… die Ahnung eines Lebens mit all seinen Schicksalen.«

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… die Ahnung eines Lebens mit all seinen Schicksalen.«
 »… die Ahnung eines Lebens mit all seinen Schicksalen.« EDITOR’S NOTE
D Seit ihrem Bestehen als Kammermusik-Ensemble haben die Neuen Vocalso-
listen insbesondere zwei Genres geprägt: das vokale Kammer-Musik-Theater
und das Madrigal. Gemeinsam mit Komponisten der Gegenwart transferieren
sie die historische Form des Madrigals in zeitgenössische Klangwelten. Das
besondere Repertoire haben die Sängerinnen und Sänger durch zahlreiche
Kompositionsaufträge ständig erweitert und damit einer ganzen Musikgattung
neues Leben eingehaucht – ein herausragendes Beispiel für die Umsetzung
eines langfristigen künstlerischen Konzepts. Die vorliegende Veröffentlichung von vier Madrigal-Vertonungen macht deutlich, wie sehr die solistische Besetzung, das kammermusikalische Musizieren,
die Dichte und hoch konzentrierte Dramatik des Madrigals den Neuen Vocalsolisten entspricht. Johannes Schöllhorn, José M. Sánchez-Verdú, Andreas
Dohmen und Clemens Gadenstätter komponierten ihre Madrigale punktgenau
für die Neuen Vocalsolisten. Wir erleben, wie man durch die Neudeutung einer
historischen Form unbekannte musikalische Welten entdecken kann.
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Throughout their existence as a chamber music ensemble the Neue Vocal- E
solisten have shaped in particular two genres: vocal chamber music theater,
and the madrigal. In collaboration with present-day composers they transfer
the historic form of the madrigal to a contemporary musical universe. Over
the years the singers themselves have continuously expanded their specialized
repertoire by commissioning numerous compositions and, in doing so, have
brought back to life an entire music genre – an outstanding example of an
artistic long-term concept and its realization.
The four madrigals assembled on this recording demonstrate how admirably
the soloist lineup, the chamber music performance, the density and the highly
focused drama of the madrigal suit the Neue Vocalsolisten. Johannes Schöllhorn, José M. Sánchez-Verdú, Andreas Dohmen and Clemens Gadenstätter
wrote these madrigals specifically for the ensemble. When listening to this
music we experience how the reinterpretation of a historic form may lead us
into new, hitherto undiscovered realms of music.
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Neue VOCALSOLISTEN STUTTGART
Madrigali
01
02
03
04
05
Johannes Schöllhorn (*1962)
»Madrigali a Dio« nach Pier Paolo Pasolini (2011)
für sechs Stimmen
I figura
II rondellus
III conductus
IV hoketus
V kanon
04:10
01:24
05:01
02:26
00:55
06
07
08
09
10
11
12
José M. Sánchez-Verdú (*1968)
»SCRIPTVRA ANTIQVA« (2010–2012)
Madrigalbuch I für fünf Stimmen
I EUS TU VIATOR
II VIATOR AUDI
III PAPILIO VOLITANS
IV FORTUNA SPONDET
V SOLA IN TERRIS
VI VERA
VII FUNCTUS HONORATO
03:53
02:46
02:08
02:25
01:51
02:20
03:41
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Andreas Dohmen (*1962)
13 »infra« (2008) für fünf Stimmen
auf Texte von Francesco Petrarca und Oskar Pastior
14:42
Clemens Gadenstätter (*1966)
14 »WEH« (2007) Madrigal 2 für sechs Stimmen
18:39
total time
66:21
Neue Vocalsolisten Stuttgart
Sarah Maria Sun, soprano
Susanne Leitz-Lorey, soprano
Truike van der Poel, mezzo-soprano
Martin Nagy, tenor
Guillermo Anzorena, baritone
Andreas Fischer, bass
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MADRIGALE DES 21. JAHRHUNDERTS
D Sie verstehen sich als Entdecker und Forscher – kein Wunder also, dass die
Neuen Vocalsolisten zum Madrigal eine besonders intensive Beziehung entwickelt haben. Schließlich ist das Madrigal in seiner historischen Erscheinungsform Mitte des 16. Jahrhunderts die zentrale Gattung einer Epoche, in der ein
selbstbewusstes (und sich selbst bewusstes) Menschengeschlecht sich vom alles
bestimmenden göttlichen Gesetz emanzipiert und zu neuen Ufern aufbricht.
Keine andere Gattung hat den Komponisten so viele Freiheiten ermöglicht wie
das Madrigal. Und auch im 21. Jahrhundert erweist es sich als eine ausgesprochen zukunftsorientierte Gattung, wie die vier Werke dieser CD beweisen, die
sämtlich in den letzten Jahren für die Neuen Vocalsolisten geschrieben wurden.
Die Renaissance des Madrigals im 21. Jahrhundert – nicht als historistische
Aneignung, sondern als genuine Kunstform der Avantgarde – wäre ohne die
Neuen Vocalsolisten nicht denkbar. Die solistische Besetzung aus fünf bis
sieben Stimmen, die durch ihre Homogenität Komponisten den Freiraum zu
größter kompositorischer Raffinesse und künstlerischen Höchstleistungen
bietet, die gesteigerte innere Dramatik, das höchst lebendige kammermusikalische Musizieren a cappella – all das kommt den Sängerinnen und Sängern
des Ensembles sehr entgegen, die höchste Individualität und traumhaft sicheres
Ensemblegespür miteinander verbinden.
Im Repertoire des Ensembles spielt das Madrigal denn auch eine zentrale Rolle.
Zu nennen sind in diesem Zusammenhang vor allem jene 12 Madrigali, die Salvatore Sciarrino für die Neuen Vocalsolisten geschrieben hat (und die ebenfalls
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bei col legno auf CD erschienen sind). Auf höchst virtuose, kunstvolle Weise
knüpft Sciarrino an die Tradition des Madrigals an und übersetzt sie in seine
ganz eigene, originelle Sprache.
