Spinalkanal
der Wirbelsäule injiziert wird, um den
Körper von der Taille abwärts zu betäuben, damit eine Operation im
Beckenbereich durchgeführt werden
kann, oder 3.) als Epiduralanästhesie, bei der mit ähnlicher Technik wie bei der Spinalanästhesie ein enges Plastikröhrchen (Kanüle) nahe der Rückenmarksnerven eingelegt wird. Die Epiduralanästhesie ermöglicht die Verabreichung wiederholter Dosen
von Lokalanästhetika und Analgetika ohne erneutes Einstechen von Nadeln, da die
Kanüle bis zu einigen Tagen lang liegen bleiben kann. Ähnliche Verfahren der Regionalanästhesie werden auch für andere Körperteile verwendet. So kann beispielsweise
der Arm mit einer Spritze in den Oberarm oder in die Achselhöhle betäubt werden, um
ein gebrochenes Handgelenk zu behandeln. Und schließlich gibt es noch 4.) die Allgemeinanästhesie (Vollnarkose), wobei Medikamente und Anästhesiegase oder dämpfe vor größeren operativen Eingriffen verabreicht werden, bei denen eine voll-
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Arten der Anästhesie
• Lokalanästhesie
Diese Form der Anästhesie dient zur Betäubung eines kleinen Teils des Körpers. Sie unterbindet die Weiterleitung von Schmerzsignalen, doch der Patient bleibt dabei völlig
wach.
• Regionalanästhesie
Diese Form der Anästhesie dient dazu, die Empfindungsfähigkeit in einer bestimmten
Körperregion auszuschalten. Das Anästhetikum wird im Umkreis eines einzelnen Nerven
oder eines größeren Nervengeflechts injiziert, das sich verzweigt und die behandelte Region versorgt. Die Ausschaltung dieses Nerven oder Nervengeflechts verhindert, dass
Schmerzsignale ins Gehirn weitergeleitet werden. Bei der Spinal-, Epidural- und der Kaudalanästhesie wird ein Anästhetikum in die Rückenmarkflüssigkeit oder in deren Nähe
injiziert, um Nerven auszuschalten, die die untere Körperhälfte versorgen. Diese Anästhesieformen werden häufig für Beckenoperationen und Operationen an den unteren
Extremitäten verwendet.
• Allgemeinanästhesie
Diese Form der Anästhesie ist für größere Operationen geeignet. Die bei der Allgemeinanästhesie (Vollnarkose) verwendeten Medikamente werden intravenös verabreicht
oder inhaliert. Sie wirken als Schlafmittel, Schmerzmittel und Muskelrelaxantien, und sie
schalten zusätzlich die Erinnerung an die Operation aus. Da man bewusstlos ist, nimmt
das Gehirn keinerlei Schmerzsignale wahr.
ständige Reglosigkeit des Patienten über längere Zeit erforderlich ist. Der Patient verliert das Bewusstsein und wacht erst wieder auf, wenn die Operation vorüber ist.
Die Tumeszenzanästhesie ist eine spezielle Form der Lokalanästhesie. Sie wird durchgeführt, indem größere Mengen von Flüssigkeiten injiziert werden, die eine Kombination eines verdünnten Lokalanästhetikums mit Adrenalin enthalten. Sie wird bei plastischen, kosmetischen und dermatologischen Operationen in einer relativ großen
Hautregion verwendet, etwa bei der Liposuktion (Fettabsaugung).
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Bei der Allgemeinanästhesie wird normalerweise zunächst über eine Kanüle, die in
eine Vene in den Arm oder Handrücken eingebracht wird, ein Anästhetikum injiziert.
Diese schnelle und sanfte Art und Weise, jemanden in tiefen Schlaf zu versetzen, wird
als „Einleitung“ der Anästhesie bezeichnet. Die Anästhesie kann auch mit Narkosedämpfen eingeleitet werden, die durch eine Maske eingeatmet werden. Diese flüchtigen Anästhetika haben alle die Eigenschaft, dass sie bei Raumtemperatur zwar flüssig sind, aber leicht verdampfen.
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Zur Aufrechterhaltung der Bewusstlosigkeit lässt man den Patienten ein Gemisch aus
Sauerstoff und Narkosedämpfen einatmen. Anstelle von Narkosedämpfen kann aber
auch ein Medikament langsam intravenös infundiert werden, um die Bewusstlosigkeit
aufrechtzuerhalten. Diese Phase der Anästhesie wird als „Erhaltung“ bezeichnet.
Während dieser Zeit werden alle Vitalparameter des Patienten wie Herzfrequenz,
Blutdruck, Körpertemperatur und die Sauerstoffkonzentration in Blut und Atemgas
überwacht.
Mitunter müssen vor Beginn der Operation zusätzlich Muskelrelaxantien verabreicht
werden, um den natürlichen Muskeltonus des Körpers, der auch im Schlaf vorhanden
ist, herabzusetzen. Muskelrelaxantien oder so genannte neuromuskuläre Blocker
(NMBA) verhindern vorübergehend die Weiterleitung von Impulsen zwischen einem
Nerven und einem Muskel. Sie wurden 1942 in die klinische Praxis eingeführt.
Das erste bekannte Muskelrelaxans war Curare, das bereits im 14. Jahrhundert von
südamerikanischen Indianern auf Pfeilspitzen zur Lähmung ihrer Jagdbeute verwendet wurde.
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Durch die Gabe eines NMBA wird auch die Atemmuskulatur gelähmt, weshalb die Atmung des Patienten künstlich aufrechterhalten werden muss. Dazu wird ein Plastiktubus in die Luftröhre eingeführt, und ein Beatmungsgerät, ein so genannter Respirator, beatmet die Lungen des Patienten in einem genau gesteuerten Rhythmus.
Ein Allgemeinanästhetikum kann den natürlichen Hustenreflex des Körpers beeinträchtigen, der normalerweise verhindert, dass Fremdkörper in die Atemwege eindringen. Wenn dieser Schutz herabgesetzt ist, könnte während einer Operation Mageninhalt in den Rachen zurücksickern, eingeatmet werden und die empfindlichen Lungengewebe schädigen. Dies ist einer der Gründe, warum man
vor einer Operation nichts essen oder trinken darf.
Wer benötigt eine Anästhesie?
Es erfordert wenig Phantasie, sich vorzustellen, dass ein nicht narkotisierter Patient, dem eine Operationswunde oder ein sonstiges Trauma zugefügt wird, an starken Schmerzen leidet und einer emotionalen Belastung
sowie einer maximalen Anspannung der Skelettmuskulatur ausgesetzt ist.
Der massive Anstieg des Tonus des autonomen sympathischen Nervensystems führt zu Ausweichbewegungen, Schweißausbrüchen, Tachykardie und
Blutdruckanstieg. Solche Erfahrungen führen dazu, dass das Ereignis unauslöschlich in lebhafter und unangenehmer Erinnerung bleibt.
Den neuesten verfügbaren Zahlen zufolge gibt es in Europa schätzungsweise etwa 60.000 approbierte Anästhesiologen, unter anderem 1.100 in
der Tschechischen Republik, 800 in Finnland, 8.900 in Frankreich, 11.600 in Deutschland, 1.500 in Griechenland, 500 in Ungarn, 9.500 in Italien, 350 in Lettland, 225 in
Slowenien, 4.800 in Spanien, 950 in Schweden und 3.000 in Großbritannien. Angenommen, jeder Anästhesiologe führt durchschnittlich fünf bis zehn Anästhesien pro
Arbeitstag durch, so ergibt dies in Europa eine geschätzte Anzahl von jährlich etwa
90 Millionen Eingriffen unter Anästhesie.
Aktuelle Therapien
Die Anästhesie wird häufig mit einer Prämedikation eingeleitet. Diese soll dafür sorgen, dass der Patient ruhig und entspannt im Operationssaal ankommt, darf aber
gleichzeitig die Atmung und den Herz-Kreislauf-Zustand möglichst wenig beeinträchtigen. Am häufigsten werden zur Prämedikation kurz wirksame Beruhigungsmittel verwendet. Gegen die zu erwartenden Operationsschmerzen können vorbeugend ein
nichtsteroidales Antirheumatikum (NSAR) oder andere schmerzlindernde Substanzen
verabreicht werden. Bei gastroösophagealem Reflux in der Vorgeschichte werden H2Blocker und Antazida verabreicht.
Fünfzig Jahre lang wurden meist schnell wirksame wasserlösliche Barbiturate als Induktionspräparate eingesetzt. Diese Medikamente sind auch heute noch gebräuchlich
und haben sich bereits seit langem als sicher und zuverlässig bewährt.
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Die Anästhesie kann auch durch Inhalation von Narkosedämpfen eingeleitet werden.
Auf diese Weise wurden früher alle Anästhetika verabreicht, und sie ist auch heute
noch eine gebräuchliche und hilfreiche Technik bei nicht kooperativen Patienten.
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In letzter Zeit verdrängt ein intravenöses Nichtbarbiturat die Barbiturate, da es mit weniger postoperativer Übelkeit und Erbrechen (PONV) und rascherem Erwachen zu
klarem Bewusstsein verbunden ist. Die Substanz kann auch anstelle von Narkosedämpfen durch langsame intravenöse Infusion zur Erhaltung der Anästhesie verabreicht werden. Außerdem wird sie zur Sedierung von Patienten auf der Intensivstation
und zur allgemeinen Sedierung während diagnostischer oder chirurgischer Eingriffe
verwendet.
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Fluorchlorkohlenwasserstoffe und Aetherverbindungen sind die für diese Zwecke am
häufigsten verwendeten Präparate.
Eine der bedeutendsten Veränderungen in der chirurgischen Praxis war in den vergangenen beiden Jahrzehnten die Zunahme der ambulanten oder Tageschirurgie. Den
Patienten, die ambulant operiert werden, bietet die epidural, spinal oder peripher
durchgeführte Regionalanästhesie eine Reihe von Vorteilen, da diese Techniken
Schmerzfreiheit ohne Sedierung, eine frühere Entlassung und eine längere postoperative Analgesie ermöglichen.
Für die Lokal- oder Regionalanästhesie werden seit Mitte der 1950er Jahre Injektionslösungen von Anästhetika aus der Klasse der Aminoamide oder der Aminoester
verwendet. Der Grund für die Entwicklung weiterer Substanzen war der Bedarf an lang
wirksamen Lokalanästhetika mit vorteilhaften Sicherheitsprofilen. Die in jüngerer Zeit
eingeführten Medikamente haben eine besondere Molekülstruktur, die ihnen unterschiedliche Eigenschaften verleiht, wie beispielsweise eine geringere Fettlöslichkeit,
die zu einer etwas kürzeren Dauer der Analgesie und kürzerer Blockade von motorischen Nerven führt.
Lösungen aus neueren Substanzen in unterschiedlichen Konzentrationen sind für die
Epiduralanästhesie, zur Verabreichung in Gelenke, für kleinere und größere Nervenblockaden und zur Infiltrationsanästhesie bei Erwachsenen und Kindern angezeigt.
Sie werden außerdem zur Spinalanästhesie und für die postoperative und geburtshilfliche Schmerzbehandlung durch intermittierende oder kontinuierliche Verabreichung
über einen Verweilkatheter empfohlen. Forschergruppen haben überdies gezeigt, dass
die epidurale Infusion solcher Medikamente nach schweren Bauchoperationen eine
ausreichende Schmerzlinderung für bis zu 72 Stunden bewirken kann. Die Beimischung eines Opioids verbessert die Schmerzbekämpfung dosisabhängig.
Bei der Regionalanästhesie werden verschiedene adjuvante Medikamente in Kombination mit Lokalanästhetika eingesetzt. Dies ermöglicht niedrigere Dosen der einzelnen Medikamente und die Erhaltung der analgetischen Wirksamkeit bei gleichzeitiger
Verringerung der Inzidenz und des Schweregrades unerwünschter Wirkungen.
Substanzen mit teilweiser Alpha-2-Agonisten-Aktivität bewirken eine Analgesie, indem sie das noradrenerge inhibitorische System der absteigenden Nerven aktivieren
und die Übertragung von einem Nerven zum nächsten hemmen. Solche Moleküle wirken synergistisch mit Lokalanästhetika, weil sie Kaliumkanäle öffnen, was zu einem
Zustand führt, in dem die Zelle auf Reize nicht mehr anspricht.
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Der N-Methyl-d-Aspartat-(NMDA-)Rezeptor spielt eine wichtige Rolle bei der Entstehung von neuropathischen Schmerzen. Es hat sich gezeigt, dass Substanzen, die als
NMDA-Rezeptorantagonisten wirken, bei Verabreichung zusammen mit Lokalanästhetika die Zeitdauer bis zum Einsetzen der sensorischen Blockade verkürzen und die
postoperative Schmerzlinderung verbessern.
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Substanzen, die die Wirkung des Neurotransmitters Acetylcholin hemmen, so genannte Anticholinergika, können die Dauer der sensorischen und motorischen Nervenblockade verlängern. Sie werden auch routinemäßig vor fiberoptischen Intubationen verabreicht.
Alpha-agonistische Vasokonstriktoren werden verabreicht, um die systemische Resorption von Lokalanästhetika zu verzögern. Dies führt zu einer gesteigerten neuronalen Aufnahme mit verbesserter Tiefe und längerer Dauer der Lokalanästhesie. Die
Kombination geeigneter Opioide mit Lokalanästhetika verringert die erforderlichen
Mengen für beide Arzneimittelgruppen. Die Auswahl des Opioids erfolgt je nach gewünschtem Wirkungseintritt und Wirkdauer sowie des Potentials, unerwünschte Wirkungen zu verursachen.
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Eine angemessene postoperative Analgesie ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche
Tagesschirurgie. Etwa 30-40 Prozent der entlassenen Patienten leiden in den ersten
zwei Tagen nach der Operation oft an mittelstarken bis starken Schmerzen, und postoperative Schmerzen sind häufig der Grund für eine verzögerte Entlassung. Orale
Analgetika wie z.B. Schmerzmedikamente, schwache Opioide oder NSARs sind die Basis der fortgesetzten Schmerzbehandlung zu Hause. Es ist wichtig, die Patienten dazu
anzuhalten, ihre Medikamente vorbeugend und regelmäßig einzunehmen, bevor die
Wirkung des Lokalanästhetikums nachlässt.
Bei Patienten mit hartnäckiger Übelkeit und Erbrechen nach einer Anästhesie werden
5HT3-Rezeptorantagonisten verabreicht. Sie bieten im Allgemeinen einen guten
Schutz vor Übelkeit.
Unter bestimmten Umständen kann ein topisches Anästhetikum in Form einer Emulsion aus zwei Lokalanästhetika aufgetragen werden. Dieses Medikament kann unversehrte Haut vor dem Einstechen einer Nadel und vor oberflächlichen operativen Eingriffen betäuben und wird auf unverletzte Haut, Schleimhäute im Genitalbereich und
Beingeschwüre aufgetragen. Bei Anwendung auf unversehrter Haut oder Beingeschwüren wird die Creme mit einem dicht abschließenden, so genannten Okklusivverband bedeckt, der die Resorption fördert.
Was ist in der Entwicklung?
Die Forschung im Bereich der Muskelrelaxantien konzentriert sich auf die Schnelligkeit des Wirkungseintritts bei NMBA und die Aufhebung der neuromuskulären Blokkade (NMB). Seit über zwei Jahrzehnten wird versucht, ein schnell wirksames Gegenmittel zu entwickeln, mit dem Patienten unter Allgemeinanästhesie sich schnell von
einer vollständigen NMB erholen könnten. Die bisher verfügbaren Gegenmittel können erst verabreicht werden, wenn die
Muskelentspannung bereits auf natürliche Weise nachzulassen beginnt. Dadurch verzögert sich die Aufhebung
der Blockade um bis zu 30 Minuten.
Neuere Methoden, die sich in der Entwicklung befinden, sind das „Einwikkeln“, d.h. die chemische Verkapselung in exogenen Wirtsmolekülen, die
die Menge an aktiven NMBA-Molekülen an der neuromuskulären Synapse
verringern. Tests mit bestimmten verkapselnden Cyclodextrinen haben
eine rasche und wirksame Komplexbildung mit steroidalen NMBA gezeigt.
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In Tierversuchen wird zurzeit eine neue Gruppe von Muskelrelaxantien mit schnellem
Wirkungseintritt und ultrakurzer Wirkdauer getestet, die aus quaternären Tropinyldiesterverbindungen bestehen. Ein weiterer neuromuskulärer Blocker wird derzeit in
klinischen Phase 1/2-Studien geprüft. Es hat sich gezeigt, dass dieser Wirkstoff einen
ähnlich schnellen Wirkungseintritt und eine ähnliche Wirkdauer wie bisherige Substanzen hat, jedoch ohne Akkumulation im Körper.
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Eine Gruppe von Wissenschaftlern hat
diesen Forschungsansatz mittlerweile
weiterverfolgt und das erste selektive Relaxansbindungsmittel (SRBA) entwickelt, das
eine durch steroidale NMBA-Antagonisten induzierte Blockade innerhalb von drei
Minuten nach Verabreichung wieder aufheben kann und auf diese Weise ein schnelleres Wiedereinsetzen der Spontanatmung ermöglicht. Dieses neuartige SRBA wird inzwischen in klinischen Phase 3-Studien erprobt.
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Auch die intravenöse Anästhesie entwickelt sich ständig weiter. Man weiß mittlerweile sehr viel mehr über die Verteilung, den Stoffwechsel und die Wirkungsweise
von Anästhetika im menschlichen Körper, so dass bessere und genauere Modelle
entwickelt werden können. Wissenschaftler entwickeln derzeit ein neues intravenöses Hypnotikum, das einige Eigenschaften bekannter Substanzen hat, sich jedoch durch eine schnellere Eliminationszeit auszeichnet und nach längerer Infusion nicht akkumuliert. Aufgrund seines andersartigen pharmakokinetischen Profils könnte es eine neue Option darstellen. Studien am Menschen sind bisher jedoch noch nicht durchgeführt worden. Solche Fortschritte wirken sich nicht nur auf
die klinische Praxis der intravenösen Anästhesie aus, sondern auf den gesamten
Bereich der Allgemeinanästhesie.
Forscher arbeiten auch an neuen Verabreichungssystemen. Mehrere Arbeitsgruppen beschäftigen sich mit der Entwicklung eines patientengesteuerten transdermalen Systems (PCTS) für die nadellose Verabreichung eines Opioidanästhetikums
mit Hilfe einer speziellen Methode, der so genannten Iontophorese. Die PCTS
könnte zur Schmerzbehandlung nach Bauchoperationen, orthopädischen Eingriffen
und in der Thoraxchirurgie eingesetzt werden.
Das PCTS-System ist ein kompaktes, kreditkartengroßes Pflaster, das am Arm oder im
oberen Brustbereich auf die Haut aufgebracht wird. Es wird vorprogrammiert, um verschiedene Dosen pro Stunde auf Anforderung abzugeben und reicht für einen ganzen
Tag aus. Als Hauptvorteile des PCTS gelten die einfache Anwendung und die erhöhte Mobilität des Patienten. Weitere Vorteile sind eine geringere Arbeitsbelastung für
Pflegekräfte, eine Einsparung an Ressourcen und eine geringere Gefahr von Dosierungsfehlern.
Weitere interessante nadellose Verabreichungsarten für Opioide sind die intranasale
Verabreichung und die Inhalation. Die intranasale Verabreichung von Opioiden könnte bei pädiatrischen Patienten sehr hilfreich sein. Auch Studien mit liposomenverkapselten Opioiden zur epiduralen Langzeitanalgesie laufen zur Zeit. Diese Art der Verabreichung erfordert jedoch nach wie vor eine Nadel und/oder einen Katheter.
Langzeitperspektiven
Weiterentwicklungen und Fortschritte in der Pharmakologie in Verbindung mit HighTech-Überwachungsgeräten werden dazu beitragen, die Anästhesie noch sicherer und
wirksamer zu gestalten. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Datenverwaltung. Informationen, die früher nur mit Hilfe einer Kanüle in einem großen Blutgefäß gemessen
werden konnten, kann man heutzutage mit einem bequem am Finger angebrachten
Hautsensor gewinnen.
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Durch solche Methoden werden einst komplexe Verfahren billiger und weniger zeitaufwändig. Es wurden mittlerweile große Anästhesiegeräte mit Speicherkapazitäten
entwickelt, die Trendanalysen und papierlose Aufzeichnungen ermöglichen.
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Auf der Suche nach verbesserten Präparaten für Hypnose und Sedierung dürften drei
Hauptstrategien vielversprechend sein: 1.) die potenzielle Neuformulierung und Optimierung bekannter Wirkstoffe, 2.) die Entwicklung von Vorläufersubstanzen bereits
gebräuchlicher Medikamente, um Probleme mit ihrer Verabreichung und Dosierung
wie zum Beispiel die Wasserlöslichkeit zu beseitigen, und 3.) die Synthese neuer „sanfter Moleküle“, die rasch zu inaktiven Stoffwechselprodukten abgebaut werden und auf
diese Weise zu einer geringeren Atemdämpfung und einer schnelleren Erholung für
den Patienten führen dürften.
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Borreliose
Was ist Borreliose?
Die Borreliose ist eine infektiöse und entzündliche Krankheit, verursacht durch das
Bakterium Borrelia burgdorferi, das durch den Biss infizierter Zecken auf Tiere und
Menschen übertragen wird. Ein anderer Name der Krankheit ist Lyme-Krankheit. Die
Lyme-Krankheit wurde erstmals 1975 in den USA in der Stadt Old Lyme, Connecticut,
beschrieben. Verstärkte Forschungsanstrengungen führten 1981 zur Identifizierung
von B. burgdorferi als Krankheitserreger. Mittlerweile ist die Borreliose lokal endemisch. Krankheitsfälle treten überall in gemäßigten Regionen von Nordamerika, Europa und Asien auf. B. burgdorferi vermehrt sich in regelmäßigen Übertragungszyklen
zwischen Schildzecken der Gattung Ixodes (Ixodes ricinus in Europa sowie Ixodes scapularis und Ixodes pacificus in den USA) und Populationen von Kleinsäugetieren.
Die Borreliose wird von
einem durch Zeckenbisse
übertragenen Bakterium
verursacht. Sie kann zahlreiche Organe des Körpers
betreffen. Der wissenschaftliche Fortschritt hat
einige wirksame Antibiotika hervorgebracht. Weitere Forschungsarbeiten
versprechen neue Tests,
Medikamente und Impfstoffe.
Genetische Unterschiede in B. burgdorferi-Isolaten aus verschiedenen geographischen
Regionen könnten die beobachteten Unterschiede in den klinischen Manifestationen
der Krankheit in Europa und Nordamerika erklären. In den USA ist häufiger Arthritis
zu beobachten. In Teilen Europas sind verschiedene Stämme des Erregers mit chronischen dermatologischen Manifestationen und einigen neurologischen Symptomen
verbunden. Die Borreliose ist wahrscheinlich die weltweit häufigste durch Zecken
übertragene bakterielle Krankheit. Sie gilt als nicht ansteckend zwischen Menschen
oder zwischen Tier und Mensch. Die Infektionsraten in den Zeckenpopulationen
schwanken je nach Zeckenart und geographischer Verbreitung von zwei Prozent bis 90
Prozent oder mehr. Die Übertragung durch Stechinsekten wie Fliegen, Flöhe oder Mücken wird vermutet, scheint jedoch relativ selten zu sein.
In etwa 50 Prozent der Fälle ist ein charakteristischer Hautausschlag, das so genannte Erythema migrans, zu beobachten. “Erythema” ist der griechische Ausdruck für gerötete Haut, und “migrare” ist lateinisch und bedeutet sich bewegen oder wandern.
Der Hautausschlag beginnt einige Tage bis Wochen nach dem Biss durch eine infizierte Zecke und sieht meist wie ein sich ausbreitender roter Ring aus. Die Hautreaktion kann mit der Reaktion auf Brennnessel, einen Spinnenbiss, einen Insektenstich
oder mit einem Ekzem verwechselt werden.
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Durch Bluttests auf Borreliose lassen sich spezifische Antikörper gegen B. burgdorferi nachweisen. Ein
positiver Test kann die Diagnose bestätigen, wenn entsprechende
Symptome vorliegen. Man kann jedoch im Verlauf der Krankheit oder
nach einer Antibiotikatherapie auch
einen negativen Test und dennoch
Borreliose haben. Etwa gleichzeitig
mit der Entwicklung des Hautausschlags können grippeartige Symptome mit Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit, erhöhter Körpertemperatur, Muskelschmerzen, Müdigkeit
und allgemeinem Krankheitsgefühl
auftreten. Mitunter entwickeln sich
die grippeartigen Symptome, ohne
dass ein Hautausschlag auftritt.
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Elektronenmikroskopische
Aufnahme von Borrelia burgdorferi
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Unbehandelt kann das erste Stadium der Borreliose zwar von selbst wieder abklingen,
doch Monate oder Jahre später können sich ernstere Symptome entwickeln. Es können
Muskel- und Gelenkschmerzen, vor allem in den großen Gelenken, sowie neurologische Symptome wie Meningitis, Taubheit und Kribbeln in den Extremitäten, starke
Schmerzen, Müdigkeit und Depression auftreten. Weitere Organe des Körpers können
in Mitleidenschaft gezogen werden, und es können sich Herz- oder Augenbeschwerden (Bell-Phänomen), Atemwegs- oder Magen-Darm-Beschwerden entwickeln. Die
Symptome sind häufig intermittierend und können einige Tage bis einige Monate, mitunter auch Jahre andauern. Aufgrund ihrer verschiedenartigen Symptome kann das
Spätstadium oder die chronische Borreliose viele andere Krankheiten vortäuschen und
ist deshalb oft schwer zu diagnostizieren. Menschen, die die Krankheit durchgemacht
haben, können sich offenbar reinfizieren. Obwohl einige Todesfälle auf Borreliose zurückgeführt worden sind, gilt sie allgemein nicht als tödlich verlaufend.
Wer ist von Borreliose betroffen?
Die Inzidenz zeigt zwei Altersgipfel. Ein Gipfel liegt bei fünf bis neun Jahren und der
zweite bei 50 bis 54 Jahren. Die Inzidenz bei Kindern im Alter von fünf bis neun Jahren ist etwa doppelt so hoch wie bei Erwachsenen. In Europa treten die meisten Fälle
in Skandinavien und Mitteleuropa auf. Wie in den Vereinigten Staaten gibt es auch
hier Endemiegebiete, in denen die jährlichen Inzidenzraten bis zu 160 Fälle pro
100.000 Einwohner erreichen.
Die europäischen Inzidenzraten sind vergleichbar mit denen in den USA. In Endemiegebieten wie Südschweden wurden etwa 70 Fälle pro 100.000 Einwohner mit Häufigkeitsgipfeln im Alter von fünf bis neun Jahren und 60-69 Jahren berichtet. Die Berichte aus Europa deuten auch darauf hin, dass bei Kindern etwas häufiger Jungen als
Mädchen betroffen sind, während beim oberen Altersgipfel die
Frauen überwogen. In der Altersgruppe der 20- bis 24-Jährigen ist
Häufigkeit von klinischen Befunden bei
die Inzidenz am niedrigsten. In den USA treten jedes Jahr über
Patienten mit Borreliose (2001 – 2002)
16.000 Fälle mit Borreliose auf.
80
Aktuelle Therapien
Die Borreliose wird mit Antibiotika behandelt, die je nach dem
Stadium der Erkrankung und den bestehenden Symptomen verordnet werden. Zur Auswahl stehen Präparate aus den Klassen
der Tetrazykline, Makrolide, Cephalosporine und Penicillinderivate. Zur Linderung der Gelenksteifigkeit werden mitunter auch entzündungshemmende Medikamente, wie z.B. nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), verschrieben.
68%
60
40
33%
20
8%
3%
0
Erythema
migrans
Arthritis
1%
Radikuläre Meningitis,
BellPhänomen Schmerzen Enzephalitis,
Herzblockade
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Diese Zahlen summieren sich auf mehr als 100%, da einige
Patienten mehr als einen klinischen Befund angaben.
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Falls die Krankheit in den Frühstadien diagnostiziert wird, ist sie
mit Antibiotika heilbar. Eine rechtzeitige Behandlung erhöht die
Genesungsschancen und kann die Schwere eventueller Spätsymptome verringern. Die Behandlung in den späteren Stadien ist
schwieriger und erfordert oftmals lang anhaltende und wiederholte Antibiotikatherapien. Es gibt Berichte über Therapieversagen und Rückfälle.
Was ist in der Entwicklung?
Die Hauptziele der Forschungsprogramme auf dem Gebiet der Borreliose sind, bessere Möglichkeiten der Diagnose, Behandlung und Prävention der Krankheit zu entwickeln. Vor kurzem haben medizinische Forscher einen neuen Bluttest entwickelt, der
den Stellenwert der Laboruntersuchung bei der Frühdiagnose der Borreliose wesentlich verbessern könnte. Bei dem neuen Verfahren werden spezifische Immunkomplexe
isoliert, die sich in der Frühphase der Erkrankung bilden, wenn schützende Antikörper
an Proteine auf der Oberfläche der Bakterien binden. Mit den bisher verfügbaren Tests
sind nur ungebundene Antikörper nachweisbar, die im Frühstadium der Krankheit
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häufig nicht in ausreichender Menge vorhanden sind, um zuverlässige Testergebnisse zu liefern.
Die Forschung versucht auch herauszufinden, ob eine Langzeitantibiotikatherapie zu einer weiteren Besserung bei Patienten führt, die bereits mit der Standardtherapie behandelt wurden. Außerdem untersuchen Wissenschaftler, ob die
Hirnveränderungen bei der Borreliose in erster Linie auf Entzündungen von Blutgefäßen oder auf eine Störung des Nervenstoffwechsels zurückzuführen sind. Ferner laufen zurzeit
Studien, um klinische oder biologische Marker aufzuspüren,
die mit dem Ansprechen auf die Krankheit zusammenhängen könnten.
Es wurden bereits zwei Impfstoffe aus rekombinantem Oberflächenlipoprotein A (OspA) gegen B. burgdorferi entwickelt.
Es zeigte sich, dass sie nach drei Injektionen mit 70- bis 90prozentiger Wirksamkeit eine Borreliose verhinderten. Die Dauer des mit diesen Impfstoffen erzeugten Immunschutzes wurde jedoch nicht festgestellt. Einer dieser Impfstoffe war ab 1998 in den USA erhältlich, wurde jedoch 2002 wieder vom Markt genommen. Zurzeit laufen präklinische Studien zur Entwicklung und Prüfung weiterer
möglicher Impfstoffkandidaten, unter anderem mit dem Decorin-bindenden Protein A
(DbpA) als Zielmolekül. In Tierversuchen haben Wissenschaftler gezeigt, dass ein
Impfstoff aus DbpA und OspA die Entwicklung der Krankheit wirksamer verhindert als
jedes der beiden Proteine allein. Auf der Basis dieser ermutigenden Erkenntnisse wird
die Forschung zur Entwicklung eines Impfstoffs der zweiten Generation zur Prävention
der Borreliose beim Menschen weiter vorangetrieben.
Langzeitperspektiven
Die Entwicklung eines wirksamen Impfstoffs gegen Borreliose und ein verbessertes
Verständnis seiner Langzeitwirkung gelten als die größten Herausforderungen für die
zukünftige Forschung.
Die Sequenzierung des Genoms von B. burgdorferi war der Schlüssel zu einem verbesserten Verständnis der Biologie des Erregers und dessen schnelle Anpassung an unterschiedliche Wirte und Umgebungen.
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Die Aufklärung der Pathophysiologie der chronischen Borreliose des Zentralnervensystems sowie der therapieresistenten Lyme-Arthritis sind eine Voraussetzung für die
letztendliche Entwicklung von wirksamen Behandlungsmöglichkeiten für diese Manifestationen. Im Spätstadium der Krankheit induziert B. burgdorferi eine Immunreaktion, die zu Symptomen in verschiedenen Organen führt, ohne dass Hinweise auf eine
bakterielle Invasion vorliegen. Untersuchungen der Lyme-Arthritis haben gezeigt, dass
die chronische entzündliche Reaktion in den Gelenken mit der Bildung von Immunkomplexen und der Produktion von entzündungsfördernden Zytokinen einher geht.
Auch die Beteiligung von genetischen Faktoren, wie z.B. der humanen Leukozytenantigene HLA-DR4 und HLA-DR2, konnte nachgewiesen werden. Sie scheinen vielversprechende Angriffspunkte für eine bessere Behandlung des Spätstadiums der Krankheit zu sein.
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Chagas-Krankheit
Was ist die Chagas-Krankheit?
Die Chagas-Krankheit, benannt nach dem brasilianischen Arzt Carlos Justiniano Ribeiro Chagas, der die Krankheit 1909 während seiner Tätigkeit am Oswaldo Cruz Institut in Rio de Janeiro erstmals beschrieb, existiert nur auf dem amerikanischen Kontinent. Chagas’ Werk ist einzigartig in der Geschichte der Medizin, denn er ist bis heute der einzige Wissenschaftler, der eine neue Infektionskrankheit vollständig beschrieb, d.h. den Erreger, die Überträger, den Wirt, das klinische Bild und die Epidemiologie.
Die auch als südamerikanische Trypanosomiasis bezeichnete Krankheit wird durch
Trypanosoma cruzi verursacht, ein parasitärer Einzeller, der durch Insekten auf Menschen übertragen wird. Die Überträger, blutsaugende Raubwanzen, haben verschiedene landläufige Namen, wie z.B. in Brasilien, wo die Raubwanze allgemein als “Barbeiro“ oder “kissing bug“ bezeichnet wird, weil sie zum Blutsaugen nachts ihre Opfer
meist im Gesicht sticht.
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Es gibt zwei Stadien der Krankheit: Das akute Stadium kurz nach der Infektion und
das chronische, das sich nach einer Latenzzeit, die Jahre dauern kann, manifestiert.
Die Läsionen des chronischen Stadiums schädigen irreversibel innere Organe wie Herz,
Speiseröhre und Dickdarm sowie das periphere Nervensystem. Das akute Stadium der
Krankheit tritt allgemein bei Kindern
auf und ist durch Fieber, Lymphknotenschwellungen, Vergrößerung von
Leber und Milz oder örtliche Entzündungen an der Eintrittspforte der Infektion gekennzeichnet. Eine Schwellung im Bereich eines Auges (Romana-Zeichen, siehe Abbildung) kann
auftreten, wenn Insektenkot in dieses
Auge gerieben wurde.
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Meist jedoch treten keine akuten klinischen Manifestationen auf, und
die Infizierten bleiben ohne Symptome. Nach einem asymptomatischen
Zeitraum von einigen Jahren bis hin
zu Jahrzehnten der persistierenden
Infektion entwickeln etwa 25 Prozent der Patienten kardiale Symptome, die zum plötzlichem Herztod
führen können, fünf Prozent entwickeln Spätfolgen im Verdauungstrakt und bei drei
Prozent kommt es zu peripheren Nervenschädigungen. Die Chagas-Krankheit ist in Lateinamerika die Hauptursache der Herzinsuffizienz.
