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Herrenkosmetik (2)
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nser kühnes Geburtstagsgeschenk für Antonio Marcipane bestand in
einer Gesichtsbehandlung bei der Kosmetikerin Frau Dörper, einer
Frau, deren Stimme man noch Tage nach dem Termin im Ohr hat. Sie
klingt wie eine gut geschmierte Luftschutzsirene und ich glaube,
darin liegt ein großer Teil ihres Erfolges: Sämtliche trockenen
Hautschuppen und andere Unreinheiten fallen einem vom Gesicht,
wenn sie mit ihrer ins ultraschallig spielenden Stimme während der
Behandlung beginnt, von ihrem Thailand-Urlaub zu erzählen. Ich
könnte sie mir gut als Geheimwaffe gegen im Hindukusch versteckte Terroristen vorstellen.
Wenn man sie in Tora Bora vor die Höhle stellt, kann sie einfach hineinrufen: „Hallooo, Herr
Bin-Laden! Hier ist Frau Dörper und ich würde Ihnen für die Ringe unter Ihren Augen
Hämorrhoidensalbe empfehlen.“ Sie hätte den Satz noch nicht beendet, wenn Osama binLaden um Gnade winselnd rauskommen würde. Aber ich schweife ab.
Antonio freute sich wider erwarten auf den Termin bei dieser dermatologischen
Stalinorgel und nahm mich mit, sozusagen als Bodyguard für den Fall, dass sie ihn verführen
oder aber durch kosmetische Tricksereien homosexuell machen wolle. Das ist nämlich eine
seiner größten Ängste, man kann nichts dagegen tun. Er föhnt sich nicht einmal die Haare
mit der Begründung, davon würde man umgehend schwul.
Auf unser Klingeln öffnete Frau Dörper in einem rosa Hausanzug. Antonio sah sich zwei
Mal um und schlüpfte in ihr Reihenhäuschen. Sie ging voran in den Keller, wo sie ihr
Kosmetikstudio „Heidis Beauty World“ unterhält.
Antonio zog sein Jackett aus und hängte es auf einen Haken.
„Dann nehmen’se mal Platz,“ kreischte die Callas der Hautpflege und Antonio setzte sich.
„Wie soll ich Sie denn behandeln, schöner Mann?“ legte sie nach und mir rutschte heraus:
„Am besten leise.“ Frau Dörper sah mich streng an und ich schwieg.
„Musse wir alle makim Gesikte,“ sagte Antonio und meinte damit die
Komplettbehandlung, die wir ihm geschenkt hatten.
„Mit Massage?“ orgelte Frau Dörper.
„Mit alle der drume un dran.“
Sie bat ihn, die Augen zu schließen und zupfte an ihm herum, riss ihm Härchen aus und
betastete seine Nase, bedampfte ihn, cremte und schmirgelte und drückte und berichtete von
einer Nichte, die ein ganz unglückliches Narbengewebe habe und Cellulite, sogar im Gesicht.
Schrecklich. Antonio blieb ruhig, nur seine Füße zuckten dann und wann, wenn der Schmerz
sie dazu zwangen. Dann sägte Frau Dörper:„Etwas Musik dabei?“ und ohne eine Antwort
abzuwarten, legte sie eine CD ein, worauf ein merkwürdig gedehnter Singsang ihren
Reihenhauskeller flutete.
„Was soll der sein? Iste keine Musica, iste dumme Zeug“ empörte sich Antonio, der unter
der blauen Crème aussah wie ein venezianisches Schlossgespenst.
„Das ist zur Beruhigung, das sind Walgesänge,“ unterrichtete ihn Frau Dörper.
„Singende Wale?“ Er richtete sich empört auf.
„Bezahlisi, damitsi mir komplett verruckte Tiere im Ohr make? Werdi bekloppte davon.“
Bemerkenswert daran fand ich zweierlei: Zum einen bezahlte er sie gar nicht und zum
zweiten störten ihn die verliebten Wale mehr als das phonstarke Geheule seiner
Kosmetikerin, die ihn konsterniert ansah.
„Wolle Sie ma gute Gesange öre?“ fragte er und wartete ihre Antwort nicht ab, sondern
schmetterte los. Marina, Marina, Marina. Rocco Granato mit Mayonnaise im Gesicht: O mia
bella mora, no non mi lasciare, non mi devi rovinare, oh, no, no, no, no, no.“ Immherin: Frau
Dörper war entzückt und stieg ein, wobei sie klang wie ein kaputter Fön. Dafür erwies sie sich
als überraschend textsicher. Sie sangen dann ungefähr eine halbe Stunde, schließlich wischte
sie ihm die Crème aus dem Gesicht. Er zog sein Jackett an und wir gingen. Auf dem Heimweg
betrachtete er sich im Innenspiegel seines Autos. Er fand sich pikobello und kündigte an,
gleich nächste Woche wieder zu Frau Dörper zu gehen. Zur Kosmetik. Und zum Singen. Ich
glaube, sie möchten irgendwann gerne öffentlich auftreten. •
12. MÄRZ 2009