Und manches gerät letztlich zum Madrigal, was Komponisten zunächst anders intendiert hatten. Die Grenzen sind fließend, vor allem zur szenischen
vokalen Kammermusik, einer Gattung, die die Neuen Vocalsolisten geradezu
erfunden haben. So ist die Madrigalkomödie des 16. Jahrhunderts Vorbild für
einige der Drammaturgie, die Lucia Ronchetti für die Neuen Vocalsolisten
komponiert hat.
So nahe sich die Gattungen sind (und so viel dramatisches Potenzial in der konzertanten Kunstform Madrigal verborgen ist), so unterschiedlich ist allerdings
die zugrunde liegende Konzeption. Während in den dramatischen Werken,
die den Neuen Vocalsolisten oft genug unmittelbar auf den Leib und in die
Stimme geschrieben sind, das Ensemble in verschiedene Figuren aufgespaltet
wird, die gegeneinander geführt werden (Beispiele dafür bietet eine weitere CD
mit vokalem Kammer-Musik-Theater, die bei col legno erscheinen wird), geht
es bei den Madrigalen im Kern um den gegenläufigen Vorgang: darum, dass
verschiedene Individuen einer Emotion mehrstimmigen, polyphonen Ausdruck geben, dass sie zu einem »vielstimmigen Einklang« gelangen, ohne ihre
jeweilige Individualität zu verlieren. In diesem Sinn ist der Beginn dieser CD
geradezu exemplarisch. Das erste Madrigal von Johannes Schöllhorn beginnt
mit einer Solo-Stimme, die aber erst durch die Anreicherung der anderen Sänger wirklich zu ihrer Entfaltungskraft kommt.
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Die vier Werke dieser CD sind also einerseits nur ein kleiner Ausschnitt aus
dem Kosmos von zeitgenössischen Madrigalen, der dank den Neuen Vocalsolisten in den letzten Jahren entstanden ist. Sie zeigen aber beinahe repräsentativ,
wie vielfältig die zeitgenössische Interpretation des Madrigals sein kann.
Johannes Schöllhorn: Madrigali a Dio
Im 16. Jahrhundert war das Madrigal, von wenigen Ausnahmen abgesehen,
eine dezidiert weltliche Gattung. Und daran hat sich auch im 21. Jahrhundert
wenig geändert. Der Mensch selbst und seine Gefühle stehen im Zentrum, es
geht um Tod und Verlangen, Sterben und Begehren, um den Krieg und die
Liebe. Religiöse Gefühle sind in diesem Kosmos Resultat menschlicher Leidenschaften, aber nicht Ausdruck einer religiös-transzendentalen Orientierung.
»Madrigale an Gott« sind deshalb eine überraschende, beinahe widersinnige
Angelegenheit. Umso mehr, wenn diese Madrigale von einem italienischen
Schriftsteller stammen, der gleichermaßen links, schwul, traditionsbewusst
und radikal war und dem deshalb auch die paradoxe Nähe von Gebet und
Blasphemie im Katholizismus nicht fremd gewesen sein dürfte.
Pier Paolo Pasolinis Madrigali a Dio sind kein Lobpreis, sondern Anklage, eine
von Zorn und Enttäuschung getriebene Auseinandersetzung mit einem fernen
Gott. Doch dieser Gott schweigt, er reagiert nicht auf die Schmähungen, lässt
die Provokationen ins Leere laufen. Und so sprechen auch diese Madrigale
letztlich nicht von Gott, sondern vom Menschen. Von seinen Ängsten, Nöten
und emotionalen Verstrickungen.
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Johannes Schöllhorn ist Pasolinis Konzeption in seinen Madrigalen gefolgt.
»Alle Elemente«, so schreibt er in seinem Werkkommentar, »liegen auf vielseitige Weise miteinander im Streit, und Gottes Kälte und Nüchternheit droht
die Unschuld der Schönheit zu erdrücken, so dass ein Gesang nicht (mehr)
oder – anders gesagt – nur noch als Anklage möglich scheint. Dieser vielfältige Riss musste sich ebenfalls durch meinen Versuch, Musik zu diesem Text
zu komponieren, ziehen: als ein Riss zwischen den sechs Stimmen, in jeder
Stimme selbst, aber auch als Widerspruch zwischen den einzelnen Stücken.«
So sind diese fünf Madrigale denn auch höchst unterschiedliche »Charakterstücke« geworden, die nicht leicht auf einen Nenner zu bringen sind. Der Zyklus
lebt von seinen harten Kontrasten. Vom seraphischen Belcanto des Soprans bis
zur wütenden Rezitation im Sprechgesang reicht die Palette der Ausdruckshaltungen. In ihrer Gesamtheit ergeben die fünf Madrigale jedoch eine erstaunlich
geschlossene, symmetrische Anlage. Der Solo-Sopran im ersten Madrigal wird
im fünften noch einmal aufgenommen, im zweiten und vierten Madrigal bricht
sich die Aggression Bahn, einmal in gesprochener, das andere Mal in gesungener Form. Im Zentrum dieser Spiegelsymmetrie steht der lange dritte Satz:
Musik nahe dem Verstummen, zerrissen und fragmentiert, nur kurz aufblitzend, bevor sie sofort wieder verschwindet. Lediglich an zwei Stellen erwecken
impressionistisch schillernde Akkorde den Eindruck von Geborgenheit. Oder
doch von einem Einbruch der Transzendenz? Es sind die Vertonungen der
beiden Schlüsselbegriffe »genitore« (Schöpfer) und »fiore« (Blume).
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José M. Sánchez-Verdú: SCRIPTVRA ANTIQVA
Wie Salvatore Sciarrino, so hat auch der andalusische Komponist José M. Sánchez-Verdú, der Tradition folgend, ein ganzes Madrigalbuch für die Neuen
Vocalsolisten geschrieben. Die Texte der sieben Sätze entnahm er einer Sammlung lateinischer Grabinschriften auf antiken Grabsteinen.