Wer ist von Chagas-Krankheit betroffen?
Die geographische Verbreitung der Chagas-Krankheit reicht von Mexiko bis Argentinien. In Mittel- und Südamerika sind schätzungsweise 16 bis 18 Millionen Menschen
betroffen, und alljährlich fallen der Krankheit etwa 50.000 Menschen zum Opfer. Weitere 100 Millionen Menschen oder etwa 25 Prozent der Bevölkerung in Lateinamerika sind infektionsgefährdet. Allein in Brasilien sind etwa sechs Millionen Menschen
betroffen.
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Das Infektionsrisiko steht unmittelbar mit Armut im Zusammenhang: die blutsaugende Raubwanze, die den Parasiten überträgt, findet in den Rissen und Spalten von
Wänden und Dächern ärmlicher Behausungen in ländlichen Gegenden und in Vorstadtslums einen günstigen Lebensraum. Die in den 1970er und 1980er Jahren in Lateinamerika einsetzende Landflucht veränderte das klassische epidemiologische Muster der Chagas-Krankheit und verwandelte sie in eine urbane Infektion. Die ChagasKrankheit kann auch durch Bluttransfusion übertragen werden. In den Blutbanken einiger ausgewählter Städte sind bis zu 50 Prozent der Blutkonserven kontaminiert, was
auf die hohe Prävalenz von T. cruzi-infiziertem Blut hinweist.
Aktuelle Therapien
Es gibt bislang keine Medikamente zur Heilung der Chagas-Krankheit. Die zur Verfügung stehenden Medikamente wurden bereits vor längerer Zeit entwickelt und sind
nur zur Behandlung der frühen Akutphase geeignet. Ein Antimykotikum aus der Gruppe der Azole und ein Sulfoxim-Antiprotozoikum werden verwendet, um Parasiten im
Blutkreislauf zu bekämpfen, sind jedoch nur bei jungen Menschen relativ wirksam. Sie
befreien den Patienten allerdings nicht von der Krankheit.
Die Chagas-Krankheit ist
eine Infektion durch einen
Parasiten, der durch Insektenstiche übertragen
wird. Als Folge dieser Infektion kann nach Jahren
das Herz geschädigt werden. Vielversprechende
neue Forschungsansätze
könnten zu noch spezifischeren Behandlungen
führen.
In der Vergangenheit verhinderten die hohen Kosten dieser Mittel ihre breite Anwendung. Inzwischen haben die Pharmahersteller jedoch die Patentrechte an ihren systemischen Antiprotozoika und die Technologie zur Herstellung der Medikamente den
Regierungen in der Region und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Es gibt bislang kein Heilmittel zur Behandlung des chronischen Stadiums der Krankheit, das schließlich zur Herzinsuffizienz führt. In den Spätphasen der Infektion konzentriert sich die Behandlung darauf, die mit der Krankheit
verbundenen Symptome zu beherrschen.
Prävention und Bekämpfung
• Behandlung von Häusern und Wohnungen mit Kontaktinsektiziden
• Reihenuntersuchungen von Blutkonserven, um der Übertragung durch Transfusionen
vorzubeugen
• Medikamentöse Behandlung bei akuten frühen, intermediären und kongenitalen Fällen
• Verbesserung der Wohnverhältnisse (Häuser mit verputzten Wänden und Metalldächern anstelle von Lehmziegelwänden und Strohdächern)
Die Bekämpfungsstrategie der WHO zur Ausrottung der Chagas-Krankheit im Zeitraum von 1996 bis 2010 stützt sich auf die Unterbrechung der Übertragung durch
den Vektor und das systematische Screening von Blutspendern.
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Geographische Verbreitung der
Chagas-Krankheit
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Was ist in der Entwicklung?
Hinweise darauf, dass Azolverbindungen bei bis zu zwei Dritteln der Kleinkinder in
den Frühstadien der chronischen Phase möglicherweise Herzschädigungen verhindern
können, haben der Suche nach besseren Behandlungsmöglichkeiten neue Impulse verliehen. Seit 2003 wird eine neuartige Klasse von Azolverbindungen zur Behandlung
der Chagas-Krankheit in den Entwicklungsländern erprobt. Azolverbindungen, die
auch zur Behandlung von Pilzinfektionen verwendet werden, hemmen die Bildung
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Bisher war die Bekämpfung des Überträgerinsekts die erfolgreichste Methode, um die
Inzidenz der Krankheit auf ein Mindestmaß zu verringern. Insektensprays, insektizide
Anstriche, Begasungskanister, die Verbesserung der Wohnverhältnisse, Gesundheitserziehung und laufende Überwachung der Infektion von umschriebenen Populationen
haben die Inzidenz der Krankheit in vielen südamerikanischen Ländern verringert, und
einige wurden aufgrund der Erfolge von Bekämpfungsprogrammen wie dem Southern
Cone Program als übertragungsfrei bescheinigt. Bei der Eindämmung der über Blut
übertragenen Infektionen hat man sich zum Ziel gesetzt, alle Blutspender aus endemischen Ländern auf T. cruzi-Antikörper zu untersuchen.
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einer Substanz, die für das Überleben von T.cruzi notwendig ist
und menschliche Zellen nicht beeinträchtigt.
Darüber hinaus prüfen Forscher einen neuen antiparasitären
Wirkstoff, der als Proteasehemmer gezielt auf ein Enzym wirkt,
das T.cruzi zum Überleben braucht. Seit 2002 wird dieses Therapieprinzip in Tierversuchen und klinischen Studien der Phase 1/2 untersucht.
Langzeitperspektiven
Die Molekularbiologie bietet die Gelegenheit, noch spezifischer nach neuen Ansatzpunkten für Impfstoffe zu suchen. Die
derzeit erforschten Angriffspunkte für Impfstoffe sind die Paraflagella-Rod-(PFR-)Proteine. Dies sind für Trypanosoma spezifische Proteine, die zur Ausbildung ihrer Geiseln erforderlich sind und es dem Erreger ermöglichen, in die bevorzugten Gewebe zu wandern. Die Trans-Salidase-Gene von
T.cruzi, ASP-1, ASP-2 und TSA-1, sind weitere mögliche Zielantigene. Diese Proteine
kommen in großer Menge auf der Oberfläche des Parasiten vor und erfüllen offenbar
wichtige enzymatische Aufgaben für das Überleben von T.cruzi.
DNA-Impfstoffe könnten eine Möglichkeit darstellen, einen Schutz vor der ChagasKrankheit herbeizuführen, da sie relativ leicht herzustellen sind und billig produziert
werden können, so dass sich auch ärmere Länder die Impfung leisten könnten. Die
Tests stecken noch in den Kinderschuhen, und der Impfschutz durch die bisher getesteten Impfstoffe war von unterschiedlicher Dauer. Neue Technologien eröffnen außerdem die Möglichkeit, Impfstoffe aus Pflanzenextrakten zu erforschen, die Enzyme
von T.cruzi blockieren könnten und somit einen neuen Ansatz für die Impfstoffforschung bieten.
Im Juli 2005 berichteten Wissenschaftler über die erfolgreiche Sequenzierung und
den Vergleich der Genome von drei Parasiten, die für die Schlafkrankheit, die ChagasKrankheit und die Leishmaniose verantwortlich sind. Jeder dieser Parasiten hat vermutlich etwa 8000 bis 10.000 Gene. Forscher identifizierten etwa 6200 Schlüsselgene, die bei allen drei Parasiten in ähnlicher Form im Genom vorkommen. Einige der
von diesen Genen codierten Proteine könnten als Zielmoleküle für Medikamente und
Impfstoffe dienen. Dies ist angesichts der Tatsache, dass bislang keine Impfstoffe und
nur wenige Medikamente für diese Krankheiten zur Verfügung stehen, ein durchaus
lohnendes Ziel.
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Die Forscher fanden zahlreiche Gene für Enzyme, die beim Menschen unbekannt sind.
Das Genomprojekt spürte Schlüsselgene auf, die allen drei Parasiten gemeinsam sind
und wahrscheinlich über einen so genannten “horizontalen Gentransfer“ von Bakterien übernommen wurden. Medikamente, die an diesen erworbenen Enzymen angreifen, könnten erfolgreiche therapeutische Ansatzpunkte darstellen, da die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass sie Auswirkungen auf den Wirt haben.
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Die Forscher fanden heraus, dass T.cruzi im Laufe seiner Entwicklung in Insekten und
im Menschen vier Lebenszyklen durchläuft. Außerdem haben die Wissenschaftler die
Sequenzierung von drei Kinetoplastidengenomen abgeschlossen und eine proteomische Analyse der Lebenszyklen des Parasiten durchgeführt. Sie konnten zeigen, dass
T.cruzi während seiner Entwicklung in Überträgerinsekten offenbar Histidin als Energiequelle nutzt, während der Parasit in Säugerzellen auf Fettsäuren zurückgreift. Die
Kenntnis von stadienspezifischen Signalwegen könnte bei der künftigen Auswahl von
Zielstrukturen für medikamentöse Behandlungen hilfreich sein.
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Cushing-Krankheit
Was ist Morbus Cushing?
Morbus Cushing ist eine Hormonstörung, die durch eine lang andauernde Exposition
der Körpergewebe gegenüber hohen Konzentrationen des glucocorticoiden Steroidhormons Cortisol verursacht wird. Sie ist nach Harvey Williams Cushing benannt, einem amerikanischen Neurochirurgen, der diese Krankheit in seinem 1912 erschienenen Werk „The Pituitary Body and its Disorders“ (Die Hypophyse und ihre Störungen)
beschrieben hat. Cortisol trägt dazu bei, den Blutdruck und die Herz-Kreislauf-Funktion aufrechtzuerhalten, vermindert die Entzündungsreaktionen des Immunsystems,
hält die Wirkungen von Insulin im Gleichgewicht und reguliert den Stoffwechsel von
Proteinen, Kohlenhydraten und Fetten. Eine weitere wichtige Funktion des Hormons
besteht darin, die Reaktion des Körpers auf Stress zu unterstützen.
Cushing-Krankheit ist eine
Hormonstörung, die zu
zahlreichen beeinträchtigenden Symptomen führt.
Zur Behandlung stehen
bisher operative Eingriffe,
Strahlentherapie und Medikamente zur Verfügung.
Die Forschung leistet
weiterhin Pionierarbeit,
um den Patienten zu helfen, ein normaleres Leben
zu führen.
Die Produktion von Cortisol wird durch eine fein abgestimmte Kaskade von Ereignissen gesteuert. Der Hypothalamus, ein Teil des Gehirns, sendet das CorticotropinReleasing-Hormon (CRH) an die Hypophyse, die sich ebenfalls im Gehirn befindet.
CRH veranlasst die Hypophyse, das Hormon Adrenocorticotropin (ACTH) auszuschütten, das die Nebennieren stimuliert. Wenn die Nebennieren, die nach ihrer Lage direkt
über den Nieren benannt sind, das ACTH empfangen, setzen sie Cortisol in den Blutkreislauf frei. Bei ausreichenden Cortisolspiegeln wird weniger CRH und ACTH ausgeschüttet. Wenn jedoch in dieser Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Kaskade
(HPA-Kaskade) etwas nicht stimmt, kann dies zu einer Störung der Bildung von Cortisol führen.
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Die Symptome sind sehr verschieden, doch die meisten
Patienten leiden unter
Stammfettsucht, rundlichem
„Mondgesicht“, vermehrter
Fettablagerung im Nackenbereich und dünnen Armen
und Beinen. Kinder sind oft
adipös und zeigen eine
Wachstumsverzögerung. Weitere Symptome betreffen die
Haut, die spröde und dünn
wird. Dunkelrötlich-rosafarbene Streifen können an
Bauch, Oberschenkeln, Gesäß, Armen und Brüsten auftreten. Die Knochen sind brüchig, und bereits alltägliche
Aktivitäten können zu
Rückenschmerzen und Rippen- und Wirbelkörperfrakturen führen.
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Die meisten Patienten klagen
über starke Müdigkeit, Muskelschwäche, Bluthochdruck und erhöhten Blutzucker.
Häufig sind Angstzustände und Zeichen von Depressionen zu beobachten. Bei Frauen
kommt es gewöhnlich zu übermäßigem Haarwuchs im Bereich von Gesicht, Brust,
Bauch und Oberschenkeln. Ihre Regelblutungen können unregelmäßig werden oder
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ganz ausbleiben. Männer leiden an verringerter Fertilität und verminderter oder fehlender Libido.
Wer ist vom Morbus Cushing betroffen?
Der Morbus Cushing ist relativ selten und betrifft am häufigsten Erwachsene im Alter
zwischen 20 und 50 Jahren. Schätzungsweise 10 bis 15 Menschen pro 1 Million Einwohner erkranken jedes Jahr, was in Europa jährlich etwa 4.000 bis 6.000 Fällen entspricht. Für die meisten Fälle von Morbus Cushing sind einzelne Hypophysenadenome
verantwortlich. Dies sind gutartige Tumoren der Hypophyse, die erhöhte Mengen von
ACTH freisetzen. Morbus Cushing tritt bei Frauen fünfmal so häufig auf wie bei Männern. Er ist nicht erblich.
Harvey Williams Cushing
Bisweilen verursacht eine Erkrankung der Nebennieren, meist ein Nebennierentumor,
ein Cushing-Syndrom, das dieselben klinischen Zeichen und Symptome zeigt wie der
durch ein Hypophysenadenom hervorgerufene Morbus Cushing.
Das durchschnittliche Manifestationsalter beträgt etwa 40 Jahre. In den meisten Fällen sind gutartige Tumoren des Nebennierengewebes, die vermehrt Cortisol ins Blut
freisetzen, die Ursache. Viele Patienten leiden an den Symptomen eines so genannten
Cushing-Syndroms, weil sie zur Behandlung einer anderen Krankheit wie Asthma,
rheumatoide Arthritis, Lupus erythematodes und anderer Autoimmunkrankheiten
oder zur Immunsuppression nach einer Transplantation über längere Zeit Glucocorticoide einnehmen.
Aktuelle Therapien
Unbehandelt ist der Morbus Cushing mit einer hohen Morbidität und letztendlich
auch Mortalität verbunden. Das Behandlungsziel ist die Normalisierung der PlasmaACTH- und Serumcortisolwerte, die Tumorverkleinerung und die Erhaltung der Hypophysenfunktion.
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Die häufigste Form der Behandlung ist die chirurgische Entfernung des Tumors. Es
gibt bislang keine wirksame medikamentöse Therapie für ACTH-sezernierende Hypophysentumoren. Nach kurativer Hypophysenoperation sinkt die Produktion von ACTH
vorübergehend auf Konzentrationen unter dem Normalwert. Dies ist ein natürlicher
Mechanismus, und den Patienten wird deshalb ein synthetisches Cortisol, wie z.B.
Hydrocortison oder Prednison, verabreicht. Bei den meisten Patienten kann diese Ersatztherapie innerhalb von weniger als einem Jahr wieder abgesetzt werden.
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Bei Patienten, bei denen die Operation ohne Erfolg blieb oder nicht in Frage kommt,
besteht die Möglichkeit einer Strahlentherapie. Es kann einige Monate dauern, bis es
den Patienten nach einer alleinigen Strahlentherapie wieder besser geht. Die Kombination der Bestrahlung mit einer Behandlung mit cortisolblockierenden Medikamenten kann die Heilung beschleunigen. Es gibt verschiedene Wirkstoffe, die die Cortisolproduktion unterdrücken und die Hormonspiegel im Plasma und Urin senken. Die
Behandlung mit einem dieser Medikamente allein oder mit einer Kombination dieser
Medikamente zur Verringerung der Synthese von Cortisol kann bei 30 bis 40 Prozent
der Patienten zum Erfolg führen.
Die derzeitige medikamentöse Therapie des Morbus Cushing umfasst auch neuromodulierende Substanzen, die auf der Hypothalamus-Hypophysen-Ebene wirken, wie beispielsweise Serotoninantagonisten, Dopaminagonisten, Gammaaminobuttersäure(GABA-)Agonisten und Somatostatin-Rezeptorbindungsmoleküle. Diese Präparate
sind Berichten zufolge beim Morbus Cushing zwar alle wirksam, doch sie haben keinen Einfluss auf das Wachstum des Hypophysentumors. Deshalb bleibt die derzeitige
Therapie mit Medikamenten weitgehend auf die präoperative Behandlung, auf Fälle,
in denen der Tumor nicht lokalisierbar ist, oder auf Situationen beschränkt, in denen
sich eine endgültige Therapie verzögert.
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Was ist in der Entwicklung?
Forscher untersuchen die Wirksamkeit und Verträglichkeit eines Wachstumshormonanalogons bei Patienten mit Morbus Cushing, die für eine chirurgische Intervention in
Frage kommen, und bei Patienten mit postoperativem rezidivierendem Cushing-Syndrom. Die Patienten werden sich das neue Arzneimittel 15 Tage lang zweimal täglich
selbst spritzen. Zurzeit laufen klinische Studien der Phase 2.
Wissenschaftler erforschen den Zusammenhang zwischen einer Fehlregulation der
HPA-Kaskade und Stimmungsstörungen, Funktion während des Schlafs und Kognition
bei Patienten mit Morbus Cushing. Außerdem versucht man, Untergruppen von Patienten aufzuspüren, die sich in der Manifestation und dem Schweregrad des depressiven Syndroms unterscheiden, um Unterschiede in der Fehlregulation
der HPA-Achse aufzudecken.
Eine andere Forschergruppe untersucht die Wirkungen von Cortisol auf
die Struktur und Funktion des Gehirns. Patienten mit Morbus Cushing
werden vor und nach der Behandlung untersucht. Mit Hilfe von bildgebenden Untersuchungen des Gehirns und neuropsychologischen Tests
werden Veränderungen in der Gehirnregion des Hippocampus sowie die
Denk- und Lernfunktionen und die Stimmungslage während der Phase
mit erhöhtem Cortisol untersucht. Da erhöhtes Cortisol und eine Fehlregulation seines Sekretionssystems bei einem beträchtlichen Anteil der
älteren Menschen und bei schweren Depressionen vorkommen, wird die
Studie auch neue Erkenntnisse über die Rolle von Cortisol bei diesen Zuständen liefern.
Ein weiterer Ansatz könnte die Behandlung mit einer neuen Antiglucocorticoidverbindung sein, die an Glucocorticoidrezeptoren im Körper
bindet und auf diese Weise die Bindung des Hormons Cortisol verhindert. Dieses Projekt ist noch in einer sehr frühen präklinischen Phase.
Da die genaue Diagnose bei einigen Patienten nach wie vor ein Problem
ist, werden neue Tests untersucht, um das Diagnoseverfahren weiter zu
verfeinern.
Langzeitperspektiven
In Laborversuchen wurde festgestellt, dass Moleküle, die an den Peroxisomen-Proliferator-aktivierten Rezeptor gamma (PPAR) binden, die ACTH-Sekretion und das Zellwachstum stark beeinflussen. Zu den Substanzen, die an PPAR binden und dessen
Wirkungen vermitteln, zählen die Thiazolidindione (TZD), die allgemein zur oralen Behandlung des Typ-2-Diabetes eingesetzt werden. Da Forscher belegen konnten, dass
PPAR in ACTH-sezernierenden Tumoren, die bei Patienten mit Morbus Cushing chirurgisch entfernt wurden, in großen Mengen exprimiert wird, deuten diese Ergebnisse
darauf hin, dass TZD-Verbindungen möglicherweise zur Behandlung dieser Krankheit
von Nutzen sein könnten.
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Derzeit laufen Studien, um die Ursachen der Entstehung von gutartigen endokrinen
Tumoren wie denjenigen, die die meisten Fälle des Morbus Cushing verursachen, besser zu verstehen. Bei einigen Hypophysenadenomen sind spezifische Gendefekte festgestellt worden, die wichtige Hinweise auf das Verständnis der Tumorentstehung liefern könnten. Auch endokrine Faktoren könnten eine Rolle spielen. Es mehren sich die
Hinweise darauf, dass die Tumorentstehung ein vielstufiger Prozess ist. Ein besseres
Verständnis der Grundlagen des Morbus Cushing wird schließlich zu neuen Therapieansätzen führen.
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FrühsommerMeningoenzephalitis
Was ist Frühsommer-Meningoenzephalitis?
Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) ist eine virale entzündliche Infektionskrankheit des Menschen, die das Zentralnervensystem befällt. Der Krankheitserreger
ist das FSME-Virus aus der Familie der Flaviviren. Flaviviren sind für eine Reihe von
schweren Krankheiten wie Gelbfieber, Japanische Enzephalitis, Dengue-Fieber und
FSME verantwortlich. Die FSME kann sich manifestieren als: 1.) Meningitis, eine Entzündung der Häute, die das Gehirn und das Rückenmark umgeben; 2.) Enzephalitis,
d.h. eine Entzündung des Gehirns; und 3.) Meningoenzephalitis, also eine Entzündung
sowohl des Gehirns als auch der Hirnhäute.
FSME wird durch den Biss von chronisch infizierten Zecken auf Menschen und Tiere
übertragen. Die Krankheit ist in bestimmten Gebieten endemisch. Die Infektionen treten entsprechend der Verbreitung des Zeckenreservoirs überall in gemäßigten Regionen Europas und der früheren Sowjetrepubliken auf. Die Verbreitungsgebiete in Europa sind vor allem die Ostküste von Schweden, ländliche Gebiete von Polen, Tschechien, der Slowakei sowie Mitteleuropas einschließlich Österreichs, Süddeutschlands
und Ungarns.
Schildzecken – die in Europa vorherrschende Art ist Ixodes ricinus – sind sowohl die
Überträger als auch das Reservoir der Krankheit. Die Hauptwirte sind Mäuse, andere
Kleinnager und einige Vögel, während der Mensch nur ein Zufallswirt ist. Größere Tiere wie Hirsch und Reh sind Nahrungswirte für die Zecken, spielen jedoch keine Rolle
bei der Vermehrung des Virus. Aus dem Speichel von Zecken haben Wissenschaftler
eine Reihe von „Tarnmolekülen“ isoliert, die der Parasit in die Haut spritzt. Diese unterdrücken die normalen Abwehrmechanismen, so dass die Zecke nicht bemerkt wird.
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Die asymptomatische Inkubationszeit der FSME beträgt normalerweise ein bis zwei
Wochen. Daran schließt sich eine charakteristische biphasische fieberhafte Erkrankung mit einem anfänglichen Anstieg der Körpertemperatur an, der zwei bis vier Tage
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dauert und der virämischen Phase entspricht. Während dieser Phase der Krankheit ist
das Virus im Blut nachweisbar. Es können Symptome wie Fieber, allgemeines Krankheitsgefühl, Muskelschmerzen, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen auftreten.
Nach etwa achttägiger Remission kann die zweite Phase der Krankheit auftreten, in
der das Zentralnervensystem befallen wird und Symptome einer Meningitis (Fieber,
Kopfschmerzen und Nackensteife) oder einer Enzephalitis (Benommenheit, Verwirrtheit, Sinnesstörungen und motorische Anomalien) oder eine Kombination all dieser
Symptome zu beobachten sind. Die sichere Diagnose erfordert den Nachweis von
Antikörpern gegen das Virus im Blut oder Liquor (Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit), wo
das Virus gewöhnlich während der zweiten Phase der Krankheit auftaucht.
Die Erkrankung kann in seltenen Fällen tödlich verlaufen. Die Mortalität beträgt zwei
Prozent, und der Tod tritt etwa eine Woche nach Beginn der neurologischen Zeichen
ein. Bei etwa 65 Prozent der mit dem Virus Infizierten ist nur die frühe virämische Phase zu beobachten. Beim übrigen Drittel der Patienten entwickelt sich entweder der typische biphasische Verlauf oder ein klinisches Bild, das mit der zweiten neurologischen
Phase beginnt. Die Rekonvaleszenzzeit kann sehr lang sein und dauerhafte neurologische Symptome hinterlassen. Bei 10-20 Prozent der Patienten treten im Verlauf der
Erholung Komplikationen auf.
Die Frühsommer-Meningoenzephalitis ist eine Virusinfektion des Gehirns
und des Rückenmarks, die
durch Zeckenbisse übertragen wird. Sie kann bei
den Infizierten bleibende
Schädigungen hinterlassen. Die Forschung hat
dazu geführt, dass heute
Impfstoffe zur Verfügung
stehen. Weitere Impfstoffe
und Medikamente werden
zurzeit erforscht.
Wer ist von Frühsommer-Meningoenzephalitis betroffen?
Die meisten FSME-Infektionen treten während des Zeitraums der höchsten Zeckenaktivität zwischen April und November auf. In Endemiegebieten tragen vor allem Menschen, die sich bei Erholungsaktivitäten oder beruflich viel im Freien aufhalten, ein erhöhtes Risiko. Es ist keine geschlechtsspezifische Häufung bei der FSME bekannt, es
sei denn, dass eines der beiden Geschlechter berufsbedingt stärker gefährdet ist.
Außerdem sind durch den zunehmenden Tourismus mit vermehrten Reisen in Endemiegebiete auch breitere Bevölkerungsschichten gefährdet.
Die Inzidenz schwankt von Jahr zu Jahr, doch in Europa werden jährlich einige Tausend Fälle verzeichnet, obwohl die Krankheit schon in der Vergangenheit viel zu wenig erfasst worden ist. In Endemiegebieten beträgt die Inzidenz etwa 0,5 Fälle pro
100.000 Einwohner. Vor der allgemeinen Anwendung von Impfstoffen und Sicherheitsvorkehrungen, um einen Kontakt mit infektiösen Tröpfchen aus der Luft zu vermeiden, kamen häufig Laborinfektionen vor. Übertragungen von Mensch zu Mensch
sind bisher nicht beobachtet worden. Vertikale Übertragungen von der infizierten
Mutter auf den Fötus sind jedoch aufgetreten.
Verbreitung des Schildzeckenreservoirs auf dem europäischen
und asiatischen Kontinent
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Zur Präexpositionsprophylaxe (Vorbeugung vor einem möglichen Viruskontakt) stehen
zwei Impfstoffe aus inaktiviertem FSME-Virus zur Verfügung. Sie werden für Menschen
mit berufsbedingter Gefährdung, z.B. Waldarbeiter, Förster und Jäger, empfohlen. Die
empfohlene Immunisierung besteht aus drei Injektionen, wobei die zweite Dosis gewöhnlich ein bis drei Monate nach der ersten und die dritte nach 9-12 Monaten verabreicht wird. Die drei ersten Dosen verleihen eine Immunität für die Dauer von drei
Jahren, und danach ist eine Auffrischungsimpfung erforderlich. Später sind unter Um-
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Aktuelle Therapien
Es gibt kein spezifisches antivirales Medikament zur
Behandlung der FSME. Eine Meningitis, Enzephalitis
oder Meningoenzephalitis erfordert eine stationäre
Aufnahme und je nach Schwere der Infektion eine Intensivbehandlung. Entzündungshemmende Medikamente können unter bestimmten Umständen zur Linderung der Symptome in Betracht gezogen werden.
Bisweilen kann eine Intubation und künstliche Beatmung erforderlich sein.
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ständen alle drei Jahre weitere Auffrischungen erforderlich. Ob eine Immunität besteht, kann durch Messung der Konzentrationen von Antikörpern gegen das FSME-Virus im Blut überprüft werden.
FSME Zunahme (%)
1000
Zur Prä- und Postexpositionsprophylaxe bei Menschen ohne Immunität kann ein
spezifisches antivirales Immunglobulin verabreicht werden. Wenn es innerhalb von
vier Tagen nach dem Zeckenbiss gegeben wird, ist es bei etwa zwei Dritteln der
Patienten wirksam. Es kann auch dann verwendet
werden, wenn die Zeit für eine Impfung vor der Reise
in ein Endemiegebiet zu kurz oder wenn eine Impfung
kontraindiziert ist.
Litauen
900
800
700
Finnland
600
Polen
500
Deutschland
Estland
400
Durchschnitt
Schweden
Schweiz
Lettland
Tschechien
Slowakei
300
200
100
1974-1983
Quelle: ISW-FSME
1984-1993
1994-2003
Was ist in der Entwicklung?
In Europa laufen zur Zeit klinische Prüfungen der inaktivierten Impfstoffe, um das optimale Impfschema
bei Kindern zu bestimmen, und Zulassungen sind bald
zu erwarten. Außerdem untersuchen Wissenschaftler,
ob die FSME-Impfung die Aktivität oder das Fortschreiten von entzündlichen Erkrankungen des
menschlichen Zentralnervensystems beeinflusst.
Um den Immunschutz nach einer Impfung zu verlängern, untersuchen Forschergruppen andere Impfungen
mit abgeschwächten Lebendimpfstoffen gegen FSME.
Es läuft eine klinische Studie der Phase 1 zur Untersuchung der Sicherheit und Immunogenität des Impfstoffs TBELGT/DEN4, der aus den Serotypen des Langat-Flavivirus und des DEN4-Denguevirus besteht.
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Langzeitperspektiven
Virale Oberflächenproteine bestimmen normalerweise das Spektrum der Spezies, die
vom betreffenden Virus infiziert werden können. Die Immunität gegenüber einer Virusinfektion hängt vor allem von der Erkennung solcher Proteine durch Antikörper ab.
Bereits geringfügige Veränderungen in den Proteinstrukturen können zum Verlust der
spezifischen Immunität führen. Deshalb untersuchen Forscherteams, wie Strukturen
der Oberflächenproteine des FSME-Virus helfen könnten, weitere geeignete Impfstoffe zu entwickeln.
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Die Entdeckung, dass nackte Plasmid-DNA eine humorale und zelluläre Immunität
auslösen kann, hat zur Erforschung von genetischen Impfstoffen gegen Viren geführt,
für die es bislang nur wenige Möglichkeiten der Prävention und Behandlung gibt. Wissenschaftler diskutieren die Möglichkeit der Verwendung von rekombinanten Virus-RNA-Molekülen, die
für Proteine der FSME-Virushülle codieren, als Ansatz
zur Entwicklung von genetischen Impfstoffen. In
Tiermodellen konnte gezeigt werden, dass es nach
der Impfung zu antigenspezifischen Antikörperreaktionen kommt.
Es liegen erste Berichte über Tierversuche vor, die belegen, dass die Verwendung von Systemen auf der
Basis der so genannten Prime-Boost-Kombinationsstrategie, bei der ein rekombinantes Vaccinia-Virus
mit rekombinanten bakteriellen Plasmiden kombiniert wird, vor einer Flavivirus-Infektion schützen
kann. Solche Systeme, die schützende Antigene des
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FSME-Virus einschließlich des NS1-Proteins exprimieren, könnten als neue Methoden
zur Herstellung von Impfstoffen gegen FSME und andere von Flaviviren verursachte
Infektionen eingesetzt werden.
Im September 2005 veröffentlichten Wissenschaftler die Ergebnisse von Laborversuchen, die erklären, wie das virale Makromolekül NS5 aus dem durch Zecken übertragenen Langat-Flavivirus verhindert, dass Interferon eine Kaskade von Immunreaktionen zur Bekämpfung des Krankheitserregers in Gang setzt. Das Protein NS5 blockiert
offenbar den Versuch des Körpers, Signale zur Auslösung einer Immunreaktion auszusenden, und verhindert auf diese Weise, dass das Immunsystem die Ausbreitung des
Virusmaterials stoppt. Wie man bereits weiß, können Flaviviren, die nicht von Zecken
übertragen werden, mit Hilfe ihres Proteins NS4B verhindern, dass Interferon richtig
funktioniert. Diese Erkenntnisse könnten neue Ansatzpunkte für Therapeutika zur Bekämpfung von Zecken-Flaviviren und zur Entwicklung von neuen Medikamenten liefern, die an Virulenzfaktoren des FSME-Erregers angreifen.
Schildzecke
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Geschlechtskrankheiten
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Was sind Geschlechtskrankheiten?
Geschlechtskrankheiten, die man oft auch als venerische Krankheiten bezeichnet, werden durch Sexualkontakte von Mensch zu Mensch übertragen. Sie sind wahrscheinlich
so alt wie die Menschheitsgeschichte, denn die ältesten Aufzeichnungen reichen fast
5.000 Jahre zurück. Geschlechtskrankheiten sind weltweit immer noch eine der
Hauptursachen für akute Erkrankungen, Unfruchtbarkeit, bleibende Behinderungen
und Tod. Die Syphilis, Gonorrhoe, Chlamydieninfektionen und Genitalherpes gelten
heutzutage als eine verborgene, weltweite Epidemie.
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Die Syphilis (auch Lues genannt, lateinisch für Seuche) wird durch das Bakterium Treponema pallidum verursacht, das über Schleimhäute in den menschlichen Körper eindringt. Das Primärstadium ist durch ein Geschwür an den Geschlechtsorganen gekennzeichnet. Auch auf den Lippen und im Mund können Bläschen und Entzündungen auftreten. Bei schwangeren Frauen kann die Syphilis kongenitale (angeborene)
Infektionen ihrer Kinder, Fehlgeburten oder Totgeburten verursachen. Unbehandelt
führen 30 Prozent aller Infektionen zu Spätkomplikationen wie Neurosyphilis, granulomatöse Läsionen in Haut, Leber und Knochen sowie eine Beteiligung des Herz-Kreislauf-Systems. Die Krankheit erhielt ihren Namen nach einem Gedicht von Hieronymus
Fracastor aus dem Jahr 1530. Es erzählt die Geschichte des Schafhirten Syphilis, der
wegen Ungläubigkeit mit der Krankheit geschlagen wurde. Das Gedicht wurde so berühmt, dass das Substantiv Syphilis schließlich zur allgemeinen Bezeichnung für die
Infektion wurde.
Die Gonorrhoe wird durch Neisseria gonorrhoeae verursacht, ein Bakterium, das in den
warmen, feuchten Bereichen der Harn- und Geschlechtsorgane wie z.B. in Gebärmutterhals (Zervix), Gebärmutter (Uterus) und Eileitern von Frauen und der Harnröhre von
Frauen und Männern gedeiht. Zwei bis fünf Tage nach der Infektion kommt es bei
Männern oft zu Schmerzen beim Wasserlassen oder zu einem weißen oder gelblichen
Ausfluss aus dem Penis. In Anlehnung daran prägte bereits der griechische Arzt
Galen im zweiten Jahrhundert v. Chr. den Namen Gonorrhoe, der „Samenfluss“ bedeutet. Er hielt den Ausfluss aus der Harnröhre irrtümlicherweise für einen unwillkürlichen Abgang von Samenflüssigkeit. Bei Männern mit Gonorrhoe kommt es mitunter
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zu Hodenschwellungen. Bei den meisten infizierten Frauen sind die Symptome nur
leicht ausgeprägt oder bleiben unbemerkt, wie beispielsweise ein Brennen beim Wasserlassen, vermehrter Scheidenausfluss oder Vaginalblutungen zwischen den Monatsblutungen.
Chlamydieninfektionen werden von dem Bakterium Chlamydia trachomatis verursacht. Frauen sind oft infiziert, ohne es zu wissen. Sie werden häufig reinfiziert, wenn
ihre Partner nicht behandelt werden. Unbehandelt können Chlamydien zu einer Infektion der Gebärmutter und der Eileiter, einer so genannten Adnexitis, führen, die
eine Unfruchtbarkeit zur Folge haben kann.
