Siena. - Phil.-Hist. Fakultät
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Siena. - Phil.-Hist. Fakultät
Siena. Mit diesem Wort lassen sich recht unterschiedliche Reaktionen heraufbeschwören. Als klar wurde, dass ich im Rennen um die Erasmus-Stipendien dieses Glückslos gezogen hatte, habe ich mich erst einmal sehr wundern müssen: Zu manchen sagte ich „Siena“ und sie starrten mich verwirrt und ahnungslos an. „Wo ist denn das, bitteschön?“ „Ähm, irgendwo unterhalb von Florenz... Ich werd’ da ein Jahr studieren ...“ oder: „Ein ganzes Jahr, in Siena??? Das ist doch so klein, da hat man ja nach drei Tagen schon alles abgehakt! ... Na ja, immerhin ist ja Florenz nur anderthalb Stunden entfernt...“ Ich selbst habe übrigens auch erst zum guten alten Diercke gegriffen, muß ich zu meiner großen Schande gestehen. Obwohl, gab’s da nicht im Malkasten in der Grundschule eine Farbe namens Siena?! Dann war Mayers großes Taschenlexikon dran. Ich war doch recht erleichtert, wenigstens schon ein paar Zeilen über Katharina von Siena oder Simone Martini gelesen zu haben, bevor ich mit der Zauberformel „Siena“ auf die ersten Toscana-Jünger in meinem universitären und heimischen Umfeld prallte. Voll Begeisterung etwa klopfte mir mein Patenonkel Carlo mit träumerischverklärtem Silberblick auf die Schulter: „SIENA!“ Und dann hab ich ziemlich viel über eine Rucksacktour in den 50’ger Jahren erfahren. Dann ging es ca. vier Monate um zum Teil langwierige organisatorische Fragen: Wohnung, Einschreibung, (zwischendurch kleine Nebensächlichkeiten wie z.B. den Rest der Zwischenprüfung...), Stempel sammeln, Leute mit Fragen löchern, ein durch Frau Veh (DANKE!) ins Leben gerufener reger Email- Fax- und Briefverkehr mit der italienischen Uni, Photos, Ausweise, und natürlich noch der Umzug nach Hause, weil man ja schließlich das Zimmer im Studentenwohnheim nicht ein Jahr lang untervermieten kann. Ich hatte viel Spaß, und habe interessante Methoden entwickelt, wie ich wem, wann und auf besonders charmante Weise diverse Unterschriften etc. entlocken kann. Denn das hatte ich ziemlich schnell begriffen: Je mehr Beweise, dass ich a) tatsächlich existiere b) auch wirklich in Augsburg Student bin (und nicht zwangsexmatrikuliert!, nicht durch die ZP gefallen!, oder dass ich sonst irgendwie ein Ärgernis für meine Umwelt darstelle), dass ich c) ein Erasmustipendiat bin (und in welcher Höhe) und d) halbwegs fließend Italienisch spreche – je mehr Nachweise, umso besser: all diese Tatsachen gilt es, jeder Zeit und aus mehreren Quellen belegen zu können. Alle, die im Detail wissen wollen, wie’s geht, sollen sich die von mir bei Herrn Dr. Grüner hinterlegte Anleitung kopieren, oder Ihr macht einfach einen virtuellen Ausflug über www.unisi.it oder www.comune.siena.it zur Uni und zur allgemeinen Homepage der Stadt. Ja, die Stadt!!! Jetzt bin ich schon wieder – unglaublicher Weise - seit einem Jahr zurück aus diesem italienischen Traumland und trotzdem versetzt’s mir immer noch einen Stich, wenn ich bei Karstadt an der Reisebuchabteilung vorbeischlendere. Auf wirklich jedem jemals gedruckten Photoband zu Italien im Allgemeinen und über die Toscana im Besonderen sieht man auf der Umschlagsseite in DinA3- Format den Campo von Siena verheißungsvoll aufleuchten. Und das tut er auch in der Realität, dieser Hauptplatz von Siena: er strahlt. Wenn man durch die vielen winkeligen Gassen der Stadt streift, in denen man selten auf Grünpflanzen, aber umso häufiger auf Touristen trifft, vorbei an unzähligen