Es sind kurze, aphoristische Verse unterschiedlichen Charakters, bedeutungsheischend tiefsinnig (Nr. IV), lapidar (Nr. V), von fantasiegetränkter Metaphorik (Nr. VI). So unterschiedlich sie auch sind, jede dieser knappen Inschriften
enthält die Ahnung eines Lebens mit all seinen Schicksalen.
Diese Geschichten erzählt Sánchez-Verdú auf überraschend konkrete Weise,
selbst wenn seine Klangsprache meist ebenfalls nur andeutet und die Texte
meist aufgelöst werden in einzelne Vokale und Konsonanten. Aus den kurzen
Fragmenten entwickelt er ein Klangtheater, das Bewegungselemente bewusst
einbezieht. Das Rad der Fortuna spiegelt sich in Drehbewegungen der Sänger,
das Verspeisen des Schmetterlings durch die Spinne wird beinahe naturalistisch lautmalerisch dargestellt – und im letzten Madrigal wird die Stimme aus
der Gruft auch musikalisch höchst eindrucksvoll gestaltet. Mit solchen Verfahrensweisen befindet sich Sánchez-Verdú in bester Übereinstimmung mit
der Tradition, denn auch im Madrigal des 16. Jahrhunderts erfreute sich die
Klangmalerei als die Wirkung steigerndes Mittel großer Beliebtheit.
Jenseits der semantischen Bezugnahme gibt es aber auch noch eine weitere
Korrespondenz-Ebene. In vielen seiner Werke hat sich Sánchez-Verdú mit der
Schrift als Medium abendländischer Kultur auseinandergesetzt, am nachdrücklichsten in seiner Oper GRAMMA. Dabei hat die Schrift für Sánchez-Verdú
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immer auch eine visuelle und akustische Dimension. Und auch in seinem Madrigalbuch wählt er einen strukturell-materialistischen – er selbst spricht von
einem »epigraphischen« – Zugang zu den antiken Inschriften. »Der Text, als
Material, als Kalligraphie, wird immer auch als Ornamentik, als Schriftstruktur
im musikalischen Sinn dargestellt«, schreibt Sánchez-Verdú, die Musik wird
zum »Spiegel der Steine«. Die »Geometrie der Worte« – in Stein gemeißelt
die Jahrhunderte überdauernd, aber von Erosion gekennzeichnet – wird so
getreulich in Musik übersetzt, dass selbst archäologische Kriterien wie Erosion
und Alterung eine musikalische Bedeutung erhalten.
Andreas Dohmen: infra
Kaum jemals haben sich Komponisten mit solcher Leidenschaft auf die Literatur gestürzt wie beim Madrigal des 16. Jahrhunderts. Die besten Dichter
waren den damaligen Komponisten gerade gut genug. Zu den gerne vertonten
Poeten gehörten Meister wie Boccaccio, Ariost und vor allem Francesco Petrarca. Ein Sonett von Petrarca (Passa la nave mia colma d’oblio) liegt auch infra
von Andreas Dohmen zugrunde, ergänzt durch die Übersetzung, besser: die
freie Nachdichtung dieses Gedichts durch Oskar Pastior. Des Italienischen nur
wenig mächtig, näherte dieser sich, wie Dohmen sagt, »dem Petrarca’schen Text
respektvoll durch Fremdheit«, mit dem Risiko, etwas »falsch« zu verstehen.
Gerade die oft mangelnde Kongruenz zwischen Original und Übersetzung wird
für den Komponisten zur interpretatorischen Quelle.
Die Dopplung spiegelt sich in der formalen Anlage von infra wider. Die zwei
Teile des Werks sind in gewisser Weise eine gegenseitige Spiegelung. Dem ers11
ten Teil liegt Petrarcas Sonett im Original zugrunde, »komponiert jedoch mit
dem Hintergrundwissen um den Pastior’schen Text und wichtiger: mit der
Kenntnis um Pastiors Verfahrensweise«. Im zweiten Teil dann folgt Pastiors
Text, seinerseits jedoch »immer dort, wo es in beiden Texten phonetische Korrelationen zwischen deutscher und italienischer Sprache ermöglichten, synchronisiert mit nachechoartigen Anklängen an das Petrarcasche Original«. So
entsteht ein komplexes Spiegelverhältnis, bei dem sich beide Textebenen und
die darauf aufbauende Musikalisierung stets gegenseitig beeinflussen.
»infra: (ital. zwischen, dazwischen) – eine Musik, die sich immer wieder in
Zwischenbereichen bewegt«, so Dohmen in einem Werkkommentar. »Ein ›Dazwischen‹ schon im Umgang mit dem Textmaterial, als einer Komposition zwischen zwei Texten, aber auch als Denkmodell bei konkreten kompositorischen
Verfahrensweisen: bei der Komposition von Unisono-Strukturen, allmählichen
Harmonikentfaltungen, Wortblenden, Geschwindigkeiten oder plötzlichen Interaktionen im Ensemble.«
Dabei kennzeichnet die musikalische Anlage ein Paradoxon. Eigentlich werden
die einzelnen Wörter und Sätze langsam herausgebildet, in einer suchenden,
tastenden Bewegung. Dieses langsame Grundtempo ist jedoch überlagert von
einer rasend schnellen Bewegung in den einzelnen Stimmen. Aus diesem
hypervirtuosen Moment entwickelt sich in zwingender Logik die Form des
Stücks. Auf ganz andere Weise als Sánchez-Verdú arbeitet auch Dohmen mit
einkomponierten Gesten. Mit ihnen hält jeweils einer der Sänger das Geschehen für einen Moment an, bevor das rasende Tempo wieder aufgenommen
wird.
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Für solche virtuosen Spielereien kann Dohmen auf die genaue Kenntnis der
Sänger vertrauen. Schon mehrfach hat er für die Neuen Vocalsolisten komponiert und dabei die stimmlichen Anforderungen jedes Mal noch weiter gesteigert. infra ist das jüngste und wohl herausforderndste Werk in dieser Reihe.