Genitalherpes wird durch das Herpes-simplex-Virus (HSV) verursacht. Es gibt zwei Typen des Virus, Typ 1 (HSV-1) und Typ 2 (HSV-2). Beide können die Krankheit hervorrufen, doch der Typ 2 ist häufiger die Ursache für die vielen Rückfälle von Genitalherpes mit Bläschenbildung an den Geschlechtsorganen. Die Bläschen brechen auf
und entwickeln sich zu weichen Geschwüren, die oft erst nach einigen Wochen abheilen. Aufgrund der Schleimhautgeschwüre kann die HSV-2-Infektion als Cofaktor
bei der Übertragung anderer Geschlechtskrankheiten einschließlich AIDS eine Rolle
spielen - ein Aspekt, der lange Zeit unterschätzt worden ist.
Geschlechtskrankheiten
sind bakterielle oder virale Infektionen, die unsägliche Qualen verursachen.
Die Prävention ist von wesentlicher Bedeutung. Die
pharmazeutische Industrie
hat bereits zahlreiche
Medikamente entwickelt,
und die Forschung wird in
verschiedene Richtungen
weiter vorangetrieben.
Wer ist von Geschlechtskrankheiten betroffen?
Die Syphilis ist in Entwicklungsländern und einigen Regionen der USA, Asiens und Europas, insbesondere in Osteuropa, mit bis zu 250 Fällen pro 100.000 Einwohner nach
wie vor verbreitet. Ihre Inzidenz nimmt seit dem Jahr 2000 allmählich wieder zu, insbesondere in der Altersgruppe von 15-34 Jahren. Die Zunahme ist vor allem bei homosexuellen Männern zu beobachten. Bei Frauen wurden weniger Fälle gemeldet, und
auch die Häufigkeit der kongenitalen Syphilis nahm ab.
Im Laufe der 1980er Jahre nahm in Westeuropa die Inzidenz der Gonorrhoe auf unter
20 Fälle pro 100.000 Einwohner ab, doch seit 1990 ist wieder eine Zunahme der Infektionen zu verzeichnen. Ein starker Wiederanstieg ist mit 125 Fällen pro 100.000
Einwohner in Osteuropa festzustellen. Das Verhältnis von betroffenen Männern zu
Frauen blieb unverändert bei 4:1. In den USA lag die Häufigkeitsrate im Jahr 2003
bei 117 Fällen pro 100.000 Einwohner.
In den Industrieländern ist die Infektion mit Chlamydia trachomatis die am häufigsten diagnostizierte bakterielle Geschlechtskrankheit. Sie wird jedoch sehr häufig
nicht erfasst, weil die meisten Betroffenen ihre Infektion überhaupt nicht bemerken.
Schätzungsweise vier Millionen Europäer infizieren sich alljährlich mit Chlamydien.
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In allen Stadien der Syphilis stellt intramuskulär injiziertes Penicillin als Einzeldosis
oder Langzeittherapie die Behandlung der Wahl dar. Nur bei Patienten mit dokumentierter Penicillinallergie sind andere Medikamente wie Tetrazykline oder Makrolidantibiotika erforderlich.
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Aktuelle Therapien
Die Behandlung von Patienten, ohne dass gleichzeitig auch deren Sexualpartner mitbehandelt werden, führt zu einer hohen Rate von Reinfektionen, weshalb unbedingt
die jeweiligen Partner informiert und alle Personen, mit denen Sexualkontakte bestanden, behandelt werden müssen.
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Die genitale HSV-2-Infektion tritt bei Frauen mit etwa 25 Prozent häufiger auf als bei
Männern mit 20 Prozent, da Übertragungen vom Mann auf die Frau häufiger vorkommen als umgekehrt. Bei einer Prävalenz von einem von vier bis fünf Erwachsenen
sind in der EU schätzungsweise etwa 60 Millionen Menschen mit Genitalherpes infiziert. Jüngste epidemiologische Studien haben gezeigt, dass die Infektion mit HSV-2
im Afrika südlich der Sahara sehr stark verbreitet ist und dass der Nachweis von Antikörpern gegen HSV-2 ein Marker für risikoreiches Sexualverhalten ist.
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Die Behandlung der Gonorrhoe muss möglichst bald nach der Diagnose eingeleitet
werden. Geeignete Therapien sind eine Einzeldosis eines Makrolidantibiotikums oder
ein Behandlungsschema mit mehreren Dosen eines Tetrazyklins, eines Gyrasehemmers
oder eines anderen Makrolidantibiotikums.
Mikroskopische Aufnahme von
Treponema pallidum
Die Chlamydieninfektion wird mit einer Einzeldosis eines Makrolidantibiotikums behandelt. Dies gewährleistet eine hohe Therapietreue der Patienten. Die andere Möglichkeit ist ein siebentägiger Behandlungszyklus mit einem Tetrazyklinantibiotikum.
Die HSV-2-Infektion kann heutzutage mit herpesspezifischen Medikamenten angegangen werden, und zwar entweder als prophylaktische Langzeitbehandlung während
der asymptomatischen Phase der Virusausscheidung oder als kurzzeitige Behandlung,
wenn Genitalgeschwüre auftreten. Die Herpesinfektion ist nicht heilbar, doch antivirale Medikamente verkürzen und verhindern Ausbrüche der klinischen Symptome.
Mikroskopische Aufnahme von
Neisseria gonorrhoeae
Mikroskopische Aufnahme von
Chlamydia trachomatis
Elektronenmikroskopische
Aufnahme des Herpes-simplexVirus
Was ist in der Entwicklung?
In einer Phase 3-Studie untersuchen Forscher die Gleichwertigkeit der Wirksamkeit eines oral verabreichten Makrolidantibiotikums als Einzeldosis zur Behandlung von unbehandelter primärer, sekundärer oder früher latenter Syphilis im Vergleich zur empfohlenen Standardbehandlung mit intramuskulärem Penicillin.
Die Sicherheit, Verträglichkeit und Immunogenität eines neu entwickelten Impfstoffs
gegen HSV-2 wird zurzeit an Patienten mit klinisch manifestem Genitalherpes untersucht. Bei der Impfstoffentwicklung geht es schwerpunktmäßig um die Prävention der
Primärinfektion, die Verhinderung der latenten Einnistung des Virus und die Prävention der Übertragung auf Neugeborene.
Die Eindämmung der Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten ist eine große Herausforderung. Eine Studie im Jahr 2005 ergab, dass ein schneller und direkter Zugang zu
Antibiotika für Partner von neu Infizierten die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten im Vergleich zur bisherigen Standardpraxis aufhält. Etwa 1.800 Patienten und ihren Sexualpartnern wurde nach Zufallskriterien entweder eine Standard- oder eine beschleunigte Behandlung angeboten. Letztere führte zu signifikant weniger Reinfektionen mit Neisseria gonorrhoeae und Chlamydia trachomatis.
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Langzeitperspektiven
Die Sequenzierung des Genoms von Treponema pallidum mit seinen etwa 1,2 Millionen Basenpaaren ist mittlerweile abgeschlossen. Das Genom von Neisseria gonorrhoeae besteht, wie sich gezeigt hat, aus 2,2 Millionen Basenpaaren, während das
Genom von Chlamydia trachomatis etwa eine Million Basenpaare umfasst. Der Genkatalog wird die Richtung für neue Optionen zur Behandlung der Infektionen weisen.
38
Bei der sexuellen Übertragung von Bakterien und Viren werden die natürlichen Abwehrmechanismen der Schleimhaut durchbrochen. Frauen haben bislang ohne die Kooperation des Partners keine Möglichkeit, sich vor Geschlechtskrankheiten zu schützen. Das vom Mann benutzte Kondom verhindert zwar eine Übertragung von Geschlechtskrankheiten wirksam, doch seine allgemeine Anwendung wird durch tief verwurzelte kulturelle und soziale Barrieren erschwert. Alternative Verhütungsmittel, wie
z.B. lokal applizierte Mikrobizide, wären eine interessante Möglichkeit, zu verhindern,
dass die Erreger von Geschlechtskrankheiten in ihre Zielzellen in der Scheide oder im
Gebärmutterhals eindringen. Mehrere in Frage kommende Mikrobizide stehen am Beginn von fortgeschrittenen Sicherheits- und Wirksamkeitstests.
Auf AIDS und Hepatitis B wird in diesem Kapitel nicht eingegangen, weil diese Krankheiten in eigenen Kapiteln und Karten der Publikationsreihe „Medikamente für Menschen” behandelt wurden.
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Hypertrophe
Kardiomyopathie
Was ist hypertrophe Kardiomyopathie?
Die hypertrophe Kardiomyopathie ist eine primäre Erkrankung des Herzmuskels
(Myokards), die durch eine Hypertrophie (Größenzunahme) des linken Ventrikels
gekennzeichnet und mit einem überaktiven linken Ventrikel und einer verkleinerten
linksventrikulären Kammer verbunden ist. Es kann zwar jede Region des linken Ventrikels beteiligt sein, doch häufig betrifft die Hypertrophie das Septum (die Wand
zwischen der linken und der rechten Herzkammer) und führt zu einer Obstruktion des
Ausflusstrakts des linken Ventrikels.
Die Krankheit wurde erstmals 1958 beschrieben. Sie ist eine relativ häufige genetische Ursache des plötzlichen Herztods, vor allem bei jüngeren, sportlich aktiven Männern. Bei den Betroffenen können infolge von Herzrhythmusstörungen oder aufgrund
einer Obstruktion durch Verdickung der Kammerwand und Blockade des Blutflusses
Synkopen (kurze Ohnmachtsanfälle) oder ein plötzlicher Herztod auftreten. Da Dehydratation ein Synkopenereignis auslösen kann, erliegen häufig Sportler beim Laufen,
Radfahren oder Fußballspielen dem plötzlichen Herztod.
Die hypertrophe Kardiomyopathie ist eine Erkrankung des Herzmuskels.
Sie kann einen plötzlichen
Herztod verursachen, vor
allem bei jüngeren aktiven
Männern. Medikamente
können einen tödlichen
Ausgang verhindern. Die
Forschung arbeitet weiter
an der Suche nach besseren Behandlungsmöglichkeiten.
Die Hypertrophie der Herzmuskelzellen (Myozyten) schreitet über Jahre hinweg unbemerkt fort und kann schließlich zur terminalen dilatativen Kardiomyopathie führen. Je
nach Dauer der Erkrankung kann das betroffene Herz völlig normal, ausgeprägt
hypertrophisch oder auch dilatiert erscheinen, was die Diagnose erschwert.
Es gibt keine Symptome oder Beschwerden, die eindeutig auf die hypertrophe Kardiomyopathie hinweisen. Die Belastungsfähigkeit kann durch Atemnot und rasche Ermüdung eingeschränkt sein. Schmerzen in der Brust können gewöhnlich durch Anstrengung ausgelöst und durch Ruhe gelindert werden. Außerdem können Palpitationen auftreten, eine unangenehme Empfindung des beschleunigten Herzschlags. Bei
den Betroffenen können Benommenheit, Schwindel oder gar Ohnmachtsanfälle auftreten. Die einzelnen Anfälle
können im Zusammenhang mit körperlicher Aktivität, mit Palpitationen oder
ohne erkennbare Auslöser auftreten.
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Die klinische Diagnose lässt sich am zuverlässigsten durch Echokardiographie
stellen. Mit diesem Untersuchungsverfahren ist eine schwere Ventrikelwandverdickung feststellbar. Eine normale linksventrikuläre Wand ist maximal 12 mm
dick, während in schweren Fällen der
Krankheit Wanddicken von mehr als 30
mm nicht ungewöhnlich sind. Die hypertrophe Kardiomyopathie bleibt jedoch
schwer zu diagnostizieren, wenn nicht
makroskopische pathologische Veränderungen bei der Echokardiographie oder
Autopsie festgestellt werden können.
Bei der Autopsie sind unter dem Mikroskop hypertrophe Myozyten mit bizarren Formen, eine chaotische zelluläre Architektur und eine ausgeprägte zelluläre „Unordnung“ zu sehen.
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Wer ist von hypertropher Kardiomyopathie betroffen?
Schätzungen zufolge trägt einer von 500 Menschen (0,2% der allgemeinen Bevölkerung) die Genmutation für die hypertrophe Kardiomyopathie in sich. Dies entspricht etwa 800.000 Trägern in Europa. Glücklicherweise ist die Prävalenz der
Krankheit sehr viel geringer. Von den 2.000 Menschen pro 1 Million Einwohner, bei
denen die Krankheit zu erwarten wäre, dürften etwa 200 eine Dilatation und Herzinsuffizienz entwickeln. Die anderen Träger der Genmutation für die hypertrophe Kardiomyopathie bleiben lebenslang von Krankheitszeichen verschont. Die Mortalitätsrate bei den Betroffenen beträgt vier Prozent pro Jahr. Die häufigste Todesursache
ist der plötzliche Herztod.
In Anbetracht dessen, dass etwa 70 Prozent aller Fälle von hypertropher Kardiomyopathie familiär bedingt sind und als autosomal dominantes Merkmal vererbt werden,
ist die Bedeutung der klinischen Vorgeschichte des Patienten hoch, denn es ist davon
auszugehen, dass 50 Prozent der Verwandten die verantwortlichen Gene tragen. Es
besteht kein Geschlechtsunterschied in der Häufigkeit der Krankheit, deren Prävalenz
sehr unterschiedlich ist. Die Krankheit wird zwar autosomal dominant vererbt, doch
bei den Betroffenen kann eine familiäre Vorbelastung mit Synkopen oder plötzlichem
Herztod auch gänzlich fehlen.
Mindestens zehn verschiedenen Genen, die für das Herzmuskelgewebe (Sarkomer) codieren, wird eine ursächliche Rolle bei der Erkrankung zugeschrieben. Seit 1990 die
erste genetische Ursache entdeckt wurde, sind über 150 Mutationen in den Proteinen
des Sarkomers dokumentiert worden. In dem für die schwere Kette des Proteins BetaMyosin (MYH7) codierenden Gen sind zahlreiche „maligne“ Mutationen beschrieben
worden. Diese besonderen Mutationen gehen vermutlich mit einer ungünstigen klinischen Prognose wie etwa dem Fortschreiten zu terminaler Herzinsuffizienz oder plötzlichem Herztod, einer häufigeren Manifestation der Krankheit und einer extremen
Wanddicke der linken Herzkammer einher.
Aktuelle Therapien
Es gibt keine formellen Richtlinien für die Behandlung von asymptomatischen Patienten mit hypertropher Kardiomyopathie. Bei Patienten mit Symptomen stellen Medikamente, die die Ausflussobstruktion verringern, nach wie vor die Grundlage der Therapie dar. Zu diesen Medikamenten zählen Betablocker, die auch die ventrikuläre Compliance, d.h. die Dehnbarkeit der linken Herzkammer, verbessern. Zurzeit wird erforscht, ob eine frühzeitige Verabreichung von Betablockern den Krankheitsverlauf
modifizieren kann.
Asymmetrische Septumhypertrophie
ohne Obstruktion
Asymmetrische
Septumhypertrophie
mit Obstruktion
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Eine weitere Option sind Calciumkanalblocker. Sie verbessern die diastolische Erschlaffung und senken den Ausflussgradienten durch die Reduktion der Kontraktilität
des Herzmuskels. Der Einsatz von Antiarrhythmika bleibt lebensbedrohlichen Kammerarrhythmien vorbehalten. Bei symptomatischen Patienten kann die Ausflussbehinderung durch chirurgische Maßnahmen oder durch kathetergestützte Eingriffe verringert werden.
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Mitralklappe drückt
gegen das Septum
und behindert den
Blutfluss (Obstruktion)
Mitralklappe
in normaler
Stellung
Herzkammer
verkleinert
Asymmetrische
Septumhypertrophie (ASH)
Blut strömt durch
die Mitralklappe
zurück (= Mitralregurgitation)
ASH
Systolische anteriore
Bewegung der
Mitralklappe (SAM)
Als Ursache des plötzlichen Herztodes
wird eine primäre elektrische Anomalie
durch ventrikuläre Arrhythmien angenommen. Eine klinische Studie an Patienten, denen ein Defibrillator implantiert wurde, zeigte, dass im Laufe einer
dreijährigen Nachbeobachtungszeit bei
fast 25 Prozent der Patienten ventrikuläre Arrhythmien auftraten. Bei Patienten mit erhöhtem Risiko für ein arrhythmisches Ereignis könnte ein implantierbarer Kardioverter-Defibrillator (ICD)
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eine Möglichkeit sein, um einen plötzlichen Herztod zu
verhindern.
Was ist in der Entwicklung?
Forscher untersuchen derzeit Angiotensin 2 (A-2), welches
das Zellwachstum und die Herzfunktion moduliert. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass das Renin-AngiotensinSystem möglicherweise in Herzzellen aktiv ist. Somit könnte
die hypertrophe Wirkung von A-2 durch lokal produzierte
Hormone vermittelt werden.
Tierversuche haben gezeigt, dass die Hemmung des Angiotensin-Converting-Enzyme (ACE) und eine A-2-Rezeptorblockade die kardiale Hypertrophie verringern und die diastolische Funktion der linken Herzkammer verbessern können. In mehreren klinischen Studien der Phasen 2/3 untersuchen Forscher, inwieweit ACE-Hemmer und A-2-Blocker
in der Lage sind, eine Rückbildung der ventrikulären Hypertrophie herbeizuführen.
Wissenschaftler gehen derzeit der Frage nach, welche Bedeutung der so genannte Insulin-Like Growth Factor-I (IGF-I) und sein Bindungsprotein für die vermehrte linksventrikuläre Muskelmasse bei der hypertrophen Kardiomyopathie haben.
Linksventrikuläre diastolische Funktionsstörungen und Arrhythmien sind vermutlich
teilweise auf eine Myokardfibrose zurückzuführen. Deshalb untersuchen Forscher zur
Zeit in einer klinischen Phase 2-Studie einen Antifibrosewirkstoff zur Verbesserung der
diastolischen Funktion und Belastungsfähigkeit.
Weitere Forschungsvorhaben haben zum Ziel, Krankheitsgene aufzuspüren, große aufschlussreiche Genfamilien zur Verknüpfung zu erfassen und mit der Genotypisierung
von Serien von Patienten zu beginnen.
Langzeitperspektiven
Bei der hypertrophen Kardiomyopathie ist das Erbgut von klinischer Bedeutung. Die
Identifizierung der Krankheitsgenmutation bedeutet, dass die Träger der Mutation
irgendwann im Laufe ihres Lebens die Krankheit entwickeln können. In Zukunft wird
man sich darauf konzentrieren, die molekulare Pathogenese der Krankheit zu
entschlüsseln und pharmakologische Möglichkeiten zu entwickeln, um den
Ausbruch der Krankheit zu verhindern oder ihren Verlauf abzumildern oder
Obere Hohlvene
umzukehren.
Lungenarterie
Pulmonalklappe
Linker Vorhof
Rechter Vorhof
Mitralklappe
Linker
Ventrikel
Trikuspidalklappe
Herzspitze
Rechter Ventrikel
Hart
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Das Screening wird zukünftig von entscheidender Bedeutung sein. Weitere Fortschritte in Molekulargenetik und -biologie werden zu einer frühzeitigen Diagnose von Trägern der Mutation, zur Risikostratifizierung und letzten Endes zur Entwicklung besserer Therapien auf der Basis der Blockade oder Aktivierung spezifischer Signalwege führen, die an der Pathogenese der Krankheit beteiligt sind.
Ventrikelseptum
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Die bisherigen experimentellen Daten aus Tiermodellen deuten auf die mögliche Reversibilität der kardialen Krankheitszeichen hin und zeigen einen Weg
zur Prüfung der potenziellen vorteilhaften Wirkungen von Medikamenten auf.
Bisher zeichnen sich zwei potenzielle Ansatzpunkte ab, und zwar 1.) die Signalmoleküle RhoA und Rac 1, die als unverzichtbar für die Hypertrophie des
Herzmuskels gelten, und 2.) das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System. Aufgrund der langsamen Entwicklung der Krankheit beim Menschen werden Kooperationen zwischen Forschern erforderlich sein, um breit angelegte Studien
zur Prüfung der potenziellen günstigen Wirkungen von HMG-CoA-ReduktaseHemmern und Blockern des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems durchzuführen.
Aortenbogen
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Legionärskrankheit
Was ist die Legionärskrankheit?
Die Legionärskrankheit oder auch Legionella-Pneumonie ist eine seltene, aber schwere Infektionskrankheit, die durch das Bakterium Legionella pneumophila verursacht
wird. Sie befällt vor allem die Lunge, kann aber auch auf andere Organe übergreifen.
Der Krankheitserreger wurde erstmals 1976 entdeckt, als nach einem Treffen von Veteranen der American Legion in Philadelphia eine Pneumonie ausbrach. Insgesamt
221 Menschen zogen sich die Infektion zu und 34 verstarben. Der zweitgrößte Ausbruch trat 1985 in einem Krankenhaus in England auf, als sich insgesamt 101 Menschen mit der Krankheit infizierten und 28 daran starben.
Der Krankheitserreger ist ein
intrazellulär wachsendes Bakterium. Es infiziert immunkompetente weiße Blutkörperchen, die
so genannten Makrophagen,
vermehrt sich in ihnen und tötet
sie schließlich ab. Die Bakterien
selbst sind über verschiedene
Stoffwechselwege in der Lage,
sich der Zerstörung durch die
Makrophagen zu entziehen. L.
pneumophila kann auch frei lebende Amöben infizieren und
kommt fast überall in Warmwassersystemen, Klimaanlagen und
Kühltürmen vor.
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Die Infektion mit dem Erreger
erfolgt durch respiratorische
Übertragung, das heißt durch
Einatmen von Tröpfchen in der
Luft, beispielsweise in der Dusche, im Whirlpool oder in einem klimatisierten Raum. Die meisten Ausbrüche in der
Bevölkerung wurden auf Kühltürme oder Verdunstungskondensatoren zurückgeführt,
die feinste Wassertropfchen über ein großes Gebiet verbreiten können. Die Legionärskrankheit wird nicht von Mensch zu Mensch übertragen, so dass keine Isolationsmaßnahmen erforderlich sind, und sie wird auch nicht durch Trinken von verseuchtem Wasser verursacht.
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Die Krankheit ist nicht durch typische klinische Merkmale gekennzeichnet, durch die
sie eindeutig von anderen Formen der Pneumonie zu unterscheiden wäre. Deshalb
müssen Laboruntersuchungen durchgeführt werden, um die Diagnose zu bestätigen.
Die Inkubationszeit ist kurz. Die Krankheit entwickelt sich normalerweise innerhalb
von zwei bis zehn Tagen. Sie beginnt mit allmählich einsetzenden grippeartigen Symptomen. Die Betroffenen leiden an Fieber, Schüttelfrost und einem trockenen Husten.
In der Folgezeit kann sich eine schwere Pneumonie entwickeln, die auf die Behandlung mit Penicillinen oder Aminoglykosiden nicht anspricht. Die Legionärskrankheit
kann auch auf den Magen-Darm-Trakt und das Zentralnervensystem übergreifen.
Dementsprechend kann es bei Patienten mit fortgeschrittener Infektion zu Durchfall,
Übelkeit und Verwirrtheitszuständen kommen.
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Wer ist von Legionärskrankheit betroffen?
Diese besondere Form der Pneumonie ist vor allem bei Menschen mit geschwächtem
Immunsystem zu beobachten. Am häufigsten sind Raucher oder Menschen mit anderen Lungenproblemen betroffen. Die Legionärskrankheit tritt bei jüngeren Menschen
selten auf und ist im Alter unter 20 Jahren sehr selten. Die einzelnen Fälle treten gewöhnlich sporadisch auf, und zwar überwiegend im Spätsommer oder Frühherbst.
In Europa gibt es keine verlässlichen epidemiologischen Daten, da die Krankheit sehr
häufig nicht erfasst wird. Die Schätzungen schwanken zwischen 10.000 und 20.000
Fällen pro Jahr. Im Jahr 2003 berichtete das europäisches Überwachungssystem für
reisebedingte Legionärskrankheit über 632 Infektionsfälle. Die meisten Fälle traten
bei Menschen im Alter zwischen 50 und 69 Jahren auf. Männer waren dreimal so häufig betroffen wie Frauen. Die Mortalitätsrate betrug etwa 10 Prozent. Die jährlich
etwa 12.000 Fälle von Legionärskrankheit in den USA treten meist bei Menschen mittleren Alters oder mit geschwächtem Immunsystem auf.
Aktuelle Therapien
Bei fast allen Patienten ist die Einweisung in ein Krankenhaus angezeigt. Je nach klinischer Einschätzung des Schweregrades der Erkrankung, Vorliegen von Begleiterkrankungen, allgemeinem Gesundheitszustand des Patienten und Verfügbarkeit einer
geeigneten Patientenüberwachung kann eine Behandlung auf der Intensivstation erforderlich sein.
Die Legionärskrankheit ist
eine zwar seltene, aber
schwere Lungeninfektion,
die durch ein Bakterium
verursacht wird. Antibiotika haben bereits viele
Menschenleben gerettet,
und die Forschung entwikkelt immer wieder neue
Antibiotika. Die Genforschung könnte in Zukunft
zu noch wirksameren
Behandlungen führen.
Die Behandlung der Wahl sind hohe Dosen von Makrolidantibiotika, die alle sechs
Stunden durch intravenöse Infusion verabreicht werden. Weniger schwer erkrankte Patienten können oft mit niedrigeren Dosen zweimal täglich oral behandelt werden. Einige Ärzte bevorzugen Makrolide der zweiten Generation oder Chinolone als Antibiotikatherapie. Schwer kranke Patienten sollten mit einer Kombinationstherapie aus einem Makrolidantibiotikum und einem Tuberkulostatikum behandelt werden. Die Behandlung sollte mindestens drei Wochen lang durchgeführt werden, um Rückfälle zu
vermeiden.
Selbst bei angemessener Versorgung und Therapie beträgt die Mortalität bei ambulant erworbenen Fällen 10-20 Prozent und ist bei immungeschwächten oder stationär
behandelten Patienten noch höher. Die Genesung von Patienten, die auf die Behandlung ansprechen, verläuft nur langsam, und auch nach mehr als einem Monat
sind oft noch auffällige Röntgenbefunde festzustellen.
Was ist in der Entwicklung?
Jüngste Daten über die Wirksamkeit neuer Arten von Chinolonantibiotika untermauern Studien über die klinische Wirksamkeit
solcher Substanzen bei der Behandlung der Legionärskrankheit.
In Tiermodellen hat sich auch ein neues Glycylcyclin-Antibiotikum als wirksam erwiesen.
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Forschergruppen befassen sich damit, Zelllinien als Modellsysteme zur Untersuchung
der Invasivität und Biologie von L. pneumophila zu etablieren. Mit Hilfe dieser Modelle hofft man, die Invasion von der Adhärenz unterscheiden zu können, da nur virulente Stämme des Erregers sowohl adhärent als auch invasiv sind. Proteine der Zellmembran sind Schlüsselmoleküle bei der Wechselwirkung zwischen Erreger und Wirtszelle. Wissenschaftler erforschen auch chronisch infizierte Zellkulturen, die als nützli-
Die meisten Ausbrüche der
Legionärskrankheit werden durch
Wasserversorgungssysteme und
Klimaanlagen in großen Gebäuden
verursacht.
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Eine weitere neue Klasse von Antibiotika sind die Ketolide, die
wie die Makrolide ihre antibakterielle Wirkung entfalten, indem
sie am bakteriellen Ribosom angreifen und dessen Fähigkeit
blockieren, neue Proteine zu bilden. Ketolide haben sich in vivo
als wirksam gegen L. pneumophila erwiesen.
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ches Werkzeug zur Untersuchung der Langzeitwechselwirkungen zwischen virulenten
Stämmen des Bakteriums und Säugerzellen gelten.
Elektronenmikroskopische
Aufnahme von Legionella
pneumophila
Solche Modellsysteme bieten einzigartige Gelegenheiten, um die von den Erregern gesteuerte Aufnahme in die Makrophagen zu studieren und um bestimmte Wirt-ErregerWechselwirkungen zu simulieren. Diese Forschungsarbeiten sollten dazu beitragen,
besser zu verstehen, wie es dem Bakterium gelingt, sich an so unterschiedliche Wirte
wie Amöben, das heißt in wässrigen Umgebungen lebende Mikroorganismen, und den
Menschen anzupassen. Außerdem dürften sie neue Möglichkeiten für eine verbesserte Diagnostik, wirksamere therapeutische Waffen und Biozide zur Dekontamination
von Wasserversorgungssystemen eröffnen.
Langzeitperspektiven
Im September 2004 veröffentlichten mehrere Forschungsteams gemeinsam die Genomsequenz von L. pneumophila. Der wissenschaftlichen Publikation zufolge enthält
das Genom 3,4 Millionen Basenpaare, die in einem Chromosomenring angeordnet
sind, auf dem etwa 3.000 Gene liegen. Darunter sind selektive Expansionen wichtiger
Genfamilien, Gene für unerwartete Stoffwechselwege und bislang unbekannte potenzielle Virulenzdeterminanten.
Spezielle Analysen ergaben eine gewisse Verwandtschaft des Genoms von Legionella
pneumophila mit dem Genom von Coxiella burnetii, dem bakteriellen Erreger des QFiebers bei landwirtschaftlichen Nutztieren. Das Q-Fieber kann auch auf Menschen
übertragen werden. Wie Legionella wird auch der Krankheitserreger Coxiella burnetii
von Lungenmakrophagen bekämpft und aufgenommen, kann jedoch von diesen weißen Blutkörperchen nicht unschädlich gemacht werden. Eine vergleichende Analyse
der beiden Genome könnte zu besseren Einblicken in dieses Phänomen führen.
In der Publikation der Genomsequenz werden auch die Gene aufgeführt, die möglicherweise dafür verantwortlich sind, dass Legionella in der Lage ist, in Einzellern, Makrophagen von Säugetieren und unter unwirtlichen Umweltbedingungen zu überleben, und die neue therapeutische Ansatzpunkte für weitere Medikamente und Impfstoffe ergeben könnten.
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Die Immungenetik des Menschen spielt eine wichtige Rolle. Die angeborene und die
adaptive Immunität sind von entscheidender Bedeutung für die Infektionsabwehr
der Lunge und anderer Schleimhautoberflächen des menschlichen Körpers, wenn
diese den Angriffen von Mikroorganismen ausgesetzt sind. Antimikrobielle Peptide,
Sekrete und Zytokine sind wichtige Immunwaffen, da sie die Schutzbarriere der
Atemwege bilden.
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Die Vorstellung, dass die Anfälligkeit für Infektionen der Lunge möglicherweise genetisch festgelegt ist und zu einer ungenügenden Aktivierung der adaptiven Immunität
führt, ist allgemein anerkannt. Der Nachweis bestimmter Gendefekte, die das Immunsystem daran hindern, eingedrungene Krankheitserreger erfolgreich zu bekämpfen, könnte Licht in diese Mechanismen bringen. Fortschritte in der Immungenetik
könnten somit zu neuen Strategien der Entwicklung weiterer antiinfektiöser und entzündungshemmender Medikamente führen.
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Melanom
Was ist ein Melanom?
Ein Melanom ist ein bösartiger Tumor pigmentproduzierender Zellen, der so genannten Melanozyten (nach dem griechischen „melas“ für schwarz oder dunkel und „kytos“,
das Vertiefung, Behälter oder Zelle bedeutet). Die Zellen kommen vorwiegend in der
Basalschicht der Haut vor und bilden unter der Steuerung durch das melanozytenstimulierende Hormon (MSH) das Pigment Melanin zum Schutz des Körpers vor ultraviolettem Licht. Melanozyten findet man auch in den Augen und Ohren, im MagenDarm-Trakt, in der dünnen Haut, die das Gehirn und das Rückenmark umgibt, und in
einigen Schleimhäuten.
Die Entwicklung des Melanoms scheint mit verschiedenen Risikofaktoren zusammenzuhängen. Das primäre kutane Melanom kann sich in Hautarealen mit Melanomvorstufen entwickeln, obwohl man vermutet, dass mehr als 60 Prozent der Fälle nicht aus
einer vorbestehenden Pigmentläsion entstehen. Zu den Risikofaktoren zählen helle
Hautfarbe, intensive Sonnenbestrahlung und häufiger Sonnenbrand während der
Kindheit, eine erhöhte Anzahl an Pigmentflecken, ein sich verändernder Pigmentfleck,
ein Melanom in der Familienvorgeschichte und höheres Alter. Das Melanom ist vor der
Pubertät extrem selten.
Das Melanom ist eine
schwere Form von Hautkrebs. Prävention und
Frühdiagnose sind von
entscheidender Bedeutung. Die chirurgische
Behandlung und Medikamente haben dazu beigetragen, die Lebensqualität
vieler Patienten zu verbessern. Weitere Forschungsanstrengungen versprechen noch bessere
Behandlungsmöglichkeiten
für diese immer häufiger
auftretende Krankheit.
Es werden vier Haupttypen des Melanoms unterschieden, und zwar das oberflächlich
spreitende Melanom (SSM), das noduläre Melanom (NM), das Lentigo-maligna-Melanom (LMM) und das akrolentiginöse Melanom (ALM). Am häufigsten ist das SSM, das
bei 60-70 Prozent der Patienten auftritt und vor allem bei Menschen im Alter von 3050 Jahren zu beobachten ist. Das NM tritt bei etwa 20 Prozent der Patienten auf und
wächst rasch über einige Wochen bis Monate. Es kann ulzerieren und bereits bei kleineren Verletzungen bluten. Auf den LMM-Subtyp entfallen etwa zehn Prozent der Fälle. Dieser Melanomtyp findet sich typischerweise auf sonnengeschädigter Haut älterer Menschen mit heller Haut und wächst langsam über 5-20 Jahre. Auf den selten-
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sten Subtyp ALM entfallen fünf Prozent aller Fälle. Das ALM tritt an Handflächen, Fußsohlen oder unter der Nagelplatte auf und kann mit einer schlechteren Prognose verbunden sein, weil es häufig erst sehr spät diagnostiziert wird.
Ein sich veränderndes Pigmentmal ist das häufigste Warnzeichen für ein Melanom.
Mehr als 80 Prozent der Patienten stellen eine Veränderung in der Farbe und eine Zunahme des Durchmessers, der Erhabenheit oder der Asymmetrie der Begrenzung eines
Pigmentflecks fest, die dann zur Diagnose des Melanoms führt. Symptome wie Blutungen, Juckreiz, Ulzeration und Schmerzen im Bereich einer Pigmentläsion sind seltener, müssen jedoch abgeklärt werden.
Wer ist vom Melanom betroffen?