Nannini-Kaffes, Bars und Künstlerläden, wenn es scheint, dass die in schweißtreibender Arbeit mit Hammer und Meißel künstlich gerillten Pflastersteine ihre eigentliche Aufgabe vergessen haben, nämlich die flutartigen winterlichen Regenfälle abzuleiten, und statt dessen die Hitze der Sonne doppelt speichern, wenn man glaubt, nie einen einfachen Supermarkt zu finden, um sich ein panino und eine einigermaßen erschwingliche Wasserflasche gönnen zu können, wenn man also, überwältigt von den vielen wunderschönen gotischen palazzi sich schon nicht mehr traut, um die 2000. Ecke zu biegen: dann ist er plötzlich da, der Campo! Und erscheint einem unglaublich groß und weit. Der Campo strahlt, in 9 Felder gegliedert, in Erinnerung an die neun Stadtweisen, die ihn einst geplant und Siena zur Blüte gebracht haben. Der Campo strahlt, und mit ihm jeder, der sich dort am Abend zu einer guten Flasche Chiantiwein mit Freunden am Brunnen trifft. Und wenn die Pferde während des berühmten Palio über ihn hinwegpreschen, lernt man das Temperament einer gesamten Stadt kennen. Und schon komme ich ins Schwärmen – `Tschuldigung! Natürlich ist Siena auch, und in vielen Dingen, eine „enge“ Stadt. Es ist schon eher als Glücksfall anzurechnen, wenn man überhaupt einen einzigen Einheimischen kennen lernt – aber ähnliches habe ich auch über Florenz gehört. Ausländer (Touristen) mag man nicht wirklich – nur ihr Geld. Sobald es allerdings Winter wurde, und sich die Urlauberhorden allmählich zurückzogen, bin ich an einigen Orten doch herzlich und freundlich aufgenommen worden. Was kann man in Siena unternehmen? Alles oder nichts. Ich glaube, ich habe so ziemlich jeden „Stern“ in meinem Reiseführer auch in natura bewundert. Die Busverbindungen ins Umland sind zufriedenstellend, hat man ein Auto zur Verfügung, ist man in etwa zweieinhalb Stunden am Meer. In der Stadt kann man sein Wissen über mittelalterliche Bauten, Lebensweise, Kunst und Vergnügen auffrischen. Die Museen sind so schön, dass ich überall mindestens zweimal durchgelaufen bin. Der botanische Garten ist traumhaft. Der Mittwochsmarkt mit Kleidung, Krimskrams und Essen ein nettes Wochenhighlight. Wer Jazz- Livemusik mag, geht abends ins Barone Rosso, wer gern abtanzt und flirtet, wird das Café del Corso lieben (Frauen sollten dort aber mindestens zu Zweit aufkreuzen). Mein Lieblingslokal war der Tearoom: urgemütliches Kellergewölbe, ein schiefes, verstimmtes Klavier, mehrere Spielesammlungen, der schönste Ausblick und die meiner Meinung nach besten Cocktails der Stadt (grüßt Illario von mir!). Viele Ausgehmöglichkeiten bietet die Stadt allerdings nicht. Dafür gibt`s im Umland Thermalbäder, alte Klöster, herrliche Landschaften, eine „Mozarellerei“, Ölpressanlagen, Alabastersteinbrüche, den monatlichen Antiquitätenmarkt von Arezzo (unbeschreiblich!!!), Dorffeste mit Eselsrennen und Trüffelorgien, oder Kleinkunstabende mit avantgardistischem Ballet – übrigens ist das sienesische Musikkonservatorium, die Chigiana, weltberühmt, also findet jährlich eine Musik- und Konzertwoche statt. Hat man sich im Erasmusbüro einen Ausweis mit der Bezeichnung „Kunststudentin“ zugelegt, bekommt man zu allen staatlichen Ausstellungen kostenlosen Eintritt (auch in den Uffizien in Florenz!!!). Die Leute von Gruppo d’Erasmus di Siena sind sehr nett und veranstalten Fahrten nach Rom, Neapel und Florenz, die man sich unter keinen Umständen entgehen lassen sollte. Studieren in Siena Die Università per Stranieri (die zweite Uni in Siena), an der sich der EingangsItalienischkurs (für Erasmusstudenten bei rechtzeitiger Anmeldung kostenlos) wirklich lohnt, hilft auch bei der Zimmervermittlung, bei Heimweh, Stress mit Vermietern und Behörden, und veranstaltet ihrerseits Ausflüge, an denen man auch als nicht eingetragener Student problemlos teilnehmen kann. Im Übrigen kann ich nur jedem raten, seinem „Austauschprofessor“ an der Università degli Studi einen monatlichen Besuch abzustatten. „Meiner“ wirkte zwar stets etwas freundlichverwirrt, wenn ich in seinem Büro auftauchte, hat sich aber dann immer sehr nett um mich gekümmert, mir gute Tipps gegeben, und seine Assistenten waren wirklich reizend! Wer neuere und neueste Geschichte in Kombination mit Politik studiert, wird sich in Siena hervorragend aufgehoben fühlen. Das italienische Studiensystem ist zwar sehr schulisch – die meisten im Vorlesungsstil (sehr gehaltvoll! Wenn man den Dozenten vorher fragt, darf man ein Tonbandgerät einsetzen) abgehaltenen Veranstaltungen finden verteilt auf mehrere Tage der Woche statt, - so, dass man also mit ungefähr 4 – 5 Kursen eigentlich schon ganz gut bedient ist. Meist findet am Ende des Semesters eine von drei Professoren/Assistenten abgehaltene mündliche Klausur statt (ca. 10 Minuten), die öffentlich ist. Mitunter kommt es schon vor, dass man Freitags um 9 Uhr in der Aula erscheint, sein Prüfungsbuch abgibt, erfährt, dass die Kommilitonen mit Heiratsabsichten, kranken Großmüttern oder einer schwärenden Wunde vorgelassen werden, und dass sich somit diejenigen Studenten, deren Nachname mit H etc. beginnt (wahlweise auch diejenigen mit weißen T-Shirts, roten Socken oder grünen Handys), bitte erst Samstags um 10 wieder herbemühen sollen. Ach ja, die Erasmusstudenten kommen natürlich gesondert dran, am Schluß... Mit etwas mehr Glück, Arbeitswillen und Interesse kann man aber auch in ein weniger besetztes Seminar geraten, in dem Referate gehalten und Hausarbeiten geschrieben werden. Die Gepflogenheiten in der Bibliothek sind etwas seltsam. Es gibt nämlich keine Bücher. Das heißt, man muß sie bestellen, um sie ansehen zu können. Macht nichts, alle Bücher, die man braucht, stehen im kommentierten Vorlesungsverzeichnis, die muß man dann einfach auswendig lernen, wie das alle italienischen Studenten tun. Eine weitere Seltsamkeit ist, dass man alle Klausuren beliebig oft wiederholen kann. Das führt dazu, dass viele Italiener ihre Uni mit einer hervorragenden Endnote verlassen, allerdings eben etwas später. Und für Erasmusstudenten bedeutet dies, dass für die Umrechnungstabellen erbrachter Leistungen ein ziemlich hoher Quotient eingesetzt wird. Ich habe gehört, dass der Eine oder Andere seine in Italien gemachten Scheine zu Hause nicht anrechnen lässt, um seinen Notendurchschnitt nicht zu drücken! Andererseits ist aber gerade die Sieneser Uni sehr um einen regen internationalen Austausch bemüht, veranstaltet hochinteressante Kongresse und Diskussionen, lädt italienische und europäische Politiker zu Gastvorträgen ein – und zwar in Englischer Sprache (für diejenigen, die sich ihrer Italienisch- Kenntnisse doch noch nicht so ganz sicher sein sollten). Außerdem sind die Unigebäude wunderschön! San Francesco ist ein ehemaliges Kloster, mit einer großartigen angrenzenden Basilika und einem atemberaubenden Blick auf Stadtmauer, Außenbezirke und Olivenhaine. Im Großen und Ganzen beneide ich also jeden, der die einmalige Gelegenheit bekommt, diese Stadt, ihre Menschen, und die märchenhafte umgebende Landschaft erforschen zu dürfen – viel Spaß! Anna Hilber