Clemens Gadenstätter: WEH
Das Madrigal ist eine höchst widersprüchliche Gattung. Es ist Ausdruck höchster musikalischer Raffinesse und größten kompositorischen Selbstbewusstseins
– und zugleich eng aufs Wort bezogen, wesentlich enger als etwa die Arie in der
Oper. Die Musik ist Transmissionsriemen für die Dichtung, bis in die Struktur
hinein dem Wort sich anpassend. Sie kann sich verweigern, kann sich widerspenstig geben, und bleibt doch in intimer Gemeinschaft mit dem Wort, das
aus- und umzudeuten sie freilich die Macht hat.
Der österreichische Komponist Clemens Gadenstätter setzt sich schon seit vielen Jahren immer wieder neu mit den Fragen einer musikalischen Semiotik
und Semantik auseinander. In einem Madrigalbuch für sechs Solostimmen,
das derzeit im Entstehen ist und zu dem auch WEH gehört, unternimmt er
gemeinsam mit der Schriftstellerin Lisa Spalt eine Exkursion in die Bereiche
zwischen Sprache, Stimme und musikalischer Bedeutung. Der Text solle dabei
nicht nur »mehr oder weniger symbolischer Anlassgeber für Musik« sein, die
Sprache nicht einfach dem Kontext der Musik einverleibt werden.
Den später einmal sechs Teilen des Madrigalbuchs liegt eine von Lisa Spalt
bearbeitete Palimpsest-Version des Märchens Schneewittchen zugrunde. Aus
dem ursprünglichen Prosatext werden wesentliche Stationen des Märchens
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zu kurzen Texten destilliert. Jedes Stück wird dabei durch eine spezielle, der
jeweiligen Szene zugrunde gelegte Ausdrucksgeste auch musikalisch bestimmt.
Im Falle von WEH lässt sich diese Grund-Geste als ein zwischen Sehnsucht,
Morbidität und depressiver Erotik angesiedelter Schmerz beschreiben. Seufzer, Wimmern, Klagen – das sind die beherrschenden Topoi in Lisa Spalts
Palimpsest, und sie werden zum Ausgangspunkt für Clemens Gadenstätters
Komposition. »In der Zusammenarbeit zwischen kompositorischer Ebene und
Textebene«, so Gadenstätter / Spalt, »wird jedes Klangelement gleichzeitig ein
Bedeutungselement des Textes«.
Erweist sich Andreas Dohmens infra als ein einziger großer Bogen, gespeist
aus einem einzigen energetisch-virtuosen Impuls, der das ganze Geschehen
beherrscht und dem sich die Details unterordnen, so ist Clemens Gadenstätters WEH gewissermaßen aus dem Detail geboren. Die Partitur ist von einer
überbordenden Fülle an Ideen und Assoziationen geprägt. Der Hörer muss
sich auf diese Details einlassen (mit der Gefahr, sich darin auch zu verlieren),
er muss sich den Stimmungen und dem durch Musik ausgedrückten semantischen Gehalt hingeben.
Und obwohl gerade die Differenz zwischen Literatur und Musik das treibende
Element dieser »Vertonungen« ist, entsteht für den Hörer schon beim einzelnen
Madrigal das, was Komponist und Dichterin eigentlich erst für eine Aufführung des gesamten Zyklus prognostizierten: »Stationen eines musikalischen
Theaters, einer großen Ballade, in der die Art des Erzählens und das Erzählte
kongruent sind«.
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WEH ist eine höchst eindringliche Exkursion in emotionale Bedrängnisse, die
uns allen nicht fremd sind. Mehr noch: Gadenstätter zielt auf den emotionalen
Kern des Madrigals. WEH ist eine psychologische Studie über den Schmerz
und das Leid – jene Topoi, die auch in der Blütezeit des 16. Jahrhundert das
Madrigal beherrschten. Die musikalischen Ausdrucksmittel haben sich radikal
verändert – was bleibt, ist die Modernität einer Gattung, die den Menschen und
seine Widersprüche, seine Gefühle zum Thema macht.
Rainer Pöllmann, geboren 1962 in Vohenstrauß / Oberpfalz, ist Redakteur bei Deutschlandradio Kultur und seit
1999 künstlerischer Leiter des Festivals für neue Musik
Rainer Pöllmann
»Ultraschall«, das von Deutschlandradio Kultur und dem
kulturradio des rbb ausgerichtet wird.
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Neue Vocalsolisten Stuttgart
1984 als Ensemble für zeitgenössische Vokalmusik unter dem Dach von Musik
der Jahrhunderte gegründet, agieren die Neuen Vocalsolisten seit dem Jahr
2000 künstlerisch autonom als Kammermusik- und Musiktheater-Ensemble.
Die sieben Konzert- und Opernsolisten, deren Stimmspektrum vom Koloratursopran über den Countertenor bis hin zum schwarzen Bass reicht, verstehen
sich als Forscher und Entdecker, die in intensiver Zusammenarbeit mit arrivierten und jungen Komponisten der Gegenwart unbekanntes Terrain erkunden. Das Musiktheater und die interdisziplinäre Arbeit mit Elektronik, Video,
bildender Kunst und Literatur sind dabei ebenso Teil des Forschungskonzepts
wie die Konfrontation von Elementen aus der Alten und der Neuen Musik.
Ziel ist es unter anderem, neue Stimmtechniken und vokale Artikulationsformen zu prägen. Partner der Neuen Vocalsolisten hierbei sind hochkarätige
Spezialisten-Ensembles und Rundfunkorchester, international bedeutende
Opernhäuser, die freie Theaterszene, elektronische Studios sowie zahlreiche
Veranstalter von Festivals und Konzertreihen neuer Musik in aller Welt.
City. Außerdem waren Produktionen im Genre des vokalen Kammer-MusikTheaters, das die Neuen Vocalsolisten geprägt haben, in vielen Ländern Europas, den USA und in Argentinien zu sehen mit Werken unter anderem von
Oscar Strasnoy, Luciano Berio, Lucia Ronchetti, Luca Francesconi, Friedrich
Cerha und Giovanni Bertelli.