Das Melanom verursacht zwar nur vier Prozent aller Hautkrebsfälle, ist jedoch für fast
80 Prozent aller hautkrebsbedingten Todesfälle verantwortlich. Dieser bösartige Tumor tritt vorwiegend in der weißen Bevölkerung auf. Bei Afroamerikanern tritt das Melanom etwa zwanzig Mal weniger häufig als bei Menschen weißer Hautfarbe auf. Im
Jahr 2002 sind weltweit schätzungsweise 160.000 Neuerkrankungen aufgetreten und
41.000 Todesfälle verzeichnet worden. Unter den 160.000 Fällen waren Frauen etwas
häufiger als Männer betroffen (Verhältnis Männer zu Frauen: 0,97:1). Umgekehrt ergab sich bei den 41.000 Todesfällen ein Männer-Frauen-Verhältnis von 1,2:1.
Im Laufe der letzten 50 Jahre hat die Inzidenz des Melanoms weltweit weiter zugenommen, und die höchsten Inzidenzraten waren in Australien und Neuseeland zu beobachten (38 Fälle pro 100.000 Männer und 30 Fälle pro 100.000 Frauen). In Europa
werden jährlich etwa 60.000 Neuerkrankungen diagnostiziert. Die Inzidenz ist bei Frauen etwas höher als bei Männern und beträgt etwa sieben bzw. sechs pro 100.000 Einwohner pro Jahr. In Nordeuropa ist sie höher als in Südeuropa. In Nordamerika sind es
im Vergleich dazu sieben Fälle pro 100.000 Männer und 12 Fälle pro 100.000 Frauen.
Beim lokalisierten kutanen Melanom steht die chirurgische Therapie im Vordergrund.
Durch das lymphatische Mapping und die Biopsie des Sentinel-Lymphknotens (des ersten Lymphknotens im Abflussgebiet des Melanoms) wurde das Dilemma,
ob bei Patienten mit Melanomen, die dicker als 1 mm sind, alle regionaMelanom
len Lymphknoten entfernt werden sollten, wirksam gelöst. Der SentinelLymphknotenstatus ist der prognostische Faktor für ein Wiederauftreten
Stratum
des Tumors und ein starker Prädiktor des Überlebens.
corneum
(Hornschicht)
Stratum
granulosum
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Aktuelle Therapien
Die Früherkennung ist die beste Möglichkeit zur Verringerung der Mortalität. In den Industrieländern haben die Patienten höhere Überlebensraten (85 Prozent) als in den
Entwicklungsländern (40 Prozent). Aufklärungsprogramme haben zu einer früheren Diagnose, Behandlung und potenziellen Heilung von dünneren Läsionen geführt. Zur
Anpassung der Behandlung und Beurteilung der Prognose der Patienten gibt es ein so
genanntes Staging-System für das Melanom. Es dient dazu, das Stadium des Melanoms zu bestimmen. Es definiert die Stadien I und II durch die Tumordicke und den
Grad der Invasion (Eindringtiefe in das umliegende Gewebe). Im Stadium III sind auch
die regionalen Lymphknoten befallen, während im Stadium IV auch Fernmetastasen in
Haut, Lymphknoten, Eingeweiden, Skelett oder Zentralnervensystem vorhanden sind.
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Derma
(Lederhaut)
Melanom, das die Haut infiltriert
Die Biomodulatoren Interferon (IFN) alfa-2b und Interleukin-2 (IL-2) werden als adjuvante Therapie beim Melanom der Stadien II und III eingesetzt. Kontrollierte klinische Studien haben eine günstige Wirkung auf das
rezidivfreie Überleben und das Fünfjahres-Gesamtüberleben gezeigt. Eine
metastasierte Erkrankung spricht schlecht auf die üblichen Behandlungen
an. Zwei von 30 getesteten Medikamenten, ein Imidazolcarboxamidderivat und Nitrosoharnstoffverbindungen, haben Ansprechraten über zehn
Prozent gezeigt. Ein vollständiges Ansprechen ist sehr selten.
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Was ist in der Entwicklung?
In einer Phase 2-Studie an Patienten mit metastasiertem Melanom untersuchen
die Prüfärzte die Wirkung einer Dreifachtherapie aus zwei Chemotherapeutika – eine
Platinverbindung und ein Taxolderivat –, die zusammen mit einem modifizierten
Dipeptidylborsäure-Wirkstoff verabreicht werden. Letzterer macht
Häufigkeit des Melanoms in Europa (pro 100.000 Einwohner)
Tumorzellen empfindlicher für die
Frauen
Männer
Chemotherapie, indem er einige
Dänemark
für das Zellwachstum erforderliche
Schweden
Mortalität
Enzyme blockiert.
Niederlande
Ein Imidazotetrazinderivat, das zur
Behandlung von aggressiven Gehirntumoren zugelassen ist, wird in
einer vergleichenden Phase 2-Studie geprüft, um festzustellen, ob
das verlängerte Therapieschema
mit diesem Medikament wirksamer als ein anderes Monopräparat
ist, das gewöhnlich bei Patienten
mit Lymphomen verwendet wird.
Irland
Österreich
Finnland
Vereinigtes Königreich
Deutschland
Europäische Union
Frankreich
Belgien
Italien
Luxemburg
Spanien
Portugal
Griechenland
Inzidenz
20
15
10
5
0
5
10
15
20
Quelle: IARC
Ein weiteres Forscherteam untersucht die Kombinationstherapie mit IL-2 und zwei Zytostatika plus einem koloniestimulierenden Faktor, um festzustellen, ob die Patienten
verbesserte Ansprechraten zeigen. In klinischen Prüfungen werden die Wirkungen von
IL-21 als Monotherapie beim fortgeschrittenen Melanom (Stadium IV) untersucht.
In einer klinischen Phase 3-Studie untersuchen Wissenschaftler die Sicherheit und
Wirksamkeit des monoklonalen Antikörpers (mAk) Anti-CTLA-4 in Kombination mit einem Melanompeptidimpfstoff bei vorbehandeltem Melanom im Stadium III oder IV.
Für die Studie kommen Patienten in Frage, bei denen ein Rückfall auftrat oder die eine
andere Behandlung wegen toxischer Wirkungen nicht vertrugen.
In einer klinischen Phase 1/2-Studie wird die Sicherheit und Wirksamkeit eines humanen mAk gegen Integrine – eine Familie von Transmembranrezeptoren, die Zellen
mit ihrer Umgebung verbinden – allein und in Kombination mit DTIC untersucht. Die
Studienteilnehmer sind Patienten mit Melanomen im Stadium IV.
Stadieneinteilung des Melanoms
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• Stadium 0
Die Melanomzellen sind auf die äußere Hautschicht begrenzt.
• Stadium I
Der Tumor ist 1 bis 2 mm dick. Die äußere Hautschicht kann abgeschürft aussehen.
Die Melanomzellen haben sich noch nicht in die benachbarten Lymphknoten ausgebreitet.
• Stadium II
Der Tumor ist 1 bis 2 mm dick. Die Haut ulzeriert, d.h. es bildet sich ein Geschwür.
Die Melanomzellen haben sich noch nicht in die benachbarten Lymphknoten ausgebreitet.
• Stadium III
Die Melanomzellen haben sich in einen oder mehrere benachbarte Lymphknoten oder in
Gewebe unmittelbar außerhalb des Primärtumors, jedoch nicht in entfernte Lymphknoten ausgebreitet.
• Stadium IV
Die Melanomzellen haben sich in andere Organe, Lymphknoten oder in Hautbereiche
weit entfernt vom Primärtumor ausgebreitet.
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Noduläres Melanom
Oberflächlich spreitendes Melanom
Mit freundlicher Genehmigung der Dermatology Group Practice, Brüssel, Belgien © DGP, Brüssel, Belgien
Darüber hinaus laufen mehrere Phase 3-Studien, um die adjuvante Wirkung der hoch
dosierten Therapie mit IFN alfa-2b bei Patienten mit Melanomen im Stadium II oder
III zu beurteilen.
Ein menschliches zelluläres Enzym, die so genannte Poly-ADP-Ribosepolymerase
(PARP), ermöglicht es Tumorzellen, resistent gegen Chemotherapeutika zu werden, indem es die Schäden an der Desoxyribonukleinsäure (DNS) repariert und damit die tumorabtötenden Wirkungen zunichte macht. In einer Phase 1/2-Studie an Patienten
mit Melanomen im Stadium III oder IV untersuchen Wissenschaftler, ob Tumoren
durch die Blockade von PARP empfindlicher gegenüber der Chemotherapie werden.
Für Patienten mit okulärem Melanom im Stadium IV stehen nur sehr wenige Behandlungsoptionen zur Verfügung, und diese Patienten haben insgesamt eine schlechte
Prognose. In einer klinischen Phase 2-Studie untersuchen Prüfärzte die Sicherheit und
Wirksamkeit eines neuartigen antiangiogenen (die Neubildung von Gefäßen hemmenden) und immunmodulatorischen Präparates gegen solide Tumoren.
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Zurzeit laufen mehr als 20 Studien zur Untersuchung der Wirkung verschiedener adjuvanter Impfstoffe aus Melanompeptiden einschließlich Biomodulatoren, koloniestimulierender Faktoren und anderer Zytokine, die die Immunreaktion zur Abtötung von
Tumorzellen verstärken könnten.
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Langzeitperspektiven
Das Wissen über das Melanom und seine Behandlung nimmt ständig zu. Die Forschung hat herausgefunden, dass das Gen mit der Bezeichnung c-myc das Wachstum
von Melanozyten steuert. Bei Schädigungen von Melanozyten durch ultraviolettes
Licht geht diese Steuerung verloren, und es kommt zum unkontrolliert schnellen
Zellwachstum, das schließlich zur Entstehung eines Melanoms führen kann. Es gibt
Hinweise darauf, dass die Hemmung der Synthese
des c-myc-Proteins einen Wachstumsstillstand von
Melanomzellen herbeiführen kann, beispielsweise
durch Ribonukleinsäure-(RNA-)bindende Moleküle,
die spezifisch an die c-myc-RNA binden. Die Blokkade des c-myc-Gens könnte den Weg für neue Behandlungsansätze in Kombination mit neu entwikkelten adjuvanten Impfstoffen, Immunmodulatoren und Chemotherapeutika bahnen.
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Meningokokkenmeningitis
Was ist Meningokokkenmeningitis?
Die Meningokokkenmeningitis ist eine Infektion mit Neisseria meningitidis. Die Meningokokken infizieren die Meningen, die dünnen Häute, die das Gehirn, das Rückenmark und die umgebende Flüssigkeit umschließen. Die Infektion kann schwere Folgen
wie Hirnschädigungen, Hörverlust oder Lernbehinderungen nach sich ziehen. Hohes
Fieber, starke Kopfschmerzen und Nackenstarre sind die üblichen Symptome der
Krankheit bei allen Infizierten über zwei Jahren. Die Symptome können sich über einige Stunden oder erst nach ein bis zwei Tagen entwickeln.
Die Meningokokkenmeningitis ist eine Infektion der
Hirn- und Rückenmarkshäute. Durch eine Reihe
von Antibiotika und Impfstoffen konnten die verheerenden Folgen verringert werden, die die Infektion verursachen kann.
Weitere Medikamente werden folgen.
Weitere Symptome sind Übelkeit, Erbrechen, Unbehagen beim Blick in helles Licht,
Verwirrtheit und Schläfrigkeit. Bei Neugeborenen und Kleinkindern sind die Symptome oft schwer zu erkennen. Mit fortschreitender Krankheit können bei Patienten jeden Alters Krämpfe auftreten. Da eine frühzeitige Diagnose und Behandlung sehr
wichtig ist, sollte der Patient unverzüglich einen Arzt aufsuchen. Die Diagnose wird
normalerweise durch Kultur von Bakterien aus einer Probe des Liquors (GehirnRückenmark-Flüssigkeit) gestellt. Die Meningokokkenmeningitis ist nach wie vor die
häufigste infektiöse Todesursache bei Kindern in der westlichen Welt. Bei vielen Patienten verschlechtert sich der Zustand so schnell, dass noch vor der Einlieferung in
eine spezialisierte Kinderintensivstation der Tod durch Schock und Multiorganversagen eintritt.
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Wer ist von Meningokokkenmeningitis betroffen?
Infektionskrankheiten hängen von Wirtsfaktoren ab. Neugeborene sind in den ersten
Lebensmonaten vor einer Meningokokkeninfektion geschützt, da sie noch mütterliche
Antikörper haben und nur wenig mit Meningokokken konfrontiert werden. In der Folgezeit erreicht die Anfälligkeit im Alter von 6-12 Monaten einen Gipfel. Später ziehen
sich Menschen die Infektion zu, wenn sie virulenten Bakterien ausgesetzt sind und keine schützenden bakteriziden Antikörper haben. Die Krankheit befällt meist Kinder im
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Die Meningokokkenmeningitis ist
ansteckend. Die Bakterien werden
durch den Austausch von Atemwegs- und Rachensekreten verbreitet. Zum Glück ist N. meningitidis jedoch nicht so ansteckend
wie beispielsweise das Influenzavirus. Durch flüchtigen Kontakt
oder bloßes Einatmen der Luft an
einem Ort, an dem sich ein Meningitispatient aufgehalten hat,
wird die Infektion nicht übertragen. Der natürliche Lebensraum
des Bakteriums sind die Schleimhautoberflächen von Nase und
Rachen des Menschen und teilweise auch der Urogenitaltrakt.
Etwa fünf bis zehn Prozent aller
Erwachsenen sind asymptomatische Träger von Meningokokken im Nasen-RachenRaum. Dieser Anteil steigt auf bis zu 60-80 Prozent in geschlossenen Bevölkerungsgruppen, wie etwa Wehrdienstleistende in Kasernen.
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Alter zwischen drei Jahren und der Adoleszenz. Bei Personen über 50 Jahren ist die Infektion selten zu beobachten.
Beengte Lebensbedingungen fördern ebenfalls die Ausbreitung der Krankheit, da
Menschen aus unterschiedlichen Gegenden verschiedene Stämme in sich tragen. Personen mit erhöhtem Risiko, bei denen eine routinemäßige Impfung empfohlen wird,
sind vor allem Studenten in Wohnheimen, Mikrobiologen, die routinemäßig Meningokokkenbakterien ausgesetzt sind, Wehrdienstleistende, Menschen, deren Milz geschädigt ist oder entnommen wurde, Reisende in Länder, in denen die Meningokokkenmeningitis ausgebrochen ist, und Personen, die möglicherweise während eines Ausbruchs mit Meningitispatienten in Kontakt waren.
Für die meisten Erkrankungen weltweit sind Meningokokken der Serogruppen A, B
und C verantwortlich. In Europa und Amerika überwiegt die Serogruppe B in der Häufigkeit, gefolgt von der Serogruppe C. Die Inzidenz beträgt jährlich etwa 0,9-1,5 Fälle
pro 100.000 Einwohner. Dies entspricht in Europa etwa 6.000 Fällen pro Jahr. Bei Kindern im Alter von 2-5 Jahren beträgt die Inzidenz 1,7 Fälle pro 100.000 Kinder und
in der Altersgruppe von 18-23 Jahren beträgt die Rate 1,4. Die meisten Fälle treten
im Winter und im frühen Frühjahr auf.
In Afrika und Asien sind überwiegend Meningokokken der Serogruppe A die Ursache
der Infektion. In der afrikanischen Savanne, die sich von Äthiopien im Osten bis nach
Senegal im Westen erstreckt, tritt die Infektion häufig während der heißen und trokkenen Jahreszeit von Dezember bis März in Epidemien auf. Die jüngste Meningokokkenmeningitis-Pandemie, die 1996 begann, hat bisher zu etwa 300.000 Erkrankungen geführt, die der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gemeldet wurden. Die Morbiditäts- und Mortalitätsraten der Krankheit sind nach wie vor hoch. Außerhalb von
Epidemien treten weltweit alljährlich schätzungsweise mindestens 500.000 Fälle von
Meningokokkenmeningitis auf, von denen 50.000 tödlich verlaufen.
Aktuelle Therapien
Die Meningokokkenmeningitis lässt sich mit einer Reihe von Antibiotika wirksam behandeln. Die Standardtherapie variiert und umfasst ein Penicillinderivat oder ein Cephalosporin plus ein Aminoglykosid. Intravenös verabreichtes Penicillin G ist nach wie
vor das Medikament der Wahl zur Behandlung der Meningokokkenmeningitis mit Septikämie. Das Therapieergebnis hängt wahrscheinlich maßgeblich davon ab, wie
schnell die Diagnose gestellt, Antibiotika verabreicht und Komplikationen wie Schock
und Multiorganversagen behandelt werden. Eine geeignete Antibiotikabehandlung
senkt das Risiko, an Meningitis zu sterben, auf unter 15 Prozent. Enge Kontaktpersonen von Patienten mit Meningokokkenmeningitis sollten vorbeugend ebenfalls mit
Antibiotika behandelt werden.
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Zur Prophylaxe stehen verschiedene Impfstoffe zur Verfügung. Seit 1981 ist ein Meningokokkenpolysaccharid-Impfstoff (aus einem Zuckermolekül von Meningokokken)
auf dem Markt. Im Jahr 2005 wurde ein Meningokokken-Konjugatimpfstoff für Personen zwischen 11 und 55 Jahren zugelassen. Beide Impfstoffe können vier Typen von
Meningokokkenmeningitis vorbeugen, darunter zwei der drei in Europa häufigsten Typen (Serogruppen C, Y und W-135) und Stämme, die in Afrika Epidemien verursachen
(Serogruppen A und W-135).
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Elektronenmikroskopische
Aufnahme von Neisseria
meningitidis
Der Vorteil des neuen Diphtherietoxoid-Konjugatimpfstoffs ist, dass die durch ihn verliehene Immunität wahrscheinlich länger anhält als die des Polysaccharidimpfstoffs,
der etwa drei Jahre lang wirkt. Außerdem kann der Konjugatimpfstoff zur Auffrischung des Impfschutzes einige Jahre nach der Erstimpfung noch einmal verabreicht werden. Zudem dürfte der neue Impfstoff auch Ungeimpften eine „Herdenimmunität“
verleihen, wenn ein hoher Anteil (mehr als 60 Prozent) einer bestimmten Bevölkerungsgruppe geimpft ist.
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Der Bakterienstamm W-135 stellt für afrikanische Länder eine erhebliche Bedrohung
dar. Im Jahr 2002, als eine Epidemie in Burkina Faso grassierte, befiel dieser Stamm
mehr als 13.000 Menschen und forderte mindestens 1.500 Todesopfer. 2003 gingen
etwa 3.500 Todesfälle auf das Konto des Erregers. Im Jahr 2002 verständigte sich die
WHO mit einem Pharmaunternehmen auf die Entwicklung eines Impfstoffs gegen den
Stamm W-135, die in weniger als sechs Monaten abgeschlossen wurde. Die Entwicklung wurde von der Bill and Melinda Gates Foundation finanziert. Das Unternehmen
verkauft den Impfstoff zum niedrigen Preis von 1 Euro pro Dosis.
Was ist in der Entwicklung?
Zurzeit laufen Verlängerungsstudien mit dem Diphtherietoxoid-Konjugatimpfstoff, um herauszufinden, ob Kinder,
die im Alter von 11 Jahren immunisiert wurden, auch im
Adoleszentenalter noch einen Immunschutz zeigen. Mit
Kindern im Alter von zwei bis fünf Jahren laufen derzeit
klinische Phase 3-Studien.
Forschergruppen untersuchen zur Zeit die natürliche Immunisierung, das heißt die Verabreichung von experimentellem Meningokokkenimpfstoff durch die Nase. Spezifische Meningokokkenpolysaccharide werden erforscht, um
herauszufinden, ob sie die Immunantwort bei Geimpften
steigern. Auch die Wechselwirkungen zwischen bakteriellen und menschlichen Rezeptoren sind von großem Interesse, da sie für die Empfänglichkeit und das Meningokokkenimpfstoffdesign von Bedeutung sein könnten. Weitere
Untersuchungen befassen sich mit menschlichen und bakteriellen Genen, die bei Trägern des Bakteriums eine Rolle spielen.
Langzeitperspektiven
Die Patienten warten nach wie vor auf einen Typ-B-Impfstoff. Die Serogruppe B, die
Jahr für Jahr etwa ein Drittel aller Meningokokkeninfektionen verursacht, ist der einzige Stamm von N. meningitidis, der weder von Konjugat- noch von Polysaccharidimpfstoffen abgedeckt wird. Ein Polysaccharidimpfstoff gegen alle Stämme der Serogruppe B ist derzeit nicht realisierbar, weil das Typ-B-Polysaccharid aus demselben
Makromolekül besteht, das an der neuralen Codierung des menschlichen Nervensystems beteiligt ist, und somit ein ungeeignetes Zielmolekül für die Impfstoffentwicklung darstellt.
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Auf dem Weg zu einem Impfstoff für die Serogruppe B müssen diese Proteintypen, von
denen es fast 100 Varianten gibt, berücksichtigt werden. Um potenzielle Antigene
aufzuspüren, die für die Verwendung in einem multivalenten Impfstoff geeignet sind,
mussten die Genomsequenzen der N. meningitidis-B-Stämme durchforstet werden, die
die wichtigsten krankheitserregenden Serotypen darstellen. Es gibt weltweit nur wenige Impfstoffe gegen die Serogruppe B. Ein Meningitis-B-Impfstoff wird beispielsweise in Neuseeland verwendet. Die Möglichkeit eines einzigen dominanten Proteintyps gibt es leider nur in einer Inselsituation.
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Mumps
Was ist Mumps?
Mumps ist eine akute Viruserkrankung, die durch Schwellung und Schmerzempfindlichkeit einer oder mehrerer Speicheldrüsen, meist der Ohrspeicheldrüsen, gekennzeichnet ist. Weitere Symptome sind Fieber sowie Kopf-, Muskel- und Halsschmerzen.
Bei 15-25 Prozent der infizierten Jungen tritt eine Hodenschwellung auf. Etwa ein
Drittel der Infizierten zeigen keine Symptome. Die klassische klinische Form von
Mumps wurde bereits von Hippokrates im 5. Jahrhundert v. Chr. erstmals beschrieben.
Das Mumpsvirus ist ein Paramyxovirus. Es gibt nur einen serologischen Typ. Der
Mensch ist der einzige bekannte natürliche Wirt für das Mumpsvirus. Es wird durch direkten Kontakt mit Speichel und Absonderungen aus der Nase oder durch in der Luft
schwebende Tröpfchen aus den oberen Atemwegen von Infizierten verbreitet. Mumps
kann sieben Tage vor und neun Tage nach Ausbruch der Krankheit ansteckend sein.
Am ansteckendsten sind Infizierte 48 Stunden, bevor die ersten Symptome auftreten.
Die Inkubationszeit dauert zwei bis drei Wochen. Das Virus vermehrt sich in den
Schleimhäuten von Nase und Rachen und im weiteren Verlauf der Infektion in regionalen Lymphknoten. Zwölf bis 25 Tage nach der Infektion kommt es zur Virämie, und
das Virus breitet sich in die Gewebe einschließlich der Drüsen wie Speicheldrüsen,
Bauchspeicheldrüse, die Hoden und Eierstöcke sowie das Zentralnervensystem aus.
Eine Entzündung des infizierten Gewebes verursacht die typischen Symptome wie
etwa Schwellung der Speicheldrüsen oder aseptische Enzephalitis und Meningitis.
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Weitere Komplikationen der Krankheit sind Arthritis (entzündliche Reaktion der Gelenke), Nierenprobleme, Entzündung der Schilddrüse oder der Brüste und bleibende
Schwerhörigkeit, die in einem von 20.000 Fällen eintritt. Etwa eine Woche nach Auftreten der ersten Symptome klingen das Fieber und die Schwellungen ab, und falls keine Komplikationen auftreten, tritt eine vollständige Heilung ein. Die natürliche Infek-
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tion verleiht im Allgemeinen einen lebenslangen Schutz vor dem Virus, auch wenn einige Berichte über Rückfälle vorliegen.
Wer ist von Mumps betroffen?
Mumps tritt normalerweise bei Kindern und Jugendlichen zwischen fünf und 19 Jahren auf. Das größte Infektionsrisiko besteht zwischen älteren Kindern. Mumps tritt gehäuft im Winter und Frühjahr auf.
Mumps ist zwar in erster Linie eine Kinderkrankheit, doch das Mumpsvirus kann auch
Erwachsene infizieren, bei denen eine ein- oder beidseitige Infektion der Hoden (Orchitis) und eine Meningitis relativ häufige Komplikationen sind. In seltenen Fällen
führt die Mumps-Orchitis zur irreversiblen Unfruchtbarkeit. Bei 15 Prozent der Fälle
wird eine symptomatische Mumps-Meningitis mit Kopfschmerzen und Nackensteife
berichtet, die jedoch im Allgemeinen innerhalb von drei bis zehn Tagen einen günstigen Verlauf nimmt.
In den meisten Regionen der Welt beträgt die jährliche Inzidenz von Mumps zwischen
100 und 1.000 Fälle pro 100.000 Einwohner, wobei alle zwei bis fünf Jahre epidemische Spitzen verzeichnet werden. Die mit Mumps verbundene Mortalität wird auf einen bis drei Fälle pro 10.000 Infizierte geschätzt.
Mumps ist eine Virusinfektion, die schmerzhafte
Schwellungen der Speicheldrüsen verursacht. Mit
Impfstoffen können Kinder vor den Komplikationen von Mumps geschützt
werden. Die Forschung arbeitet auch weiterhin an
der Entwicklung von noch
wirksameren und besser
verträglichen Impfstoffen.
Aktuelle Therapien
Es gibt keine spezielle Behandlung für Mumps. Zur Bekämpfung der Kopf- und Muskelschmerzen werden schmerzlindernde Medikamente verabreicht. Zur Beruhigung der
geschwollenen Ohrspeicheldrüsen werden warme oder kalte Umschläge verabreicht.
Zur Vorbeugung gibt es wirksame Impfstoffe, und dort, wo eine hohe Durchimpfungsrate aufrechterhalten wird, hat die Inzidenz von Mumps erheblich abgenommen.
Die virale Ursache von Mumps wurde 1934 erkannt. Die ersten abgeschwächten
Lebendimpfstoffe wurden in den 1960er Jahren entwickelt. Zur Zeit werden weltweit
mehr als zehn Impfstämme verwendet, um Mumpsimpfstoffe herzustellen. Die einzelnen Stämme unterscheiden sich sowohl in ihrer Herkunft und der Anzahl der zur Attenuierung führenden Schritte als auch in den verwendeten Zellsubstraten.
Nach Empfehlungen der WHO sollte der Einführung einer routinemäßigen Mumpsmpfung - wie auch anderen prophylaktischen Maßnahmen - hohe Priorität eingeräumt
werden. Der Mumpsimpfstoff wird im Alter von 12-15 Monaten in Kombination mit
dem Impfstoff gegen Masern und Röteln (MMR) verabreicht. Eine zweite Dosis MMRImpfstoff wird in der Regel im Alter von vier bis sechs Jahren verabreicht und sollte
nicht später als mit 11 bis 12 Jahren gegeben werden. Bislang haben etwa 120 Länder
eine Impfung gegen Mumps in ihre nationalen Prophylaxeprogramme aufgenommen,
und in den meisten Fällen wird der Impfstoff in der MMR-Kombination verabreicht.
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Je erfolgreicher indessen Fortschritte in der Impfung die Ausbrüche der Krankheit zurückgedrängt haben, desto mehr geraten ironischerweise die Auswirkungen, die diese
Infektionserreger früher hatten, in Vergessenheit. Das allgemeine Vertrauen in Impfungen wird durch subjektiv wahrgenommene Impfrisiken untergraben, und dies führt
wiederum zu niedrigeren Durchimpfungsraten und zum Verlust der Herdenimmunität.
Elektronenmikroskopische
Aufnahme des Mumpsvirus
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Es gibt jedoch regionale Unterschiede. Einige Länder wie Finnland oder Schweden haben Mumps landesweit vollständig ausgerottet. In England und Wales sank die Inzidenz von Mumps, nachdem 1988 die MMR-Impfung eingeführt wurde. Im Jahr 2004
bestätigte sich jedoch ein Ausbruch mit 8.104 Fällen, während in den fünf Jahren davor ganze 3.907 Fälle aufgetreten waren, und in den ersten vier Monaten des Jahres
2005 berichtete die Health Protection Agency (HPA) 28.470 Fälle. Der Ausbruch trat
bei älteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf, die vor 1988 keine MMR-Impfung erhalten hatten.
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Was ist in der Entwicklung?
Forscher entwickeln derzeit neue Gewebekulturverfahren, die zu abgeschwächten MMRLebendimpfstoffen mit noch höherer Immunogenität und besserer Verträglichkeit führen
werden.
In zwei klinischen Phase 3-Studien wird
gegenwärtig die Immunogenität und Sicherheit eines potenziellen attenuierten MMR-Varicella-(Windpocken-)Lebendimpfstoffs an gesunden Kindern im zweiten Lebensjahr untersucht. Eine weitere klinische Phase 3-Studie
soll belegen, dass ein MMR-Varicella-Kombinationsimpfstoff gleichzeitig mit einem Pneumokokken-Konjugatimpfstoff verabreicht werden kann, ohne die Sicherheit oder Immunogenität der Impfung gegen Masern, Mumps,
Röteln oder die sieben Serotypen von Streptococcus pneumoniae zu beeinträchtigen.
In einer zur Zeit laufenden klinischen Phase 1/2-Studie wird die Immunogenität und
Sicherheit von separaten attenuierten Varicella- und MMR-Lebendimpfstoffen oder
Varicella/MMR-Kombinationsimpfstoffen an gesunden Kindern im Alter von 12 und
18 Monaten untersucht. In dieser Studie soll die Immunogenität und Sicherheit eines
abgeschwächten Varicella-Lebendimpfstoffs mit und ohne gleichzeitige Verabreichung eines MMR-Impfstoffs ermittelt werden.
Außerdem werden Studien zur Immunisierung mit einem MMR-Impfstoff durchgeführt, in denen die herkömmliche Injektion mit der Verabreichung mit einem Spray
über die Atemwege verglichen wird. Ein Aerosol könnte bei Patienten, bei denen subkutane Injektionen kontraindiziert sind, von Vorteil sein.
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Langzeitperspektiven
Paramyxoviren wie das Mumpsvirus dringen durch Verschmelzung (Fusion) ihrer Lipidhülle mit der Zellmembran der Zielzellen in diese Zellen ein. Erst die Fusion der Virusmembran mit der Zellmembran ermöglicht es dem Virusgenom, in das Zytoplasma
der Wirtszelle zu gelangen. Es ist noch nicht aufgeklärt, welcher Mechanismus die Maschinerie in Gang setzt und steuert, die dem Virus das Eindringen in die Wirtszellen
ermöglicht. Zwei virale Proteine spielen eine Schlüsselrolle beim Infektionsprozess: ein
Adhäsionsprotein und das Fusionsprotein.
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Beim Mumpsvirus erfüllt das Hämagglutinin/Neuraminidase-Protein die Funktion des
Adhäsionsproteins. In den letzten fünf Jahren ist der molekulare Aufbau der Fusionsund Adhäsionsproteine mehrerer Paramyxoviren aufgeklärt worden. Die Kenntnis dieser Strukturen ermöglicht ein besseres Verständnis der Mechanismen, die der Fusion
der Virusmembran zugrunde liegen, und könnte so zu neuen Ansätzen für die Behandlung von akuten Erkrankungen führen.
Die Immunisierung gegen Mumps ist in einigen Regionen der Welt noch nicht in die
routinemäßigen Impfprogramme aufgenommen worden, und aus diesem Grund ist
Mumps in diesen Ländern nach wie vor weit verbreitet. Da überdies fast ein Drittel der
weltweiten Infektionen mit Mumps unbemerkt verlaufen, hat die WHO festgestellt,
dass es augenblicklich nicht möglich sein wird, Mumps auf der ganzen Welt vollständig auszurotten.
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Mycosis fungoides
Was ist Mycosis fungoides?
Mycosis fungoides ist ein T-Zell-Lymphom der Haut. Die Krankheit wird durch die Wucherung von T-Lymphozyten, so genannten Helfer-T-Zellen, verursacht. Die Zellen tragen das T-Zell-Antigen CD4+ auf ihrer Oberfläche, und häufig fehlen ihnen normale
T-Zell-Antigene wie etwa CD7. Der Begriff Mycosis fungoides wurde erstmals 1806
von Jean-Louis Marc Alibert, einem französischen Dermatologen, zur Beschreibung einer schweren Erkrankung mit pilzähnlichen Tumoren auf der Haut der Patienten verwendet. Der Ausdruck kutanes T-Zell-Lymphom (CTCL) wurde 1979 als Bezeichnung
für eine heterogene Gruppe von malignen T-Zell-Lymphomen mit primären Manifestationen in der Haut geprägt.
Die Mycosis fungoides ist
ein stark entstellender
und lebensbedrohlicher
Hautkrebs. Die Behandlung richtet sich nach dem
Schweregrad der Erkrankung. Eine Heilung dieser
Krankheit bleibt nach wie
vor eine große Herausforderung für die pharmazeutische Forschung.
Die Mycosis fungoides ist der häufigste Typ des CTCL und macht etwa zwei Prozent
aller Lymphome aus. Es ist eine hochsymptomatische, stark entstellende Krankheit, die
in den fortgeschrittenen Stadien lebensbedrohlich ist, und es werden keine spontanen
Remissionen beobachtet. Die Ursachen sind nach wie vor unbekannt. Verschiedene
Theorien gehen von berufsbedingten Expositionen, Umweltbelastungen, anderen Formen einer chronischen Antigenstimulation oder einem Kontakt mit Viren aus. Die Patienten überleben nach der Diagnose normalerweise noch viele Jahre, doch die Mycosis fungoides ist meist unheilbar, außer bei einer kleinen Gruppe von Patienten im
sehr frühen Stadium, bei denen es zu dauerhaften Remissionen kommen kann.
Wer ist von Mycosis fungoides betroffen?
Die Inzidenz beträgt in Europa etwa 1.200 Neuerkrankungen pro Jahr bei einer Prävalenz von etwa 16.000 Patienten. In den USA beträgt die Inzidenz etwa 0,4 Fälle pro
100.000 Einwohner, was jährlich etwa 1.000 Neuerkrankungen entspricht. Die Prävalenz der Krankheit wird auf 16.000 bis 20.000 Betroffene geschätzt. Die Mycosis fungoides manifestiert sich in der Haut als fortschreitende Erkrankung, tritt häufiger bei
Männern auf (das Verhältnis von Männern zu Frauen beträgt 2:1), und der Altersbe-
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reich der Betroffenen liegt normalerweise zwischen 45 und 65 Jahren. Die Krankheit
kann von ekzemartigen Hautläsionen zu ulzerativen Tumoren fortschreiten. Vom erstmaligen Auftreten der Hautsymptome bis zur Diagnose vergehen etwa sechs Jahre.
Im Frühstadium der Krankheit können die Hautläsionen noch unspezifisch sein, weshalb sie zunächst häufig mit gutartigen Erkrankungen verwechselt werden. Mit der
Zeit wird die Mycosis fungoides zunehmend aggressiver, und bei etwa 20 Prozent der
Stadieneinteilung der Mycosis fungoides
Stadium I
• Der Krebs betrifft nur umschriebene Bereiche der Haut, die gerötete, trockene, schuppige Flecken aufweist, jedoch keine Tumoren. Die Lymphknoten sind nicht vergrößert.
Stadium II
Das Stadium II ist durch eine der beiden folgenden Konstellationen gekennzeichnet:
• Die Haut zeigt gerötete, trockene, schuppige Flecken, jedoch keine Tumoren. Lymphknoten sind vergrößert, enthalten jedoch keine Krebszellen.
• Die Haut weist Tumoren auf. Die Lymphknoten sind normal oder vergrößert, enthalten
jedoch keine Krebszellen.
Stadium III
• Fast die gesamte Haut ist gerötet, trocken und schuppig. Die Lymphknoten sind normal
oder vergrößert, enthalten jedoch keine Krebszellen.
Stadium IV
Zusätzlich zum Befall der Haut liegt eines der folgenden Kennzeichen vor:
• In den Lymphknoten finden sich Krebszellen;
• Der Krebs hat sich in andere Organe wie etwa die Leber oder die Lunge ausgebreitet.
Patienten verwandelt sich die Krankheit schließlich in ein hochmalignes Lymphom mit
starker Ausbreitung in verschiedene Organe des Körpers. Das Spätstadium der Krankheit geht mit einer Beeinträchtigung der Funktion des Immunsystems einher. Häufig
führen systemische Infektionen, vor allem mit Staphylococcus aureus oder Pseudomonas aeruginosa und anderen Krankheitserregern zum Tod.
Arterie
Vene
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Lymphgefäße
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Lymphknoten und Lymphgefäße
Aktuelle Therapien
Die Behandlung hat im Wesentlichen die Linderung der Symptome und eine
kosmetische Verbesserung zum Ziel, da die Mycosis fungoides mit den derzeit zur Verfügung stehenden Therapien allgemein als nicht heilbar gilt.
Standardbehandlungen und experimentelle Therapien sind u.a. die lokale
Behandlung mit verschiedenen Medikamenten, Phototherapie, Photopherese, Strahlentherapie, verschiedene systemische Chemotherapeutika, Biomodulatoren wie Interferon alpha (IFN-alpha), Retinoide, verschiedene monoklonale Antikörper und Knochenmarktransplantation. Alle derzeit verfügbaren Therapien sind mit einer Reihe von unangenehmen Nebenwirkungen verbunden, einschließlich der Möglichkeit, dass andere Krebsarten ausgelöst
werden. Einige Therapien zeigen eine unzureichende Wirksamkeit, sind zeitaufwändig und/oder können nur wenige Male wiederholt werden.
Die Therapie der Mycosis fungoides richtet sich nach dem Krankheitsstadium. In den durch Plaques gekennzeichneten Frühstadien (I und IIA) gilt topisches Stickstofflost — als tägliche Anwendung auf fast alle Hautoberflächen für
sechs bis zwölf Monate — als Therapie der ersten Wahl, bei der Ansprechraten von 30
bis 60 Prozent und in bis zu 20 Prozent der Fälle sogar ein vollständiges Langzeitansprechen berichtet werden. Patienten mit wenigen Plaques sprechen häufiger an als
Patienten mit generalisiertem Plaquebefall. Ein vielfach verwendeter Behandlungsansatz ist auch die topische Therapie mit Corticosteroiden, um die interzelluläre Adhäsion und die Bindung von T-Lymphozyten an die Innenwand von Blutgefäßen zu unterbinden. Die topische Behandlung mit einem Retinoidgel ist eine weitere Option zur
Therapie des Frühstadiums der Krankheit.
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Die Photochemotherapie — eine Behandlung mit Psoralen, das durch Bestrahlung mit
UV-A-Licht aktiviert wird (PUVA) — ist eine häufig eingesetzte Therapieform im Stadium IIA. Bei Patienten mit fortgeschrittenen Erkrankungen, d.h. ab dem Stadium IIB,
ist die Elektronenstrahltherapie eine wirksame Initialtherapie, die in einigen Fällen zu
Langzeitremissionen führt. Da die Behandlung technisch anspruchsvoll ist, ist ihre Verfügbarkeit auf spezielle Zentren beschränkt. Außerdem können Bestrahlungen aufgrund der potenziellen Spätfolgen in der Haut nur wenige Male durchgeführt werden.
Bei der extrakorporalen Photochemotherapie (Photopherese) wird dem Patienten
durch Plasmapherese Blut entnommen, die abgetrennten Leukozyten werden mittels
PUVA behandelt und das so behandelte Blut wird dem Patienten anschließend wieder zurückinfundiert. Diese Behandlungsmethode soll das Ungleichgewicht an T-Zellen beseitigen, den Umsatz an T-Lymphozyten steigern und wird häufig zur Behandlung des Stadiums III oder des Stadiums der Erythrodermie verwendet. Klinische Studien haben bei dieser Form der Behandlung komplette Ansprechraten von mehr als
50 Prozent gezeigt.
Chemotherapeutika haben sich bei Mycosis fungoides im Stadium IV und therapieresistenten Formen der Erkrankung ebenfalls als klinisch wirksam erwiesen. Auch Kombinationschemotherapien wie CVP und CHOP werden verwendet. Nachteile der Kombinationschemotherapie sind Infektionskomplikationen. Die mäßigen Ansprechraten werden oft durch das schnelle Ansprechen wettgemacht. Bei Patienten mit fortgeschrittener Mycosis fungoides wird die Hauttherapie mit Chemotherapeutika palliativ verwendet und bewirkt oft erhebliche Besserungen, die jedoch nur relativ kurz anhalten.
Mycosis fungoides
Mit freundlicher Genehmigung von Prof. E.G. Jung,
Heidelberg, Deutschland
© Prof. E.G. Jung, Heidelberg, Deutschland
Retinoide sind Vitamin-A-Analoga, die an der Modulation des Zellwachstums beteiligt
sind. Ihre biologischen Wirkungen sind auf Veränderungen der Genexpression zurückzuführen, die durch zwei Haupttypen von nukleären Rezeptoren, dem Retinsäurerezeptor (RAR) und dem Retinoid-X-Rezeptor (RXR), vermittelt werden. Vor kurzem wurde in der EU ein oraler RAR-Agonist zur systemischen Behandlung von Patienten mit
therapierefraktärer Mycosis fungoides zugelassen. Man nimmt an, dass RAR-Agonisten die Wucherung von T-Lymphozyten blockieren und ihre Differenzierung fördern.
Ein weiterer neuer Ansatz ist die Anwendung eines Fusionstoxinproteins. Die Substanz
besteht aus Diphtherietoxin, das an Interleukin-2 (IL-2) konjugiert ist. Das Toxin wird
in malignen Zellen freigesetzt, die den IL-2-Rezeptor exprimieren.
Was ist in der Entwicklung?
Klinische Forschungsteams untersuchen die Wirkungen von Biomodulatoren. Interferone entfalten offenbar antiproliferative, zytotoxische und immunmodulatorische Wirkungen. Es hat sich gezeigt, dass IFN-alpha bei kaum vorbehandelten Patienten zu
Ansprechraten von bis zu 90 Prozent führt, während die Ansprechraten bei stärker vorbehandelten oder therapierefraktären Gruppen von Patienten näher bei 50 Prozent lagen. Die Wirkung von Interleukinen (IL) wie IL-2 und IL-12 wird ebenfalls untersucht,
denn in den malignen Zellen bei Mycosis fungoides ist ein Mangel an IL-2 festzustellen. Außerdem ist IL-12 von wesentlicher Bedeutung für die zytotoxische Antitumorreaktion der T-Zellen und an der Bildung von Interferon gamma (IFN-gamma) beteiligt.
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Ein Inhibitor der Aktivität der Histondeacetylase wird derzeit in einer klinischen Phase2-Studie erprobt, in die Patienten mit fortgeschrittenem CTCL aufgenommen werden.
Eine Phase 1/2-Studie untersucht ein immunstimulatorisches Oligodesoxynukleotid
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Andere Forscher untersuchen die klinische Wirkung von Infusionen von humanen
monoklonalen Antikörpern (huMAK), die gegen T-Zell-Zielmoleküle gerichtet sind. Im
Mai 2004 erteilte die EU einem huMAK gegen das Antigen CD4+ zur Behandlung des
kutanen T-Zell-Lymphoms den Orphan-Drug-Status als Arzneimittel für seltene Krankheiten. Weitere multizentrische klinische Studien zur Prüfung der Wirksamkeit dieses
huMAK gegen CD4+ laufen zurzeit.
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zur Behandlung von Patienten mit Mycosis fungoides im Stadium IB bis IVA. In einer
weiteren Phase 1-Studie wird die Wirksamkeit eines oralen Inhibitors der Purinnukleosid-Phosphorylase (PNP) untersucht. Außerdem läuft eine Phase 2-Studie mit einem
neuen murinen monoklonalen Antikörper zur Behandlung von Patienten mit CD30+exprimierenden Malignomen. Der Antikörper soll spezifisch für das T-Zell-Antigen
CD30 sein und sich deutlich von anderen Anti-CD30-Antikörpern unterscheiden.
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Langzeitperspektiven
Die Behandlung der Mycosis fungoides ist ein noch ungelöstes medizinisches Problem.
In zukünftigen Forschungsarbeiten wird untersucht, welche nukleären Rezeptormoleküle aktiviert werden, wenn sich die Funktion der T-Lymphozyten verändert, so dass sie
zu malignen T-Zellen entarten. Die Forschung konzentriert sich außerdem auf Moleküle, die die Aktivität solcher Zellen modulieren und deren Funktion bei Krebserkrankungen möglicherweise gestört ist. Erkenntnisse auf diesem Gebiet wären ein vielversprechender Schritt auf dem Weg zur Entwicklung einer spezifischen Therapie für Menschen mit dieser chronischen und folgenschweren Erkrankung.
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Pankreasinsuffizienz
Was ist Pankreasinsuffizienz?
Eine Pankreasinsuffizienz liegt vor, wenn die Bauchspeicheldrüse (Pankreas) nicht genügend Enzyme synthetisiert, so dass die Nahrung nicht richtig verdaut werden kann.
Das Organ produziert und sezerniert Verdauungssäfte mit Enzymen, die helfen, Fette,
Kohlenhydrate und Proteine abzubauen. Die Inselzellen der Bauchspeicheldrüse sezernieren die Hormone Insulin und Glukagon in den Blutkreislauf. Insulin veranlasst
die Zellen des Körpers, Glukose aus dem Blut aufzunehmen, und Glukagon bewirkt,
dass die Leber Glukose ins Blut freisetzt.
Die Pankreasinsuffizienz ist eine Folgeerscheinung, keine eigenständige Krankheit. Sie
geht häufig mit Krankheiten wie Pankreatitis oder Mukoviszidose einher und führt zu
einem Mangel an Verdauungsenzymen, die zum Abbau der Nahrung erforderlich sind.
Sie ist typischerweise die Folge einer Schädigung der Bauchspeicheldrüse, etwa bei
chronischer Entzündung oder nach einer Pankreasoperation. Die Hauptursache ist Alkoholabhängigkeit. Bestimmte gastrointestinale Erkrankungen wie Magengeschwüre
und der Morbus Crohn oder Autoimmunkrankheiten wie systemischer Lupus erythematodes (SLE) können ebenfalls zur Entwicklung einer Pankreasinsuffizienz führen.
Eine Pankreasinsuffizienz
liegt vor, wenn die Bauchspeicheldrüse nicht genügend Verdauungssäfte
produziert, um die Nahrung abzubauen. Diese
schwere Erkrankung wird
oft durch Alkoholkonsum
verursacht. Die Forschung
hilft den Patienten mit
Enzymtherapien, ihr Leben
erträglicher zu gestalten.
Der Verdacht auf eine Malabsorption von Fett besteht, wenn bei einer Fettzufuhr von
100 g täglich mehr als 7 g Fett innerhalb von 24 Stunden ausgeschieden werden. Eine
Malabsorption von Eiweiß ist wahrscheinlich, wenn mehr als 2,5 g Stickstoff innerhalb
von 24 Stunden ausgeschieden werden. Eine Beeinträchtigung der Fettverdauung tritt
auf, wenn die Bauchspeicheldrüse nur noch weniger als zehn Prozent der normalen
Menge an Verdauungsenzymen produziert. Dies bedeutet, dass bei schwerer Pankreasinsuffizienz 90 Prozent des Gewebes der Drüse betroffen sind.
Eine schwere Pankreasinsuffizienz beeinträchtigt die Resorption von Nährstoffen aus
dem Darm und kann zu Malabsorptionssyndromen führen, die wiederum einen Mangel an lebenswichtigen Nährstoffen nach sich ziehen. Eine verminderte Resorption
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von Fett führt zu erhöhten Mengen an Fett im Stuhl, zur so genannten Steatorrhoe.
Ein typischer Befund ist heller, massiger, übelriechender Stuhl. Es können Schmerzen,
Druckempfindlichkeit des Bauchs, Appetitlosigkeit oder Völlegefühl, Durchfall und Gewichtsverlust auftreten. Die Betroffenen können auch an Knochenschmerzen, Muskelkrämpfen oder Nachtblindheit leiden und leicht blaue Flecken bekommen.
Leber
Gallenblase
Pfortader
Hauptgallengang
Zwölffingerdarm
Leber und Bauchspeicheldrüse
Wer ist von Pankreasinsuffizienz betroffen?
Schätzungen auf der Basis von Krankenhausentlassungsdaten aus mehreren europäischen Städten ergaben eine Gesamthäufigkeit der Pankreasinsuffizienz – ausgedrückt als Anzahl an Fällen pro 1.000 Krankenhauseinweisungen – zwischen drei und vier. Aus einer Analyse der Daten mehrerer Zentren über einen längeren Zeitraum hinweg geht hervor, dass die
Inzidenz der Pankreasinsuffizienz von 1945-1985 offenbar zunahm. Über
das Ausmaß von Behinderungen als Folge der Pankreasinsuffizienz liegen
keine genauen Daten vor.
Bauchspeicheldrüse
Bevölkerungsstudien zeigen, dass Männer doppelt so häufig wie Frauen
betroffen sind. Die Häufigkeitsraten bei Männern erreichen in der Altersgruppe von 45-54 Jahren einen Gipfel und nehmen dann wieder ab, während die Raten bei Frauen ein Plateau erreichen, das ab dem Alter von 35 Jahren stabil bleibt. Geschlechtsunterschiede gibt es auch in Bezug auf die Ursachen der Pankreasinsuffizienz. Alkohol ist bei Männern häufiger die Ursache, eine idiopathische
oder hyperlipidämisch bedingte Insuffizienz der Bauchspeicheldrüse kommt bei Frauen häufiger vor, und eine chronische Pankreasinsuffizienz im Zusammenhang mit erblichen Ursachen wie etwa Mukoviszidose ist bei beiden Geschlechtern gleich häufig zu
beobachten.
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Aktuelle Therapien
Solange die Pankreasinsuffizienz noch nicht heilbar ist, hat die medizinische Behandlung zum Ziel, die Verhaltensweisen zu ändern, die ihren natürlichen Verlauf verschlimmern können, die Selbstheilungskräfte der Bauchspeicheldrüse zu fördern, die
normale Verdauung und Resorption wiederherzustellen und endokrine Insuffizienz zu
diagnostizieren und zu behandeln. Die Behandlung zielt nach Möglichkeit auf die Beseitigung der Ursache der Pankreasschädigung ab. Im Frühstadium einer alkoholbedingten Pankreasinsuffizienz kann eine Alkoholabstinenz und das Aufgeben des Rauchens zur Schmerzlinderung führen, doch der Rat, Alkohol zu meiden und mit dem
Rauchen aufzuhören, reicht allein für eine Erholung oft nicht aus.
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Wenn der Patient bereits abgenommen hat und an Durchfall leidet oder täglich mehr
als 15 g Fett ausscheidet, wird eine Pankreasenzymersatztherapie empfohlen. Die Pankreasenzyme lassen sich in drei Enzymklassen einteilen: proteolytische Enzyme zur Verdauung von Proteinen, Lipasen für die Fettverdauung und Amylasen zum Abbau von
Kohlenhydraten. Mindestens 30.000 Einheiten an Lipaseaktivität müssen mit einer
Mahlzeit eingenommen werden, um die Malabsorption zu beheben, und selbst damit
ist eine vollständige Beseitigung der Steatorrhoe oft nicht möglich. Einige Studien haben bei Verabreichung von hoch dosierten Pankreasenzymen mit Dosen in Höhe der
dreifachen Ersatzdosen eine Schmerzlinderung aufgezeigt.
Die Enzyme in normalen Tabletten können durch einen niedrigen pH-Wert inaktiviert
werden. Deshalb muss bisweilen zusätzlich ein Histamin-2-Rezeptorblocker (H2-Blokker) oder ein Protonenpumpenhemmer verabreicht werden, um die Magensäure zu
verringern. Spezielle Kapseln mit Mikrokügelchen wurden entwickelt, die den Vorteil
bieten, dass sie sich besser mit den Pankreassäften mischen.
Die anfängliche Schmerztherapie besteht aus Schmerzmitteln oder nichtsteroidalen
Antirheumatika (NSAR). Auch eine Aminosäuresequenz, die den aktiven Teil von Somatostatin enthält, wird zur Schmerzlinderung eingesetzt. Bei hartnäckigen starken
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Schmerzen sind Opioid-Schmerzmittel erforderlich. Eine Substitution von antioxidativen Vitaminen und Mikronährstoffen kann im Frühstadium der Pankreasinsuffizienz
die Heilung der Bauchspeicheldrüse fördern. In schweren Fällen empfiehlt es sich oft,
die nicht resorbierten fettlöslichen Vitamine A, D, E und K durch intravenöse Substitution zuzuführen. Auch eine fettarme Ernährung hilft gegen die Steatorrhoe.
Eine chirurgische Behandlung ist angezeigt, wenn eine anatomische Komplikation besteht, die durch einen mechanischen Eingriff korrigiert werden kann. Je nach Einzelfall sind endoskopische, radiologische oder offene chirurgische Verfahren geeignet.
Bei ausgewählten Patienten lässt sich der durch eine vollständige chirurgische Entfernung des Pankreas hervorgerufene Diabetes dadurch vermeiden, dass die Inselzellen
aus der resezierten Bauchspeicheldrüse zurückgewonnen und in das Pfortadersystem
des Patienten injiziert werden, über das sie in der Leber deponiert werden.
Was ist in der Entwicklung?
Zwei Forscherteams arbeiten gemeinsam an der Entwicklung eines neuen, biotechnologisch hergestellten, maßgeschneiderten mikrobiellen Enzyms zur Behandlung der
Pankreasinsuffizienz. Verschiedene Verdauungsenzyme einer neuen Generation, die
mit Hilfe von Mikroorganismen gewonnen werden, sollen auf den Markt gebracht werden. Die Lipase, Protease und Amylase, die sich in der Entwicklung befinden, sollen
eine ähnliche Wirksamkeit wie die natürlichen Pankreasenzyme zeigen. Ihre Entwicklung befindet sich noch im Anfangsstadium. Die ersten toxikologischen Studien sind
in Vorbereitung, und klinische Studien der Phasen 1 und 2 sollen folgen. Die ersten
Daten aus klinischen Studien werden im Jahr 2007 erwartet.
Ein Präparat aus drei Wirkstoffen als oral zu verabreichende Enzymersatztherapie zur
Behandlung der Malabsorption infolge von Pankreasinsuffizienz befindet sich in der
Phase 3 der klinischen Entwicklung. Das Medikament hat von der US-amerikanischen
Food and Drug Administration (FDA) den Orphan-Drug-Status (Arzneimittel für seltene Krankheiten) und den Fast-Track-Status (Arzneimittel, für das ein beschleunigtes
Zulassungsverfahren vorgesehen ist) erhalten. Ein weiteres Entwicklungspräparat ist
eine Magenlipase zur Behandlung der Pankreasinsuffizienz, insbesondere für Patienten mit Mukoviszidose und chronischer Pankreatitis. Dieses Arzneimittel befindet sich
derzeit in klinischen Prüfungen der Phase 1.
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Neuere Erkenntnisse deuten darauf hin, dass bestimmte Chemokine an der Entwicklung und Aufrechterhaltung der chronischen Entzündung des Pankreas beteiligt sind.
Im Gegensatz zu gesundem Pankreasgewebe exprimieren die Pankreasläppchen bei
leichter bis mittelschwerer chronischer Pankreatitis Messenger-Ribonukleinsäure (mRNA) des monozytenchemotaktischen Proteins 1 im Gangsystem des Organs, in Endothelzellen, Fibroblasten, Makrophagen und T-Lymphozyten. In fortgeschritteneren
Krankheitsstadien ist Interleukin-8 (IL-8) in den Pankreaszellen nachweisbar. Weitere
Forschungsaktivitäten sind erforderlich, um die Komplexität dieser Materie besser zu
verstehen, und diese Forschung wird in der Zukunft hoffentlich zu neuen Behandlungsansätzen führen.
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Langzeitperspektiven
Die Grundlagenforschung und die klinische Forschung müssen künftig den genetischen Faktoren nachgehen, die der Veranlagung für die Pankreasinsuffizienz zugrunde liegen. Die entsprechenden Forschungsarbeiten werden die folgenden Aktivitäten
umfassen: 1.) genetische Reihenuntersuchungen, um in bestimmten Genen oder deren Regulationselementen Genmutationen aufzuspüren, die mit strukturellen oder
funktionellen Anomalien des Pankreas zusammenhängen; 2.) die Identifizierung biologischer oder molekularer Mechanismen von Pankreasschädigungen; 3.) die Entwicklung neuer Tiermodelle der gestörten Pankreasfunktion durch Expression von mutierten Genen, die mit Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse im Zusammenhang stehen;
und 4.) die Identifizierung von Umweltfaktoren, die die Entwicklung und den Verlauf
der Pankreasinsuffizienz bei besonders anfälligen Menschen beeinflussen.
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Poliomyelitis
Was ist Poliomyelitis?
Poliomyelitis oder Kinderlähmung ist eine hochinfektiöse Krankheit, die durch ein kleines RNA-Virus verursacht wird. Die Bezeichnung für die Krankheit geht auf die griechischen Begriffe „polio“ (grau) und „myelon“ (Mark) zurück und weist auf den Entzündungsprozess der grauen Substanz des Rückenmarks hin. Das Poliovirus wird vornehmlich durch direkten Kontakt von Mensch zu Mensch übertragen. Das Virus wird
durch Schmierinfektion über den Mund aufgenommen und vermehrt sich im Darm.
Die ersten Symptome nach einer Inkubationszeit von 3-30 Tagen sind Fieber, Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen, Erbrechen und Gliederschmerzen. Nach der Erstinfektion wird das Poliovirus einige Wochen lang intermittierend im Stuhl ausgeschieden.
Während dieser Zeit kann sich die Infektion rasch in der Umgebung ausbreiten, bevor
erste Fälle von Lähmungen zu beobachten sind. Da die meisten Menschen, die sich
mit dem Poliovirus infizieren, keine Krankheitszeichen entwickeln, wissen sie nicht,
dass sie sich mit der Krankheit infiziert haben.
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Nachdem sich das Poliovirus im Darm eingenistet hat, kann es über den Blutkreislauf
in das Zentralnervensystem eindringen. Im Zuge seiner Vermehrung zerstört das Virus
die so genannten Motoneuronen. Dies sind Nervenzellen, die Muskeln aktivieren. Da
sich diese Nervenzellen nicht regenerieren können, büßen die betroffenen Muskeln
ihre Funktion ein. Etwa eine von 200 Infektionen führt zu irreversiblen Lähmungen.
Mitunter kann die Poliomyelitis innerhalb von Stunden zu einer vollständigen Lähmung führen. Bei ausgedehnten Lähmungen im Bereich des Rumpfs und der Brustund Bauchmuskulatur kommt es zur Tetraplegie, einer Lähmung aller vier Extremitäten. In den schwersten Fällen greift das Poliovirus die Motoneuronen des Stammhirns
an und beeinträchtigt dadurch die Atmung, das Schlucken und Sprechen. Ohne Atemunterstützung führt dies zum Tod.
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Eiserne Lunge
© Centers for Disease Control, USA, 2004.
In den 1940er und 50er Jahren verbreiteten in Europa und den USA große Epidemien
jeden Sommer Schrecken, weil die Krankheit alljährlich Tausende von Kindern verkrüppelte. Zu jener Zeit vegetierten Patienten mit Poliomyelitis, deren Atemmuskulatur betroffen war, unbeweglich in so genannten „eiserenen Lungen“ dahin – großen
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Metallröhren, die die Atmung der Patienten regulierten und sie so am Leben erhielten. Die Behandlung in der eisernen Lunge ist mittlerweile durch die positive Druckbeatmung abgelöst worden.
Wer ist von Poliomyelitis betroffen?
Poliomyelitis kann Menschen jeden Alters betreffen, doch 50 Prozent aller Fälle treten bei Kindern unter drei Jahren auf. Mädchen und Jungen sind gleich häufig betroffen. Teilweise immune Erwachsene und Kinder können Träger des Virus bleiben,
den Krankheitserreger weiterverbreiten und enge Kontaktpersonen infizieren oder sanitäre Anlagen verseuchen, vor allem in Ländern mit schlechten hygienischen Verhältnissen. Die Poliomyelitis kann Tausende von Menschen infizieren, bis der erste
Fall einer Polio-Lähmung auftritt. Aus diesem Grund ist die WHO der Auffassung,
dass bereits ein einziger bestätigter Fall von Polio-Lähmung ein Anzeichen für eine
Epidemie sein kann.
Die Poliomyelitis ist eine
Viruserkrankung, die überwiegend Kinder befällt
und zu Lähmungen führen
kann. Die pharmazeutische Industrie hat hochwirksame Impfstoffe entwickelt und arbeitet daran, diese Infektionskrankheit weltweit vollständig
auszurotten.
Gemäß dem Ziel der von der WHO und dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen
(UNICEF) unterstützten „Global Eradication Initiative“ (GEI, globale Ausrottungsinitiative) war vorgesehen, die Krankheit bis 2005 weltweit auszurotten. Dieses ehrgeizige Vorhaben ist offenbar gescheitert. Denn 2005 wurden aus mehreren Regionen der
Welt etwa 1.600 Fälle von Poliomyelitis gemeldet. Die Länder mit der höchsten Krankheitsbelastung waren Jemen und Nigeria mit 500 bzw. 600 Erkrankungsfällen. Indonesien berichtete nach zehn Jahren ohne Infektionen von etwa 270 Fällen. In den
USA trat nach 26 Jahren erstmals wieder ein kleiner Ausbruch der Poliomyelitis auf.
Bei vier Kindern in einer kleinen Gemeinde in Minnesota wurde die Krankheit entdeckt. Das Wiederauftreten der Poliomyelitis in vielen Teilen der Welt macht deutlich,
wie wichtig die ständige Wachsamkeit und strenge Impfprogramme sind.
Aktuelle Therapien
Da sich keines der bislang entwickelten Medikamente als wirksam erwiesen hat, ist
die Behandlung bisher rein symptomatisch. Die Anwendung von feuchter Wärme wird
mit Physiotherapie kombiniert, um die Muskeln zu stimulieren, und zur Muskelentspannung werden krampflösende Medikamente verabreicht. Diese Behandlung kann
zwar die Beweglichkeit verbessern, nicht jedoch bleibende Lähmungen rückgängig
machen. Kinder mit gelähmten Beinen sind häufig auf Krücken, spezielle Stützkorsette oder auf den Rollstuhl angewiesen, um sich zu bewegen.
Die Poliomyelitis kann durch Immunisierung verhindert werden. Der mehrmals verabreichte Polioimpfstoff schützt fast immer ein ganzes Leben lang vor der Krankheit.
Durch vollständige Immunisierung können nahezu alle Menschen geschützt werden.
Unter bestimmten Bedingungen können jedoch einige Menschen dennoch erkranken,
weil sie nicht auf den Impfstoff ansprechen. Der Impfstoff muss alle drei Typen (1, 2
und 3) des Virus enthalten, da die einzelnen Typen keine Kreuzimmunität verleihen.
Zur Prophylaxe der Poliomyelitis werden zwei Arten von Impfstoffen verwendet, die
durch Injektion verabreichte inaktivierte Poliovirus-Vakzine (IPV) und die orale abgeschwächte Poliovirus-Vakzine (OPV).
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Der OPV-Impfstoff wird seit den frühen 1960er Jahren eingesetzt. Diese Darreichungsform hat die erhebliche Abnahme der Prävalenz der Poliomyelitis auf der gan-
Elektronenmikroskopische
Aufnahme des Poliovirus
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Die IPV war der erste verfügbare Impfstoff, der ab den 1950er Jahren allgemein verabreicht wurde. Die ersten Formulierungen hatten den Nachteil, dass sie weniger immunogen als der OPV-Impfstoff waren, keine Schleimhautimmunität bewirkten und
durch Injektion verabreicht werden mussten. Da der IPV-Impfstoff ein inaktiviertes Virus enthält, kann die Vakzine keine impfstoffassoziierte Poliomyelitis (VAP) verursachen. Neue Formulierungen bewirken zwar keine Schleimhautimmunität, haben sich
jedoch als genauso immunogen wie OPV erwiesen. Mittlerweile sind zahlreiche Länder zu Impfprogrammen mit dem IPV-Impfstoff übergegangen. Die Impfung erfolgt im
Alter von zwei Monaten, vier Monaten, 6-12 Monaten und vor dem Schuleintritt.
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zen Welt erst ermöglicht. Dieser Schluckimpfstoff bietet die Vorteile, dass er eine
Schleimhautimmunität auslöst, eine ausreichende Herdenimmunität verleiht und aufgrund seiner oralen Verabreichung mit einer guten Therapietreue verbunden ist. Der
größte Nachteil jedoch ist das Auftreten möglicher Fälle von VAP. Obwohl das Virus
abgeschwächt ist, kann es gelegentlich doch neurotrop werden und ähnliche Krankheitserscheinungen wie das Wildtypvirus hervorrufen. Der orale Impfstoff wird im Alter von zwei, vier und sechs Monaten verabreicht, und der Impfschutz wird im Alter
von vier Jahren aufgefrischt.
Was ist in der Entwicklung?
Es zeigt sich zunehmend, dass Menschen, die als Kind an Polio erkrankten, das so genannte „Post-Polio-Syndrom“ entwickeln können, das meist 15 bis 40 Jahre nach der
Ersterkrankung auftritt. Die Hauptsymptome sind eine erneut fortschreitende Muskelschwäche, Abgeschlagenheit und Schmerzen in Muskeln und Gelenken. Als Pathomechanismus dieser Erkrankung wird der allmähliche Untergang einzelner Nervenzellen
vermutet.
Poliopatient
Polio-Ausrottung
• Die westliche Welt gilt seit 1994
offiziell als poliofrei
• Das letzte Isolat des Typ-2-Poliovirus wurde in Indien im Oktober 1999 festgestellt
• Ziel ist die weltweite Ausrottung
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Das Poliovirus zerstört während der akuten Phase der Infektion motorische Neuronen.
Um diesen Verlust auszugleichen, lassen die überlebenden Nervenzellen zusätzliche
Verästelungen oder Axonaussprossungen sprießen, die eine Verbindung zu Muskelfasern aufnehmen können, deren ursprüngliche Nervenversorgung zerstört wurde. Nach
dieser Neuverknüpfung sind die Muskelfasern wieder funktionsfähig, doch die zusätzlichen Axonaussprossungen bleiben vermutlich nicht dauerhaft erhalten. Die Aussprossungen degenerieren schließlich, und die Muskelfasern verlieren ihre Fähigkeit,
sich zusammenzuziehen. Die Erforschung der Ursachen des Post-Polio-Syndroms wird
weiter vorangetrieben, ebenso wie die Entwicklung von Leitlinien für die optimale Diagnose, Behandlung und Rehabilitation der Betroffenen.
Es gibt auch heute noch kein antivirales Medikament gegen Polio, welches ein wichtiges Element in der Strategie der weltweiten Ausrottung der Poliomyelitis darstellen
könnte. Die Grundlagenforschung sucht nach wie vor nach möglichen Angriffspunkten, die als Schlüssel zur Entwicklung eines antirivalen Wirkstoffs gegen Polio in der
Ära nach der Ausrottung dienen könnten. Als potenzielle Ansätze könnten kapsidbindende Substanzen, Proteasehemmer und Blocker der Virusanheftung in Betracht
kommen.
Langzeitperspektiven
Im Jahr 1988, als das weltweite Programm zur Ausrottung der Poliomyelitis aufgestellt
wurde, gab es Schätzungen zufolge über 300.000 Krankheitsfälle. Nach intensiven
Immunisierungskampagnen und der Entwicklung eines Überwachungsnetzes wurden
1995 noch 6.179 Fälle und im Jahr 2000 noch 2.971 Fälle gezählt. Diese Zahlen verdeutlichen die Wirksamkeit des erweiterten Impfprogramms (EPI) der WHO und den
Nutzen der epidemiologischen Überwachung. Es gibt jedoch überall auf der Welt nach
wie vor einige Rückzugsgebiete des Poliovirus.
Die Ausrottung des Wildtyp-Poliovirus, ein langersehntes Ziel des öffentlichen Gesundheitswesens, ist möglich und in Reichweite gerückt. Die Endphase der Ausrottung
stellt eine neue Herausforderung dar. Wenn die vollständige Ausrottung des WildtypPoliovirus erreicht ist, besteht die Möglichkeit, den OPV-Impfstoff durch den IPV-Impfstoff zu ersetzen, dessen Verwendung dann ebenfalls beendet werden könnte, sobald
die Gewissheit bestünde, dass OPV und die VAP aus der Welt geschafft sind. Das letztendliche Ziel des Ausrottungsprogramms ist, alle Polioimpfungen überflüssig zu machen. Dadurch würde unweigerlich eine zunehmende Zahl von Menschen anfällig für
diese Viren. Und die Vernichtung der Virusbestände sowie die mögliche Bedrohung
durch Bioterrorismus würden die Welt vor neue Herausforderungen stellen.
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Restless-LegsSyndrom
Was ist das Restless-Legs-Syndrom?
Das Restless-Legs-Syndrom (RLS) ist bereits seit Jahrhunderten bekannt. Im Jahr 1672
berichtete Sir Thomas Willis, ein englischer Arzt, über “leapings and contractions“
(Sprünge und Zuckungen) die so heftig waren, dass die Betroffenen nicht mehr schlafen konnten, da sie sich wie gerädert fühlten (“not more able to sleep than if they were
in a place of the greatest torture“). Das RLS ist durch vier Kriterien gekennzeichnet, die
von der International Restless Legs Syndrome Study Group definiert wurden: 1.) quälender Drang, die Extremitäten zu bewegen, einhergehend mit Taubheit der Beine; 2.)
motorische Unruhe; 3.) Verstärkung der Symptome in Ruhe und Linderung durch körperliche Aktivität; und 4.) Verschlimmerung der Symptome abends und nachts.