Internationale Beachtung fanden in den vergangenen Jahren Musiktheaterproduktionen wie Freizeitspektakel von Hannes Seidl und Daniel Kötter mit
Aufführungen in Venedig, Stuttgart, Madrid, Oslo und Warschau, José M. Sánchez-Verdús Aura in Madrid, Stuttgart, Venedig, Berlin und Hamburg,
Brian Ferneyhoughs Shadowtime in München, Paris, London und New York,
Julio Estradas Murmullos de Paramo in Stuttgart, Madrid, Venedig und Mexico
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Pier Paolo Pasolini: Madrigali a Dio (tracks 01–05)
I.
Dio, mutami! Muta la mania
di chi vuole morire … Ma Tu taci
sopra le peste del perduto agnello,
sopra il morente, bello
di nuda nostalgia.
E ormai non sono più nemmeno audaci
le mie offese di timido ribelle
là dove Tu taci
tace il mio cuore ormai senza più sdegni,
spettatore impotente,
custode connivente:
tranne che la viltà non ha ritegni.
II.
La mia lunga vacanza è troppo lieta
e la mia inaridita libertà
nel disprezzo si fa
licenza, immota vita dei miei sogni.
Idiota Dio, decreta
la mia disonestà
e se, onesto, Ti offendo sempre in ogni
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mio atto, Tu svergognami.
(Tu ti lasci insultare … Sei l’insulto!
E non puoi punirmi
né infine intimorirmi:
colui che non ti prega non è adulto.)
III.
Rimanda o svia il timido fanciullo
con la sfrenata arte della gioia
divertimento o noia,
e il padre è impotente con quel FIORE.
Non ha colpa l’azzurro
d’essere azzurro, e poi
a che serve punirlo? Non ha cuore.
E allora, o GENITORE
uccidimi: o vuoi che Ti derida
ancora con leggere
ingenuità? (È davvero
un fanciullo che ti lancia questa sfida.)
IV.
Finché, segreto al mondo il cuore e al cuore
il mondo, ardevo di timidi entusiasmi
e di orgogliosi orgasmi,
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fu un romanzo il mio vivere d’errori …
Un romanzo perduto
tra i felici fantasmi
di chi muore a un amore sconosciuto.
Ora il biancore muto
di quest’ultima pagina, il presente
disilluso, una sola
parola, una sola
parola ripete pazzamente.
José M. Sánchez-Verdú: SCRIPTVURA ANTIQVA (tracks 06–12)
V.
Da quando il pianto non fu più d’amore
vidi il Tuo fulmine nelle mie lacrime,
non Te, il Tuo fulmine, non i Tuoi sacri
angeli, mai i Tuoi angeli senza cuore.
Ma la viola ha cantato, e ormai non sa
più essere muta: canta, T’offende …
Tu non vuoi canto, ma sola fedeltà!
Tu pretendi il digiuno, e io lo temo,
Tu pretendi l’oblio e io non tremo
che di ricordi. Ecco perché la luce
Tua, ch’è in me, a Te non mi conduce.
III
Papilio volitans aranist:
illi praeda repens, huic data mors subitast.
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I
Eus tu viator, veni hoc et queiesce pusilu.
Innuis et negitas? Tamen hoc redendus tubi.
II
Viator audi, si libet, intus veni,
tabula est aena quae te cuncta perdocet.
IV
Fortuna spondet multa multis, praestat nemini.
Vive in dies et horas, nam proprium est nihil.
V
Sola in terris omnibus
uno eodemque in die vitam adepta functaquest.
VI
Ver tibi contribuat sua munera florea grata
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Et tibi grata comis nutet aestiva voluptas
Reddat et autumnus Bacchi tibi munera semper
Ac leve hibemi tempus tellure dicetur.
VII
Functus honorato senio plenusque dierum
evocor ed superos: pignora, quid gemitis?
Francesco Petrarca: Passa la nave mia colma d’oblio (track 13)
(freie Übersetzung von Oskar Pastior)
Passa la nave mia
cola d’oblio
per aspro mare
a mezza notte
il verno
enfra Scilla e Caribdi;
ed al governo
siede ’l Signor, anzi ’l nemico mio
A ciascun remo un pensier pronto et rio;
che la tempesta e ’l fin
par Ch’abbi’a schemo:
la vela rompe un vento humido eterno
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di sospir’, di speranze et di desio.
Pioggia di lagrimar, nebbia di sdegni
bagna e rallenta le già stanche sarte,
che son d’error con ignorantia attorto
Celansi I duo mei dolci usati segni:
morta fra l’onde è la ragion et l’arte;
tal ch’incomincio a desperar del porto.
Ich bewege mich –
ja ich kann noch vergessen;
und indem ich vergesse,
bin ich hin und her bewegt; und stehe,
während ständig ringsum alles anders ist,
im Scheitelpunkt des Dunkels,
meiner Kälte –
zwischen dauernden Entscheidungen,
dort regiert
mein Gegner,
die Handlanger sind anonym
und arbeiten rasch –
und fröhlich geht es dem Untergang entgegen
noch sind
Verwundbarkeit und Träumerei
ein bissel Sand im Betrieb,
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und auch wer selbstgerecht
und stur sich übernimmt,
erschüttert die Struktur –
doch die Fehler sind bis zur Unkenntlichkeit eingebaut;
ja die lieben abgenützten beiden Maße
sind mir ›sowohl – als auch‹ längst unter die
Haut gegangen;
nichts ist absehbar,
nichts kann die Richtung halten;
selbst der Zweifel ist mir
an allen Ecken und Enden
nicht mehr gewiss.
Lisa Spalt: WEH (track 14)
in dreck gescheuerte parketten
obligatorische astern
mustern durch die teppich
schönheit quer
end raster unter
grund auf
zug von hades
schatten, armen
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griffeln
(fällt tief …)
zieht am korn und
samen in prozenten schwimmt
das money, treibt
mit ihr, die aus der hölle
auf nach dem erzeuger
schreit und fort geht das
business
(nach unten …)
himmel, hölle, unterhaltung
s unglück rock
reißt es
als vorhang sich
über das aus dem der mutter
erde
geschnittene gesicht
(man macht daraus, was möglich ist …)
ja, drecksnatur treibt, schießt für venus
eros (schnell) begehren in die herren hosen, früchte großer
scheine himmel, zahl und hölle, brennt das neon
feld, darunter hades
bar
kore in schneewittchen
fällt
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MADRIGALS OF THE TWENTY-FIRST CENTURY
E They consider themselves to be explorers and discoverers, so it should come as
no surprise that the Neue Vocalsolisten have developed a particularly intense
relationship with the madrigal. After all, in its historical manifestation in the
mid-16th century the madrigal constituted the principal music genre of an era
during which a self-confident (and self-aware) humanity became emancipated
from the universal rule of divine law and set out to explore new horizons. No
other genre allowed composers a similar degree of freedom. And even today, in
the 21st century, the madrigal is revealed as a distinctly forward-looking genre,
as is clearly evidenced by the four pieces assembled on this album, all of which
were written specifically for the Neue Vocalsolisten over the past few years.
The renaissance of the madrigal in the 21st century not as a historical appropriation but as a genuine avant-garde art form would be unthinkable without
the Neue Vocalsolisten. The soloist lineup of between five and seven voices,
whose homogeneity allows composers to achieve a maximum of compositional
sophistication and artistic skill, the enhanced inner drama, the extremely animated a cappella chamber music – all of this suits the ensemble’s singers admirably as they combine a maximum of individuality with an unerring instinct
for ensemble performance.
The madrigal thus plays a vital part in the ensemble’s repertoire. The most remarkable example in this context is probably the cycle 12 Madrigali written by
Salvatore Sciarrino for the Neue Vocalsolisten (which has also been released as
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a col legno production). Sciarrino continues the tradition of the madrigal with
brilliant skill and translates it into his own, highly original language.
And occasionally something originally intended otherwise by the composer
ultimately turns out to be a madrigal. The boundaries are fluid, especially to
staged vocal chamber music, a genre practically invented by the Neue Vocalsolisten. Some of the Drammaturgie composed by Lucia Ronchetti for the Neue
Vocalsolisten, for instance, are modeled on the 16th century madrigal comedy.
Closely related these genres may be (and the enormous dramatic potential
inherent in the concert art form of the madrigal is undeniable), yet their respective underlying concepts could not be more different. While the dramatic
works, which are often tailor-made for the Neue Vocalsolisten and their voices,
require the ensemble to split up into separate figures led against each other (as
will be illustrated by another album due to be released by col legno featuring
a compilation of vocal chamber music theater), a madrigal essentially works
the other way round: separate individuals give a polyphonic expression to an
emotion, create a “multi-voiced harmony,” without losing their respective individualities. In this sense the opening piece on this album could be called
exemplary. The first madrigal by Johannes Schöllhorn begins with a solo voice,
but it needs the other voices’ contributions to be able to come to full bloom.
The four compositions assembled on this album represent only a small part of
the cosmos of contemporary madrigals that came into being over the past few
years thanks to the efforts of the Neue Vocalsolisten. Nevertheless they illustrate
the great potential variety of contemporary interpretations of the madrigal.
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Johannes Schöllhorn: Madrigali a Dio
The madrigal of the 16th century was, with very few exceptions, a decidedly
secular genre. And the 21st century madrigal is no different in this regard.
The focus of attention is on humanity itself, and on human emotions: it is all
about death and desire, about dying and yearning, about war and love. Within
this cosmos any religious emotion is the result of human passions rather than
an expression of a religious-transcendental orientation. “Madrigals to God” is
therefore a surprising if not downright absurd concept, all the more so when
these madrigals were written by an Italian poet who was left-wing, gay, traditional and radical, and was therefore probably also familiar with the paradoxical
proximity of prayer and blasphemy in Catholicism.
Pier Paolo Pasolini’s Madrigali a Dio are not a song of praise but an accusation,
a quarrel with a distant God, fuelled by anger and disappointment. But this God
is silent, does not respond to the abuse, does not react to provocation. And thus
ultimately the madrigals do not speak of God but of human beings, of their
fears, their hardships, their emotional dilemmas.
In his madrigals Johannes Schöllhorn sticks to Pasolini’s concept. “All elements,” he writes in the notes on his composition, “are at feud with each other
in manifold ways, and God’s indifference and matter-of-factness seem likely
to smother the innocence of beauty, so that a song is not (or is no longer) possible, or in other words, is only possible as an accusation. These multiple rifts
also needed to be reflected in my attempt to write music for this text: as a rift
between the six voices, a rift in each voice, but also as a contradiction between
the individual pieces.”
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And as a result these five madrigals did turn out to be extremely diverse “character pieces” that cannot easily be reduced to a common denominator. Sharp
contrasts are the driving force behind the cycle, with the palette of expressions
ranging from the soprano’s seraphic bel canto to the furious delivery of the recitatives. Taken as a whole, though, the five madrigals amount to a remarkably
compact, symmetrical system. The solo soprano from the first madrigal is taken
up again in the fifth, in the second and fourth madrigals aggression breaks
through, one time in spoken and the other time in sung form. At the center of
this mirror symmetry we find the extended third movement: music very nearly
falling silent, torn and fragmented, showing up in brief flashes before disappearing again immediately. Only on two occasions impressionistically sparkling
chords suggest a feeling of safeness – or is it transcendence breaking through?
These two occasions are the key words “genitore” (creator) and “fiore” (flower).
José M. Sánchez-Verdú: SCRIPTVRA ANTIQVA
The Andalusian composer José M. Sánchez-Verdú, like Salvatore Sciarrino adhering to the tradition, wrote an entire book of madrigals for the Neue Vocalsolisten. The lyrics used in the seven movements originate from a collection of
Latin inscriptions found on antique tombstones.