RLS-Patienten verspüren den unwiderstehlichen Drang, ihre Beine zu bewegen, oft
einhergehend mit Kribbeln und Zucken. Diese Empfindungen verstärken sich gewöhnlich abends und nachts und führen zu Schlafstörungen und Schlaflosigkeit. Es ist
charakteristisch für Patienten mit RLS, dass es ihnen schwer fällt, ihre Symptome genau zu beschreiben. Sie klagen oft über Empfindungen, wie einen fast unwiderstehlicher Drang, die Beine zu bewegen, die zwar nicht schmerzhaft, aber ausgesprochen
lästig sind. Die Schwere der Symptome reicht von leicht bis unerträglich.
Das Restless-Legs-Syndrom ist eine Nervenkrankheit, bei der die
Patienten den unwiderstehlichen Drang verspüren, ihre Beine zu bewegen. Es sind bereits
große Fortschritte im
Verständnis der Krankheit
gemacht worden. Und laufende Forschungsarbeiten
geben Hoffnung auf
erfolgreiche neue Behandlungsmöglichkeiten.
Das auch als Ekbom-Syndrom bekannte RLS galt ursprünglich als periphere Nervenfunktionsstörung. Mitte der 1940er Jahre beschrieb der schwedische Neurologe Karl
A. Ekbom ein Krankheitsbild, das durch sensorische Symptome und eine motorische
Störung der Extremitäten, vor allem in Ruhe, gekennzeichnet war. Er nannte die Erkrankung “Restless-Legs-Syndrom”. Mittlerweile gilt es als gesichert, dass die Ursache
der Beschwerden im Zentralnervensystem zu suchen ist. Schwankungen in der komplexen Integration zwischen Strukturen des peripheren und des zentralen Nervensystems spielen möglicherweise eine ursächliche Rolle.
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Die Diagnose der Erkrankung beruht auf den vier oben erwähnten Kriterien und der
Messung von periodischen Extremitätenbewegungen im Schlaf (PLMS), die die Patienten mehrmals in der Nacht erwachen lassen und den Schlaf stark beeinträchtigen
können. Die nächtlichen Beinbewegungen werden im Allgemeinen mit einem Polysomnogramm aufgezeichnet, um Veränderungen der PLMS vor und nach einer spezifischen Behandlung zu vergleichen.
Patienten mit RLS geben wesentlich niedrigere Lebensqualitätsscores an als Menschen ohne das Syndrom. In Patientenerhebungen wurden die Auswirkungen der Erkrankung auf die Betroffenen beurteilt. Die Ergebnisse zeigten, dass fast die Hälfe der
befragten Patienten glauben, dass ihre Symptome die Beziehung zu ihrem Partner beeinträchtigen. Zehn Prozent klagen darüber, dass sie nicht mehr in einem Bett mit ihrem Partner schlafen können. Vierzig Prozent der Befragten geben an, dass ihnen die
RLS-Symptome Sorgen bereiten, und 50 Prozent berichten über allgemeine Müdigkeit.
Wer ist vom Restless-Legs-Syndrom betroffen?
Das RLS ist in der allgemeinen Bevölkerung weit verbreitet. Obwohl das Syndrom etwa
zehn Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Europa und den USA betrifft, wird es
oft nicht erkannt und fehldiagnostiziert. Die deutsche RLS-Vereinigung berichtete
2004, dass allein in Deutschland 870.000 Menschen an RLS litten.
Es gibt nur wenige Studien spezifischer Bevölkerungsgruppen, und die Risikofaktoren in der allgemeinen Bevölkerung
sind nicht bekannt. Zwischen 50 und 90 Prozent der Patienten mit RLS berichten über weitere Fälle in der Familie.
Es wird eine autosomal-dominante Vererbung vermutet. Bei
etwa zwei Dritteln der Patienten werden die Symptome mit
der Zeit schlimmer. Einige Patienten mit Urämie, Diabetes
mellitus, Anämie oder auch Schwangere entwickeln sehr
stark ausgeprägte Symptome.
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Das RLS kann in jedem Alter beginnen, sogar bereits in der
Kindheit, doch die meisten Patienten mit starken Beschwerden sind mittleren Alters oder älter. Die Prävalenz nimmt
mit dem Alter zu, und Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Während die Prävalenz bei kinderlosen
Frauen bis zum Alter von 64 Jahren etwa gleich hoch wie bei
Männern ist, steigt das Risiko für das RLS bei Frauen mit einem oder mehreren Kindern allmählich an. Kinder geboren
zu haben ist offenbar der wichtigste Faktor, der die Unterschiede zwischen den Geschlechtern erklärt.
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Aktuelle Therapien
Bis vor kurzem gab es keine zugelassenen Medikamente für das RLS. Man hatte es lange Zeit nur für eine banale Befindlichkeitsstörung gehalten. Doch die Erforschung des
Syndroms ergab schließlich, dass das RLS keine psychische, sondern eine sensomotorische Erkrankung ist. Dadurch verbesserten sich die Aussichten auf eine wirksame
medikamentöse Behandlung. Einige Patienten wurden mit dopaminergen Medikamenten behandelt, nachdem das Syndrom auf zunehmendes Interesse in der wissenschaftlichen Fachwelt stieß.
Bei Menschen mit RLS, die nur leichte Symptome haben, wurden und werden nach wie
vor Änderungen der Lebensweise zur Linderung der Symptome empfohlen, wie 1.) kein
Koffein, kein Alkohol und kein Rauchen; 2.) Einnahme von Eisen-, Folsäure- und Magnesiumpräparaten; 3.) regelmäßiger Schlaf; und 4.) mäßige körperliche Betätigung.
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Seit Juni 2004 ist in Europa ein Medikament erhältlich, das die PLMS beim RLS nachweislich stark verringert. Der Wirkstoff – ein Dopaminagonist, der ursprünglich zur Behandlung der Parkinson-Krankheit entwickelt wurde – hat die klinische Praxis dieser
bisher häufig übersehenen Erkrankung wesentlich verändert, da er die motorischen
Symptome, die Schlafqualität und die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Betroffenen verbessert. Die aktuellen RLS-Leitlinien des US National Heart, Lung and
Blood Institute sprechen bereits davon, dass Dopaminergika bei den meisten RLS-Patienten die Mittel der ersten Wahl sind.
Was ist in der Entwicklung?
In Vergleichsstudien wird derzeit die Wirksamkeit und Sicherheit etablierter Dopaminagonisten in Form von verschiedenen transdermalen Dosen und Tabletten mit sofortiger Freisetzung untersucht. Weitere Dopaminagonisten werden von verschiedenen Arbeitsgruppen intensiv erforscht. Am weitesten fortgeschritten ist ein D3-Agonist, der
zurzeit in klinischen Studien der Phasen 2/3 erprobt wird und nach Angaben des Herstellers im Jahr 2006 in Europa zur Verfügung stehen wird.
Ein weiteres Studienpräparat ist ein kombinierter D2- und D3-Agonist, für den 2004
die Phase-2-Studien in Europa abgeschlossen wurden und der sich nun in der Phase
3 der klinischen Prüfung befindet.
In experimentellen präklinischen Studien werden Stickstoffmonoxiddonatoren für das
RLS und andere Indikationen erforscht.
Langzeitperspektiven
Forschungsarbeiten zur Aufklärung der Ursache des Syndroms haben gezeigt, dass
den dopaminproduzierenden Zellen im Zentrum des Gehirns, der so genannten Substantia nigra, ein Eisentransportrezeptor fehlt. Es sind jedoch keine besonderen pathologischen Veränderungen in den Zellen festzustellen. Dies untermauert, dass das
RLS eine sensomotorische Krankheit und kein psychisches Leiden ist, und bedeutet,
dass gute Aussichten für die Entwicklung weiterer wirksamer Medikamente bestehen.
Als nächste Schritte könnten weitere potenzielle Störungen des Eisentransports ins
Zentrum des Gehirns aufgespürt werden, einschließlich der Gene, die die Eisentransportproteine regulieren. Diese Forschungsaktivitäten könnten zur Entwicklung diagnostischer Tests und neuer Ansatzpunkte für die Therapie des RLS führen.
Außerdem haben klinische Studien gezeigt, dass zentral wirksame Dopaminrezeptorantagonisten bei Patienten mit dem RLS-Symptom die Symptome reaktivieren. Die Ergebnisse von Untersuchungen mit der Single-Photon-Emissionscomputertomographie
(SPECT) deuten auf einen Mangel an D2 hin.
F Ü R
Weitere vorgeschlagene Wege, um die Forschung auf dem Gebiet des RLS voranzutreiben und zu fördern, sind: 1.) die Entwicklung eines Tiermodells; 2.) weitere genetische und epidemiologische Untersuchungen des RLS; 3.) Projekte zur Abgrenzung genetischer und nicht-genetischer Formen des RLS; und 4.) die Einrichtung einer Hirngewebebank, die Forschern die vergleichende Arbeit erleichtert.
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Auch eine sympathische Hyperaktivität könnte ein wichtige Rolle spielen. Beobachtungen haben nämlich gezeigt, dass eine sympathische Nervenblockade die periodischen Extremitätenbewegungen im Schlaf lindert und Alphablocker die Symptome
des RLS bessern. Darüber hinaus legen Studien eine mögliche Unteraktivität der Serotonin- und Gammaaminobuttersäure-(GABA-)Neurotransmittersysteme nahe.
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Rückenmarksverletzung
Was ist eine Rückenmarksverletzung?
Eine Rückenmarksverletzung ist als Schädigung oder Trauma des Rückenmarks definiert, das zu einem Funktionsverlust oder einer Funktionseinschränkung führt, die
wiederum eine Beeinträchtigung der Beweglichkeit oder des Gefühls im betroffenen
Körperteil zur Folge hat. Die Nerven, die über das Rückenmark Signale vom und zum
Gehirn leiten, werden als obere Motoneuronen bezeichnet. Die Spinalnerven, die sich
in den Körper verzweigen, sind die so genannten unteren Motoneuronen. Diese Spinalnerven treten in Höhe der einzelnen Wirbel aus dem Rückenmark aus. Die sensorischen Anteile der aufsteigenden Bahnen leiten die Empfindungen aus der Haut wie
Schmerzen, Wärme und Kälte, Berührungen sowie die Gelenkstellung zum Gehirn. Die
motorischen Anteile der aufsteigenden Bahnen übermitteln Signale aus dem Gehirn,
um Aktionen wie beispielsweise Muskelbewegungen auszulösen.
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Das klinische Bild einer Rückenmarksverletzung hängt von der neurologischen Ebene
und vom Ausmaß der Verletzung ab. Das Rückenmark ist in 31 Abschnitte mit je einer paarigen anterioren (motorischen) und dorsalen (sensorischen) Spinalnervenwurzel unterteilt. Menschen mit Tetraplegie (Lähmung aller vier Extremitäten – nach dem
griechischen „tetra“ für „vier“ und „plegia“ für „Lähmung“) haben eine Verletzung eines der sieben Halsabschnitte (zervikale Segmente) der Wirbelsäule erlitten, und bei
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einer Paraplegie (Lähmung der unteren Extremitäten – „para“ bedeutet auf Griechisch
„zwei“) liegt eine Verletzung in einem der Abschnitte der zwölf Brust-, der fünf Lenden- oder der fünf Kreuzbeinwirbel vor.
Es gibt zwei Arten von Rückenmarksverletzungen, die so genannte komplette und die
inkomplette Rückenmarksverletzung. Bei der kompletten Rückenmarksverletzung ist
die betroffene Person unterhalb der Verletzung vollständig gelähmt, während bei einer inkompletten Verletzung nur ein Teil des Rückenmarks geschädigt ist. Bei einer inkompletten Rückenmarksverletzung sind unterhalb davon oft noch Empfindungen
spürbar, jedoch keine Bewegungen mehr möglich oder umgekehrt.
Die Lebenserwartung, das heißt die durchschnittliche Anzahl an verbleibenden Lebensjahren, steigt bei Menschen mit Rückenmarksverletzungen mehr und mehr, ist jedoch
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immer noch etwas niedriger als die Lebenserwartung eines Gesunden. Die Mortalitätsraten sind im ersten Jahr nach der Verletzung signifikant höher, vor allem bei sehr
schweren Verletzungen. Früher war Nierenversagen die häufigste Todesursache. Mittlerweile haben sich die Mortalitätsraten bei Rückenmarksverletzungen aufgrund erheblicher Fortschritte in der urologischen Behandlung verändert. Heute wirken sich
Todesursachen wie Pneumonie, Lungenembolie und Septikämie am stärksten auf die
Lebenserwartung aus.
Wer ist von Rückenmarksverletzungen betroffen?
Verkehrsunfälle sind für 50 Prozent aller Rückenmarksverletzungen verantwortlich.
Die nächsthäufigste Ursache für Rückenmarksverletzungen sind Stürze, gefolgt von
Freizeitsportaktivitäten und Gewalttaten. Es sind überwiegend junge Erwachsene im
Alter zwischen 16 und 30 Jahren betroffen. Da jedoch das Durchschnittsalter der allgemeinen Bevölkerung steigt, wird auch das durchschnittliche Alter, in dem sich die
Betroffenen die Verletzung zuziehen, höher. Auch der Anteil der Rückenmarksverletzten, die zum Zeitpunkt der Verletzung über 60 Jahre alt sind, nimmt zu. Ein möglicher
Grund für diesen zu beobachtenden Trend könnten die höheren Überlebensraten älterer Menschen am Unfallort sein. Etwa 80 Prozent aller Rückenmarksverletzungen
betreffen Männer.
Eine Rückenmarksverletzung kann zu teilweisen
oder vollständigen Lähmungen der Gliedmaßen
führen. Die Forschung hat
in den letzten 25 Jahren
einige Fortschritte in der
Behandlung gebracht. Weitere Fortschritte sind auch
in Zukunft zu erwarten, da
mittlerweile vielversprechende Forschungsansätze
verfolgt werden.
Bei einer vorsichtig geschätzten durchschnittlichen jährlichen Inzidenzrate von 22
Rückenmarksverletzungen pro eine Million Einwohner in der westlichen Welt erleiden
jedes Jahr schätzungsweise über 130.000 Menschen eine traumatische Rückenmarksverletzung. In Deutschland beträgt die jährliche Inzidenz, ohne diejenigen, die noch
am Unfallort ihren Verletzungen erliegen, etwa 19 Fälle pro eine Million Einwohner,
in den Niederlanden sind es 27 pro eine Million, in Frankreich 13 pro eine Million, in
Großbritannien und in Italien 12 pro eine Million. Dies entspricht jährlich etwa 9.000
neuen Fällen in Europa. Insgesamt leben in der EU schätzungsweise 200.000 Menschen mit Rückenmarksverletzungen.
In den USA beträgt die Inzidenz 40 Fälle pro eine Million Einwohner oder etwa 11.000
neue Fälle jedes Jahr. Schätzungen zufolge lebten im Jahr 2005 in den USA etwa
250.000 Menschen mit Rückenmarksverletzungen. Weltweit gibt es
etwa zwei Millionen Menschen mit Rückenmarksverletzungen.
Rückenmark (Querschnitt)
Aktuelle Therapien
Die Behandlung von Rückenmarksverletzungen hat sich in den vergangenen 25 Jahren radikal verändert. Es sind große Fortschritte in
der Diagnose der Schädigung von Rückenmark und Wirbelsäule gemacht worden. Mittlerweile ist auch die erste wirksame Therapie mit
einem Corticosteroid zur Verwendung in den ersten acht Stunden
nach der Verletzung entwickelt worden. Der Wirkstoff vermindert die
Schädigung der Zellmembranen, hemmt die Entzündung im Bereich
der Verletzung und unterdrückt Immunzellen, die Nervenschädigungen fördern.
Spinalnerv
Rückenmarksvene
Rückenmarksarterie
Wirbelkörper
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Was ist in der Entwicklung?
Da eine Rückenmarksverletzung zu einer erheblichen Einbuße an Muskelmasse führt,
untersuchen Forscher die Wirkung eines anabolen Steroids, das die Gewichtszunahme
Wirbel und Rückenmark:
Seitenansicht
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Die aktuelle Standardbehandlung von akuten Rückenmarksverletzungen umfasst die Diagnose und Korrektur größerer Fehlstellungen
und anderer struktureller Veränderungen der Wirbelsäule, die Minimierung von Schädigungen auf zellulärer Ebene und die Stabilisierung der Wirbelsäule, um eine weitere Schädigung zu vermeiden. Sobald der Patient stabilisiert ist,
sind unterstützende Maßnahmen und Rehabilitationsstrategien angezeigt, um die
langfristige Wiederherstellung zu fördern.
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und den Aufbau von Muskelmasse nach Verletzungen oder schweren Erkrankungen
fördern kann. Es gibt bislang allerdings noch keine Studien, in denen diese Wirkung
bei Menschen mit langjähriger Querschnittslähmung untersucht wurde. Die Endpunkte der aktuellen Studie sind Wirkungen auf Kraft, fettfreie Körpermasse, Lungenfunktion und Gehfähigkeit.
Zur Behandlung von Schmerzen bei Rückenmarksverletzungen werden verschiedene
Medikamente verwendet, doch keines hat sich bisher als durchgängig nützlich erwiesen, und einige Patienten leiden nach wie vor an starken chronischen Schmerzen. Zur
Zeit laufen einige klinische Studien, um die schmerzlindernden Wirkungen von Antidepressiva, Entzündungshemmern und krampflösenden Medikamenten bei chronischen neuropathischen Schmerzen nach Rückenmarksverletzung zu untersuchen.
Eine orale Retard-Darreichungsform eines Studienpräparats, das spezielle Kaliumkanäle in Nervenfasern (Axonen) hemmt, wird zurzeit in klinischen Phase 3-Studien geprüft. Wenn ein Axon nach einer Verletzung seine Isolationsschicht, das so genannte Myelin, verliert, strömen aus sehr vielen dieser Kaliumkanäle Kaliumionen aus und
verursachen einen „Kurzschluss“ im Nerv. In Laborstudien hat der Wirkstoff des Studienpräparats die Erregungsleitung in Nervenfasern mit geschädigtem Myelin verbessert.
Langzeitperspektiven
Bei den meisten Patienten mit Rückenmarksverletzung liegt keine vollständige Durchtrennung des Rückenmarks vor, auch wenn sie querschnittsgelähmt sind. Vielmehr
werden durch die Verletzung zwar Neuronen an der Verletzungsstelle durchtrennt und
die Skelettstruktur geschädigt, doch ein Teil des Rückenmarks bleibt oft unversehrt.
Dieses von der ursprünglichen Verletzung verschonte Gewebe unterliegt einer Reihe
von Prozessen, die weitere Schädigungen verursachen.
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Nach einer Rückenmarksverletzung werden hochreaktive biochemische Stoffe, so genannte „freie
Radikale“ freigesetzt. Sie greifen wichtige Zellstrukturen an. Durch Verletzungen werden außerdem vermehrt Neurotransmitter ausgeschüttet,
die zu sekundären Schädigungen infolge von
übererregten Nervenzellen führen. Außerdem
kommt es zu Störungen des Elektrolytgleichgewichts, herabgesetzter Sauerstoffversorgung und
zu Entzündungen. Präklinische Studien haben gezeigt, dass die neurologische Funktion schon
durch geringe Anteile von verschontem Rückenmarksgewebe vermittelt werden kann. Daher
könnten bereits geringfügige neuroprotektive
Wirkungen einen funktionellen Nutzen für die Betroffenen haben.
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Tierversuche weisen verschiedene Wege für die
Entwicklung neuer Therapien bei Rückenmarksverletzungen, unter anderem auch Wirkstoffe zur Förderung der Nervenregeneration
sowie Transplantationsstrategien. Neuroprotektive Medikamente könnten interessante Möglichkeiten für therapeutische Interventionen eröffnen. Zu diesen Medikamenten zählen Antioxidantien, Calciumkanalblocker und Wirkstoffe, die die Wirkung von
Neurotransmittern steuern.
Erste klinische Studien mit GM-1-Gangliosid haben gezeigt, dass das Mittel helfen
könnte, sekundäre Schädigungen bei Rückenmarksverletzungen zu verhindern, und
weitere Studien legen nahe, dass es auch die neurologische Erholung während der Re-
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habilitation verbessern könnte. Eine weitere Kategorie von potenziellen Therapeutika
sind Wirkstoffe, die die Weiterleitung von Nervensignalen fördern.
Neue Erkenntnisse darüber, wie Zellen absterben, werden Auswirkungen auf die Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Rückenmarksverletzungen haben. Bis
vor kurzem wurde der Zelluntergang bei Rückenmarksverletzungen überwiegend auf
eine Nekrose zurückgeführt, bei der die Zellen sich aufblähen und schließlich platzen.
Wissenschaftler haben gezeigt, dass einige Zellen durch Apoptose untergehen. Dies
ist eine Form des kontrollierten Zelltodes, bei der geschädigte Zellen so absterben,
dass ihre Umgebung weniger geschädigt wird. Die Blockade der Apoptose könnte ein
weiterer Ansatz zur Verbesserung der Wiederherstellung nach Rückenmarksverletzungen sein.
Medikamente zur Förderung der Regeneration von Nervenzellen, Faktoren zur Steuerung der Nährstoffversorgung der Nervenzellen und wachstumshemmende Substanzen sind weitere Möglichkeiten. Auch andere Eingriffe wie Transplantationen und periphere Nerventransplantate könnten vielversprechende Ansätze sein, um Rückenmarksbahnen nachwachsen zu lassen und die Wiederherstellung der Nervenfunktion
zu fördern.
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Sarkoidose
Was ist Sarkoidose?
Die Sarkoidose, die auch als Boeck-Sarkoid oder Besnier-Boeck-Schaumann-Krankheit
bezeichnet wird, ist eine entzündliche Krankheit, die durch die Entwicklung von Granulomen (kleine Knötchen aus entzündetem Gewebe) gekennzeichnet ist und alle Organsysteme des menschlichen Körpers befallen kann. Die Sarkoidose wurde erstmals
vor über 100 Jahren von zwei Dermatologen, Dr. Jonathan Hutchinson in England und
Dr. Caesar Boeck in Norwegen,
unabhängig voneinander beschrieben. Boeck prägte die Bezeichnung Sarkoidose nach den
griechischen Wörtern “sark“
(Fleisch) und “oid“ (ähnlich) aufgrund der fleischartigen Schwellungen, die auf der Haut der betroffenen Patienten zu beobachten waren.
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Die Krankheit manifestiert sich
am häufigsten in Form von Granulomen in der Lunge. Weitere
beteiligte Organsysteme sind die
Lymphknoten, vor allem im Bereich des Brustkorbs (Thorax), die
Haut, die Augen, die Leber, das
Herz sowie das Nervensystem
und der Bewegungsapparat. Zur
Bestimmung des Krankheitsstadiums wird eine Thoraxröntgenaufnahme angefertigt. Das Stadium I zeigt eine beidseitige Schwellung der Hiluslymphknoten. Das Stadium II ist durch Lymphadenopathie und Lungeninfiltrate gekennzeichnet. Stadium III ist durch Lungeninfiltrate definiert und das Stadium IV
durch Lungenfibrose.
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Die Ursache der Krankheit ist noch unklar, doch man vermutet, dass verschiedene Immunstörungen bei der Pathogenese eine Rolle spielen. Studien haben bei etwa 50
Prozent der Patienten eine gesteigerte B-Zell-Aktivität mit erhöhten Plasmaspiegeln
von Immunglobulinen und Immunkomplexen aufgezeigt. Bei vielen Patienten wird
auch eine herabgesetzte T-Zell-vermittelte Immunantwort festgestellt. Zwei Drittel reagieren nicht auf Tuberculin-Hauttests. Die Fehlregulation des Immunsystems wird von
einigen Forschern auf ein persistierendes Antigen mit geringer Virulenz zurückgeführt,
das nicht vollständig eliminiert wird und zu einer chronischen T-Helfer-Zell-Reaktion
führt, die schließlich die Bildung von Granulomen nach sich zieht.
Zahlreiche Berichte über geographisch begrenzte Ausbrüche könnten auf die Möglichkeit eines Infektionserregers oder einer bestimmten Umweltbelastung als Ursache hindeuten. Granulomatöse Entzündungen können durch infektiöse Mikroorganismen oder auch durch Umweltfaktoren verursacht werden. Die folgenden Infektionserreger stehen im Verdacht, die Krankheit aufrechtzuerhalten: 1.) typische oder
atypische Mykobakterien, Corynebacterium-Arten, Borrelia burgdorferi, Spirochäten
und andere Bakterien; 2.) Viren wie z.B. Herpes simplex, Epstein-Barr, Cytomegalievirus, Coxsackie- und Rubella-Viren; 3.) Pilze wie z.B. Histoplasma und Cryptococcus-
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Arten; oder 4.) verschiedene Parasiten. Umweltfaktoren, denen eine ursächliche Rolle zugeschrieben wird, sind unter anderem Metalle sowie organische und anorganische Stäube.
Der Verlauf der Sarkoidose ist sehr unterschiedlich und reicht von einer spontan wieder abklingenden akuten Form bis zu chronisch fortschreitenden Erkrankungen, die
zum Tod führen können. Die Patienten werden meist im Winter und Anfang des Frühjahrs erstmals beim Arzt vorstellig. Die Krankheit beginnt oft schleichend, und erste
Befunde werden häufig zufällig bei routinemäßigen Röntgenaufnahmen des Brustkorbs entdeckt. Etwa 30 Prozent der Patienten klagen über erhöhte Körpertemperatur,
Abgeschlagenheit und Gewichtsverlust. Bei 25 Prozent der Patienten ist eine Hautbeteilung zu beobachten. Ein Erythema nodosum (EN) – eine Überempfindlichkeitsreaktion der Haut – ist die wichtigste unspezifische Manifestation der Haut. Die Kombination eines EN mit Schwellungen der thorakalen Lymphknoten, Entzündungsreaktion
des Auges (anteriore Uveitis) und der Gelenke (Polyarthritis) ist eine akute Sonderform
der Sarkoidose und wird als Löfgren-Syndrom bezeichnet.
Wie wird die Sarkoidose diagnostiziert?
Die Sarkoidose ist eine
Erkrankung, die zahlreiche
Organe des Körpers in
Mitleidenschaft ziehen
kann. Wenn Herz oder
Lunge betroffen sind,
kann sie tödlich verlaufen.
Heute stehen den Patienten Medikamente zur
Linderung ihrer Beschwerden zur Verfügung.
Spezifischere Behandlungen werden den Patienten
neue Hoffnung geben.
Bei etwa 95 von 100 Betroffenen mit Sarkoidose weist die Thoraxröntgenaufnahme
Anomalien auf.
• Stadium I: Thoraxröntgenaufnahme zeigt vergrößerte Lymphknoten, doch die Lungen
sind unauffällig.
• Stadium II: Thoraxröntgenaufnahme zeigt vergrößerte Lymphknoten und
Lungenschatten.
• Stadium III: Thoraxröntgenaufnahme zeigt Lungenschatten, jedoch keine vergrößerten
Lymphknoten.
• Stadium IV: Thoraxröntgenaufnahme zeigt Vernarbungen im Lungengewebe.
Bei etwa 60 Prozent der Fälle treten Spontanremissionen auf, während die Krankheit
bei den übrigen Patienten einen eher chronischen Verlauf nimmt. Die Mortalitätsrate
beträgt ein bis sechs Prozent. Die Sarkoidose kann durch schweren Befall von Lungengewebe mit resultierender Lungenfibrose und respiratorischer Insuffizienz oder
durch myokardiale Probleme mit nachfolgenden Arrhythmien und Herzversagen zum
Tod führen. Weitere Ursachen für die Mortalität sind eine Beteiligung des Zentralnervensystems, Niereninsuffizienz und Leberschädigung .
Wer ist von Sarkoidose betroffen?
Die jährliche Inzidenzrate der Sarkoidose schwankt zwischen einem
und 40 Fällen pro 100.000 Einwohner. In Europa sind Westeuropäer häufiger betroffen als Osteuropäer. Skandinavier haben mit 64
Fällen pro 100.000 Einwohner eine relativ hohe Inzidenz, während
in Polen die Inzidenz bei nur drei Fällen pro 100.000 Einwohner
liegt. Obwohl die Sarkoidose sowohl bei Kindern als auch bei älteren Menschen auftreten kann, sind in den meisten Fällen junge Erwachsene im Alter von 20-40 Jahren betroffen.
Oberer Lappen
Oberer Lappen
Mittlerer
Lappen
Unterer
Lappen
Unterer
Lappen
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Es sind familiäre Häufungen von Fällen beobachtet worden. Eineiige Zwillinge sind
häufiger betroffen als zweieiige Zwillinge. Man hat Zusammenhänge mit bestimmten
Die Sarkoidose manifestiert sich am
häufigsten in Form von Granulomen
in der Lunge
F O R
Rechter Lungenflügel
Linker Lungenflügel
Rechter und linker Hauptbronchus
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In den USA beträgt die jährliche Inzidenzrate in der weißen Bevölkerung 11 Fälle pro 100.000 Einwohner, bei Afroamerikanern hingegen 36 Fälle pro 100.000 Einwohner. Die Sarkoidose betrifft sowohl Männer als auch Frauen, wobei die Prävalenz bei Frauen höher ist. Die Inzidenz ist bei afroamerikanischen Frauen am höchsten,
gefolgt von afroamerikanischen Männern, dann weißen Frauen und
schließlich weißen Männern.
Luftröhre
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humanen Leukozytenantigenen (HLA) nachgewiesen. Das am häufigsten festgestellte Allel ist HLA-B8. Weitere Allele, die eine Rolle spielen, sind HLA-A1 und HLA-DR3.
Aktuelle Therapien
Nicht jeder Patient mit Sarkoidose muss behandelt werden. Die Behandlungsziele bestehen darin, eine gute Lungenfunktion aufrechtzuerhalten, die Symptome zu lindern
und Organschädigungen zu verhindern. Bei Patienten mit neurologischer, kardialer
oder okulärer Beteiligung, im symptomatischen Stadium II und bei allen Lungenerkrankungen im Stadium III sind Corticosteroide die Mittel der Wahl.
Corticosteroide — in Form von Salben oder Tabletten — werden auch zur Behandlung
von Patienten mit Hautsarkoidose verwendet. In schweren Fällen werden Immunsuppressiva, krankheitsmodifizierende Antirheumatika (DMARD) oder Zytostatika verabreicht. Eine Linderung der Symptome kann mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) erreicht werden.
Corticosteroide vermindern die Entzündungsreaktion, indem sie vor allem die Funktionen von weißen Blutkörperchen, wie etwa die Mobilität
der T-Lymphozyten und die Antikörperproduktion der B-Lymphozyten,
unterdrücken. Zytostatika, wie z.B. Antimetabolite, können in Kombination mit Corticosteroiden verabreicht werden, um die zur Kontrolle
der Krankheit erforderliche Corticosteroid-Dosis zu verringern.
Zytostatika verringern die Proliferation von Immunzellen, indem sie die
Synthese von DNA, RNA und Proteinen blockieren. Krankheitsmodifizierende Antirheumatika (DMARD) entfalten immunmodulatorische
Wirkungen, indem sie die Fortbewegung von weißen Blutkörperchen blockieren und
komplementabhängige Immunkomplex-Reaktionen unterdrücken.
Was ist in der Entwicklung?
Die Forschung arbeitet an der Entwicklung von alternativen Behandlungsmöglichkeiten, die gezielter und spezifischer als die Corticosteroide wirken. Die übersteigerte
Freisetzung von Tumornekrosefaktor (TNF) aus den alveolären weißen Blutkörperchen
von Patienten mit Sarkoidose, die auf Corticosteroide nicht ansprechen, weist darauf
hin, dass der TNF möglicherweise eine wichtige Rolle spielt. Deshalb werden verschiedene TNF-Antagonisten zur Behandlung von fortschreitenden pulmonalen Formen der Krankheit erforscht.
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Da die genetische Veranlagung eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung der Krankheit spielt, werden die genaue klinische Phänotypisierung von Patienten mit Sarkoidose und die Vermeidung von Umwelteinflüssen entscheidend für den Erfolg künftiger klinischer Studien sein.
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Langzeitperspektiven
Im März 2005 berichteten Forscher über eine neu entdeckte Untergruppe von T-Zellen mit immunregulatorischen Funktionen. In Tierversuchen hat sich herausgestellt,
dass diese Zellen vor Krankheiten mit verstärkten T-Zell-Reaktionen schützen können.
Bei Patienten mit Sarkoidose wurde festgestellt, dass diese Zellen fehlen oder stark dezimiert sind. Die Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass die fehlende Immunregulation durch diese Zellen die verstärkte und anhaltende T-Zell-Aktivität bei der Sarkoidose erklären könnte.
Ebenfalls im Jahr 2005 publizierten Forscher eine genetische Untersuchung, die zeigte, dass eine einzelne Genmutation auf dem Chromosom 6 die Anfälligkeit der Betroffenen für Sarkoidose um 60 Prozent erhöht. Die Genveränderung führt zur unzureichenden Synthese des Signalproteins BTNL2, das im Normalfall die spezifische TLymphozytenreaktion moduliert.
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SARS
Was ist SARS?
Das schwere akute respiratorische Syndrom (SARS) ist eine virale Atemwegserkrankung, die durch ein Coronavirus verursacht wird. Coronaviren sind eine Gruppe von Viren, die bei Betrachtung unter dem Elektronenmikroskop kronenartig aussehen („Corona“ ist das lateinische Wort für Krone). Verschiedene Arten von Coronaviren sind seit
langem als häufige Ursache von leichten bis mittelschweren Infektionen der oberen
Atemwege beim Menschen bekannt. Außerdem verursachen sie Atemwegs-, MagenDarm-, Leber- und neurologische Erkrankungen bei Tieren.
SARS ist eine gefährliche
Virusinfektion der Atemwege. Es gibt bislang noch
keine Medikamente zur
Behandlung von SARS,
doch die pharmazeutische
Forschung hat bereits vielversprechende Möglichkeiten für neue Medikamente und Impfstoffe aufgespürt.
Die Zeit zwischen dem Kontakt mit dem Virus und dem Einsetzen von Krankheitssymptomen, die so genannte Inkubationszeit, beträgt in der Regel zwei bis sieben
Tage. SARS beginnt im Allgemeinen mit hohem Fieber über 39°C. Als weitere Symptome können Kopfschmerzen, ein allgemeines Gefühl des Unwohlseins und Schmerzen am ganzen Körper hinzukommen. Einige Patienten zeigen von Anfang an leichte
Atemwegsbeschwerden. Etwa 10-20 Prozent der Patienten haben Durchfall. Nach weiteren zwei bis sieben Tagen stellt sich bei den SARS-Patienten ein trockener Husten
ein. Die meisten Patienten entwickeln eine schwere Pneumonie und müssen stationär
behandelt werden.