They are brief aphoristic verses of varied stylistic qualities: pregnant with meaning and profundity (no. IV), concise (no. V), excessively imaginative and metaphoric (no. VI). But however different they are, each of these succinct inscriptions comprises the suggestion of a whole life with all its twists and turns of fate.
Sánchez-Verdú relates these stories in a surprisingly tangible manner, even
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though his musical language is mostly also no more than a suggestion while the
lyrics disintegrate into individual vowels and consonants. On the basis of brief
fragments he develops a theater of sound that deliberately integrates elements
of motion. The wheel of fortune is reflected in the singers’ rotational movements, the devouring of the butterfly by the spider is portrayed almost naturalistically through onomatopoeic means, and the representation of the voice
from the crypt in the last madrigal is also musically an impressive achievement.
In his approach Sánchez-Verdú is perfectly in keeping with tradition, as the
use of onomatopoeia to highlight effects was a popular feature in 16th century
madrigals as well.
Apart from the semantic reference there is yet another level of correspondence.
Sánchez-Verdú has made writing as a medium of Western culture a topic in
many of his works, most prominently in his opera GRAMMA. And for the composer writing always has a visual and an acoustic dimension, too. In his book
of madrigals he also chooses a structural-materialistic (or, in his own words,
an “epigraphic”) approach to the antique inscriptions. “The text, as material,
as calligraphy, is always also represented as an ornament, as the structure of
writing in a musical sense,” according to Sánchez-Verdú; the music becomes
the “mirror of the stones.” The “geometry of words” – carved in stone to outlast
centuries, yet bearing the marks of erosion – is translated into music so faithfully that even archeological criteria like erosion and aging receive a musical
significance.
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Andreas Dohmen: infra
Probably at no other time did composers tackle literature with more passion
than during the era of the 16th century madrigal. The finest poets of the time
were considered to be just good enough by contemporary composers. Among
the favorites were master poets such as Boccaccio, Ariost and, first and foremost, Petrarca. Andreas Dohmen’s composition infra is also based on a sonnet
by Petrarca (Passa la nave mia colma d’oblio), complemented by Oskar Pastior’s
German translation, or rather free adaptation, of the poem. Pastior spoke very
little Italian and therefore approached “Petrarca’s lyrics respectfully through
foreignness,” Dohmen says, deliberately running the risk of getting it “wrong.”
The frequent lack of congruence between the original and the translation actually becomes a source of inspiration for the composer’s interpretation.
The doubleness is reflected in the formal structure of infra. The two parts of
the composition are in a way reflections of each other. The first part is based on
Petrarca’s original sonnet, however, “written with the background knowledge
of Pastior’s text and, more importantly, with the knowledge of Pastior’s modus
operandi.” The second part uses Pastior’s text, which in turn is “synchronized
with reminiscences, like echoes, of Petrarca’s original text whenever this is allowed by phonetic correlations between the German and Italian languages.” In
this way a complex mirror relationship is created, with the two text levels and
the music based on them continuously influencing each other.
“infra: (Ital. between, in between) – music that again and again moves through
transitional areas,” Dohmen writes in his notes on the composition. “An ‘in-between’ even in the way it deals with the text material, as a composition between
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two texts, but also as a conceptual model in respect of the actual compositional
modus operandi: when composing unisono structures, gradually unfolding
harmonies, word fadings, paces or sudden interactions within the ensemble.”
The musical structure is actually characterized by a paradox. The individual
words and sentences are formed slowly, in a searching, groping movement. Yet
the slow basic tempo is superimposed with extremely fast-paced movements
of the individual voices. From this hyper-virtuosic momentum the form of
the composition develops with compelling logic. Like Sánchez-Verdú, though
in an entirely different way, Dohmen also integrates gestures. They are used
whenever one of the singers signals to stop the action, before the rapid tempo
is taken up again a moment later.
In designing these virtuosic baubleries Dohmen is able to draw on his excellent
knowledge of the singers. He has already written several works for the Neue
Vocalsolisten, each time further increasing the required level of vocal skill.
infra is the latest, and arguably the most challenging, composition in this series.
Clemens Gadenstätter: WEH
The madrigal is a particularly contradictory genre. On the one hand it is an
expression of utmost musical sophistication and compositional self-confidence,
while on the other it is closely linked to the words, a lot more so than, for
instance, an opera aria. The music serves as a transmission belt for the poetry,
adjusting itself to the words even in structural terms. As much as it may stubbornly refuse to obey, it always remains intimately connected to the words – but
also has the power to interpret and reinterpret them.
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The Austrian composer Clemens Gadenstätter has been addressing questions
of musical semiotics and semantics for many years. For his current work in
progress, a book of madrigals for six solo voices of which WEH is a part, he has
teamed up with the writer Lisa Spalt to explore the transitional areas between
language, voice and musical meaning. Their aim is to make the text more than
“a more or less symbolic cause for music,” to do more than simply integrate the
words into the musical context.
The basis for the envisaged six parts of the book of madrigals is a palimpsest
version of the fairy tale Snow White adapted by Lisa Spalt. From the original
prose a number of key scenes of the story are distilled into short texts, whereby
each part is governed also in musical terms by a specific expressive gesture on
which the relevant scene is based.
The fundamental gesture of WEH (“woe”) may be described as a pain somewhere between longing, morbidity and a depressive eroticism. Sighing, whimpering, lamenting: these are the dominant motifs in Lisa Spalt’s palimpsest, and
become the starting point for Clemens Gadenstätter’s composition. According
to Gadenstätter / Spalt, “in the cooperation between the compositional level and
the text level every element of sound is at the same time a denoting element
for the text.”
Whereas Andreas Dohmen’s infra essentially constitutes one wide arc fed from
a single energetic-virtuosic impulse which dominates everything that happens
and to which all details are subordinated, Clemens Gadenstätter’s WEH appears
to be born from detail. The score is bustling with an abundance of ideas and
associations. The listener must be ready to embark on an exploration of these
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details (and risk getting lost in them), must surrender to the moods and the
semantic content expressed through the music.