Die Ausbreitung von SARS erfolgt vor allem durch engen Kontakt von Mensch zu
Mensch. Das Coronavirus wird vermutlich über winzige Sekrettröpfchen übertragen,
die von Infizierten beim Husten oder Niesen in die Umgebungsluft ausgestoßen werden. Die Tröpfcheninfektion erfolgt normalerweise über kurze Distanzen von bis zu einem Meter. Das Coronavirus ist auch im Schweiß, Urin und Stuhl von SARS-Patienten
gefunden worden. Man kann sich auch infizieren, wenn man mit dem Erreger kontaminierte Gegenstände berührt. Im Zusammenhang mit SARS bedeutet enger Kontakt,
dass man beispielsweise einen SARS-Patienten pflegt, mit einem Erkrankten zusammenlebt oder direkten Kontakt mit Atemwegssekreten oder Körperflüssigkeiten eines Patienten mit SARS hat. Die Patienten sind gewöhnlich ansteckend, solange sie
Symptome wie Fieber und Husten haben, und die größte Ansteckungsgefahr besteht
in der zweiten Woche der Erkrankung.
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Als Fazit ihrer Erfahrungen während der SARS-Ausbrüche in Kanada und Taiwan stellten Epidemiologen fest, dass einige Infizierte das Coronavirus besonders leicht übertrugen und dass diese so genannten „Super-Spreader“ eine entscheidende Rolle bei
der Epidemie spielten. Die Gründe dafür sind noch unklar. Bestimmte Wirtsmerkmale
wie etwa Begleitinfektionen mit anderen Atemwegsviren, eine stärkere Virusausscheidung oder Umweltfaktoren könnten mögliche Erklärungen sein.
Elektronenmikroskopische
Aufnahme des Coronavirus,
das SARS verursacht
Seit dem ersten Ausbruch Ende 2002 hat die Forschung mit Hochdruck daran gearbeitet, die wesentlichen Merkmale der Krankheit aufzuklären. Dies umfasst auch das
natürliche Reservoir des Krankheitserregers, seine Virulenz und die Infektionswege. Im
Oktober 2004 stellten Untersuchungen zur Identifizierung der tierischen Wirte von
SARS fest, dass die Zibetkatze, die als Träger des Krankheitserregers im Verdacht
stand, nicht der natürliche Wirt des Virus ist. Zwölf Monate später berichteten Wissenschaftler, die sich auf die Lebensräume von Fledermäusen konzentriert hatten, dass
Antikörperuntersuchungen mehrere genetisch unterschiedliche Coronaviren festgestellt hatten, von denen eines dem SARS-Coronavirus stark ähnelt. Diese Erkenntnisse
deuten darauf hin, dass Fledermäuse in China das Wildreservoir des SARS-Erregers
sein könnten.
Wer ist von SARS betroffen?
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erkrankten während des Ausbruchs zum Jahreswechsel 2002/2003 weltweit insgesamt 8.000 Menschen an
SARS, von denen etwa 800 Patienten starben. Das bedeutet, dass SARS eine Letalitätsrate von zehn Prozent hat. Nachdem SARS im Februar 2003 in Asien gemeldet
worden war, breitete sich die Krankheit innerhalb der folgenden Monate auf mehr als
zwei Dutzend Länder in Nord- und Südamerika, Europa und Asien aus, bis der weltweite Ausbruch schließlich eingedämmt werden konnte. Ein weiterer kleiner Ausbruch
der Krankheit trat 2004 bei Mitarbeitern in einem virologischen Institut in China auf.
Die meisten bisher gemeldeten SARS-Fälle traten bei zuvor gesunden Erwachsenen im
Alter zwischen 25 und 70 Jahren auf, und einige SARS-Fälle wurden bei Kindern unter 15 Jahren berichtet. Es besteht offenbar keine Geschlechtsspezifität. Geringfügige
Geschlechtsunterschiede in der SARS-Inzidenz lassen sich durch eine unterschiedlich
starke Exposition gegenüber dem Krankheitserreger erklären, die insbesondere durch
das ungleiche Geschlechterverhältnis beim Krankenhauspersonal bedingt ist.
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Aktuelle Therapien
Wie man SARS am wirksamsten behandelt, ist bislang noch unklar. Es gibt kein spezielles Medikament zur Behandlung der Infektion. Die Behandlung bestand bisher
meist aus verschiedenen Antibiotika gegen bakterielle Erreger von atypischen Pneumonien. Mitunter wurden auch antivirale Präparate verabreicht. Außerdem wurden einige Patienten mit Steroiden in Kombination mit Virustatika behandelt.
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Patienten mit SARS werden genauso wie alle anderen Patienten mit schweren, ambulant erworbenen, atypischen Pneumonien behandelt, also auch auf der Intensivstation und mit künstlicher Beatmung. Bei Infektionsverdacht oder bestätigter Infektion sollten die Betroffenen sofort in ein Krankenhaus eingeliefert und auf der Isolierstation versorgt werden.
Was ist in der Entwicklung?
Zurzeit läuft eine Phase-1-Dosisfindungsstudie mit niedrig dosiertem oralem Interferon alpha, das aus menschlichen weißen Blutkörperchen gewonnen wurde. Die Fortsetzung der Arbeiten an einem Impfstoff gegen SARS ist nach wie vor von größter
Wichtigkeit, weil die Gefahr besteht, dass das Virus entweder aus seinen natürlichen
Reservoiren oder durch eine Laborkontamination erneut auftritt. Eine Forschungsgruppe hat einen potenziellen SARS-Impfstoff entwickelt. Das Produkt ist eine Spaltvakzine auf der Basis des viralen S-Proteins, das in einem bestimmten Expressionsvektorsystem produziert wird. Ein weiteres Konzept für einen potenziellen SARS-Impf-
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stoffkandidaten ist ein DNA-Impfstoff, der für das Spike-(S-)Glykoprotein des
SARS-assoziierten Coronavirus codiert. In einem Tiermodell wurde gezeigt, dass
der Impfstoff T-Zell- und Neutralisationsantikörper-Reaktionen auslöst sowie einen Immunschutz verleiht. Derzeit wird ein für klinische Studien geeigneter
hochreiner Impfstoff hergestellt, dessen Prüfung beim Menschen für 2006 vorgesehen ist.
Die Suche nach einem Impfstoff könnte neuen Auftrieb erhalten, wenn die Forschung klären kann, wie verschiedene Menschen auf Infektionen reagieren. Die
Schwere einer Infektion hängt offenbar von der späten Immunantwort des Patienten ab. Patienten mit weniger schwerer Infektion zeigten eine starke frühe
Immunreaktion, während Patienten, bei denen SARS später einen lebensbedrohlichen Verlauf nahm, keine der Transkriptionsfaktoren exprimierten, die bei
Patienten mit mild verlaufender Infektion eingeschaltet wurden. Man weiß noch
nicht, was hinter diesem Unterschied steckt. Es könnte möglicherweise ein Zusammenhang mit einem früheren Viruskontakt bestehen.
Übersicht (Auszug) wahrscheinlicher SARS-Fälle mit Ausbruch
der Krankheit zwischen
1. November 2002 und
31. Juli 2003
Gesamtzahl der Fälle
Gebiet
Insgesamt
Zahl von
Todesfällen a
China
7429
Frankreich
7
Deutschland
9
4
Italien
Irland
1
Rumänien
1
Russische Föderation
1
238
Singapur
Spanien
1
5
Schweden
Schweiz
1
Vereinigtes Königreich 4
USA
27
648
1
0
0
0
0
0
33
0
0
0
0
0
Im September 2005 berichteten Wissenschaftler, dass die Anheftung des SARSCoronavirus an menschliches Gewebe mit Hilfe eines Spike-Proteins auf der Virusoberfläche erfolgt, das an eine Peptidasedomäne des Angiotensin-Converting-Enzyms (ACE) auf der Zelloberfläche bindet. Den Forschern gelang es, die
Struktur der an die Domäne des humanen ACE gebundenen Bindungsdomäne
a.
zu bestimmen. Die genauen Einzelheiten der Bindung zeigen, wie bei den SARSAusbrüchen von 2002 und 2003 nur wenige veränderte Molekülreste zu einer
effizienten Infektion zwischen verschiedenen Arten und zur Mensch-zu-MenschÜbertragung führten. Die Kenntnis dieser Struktur ermöglicht ein gezieltes Design von
Varianten der Rezeptorbindungsdomäne bei der Entwicklung von weiteren Ansätzen
für einen wirksamen SARS-Impfstoff.
Nur Todesfälle, die auf SARS zurückgeführt wurden.
Außerdem hoffen die Forscher, bis 2006 über ein geeignetes Pathogenitätsmodell für
SARS zu verfügen und mit der Entwicklung von Lebendimpfstoffen und abgeschwächten Impfstoffen soweit zu sein, dass sie getestet werden können.
Langzeitperspektiven
Neue Forschungen eröffnen möglicherweise den Weg zur Entwicklung von Fusionshemmern gegen SARS. Mehrere Labors haben die Regionen des viralen Glykoproteins
identifiziert, die für die Virus-Zell-Fusion verantwortlich zu sein scheinen, und ein Peptid entdeckt, das diesen Vorgang auf ähnliche Weise blockieren kann wie Fusionshemmer zur Verhinderung der HIV-Zellinfektion.
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Darüber sind die Forscher der Ansicht, dass diese Strategie sehr wirksam zur Bekämpfung der Krankheit sein könnte. Die Verwendung solcher Peptide zur Behandlung von
SARS würde nur wenige Dosen erfordern, um einen Patienten mit akuter Infektion zu
behandeln, da es bisher keine chronische Form von SARS gegeben hat. Außerdem
könnten Anti-SARS-Peptide auch prophylaktisch als Nasenspray oder Inhalationspräparat verwendet werden, um Menschen mit erhöhtem Risiko vor der Krankheit zu
schützen.
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Es hat sich gezeigt, dass das SARS-assoziierte Coronavirus ein Spike-Glykoprotein mit
den Sequenzen Heptad-Repeat 1 und 2 (HR1 und HR2) enthält, die miteinander interagieren und einen fusogenen Kern bilden. Das Peptid CP-1 bindet mit hoher Affinität an ein Peptid aus der HR1-Region und bewirkt eine starke Hemmung des Virus
in Gewebekulturen. Wissenschaftler glauben, dass CP-1 eine Leitsubstanz beim Design
noch wirksamerer Anti-SARS-Peptide für die Arzneimittelentwicklung sein wird, und
jede Substanz, die die HR1-HR2-Interaktion blockiert, als Leitsubstanz für die Entwicklung von Virusfusionshemmern verwendet werden könnte.
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Schlaflosigkeit
Was ist Schlaflosigkeit?
Schlaflosigkeit oder Insomnie ist eine Schlafstörung. Das Wort „Insomnie“ geht auf
das lateinische Substantiv „somnium“ für Traum zurück. Menschen mit Insomnie 1.)
leiden an Einschlafstörungen, 2.) wachen nachts häufig auf und schlafen dann nur
schwer wieder ein, 3.) wachen morgens zu früh auf und 4.) empfinden ihren Schlaf
nicht als erholsam. Die von Schlaflosigkeit betroffenen Menschen leiden an einer oder
mehreren dieser Störungen. Die Insomnie kann Probleme während des Tages nach sich
ziehen, wie beispielsweise Schläfrigkeit, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen oder
Reizbarkeit. Die Krankheit ist nicht dadurch definiert, wie viele Stunden man jede
Nacht schläft, weil nicht jeder Mensch gleich viel Schlaf braucht. Die meisten Menschen kommen mit sieben oder acht Stunden Schlaf aus, einigen reichen weniger, und
andere brauchen mehr. Die meisten Menschen, die nachts schlecht schlafen, bleiben
zu lange im Bett, sodass sie noch länger wach liegen. Oft gehen den von Schlaflosigkeit betroffenen Menschen vor dem Einschlafen oder während sie nachts wach liegen,
bestimmte Gedanken nicht aus dem Kopf, und das Grübeln darüber verhindert einen
gesunden Schlaf.
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Es gibt die primäre und die sekundäre Insomnie. Die primäre Insomnie ist durch
Schlafstörungen gekennzeichnet, die nicht unmittelbar mit einem anderen Problem
zusammenhängen. Von einer sekundären Insomnie spricht man, wenn die Schlafstörungen auf andere gesundheitliche Probleme wie etwa eine Depression, Sodbrennen,
Asthma, allgemeine Schmerzen oder auf die Einnahme von Arzneimitteln zurückzuführen sind. Akute Schlaflosigkeit tritt nur kurzzeitig auf, während eine chronische Insomnie über längere Zeit besteht. Eine akute Insomnie dauert eine Nacht bis einige
Wochen. Sie wird häufig durch psychische Belastungen verursacht und kann mit einem ganz bestimmten Ereignis zusammenhängen. Eine chronische Insomnie besteht,
wenn die betroffene Person über einen Monat oder länger in mindestens drei Nächten pro Woche an Schlaflosigkeit leidet. Sie kann die verschiedensten Ursachen haben
und ist oft eine Begleiterscheinung anderer gesundheitlicher Probleme.
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Die genaue Abklärung, um die Diagnose einer Insomnie zu stellen, kann eine körperliche Untersuchung, eine Erhebung der Vorgeschichte und eine Schlafanamnese umfassen. Häufig werden die Patienten gebeten, einige Wochen lang ein Schlaftagebuch
zu führen. Falls erforderlich, können die Patienten zu speziellen Tests an ein Schlafmedizinisches Zentrum überwiesen werden.
Wer ist von Schlaflosigkeit betroffen?
Im Jahr 1999 ergab eine Erhebung in vier europäischen Ländern (Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Spanien) durch Befragungen von etwa 2.000 Erwachsenen
in jedem Land eine mittlere Prävalenz der Insomnie im Bereich von 30 bis 45 Prozent,
die den Ergebnissen früherer Studien entsprach. Dies bedeutet, dass in der EU etwa
100 Millionen Menschen an irgendeiner Form der Insomnie leiden. Ein weiteres interessantes Ergebnis dieser Studie war, dass 60 Prozent der befragten Schlaflosen angaben, dass sie nicht jede Nacht an Schlafstörungen litten, was die Wechselhaftigkeit
und Unregelmäßigkeit dieser Krankheit bestätigt. Die Insomnie verschlimmert sich oft
mit dem Alter und betrifft etwa 40 Prozent aller Frauen und 30 Prozent aller Männer.
Schlaflosigkeit ist eine
weit verbreitete Störung,
bei der die Betroffenen an
Schlafproblemen leiden.
Sie hat viele Ursachen und
kann das Leben zur Qual
machen. Obwohl bereits
zahlreiche Medikamente
entwickelt worden sind,
besteht nach wie vor Bedarf an neuen Behandlungsansätzen.
In den USA leiden etwa 70 Millionen Menschen an Schlafstörungen. Eine Erhebung
der National Sleep Foundation aus dem Jahr 2002 ergab, dass 35 Prozent der erwachsenen Bevölkerung der USA im Laufe des vorangangenen Jahres jede Nacht oder
in den meisten Nächten an Insomnie litten.
Aktuelle Therapien
Eine kurzzeitige Schlaflosigkeit kann mit pflanzlichen Einschlafmitteln behandelt werden oder erfordert unter Umständen überhaupt keine Behandlung. Wenn die Insomnie jedoch die Funktionsfähigkeit der Betroffenen tagsüber durch übermäßige Müdigkeit beeinträchtigt, sind über einen begrenzten Zeitraum Medikamente erforderlich. Zur Behandlung der chronischen Insomnie müssen zunächst eventuelle andere
zugrunde liegende Gesundheitsprobleme, die die eigentliche Ursache der Schlaflosigkeit sind, behandelt werden. Wenn die Insomnie weiter anhält, sind eine Verhaltenstherapie und Medikamente zu empfehlen. Die Standardpräparate sind Benzodiazepinrezeptoragonisten, Gammaaminobuttersäure-(GABA-)Rezeptoragonisten und
Präparate mit doppeltem Wirkmechanismus, die sowohl die Benzodiazepin- als auch
die GABA-Rezeptoren agonisieren.
Unabhängig davon, welche Medikamente verwendet werden, sollten diese nur zur
nächtlichen Anwendung für drei Wochen und anschließend für die Dauer von weiteren drei Wochen jede zweite Nacht oder intermittierend verordnet werden, so dass der
Patient eine gewisse Kontrolle über die erreichte Schlafqualität hat, gleichzeitig aber
auch keine Abhängigkeit entwickelt. Eine kurzzeitige Behandlung mit Schlafmitteln
ergänzt die nicht-pharmakologischen Maßnahmen, wie etwa das Führen eines Schlaftagebuchs, das Praktizieren von Entspannungstechniken, das Einüben von realistischen Schlaferwartungen und das Erlernen von Strategien zur Bewältigung der Stressfaktoren, die zur Schlaflosigkeit beitragen.
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Weitere Melatoninagonisten werden erforscht. Ein Präparat zur Behandlung der
Schlaflosigkeit bei älteren Menschen befindet sich in der Zulassung, während zwei
weitere Wirkstoffe noch in der klinischen Prüfung der Phase 2 sind.
Es hat sich gezeigt, dass einige
Verhaltensweisen die Schlaflosigkeit fördern können:
• die ständige Erwartung von
Schlafproblemen und die Angst
davor
• der Konsum von zuviel Koffein
• das Trinken von Alkohol vor dem
Schlafengehen
• das Zigarettenrauchen vor dem
Schlafengehen
• zu lange Schläfchen am Nachmittag oder abends
• unregelmäßiger oder ständig
gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus.
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Was ist in der Entwicklung?
Im September 2004 wurde ein Zulassungsantrag für ein Präparat einer neuen Klasse
von Medikamenten gegen Schlafstörungen bei den Behörden eingereicht. Der betreffende Wirkstoff ist ein selektiver Melatonin-1-Agonist. Es dürfte nach 35 Jahren das
erste neue Arzneimittel gegen Schlaflosigkeit sein. Melatonin 1 und sein Pendant, das
Melatonin 2, haben Rezeptoren in den suprachiasmatischen Kernen des Gehirns – der
Region über der Sehnervenkreuzung, die für die Regulation des 24-stündigen SchlafWach-Zyklus verantwortlich ist. Melatonin 1 reguliert den Schlaf und Melatonin 2 hilft
dem Körper bei der Umstellung zwischen Tag und Nacht.
Verhalten und Insomnie
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In weiteren klinischen Prüfungen der Phase 2 werden Melatonin1-Agonisten zur Behandlung von Störungen des zirkadianen
Schlaf-Wach-Rhythmus geprüft.
Für Formulierungen eines GABA-A-Rezeptoragonisten mit modifizierter und sofortiger Freisetzung zur Behandlung von Schlaflosigkeit wurde die Zulassung beantragt. Darreichungsformen mit
modifizierter Freisetzung (MR) sind zur Verwendung bei älteren
Patienten mit Durchschlafproblemen entwickelt worden. Patienten, die mit dem neuen MR-Präparat behandelt wurden, hatten
eine längere Gesamtschlafzeit und berichteten außerdem über
stärkere Verbesserungen in den Endpunkten für das Durchschlafen: Erwachen nach dem Einschlafen, Gesamtwachdauer und
Häufigkeit des Aufwachens nach dem Einschlafen. Die mit dem
Medikament behandelten Patienten konnten auch leichter einschlafen – die Einschlaflatenz verbesserte sich signifikant.
Außerdem laufen klinische Prüfungen der Phase 3 mit einer Retardform eines Wirkstoffs, der als Omega-Benzodiazepinagonist wirkt.
Andere Forschergruppen arbeiten an einem ehrgeizigen Phase 3-Programm mit einem
GABA-Rezeptoragonisten, der zur Behandlung der Schlaflosigkeit bei Patienten mit
Depression oder rheumatoider Arthritis und bei Frauen mit Wechseljahresbeschwerden entwickelt wird. Ein Muscimolanalogon mit GABA-A-rezeptoragonistischer Wirkung wird derzeit in Phase 3-Studien erprobt, und die Zulassung wird für Mitte des
Jahres 2007 erwartet.
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Langzeitperspektiven
Die meisten Erhebungen zum Thema Schlaflosigkeit haben eine suboptimale Anwendung von medikamentösen Therapieansätzen durch die meisten Betroffenen aufgezeigt. Dies macht deutlich, wie dringend die Entwicklung neuer Methoden der Anwendung von Schlafmedikamenten ist, um die Zwänge und Einschränkungen der
öffentlichen Gesundheitssysteme mit der Bereitstellung einer optimalen Versorgung
für die Patienten in Einklang zu bringen. Die Hauptziele sind, eine psychische
Abhängigkeit von Schlafmitteln zu vermeiden und ihren Gebrauch bedarfsorientiert
zu rationalisieren.
80
Vor kurzem haben Forscher zwei Zentren im Gehirn lokalisiert, die ihrer Ansicht nach
der „Schlafschalter“ des menschlichen Gehirns sind. Ein Areal im vorderen Hypothalamus, der so genannte ventrolaterale präoptische Nukleus, enthält Neuronen, die im
Schlaf aktiv sind, während Neuronen im hinteren lateralen Hypothalamus für die Aufrechterhaltung der normalen Wachheit eine wichtige Rolle spielen. Gemeinsam gelten
diese voneinander abhängigen Strukturen als eine Art „Schlafschalter“, der die Menschen tagsüber wach hält und nachts schlafen lässt. Von diesen Erkenntnissen erhofft
man sich neue Medikamente, die nicht das komplette Zentralnervensystem sedieren,
sondern vielmehr spezifisch und gezielt auf die Zentren wirken könnten, die eigentlich
den Schlaf steuern, so dass die erzielte Wirkung dem natürlichen Schlaf näher kommt.
Ein weiterer Schwerpunkt laufender Forschungsprojekte sind Neuropeptide. Dem Neuropeptid Hypocretin, das auch als Orexin bezeichnet wird, schreibt man eine Rolle
beim Aufwachen zu, weil seine Ausschaltung zur Entwicklung der Schlafstörung Narkolepsie führt. Tiermodelle haben gezeigt, dass eine Schädigung von Neuronen in der
als Substantia nigra bezeichneten Gehirnregion, die Hypocretin-Rezeptoren tragen, Insomnie verursacht. Die Forschung versucht herauszufinden, ob die Insomnie nach Läsionen der Substantia nigra eine unmittelbare Auswirkung ist oder ob die Schlaflosigkeit auf die gesteigerte motorische Aktivität infolge der reduzierten tonischen inhibitorischen Kontrolle durch die Substantia nigra zurückzuführen ist.
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Sklerodermie
Was ist Sklerodermie?
Sklerodermie bedeutet wörtlich „harte Haut“. Der Name ist von den griechischen Wörtern „sklerosis“ für Verhärtung und „derma“ für Haut abgeleitet. Bei der Sklerodermie
bildet Kollagen dickes, verhärtetes Bindegewebe um die Zellen der Haut und inneren
Organe. Eigentlich ist Sklerodermie nur ein Symptom einer Gruppe von Störungen, die
alle durch anormales Wachstum von Bindegewebe gekennzeichnet sind. Bei einigen
Formen führt der Krankheitsprozess zu harter, straffer Haut. Bei anderen Formen befällt die Krankheit Blutgefäße und innere Organe, wie z.B. Herz, Lunge und Nieren. Die
Sklerodermie ist sowohl eine rheumatische als auch eine Bindegewebskrankheit. Das
Adjektiv „rheumatisch“ beschreibt die Entzündung und/oder die Schmerzen in Muskeln, Gelenken oder faserigem Bindegewebe. Bindegewebserkrankungen betreffen die
Grundsubstanzen der Haut, der Sehnen und der Knochen.
Sklerodermie ist eine
behindernde Erkrankung,
bei der sich um Hautzellen
und Zellen der inneren
Organe verhärtetes Bindegewebe bildet. Die bisher
verfügbaren Therapien lindern die Symptome und
begrenzen die bleibenden
Schädigungen. In vielfältigen Forschungsaktivitäten
wird nach neuen Medikamenten gesucht.
Die Ursache der Sklerodermie ist unbekannt. Sie ist keine Infektionskrankheit. Zwillingsstudien zeigen, dass sie nicht erblich ist, und die Krankheit wird nicht von Eltern
an ihre Kinder weitergegeben. Die Wissenschaft geht bislang davon aus, dass die Sklerodermie durch verschiedene Faktoren, wie etwa eine anormale Aktivität des Immunsystems, genetische Veranlagung, Hormone und Umwelteinflüsse verursacht wird. Die
Forschung hat gezeigt, dass eine Schwangerschaft das Risiko von Frauen für Sklerodermie erhöht. Weitere Hinweise deuten darauf hin, dass Umweltfaktoren die Krankheit bei genetisch prädisponierten Menschen auslösen könnten. Als mögliche Auslöser stehen Virusinfektionen, bestimmte Klebstoffe und Beschichtungen sowie organische Lösungsmittel im Verdacht.
Man unterscheidet zwei Formen der Sklerodermie: die lokalisierte Sklerodermie und
die systemische Sklerodermie. Die lokalisierte Form ist auf die Haut und benachbarte
Gewebe beschränkt. Innere Organe sind nicht betroffen, und die lokalisierte Sklerodermie geht nicht in die systemische Form über. Lokalisierte Erkrankungen bessern
sich oder verschwinden oft mit der Zeit von selbst wieder, doch die Hautveränderun-
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gen und Schädigungen können auch dauerhaft sein. Deshalb kann die lokalisierte
Sklerodermie eine schwerwiegende und behindernde Erkrankung sein.
Es gibt zwei Arten von lokalisierter Sklerodermie: die Morphea, was auf griechisch
„Form“ oder „Struktur“ bedeutet, und die lineare Sklerodermie. Morphea ist der Name
für rötliche Hautflecken, die sich zu rundlichen Verhärtungen verdicken und vor allem
im Bereich von Brustkorb, Bauch und auf dem Rücken auftreten. Die Morphea klingt
innerhalb von drei bis fünf Jahren nach und nach wieder ab, hinterlässt jedoch bei den
Patienten dunklere Hautflecken und in seltenen Fällen auch eine Muskelschwäche.
Die lineare Sklerodermie ist durch eine einzelne linien- oder bandförmige Verdickung
und Verfärbung der Haut gekennzeichnet. Die verhärtete Linie kann am Arm oder
Bein entlang verlaufen, bei einigen Patienten auch an der Stirn. Dermatologen beschreiben dieses Bild mit dem französischen Ausdruck „coup de sabre“ oder „Säbelhiebtyp“.
Die systemische Sklerodermie befällt die Gewebsschichten um die Blutgefäße und die
wichtigsten Organe. Bei den Patienten zeigen sich alle oder nur einige der Symptome,
die sich unter dem Akronym CREST zusammenfassen lassen: 1.) Calcinose, eine krankhafte Ablagerung von Calcium in den Bindegeweben; 2.) das Raynaud-Phänomen: ein
Zustand, bei dem sich die kleinen Blutgefäße der Hände oder Füße als Reaktion auf
Kälte oder Angst zusammenziehen; 3.) Funktionsstörung des Ösophagus (engl. esophagus), wenn die glatten Muskeln der Speiseröhre ihre normale Beweglichkeit einbüßen; 4.) Sklerodaktylie mit verdickter und angespannter Haut an den Fingern infolge von vermehrten Kollageneinlagerungen in die Hautschichten; und 5.) Teleangiektasien, das heißt kleine rote Pünktchen an den Händen und im Gesicht, die durch eine
Erweiterung der kleinsten Blutgefäße in der Haut verursacht werden.
Wer ist von Sklerodermie betroffen?
Die Sklerodermie ist vor allem bei Frauen zu beobachten, tritt aber auch bei Männern
und Kindern auf. In der Altersgruppe von 30-55 Jahren ist die Sklerodermie bei Frauen 7-12 Mal so häufig wie bei Männern. Die Krankheit betrifft Menschen aller ethnischen Gruppen. Es zeigen sich jedoch gewisse Trends bei den einzelnen Krankheitsformen. Lokalisierte Formen sind in der weißen Bevölkerung häufiger zu beobachten
als bei Afroamerikanern. Die Morphea tritt gewöhnlich im Alter zwischen 20 und 40
Jahren auf, und die lineare Sklerodermie kommt hauptsächlich bei Kindern und Jugendlichen vor.
Die systemische Sklerodermie tritt typischerweise im Alter von 30 bis 50 Jahren auf.
Sie betrifft farbige Frauen häufiger als weiße Frauen. Weil die systemische Sklerodermie oft schwer zu diagnostizieren ist, können Epidemiologen nur schätzen, wie viele
Fälle es tatsächlich gibt. Die Schätzungen der Anzahl von Patienten in Europa liegen
im Bereich zwischen 40 und 200 Erwachsenen pro eine Million Einwohner, was etwa
16.000 bis 80.000 Fällen entspricht. Die Fünfjahres-Überlebensrate bei Patienten mit
der systemischen Form der Krankheit beträgt etwa 80 Prozent.
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Aktuelle Therapien
Es gibt zurzeit keine Therapie, mit der die pathologische Bildung von Kollagen bei der
Sklerodermie eingedämmt oder unterdrückt werden könnte. Deshalb konzentriert sich
die Therapie darauf, die Symptome zu lindern und Schädigungen zu begrenzen. Zur
Linderung der Gelenkentzündung und der Muskelschmerzen werden gewöhnliche
Schmerzmedikamente und nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) verwendet. Cremes
und Lotionen auf Ölbasis werden aufgetragen, um die verhärtete Haut geschmeidiger
zu machen. Zur Behandlung von Sodbrennen werden Medikamente aus der Klasse der
Protonenpumpenhemmer oder H2-Antagonisten verabreicht.
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Lokalisierte Sklerodermie (Haut)
Mit freundlicher Genehmigung der Dermatology Group
Practice, Brüssel, Belgien
© DGP, Brüssel, Belgien
Etwa 10-15 Prozent der Patienten mit systemischer Sklerodermie entwickeln entweder
eine Lungenfibrose (Verhärtung des Lungengewebes durch übermäßige Bildung von
Kollagen) oder eine pulmonale Hypertonie (erhöhter Blutdruck in der Arterie, die das
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Blut aus dem Herzen in die Lunge transportiert). Die Lungenfibrose wird mit Immunsuppressiva und niedrig dosierten Corticosteroiden behandelt. Die pulmonale Hypertonie wird mit Medikamenten wie Prostazyklinen oder 5-Phosphodiesterase-(5-PDE-)
Hemmern behandelt, die die Blutgefäße erweitern. Bei Patienten mit Herzproblemen
wie Kardiomyopathie (Vernarbung und Schwächung des Herzens), Myokarditis (Entzündung des Herzmuskels) oder Arrhythmie (Herzrhythmusstörungen) reichen die Behandlungsmöglichkeiten von Medikamenten bis hin zu chirurgischen Eingriffen. Etwa
15-20 Prozent der Patienten entwickeln schwere Nierenprobleme. Medikamente wie
die so genannten Angiotensin-Converting-Enzyme-Hemmer (ACEHemmer) haben dafür gesorgt, dass das sklerodermiebedingte Nierenversagen heutzutage nicht mehr so bedrohlich ist wie früher.
Was ist in der Entwicklung?
Wirkstoffe, die die Fibroblastenaktivität hemmen, könnten von Nutzen sein, wenn sie im Frühstadium der Krankheit verabreicht werden. In einer klinischen Phase 1/2-Studie wird die Wirkung eines
Endothelin-1-Antagonisten auf das Fortschreiten der Krankheit
untersucht. Endothelin-1 hat verschiedene spezielle Eigenschaften
wie unter anderem eine profibrotische und entzündungsfördernde
Aktivität. Außerdem bewirkt es eine Vasokonstriktion (Gefäßverengung).
Forscher untersuchen die Wirkung einer neu entdeckten Imidazochinolin-Verbindung, die Zytokine induziert, welche die fibrotische Aktivität hemmen. Die Substanz wird bei lokalisierter Sklerodermie als fünfprozentige
Creme lokal aufgetragen. Die in dieser klinischen Phase 3-Studie beurteilte Hauptwirkung wird die Besserung der Hautverhärtung sein.
Erste Studien legen nahe, dass Relaxin, ein Hormon, das die Dehnung der Haut von
Frauen während der Schwangerschaft unterstützt, das Bindegewebe von Frauen mit
Sklerodermie geschmeidiger machen könnte. Das Hormon bewirkt vermutlich eine
Hemmung der Fibrose.
Andere Forschergruppen untersuchen die Wirksamkeit verschiedener Behandlungen
wie z.B.: 1.) Kombinationen von Immunsuppressiva; 2.) oral verabreichte Kollagenpeptide; 3.) ein Medikament zur Hemmung der Synthese von Typ-I-Kollagen, dem
Hauptbestandteil des Bindegewebes; 4.) Ultraviolettlicht-Therapie bei lokalisierten
Formen der Sklerodermie; und 5.) Stammzelltransfusionen, d.h. eine Form von Knochenmarktransplantation, bei der körpereigene Zellen des Patienten verabreicht werden, um das Frühstadium der systemischen Sklerodermie zu behandeln.
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Umweltfaktoren und insbesondere die Belastung mit bestimmten Schadstoffen werden als eine Ursache der Sklerodermie diskutiert. Deshalb werden breit angelegte,
prospektive Fall-Kontroll-Studien durchgeführt. Mit finanzieller Unterstützung durch
die EU hat die European League against Rheumatism (EULAR) die Datenbank EUSTAR (EULAR Scleroderma Trials and Research Group) eingerichtet, um das Fundament
für eine bessere Zusammenarbeit zwischen klinischer Praxis und Forschungszentren zu
legen, die sich mit der Pathophysiologie und Ätiologie der Krankheit befassen. Das
Forschungsnetz wird bestrebt sein, sowohl die Patientenversorgung als auch das Umfeld und die Infrastruktur für die klinische Forschung und die Grundlagenforschung zu
verbessern.
M E D I K A M E N T E
Langzeitperspektiven
Wissenschaftler haben ein Gen entdeckt, das mit der Entwicklung der Sklerodermie
bei Choctaw-Indianern, bei denen die Krankheit sehr viel häufiger als in anderen Bevölkerungsgruppen auftritt, im Zusammenhang steht. Dieses Gen codiert für das Protein Fibrillin-1, von dem Forscher vermuten, dass es möglicherweise das Risiko für die
Krankheit erhöht.
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Spondylitis ankylosans
Was ist Spondylitis ankylosans?
Die Spondylitis ankylosans, die auch als Marie-Strümpell-Krankheit oder BechterewKrankheit bezeichnet wird, ist eine systemische rheumatische Erkrankung des Achsenskeletts und der großen peripheren Gelenke. Die Krankheit ist bereits seit Jahrtausenden bekannt. Man hat ägyptische Mumien gefunden, deren Skelette die typischen
Veränderungen der Spondylitis ankylosans aufweisen. Zwischen 1893 und 1898 beschrieben Pierre Marie in Frankreich, Adolph Strümpell in Deutschland und Vladimir
Bechterew in Russland die Krankheit genauer und ermöglichten so eine sichere
Diagnose.
Die Spondylitis ankylosans ist eine Erkrankung des Bindegewebes, die zu Entzündungen der Gelenke, Bänder und Sehnen in Wirbelsäule, Hüfte und den Extremitäten
führt. Ihre Pathogenese ist bisher nur unvollständig geklärt. Es spricht viel für eine genetische Veranlagung zur Krankheit, deren Ausbruch durch einen Umweltfaktor wie
z.B. Darmbakterien ausgelöst werden könnte. Der Begriff „ankylosans” bedeutet versteifend (ankylosierend) und bezeichnet einen Zustand, in dem die Knochen eines Gelenks unbeweglich, steif oder starr sind. Er ist von dem griechischen Wort „angkylos“
(gebogen) abgeleitet. Eine Spondylitis ist eine Entzündung der einzelnen Wirbelkörper
der Wirbelsäule. Das griechische Wort „spondylos“ bedeutet Wirbel.
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Das häufigste Symptom sind Rückenschmerzen, doch die Krankheit kann auch atypisch in den peripheren Gelenken beginnen. Wie die meisten Formen der Arthritis verläuft auch die Spondylitis ankylosans in Schüben, d.h. bei den Patienten können sich
Phasen ohne Symptome und Zeiten mit leichten bis mittelschweren Symptomen abwechseln. Ein weniger häufiges Symptom ist eine Entzündungsreaktion der Iris, die
auch als anteriore Uveitis bezeichnet wird. Weitere frühe Symptome und Krankheitszeichen sind eine verminderte Erweiterung des Brustraums beim Atmen infolge einer
diffusen Beteiligung der Wirbel und der Rippen, erhöhte Körpertemperatur, Müdigkeit, Gewichtsverlust und Anämie.
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Neben Rückenschmerzen klagen die Betroffenen häufig über Morgensteifigkeit, die typischerweise durch körperliche Aktivität nachlässt. Eine gekrümmte oder vornüber gebeugte Haltung lindert die Rückenschmerzen. Deshalb ist bei Patienten, die mit ihren
Beschwerden zum ersten Mal einen Arzt aufsuchen, häufig eine mehr oder weniger
ausgeprägte Kyphose zu beobachten. Die Betroffenen nehmen oft eine typische gebeugte Haltung ein. Mit der Zeit können die Knochen der Wirbelsäule miteinander
verschmelzen. Bei einigen Patienten bleibt der Rücken schließlich gekrümmt und unbeweglich als so genannte „Bambusstabwirbelsäule“, während bei anderen der Rükken gerade und steif ist.
Die Diagnose wird durch eine Röntgenaufnahme bestätigt. Die ersten Anomalien treten an den Iliosakralgelenken auf. Frühe Veränderungen in der Wirbelsäule sind eine
Demineralisation der oberen Lendenwirbel, eine Verkalkung der Bänder und einige zunehmende Bandverknöcherungen. Bei etwa 35 Prozent der Patienten treten systemische Manifestationen auf. Eine Nervenkompression, Wirbelfrakturen oder eine unvollständige Verschiebung (Subluxation) der Wirbelkörper können mitunter zu neurologischen Zeichen führen.
Die Spondylitis ankylosans verursacht schmerzhafte Entzündungen des
Skeletts und der großen
Gelenke. Zahlreiche Medikamente können die Symptome erfolgreich lindern.
Neue Ansätze sollen künftig die Lebensqualität von
Patienten mit dieser
Krankheit verbessern.
Wer ist von Spondylitis ankylosans betroffen?
Die Spondylitis ankylosans tritt bei weniger als einem Prozent der Bevölkerung auf. In
der Europäischen Union sind etwa 1,5 Millionen Menschen von der Krankheit betroffen. Nach Schätzungen der Spondylitis Association of America leiden in den USA zwischen 350.000 und einer Million Menschen an Spondylitis ankylosans. Die Krankheit
ist bei Männern fünfmal so häufig wie bei Frauen, und die ersten Symptome treten
gewöhnlich im Alter von 20 bis 40 Jahren auf. Bei Verwandten ersten Grades von Betroffenen ist die Krankheit 10 bis 20mal so häufig zu beobachten wie in der allgemeinen Bevölkerung . Bei dunkelhäutigen Menschen ist die Inzidenz der Krankheit generell niedriger als in der weißen Bevölkerung.
Eine hohe Prävalenz des humanen Leukozytenantigens HLA-B27 bei Patienten mit
Spondylitis ankylosans spricht für eine genetische Veranlagung, doch auch Umweltfaktoren wird eine Rolle zugeschrieben, da bei nur sechs von zehn eineiigen Zwilligen
beide an der Krankheit leiden. Der Zusammenhang zwischen der Krankheit und HLAB27 ist in allen Bevölkerungsgruppen zu beobachten: in Gruppen mit geringer Häufigkeit von HLA-B27 ist auch die Häufigkeit der Spondylitis ankylosans niedrig. Das
Risiko für die Entwicklung der Krankheit beträgt bei Trägern von HLA-B27 etwa 20
Prozent.
Lendenwirbel
Kreuzbein
Iliosakralgelenk
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Die Wirbelsäule
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Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) erleichtern die Bewegungstherapie, da sie die
Entzündung der Gelenke sowie Schmerzen und Muskelverkrampfungen dämpfen. Die
meisten NSAR haben sich bei Spondylitis ankylosans bewährt. Verträglichkeit und Toxizität, nicht die geringfügigen Unterschiede in der Wirksamkeit, bestimmen die Wahl
der Präparate. Die Tagesdosis an NSAR sollte so niedrig wie möglich sein, doch bei aktiver Erkrankung können Höchstdosen erforderlich werden. Einige neue NSAR, die als
COX-2-Hemmer bezeichnet werden, weil sie das Enzym Cyclooxygenase-2 hemmen,
sind genauso wirksam. Die Anwendung von COX-2-Hemmern über lange Zeit oder bei
Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren sollte jedoch mit Umsicht erfolgen.
Brustwirbel
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Aktuelle Therapien
Gelenkbeschwerden lassen sich mit Medikamenten lindern. Zur Förderung der richtigen Haltung und der Gelenkbeweglichkeit sind tägliche körperliche Bewegung und
weitere unterstützende Maßnahmen unverzichtbar, um Muskelgruppen zu kräftigen,
die potenziellen Deformitäten entgegenwirken. Wichtig ist vor allem die Kräftigung
der Streckmuskeln des Rückens, weniger der Beugemuskeln. Auch ein Rückenkorsett
kann erforderlich sein, um den Rücken gerade zu halten. Orthopädische operative Eingriffe kommen nur in Betracht, wenn das Hüft- oder Kniegelenk vollständig verschlissen oder in Beugestellung versteift ist.
Halswirbel
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Bei akuter Iritis sind normalerweise topische Corticosteroide angezeigt. Die direkte Injektion von Corticosteroiden in Gelenke kann helfen, vor allem wenn ein
oder zwei periphere Gelenke stärker entzündet sind als andere, so dass Bewegungstherapie und Rehabilitation beeinträchtigt sind.
In den vergangenen drei Jahren haben klinische Befunde gezeigt, dass Medikamente, die auf das entzündungsfördernde Zytokin Tumornekrosefaktor alpha
(TNF-alpha) einwirken, bei Spondylitis ankylosans wirksam waren. Dies war ein
bedeutender Durchbruch in der Behandlung dieser Krankheit. Bislang stehen
zwei therapeutische Ansätze zur Verfügung.
Einer der Wirkstoffe ist ein muriner monoklonaler Antikörper gegen TNF-alpha,
der irreversibel an das Zytokin auf der Zellmembran und im Blut bindet. Der
zweite Wirkstoff ist ein TNF-alpha-Fusionsprotein, das als kompetitiver Inhibitor
an den spezifischen TNF-alpha-Rezeptoren von weißen Blutkörperchen, so genannten T-Lymphozyten, wirkt. Die beiden Wirkstoffe scheinen sowohl an spinalen als auch an peripheren Gelenken wirksam zu sein und könnten so möglicherweise die Krankheit aufhalten und die Versteifung der Wirbelsäule verhindern oder verzögern. Beide Medikamente haben sich als klinisch wirksam erwiesen und sind in Europa zur Behandlung von Patienten mit akuter Erkrankung zugelassen, die auf eine konventionelle Therapie nicht ausreichend angesprochen haben.
Was ist in der Entwicklung?
Kürzlich stellten Forschergruppen die Daten aus klinischen Langzeitstudien vor, die
bei Patienten mit aktiver Spondylitis ankylosans, die mit Medikamenten gegen TNFalpha behandelt worden waren, ein anhaltendes klinisches Ansprechen mit Besserung
der Symptomatik zeigen.
Ende 2005 wurde der Zulassungsantrag für einen dritten TNF-alpha-Blocker, einen
humanen monoklonalen Antikörper gegen das Zytokin, zur Behandlung von Patienten
mit Spondylitis ankylosans bei den zuständigen Behörden eingereicht.
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Bisphosphonate werden bisher vor allem zur Behandlung der Osteoporose und anderer Knochenerkrankungen eingesetzt. Neuere Forschungsarbeiten legen nahe, dass sie
die Bildung von proinflammatorischen Zytokinen wie Interleukin-1 (IL-1), IL-6 und
TNF-alpha unterdrücken könnten. Diese Behandlung wird zurzeit in klinischen Phase
2-Studien geprüft und könnte auch gegen die Osteoporose helfen, die bei Spondylitis
ankylosans häufig zu beobachten ist.
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Zur Zeit laufen klinische Studien, um die Wirkung einer krankheitsmodifizierenden
Substanz, die bisher bei entzündlichen Darmkrankheiten verwendet worden ist, bei
Patienten mit peripheren Gelenkerkrankungen zu untersuchen. Außerdem geht die
Forschung der Frage nach, welchen Einfluss eine genetische Veranlagung auf den
Schweregrad der Spondylitis ankylosans haben könnte, d.h. ob möglicherweise bestimmte Gene dafür verantwortlich sind, dass es bei manchen Patienten mit Spondylitis ankylosans schneller zu einer Verschmelzung der Knochen in der Wirbelsäule
kommt oder dass mit höherer Wahrscheinlichkeit eine orthopädische Operation erforderlich ist.
Langzeitperspektiven
Die entscheidende Rolle, die TNF-alpha bei der Entwicklung der Krankheit spielt, wird
zur weiteren Erforschung der unterschiedlichsten Moleküle führen. Proteine, monoklonale Antikörper und kleine Moleküle, die die Freisetzung oder die Funktion von entzündungsfördernden Zytokinen hemmen oder durch Einwirkung auf die MAP-Kinase
die Entzündungskaskade unterdrücken, sind noch in einem sehr frühen Forschungsstadium.
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Typhus
Was ist Typhus?
Typhus ist eine lebensbedrohliche Infektionskrankheit des Verdauungstrakts, die durch
das Bakterium Salmonella typhi verursacht wird. Die Krankheit hält einige Wochen an,
und die Genesung dauert relativ lange. Die Inkubationszeit beträgt 10 bis 20 Tage, je
nachdem, wie hoch die aufgenommene Bakterienmenge war. Bei der milden Form der
Erkrankung wird der Erreger bereits in einem sehr frühen Stadium der Infektion eliminiert und es treten oft nur leichte Symptome auf.
S. typhi lebt nur im Menschen. Typhus kann man bekommen, wenn man Nahrungsmittel oder Getränke aus den Händen einer Person, die das Bakterium ausscheidet, zu
sich nimmt. Einige wenige Erkrankte, die so genannten Dauerausscheider, bleiben
auch nach der Genesung von Typhus noch Träger des Bakteriums. Sowohl Patienten
als auch Träger scheiden S. typhi im Stuhl aus. In vielen Ländern dürfen an Typhus Erkrankte, die mit Lebensmitteln arbeiten oder Kleinkinder betreuen, ihre Arbeit erst
wieder aufnehmen, wenn nachgewiesen ist, dass sie das Bakterium nicht mehr in sich
tragen. Eine weitere Infektionsquelle ist mit S. typhi verseuchtes Abwasser, das in
Trinkwasser oder Wasser gelangt, mit dem Lebensmittel gewaschen werden.
Typhus ist eine lebensbedrohliche Infektionskrankheit des Verdauungstrakts, die in Regionen
mit schlechten hygienischen Verhältnissen immer
noch weit verbreitet ist.
Eine bessere Prävention
kann die Ausbreitung der
Krankheit aufhalten, doch
auch neue Antibiotika und
Impfstoffe sind erforderlich. Die Genom- und Proteomforschung könnte zu
einem besseren Verständnis der Krankheit führen.
Die klassische Typhusinfektion verläuft in zwei Phasen. Nach Aufnahme von S. typhi
in den Körper vermehrt sich das Bakterium und breitet sich in die Blutbahn aus. Der
Körper reagiert mit anhaltendem Fieber bis 40°C, und der Allgemeinzustand des Patienten verschlechtert sich stark. Der Patient fühlt sich schwach, erbricht oder leidet
an Bauchschmerzen, klagt über Kopfschmerzen oder Appetitlosigkeit. Bei einigen Patienten tritt ein Hautausschlag mit flachen, rosaroten Flecken auf. Das Bakterium
greift weiter auf das Knochenmark, die Leber und die Gallengänge über, aus denen es
in den Darm einwandert. Die Diagnose wird bestätigt, indem Stuhl- oder Blutproben
auf S. typhi getestet werden. Die erste Phase der Erkrankung dauert eine Woche, und
gegen Ende dieser Woche zeigt der Patient eine zunehmende Apathie und Bewusstseinstrübung.
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Wenn rechtzeitig eine geeignete
Antibiotikatherapie eingeleitet
wird, beginnt sich der Patient nach
zwei bis drei Tagen zu erholen, und
es kommt selten zu Todesfällen.
Wenn jedoch eine Behandlung
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In der zweiten Phase der Infektion dringt der Erreger in das Immungewebe des Dünndarms ein, und die häufig sehr heftigen Dünndarmsymptome beginnen. In der zweiten und dritten Woche der Erkrankung treten die typischen Symptome der Darminfektion auf, während die Körpertemperatur hoch
bleibt. In der dritten Woche wird
die Verstopfung durch starke
Durchfälle abgelöst. Der Stuhl
kann auch Blut enthalten. Erst in
der vierten bis fünften Woche sinkt
das Fieber, und der Allgemeinzustand des Patienten bessert sich
allmählich.
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ausbleibt, sterben bis zu 20 Prozent der Patienten an den Komplikationen der Infektion. An Typhus sind einige berühmte Menschen wie Franz Schubert, Wilbur Wright
und der britische Prinzgemahl Albert von Sachsen-Coburg-Gotha gestorben.
Wer ist von Typhus betroffen?
Typhus ist in einigen Teilen der Welt, in denen schlechte hygienische Bedingungen
herrschen und das Trinkwasser häufig mit Abwasser verseucht ist, immer noch weit
verbreitet. Denn die Verbreitung der Krankheit hängt in erster Linie von den hygienischen Verhältnissen ab. In den Entwicklungsländern sind jährlich etwa 21,5 Millionen
Menschen jeden Alters betroffen. In Endemiegebieten sind Kinder im Alter von einem
bis fünf Jahren am stärksten gefährdet, weil die passiv erworbenen mütterlichen Antikörper allmählich verschwinden und noch keine Immunität besteht. Im Jahr 2000 verursachte Typhus weltweit schätzungsweise 220.000 Todesfälle.
In Industrieregionen wie den USA, Kanada, Westeuropa, Australien und Japan ist die
Inzidenz niedrig. In Europa und in den USA treten jährlich etwa 500 Fälle auf. Die
meisten dieser Patienten holen sich die Infektion auf Auslandsreisen.
Aktuelle Therapien
In schweren Fällen erfordert die Behandlung eine stationäre Aufnahme ins Krankenhaus. Dort kann der Flüssigkeits- und Salzverlust mit einer geeigneten Infusionstherapie behandelt werden. Im Krankenhaus werden die Infizierten auf der Isolierstation
versorgt. Eine rechtzeitige Therapie mit Antibiotika ist von entscheidender Bedeutung.
Häufig verordnete Medikamente sind entweder ein Penicillin, ein Kombinationspräparat aus einem Sulfonamid plus Diaminopyrimidin oder ein Antibiotikum vom Typ
der Gyrasehemmer.
Zur Vorbeugung stehen zwei Arten von Typhusimpfstoffen zur Verfügung: 1.) ein oraler abgeschwächter Lebendimpfstoff, der in vier Dosen verabreicht wird. Alle zwei
Tage wird eine Kapsel eingenommen. Es dauert zwei Wochen, bis der Impfstoff wirkt;
2.) ein intramuskulär injizierbarer Impfstoff auf der Basis eines Kapselpolysaccharids,
der leicht zu verabreichen ist, weil nur eine Dosis erforderlich ist. Typhusimpfstoffe verlieren nach einigen Jahren ihre Wirksamkeit. Nach der oralen Grundimmunisierung ist
alle fünf Jahre eine Auffrischung erforderlich. Bei der injizierbaren Darreichungsform
wird alle drei Jahre eine Auffrischung empfohlen.
In endemischen Ländern besteht die wirksamste Strategie zur Verringerung der Inzidenz von Typhus darin, Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu treffen, um sauberes Trinkwasser und eine geregelte Fäkalienentsorgung sicherzustellen.
Diese langfristigen Maßnahmen verringern auch die Inzidenz anderer Darmerkrankungen.
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Was ist in der Entwicklung?
In Anbetracht der zunehmenden Resistenz von Bakterien gegenüber Antibiotika wie
Penicillin und die Kombination Sulfonamid/Diaminopyrimidin untersuchen klinische
Forscher bei Kindern mit Typhus die Wirksamkeit anderer Präparate, wie beispielsweise Cephalosporine der dritten Generation, neu entwickelte Gyrasehemmer und Makrolide. Da Makrolide oral verabreicht werden können, könnten solche Präparate in
Entwicklungsländern mit ihren begrenzten medizinischen Ressourcen eine Alternative
für die Behandlung von Typhus bei Kindern darstellen.
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Elektronenmikroskopische
Aufnahme des Bakteriums
Salmonella typhi
Wissenschaftler arbeiten an verschiedenen Impfstoffprojekten, um einen schnellen
Schutz vor Typhus mit einer Einzeldosis herbeizuführen. Ein oraler Impfstoff wird zurzeit in einer klinischen Phase 1-Dosisfindungsstudie getestet, um die Sicherheit und
Immunogenität beim Menschen nachzuweisen. Andere Forscher untersuchen die Immunisierung gesunder Freiwilliger mit neuen oralen abgeschwächten S. typhi-Impfstämmen mit definierten kombinierten aroC- und Typ-III-Sekretion-Mutationen.
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Für einen dritten oralen Impfstoff ist erst kürzlich die klinische Prüfung der Phase 2 unter Verwendung eines vereinfachten Verabreichungsschemas abgeschlossen worden.
Die neue Arzneiform ermöglicht die sofortige Verabreichung nach Auflösung in Leitungswasser. Der Impfstoff
wirkt sowohl auf das Schleimhautimmunsystem, die erste
Abwehrlinie des Körpers, als auch auf das systemische Immunsystem. Dies ist entscheidend für eine erfolgreiche Einzeldosisstrategie. Das Problem bei Injektionsimpfstoffen
ist, dass sie im Allgemeinen zwar eine systemische Immunantwort auslösen, jedoch nur eine schwache Schleimhautimmunreaktion.
Ein weiterer Typhusimpfstoffkandidat ist bereits in drei klinischen Phase 1/2-Studien untersucht worden. Die Studien zeigen, dass der Impfstoff
in einer Einzeldosis hoch immunogen ist und ein gutes Sicherheitsprofil aufweist. Das
Entwicklungsprogramm der klinischen Phase 3 soll nun Wirksamkeitsdaten in Gebieten liefern, in denen Typhus endemisch ist. Im Mittelpunkt dieser Wirksamkeitsstudie
werden Kinder stehen.
Sporadische Ausbrüche
Mäßige Endemie
Hohe Endemie
Langzeitperspektiven
Forscher untersuchen das komplexe Zusammenspiel zwischen Immunzellen und der
Schleimhautbarriere als Grenzfläche zum Darm und dessen Inhalt. Beispiele sind die
antigenpräsentierenden dendritischen Zellen, die unterhalb der Darmschleimhaut zu
finden sind. Die phagozytische Aktivität der Zellen wird durch den spezifischen Chemokinrezeptor CX3CR1 reguliert. Ein Verlust dieser Aktivität bei fehlendem CX3CR1
korreliert mit erhöhter Anfälligkeit für Bakterien, was auf einen Zusammenhang zwischen der transepithelialen Präsentation von Antigen durch dendritische Zellen und
dem immunvermittelten Schutz der Darmschleimhaut schließen lässt.
Es hat sich herausgestellt, dass ein Protein, der so genannte CF-Transmembran-Leitfähigkeitsregulator (CFTR), als Rezeptor für S. typhi fungiert. Die Mukoviszidose oder zystische Fibrose (CF) entwickelt sich bei Kindern, die zwei mutierte Kopien – je eine von
jedem Elternteil – des für den CFTR codierenden Gens haben. Ein anormaler CFTR
blockiert die Bewegung von Chloridionen und Wasser in den Lungen und im
Verdauungstrakt und führt dazu, dass die Zellen, die diese Organe auskleiden, einen
klebrigen Schleim absondern. Da der anormale CFTR schlecht an S. typhi bindet, wären Träger des CF-Gens vor dem Infektionsprozess geschützt. Es wird spekuliert, dass
diese Erkenntnis bei der Impfstoffforschung von Nutzen sein könnte, insbesondere bei
den Bemühungen, auf S. typhi beruhende Impfstofftransfervehikel zu entwickeln.
Um die molekulare Pathogenese von Typhus besser zu verstehen und Möglichkeiten
für neue Ansatzpunkte für Diagnose und Therapie aufzuspüren, werden Untersuchungen zur Genomik und Proteomik durchgeführt. Die allerwichtigsten Maßnahmen
sind jedoch nach wie vor sauberes Wasser, gute Hygienebedingungen und die Impfung von Risikopersonen.
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Wilson-Krankheit
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Was ist der Morbus Wilson?
Der Morbus Wilson ist eine genetische Störung, die tödlich verläuft, wenn sie nicht erkannt und behandelt wird, bevor sich durch übermäßige Ablagerung von Kupfer in
verschiedenen Körpergeweben eine schwerwiegende Erkrankung entwickelt. Der Gesamtgehalt an Kupfer im Körper beträgt schätzungsweise 50-100 mg bei einer durchschnittlichen täglichen Aufnahmemenge von 1-2 mg. Kupfer ist ein essentielles Spu-
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renelement und ein wichtiger Bestandteil von Stoffwechselenzymen und anderen Eiweißstoffen im menschlichen Organismus. Kupferionen sind in sehr vielen Lebensmitteln enthalten. Wenn die Aufnahme von Kupfer den Bedarf des Körpers übersteigt, so
verfügt dieser über Möglichkeiten, den Überschuss auszuscheiden.
Ein englischer Neurologe, Samuel Alexander Kinnier Wilson, beschrieb die Krankheit
1912 erstmals als eine familiär gehäuft auftretende Störung, die mit neurologischen
Symptomen und Leberzirrhose einhergeht. Die wichtigste physiologische Störung bei
Patienten mit Morbus Wilson ist der gestörte Einbau von Kupfer in das Kupfertransportprotein Coeruloplasmin und eine mangelhafte Ausscheidung von überschüssigem
Kupfer in die Galle. Das überschüssige Kupfer fördert die Bildung von freien Radikalen und verursacht eine Oxidation von Lipiden und Proteinen. Die Anreicherung von
Kupfer beginnt unmittelbar nach der Geburt. Das überschüssige Kupfer wird vor allem
in der Leber gespeichert, und mit zunehmenden Konzentrationen von Kupfer in der Leber wird das Element schließlich in die Blutbahn freigesetzt und im Nervensystem und
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anderen Organen abgelagert. Die Folgen sind Hepatitis und psychiatrische oder neurologische Störungen.
Die ersten Symptome treten gewöhnlich im späten Jugendalter zutage. Es kommt zu
Gelbsucht, schmerzhaft aufgeblähtem Bauch und Erbrechen von Blut. Bei etwa 50
Prozent aller Patienten mit Morbus Wilson ist die Leber das einzige betroffene Organ.
Wenn sich eine Hepatitis entwickelt, wird oft eine Virushepatitis oder infektiöse Mononukleose vermutet. Deshalb sollte bei jedem unerklärlich auffälligen Lebertest auch
ein Morbus Wilson in Betracht gezogen werden.
Bei den Patienten können Tremor, Probleme beim Gehen, Sprechen und Schlucken auftreten. Es können sich alle Ausprägungen von psychischen Störungen wie suizidales
Verhalten, Depressionen und Aggressionen entwickeln. Frauen leiden oft an Menstruationsstörungen, Unfruchtbarkeit oder häufigen Fehlgeburten. Das Spätstadium des
Morbus Wilson ist durch Leberinsuffizienz, schwere Demenz und schließlich Tod gekennzeichnet.
Die Diagnose wird durch Nachweis eines erniedrigten Spiegels von Serumcoeruloplasmin, Messung der Kupferausscheidung im Urin und eine Leberbiopsie zur Bestimmung des Kupfergehalts in der Leber bestätigt. In den Augen der Patienten ist eingelagertes Kupfer als so genannter Kayser-Fleischer-Ring erkennbar. Alle diese Tests ermöglichen die Diagnose der Krankheit sowohl bei Patienten mit Symptomen als auch
in Fällen, in denen noch keine klinischen Zeichen des Morbus Wilson vorliegen.
Das Krankheitsbild des
Morbus Wilson entsteht
durch Kupferanreicherungen im Körper. Seine toxischen Wirkungen können
zu schweren Behinderungen der Patienten führen.
Mit Medikamenten lässt
sich das Fortschreiten der
Krankheit aufhalten, und
die Forschung verfolgt das
Ziel, die Behandlung weiter zu verbessern.
Wer ist vom Morbus Wilson betroffen?
Die Inzidenz reicht weltweit von einem Fall pro 30.000 Lebendgeburten in Japan bis
zu einem Fall von 100.000 Geburten in Australien. Die erhöhte Häufigkeit in einigen
Ländern ist auf höhere Raten der Konsanguinität (Blutsverwandtschaft) zurückzuführen. In der EU wird die jährliche Inzidenz auf etwa 12.000 Fälle geschätzt. Weltweit
liegt die Anzahl der Fälle vermutlich zwischen 10 und 30 Millionen.
Das Leiden wird als autosomal-rezessive Erbkrankheit weitergegeben und kommt somit bei Männern und Frauen gleich häufig vor. Doch das plötzliche Ausbrechen der
Krankheit ist bei Frauen viermal so häufig wie bei Männern zu beobachten. Die Krankheit wird nur vererbt, wenn beide Eltern das verantwortliche defekte Gen ATP7B auf
dem Chromosomenarm 13q tragen. Das für den Morbus Wilson ursächliche Gen wurde 1993 entdeckt, als im Gen für die kupfertransportierende Adenosintriphosphatase
(ATPase) ein Defekt nachgewiesen wurde. Dieses Gen ist vor allem in Leber, Nieren
und Plazenta, weniger stark auch in Herz, Gehirn, Lunge, Muskeln und Bauchspeicheldrüse aktiv. Menschen mit nur einer veränderten Genkopie sind so genannte Träger. Bei ihnen tritt die Krankheit nicht auf, und sie brauchen somit auch nicht behandelt zu werden.
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Kayser-Fleischer-Ring
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Aktuelle Therapien
Die medikamentöse Behandlung zielt darauf ab, das angereicherte Kupfer zu beseitigen und die erneute Kupferanreicherung zu verhindern. Bei geeigneter Therapie kann
das Fortschreiten der Krankheit aufgehalten werden, und die Symptome lassen sich
oft abmildern. Die Therapie muss lebenslang fortgeführt werden. Patienten mit Morbus Wilson sollten generell Nahrungsmittel mit hohem Kupfergehalt wie Leber, Scho-
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Die meisten Patienten haben keine Fälle von Morbus Wilson in ihrer Familie. Das bedeutet, dass ein Großteil der Fälle durch Spontanmutationen des Gens verursacht werden. Mehr als 70 verschiedene Mutationen sind bisher bereits identifiziert worden.
Deshalb ist es relativ schwierig, einen einfachen Gentest zur Früherkennung zu entwickeln. Wenn jedoch in einer bestimmten Familie die genaue Mutation festgestellt
wird, ist eine genetische Diagnose möglich. Dies hilft, asymptomatische Verwandte
aufzuspüren, die dann behandelt werden können, bevor die Krankheit bei ihnen ausbricht oder eine Behinderung verursacht.
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kolade, Nüsse, Pilze, Brokkoli und Meeresfrüchte meiden. Trinkwasser aus unbekannten Quellen sollte durch gereinigtes Wasser ersetzt werden, wenn der Kupfergehalt höher als 0,2 Teile pro Million ist.
Als Medikamente zur Behandlung des Morbus Wilson sind ein schwefelhaltiges Abbauprodukt des Antibiotikums Penicillin und eine Tetraminverbindung zugelassen.
Beide Präparate werden oral eingenommen und
binden Kupfer, indem sie so genannte Chelate bilKupfergehalt von Nahrungsmitteln
den, so dass lösliche Komplexe entstehen, die über
die Nieren ausgeschieden werden können. Im Jahr
Nahrungsmittel
KupferTypische
Kupfer/
2004 wurde ein positives Gutachten für ein so gekonzentration Portionsmenge
Portion
(µg/g)
(g)
(mg)
nanntes Orphan-Drug (Arzneimittel für seltene
Krankheiten) zur Behandlung der Wilson-KrankFleischprodukte
heit abgegeben. Der Nachweis seiner Wirksamkeit
Fisch
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120
0,07
beruhte auf 15-jähriger klinischer Erfahrung.
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Huhn
Steak
Milchprodukte
Ei
Käseaufschnitt
Brot
Vollkornbrot
Meeresfrüchte
Jakobsmuscheln
Venusmuscheln
Austern
Geräucherte Austern
Miesmuscheln
Hummer
Schokolade
Schokosirup
Schokoriegel
Milchschokolade
Gemüse
Erbsen
Weiße Bohnen
Obst
Apfelmus (Konserve)
Avocado
Rosinen
Suppen
Zwiebelsuppe
Getränke
Tee
Cola (Flasche)
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0,34
1,20
120
120
0,04
0,14
0,8
0,43
40
120
0,03
0,05
1,07
30
0,03
0,27
6,08
2,89
15,00
4,75
36,60
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120
120
120
120
120
0,03
0,73
0,35
1,80
0,57
4,39
43,36
1,18
0,33
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15
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0,65
0,02
0,04
2,38
3,95
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0,29
0,47
0,20
1,68
1,68
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120
30
0,02
0,20
0,05
1,49
15
0,02
Das Präparat entzieht dem Körper nach und nach
das überschüssige Kupfer und sorgt auf diese
Weise dafür, dass bei Patienten, die noch keine
Symptome zeigen, die Kupferkonzentration unterhalb des toxischen Bereichs bleibt. Außerdem verhindert es die erneute Kupferanreicherung bei
symptomatischen Patienten mit Morbus Wilson.
Das Medikament entfaltet seine Wirkung durch
das Zinkkation, das die Aufnahme von Kupfer aus
der Nahrung im Darm und die Wiederaufnahme
von endogen (im Körper) freigesetztem Kupfer
blockiert. Ein großer Vorteil der Zinktherapie ist das
Sicherheitsprofil des Präparats, das auch die Anwendung während der Schwangerschaft ermöglicht.
Eine fortgeschrittene Lebererkrankung wird durch
Plasmaaustausch und Austauschtransfusion sowie
Peritonealdialyse behandelt. Außerdem können
intravenöse Infusionen mit Chelatbildnern und
kupferbindenden Substanzen verabreicht werden.
Letztendlich ist bei diesen Patienten eine Lebertransplantation notwendig.
Was ist in der Entwicklung?
Ein Arzneimittel, das Molybdän enthält, wird zur
Frühbehandlung des Morbus Wilson erforscht.
Man hofft, dass sich mit diesem Präparat die neurologischen Schädigungen verhindern lassen. Es wird auch zur Initialbehandlung bei
Patienten mit neurologischen oder psychiatrischen Symptomen eingesetzt. Dieses Medikament wirkt zum einen als Chelatbildner und zum anderen blockiert es die Kupferaufnahme aus dem Magen-Darm-Trakt. Sein Nebenwirkungsprofil ist jedoch noch
unklar.
0,025
0,001
120
356
0,03
0,00
Forschergruppen untersuchen die Wirksamkeit einer neuen Methode der Früherkennung bei Kindern, um Betroffene zu identifizieren und eine Behandlung einzuleiten,
bevor die ersten lebensbedrohlichen Symptome auftreten. Für den Test muss eine Blutprobe aus dem Finger des Kindes auf eine Filterpapierkarte aufgetragen werden.
Seit Juni 2005 ist eine europäische klinische Datenbank zur Erfassung aller neu auftretenden Fälle eingerichtet. Die Patienten erhalten bei der Erstdiagnose eine eindeutige Identifikationsnummer und werden in der Folgezeit einmal jährlich unter-
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sucht. Bislang haben fast 60 Landeskoordinatoren ihre Fälle in der klinischen Datenbank EuroWilson registriert.
Langzeitperspektiven
Ein allgemeinerer Ansatz wird langfristig die Isolierung von Stammzellen sein, die über
das Potenzial zur Differenzierung in verschiedene Arten von Geweben verfügen. Beim
Morbus Wilson ist das Genprodukt ein aus 1411 Aminosäuren bestehendes Protein,
dessen höchste Konzentrationen in Leber, Nieren und Placenta gemessen werden. Bei
der Behandlung würde das Gen, das in der Lage ist, den Defekt zu beheben, in die betroffenen Zellen eingeschleust, so dass die Zellen die fehlende Substanz wieder bilden
können. Diese Zellen könnten dann dem Patienten übertragen werden.
Ein weiteres Langzeitprojekt ist ein Gentest zur pränatalen Diagnose der Krankheit.
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© Geursen-Consulting
Heiligenbergstrasse 3
D – 69121 Heidelberg
Deutschland
e-mail: [email protected]
url: www.geursen-consulting.de
Herausgeber: Dr. rer. nat., Dr. med. Robert G. Geursen
Erstellt für den Europäischen Verband der Pharmazeutischen Industrien und Verbände (EFPIA).
Deutsche Ubersetzung: vorgenommen von Sprachen-Service (Frankfurt am Main, Deutschland), unter Leitung
von Susanne Scheid;
Begutachtung: Dr. Robert G. Geursen;
Koordination der Gesamtarbeiten: Marie-Claire Pickaert
Aufnahmen: ABPI, Dermatology Group Practice (Brüssel),
EFPIA-Lander Loeckx, Organon (Global Communication),
Roche und sanofi-aventis (sanofi-pasteur service communication)
Design: Megaluna+Triumviraat, Brüssel, Belgien
Druck: Arte-Print, Brüssel, Belgiën
Die Broschüre “Medikamente für Menschen” wird unter
der Voraussetzung zur Verfügung gestellt, dass kein Teil
der Veröffentlichung inklusive der Abbildungen ohne
vorherige Absprache und Zustimmung durch den Europäischen Verband der Pharmazeutische Industrien und
Verbände (EFPIA) kopiert oder entnommen werden darf.
Unter keinen Umständen dürfen sie für Werbematerial
genutzt werden.
Erstauflage: Mai 2006
Deutsche Ausgabe: Oktober 2006