And even though the actual driving force behind these “musical adaptations”
is the difference between literature and music, just one individual madrigal
succeeds in making the listener experience what the composer and the poet
only envisaged for the performance of the entire cycle: “Scenes of a musical
theater, a grand ballad, in which the story told is congruent with the way in
which it is told.”
WEH is an intense excursion into states of emotional distress to which none of
us is a stranger. And it doesn’t stop there: Gadenstätter aims at the emotional
core of the madrigal. WEH is a psychological study about pain and suffering,
the very motifs that dominated the madrigal during its heyday in the 16th
century. Even though the means of musical expression have changed radically –
what remains is the timeless modernity of a genre that focuses on humanity
and all its inherent contradictions and emotions.
Rainer Pöllmann was born in Vohenstrauß / Oberpfalz
in 1962; he works as an editor for Deutschlandradio Kultur. Since 1999 he has been the artistic director of the
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Rainer Pöllmann
“Ultraschall” festival for New Music, which is hosted by
Deutschlandradio Kultur and rbb kulturradio.
Neue Vocalsolisten Stuttgart
The Neue Vocalsolisten established as an ensemble specializing in the interpretation of contemporary vocal music in 1984. Founded under the artistic
management of Musik der Jahrhunderte, the vocal chamber ensemble has been
artistically independent since the year 2000. The seven concert and opera soloists, with a collective range reaching from coloratura soprano over countertenor
to “basso profondo”, shape the work on chamber music and the co-operation
with the composers and other interpreters through their distinguished artistic
creativity. Their partners are specialist ensembles and radio orchestras, opera
houses and the free theatre scene, electronic studios and countless organizers
of contemporary music festivals and concert series in the world.
The ensemble’s chief interest lies on research: exploring new sounds, new vocal
techniques and new forms of articulation, whereby great emphasis is placed
on establishing a dialogue with composers. Each year, the ensemble premiers
about twenty new works. Central to the group’s artistic concept are the areas
of music theatre and the interdisciplinary work with electronics, video, visual
arts and literature, as well as the juxtaposition of contrasting elements found
in ancient and contemporary music.
Over the past few years they have been involved in a number of internationally
renowned music theater productions, such as Freizeitspektakel by Hannes Seidl
and Daniel Kötter, which was performed in Venice, Stuttgart, Madrid, Oslo
and Warsaw, José M. Sánchez-Verdú’s Aura with shows in Madrid, Stuttgart,
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Venice, Berlin and Hamburg, Brian Ferneyhough’s Shadowtime, performed
in Munich, Paris, London and New York City, and Julio Estrada’s Murmullos
de Paramo, shown in Stuttgart, Madrid, Venice and Mexico City. In addition,
various staged vocal chamber music productions, a genre shaped by the Neue
Vocalsolisten, were on show in many European countries, in the USA and in
Argentina, including compositions by Oscar Strasnoy, Luciano Berio, Lucia
Ronchetti, Luca Francesconi, Friedrich Cerha and Giovanni Bertelli.
Also released by col legno:
— Salvatore Sciarrino, 12 Madrigali, 2009 (WWE 1CD 20287)
— Luigi Nono, Quando stanno morendo, 2008 (WWE 1CD 20603)
— Clemens Gadenstätter, Portrait, 2012 (WWE 1CD 20408)
— Neue Vocalsolisten, Portrait, 1999 (WWE 2CD 20030)
— Neue Vocalsolisten, IOSIS. Zu Gesualdo, 1999, (WWE 1CD 20031)
— Wolfgang Mitterer, massacre, 2010 (WWE 1CD 20294)
© 2013
2012 col legno Produktions- und VertriebsgmbH
Distribution See our website www.col-legno.com
A co-production with Deutschlandradio Kultur, Musik der Jahrhunderte and col legno
Recording Date April, 2–5, 2012
Recording Location Siemens-Villa Berlin
Executive Producers Ruth Jarre (Deutschlandradio Kultur), Christine Fischer (Musik der Jahrhunderte)
Recording Supervisor, Digital Editing & Mastering Florian B. Schmidt
Balance Engineer Thomas Monnerjahn
Sound Technician Annerose Unger
Music Publisher Breitkopf & Härtel (SCRIPTVRA ANTIQVA), Edizioni Musical Rai Trade (WEH)
Text Rainer Pöllmann
Translation Astrid Tautscher
Photography Martin Sigmund / Musik der Jahrhunderte
Design Concept Circus. Büro für Kommunikation und Gestaltung, Innsbruck – www.circus.at
Typesetting & Layout Circus
Egal welche CD Sie gerade in Händen halten, eines ist gewiss: bunt wird sie sein
und außergewöhnlich, zwei Grundkonstanten bei col legno. Farbenprächtig,
wie die Vielfalt der kulturellen Gegenwart, und unverwechselbar in der Präsentation musikalischer Visionen.
col legno bedeutet »mit dem Holz«. Diese unkonventionelle Spieltechnik bei
Streichinstrumenten hat die Klangvielfalt einst unerhört erweitert. Dieselbe
spielerische Offenheit widmet col legno heute der Musik. Wir wollen mit Ihnen Musik teilen, über die man redet und Geschichten erzählt, weil sie etwas
Besonderes ist. col legno ist eine Familie – mit Ihnen sind wir komplett.
Whichever of our CDs you’re holding in your hands just now, two things are
certain: it will be colorful on the outside, and the music it contains will be
outstanding. These two qualities are fundamental constants in col legno’s productions. They come in colors as resplendent and varied as today’s cultural life,
and are unique in the way musical visions are presented.
col legno literally means “with the wood”. Once upon a time this unconventional
technique enabled string players to expand the variety of sound produced by
their instruments in unheard-of ways. Today we at col legno dedicate the same
open-minded playfulness to music. What we want to share with you is music
that people will talk and tell stories about, because it is so special.
col legno is a family – we only need you to make it complete.
For further information visit: www.col-legno.com
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